Johann Wolfgang Goethe. Egmont
Ein Trauerspiel in fc¼nf Aufzc¼gen
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Personen:
Margarete von Parma, Tochter Karls des Fc¼nften,
Regentin der Niederlande
Graf Egmont, Prinz von Gaure
Wilhelm von Oranien
Herzog von Alba
Ferdinand, sein natc¼rlicher Sohn
Machiavell, im Dienste der Regentin
Richard, Egmonts Geheimschreiber
Silva und Gomez, unter Alba dienend
Klc¤rchen, Egmonts Geliebte
Ihre Mutter
Brackenburg, ein Bc¼rgerssohn
Soest, Krc¤mer, Bc¼rger von Brc¼ssel
Jetter, Schneider, Bc¼rger von Brc¼ssel
Zimmermann und Seifensieder, Bc¼rger von Brc¼ssel
Buyck, Soldat unter Egmont
Ruysum, Invalide und taub
Vansen, ein Schreiber
Volk, Gefolge, Wachen usw.
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Erster Aufzug
ArmbrustschiecŸen
Soldaten und Bc¼rger mit Armbrc¼sten
Jetter, Bc¼rger von Brc¼ssel, Schneider, tritt vor und spannt die
Armbrust. Soest, Bc¼rger von Brc¼ssel, Krc¤mer.
Soest. Nun schiecŸt nur hin, dacŸ es alle wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht! Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht geschossen. Und so
wc¤r' ich fc¼r dies Jahr Meister.
Jetter. Meister und Kc¶nig dazu. Wer micŸgc¶nnt's Euch? Ihr sollt
dafc¼r auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
(Buyck, ein Hollc¤nder, Soldat unter Egmont.)
Buyck. Jetter, den SchucŸ handl' ich Euch ab, teile den Gewinst,
traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und fc¼r viele
Hc¶flichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hc¤ttet.
-
Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei. Doch,
Buyck, nur immerhin.
Buyck (schiecŸt). Nun, Pritschmeister, Reverenz! - Eins! Zwei! Drei!
Vier!
Soest. Vier Ringe? Es sei!
Alle. Vivat, Herr Kc¶nig, hoch! und abermal hoch!
Buyck. Danke, ihr Herren. Wc¤re Meister zu viel! Danke fc¼r die Ehre.
Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
(Ruysum, ein Frieslc¤nder, Invalide und taub.)
Ruysum. DacŸ ich euch sage!
Soest. Wie ist's, Alter?
Ruysum. DacŸ ich euch sage! - Er schiecŸt wie sein Herr, er schiecŸt
wie Egmont.
Buyck. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Bc¼chse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glc¼ck oder gute
Laune hat; nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wc¤re auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm
lernte. - Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein Kc¶nig nc¤hrt seine Leute;
und so, auf des Kc¶nigs Rechnung, Wein her!
Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, dacŸ jeder -
Buyck. Ich bin fremd und Kc¶nig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
Jetter. Du bist ja c¤rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mc¼ssen.
Ruysum. Was?
Soest (laut). Er will uns gastieren; er will nicht haben, dacŸ wir
zusammenlegen und der Kc¶nig nur das Doppelte zahlt.
Ruysum. LacŸt ihn! doch ohne Prc¤judiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
(Sie bringen Wein.)
Alle. Ihro Majestc¤t Wohl! Hoch!
Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestc¤t.
Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
Soest. Wohl! Denn unserer spanischen Majestc¤t Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederlc¤nder von Herzen.
Ruysum. Wer?
Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kc¶nigs in Spanien.
Ruysum. Unser allergnc¤digster Kc¶nig und Herr! Gott geb' ihm langes
Leben.
Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fc¼nften, nicht lieber?
Ruysum. Gott trc¶st' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand c¼ber den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete, so
grc¼cŸt' er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wucŸt' er mit so guter Manier - ja, versteht mich - Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er
seinem Sohn das Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich - der ist
schon anders, der ist majestc¤tischer.
Jetter. Er liecŸ sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und
kc¶niglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
Soest. Es ist kein Herr fc¼r uns Niederlc¤nder. Unsre Fc¼rsten mc¼ssen
froh und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
Jetter. Der Kc¶nig, denk ich, wc¤re wohl ein gnc¤diger Herr, wenn er
nur bessere Ratgeber hc¤tte.
Soest. Nein, nein! Er hat kein Gemc¼t gegen uns Niederlc¤nder, sein
Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kc¶nnen wir ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum trc¼gen
wir ihn alle auf den Hc¤nden? Weil man ihm ansieht, dacŸ er uns wohlwill;
weil ihm die Frc¶hlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dc¼rftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. LacŸt den Grafen Egmont leben! Buyck, an Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
Ruysum. cœberwinder bei St. Quintin.
Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
Alle. Hoch!
Ruysum. St. Quintin war meine letzte Schlacht. ich konnte kaum mehr
fort, kaum die schwere Bc¼chse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen
noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
StreifschucŸ ans rechte Bein.
Buyck. Gravelingen! Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir
allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern?
Aber ich mein, wir trafen sie! Ihre alten, handfesten Kerle hielten lange
wider, und wir drc¤ngten und schossen und hieben, dacŸ sie die Mc¤uler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen, und wir stritten lange hinc¼ber herc¼ber, Mann fc¼r Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin. Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter, von der Mc¼ndung des
Flusses, bav, bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren
Englc¤nder, die unter dem Admiral Malin von ungefc¤hr von Dc¼nkirchen her
vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick! rack! herc¼ber, hinc¼ber! Alles totgeschlagen, alles ins Wasser
gesprengt. Und die Kerle ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was
wir Hollc¤nder waren, gerad hintendrein. Uns, die wir beidlebig sind, ward
erst wohl im Wasser wie den Frc¶schen; und immer die Feinde im FlucŸ
zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot.
MucŸte doch die welsche Majestc¤t gleich das Pfc¶tchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem grocŸen Egmont schuldig.
Alle. Hoch! dem grocŸen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal
hoch!
Jetter. Hc¤tte man uns den statt der Margrete von Parma zum Regenten
gesetzt!
Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnc¤d'ge Frau!
Alle. Sie lebe!
Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin
lebe!
Jetter. Klug ist sie, und mc¤cŸig in allem, was sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
dacŸ wir die vierzehn neuen Bischofsmc¼tzen im Lande haben. Wozu die nur
sollen? Nicht wahr, dacŸ man Fremde in die guten Stellen einschieben kann,
wo sonst c„bte aus den Kapiteln gewc¤hlt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischc¶fen hatten wir
genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun mucŸ doch auch jeder tun,
als ob er nc¶tig wc¤re; und da setzt's allen Augenblick VerdrucŸ und
Hc¤ndel. Und je mehr ihr das Ding rc¼ttelt und schc¼ttelt, desto trc¼ber
wird's.
(Sie trinken.)
Soest. Das war nun des Kc¶nigs Wille; sie kann nichts davon- noch
dazutun.
Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind
wahrlich gar schc¶n in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weicŸ. Ich hab ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir
wollen. Das macht, dacŸ Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas nicht. - In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art; und gefc¤hrlich ist's doch immer, da lc¤cŸt man's lieber sein. Die
Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann
ist schon unglc¼cklich geworden. Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich
nicht tun darf, was ich mc¶chte, kc¶nnen sie mich doch denken und singen
lassen, was ich will.
Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel mucŸ auch
beizeiten suchen, ihr die Flc¼gel zu beschneiden.
Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfc¤llt, in mein
Haus zu stc¼rmen, und ich sitz an meiner Arbeit und summe just einen
franzc¶sischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Bc¶ses; ich
summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde eingesteckt. Oder ich gehe c¼ber Land und bleibe bei einem Haufen
Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhc¶rt, einem von denen, die aus
Deutschland gekommen sind: auf der Stelle heicŸ ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hc¶ren?
Soest. Wackre Leute. Neulich hc¶rt' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekc¶ch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwc¼rgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hc¤tten bei der Nase
herumgefc¼hrt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung
haben kc¶nnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst und
grc¼belte so c¼ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
Buyck. Es lc¤uft ihnen auch alles Volk nach.
Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hc¶ren kann und was Neues.
Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
Buyck. Frisch, ihr Herren! cœber dem Schwc¤tzen vergecŸt ihr den Wein
und Oranien.
Jetter. Den nicht zu vergessen. Das ist ein rechter Wall: wenn man nur
an ihn denkt, meint man gleich, man kc¶nne sich hinter ihn verstecken und
der Teufel brc¤chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
Alle. Hoch! hoch!
Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Jetter. Krieg! Krieg! WicŸt ihr auch, was ihr ruft? DacŸ es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natc¼rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hc¶ren; und
nichts zu hc¶ren, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer,
wie sie c¼ber einen Hc¼gel kamen und bei einer Mc¼hle hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drc¤ngen, und einer gewinnt,
der andere verliert, ohne dacŸ man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bc¼rger ermordet werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not
und Angst, man denkt jeden Augenblick: b»Da kommen sie! Es geht uns auch
so.b«
Soest. Drum mucŸ auch ein Bc¼rger immer in Waffen gec¼bt sein.
Jetter. Ja, es c¼bt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hc¶r ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
Buyck. Das sollt' ich c¼belnehmen.
Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
Jetter. Vexier' Er sich.
Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
Jetter. Halt dein Maul.
Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Kc¼che, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
(Sie lachen.)
Jetter. Du bist ein Tropf.
Buyck. Friede, ihr Herren! MucŸ der Soldat Friede rufen? - Nun da ihr
von uns nichts hc¶ren wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine
bc¼rgerliche Gesundheit.
Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
Soest. Ordnung und Freiheit!
Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
(Sie stocŸen an und wiederholen frc¶hlich die Worte, doch so, dacŸ
jeder ein anders ausruft und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und
fc¤llt endlich auch mit ein.)
Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
Palast der Regentin
Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten. Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
(Alle gehen ab.)
Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lc¤cŸt mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder,
diese Sorgen vor mir. Nun wird der Kc¶nig sagen, dies sei'n die Folgen
meiner Gc¼te, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden
Augenblick, das Rc¤tlichste, das Beste getan zu haben. Sollte ich frc¼her
mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschc¼tten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weicŸ, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der cœbermut der
fremden Lehrer hat sich tc¤glich erhc¶ht; sie haben unser Heiligtum
gelc¤stert, die stumpfen Sinne des Pc¶bels zerrc¼ttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrc¼hrer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kc¶nig nicht denke, man
wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch
gelindes, dem cœbel zu steuern. O was sind wir GrocŸen auf der Woge der
Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und
nieder, hin und her.
(Machiavell tritt auf.)
Regentin. Sind die Briefe an den Kc¶nig aufgesetzt?
Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kc¶nnen.
Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfc¼hrlich genug gemacht?
Machiavell. Ausfc¼hrlich und umstc¤ndlich, wie es der Kc¶nig liebt. Ich
erzc¤hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstc¼rmerische Wut sich zeigt. Wie
eine rasende Menge, mit Stc¤ben, Beilen, Hc¤mmern, Leitern, Stricken
versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und
Klc¶ster anfallen, die Andc¤chtigen verjagen, die verschlossenen Pforten
aufbrechen, alles umkehren, die Altc¤re niederreicŸen, die Statuen der
Heiligen zerschlagen, alle Gemc¤lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreicŸen, zertreten. Wie sich der
Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore erc¶ffnen.
Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwc¼sten, die Bibliothek des
Bischofs verbrennen. Wie eine grocŸe Menge Volks, von gleichem Unsinn
ergriffen, sich c¼ber Menin, Comines, Werwicq, Lille verbreitet, nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwc¶rung sich erklc¤rt und ausgefc¼hrt ist.
Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das cœbel werde nur grc¶cŸer
und grc¶cŸer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so
c¤hnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt
Ihr doch selten meinem Rat folgen mc¶gen. Ihr sagtet oft im Scherze: b»Du
siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein: wer
handelt, mucŸ fc¼rs Nc¤chste sorgen.b« Und doch, habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzc¤hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es c¤ndern zu kc¶nnen.
Machiavell. Ein Wort fc¼r tausend: Ihr unterdrc¼ckt die neue Lehre
nicht. LacŸt sie gelten, sondert sie von den Rechtglc¤ubigen, gebt ihnen
Kirchen, facŸt sie in die bc¼rgerliche Ordnung, schrc¤nkt sie ein; und so
habt Ihr die Aufrc¼hrer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kc¶nne? WeicŸt du nicht, wie er
mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste
empfiehlt? dacŸ er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht
hergestellt wissen will? Hc¤lt er nicht selbst in den Provinzen Spione, die
wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung
hinc¼berneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen
genannt, der sich in unsrer Nc¤he heimlich der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und Schc¤rfe? Und ich soll gelind sein? ich soll
Vorschlc¤ge tun, dacŸ er nachsehe, dacŸ er dulde? Wc¼rde ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
Machiavell. Ich weicŸ wohl; der Kc¶nig befiehlt, er lc¤cŸt Euch seine
Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die Gemc¼ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr tut. Die grc¶cŸten Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren, wenn sich um uns alles c¤ndert? Mc¶chte doch ein guter
Geist Philippen eingeben, dacŸ es einem Kc¶nige anstc¤ndiger ist, Bc¼rger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
Regentin. Solch ein Wort nie wieder. Ich weicŸ wohl, dacŸ Politik
selten Treu und Glauben halten kann, dacŸ sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschliecŸt. In weltlichen Geschc¤ften ist
das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen wie unter
einander? Sollen wir gleichgc¼ltig gegen unsre bewc¤hrte Lehre sein, fc¼r
die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
Machiavell. Denkt nur deswegen nicht c¼bler von mir.
Regentin. Ich kenne dich und deine Treue und weicŸ, dacŸ einer ein
ehrlicher und verstc¤ndiger Mann sein kann, wenn er gleich den nc¤chsten
besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andere,
Machiavell, Mc¤nner, die ich schc¤tzen und tadeln mucŸ.
Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
Regentin. Ich kann es gestehen, dacŸ mir Egmont heute einen recht
innerlichen tiefen VerdrucŸ erregte.
Machiavell. Durch welches Betragen?
Regentin. Durch sein gewc¶hnliches, durch Gleichgc¼ltigkeit und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. b»Seht, was
in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der Kc¶nig sich
alles versprach?b«
Machiavell. Und was antwortete er?
Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wc¤re,
versetzte er: b»Wc¤ren nur erst die Niederlc¤nder c¼ber ihre Verfassung
beruhigt! Das c¼brige wc¼rde sich leicht geben.b«
Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederlc¤nder sieht, dacŸ es
mehr um seine Besitztc¼mer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu tun
ist? Haben die neuen Bischc¶fe mehr Seelen gerettet, als fette Pfrc¼nden
geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle
Statthalterschaften mit Niederlc¤ndern besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, dacŸ sie die grc¶cŸte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner Art
von den Seinigen regieret werden als von Fremden, die erst im Lande sich
wieder Besitztc¼mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
MacŸstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
Machiavell. Mit dem Herzen gewicŸ nicht; und wollte, ich kc¶nnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
Regentin. Wenn du so willst, so tc¤t' es not, ich trc¤te ihnen meine
Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich grocŸe Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
Machiavell. Ein gefc¤hrliches Paar.
Regentin. Soll ich aufrichtig reden: ich fc¼rchte Oranien, und ich
fc¼rchte fc¼r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in
die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit grc¶cŸter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehc¶rte.
Regentin. Er trc¤gt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestc¤t
nicht c¼ber ihm schwebte.
Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hc¤ngen an ihm.
Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand
Rechenschaft von ihm zu fordern hc¤tte. Noch trc¤gt er den Namen Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hc¶ren; als wollte er nicht vergessen,
dacŸ seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich nicht
Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum tut er das? Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
Machiavell. Ich halte ihn fc¼r einen treuen Diener des Kc¶nigs.
Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kc¶nnte er sich um die Regierung
machen; anstatt dacŸ er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsc¤glichen
VerdrucŸ gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den
Adel mehr verbunden und verknc¼pft als die gefc¤hrlichsten heimlichen
Zusammenkc¼nfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gc¤ste einen dauernden
Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschc¶pft. Wie oft setzt er
durch seine Scherzreden die Gemc¼ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der Pc¶bel c¼ber die neuen Livreen, c¼ber die tc¶richten Abzeichen der
Bedienten!
Machiavell. Ich bin c¼berzeugt, es war ohne Absicht.
Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nc¼tzt sich
nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft; und wir, um nicht mc¼cŸig und
nachlc¤ssig zu scheinen, mc¼ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er
ist gefc¤hrlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwc¶rung; und ich
mc¼cŸte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, dacŸ er mich nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
Regentin. Sein Gewissen hat einen gefc¤lligen Spiegel. Sein Betragen
ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der vc¶lligen
cœberzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefc¤lligkeit nicht
fc¼hlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es werde
sich schon geben.
Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glc¼ckliches
Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefc¤hrlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlc¤ndischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stc¤rken sein Vertrauen, seine Kc¼hnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkc¼rlichen Unmut des Kc¶nigs schc¼tzen. Untersuch es
genau; an dem ganzen Unglc¼ck, das Flandern trifft, ist er doch nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht
genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, dacŸ wir etwas zu schaffen
hatten. LacŸ mich nur; was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser
Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschiecŸen; ich
weicŸ, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien
auch?
Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die
Last der Verantwortung nahe genug zuwc¤lzen; sie sollen sich mit mir dem
cœbel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklc¤ren. Eile,
dacŸ die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann
sende schnell den bewc¤hrten Vaska nach Madrid; er ist unermc¼det und treu;
dacŸ mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, dacŸ der Ruf ihn
nicht c¼bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
Bc¼rgerhaus
Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klc¤rchen.
Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen
Liebesdienst?
Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
Klare. Grillen! kommt und haltet!
Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hc¼bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
Brackenburg. Sonst.
Klare. Wir wollen singen.
Brackenburg. Was Ihr wollt.
Klare. Nur hc¼bsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstc¼ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
Die Trommel gerc¼hret!
Das Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster gewaffnet
Dem Haufen befiehlt,
Die Lanze hoch fc¼hret,
Die Leute regieret.
Wie klopft mir das Herze!
Wie wallt mir das Blut!
O hc¤tt' ich ein Wc¤mslein
Und Hosen und Hut!
Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
Mit mutigem Schritt,
Ging' durch die Provinzen,
Ging' c¼berall mit.
Die Feinde schon weichen,
Wir schiecŸen darein.
Welch Glc¼ck sondergleichen,
Ein Mannsbild zu sein!
(Brackenburg hat unter dem Singen Klc¤rchen oft angesehen; zuletzt
bleibt ihm die Stimme stocken, die Trc¤nen kommen ihm in die Augen, er
lc¤cŸt den Strang fallen und geht ans Fenster. Klc¤rchen singt das Lied
allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlc¼ssig wieder um und setzt sich.)
Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hc¶re marschieren.
Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht
an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tc¤gliche Wache, das sind
weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hc¶rt einmal, was es
gibt. Es mucŸ etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den
Gefallen.
Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
Klare. Ich bin neugierig; und auch, verdenkt mir's nicht, seine
Gegenwart tut mir weh. Ich weicŸ immer nicht, wie ich mich gegen ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen, dacŸ
er es so lebendig fc¼hlt. - Kann ich's doch nicht c¤ndern!
Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich mucŸ ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drc¼ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfacŸt. Ich mache mir Vorwc¼rfe, dacŸ ich ihn betriege, dacŸ ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nc¤hre. Ich bin c¼bel dran. WeicŸ
Gott, ich betrieg ihn nicht. Ich will nicht, dacŸ er hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
Mutter. Das ist nicht gut.
Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hc¤tte ihn heiraten kc¶nnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
Mutter. Glc¼cklich wc¤rst du immer mit ihm gewesen.
Klare. Wc¤re versorgt und hc¤tte ein ruhiges Leben.
Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie
es gegangen ist, weicŸ ich's wohl und weicŸ es nicht. Und dann darf ich
Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja wc¤re mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht das glc¼cklichste Geschc¶pf von der Welt
sein?
Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglc¼cklich gemacht! mich unglc¼cklich gemacht.
Klare (gelassen). Ihr liecŸet es doch im Anfange.
Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr
mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lc¤chelte,
nickte, mich grc¼cŸte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
Mutter. Mache mir noch Vorwc¼rfe.
Klare (gerc¼hrt). Wenn er nun c¶fter die StracŸe kam, und wir wohl
fc¼hlten, dacŸ er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht
selbst mit heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
Mutter. Dachte ich, dacŸ es so weit kommen sollte?
Klare (mit stockender Stimme und zurc¼ckgehaltenen Trc¤nen). Und wie er
uns abends, in den Mantel eingehc¼llt, bei der Lampe c¼berraschte, wer war
geschc¤ftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
Mutter. Und konnte ich fc¼rchten, dacŸ diese unglc¼ckliche Liebe das
kluge Klc¤rchen so bald hinreicŸen wc¼rde? Ich mucŸ es nun tragen, dacŸ
meine Tochter -
Klare (mit ausbrechenden Trc¤nen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt
Eure Freude, mich zu c¤ngstigen.
Mutter (weinend). Weine noch gar! Mache mich noch elender durch deine
Betrc¼bnis. Ist mir's nicht Kummer genug, dacŸ meine einzige Tochter ein
verworfenes Geschc¶pf ist?
Klare (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte verworfen? -
Welche Fc¼rstin neidete nicht das arme Klc¤rchen um den Platz an seinem
Herzen! O Mutter - meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
Mutter. Man mucŸ ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so
freundlich, frei und offen.
Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der grocŸe Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbc¤rge! wie er um mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
Mutter. Kommt er wohl heute?
Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Tc¼r rauscht? - Ob ich schon weicŸ,
dacŸ er vor Nacht nicht kommt, vermut ich ihn doch jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe. Wc¤r' ich nur ein Bube und kc¶nnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und c¼berall hin! Kc¶nnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser
an?
Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe! - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens
war sein Name in den Liedern! das c¼brige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals - Ich hc¤tte sie gern zurc¼ckgerufen, wenn
ich mich nicht geschc¤mt hc¤tte.
Mutter. Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrc¤tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du
den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst:
b»Graf Egmont!b« - Ich ward feuerrot.
Klare. Hc¤tt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei
Gravelingen, und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten
in der Beschreibung C. Steht da: b»Graf Egmont, dem das Pferd unter dem
Leibe totgeschossen wird.b« Mich c¼berlief's - und hernach mucŸt' ich lachen
c¼ber den holzgeschnitzten Egmont, der so grocŸ war als der Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir als Mc¤dchen fc¼r ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von
ihm erzc¤hlten, und von allen Grafen und Fc¼rsten - und wie mir's jetzt ist!
(Brackenburg kommt.)
Klare. Wie steht's?
Brackenburg. Man weicŸ nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er mc¶chte sich hieher
verbreiten. Das SchlocŸ ist stark besetzt, die Bc¼rger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der
Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
Mutter. Lebt wohl.
Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter und Tochter
ab.)
Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder
fortzugehn; und da sie es dafc¼r aufnimmt und mich gehen lc¤cŸt, mc¶cht' ich
rasend werden. - Unglc¼cklicher! und dich rc¼hrt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende Tumult nicht? - und gleich ist dir Landsmann oder
Spanier, und wer regiert und wer recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: b»Brutus' Rede fc¼r
die Freiheit, zur cœbung der Redekunstb«, da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor sagte: b»Wenn's nur ordentlicher wc¤re, nur nicht alles so
c¼bereinander gestolpert.b« - Damals kocht' es und trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des Mc¤dchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann sie mich doch nicht lieben! - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
lc¤nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte?
dacŸ sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlc¤cŸt, da sie mich zc¼chtig
immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine
Lc¼ge, eine schc¤ndliche verleumderische Lc¼ge! Klc¤rchen ist so unschuldig,
als ich unglc¼cklich bin. - Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem
Herzen gestocŸen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
- - Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich
sterbe unter dem Getc¼mmel nur ab! Ich duld es nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein SchucŸ fc¤llt, mir fc¤hrt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stc¼rzt' ich mich ins Wasser, ich sank - aber die gec¤ngstete Natur
war stc¤rker; ich fc¼hlte, dacŸ ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - - Kc¶nnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu
lieben schien! - Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glc¼ck?
Warum haben mir diese Hoffnungen allen GenucŸ des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir ein Paradies von weitem zeigten? - Und jener erste KucŸ! Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer gut und freundlich gegen mich gewesen - da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an - alle Sinnen gingen mir um, und ich fc¼hlte
ihre Lippen auf den meinigen. - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein Flc¤schchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst
aus meines Bruders Doktorkc¤stchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese TodesschweicŸe auf einmal
verschlingen und lc¶sen.
Zweiter Aufzug
Platz in Brc¼ssel
Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der
Zunft sagt' ich, es wc¼rde schwere Hc¤ndel geben.
Jetter. Ist's denn wahr, dacŸ sie die Kirchen in Flandern geplc¼ndert
haben?
Zimmermeister. Ganz und gar zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wc¤nde haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hc¤tten eher, in
der Ordnung und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und
drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heicŸt
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hc¤ngt doch der Hals gar nah damit zusammen.
Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lc¤rmen
anfc¤ngt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande, worauf wir uns auch berufen mc¼ssen, und bringen das Land in
Unglc¼ck.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, dacŸ die
Bilderstc¼rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrc¼hren.
Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin, so eine wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie
aucŸer Fassung. Es mucŸ sehr arg sein, dacŸ sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flc¼chten.
Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschc¼tzt uns,
und wir wollen ihr mehr verschaffen als ihre Stutzbc¤rte. Und wenn sie uns
unsere Rechte und Freiheiten aufrechterhc¤lt, so wollen wir sie auf den
Hc¤nden tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
Seifensieder. Garstige Hc¤ndel! cœble Hc¤ndel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - Hc¼tet euch, dacŸ ihr stille bleibt, dacŸ man euch nicht auch
fc¼r Aufwiegler hc¤lt.
Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
Seifensieder. Ich weicŸ, da sind viele, die es heimlich mit den
Calvinisten halten, die auf die Bischc¶fe lc¤stern, die den Kc¶nig nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
Vansen. Gott grc¼cŸ' euch Herren! Was Neues?
Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein Patron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber,
pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins Handwerk und ist ein
Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Kc¶pfe zusammen. Es ist
immer redenswert.
Soest. Ich denk auch.
Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hc¤tte, und einer oder
der andere den Kopf dazu: wir kc¶nnten die spanischen Ketten auf einmal
sprengen.
Soest. Herre! So mc¼cŸt Ihr nicht reden. Wir haben dem Kc¶nig
geschworen.
Vansen. Und der Kc¶nig uns. Merkt das.
Jetter. Das lc¤cŸt sich hc¶ren! Sagt Eure Meinung.
Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besacŸ Pergamente und Briefe
von uralten Stiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die
rarsten Bc¼cher. In einem stand unsere ganze Verfassung: wie uns
Niederlc¤nder zuerst einzelne Fc¼rsten regierten, alles nach hergebrachten
Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht
fc¼r ihren Fc¼rsten gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich gleich vorsahen, wenn er c¼ber die Schnur hauen wollte. Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstc¤nde.
Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weicŸ man lange! Ein jeder
rechtschaffene Bc¼rger ist, so viel er braucht, von der Verfassung
unterrichtet.
Jetter. LacŸt ihn reden; man erfc¤hrt immer etwas mehr.
Soests. Er hat ganz recht.
Mehrere. Erzc¤hlt! erzc¤hlt! So was hc¶rt man nicht alle Tage.
Vansen. So seid ihr Bc¼rgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr euer Gewerb' von euern Eltern c¼berkommen habt, so lacŸt ihr auch
das Regiment c¼ber euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten;
und c¼ber das Versc¤umnis haben euch die Spanier das Netz c¼ber die Ohren
gezogen.
Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tc¤gliche Brot hat.
Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der Kc¶nig in Spanien, der die Provinzen
durch gut Glc¼ck zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen Fc¼rsten, die sie ehemals einzeln besacŸen. Begreift
ihr das?
Jetter. Erklc¤rt's uns.
Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Mc¼cŸt ihr nicht nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher kc¤me das?
Ein Bc¼rger. Wahrlich!
Vansen. Hat der Brc¼sseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher kc¤me denn das?
Anderer Bc¼rger. Bei Gott!
Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen lacŸt, wird man's euch bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der Kc¼hne, Friedrich der Krieger, Karl der
Fc¼nfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
Soests. Ja, ja! Die alten Fc¼rsten haben's auch schon probiert.
Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren pacŸten auf. Wie sie einem Herrn
gram wurden, fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und gaben ihn nur auf die besten Bedingungen heraus. Unsere Vc¤ter
waren Leute! Die wucŸten, was ihnen nc¼tz war! Die wucŸten etwas zu fassen
und festzusetzen! Rechte Mc¤nner! Dafc¼r sind aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzc¤hlt noch
was von unsern Privilegien.
Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
Soests. Sagt an.
Jetter. LacŸt hc¶ren.
Ein Bc¼rger. Ich bitt Euch.
Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
Soests. Gut! Steht das so?
Jetter. Getreu? Ist das wahr?
Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder eignen Willen an uns beweisen, merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
Jetter. Schc¶n! Schc¶n! nicht beweisen.
Soests. Nicht merken lassen.
Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
Vansen. Mit ausdrc¼cklichen Worten.
Jetter. Schafft uns das Buch.
Ein Bc¼rger. Ja, wir mc¼ssen's haben.
Andere. Das Buch! das Buch!
Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
Ein anderer. Ihr sollt das Wort fc¼hren, Herr Doktor.
Seifensieder. O die Trc¶pfe!
Andere. Noch etwas aus dem Buche!
Seifensieder. Ich schlage ihm die Zc¤hne in den Hals, wenn er noch ein
Wort sagt.
Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne
Verwilligung des Adels und der Stc¤nde! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht verc¤ndern.
Soest. Ist das so?
Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen, von zwei-, dreihundert
Jahren her.
Bc¼rger. Und wir leiden die neuen Bischc¶fe? Der Adel mucŸ uns
schc¼tzen, wir fangen Hc¤ndel an!
Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
Vansen. Das ist eure Schuld.
Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen fc¼r unser
Bestes!
Vansen. Eure Brc¼der in Flandern haben das gute Werk angefangen.
Seifensieder. Du Hund!
(Er schlc¤gt ihn.)
Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
Ein anderer. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
(Andere mischen sich in den Streit.)
Zimmermeister. Bc¼rger, was soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bc¼rger stehn und
gaffen, Volk lc¤uft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
Zimmermeister. Gnc¤diger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bc¼rger gegen Bc¼rger! Hc¤lt sogar
die Nc¤he unsrer kc¶niglichen Regentin diesen Unsinn nicht zurc¼ck? Geht
auseinander, geht an euer Gewerbe. Es ist ein c¼bles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
Egmont. Die sie noch mutwillig zertrc¼mmern werden - Und wer seid Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
Egmont. Eures Zeichens?
Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
Egmont. Und Ihr?
Soest. Krc¤mer.
Egmont. Ihr?
Jetter. Schneider.
Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen fc¼r meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
Jetter. Gnade, dacŸ Ihr Euch dessen erinnert.
Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und
gesprochen habe. - Was an euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das tut; ihr
seid c¼bel genug angeschrieben. Reizt den Kc¶nig nicht mehr, er hat zuletzt
doch die Gewalt in Hc¤nden. Ein ordentlicher Bc¼rger, der sich ehrlich und
fleicŸig nc¤hrt, hat c¼berall so viel Freiheit, als er braucht.
Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die
Sc¶ffer, die Faulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stc¤nkern aus
Langerweile und scharren aus Hunger nach Privilegien und lc¼gen den
Neugierigen und Leichtglc¤ubigen was vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen, fangen sie Hc¤ndel an, die viel tausend Menschen unglc¼cklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Hc¤user und Kasten zu gut
verwahrt; da mc¶chten sie gern uns mit Feuerbrc¤nden davontreiben.
Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind MacŸregeln genommen,
dem cœbel krc¤ftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht, durch Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet
nicht, dacŸ sie sich auf den StracŸen rotten. Vernc¼nftige Leute kc¶nnen
viel tun.
(Indessen hat sich der grc¶cŸte Haufe verlaufen.)
Zimmermeister. Danken Euer Exzellenz, danken fc¼r die gute Meinung!
Alles, was an uns liegt. (Egmont ab.) Ein gnc¤diger Herr! der echte
Niederlc¤nder! Gar so nichts Spanisches.
Jetter. Hc¤tten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
Soest. Das lc¤cŸt der Kc¶nig wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
Zimmermeister. Ein schc¶ner Herr!
Jetter. Sein Hals wc¤r' ein rechtes Fressen fc¼r einen Scharfrichter.
Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
Jetter. Dumm genug, dacŸ einem so etwas einfc¤llt. - Es ist mir nun so.
Wenn ich einen schc¶nen langen Hals sehe, mucŸ ich gleich wider Willen
denken: der ist gut kc¶pfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne. Wenn die Bursche schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein ich, den sc¤h' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde froh. Jede Lustbarkeit, jeden SpacŸ hab ich bald
vergessen; die fc¼rchterlichen Gestalten sind mir wie vor die Stirne
gebrannt.
Egmonts Wohnung
Sekretc¤r an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
Sekretc¤r. Er kommt immer nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,. die Papiere vor mir; und eben heute mc¶cht' ich gern so
zeitig fort. Es brennt mir unter den Sohlen. Ich kann vor Ungeduld kaum
bleiben. b»Sei auf die Stunde dab«, befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er nicht. Es ist so viel zu tun, ich werde vor Mitternacht nicht
fertig. Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger. Doch hielt'
ich's besser, wenn er strenge wc¤re und liecŸe einen auch wieder zur
bestimmten Zeit. Man kc¶nnte sich einrichten. Von der Regentin ist er nun
schon zwei Stunden weg; wer weicŸ, wen er unterwegs angefacŸt hat.
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Wie sieht's aus?
Sekretc¤r. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdriecŸlich
Gesicht.
Sekretc¤r. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich schon lange. Hier sind
die Papiere!
Egmont. Donna Elvira wird bc¶se auf mich werden, wenn sie hc¶rt, dacŸ
ich dich abgehalten habe.
Sekretc¤r. Ihr scherzt.
Egmont. Nein, nein. Schc¤me dich nicht. Du zeigst einen guten
Geschmack. Sie ist hc¼bsch; und es ist mir ganz recht, dacŸ du auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
Sekretc¤r. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
Egmont. Da ist gut, dacŸ wir die Freude zu Hause haben und sie nicht
von auswc¤rts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
Sekretc¤r. Genug, und drei Boten warten.
Egmont. Sag an! das Nc¶tigste!
Sekretc¤r. Es ist alles nc¶tig.
Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
Sekretc¤r. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
Egmont. Er schreibt wohl noch von einzelnen Ungezogenheiten und
Tollkc¼hnheiten?
Sekretc¤r. Ja! Es kommt noch manches vor.
Egmont. Verschone mich damit.
Sekretc¤r. Noch sechs sind eingezogen worden, die bei Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hc¤ngen lassen?
Egmont. Ich bin des Hc¤ngens mc¼de. Man soll sie durchpeitschen, und
sie mc¶gen gehen.
Sekretc¤r. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
Sekretc¤r. Brink von Bredas Kompanie will heiraten. Der Hauptmann
hofft, Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt er, dacŸ, wenn wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern
einem Zigeunergeschleppe c¤hnlich sehen wird.
Egmont. Dem mag's noch hingehen! Es ist ein schc¶ner junger Kerl; er
bat mich noch gar dringend, eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr
gestattet sein, so leid mir's tut, den armen Teufeln, die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten SpacŸ zu versagen.
Sekretc¤r. Zwei von Euern Leuten, Seter und Hart, haben einem Mc¤del,
einer Wirtstochter, c¼bel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
Egmont. Wenn es ein ehrlich Mc¤dchen ist, und sie haben Gewalt
gebraucht, so soll er sie drei Tage hintereinander mit Ruten streichen
lassen, und wenn sie etwas besitzen, soll er so viel davon einziehen, dacŸ
dem Mc¤dchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
Sekretc¤r. Einer von den fremden Lehrern ist heimlich durch Comines
gegangen und entdeckt worden. Er schwc¶rt, er sei im Begriff, nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
Egmont. Sie sollen ihn in der Stille an die Grenze bringen und ihm
versichern, dacŸ er das zweitemal nicht so wegkommt.
Sekretc¤r. Ein Brief von Euerm Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er kc¶nne auf die Woche die verlangte Summe schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die grc¶cŸte Konfusion gebracht.
Egmont. Das Geld mucŸ herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
Sekretc¤r. Er sagt, er werde sein mc¶glichstes tun und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
Sekretc¤r. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
Egmont. So gebe man ihm noch vierzehn Tage; und dann mag er gegen ihn
verfahren.
Sekretc¤r. Ihr tut wohl. Es ist nicht Unvermc¶gen; es ist bc¶ser Wille.
Er macht gewicŸ Ernst, wenn er sieht, Ihr spacŸt nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr Gnadengehalte gebt, die Gebc¼hr einen halben Monat zurc¼ckhalten; man
kc¶nne indessen Rat schaffen; sie mc¶chten sich einrichten.
Egmont. Was ist da einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nc¶tiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
Sekretc¤r. Woher befehlt Ihr denn, dacŸ er das Geld nehmen soll?
Egmont. Darauf mag er denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon
gesagt.
Sekretc¤r. Deswegen tut er die Vorschlc¤ge.
Egmont. Die taugen nicht, er soll auf was anders sinnen. Er soll
Vorschlc¤ge tun, die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld
schaffen.
Sekretc¤r. Ich habe den Brief des Grafen Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, dacŸ ich Euch daran erinnere. Der alte Herr verdient vor allen
andern eine ausfc¼hrliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. GewicŸ,
er liebt Euch wie ein Vater.
Egmont. Ich komme nicht dazu. Und unter vielem VerhacŸten ist mir das
Schreiben das VerhacŸteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib in
meinem Namen. Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht dazu; und wc¼nschte
selbst, dacŸ ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes
geschrieben wc¼rde.
Sekretc¤r. Sagt mir nur ungefc¤hr Eure Meinung; ich will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, dacŸ sie
vor Gericht fc¼r Eure Hand gelten kann.
Egmont. Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedc¤chtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrc¤t, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will mein Leben und mein Glc¼ck und fc¼hlt nicht,
dacŸ der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er mc¶ge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich werde mich schon
wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewicŸ sein.
Sekretc¤r. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
Egmont. Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. DacŸ ich frc¶hlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe, das ist mein Glc¼ck; und ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines Totengewc¶lbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart nicht einen
Blutstropfen in meinen Adern; nicht Lust, meine Schritte nach der neuen
bedc¤chtigen Hofkadenz zu mustern. Leb ich nur, um aufs Leben zu denken?
Soll ich den gegenwc¤rtigen Augenblick nicht geniecŸen, damit ich des
folgenden gewicŸ sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
Sekretc¤r. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefc¤llig
Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfc¤ltig er ist, wie leis
er Euch berc¼hrt.
Egmont. Und doch berc¼hrt er immer diese Saite. Er weicŸ von alters
her, wie verhacŸt mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wc¤re und auf dem gefc¤hrlichen
Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu tc¶ten? LacŸt jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
Sekretc¤r. Es ziemt Euch, nicht zu sorgen, aber wer Euch kennt und
liebt -
Egmont (in den Brief sehend). Da bringt er wieder die alten Mc¤rchen
auf, was wir an einem Abend in leichtem cœbermut der Geselligkeit und des
Weins getrieben und gesprochen; und was man daraus fc¼r Folgen und Beweise
durchs ganze Kc¶nigreich gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener c„rmel sticken lassen, und
haben diese tolle Zierde nachher in ein Bc¼ndel Pfeile verwandelt; ein noch
gefc¤hrlicher Symbol fc¼r alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, dacŸ eine ganze edle Schar mit Bettelsc¤cken und
mit einem selbstgewc¤hlten Unnamen dem Kc¶nige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedc¤chtnis rief; sind schuld - was ist's nun weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen, bunten Lumpen zu
micŸgc¶nnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme Blc¶cŸe hc¤ngen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden weckt, am
Abend uns keine Lust zu hoffen c¼brigbleibt: ist's wohl des An- und
Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut, um das zu c¼berlegen, was
gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese
Betrachtungen; wir wollen sie Schc¼lern und Hc¶flingen c¼berlassen. Die
mc¶gen sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen, wohin sie
kc¶nnen, erschleichen, was sie kc¶nnen. - Kannst du von allem diesem etwas
brauchen, dacŸ deine Epistel kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten
Alten scheint alles viel zu wichtig. So drc¼ckt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stc¤rker noch einmal, wenn er sie lassen will.
Sekretc¤r. Verzeiht mir, es wird dem FucŸgc¤nger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
Egmont. Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern
gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefacŸt, die Zc¼gel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die
Rc¤der wegzulenken. Wohin es geht, wer weicŸ es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
Sekretc¤r. Herr! Herr!
Egmont. Ich stehe hoch und kann und mucŸ noch hc¶her steigen; ich
fc¼hle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab ich meines Wachstums Gipfel
nicht erreicht; und steh ich droben einst, so will ich fest, nicht
c¤ngstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind,
ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwc¤rts in die Tiefe stc¼rzen; da
lieg ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmc¤ht, mit meinen guten
Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
Sekretc¤r. O Herr! Ihr wicŸt nicht, was fc¼r Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nc¶tigsten ist, dacŸ die Boten fortkommen, eh die Tore geschlossen werden.
Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen lacŸ bis morgen; versc¤ume
nicht, Elviren zu besuchen, und grc¼cŸe sie von mir. - Horche, wie sich die
Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich verbirgt.
(Sekretc¤r ab.)
(Oranien kommt.)
Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
Egmont. Ich fand in ihrer Art, uns aufzunehmen, nichts
AucŸerordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
Oranien. Merktet Ihr nicht, dacŸ sie zurc¼ckhaltender war? Erst wollte
sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pc¶bels gelassen billigen;
nachher merkte sie an, was sich doch auch fc¼r ein falsches Licht darauf
werfen lasse; wich dann mit dem Gesprc¤che zu ihrem alten gewc¶hnlichen
Diskurs: dacŸ man ihre liebevolle gute Art, ihre Freundschaft zu uns
Niederlc¤ndern, nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, dacŸ nichts
einen erwc¼nschten Ausgang nehmen wolle, dacŸ sie am Ende wohl mc¼de werden,
der Kc¶nig sich zu andern MacŸregeln entschliecŸen mc¼sse. Habt Ihr das
gehc¶rt?
Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein
Weib, guter Oranien, und die mc¶chten immer gern, dacŸ sich alles unter ihr
sanftes Joch gelassen schmiegte, dacŸ jeder Herkules die Lc¶wenhaut ablegte
und ihren Kunkelhof vermehrte; dacŸ, weil sie friedlich gesinnt sind, die
Gc¤rung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mc¤chtige Nebenbuhler
gegeneinander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen liecŸe und
die widrigsten Elemente sich zu ihren Fc¼cŸen in sanfter Eintracht
vereinigten. Das ist ihr Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so
hat sie keinen Weg, als launisch zu werden, sich c¼ber Undankbarkeit,
Unweisheit zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu
drohen, und zu drohen - dacŸ sie fortgehn will.
Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, dacŸ sie ihre Drohung erfc¼llt?
Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo
will sie denn hin? Hier Statthalterin, Kc¶nigin; glaubst du, dacŸ sie es
unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhc¤ltnissen
herumzuschleppen?
Oranien. Man hc¤lt sie dieser EntschliecŸung nicht fc¤hig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr sie habt zurc¼cktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue Umstc¤nde treiben sie zu dem lang verzc¶gerten EntschlucŸ. Wenn
sie ginge? und der Kc¶nig schickte einen andern?
Egmont. Nun, der wc¼rde kommen, und wc¼rde eben auch zu tun finden. Mit
grocŸen Planen, Projekten und Gedanken wc¼rde er kommen, wie er alles
zurechtrc¼cken, unterwerfen und zusammenhalten wolle; und wc¼rde heut mit
dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun haben, c¼bermorgen jene
Hindernis finden, einen Monat mit Entwc¼rfen, einen andern mit VerdrucŸ
c¼ber fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen c¼ber eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, dacŸ er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag, wenn er sein Schiff in
diesem Sturme vom Felsen hc¤lt.
Oranien. Wenn man nun aber dem Kc¶nig zu einem Versuch riete?
Egmont. Der wc¤re?
Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
Egmont. Wie?
Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhc¤ltnisse am
Herzen, ich stehe immer wie c¼ber einem Schachspiele und halte keinen Zug
des Gegners fc¼r unbedeutend; und wie mc¼cŸige Menschen mit der grc¶cŸten
Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekc¼mmern, so halt ich es fc¼r
Pflicht, fc¼r Beruf eines Fc¼rsten, die Gesinnungen, die Ratschlc¤ge aller
Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befc¼rchten. Der
Kc¶nig hat lange nach gewissen Grundsc¤tzen gehandelt; er sieht, dacŸ er
damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als dacŸ er es auf einem
andern Wege versucht?
Egmont. Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, mucŸ man es endlich wohl
genug haben.
Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
Egmont. Nun?
Oranien. Das Volk zu schonen und die Fc¼rsten zu verderben.
Egmont. Wie viele haben das schon lange gefc¼rchtet! Es ist keine
Sorge.
Oranien. Sonst war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
GewicŸheit geworden.
Egmont. Und hat der Kc¶nig treuere Diener als uns?
Oranien. Wir dienen ihm auf unsere Art; und unter einander kc¶nnen wir
gestehen, dacŸ wir des Kc¶nigs Rechte und die unsrigen wohl abzuwc¤gen
wissen.
Egmont. Wer tut's nicht? Wir sind ihm untertan und gewc¤rtig in dem,
was ihm zukommt.
Oranien. Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit
nennte, was wir heicŸen: auf unsre Rechte halten?
Egmont. Wir werden uns verteidigen kc¶nnen. Er rufe die Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
Oranien. Und was wc¤re ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
Egmont. Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Rc¤ten nicht zutraue.
Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und tc¶richt wc¤ren?
Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht mc¶glich. Wer sollte wagen, Hand an
uns zu legen? - Uns gefangenzunehmen, wc¤r' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch
aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht c¼bers Land brc¤chte,
wc¼rde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie?
Richten und verdammen kann nicht der Kc¶nig allein; und wollten sie
meuchelmc¶rderisch an unser Leben? - Sie kc¶nnen nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund wc¼rde in einem Augenblick das Volk vereinigen. HacŸ und
ewige Trennung vom spanischen Namen wc¼rde sich gewaltsam erklc¤ren.
Oranien. Die Flamme wc¼tete dann c¼ber unserm Grabe, und das Blut
unsrer Feinde flc¶sse zum leeren Sc¼hnopfer. LacŸ uns denken, Egmont.
Egmont. Wie sollten sie aber?
Oranien. Alba ist unterwegs.
Egmont. Ich glaub's nicht.
Oranien. Ich weicŸ es.
Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
Oranien. Um desto mehr bin ich c¼berzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
Egmont. Aufs neue die Provinzen zu belc¤stigen? Das Volk wird hc¶chst
schwierig werden.
Oranien. Man wird sich der Hc¤upter versichern.
Egmont. Nein! Nein!
Oranien. LacŸ uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstc¤rken; mit offner Gewalt fc¤ngt er nicht an.
Egmont. Mc¼ssen wir ihn nicht begrc¼cŸen, wenn er kommt?
Oranien. Wir zc¶gern.
Egmont. Und wenn er uns im Namen des Kc¶nigs bei seiner Ankunft
fordert?
Oranien. Suchen wir Ausflc¼chte.
Egmont. Und wenn er dringt?
Oranien. Entschuldigen wir uns.
Egmont. Und wenn er drauf besteht?
Oranien. Kommen wir um so weniger.
Egmont. Und der Krieg ist erklc¤rt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
lacŸ dich nicht durch Klugheit verfc¼hren; ich weicŸ, dacŸ Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
Oranien. Ich hab ihn bedacht.
Egmont. Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist; an dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwc¼stet hat. Dein Weigern ist das
Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede
Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand
gehascht hat. Was wir lange mc¼hselig gestillt haben, wirst du mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an die Stc¤dte, die
Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke die
Verwc¼stung, den Mord! - Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen
Kameraden neben sich hinfallen; aber den FlucŸ herunter werden dir die
Leichen der Bc¼rger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, dacŸ du
mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weicŸt, wessen Sache du verteidigst,
da die zugrunde gehen, fc¼r deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und wie
wird dir's sein, wenn du dir still sagen mucŸt: b»Fc¼r meine Sicherheit
ergriff ich sie.b«
Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns
fc¼r Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns fc¼r Tausende zu
schonen.
Egmont. Wer sich schont, mucŸ sich selbst verdc¤chtig werden.
Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rc¼ckwc¤rts gehen.
Egmont. Das cœbel, das du fc¼rchtest, wird gewicŸ durch deine Tat.
Oranien. Es ist klug und kc¼hn, dem unvermeidlichen cœbel
entgegenzugehn.
Egmont. Bei so grocŸer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in
Anschlag.
Oranien. Wir haben nicht fc¼r den leisesten FucŸtritt Platz mehr; der
Abgrund liegt hart vor uns.
Egmont. Ist des Kc¶nigs Gunst ein so schmaler Grund?
Oranien. So schmal nicht, aber schlc¼pfrig.
Egmont. Bei Gott! man tut ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, dacŸ man
unwc¼rdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fc¤hig.
Oranien. Die Kc¶nige tun nichts Niedriges.
Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
Oranien. Eben diese Kenntnis rc¤t uns, eine gefc¤hrliche Probe nicht
abzuwarten.
Egmont. Keine Probe ist gefc¤hrlich, zu der man Mut hat.
Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
Egmont. Ich mucŸ mit meinen Augen sehen.
Oranien. O sc¤hst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht dacŸ der
Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal
verschlingt. Vielleicht zc¶gert er, um seinen Anschlag sicherer
auszufc¼hren; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell! Rette! rette dich! - Leb wohl! - LacŸ
deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was fc¼r Macht die Regentin behc¤lt, wie deine Freunde
gefacŸt sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
Egmont. Was willst du?
Oranien (ihn bei der Hand fassend). LacŸ dich c¼berreden! Geh mit!
Egmont. Wie? Trc¤nen, Oranien?
Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch mc¤nnlich.
Egmont. Du wc¤hnst mich verloren?
Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
Egmont (allein). DacŸ andrer Menschen Gedanken solchen EinflucŸ auf uns
haben! Mir wc¤r' es nie eingekommen; und dieser Mann trc¤gt seine
Sorglichkeit in mich herc¼ber. - Weg! - Das ist ein fremder Tropfen in
meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
Dritter Aufzug
Palast der Regentin
Margarete von Parma.
Margarete. Ich hc¤tte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mc¼he und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man tue das Mc¶glichste; und der
von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mc¶gliche. - O
die Kc¶nige! - Ich hc¤tte nicht geglaubt, dacŸ es mich so verdriecŸen
kc¶nnte. Es ist so schc¶n zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weicŸ nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
(Machiavell erscheint im Grunde.)
Regentin. Tretet nc¤her, Machiavell. Ich denke hier c¼ber den Brief
meines Bruders.
Machiavell. Ich darf wissen, was er enthc¤lt?
Regentin. So viel zc¤rtliche Aufmerksamkeit fc¼r mich als Sorgfalt fc¼r
seine Staaten. Er rc¼hmt die Standhaftigkeit, den FleicŸ und die Treue,
womit ich bisher fc¼r die Rechte seiner Majestc¤t in diesen Landen gewacht
habe. Er bedauert mich, dacŸ mir das unbc¤ndige Volk so viel zu schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen c¼berzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens so aucŸerordentlich zufrieden, dacŸ ich fast
sagen mucŸ, der Brief ist fc¼r einen Kc¶nig zu schc¶n geschrieben, fc¼r
einen Bruder gewicŸ.
Machiavell. Es ist nicht das erstemal, dacŸ er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
Regentin. Aber das erstemal, dacŸ es rednerische Figur ist.
Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
Regentin. Ihr werdet. - Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne
Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine c¼ble Figur
spielen! Wir hc¤tten, sagt er, unrecht getan, auf die Klagen der Einwohner
unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er, die
dem Bc¼rger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, grocŸe
Sprc¼nge zu machen.
Machiavell. Es wc¼rde die Gemc¼ter c¤ucŸerst aufbringen.
Regentin. Der Kc¶nig meint aber, hc¶rst du? - Er meint, dacŸ ein
tc¼chtiger General, so einer, der gar keine Rc¤son annimmt, gar bald mit
Volk und Adel, Bc¼rgern und Bauern fertig werden kc¶nne; - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
Machiavell. Alba?
Regentin. Du wunderst dich?
Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
Regentin. Der Kc¶nig fragt nicht; er schickt.
Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten
haben.
Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
Machiavell. Ich mc¶cht' Euch nicht vorgreifen.
Regentin. Und ich mc¶chte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als dacŸ
er fc¶rmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretc¤r aufsetzt.
Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie mc¶chten's gern
gesc¤ubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O mir ist's, als
wenn ich den Kc¶nig und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sc¤he.
Machiavell. So lebhaft?
Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so erfahren und mc¤cŸig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen lc¤cŸt, der gerade Alonzo, der fleicŸige Freneda, der
feste Las Vargas, und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei
mc¤chtig wird. Da sitzt aber der hohlc¤ugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zc¤hnen von Weibergc¼te,
unzeitigem Nachgeben und dacŸ Frauen wohl von zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und solche Spc¤cŸe,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhc¶ren mc¼ssen.
Machiavell. Ihr habt zu dem Gemc¤lde einen guten Farbentopf gewc¤hlt.
Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus
der ich allenfalls malen kc¶nnte, ist kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie Albas Gesichtsfarbe und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist bei
ihm gleich ein Gotteslc¤sterer, ein Majestc¤tsschc¤nder: denn aus diesem
Kapitel kann man sie alle sogleich rc¤dern, pfc¤hlen, vierteilen und
verbrennen. - Das Gute, was ich hier getan habe, sieht gewicŸ in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hc¤ngt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird dem
Kc¶nige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkc¼hnheit, dacŸ er
sich vorstellt, sie frc¤cŸen sich hier einander auf, wenn eine flc¼chtig
vorc¼bergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da facŸt er einen recht herzlichen HacŸ auf die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wc¤hnt, so bc¤ndige man Menschen.
Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich bin in
Staatsgeschc¤ften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen
verdrc¤ngt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen. - Erst wird er eine
Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich
greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine
geheime Instruktion vorschc¼tzen; wenn ich sie sehen will, wird er mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was anders enthc¤lt; und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er, was ich fc¼rchte, getan, und was
ich wc¼nsche, weit abwc¤rts gelenkt haben.
Machiavell. Ich wollt', ich kc¶nnt' Euch widersprechen.
Regentin. Was ich mit unsc¤glicher Geduld beruhigte, wird er durch
Hc¤rte und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und c¼berdies noch seine Schuld zu tragen haben.
Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
Regentin. So viel Gewalt hab ich c¼ber mich, um stille zu sein. LacŸ
ihn kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich
verdrc¤ngt.
Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's
hergebracht hat, dacŸ jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand
liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste
gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz
behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt und
geniecŸt.
Klc¤rchens Wohnung
Klc¤rchen. Mutter.
Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab ich nie gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
Klc¤rchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen
summend).
Glc¼cklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tc¤test, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
Klc¤rchen (singt).
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrc¼bt -
Glc¼cklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. LacŸ das Heiopopeia.
Klc¤rchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein krc¤ftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein grocŸes Kind damit schlafen gewiegt.
Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergc¤cŸest du
nur nicht alles c¼ber das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glc¼cklich machen.
Klc¤rchen. Er?
Mutter. O ja! es kommt eine Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus und
c¼berhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schc¶ne Liebe, alles hat
sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo
unterkriechen kann.
Klc¤rchen (schaudert, schweigt und fc¤hrt auf). Mutter, lacŸt die Zeit
kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn wir mc¼ssen - dann - wollen wir uns gebc¤rden, wie wir kc¶nnen -
Egmont, ich dich entbehren! - (In Trc¤nen.) Nein, es ist nicht mc¶glich,
nicht mc¶glich.
Egmont (in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrc¼ckt).
Klc¤rchen!
Klc¤rchen (tut einen Schrei, fc¤hrt zurc¼ck). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Sc¼cŸer!
Kommst du? bist du da!
Egmont. Guten Abend, Mutter.
Mutter. Gott grc¼cŸ' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
dacŸ Ihr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet
und gesungen.
Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hc¤tten.
Klc¤rchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
Mutter. Schmal genug.
Klc¤rchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen grocŸen Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
Egmont. Meinst du?
Klc¤rchen (stampft mit dem FucŸe und kehrt sich unwillig um).
Egmont. Wie ist dir?
Klc¤rchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen KucŸ
angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein
Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
Egmont. Zuzeiten, Liebchen, zuzeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer
steht und dem Feinde etwas ablisten mc¶chte, da nimmt er sich zusammen,
facŸt sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein
Liebhaber -
Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich
mucŸ in die Kc¼che; Klc¤rchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr mc¼cŸt
fc¼rliebnehmen.
Egmont. Euer guter Wille ist die beste Wc¼rze. (Mutter ab.)
Klc¤rchen. Und was wc¤re denn meine Liebe?
Egmont. So viel du willst.
Klc¤rchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
Egmont. Zuvc¶rderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem
prc¤chtigen Kleide da.)
Klc¤rchen. O je!
Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
Klc¤rchen. LacŸt! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurc¼ck.) Wie
prc¤chtig! Da darf ich Euch nicht anrc¼hren.
Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu
kommen.
Klc¤rchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
Egmont. Da siehst du's nun.
Klc¤rchen. Das hat dir der Kaiser umgehc¤ngt?
Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trc¤gt, die
edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter c¼ber meine
Handlungen als den GrocŸmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
Klc¤rchen. O du dc¼rftest die ganze Welt c¼ber dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weicŸ nicht, wo man anfangen soll.
Egmont. Sieh dich nur satt.
Klc¤rchen. Und das Goldne Vlies! Ihr erzc¤hltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles GrocŸen und Kostbaren, was man mit Mc¼h und
FleicŸ verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
Egmont. Was willst du sagen?
Klc¤rchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
Egmont. Wieso?
Klc¤rchen. Ich habe sie nicht mit Mc¼h und FleicŸ erworben, nicht
verdient.
Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich
nicht darum bewirbst - und die Leute erhalten sie auch meist allein, die
nicht darnach jagen.
Klc¤rchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze
Anmerkung c¼ber dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
Egmont. Hc¤tt' ich nur etwas fc¼r sie getan! kc¶nnt' ich etwas fc¼r sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
Klc¤rchen. Du warst gewicŸ heute bei der Regentin?
Egmont. Ich war bei ihr.
Klc¤rchen. Bist du gut mit ihr?
Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und
dienstlich.
Klc¤rchen. Und im Herzen?
Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das tut
nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sc¤he
tief genug, wenn sie auch nicht argwc¶hnisch wc¤re. Ich mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht, und ich
keine habe.
Klc¤rchen. So gar keine?
Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den Fc¤ssern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere
Unterhaltung fc¼r sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, dacŸ er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht sie immer nach
seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohl
richten mc¶chte.
Klc¤rchen. Verstellt sie sich?
Egmont. Regentin, und du fragst?
Klc¤rchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
Egmont. Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten
erreichen will.
Klc¤rchen. Ich kc¶nnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen mc¤nnlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Nc¤hterinnen und
Kc¶chinnen. Sie ist grocŸ, herzhaft, entschlossen.
Egmont. Ja, wenn's nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein
wenig aus der Fassung.
Klc¤rchen. Wieso?
Egmont. Sie hat auch ein Bc¤rtchen auf der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
Klc¤rchen. Eine majestc¤tische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu
treten.
Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wc¤re auch nicht Furcht,
nur jungfrc¤uliche Scham.
Klc¤rchen (schlc¤gt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
Egmont. Ich verstehe dich! liebes Mc¤dchen! du darfst die Augen
aufschlagen. (Er kc¼cŸt ihre Augen.)
Klc¤rchen. LacŸ mich schweigen! LacŸ mich dich halten. LacŸ mich dir in
die Augen sehen; alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und
Kummer. (Sie umarmt ihn und sieht ihn an.) Sag mir! Sage! ich begreife
nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? der grocŸe Egmont, der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hc¤ngen?
Egmont. Nein, Klc¤rchen, das bin ich nicht.
Klc¤rchen. Wie?
Egmont. Siehst du, Klc¤rchen! - LacŸ mich sitzen! (Er setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel, legt ihr Arme auf seinen SchocŸ und sieht
ihn an.) Jener Egmont ist ein verdriecŸlicher, steifer, kalter Egmont, der
an sich halten, bald dieses bald jenes Gesicht machen mucŸ; geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute fc¼r froh und frc¶hlich halten;
geliebt von einem Volke, das nicht weicŸ, was es will; geehrt und in die
Hc¶he getragen von einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht c¼berlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm auf alle Weise beikommen mc¶chten; arbeitend und sich bemc¼hend, oft
ohne Zweck meist ohne Lohn - O lacŸ mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, Klc¤rchen, der ist ruhig, offen, glc¼cklich,
geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit
voller Liebe und Zutrauen an das seine drc¼ckt. (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
Klc¤rchen. So lacŸ mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
Vierter Aufzug
StracŸe
Jetter. Zimmermeister.
Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
Zimmermeister. Nichts, als dacŸ uns von Neuem zu reden verboten ist.
Jetter. Wie?
Zimmermeister. Tretet hier ans Haus an. Hc¼tet Euch! Der Herzog von
Alba hat gleich bei seiner Ankunft einen Befehl ausgehen lassen, dadurch
zwei oder drei, die auf der StracŸe zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklc¤rt sind.
Jetter. O weh!
Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
Jetter. O unsre Freiheit!
Zimmermeister. Und bei Todesstrafe soll niemand die Handlungen der
Regierung micŸbilligen.
Jetter. O unsre Kc¶pfe!
Zimmermeister. Und mit grocŸem Versprechen werden Vc¤ter, Mc¼tter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
Jetter. Gehn wir nach Hause.
Zimmermeister. Und den Folgsamen ist versprochen, dacŸ sie weder an
Leibe, noch Ehre, noch Vermc¶gen einige Krc¤nkung erdulden sollen.
Jetter. Wie gnc¤dig! War mir's doch gleich weh, wie der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wc¤re der Himmel mit einem schwarzen
Flor c¼berzogen und hinge so tief herunter, dacŸ man sich bc¼cken mc¼sse, um
nicht dran zu stocŸen.
Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
Jetter. Pfui! Es schnc¼rt einem das Herz ein, wenn man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel ihrer sind. Und wenn sie auf der Schildwache stehen und du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und sieht so steif und mc¼rrisch aus, dacŸ du auf allen Ecken einen
Zuchtmeister zu sehen glaubst. Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch ein lustig Volk; sie nahmen sich was heraus, standen mit
ausgegrc¤tschten Beinen da, hatten den Hut c¼berm Ohr, lebten und liecŸen
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
Zimmermeister. Wenn so einer ruft. b»Halt!b« und anschlc¤gt, meinst du,
man hielte?
Jetter. Ich wc¤re gleich des Todes.
Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Freunde! Genossen!
Zimmermeister. Still! LacŸt uns gehen.
Soest. WicŸt ihr?
Jetter. Nur zu viel!
Soest. Die Regentin ist weg.
Jetter. Nun gnad' uns Gott!
Zimmermeister. Die hielt uns noch.
Soest. Auf einmal und in der Stille. Sie konnte sich mit dem Herzog
nicht vertragen; sie liecŸ dem Adel melden, sie komme wieder. Niemand
glaubt's.
Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, dacŸ er uns diese neue GeicŸel
c¼ber den Hals gelassen hat. Sie hc¤tten es abwenden kc¶nnen. Unsre
Privilegien sind hin.
Jetter. Um Gottes willen nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
Soest. Oranien ist auch weg.
Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
Soest. Graf Egmont ist noch da.
Jetter. Gott sei Dank! Stc¤rken ihn alle Heiligen, dacŸ er sein Bestes
tut; der ist allein was vermc¶gend.
(Vansen tritt auf.)
Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fc¼rbacŸ.
Vansen. Ihr seid nicht hc¶flich.
Zimmermeister. Es ist gar keine Zeit zu Komplimenten. Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
Vansen. Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schlc¤ge
was gegeben hc¤tte, wc¤re sein Tage nichts aus mir geworden.
Jetter. Es kann ernstlicher werden.
Vansen. Ihr spc¼rt von dem Gewitter, das aufsteigt, eine erbc¤rmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
Zimmermeister. Deine Glieder werden sich bald woanders eine Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
Vansen. Armselige Mc¤use, die gleich verzweifeln, wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein bicŸchen anders; aber wir treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
Vansen. Gevatter Tropf! LacŸ du den Herzog nur gewc¤hren. Der alte
Kater sieht aus, als wenn er Teufel statt Mc¤use gefressen hc¤tte und
kc¶nnte sie nun nicht verdauen. LacŸt ihn nur erst; er mucŸ auch essen,
trinken, schlafen wie andere Menschen. Es ist mir nicht bange, wenn wir
unsere Zeit recht nehmen. Im Anfange geht's rasch; nachher wird er auch
finden, dacŸ in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mc¤uschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
Zimmermeister. Was so einem Menschen alles durchgeht! Wenn ich in
meinem Leben so etwas gesagt hc¤tte, hielt' ich mich keine Minute fc¼r
sicher.
Vansen. Seid nur ruhig! Gott im Himmel erfc¤hrt nichts von euch
Wc¼rmern, geschweige der Regent.
Jetter. Lc¤stermaul!
Vansen. Ich weicŸ andere, denen es besser wc¤re, sie hc¤tten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
Jetter. Egmont! Was soll der fc¼rchten?
Vansen. Ich bin ein armer Teufel und kc¶nnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch kc¶nnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen Jahres geben, wenn er meinen Kopf auf eine Viertelstunde
hc¤tte.
Jetter. Du denkst dich was Rechts. Egmonts Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
Vansen. Redt Ihr! Aber nicht feiner. Die Herren betriegen sich am
ersten. Er sollte nicht trauen.
Jetter. Was er schwc¤tzt! So ein Herr!
Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
Jetter. Ungewaschen Maul!
Vansen. Dem wollt' ich Eure Courage nur eine Stunde in die Glieder
wc¼nschen, dacŸ sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte und juckte,
bis er aus der Stadt mc¼cŸte.
Jetter. Ihr redet recht unverstc¤ndig; er ist so sicher wie der Stern
am Himmel.
Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
Vansen. Wer will? Willst du's etwa hindern? Willst du einen Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
Jetter. Ah!
Vansen. Wollt ihr eure Rippen fc¼r ihn wagen?
Soest. Eh!
Vansen (sie nachc¤ffend). Ih! Oh! Uh! Verwundert euch durchs ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
Jetter. Ich erschrecke c¼ber Eure Unverschc¤mtheit. So ein edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befc¼rchten haben?
Vansen. Der Schelm sitzt c¼berall im Vorteil. Auf dem
Armensc¼nderstc¼hlchen hat er den Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten mit Lust zum Verbrecher. Ich habe so ein Protokoll
abzuschreiben gehabt, wo der Kommissarius schwer Lob und Geld vom Hofe
erhielt, weil er einen ehrlichen Teufel, an den man wollte, zum Schelmen
verhc¶rt hatte.
Zimmermeister. Das ist wieder frisch gelogen. Was wollen sie denn
heraus verhc¶ren, wenn einer unschuldig ist?
Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhc¶ren ist, da verhc¶rt man
hinein. Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine Unschuld, wie sie's
heicŸen, und sagt alles geradezu, was ein Verstc¤ndiger verbc¤rge. Dann
macht der Inquisitor aus den Antworten wieder Fragen und pacŸt ja auf, wo
irgendein Widersprc¼chelchen erscheinen will; da knc¼pft er seinen Strick
an, und lc¤cŸt sich der dumme Teufel betreten, dacŸ er hier etwas zu viel,
dort etwas zu wenig gesagt oder wohl gar aus Gott weicŸ was fc¼r einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch wohl irgend an einem Ende sich
hat schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich versichre
euch, mit mehr Sorgfalt suchen die Bettelweiber nicht die Lumpen aus dem
Kehricht, als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrc¼ckten, verdrc¼ckten, geschlossenen, bekannten, geleugneten Anzeigen
und Umstc¤nden sich endlich einen strohlumpenen Vogelscheu
zusammenkc¼nstelt, um wenigstens seinen Inquisiten in effigie hc¤ngen zu
kc¶nnen. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hc¤ngen
sehen.
Jetter. Der hat eine gelc¤ufige Zunge.
Zimmermeister. Mit Fliegen mag das angehen. Die Wespen lachen Eures
Gespinstes.
Vansen. Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange Herzog hat euch so
ein rein Ansehn von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbc¤uchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfc¼cŸigen, schmalleibigen, die vom FracŸe
nicht feist wird und recht dc¼nne Fc¤den zieht, aber desto zc¤here.
Jetter. Egmont ist Ritter des Goldnen Vlieses; wer darf Hand an ihn
legen? Nur von seinesgleichen kann er gerichtet werden, nur vom gesamten
Orden. Dein loses Maul, dein bc¶ses Gewissen verfc¼hren dich zu solchem
Geschwc¤tz.
Vansen. Will ich ihm darum c¼bel? Mir kann's recht sein. Es ist ein
trefflicher Herr. Ein paar meiner guten Freunde, die anderwc¤rts schon
wc¤ren gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schlc¤ge verabschiedet.
Nun geht! Geht! Ich rat es euch selbst. Dort seh ich wieder eine Runde
antreten; die sehen nicht aus, als wenn sie so bald Brc¼derschaft mit uns
trinken wc¼rden. Wir wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich hab ein
paar Nichten und einen Gevatter Schenkwirt; wenn sie von denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wc¶lfe.
Der Culenburgische Palast
Wohnung des Herzogs von Alba
Silva und Gomez begegnen einander.
Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
Gomez. Pc¼nktlich. Alle tc¤gliche Runden sind beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plc¤tzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe;
sie gehen indes, wie gewc¶hnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten.
Keiner weicŸ von dem andern; jeder glaubt, der Befehl gehe ihn allein an,
und in einem Augenblick kann alsdann der Kordon gezogen und alle Zugc¤nge
zum Palast kc¶nnen besetzt sein. WeicŸt du die Ursache dieses Befehls?
Silva. Ich bin gewohnt, blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht
sich's leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, dacŸ er recht
befohlen hat?
Gomez. Gut! Gut! Auch scheint es mir kein Wunder, dacŸ du so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein mucŸt. Mir
kommt es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwc¤tzen und
Rc¤sonieren angewc¶hnt. Ihr schweigt alle und lacŸt es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir einem ehrnen Turm ohne Pforte, wozu die Besatzung
Flc¼gel hc¤tte. Neulich hc¶rt' ich ihn bei Tafel von einem frohen
freundlichen Menschen sagen: er sei wie eine schlechte Schenke mit einem
ausgesteckten Branntweinzeichen, um Mc¼cŸiggc¤nger, Bettler und Diebe
hereinzulocken.
Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergefc¼hrt?
Gomez. Dagegen ist nichts zu sagen. GewicŸ! Wer Zeuge seiner Klugheit
war, wie er die Armee aus Italien hierher brachte, der hat etwas gesehen.
Wie er sich durch Freund und Feind, durch die Franzosen, Kc¶niglichen und
Ketzer, durch die Schweizer und Verbundnen gleichsam durchschmiegte, die
strengste Mannszucht hielt und einen Zug, den man so gefc¤hrlich achtete,
leicht und ohne AnstocŸ zu leiten wucŸte! - Wir haben was gesehen, was
lernen kc¶nnen.
Silva. Auch hier! Ist nicht alles still und ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wc¤re?
Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
Silva. In den Provinzen ist es viel ruhiger geworden; und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Kc¶nigs gewinnen.
Silva. Und uns bleibt nichts angelegener, als uns die seinige zu
erhalten. Wenn der Kc¶nig hieherkommt, bleibt gewicŸ der Herzog und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
Gomez. Glaubst du, dacŸ der Kc¶nig kommt?
Silva. Es werden so viele Anstalten gemacht, dacŸ es hc¶chst
wahrscheinlich ist.
Gomez. Mich c¼berreden sie nicht.
Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Kc¶nigs Absicht ja
nicht sein sollte zu kommen, so ist sie's doch wenigstens gewicŸ, dacŸ man
es glauben soll.
(Ferdinand, Albas natc¼rlicher Sohn.)
Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
Silva. Wir warten auf ihn.
Ferdinand. Die Fc¼rsten werden bald hier sein.
Gomez. Kommen sie heute?
Ferdinand. Oranien und Egmont.
Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
Silva. So behalt es fc¼r dich.
(Herzog von Alba. - Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zurc¼ck.)
Alba. Gomez.
Gomez (tritt vor). Herr!
Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
Gomez. Aufs genaueste. Die tc¤glichen Runden -
Alba. Genug. Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie zusammenziehen, die Zugc¤nge nach dem Palast besetzen
sollst. Das c¼brige weicŸt du.
Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
Alba. Silva!
Silva. Hier bin ich.
Alba. Alles, was ich von jeher an dir geschc¤tzt habe, Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausfc¼hren, das zeige heut.
Silva. Ich danke Euch, dacŸ Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen, dacŸ
ich der alte bin.
Alba. Sobald die Fc¼rsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich,
Egmonts Geheimschreiber gefangenzunehmen. Du hast alle Anstalten gemacht,
die c¼brigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
Silva. Vertraue auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pc¼nktlich und schrecklich treffen.
Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva. Alle; den Egmont vor andern. Er ist der einzige, der, seit du
hier bist, sein Betragen nicht gec¤ndert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere, ladet Gc¤ste, ist immer lustig und unterhaltend bei Tafel,
wc¼rfelt, schiecŸt und schleicht nachts zum Liebchen. Die andern haben
dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht; sie bleiben bei
sich; vor ihrer Tc¼re sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wc¤re.
Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
Silva. Ich stelle sie. Auf deinen Befehl c¼berhc¤ufen wir sie mit
dienstfertigen Ehren. Ihnen graut's; politisch geben sie uns einen
c¤ngstlichen Dank, fc¼hlen, das Rc¤tlichste sei, zu entfliehen, keiner wagt
einen Schritt, sie zaudern, kc¶nnen sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
Kc¼hnes zu tun, hc¤lt sie der Gemeingeist ab. Sie mc¶chten gern sich jedem
Verdacht entziehen und machen sich immer verdc¤chtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgefc¼hrt.
Alba. Ich freue mich nur c¼ber das Geschehene; und auch c¼ber das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch c¼brig, was uns zu denken und zu sorgen
gibt. Das Glc¼ck ist eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswc¼rdige zu
adeln und wohlc¼berlegte Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fc¼rsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die StracŸen zu
besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die c¼brigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, dacŸ er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dc¼rfen.
(Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt.
Ich fc¼rchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die still und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der Fc¼rsten und
vieler Tausende wc¤gen. Langsam wankt das Zc¼nglein auf und ab; tief
scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
(Alba mit Ferdinand hervortretend.)
Alba. Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand. Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum
Zeitvertreib, stracŸauf, stracŸab. Eure wohlverteilten Wachen halten die
Furcht so angespannt, dacŸ sie sich nicht zu lispeln untersteht. Die Stadt
sieht einem Felde c¤hnlich, wenn das Gewitter von weitem leuchtet; man
erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte
schlc¼pft.
Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grc¼cŸten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben mucŸte. b»LacŸt uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!b« rief er mir entgegen. Er
werde mich noch heute wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
Alba. Er wird dich wiedersehn.
Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier kenne, gefc¤llt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig behutsam; immer erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie unbedingt in die Arme
lieferte. Zu mancher gefc¤hrlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
Alba. Ich vergebe deinem jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen,
diese unachtsame Frc¶hlichkeit. Nur vergicŸ nicht, zu welchem Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben mc¶chte.
Ferdinand. Erinnert mich, und schont mich nicht, wo Ihr es nc¶tig
haltet.
Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
Ferdinand. Mein Vater!
Alba. Die Fc¼rsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
MicŸtrauen, dacŸ ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
Ferdinand. Was sinnst du?
Alba. Es ist beschlossen, sie festzuhalten. - Du erstaunst! Was du zu
tun hast, hc¶re; die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine Zeit, sie auszulegen. Mit dir allein wc¼nscht' ich das
Grc¶cŸte, das Geheimste zu besprechen; ein starkes Band hc¤lt uns
zusammengefesselt; du bist mir wert und lieb; auf dich mc¶cht' ich alles
hc¤ufen. Nicht die Gewohnheit zu gehorchen allein mc¶cht' ich dir
einprc¤gen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszufc¼hren, wc¼nscht'
ich in dir fortzupflanzen; dir ein grocŸes Erbteil, dem Kc¶nige den
brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit dem Besten, was ich habe,
auszustatten, dacŸ du dich nicht schc¤men dc¼rfest, unter deine Brc¼der zu
treten.
Ferdinand. Was werd ich dir nicht fc¼r diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
Alba. Nun hc¶re, was zu tun ist. Sobald die Fc¼rsten eingetreten sind,
wird jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen, Egmonts Schreiber mit den Verdc¤chtigsten gefangenzunehmen. Du
hc¤ltst die Wache am Tore und in den Hc¶fen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese Zimmer hier neben mit den sichersten Leuten; dann warte auf
der Galerie, bis Silva wiederkommt, und bringe mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, dacŸ sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte Egmont hier, als ob ich
ihm noch was zu sagen hc¤tte. Am Ende der Galerie fordre Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefc¤hrlichsten Mann; und ich fasse
Egmont hier.
Ferdinand. Ich gehorche, mein Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste grocŸe Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
Alba. Sagt' es der Bote?
Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
Alba. Aus dir spricht mein bc¶ser Genius. (Nachdem er den Brief
gelesen, winkt er beiden, und sie ziehen sich in die Galerie zurc¼ck. Er
bleibt allein auf dem Vorderteile.) Er kommt nicht! Bis auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklc¤ren. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug zu sein! -
Es rc¼ckt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein grocŸes Werk
ist getan oder versc¤umt, unwiederbringlich versc¤umt; denn es ist weder
nachzuholen, noch zu verheimlichen. Lc¤ngst hatt' ich alles reiflich
abgewogen, und mir auch diesen Fall gedacht, mir festgesetzt, was auch in
diesem Falle zu tun sei; und jetzt, da es zu tun ist, wehr ich mir kaum,
dacŸ nicht das Fc¼r und Wider mir aufs neue durch die Seele schwankt. -
Ist's rc¤tlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und lacŸ Egmont mit den Seinigen, mit so vielen entschlc¼pfen, die nun,
vielleicht nur heute noch, in meinen Hc¤nden sind? So zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie grocŸ, wie schc¶n der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens bist du zwischen zwei cœbel gestellt; wie in
einen Lostopf greifst du in die dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch
zugerollt, dir unbewucŸt, sei's Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie einer, der etwas hc¶rt, und tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und vor dem Geiste mit dem blanken Schwert, der an der Pforte dich
empfc¤ngt? - Steig ab! - So bist du mit dem einen FucŸ im Grab! und so mit
beiden! - ja streichl' es nur und klopfe fc¼r seinen mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In der Verblendung,
wie hier Egmont naht, kann er dir nicht zum zweitenmal sich liefern! -
Hc¶rt!
(Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
Alba. Ihr tut, was ich befahl; ich c¤ndre meinen Willen nicht. Ich
halte, wie es gehn will, Egmont auf, bis du mir von Silva die Nachricht
gebracht hast. Dann bleib in der Nc¤he. Auch dir raubt das Geschick das
grocŸe Verdienst, des Kc¶nigs grc¶cŸten Feind mit eigener Hand gefangen zu
haben. (Zu Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.) Geh ihm entgegen. (Alba bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Ich komme, die Befehle des Kc¶nigs zu vernehmen, zu hc¶ren,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
Alba. Er wc¼nscht vor allen Dingen Euern Rat zu hc¶ren.
Egmont. cœber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
Alba. Mir tut es leid, dacŸ er uns eben in dieser wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wc¼nscht der Kc¶nig, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr werdet krc¤ftig mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen vc¶llig und dauerhaft zu grc¼nden.
Egmont. Ihr kc¶nnt besser wissen als ich, dacŸ schon alles genug
beruhigt ist, ja, noch mehr beruhigt war, eh die Erscheinung der neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die Gemc¼ter bewegte.
Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Rc¤tlichste sei gewesen, wenn
der Kc¶nig mich gar nicht in den Fall gesetzt hc¤tte, Euch zu fragen.
Egmont. Verzeiht! Ob der Kc¶nig das Heer hc¤tte schicken sollen, ob
nicht vielmehr die Macht seiner majestc¤tischen Gegenwart allein stc¤rker
gewirkt hc¤tte, ist meine Sache nicht zu beurteilen. Das Heer ist da, er
nicht. Wir aber mc¼cŸten sehr undankbar, sehr vergessen sein, wenn wir uns
nicht erinnerten, was wir der Regentin schuldig sind. Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als tapferes Betragen die Aufrc¼hrer mit Gewalt
und Ansehn, mit cœberredung und List zur Ruhe und fc¼hrte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurc¼ck.
Alba. Ich leugne es nicht. Der Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurc¼ckgebannt. Aber hc¤ngt es nicht von eines
jeden Willkc¼r ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die Macht, sie abzuhalten? Wer bc¼rgt uns, dacŸ sie sich ferner treu
und untertc¤nig zeigen werden? Ihr guter Wille ist alles Pfand, das wir
haben.
Egmont. Und ist der gute Wille eines Volks nicht das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein Kc¶nig sicherer halten, als wenn
sie alle fc¼r einen, einer fc¼r alle stehn? Sicherer gegen innere und
c¤ucŸere Feinde?
Alba. Wir werden uns doch nicht c¼berreden sollen, dacŸ es jetzt hier
so steht?
Egmont. Der Kc¶nig schreibe einen Generalpardon aus, er beruhige die
Gemc¼ter; und bald wird man sehen, wie Treue und Liebe mit dem Zutrauen
wieder zurc¼ckkehrt.
Alba. Und jeder, der die Majestc¤t des Kc¶nigs, der das Heiligtum der
Religion geschc¤ndet, ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, dacŸ ungeheure Verbrechen straflos sind?
Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo GewicŸheit ist, dacŸ die cœbel nicht wiederkehren werden? Waren Kc¶nige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine Beleidigung ihrer Wc¼rde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie nicht eben deswegen Gott gleich gehalten, der viel zu grocŸ ist, als
dacŸ an ihn jede Lc¤sterung reichen sollte?
Alba. Und eben darum soll der Kc¶nig fc¼r die Wc¼rde Gottes und der
Religion, wir sollen fc¼r das Ansehn des Kc¶nigs streiten. Was der obere
abzulehnen verschmc¤ht, ist unsere Pflicht zu rc¤chen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
Egmont. Glaubst du, dacŸ du sie alle erreichen wirst? Hc¶rt man nicht
tc¤glich, dacŸ die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande treibt? Die
Reichsten werden ihre Gc¼ter, sich, ihre Kinder und Freunde flc¼chten; der
Arme wird seine nc¼tzlichen Hc¤nde dem Nachbar zubringen.
Alba. Sie werden, wenn man sie nicht verhindern kann. Darum verlangt
der Kc¶nig Rat und Tat von jedem Fc¼rsten, Ernst von jedem Statthalter;
nicht nur Erzc¤hlung, wie es ist, was werden kc¶nnte, wenn man alles gehen
liecŸe, wie's geht. Einem grocŸen cœbel zusehen, sich mit Hoffnung
schmeicheln, der Zeit vertrauen, etwa einmal dreinschlagen, wie im
Fastnachtsspiel, dacŸ es klatscht und man doch etwas zu tun scheint, wenn
man nichts tun mc¶chte, heicŸt das nicht, sich verdc¤chtig machen, als sehe
man dem Aufruhr mit Vergnc¼gen zu, den man nicht erregen, wohl aber hegen
mc¶chte!
Egmont (im Begriff aufzufahren, nimmt sich zusammen und spricht nach
einer kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist offenbar, und manches
Mannes Absicht ist zu micŸdeuten. MucŸ man doch auch von allen Seiten
hc¶ren: es sei des Kc¶nigs Absicht weniger, die Provinzen nach einfc¶rmigen
und klaren Gesetzen zu regieren, die Majestc¤t der Religion zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer alten Rechte zu berauben, sich Meister von ihren
Besitztc¼mern zu machen, die schc¶nen Rechte des Adels einzuschrc¤nken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen mag. Die
Religion, sagt man, sei nur ein prc¤chtiger Teppich, hinter dem man jeden
gefc¤hrlichen Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf den
Knien, betet die heiligen gewirkten Zeichen an, und hinten lauscht der
Vogelsteller, der sie berc¼cken will.
Alba. Das mucŸ ich von dir hc¶ren?
Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von GrocŸen
und von Kleinen, Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet wird. Die
Niederlc¤nder fc¼rchten ein doppeltes Joch, und wer bc¼rgt ihnen fc¼r ihre
Freiheit?
Alba. Freiheit? Ein schc¶nes Wort, wer's recht verstc¤nde. Was wollen
sie fc¼r Freiheit? Was ist des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun! - und
daran wird sie der Kc¶nig nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden kc¶nnen. Wc¤re es nicht
besser, abzudanken, als ein solches Volk zu regieren? Wenn auswc¤rtige
Feinde drc¤ngen, an die kein Bc¼rger denkt, der mit dem Nc¤chsten nur
beschc¤ftigt ist, und der Kc¶nig verlangt Beistand: dann werden sie uneins
unter sich, und verschwc¶ren sich gleichsam mit ihren Feinden. Weit besser
ist's, sie einzuengen, dacŸ man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten kann. Glaube nur, ein Volk wird nicht alt, nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
Egmont. Wie selten kommt ein Kc¶nig zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an den Blicken seines Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst c¼berlassen ist.
Egmont. Und darum niemand gern sich selbst c¼berlassen mc¶chte. Man
tue, was man will; ich habe auf deine Frage geantwortet und wiederhole: Es
geht nicht! Es kann nicht gehen! Ich kenne meine Landsleute. Es sind
Mc¤nner, wert, Gottes Boden zu betreten; ein jeder rund fc¼r sich, ein
kleiner Kc¶nig, fest, rc¼hrig, fc¤hig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's, ihr Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und fest! Zu
drc¼cken sind sie; nicht zu unterdrc¼cken.
Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Kc¶nigs Gegenwart wiederholen?
Egmont. Desto schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser fc¼r ihn, fc¼r sein Volk, wenn er mir Mut machte, wenn er mir
Zutrauen einflc¶cŸte, noch weit mehr zu sagen.
Alba. Was nc¼tzlich ist, kann ich hc¶ren wie er.
Egmont. Ich wc¼rde ihm sagen: Leicht kann der Hirt eine ganze Herde
Schafe vor sich hintreiben, der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber dem edeln Pferde, das du reiten willst, mucŸt du seine Gedanken
ablernen, du mucŸt nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen. Darum
wc¼nscht der Bc¼rger seine alte Verfassung zu behalten, von seinen
Landsleuten regiert zu sein, weil er weicŸ, wie er gefc¼hrt wird, weil er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verc¤ndern? und sollte nicht eben dies sein schc¶nstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser Welt? und sollte eine Staatseinrichtung bleiben
kc¶nnen? MucŸ nicht in einer Zeitfolge jedes Verhc¤ltnis sich verc¤ndern und
eben darum eine alte Verfassung die Ursache von tausend cœbeln werden, weil
sie den gegenwc¤rtigen Zustand des Volkes nicht umfacŸt? Ich fc¼rchte, diese
alten Rechte sind darum so angenehm, weil sie Schlupfwinkel bilden, in
welchen der Kluge, der Mc¤chtige, zum Schaden des Volks, zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
Egmont. Und diese willkc¼rlichen Verc¤nderungen, diese unbeschrc¤nkten
Eingriffe der hc¶chsten Gewalt, sind sie nicht Vorboten, dacŸ einer tun
will, was Tausende nicht tun sollen? Er will sich allein frei machen, um
jeden seiner Wc¼nsche befriedigen, jeden seiner Gedanken ausfc¼hren zu
kc¶nnen. Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen Kc¶nige, ganz vertrauten,
sagt er uns fc¼r seine Nachkommen gut? dacŸ keiner ohne Rc¼cksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von vc¶lliger Willkc¼r, wenn
er uns seine Diener, seine Nc¤chsten sendet, die ohne Kenntnis des Landes
und seiner Bedc¼rfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natc¼rlicher,
als dacŸ ein Kc¶nig durch sich zu herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am liebsten auftrc¤gt, die ihn am besten verstehen, verstehen wollen, die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
Egmont. Und ebenso natc¼rlich ist's, dacŸ der Bc¼rger von dem regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefacŸt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
Alba. Und doch hat der Adel mit diesen seinen Brc¼dern sehr ungleich
geteilt.
Egmont. Das ist vor Jahrhunderten geschehen und wird jetzt ohne Neid
geduldet. Wc¼rden aber neue Menschen ohne Not gesendet, die sich zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sc¤he man sich einer
strengen, kc¼hnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wc¼rde eine Gc¤rung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflc¶ste.
Alba. Du sagst mir, was ich nicht hc¶ren sollte: auch ich bin fremd.
Egmont. DacŸ ich dir's sage, zeigt dir, dacŸ ich dich nicht meine.
Alba. Und auch so wc¼nscht' ich es nicht von dir zu hc¶ren. Der Kc¶nig
sandte mich mit Hoffnung, dacŸ ich hier den Beistand des Adels finden
wc¼rde. Der Kc¶nig will seinen Willen. Der Kc¶nig hat nach tiefer
cœberlegung gesehen, was dem Volke frommt; es kann nicht bleiben und gehen
wie bisher. Des Kc¶nigs Absicht ist, sie selbst zu ihrem eignen Besten
einzuschrc¤nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein mucŸ, ihnen aufzudringen, die
schc¤dlichen Bc¼rger aufzuopfern, damit die c¼brigen Ruhe finden, des
Glc¼cks einer weisen Regierung geniecŸen kc¶nnen. Dies ist sein EntschlucŸ;
diesen dem Adel kundzumachen habe ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
Egmont. Leider rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volkes, die
allgemeine Furcht! So hat er denn beschlossen, was kein Fc¼rst beschliecŸen
sollte. Die Kraft seines Volks, ihr Gemc¼t, den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwc¤chen, niederdrc¼cken, zerstc¶ren, um sie bequem
regieren zu kc¶nnen. Er will den innern Kern ihrer Eigenheit verderben;
gewicŸ in der Absicht, sie glc¼cklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit sie etwas werden, ein ander Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird sie micŸgeleitet! Nicht dem Kc¶nige widersetzt man sich; man stellt
sich nur dem Kc¶nige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglc¼cklichen Schritte macht.
Alba. Wie du gesinnt bist, scheint es ein vergeblicher Versuch, uns
vereinigen zu wollen. Du denkst gering vom Kc¶nige und verc¤chtlich von
seinen Rc¤ten, wenn du zweifelst, das alles sei nicht schon gedacht,
geprc¼ft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Fc¼r und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bc¼rgen dieser unbedingten Pflicht.
Egmont. Fordre unsre Hc¤upter, so ist es auf einmal getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich sein. Umsonst hab ich so viel gesprochen: die Luft hab
ich erschc¼ttert, weiter nichts gewonnen.
(Ferdinand kommt.)
Ferdinand. Verzeiht, dacŸ ich Euer Gesprc¤ch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen cœberbringer die Antwort dringend macht.
Alba. Erlaubt mir, dacŸ ich sehe, was er enthc¤lt. (Tritt an die
Seite.)
Ferdinand (zu Egmont). Es ist ein schc¶nes Pferd, das Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
Egmont. Es ist nicht das schlimmste. Ich hab es schon eine Weile; ich
denk es wegzugeben. Wenn es Euch gefc¤llt, so werden wir vielleicht des
Handels einig.
Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
(Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurc¼ckzieht.)
Egmont. Lebt wohl! EntlacŸt mich: denn ich wc¼cŸte, bei Gott! nicht
mehr zu sagen.
Alba. Glc¼cklich hat dich der Zufall verhindert, deinen Sinn noch
weiter zu verraten. Unvorsichtig entwickelst du die Falten deines Herzens
und klagst dich selbst weit strenger an, als ein Widersacher gehc¤ssig tun
kc¶nnte.
Egmont. Dieser Vorwurf rc¼hrt mich nicht; ich kenne mich selbst genug
und weicŸ, wie ich dem Kc¶nig angehc¶re; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst sich selber dienen. Ungern scheid ich aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt zu sehen, und wc¼nsche nur, dacŸ uns der Dienst des Herrn, das
Wohl des Landes bald vereinigen mc¶ge. Es wirkt vielleicht ein wiederholtes
Gesprc¤ch, die Gegenwart der c¼brigen Fc¼rsten, die heute fehlen, in einem
glc¼cklichern Augenblick, was heut unmc¶glich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
Alba (der zugleich seinem Sohn Ferdinand ein Zeichen gibt). Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
(Die Mitteltc¼r c¶ffnet sich: man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
Egmont (der staunend eine Weile geschwiegen). Dies war die Absicht?
Dazu hast du mich berufen? (Nach dem Degen greifend, als wenn er sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
Alba. Der Kc¶nig befiehlt's, du bist mein Gefangener.
(Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
Egmont (nach einer Stille). Der Kc¶nig? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit c¶fter des Kc¶nigs
Sache verteidigt, als diese Brust beschc¼tzt.
(Er geht durch die Mitteltc¼r ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fc¤llt.)
Fc¼nfter Aufzug
StracŸe
Dc¤mmerung
Klc¤rchen. Brackenburg. Bc¼rger.
Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
Klc¤rchen. Komm mit, Brackenburg! Du mucŸt die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewicŸ. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fc¼hlt,
ich schwc¶r es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von
einem kostbaren Leben abzuwenden und dem Freiesten die Freiheit
wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind! und dacŸ sein
mc¤chtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhc¤lt, wissen sie. Um
seinet- und ihretwillen mc¼ssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum
hc¶chsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mc¼he wert ist, wenn er
umkommt.
Brackenburg. Unglc¼ckliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
Klc¤rchen. Sie scheint mir nicht unc¼berwindlich. LacŸ uns nicht lang
vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern
Mc¤nnern! Hc¶rt, Freunde! Nachbarn, hc¶rt! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
Zimmermeister. Was will das Kind? LacŸ sie schweigen,
Klc¤rchen. Tretet nc¤her, dacŸ wir sachte reden, bis wir einig sind und
stc¤rker. Wir dc¼rfen nicht einen Augenblick versc¤umen! Die freche
Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dc¤mmerung werd ich c¤ngstlicher.
Ich fc¼rchte diese Nacht! Kommt! wir wollen uns teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier zu Quartier rufen wir die Bc¼rger heraus. Ein jeder greife zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom
reicŸt einen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und
c¼berschwemmt, und sind erdrc¼ckt. Was kann uns eine Handvoll Knechte
widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt zurc¼ck, sieht sich befreit und
kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief verschuldet worden. Er
sieht vielleicht - gewicŸ er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
Zimmermeister. Wie ist dir, Mc¤dchen?
Klc¤rchen. Kc¶nnt ihr mich micŸverstehn? Vom Grafen sprech ich! Ich
spreche von Egmont.
Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tc¶dlich.
Klc¤rchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn
nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr trc¤umt; besinnt euch. Seht
mich nicht so starr und c¤ngstlich an! Blickt nicht schc¼chtern hie und da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wc¼nscht. Ist meine Stimme nicht
eures Herzens eigne Stimme? Wer wc¼rfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er
sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Knie, ihn mit ernstlichem
Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: b»Egmonts Freiheit oder den Tod!b«
Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglc¼ck.
Klc¤rchen. Bleibt! Bleibt, und drc¼ckt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem ihr euch sonst so froh entgegendrc¤ngtet! - Wenn der Ruf ihn
ankc¼ndigte, wenn es hiecŸ: b»Egmont kommt! Er kommt von Gent!b« da hielten
die Bewohner der StracŸen sich glc¼cklich, durch die er reiten mucŸte. Und
wenn ihr seine Pferde schallen hc¶rtet, warf jeder seine Arbeit hin, und
c¼ber die bekc¼mmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure Kinder auf der Tc¼rschwelle in die Hc¶he und deutetet ihnen:
b»Sieh, das ist Egmont, der Grc¶cŸte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr
bessere Zeiten, als eure armen Vc¤ter lebten, einst zu erwarten habt.b«
LacŸt eure Kinder nicht dereinst euch fragen: b»Wo ist er hin? Wo sind die
Zeiten hin, die ihr verspracht?b« - Und so wechseln wir Worte! sind mc¼cŸig,
verraten ihn.
Soest. Schc¤mt Euch, Brackenburg! LacŸt sie nicht gewc¤hren! Steuert
dem Unheil!
Brackenburg. Liebes Klc¤rchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter
sagen? Vielleicht -
Klc¤rchen. Meinst du, ich sei ein Kind oder wahnsinnig? Was kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen GewicŸheit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr sollt mich hc¶ren und ihr werdet: denn ich seh's, ihr
seid bestc¼rzt und kc¶nnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden.
LacŸt durch die gegenwc¤rtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene
dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Kc¶nnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde geht? Mit seinem Atem flieht
der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch? Fc¼r wen c¼bergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fc¼r euch. Die
grocŸe Seele, die euch alle trug, beschrc¤nkt ein Kerker, und Schauer
tc¼ckischen Mordes schweben um sie her. Er denkt vielleicht an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfc¼llen gewohnt war.
Zimmermeister. Gevatter, kommt.
Klc¤rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark wie ihr; doch hab ich,
was euch allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Kc¶nnt' euch mein
Atem doch entzc¼nden! kc¶nnt' ich an meinen Busen drc¼ckend euch erwc¤rmen
und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos
ein edles Heer von Kriegern wehend anfc¼hrt, so soll mein Geist um eure
Hc¤upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fc¼rchterlichen Heer vereinigen.
Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bc¼rger ab.)
Brackenburg. Klc¤rchen! siehst du nicht, wo wir sind?
Klc¤rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wc¶lben
schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie
herausgesehn, vier, fc¼nf Kc¶pfe c¼bereinander; an diesen Tc¼ren haben sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O ich hatte sie so
lieb, wie sie ihn ehrten! Wc¤re er Tyrann gewesen, mc¶chten sie immer vor
seinem Falle seitwc¤rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hc¤nde, die ihr
an die Mc¼tzen grifft, zum Schwert kc¶nnt ihr nicht greifen - Brackenburg,
und wir? - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun sie fc¼r ihn? - List hat in der Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte SchlocŸ. Es ist nichts unmc¶glich, gib mir einen
Anschlag.
Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
Klc¤rchen. Gut.
Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; lacŸ doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen. Hc¤ltst du mich fc¼r feig? Glaubst du
nicht, dacŸ ich um deinetwillen sterben kc¶nnte? Hier sind wir beide toll,
ich so gut wie du. Siehst du nicht das Unmc¶gliche? Wenn du dich facŸtest!
Du bist aucŸer dir.
Klc¤rchen. AucŸer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid aucŸer euch.
Da ihr laut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hc¶her
als euch allen. Jetzt schlc¤gt mir's wieder hc¶her als euch allen! Ihr
verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fc¼hlt nicht, dacŸ ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
Brackenburg. Komm nach Hause.
Klc¤rchen. Nach Hause?
Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die StracŸen,
die du nur sonntc¤glich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche
gingst, wo du c¼bertrieben ehrbar zc¼rntest, wenn ich mit einem freundlichen
grc¼cŸenden Wort mich zu dir gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
Klc¤rchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach
Hause! WeicŸt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)
Gefc¤ngnis,
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
Egmont (allein). Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich
auch wie die c¼brigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies
Haupt herunter und kc¼hltest wie ein schc¶ner Myrtenkranz der Liebe meine
Schlc¤fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge des Lebens, ruht' ich leicht
atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stc¼rme durch
Zweige und Blc¤tter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb
innerst doch der Kern des Herzens ungeregt. Was schc¼ttelt dich nun? was
erschc¼ttert den festen treuen Sinn? Ich fc¼hl's, es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer durchfc¤hrt mich. Ja, sie c¼berwindet, die verrc¤terische Gewalt;
sie untergrc¤bt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stc¼rzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen
dir vom Haupte weggewiesen, warum vermagst du nicht die Ahnung zu
verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der Tod dir fc¼rchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den c¼brigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist
er's nicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust wetteifernd sich
entgegensehnt; der Kerker ist's, des Grabes Vorbild, dem Helden wie dem
Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinem gepolsterten
Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fc¼rsten, was leicht zu
entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprc¤chen c¼berlegten, und zwischen
dc¼stern Wc¤nden eines Saals die Balken der Decke mich erdrc¼ckten. Da eilt'
ich fort, sobald es mc¶glich war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehc¶ren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede nc¤chste Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle Segen der
Gestirne uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der
Berc¼hrung unsrer Mutter krc¤ftiger uns in die Hc¶he reicŸen; wo wir die
Menschheit ganz und menschliche Begier in allen Adern fc¼hlen; wo das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu besitzen, zu erobern, durch die Seele des jungen Jc¤gers glc¼ht; wo der
Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmacŸt
und in fc¼rchterlicher Freiheit wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glc¼cks, das ich so lang
besessen; wo hat dich das Geschick verrc¤terisch hingefc¼hrt? Versagt es
dir, den nie gescheuten Tod im Angesicht der Sonne rasch zu gc¶nnen, um dir
des Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der FucŸ. -
O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, lacŸ ab! - Seit
wann ist Egmont denn allein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hc¼lflos, nicht das Glc¼ck. Ist die Gerechtigkeit des Kc¶nigs, der
du lebenslang vertrautest, ist der Regentin Freundschaft, die fast (du
darfst es dir gestehn), fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein
glc¤nzend Feuerbild der Nacht, verschwunden? und lassen dich allein auf
dunkelm Pfad zurc¼ck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln und mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
O haltet, Mauern, die ihr mich einschliecŸt, so vieler Geister
wohlgemeintes Drc¤ngen nicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen
sonst sich c¼ber sie ergocŸ, der kehre nun aus ihren Herzen in meines
wieder. O ja, sie rc¼hren sich zu Tausenden! sie kommen! stehen mir zur
Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh ich sie
nach Lanz und Schwertern greifen. Die Tore spalten sich, die Gitter
springen, die Mauer stc¼rzt von ihren Hc¤nden ein, und der Freiheit des
einbrechenden Tages steigt Egmont frc¶hlich entgegen. Wie manch bekannt
Gesicht empfc¤ngt mich jauchzend! Ach Klc¤rchen, wc¤rst du Mann; so sc¤h'
ich dich gewicŸ auch hier zuerst und dankte dir, was einem Kc¶nige zu danken
hart ist, Freiheit.
Klc¤rchens Haus
Klc¤rchen (kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hc¶rt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster setzen, dacŸ er sieht, ich wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? Entsetzliche GewicŸheit! -
Egmont verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der Kc¶nig verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien zaudert, und alle seine Freunde! - - Ist dies die Welt, von deren
Wankelmut, Unzuverlc¤ssigkeit ich viel gehc¶rt und nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt? - Wer wc¤re bc¶s genug, den Teuern anzufeinden? Wc¤re
Bosheit mc¤chtig genug, den allgemein Erkannten schnell zu stc¼rzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich facŸt, die Hand aus. Du hc¼lflos und ich frei! - Hier
ist der Schlc¼ssel zu meiner Tc¼r. An meiner Willkc¼r hc¤ngt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - - O bindet mich, damit ich nicht
verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker, dacŸ ich das Haupt an
feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, trc¤ume, wie ich ihm helfen
wollte, wenn Fesseln mich nicht lc¤hmten, wie ich ihm helfen wc¼rde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewucŸt, nicht fc¤hig, ein Glied nach seiner Hc¼lfe zu rc¼hren. Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klc¤rchen, ist wie du gefangen
und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten Krc¤fte. - Ich hc¶re
schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender guter Mann, dein
Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen c¶ffnet dir die
nc¤chtliche Tc¼r, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
(Brackenburg tritt auf.)
Klc¤rchen. Du kommst so bleich und schc¼chtern, Brackenburg! was ist's?
Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren such ich dich auf. Die grocŸen
StracŸen sind besetzt; durch Gc¤cŸchen und durch Winkel hab ich mich zu dir
gestohlen.
Klc¤rchen. Erzc¤hl, wie ist's?
Brackenburg (indem er sich setzt). Ach Klc¤re, lacŸ mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide herc¼ber. Ich hab ihn nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich. In Schmerzen flocŸ mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
Klc¤rchen. VergicŸ das, Brackenburg! VergicŸ dich selbst. Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
Brackenburg. Er ist's! ich weicŸ es ganz genau.
Klc¤rchen. Und lebt noch?
Brackenburg. Ja, er lebt noch.
Klc¤rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht den Herrlichen! vor allen Augen verborgen fliecŸt sein Blut.
c„ngstlich im Schlafe liegt das betc¤ubte Volk und trc¤umt von Rettung,
trc¤umt ihres ohnmc¤chtigen Wunsches Erfc¼llung; indes unwillig c¼ber uns
sein Geist die Welt verlc¤cŸt. Er ist dahin! - Tc¤usche mich nicht! dich
nicht!
Brackenburg. Nein gewicŸ, er lebt! - Und leider, es bereitet der
Spanier dem Volke, das er zertreten will, ein fc¼rchterliches Schauspiel,
gewaltsam jedes Herz, das nach der Freiheit sich regt, auf ewig zu
zerknirschen.
Klc¤rchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurteil aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon nc¤her und nc¤her, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon herc¼ber. Sag an.
Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald dorten fielen, dacŸ auf dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis
zubereitet werde. Ich schlich durch Seitenwege, durch bekannte Gc¤nge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte. - Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schc¤rfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes
Gerc¼st entgegen, gerc¤umig hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschc¤ftig
waren viele rings umher bemc¼ht, was noch von Holzwerk weicŸ und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch einhc¼llend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie
zuletzt auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines
grc¤cŸlichen Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weicŸes Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich
sah, und sah die schreckliche GewicŸheit immer gewisser. Noch wankten
Fackeln hie und da herum; allmc¤hlich wichen sie und erloschen. Auf einmal
war die scheucŸliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter SchocŸ zurc¼ckgekehrt.
Klc¤rchen. Still, Brackenburg! Nun still! LacŸ diese Hc¼lle auf meiner
Seele ruhn. Verschwunden sind die Gespenster, und du, holde Nacht, leih
deinen Mantel der Erde, die in sich gc¤rt; sie trc¤gt nicht lc¤nger die
abscheuliche Last, reicŸt ihre tiefen Spalten grausend auf und knirscht das
Mordgerc¼st hinunter. Und irgendeinen Engel sendet der Gott, den sie zum
Zeugen ihrer Wut geschc¤ndet; vor des Boten heiliger Berc¼hrung lc¶sen sich
Riegel und Bande, und er umgiecŸt den Freund mit mildem Schimmer; er fc¼hrt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft und still. Und auch mein Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
Klc¤rchen. Leise, Lieber, dacŸ niemand erwache! dacŸ wir uns selbst
nicht wecken! Kennst du dies Flc¤schchen, Brackenburg? Ich nahm dir's
scherzend, als du mit c¼bereiltem Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun,
mein Freund -
Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
Klc¤rchen. Du hinderst nichts. Tod ist mein Teil! und gc¶nne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest. Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte erc¶ffne, aus der kein Rc¼ckweg ist,
kc¶nnt' ich mit diesem Hc¤ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wc¤hlt' ich, seine
Stelle zu ersetzen. Es widersprach dein Herz und quc¤lte sich und mich,
verlangtest heicŸ und immer heicŸer, was dir nicht beschieden war. Vergib
mir und leb wohl! LacŸ mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen in sich facŸt. Nimm die letzte schc¶ne Blume der Scheidenden mit
treuem Herzen ab - nimm diesen KucŸ - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
Brackenburg. So lacŸ mich mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulc¶schen.
Klc¤rchen. Bleib! du sollst leben, du kannst leben. - Steh meiner
Mutter bei, die ohne dich in Armut sich verzehren wc¼rde. Sei ihr, was ich
ihr nicht mehr sein kann; lebt zusammen und beweint mich. Beweint das
Vaterland und den, der es allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu
tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut
steht die Welt auf einmal still; es stockt ihr Kreislauf, und mein Puls
schlc¤gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
Brackenburg. O lebe du mit uns, wie wir fc¼r dich allein! Du tc¶test
uns in dir, o leb und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn, und immer achtsam soll die Liebe den schc¶nsten Trost in ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
Klc¤rchen. Leise, Brackenburg! Du fc¼hlst nicht, was du rc¼hrst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
Brackenburg. Teile mit den Lebendigen die Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurc¼ck.
Klc¤rchen. Ich hab c¼berwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
Brackenburg. Du bist betc¤ubt; gehc¼llt in Nacht suchst du die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
Klc¤rchen. Weh! c¼ber dich Weh! Weh! Grausam zerreicŸest du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja, er wird grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich
ziehn und wider Willen grauen! Furchtsam schaut der Bc¼rger aus seinem
Fenster, die Nacht lc¤cŸt einen schwarzen Flecken zurc¼ck; er schaut, und
fc¼rchterlich wc¤chst im Lichte das Mordgerc¼st. Neu leidend wendet das
entweihte Gottesbild sein flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt sich
nicht hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
Trc¤ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlc¤gt.
Halt! Halt! Nun ist es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sc¤he sie sich um, und trinkt heimlich.)
Brackenburg. Klc¤re! Klc¤re!
Klc¤rchen (geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist der
Rest! Ich locke dich nicht nach. Tu, was du darfst, leb wohl. Lc¶sche diese
Lampe still und ohne Zaudern, ich geh zur Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die Tc¼r nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mc¶rder scheinen willst. (Ab.)
Brackenburg. Sie lc¤cŸt mich zum letztenmale wie immer. O kc¶nnte eine
Menschenseele fc¼hlen, wie sie ein liebend Herz zerreicŸen kann. Sie lc¤cŸt
mich stehn, mir selber c¼berlassen; und Tod und Leben ist mir gleich
verhacŸt. - Allein zu sterben! - Weint, ihr Liebenden! Kein hc¤rter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie zieht mich nach und stc¶cŸt ins Leben mich
zurc¼ck. O Egmont, welch preiswc¼rdig Los fc¤llt dir! Sie geht voran; der
Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist dein, sie bringt den ganzen Himmel dir
entgegen! - Und soll ich folgen? wieder seitwc¤rts stehn? den
unauslc¶schlichen Neid in jene Wohnungen hinc¼bertragen? - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr fc¼r mich, und Hc¶ll und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wc¤re der Vernichtung Schreckenshand dem Unglc¼ckseligen will kommen!
(Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverc¤ndert. Eine
Musik, Klc¤rchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe, welche Brackenburg
auszulc¶schen vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
Gefc¤ngnis
Egmont liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlc¼sseln, und die Tc¼r tut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen folgt Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten.
Egmont fc¤hrt aus dem Schlaf auf.)
Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schc¼ttelt. Was kc¼nden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum
diesen fc¼rchterlichen Aufzug? Welchen Schreckenstraum kommt ihr der halb
erwachten Seele vorzulc¼gen?
Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukc¼ndigen.
Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
Egmont. So ziemt es euch und euerm schc¤ndlichen Beginnen! In Nacht
gebrc¼tet und in Nacht vollfc¼hrt. So mag diese freche Tat der
Ungerechtigkeit sich verbergen! - Tritt kc¼hn hervor, der du das Schwert
verhc¼llt unter dem Mantel trc¤gst; hier ist mein Haupt, das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
Silva. Du irrst! Was gerechte Richter beschliecŸen, werden sie vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
Egmont. So c¼bersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
Silva (nimmt einem Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und
liest's). b»Im Namen des Kc¶nigs, und kraft besonderer von Seiner Majestc¤t
uns c¼bertragenen Gewalt, alle seine Untertanen, wes Standes sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirb« -
Egmont. Kann die der Kc¶nig c¼bertragen?
Silva. b»Erkennen wir, nach vorgc¤ngiger genauer, gesetzlicher
Untersuchung, dich Heinrich Grafen Egmont, Prinzen von Gaure, des
Hochverrats schuldig und sprechen das Urteil: dacŸ du mit der Frc¼he des
einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf den Markt gefc¼hrt und dort, vorm
Angesicht des Volks, zur Warnung aller Verrc¤ter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest. Gegeben Brc¼ssel imb« (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, dacŸ sie der Zuhc¶rer nicht versteht.)
b»Ferdinand, Herzog von Alba,
Vorsitzer des Gerichts der Zwc¶lfe.b«
Du weicŸt nun dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
(Silva mit dem Gefolge geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln;
das Theater ist mc¤cŸig erleuchtet.)
Egmont (hat eine Weile in sich versenkt stille gestanden und Silva,
ohne sich umzusehn, abgehen lassen. Er glaubt sich allein, und da er die
Augen aufhebt, erblickt er Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren? Willst
du noch etwa die willkommne Botschaft deinem Vater bringen, dacŸ ich
unmc¤nnlich verzweifle? Geh! Sag ihm! Sag ihm, dacŸ er weder mich noch die
Welt belc¼gt. Ihm, dem Ruhmsc¼chtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise lispeln, dann laut und lauter sagen, und wenn er einst von diesem
Gipfel herabsteigt, werden tausend Stimmen es ihm entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die Wc¼rde des Kc¶nigs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, dacŸ
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man seiner bedc¼rfe. Und ich falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses,
seines kleinlichen Neides. Ja, ich weicŸ es, und ich darf es sagen; der
Sterbende, der tc¶dlich Verwundete kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
Schon damals, als wir noch jc¼nger mit Wc¼rfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer nach dem andern, von seiner Seite zu mir herc¼bereilten, da
stand er grimmig, log Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die
c„rgernis, mehr c¼ber mein Glc¼ck als c¼ber seinen Verlust. Noch erinnere
ich mich des funkelnden Blicks, der verrc¤terischen Blc¤sse, als wir an
einem c¶ffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er forderte mich auf, und beide Nationen standen; die Spanier, die
Niederlc¤nder wetteten und wc¼nschten. Ich c¼berwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter Freudenschrei der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun trifft mich sein GeschocŸ. Sag ihm, dacŸ ich's weicŸ, dacŸ ich ihn
kenne, dacŸ die Welt jede Siegszeichen verachtet, die ein kleiner Geist
erschleichend sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mc¶glich ist, von
der Sitte des Vaters zu weichen, c¼be beizeiten die Scham, indem du dich
fc¼r den schc¤mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mc¶chtest.
Ferdinand. Ich hc¶re dich an, ohne dich zu unterbrechen! Deine
Vorwc¼rfe lasten wie Keulschlc¤ge auf einem Helm; ich fc¼hle die
Erschc¼tterung, aber ich bin bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht; fc¼hlbar ist mir allein der Schmerz, der mir den Busen zerreicŸt.
Wehe mir! Wehe! Zu einem solchen Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rc¼hrt, was bekc¼mmert dich? Ist
es eine spc¤te Reue, dacŸ du der schc¤ndlichen Verschwc¶rung deinen Dienst
geliehen? Du bist so jung und hast ein glc¼ckliches Ansehn. Du warst so
zutraulich, so freundlich gegen mich. Solang ich dich sah, war ich mit
deinem Vater versc¶hnt. Und ebenso verstellt, verstellter als er, lockst du
mich in das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es auf
seine Gefahr tun; aber wer fc¼rchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, dacŸ ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fc¼hle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, dacŸ ich erst spc¤t, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten
erfuhr, dacŸ ich als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's, welche Meinung du von mir haben magst? Du bist
verloren; und ich Unglc¼cklicher stehe nur da, um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir auf dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mc¶rdern? Sage, rede!
Fc¼r wen soll ich dich halten?
Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne dich in diesem Befehle. Du
kanntest mein Herz, meine Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer
zc¤rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich
hierher. Diesen Mann am Rande des gc¤hnenden Grabes, in der Gewalt eines
willkc¼rlichen Todes zu sehen, zwingst du mich, dacŸ ich den tiefsten
Schmerz empfinde, dacŸ ich taub gegen alles Schicksal, dacŸ ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
Ferdinand. O dacŸ ich ein Weib wc¤re! dacŸ man mir sagen kc¶nnte: was
rc¼hrt dich? was ficht dich an? Sage mir ein grc¶cŸeres, ein ungeheureres
cœbel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir danken,
ich will sagen: es war nichts.
Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
Ferdinand. LacŸ diese Leidenschaft rasen, lacŸ mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich! Du verstehst mich nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
Egmont. Lc¶se mir das Geheimnis.
Ferdinand. Kein Geheimnis.
Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der
mir in meiner ersten Jugend gleich einem Stern des Himmels
entgegenleuchtete. Wie oft hab ich nach dir gehorcht, gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der Jc¼ngling, des Jc¼nglings der Mann. So bist du vor mir her
geschritten; immer vor, und ohne Neid sah ich dich vor, und schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und mein Herz flog dir entgegen. Dich hatt' ich mir bestimmt, und wc¤hlte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun hofft' ich erst, mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich - Das ist nun alles weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
Egmont. Mein Freund, wenn es dir wohltun kann, so nimm die
Versicherung, dacŸ im ersten Augenblick mein Gemc¼t dir entgegenkam. Und
hc¶re mich. LacŸ uns ein ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tc¶ten?
Ferdinand. Er ist's.
Egmont. Dieses Urteil wc¤re nicht ein leeres Schreckbild mich zu
c¤ngstigen, durch Furcht und Drohung zu strafen: mich zu erniedrigen und
dann mit kc¶niglicher Gnade mich wieder aufzuheben?
Ferdinand. Nein, ach leider nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst
mit dieser ausweichenden Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewicŸ.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer gibt mir eine Hc¼lfe, wer einen Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
Egmont. So hc¶re mich. Wenn deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu
retten, wenn du die cœbermacht verabscheust, die mich gefesselt hc¤lt, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst gewaltig - LacŸ uns entfliehen! Ich kenne die Wege; die Mittel
kc¶nnen dir nicht unbekannt sein. Nur diese Mauern, nur wenige Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. Lc¶se diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. GewicŸ, der Kc¶nig dankt dir dereinst meine Rettung. Jetzt
ist er c¼berrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und die Majestc¤t mucŸ das Geschehene billigen, wenn sie sich auch davor
entsetzet. Du denkst? O denke mir den Weg der Freiheit aus! Sprich, und
nc¤hre die Hoffnung der lebendigen Seele.
Ferdinand. Schweig! o schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine
Verzweiflung. Hier ist kein Ausweg, kein Rat, keine Flucht. - Das quc¤lt
mich, das greift und facŸt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weicŸ, wie
jeder Kc¼hnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fc¼hle mich mit dir
und mit allen andern gefesselt. Wc¼rde ich klagen, hc¤tte ich nicht alles
versucht? Zu seinen Fc¼cŸen habe ich gelegen, geredet und gebeten. Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstc¶ren.
Egmont. Und keine Rettung?
Ferdinand. Keine!
Egmont (mit dem FucŸe stampfend). Keine Rettung! - - Sc¼cŸes Leben!
schc¶ne freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich
scheiden! So gelassen scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter dem
Gerc¤usch der Waffen, in der Zerstreuung des Getc¼mmels gibst du mir ein
flc¼chtiges Lebewohl; du nimmst keinen eiligen Abschied, verkc¼rzest nicht
den Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine Schc¶ne, deinen Wert recht lebhaft fc¼hlen und dann
mich entschlossen losreicŸen und sagen: Fahre hin!
Ferdinand Und ich soll daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern kc¶nnen! O welche Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flc¶sse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
Egmont. Fasse dich!
Ferdinand. Du kannst dich fassen, du kannst entsagen, den schweren
Schritt an der Hand der Notwendigkeit heldenmc¤cŸig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du c¼berwindest dich selbst und uns; du c¼berstehst; ich c¼berlebe
dich und mich selbst. Bei der Freude des Mahls hab ich mein Licht, im
Getc¼mmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, trc¼b scheint
mir die Zukunft.
Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der fc¼r mich die Todesschmerzen empfindet, fc¼r mich
leidet, sieh mich in diesen Augenblicken an; du verlierst mich nicht. War
dir mein Leben ein Spiegel, in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut; an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein Gewissen mir sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich frc¼her, frc¼her, schon auf dem Sande von
Gravelingen hc¤tte endigen kc¶nnen. Ich hc¶re auf zu leben; aber ich habe
gelebt. So leb auch du, mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den Tod
nicht.
Ferdinand. Du hc¤ttest dich fc¼r uns erhalten kc¶nnen, erhalten sollen.
Du hast dich selber getc¶tet. Oft hc¶rt' ich, wenn kluge Mc¤nner c¼ber dich
sprachen, feindselige, wohlwollende, sie stritten lang c¼ber deinen Wert;
doch endlich vereinigten sie sich, keiner wagt' es zu leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefc¤hrlichen Weg. Wie oft wc¼nscht' ich, dich
warnen zu kc¶nnen! Hattest du denn keine Freunde?
Egmont. Ich war gewarnt.
Ferdinand. Und wie ich punktweise alle diese Beschuldigungen wieder in
der Anklage fand, und deine Antworten! Gut genug, dich zu entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
Egmont. Dies sei beiseite gelegt. Es glaubt der Mensch sein Leben zu
leiten, sich selbst zu fc¼hren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem Schicksale gezogen. LacŸ uns darc¼ber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge fc¼r dieses Land! doch auch
dafc¼r wird gesorgt sein. Kann mein Blut fc¼r viele fliecŸen, meinem Volke
Friede bringen, so fliecŸt es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt dem Menschen, nicht mehr zu grc¼beln, wo er nicht mehr wirken soll.
Kannst du die verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das kc¶nnen? - Leb wohl!
Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
Egmont. LacŸ meine Leute dir aufs beste empfohlen sein! Ich habe gute
Menschen zu Dienern; dacŸ sie nicht zerstreut, nicht unglc¼cklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
Ferdinand. Er ist dir vorangegangen. Sie haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
Egmont. Arme Seele! - Noch eins, und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist gewaltsam beschc¤ftigt, fordert die Natur zuletzt
doch unwiderstehlich ihre Rechte; und wie ein Kind, umwunden von der
Schlange, des erquickenden Schlafs geniecŸt, so legt der Mc¼de sich noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen
weiten Weg zu wandern hc¤tte. - Noch eins - Ich kenne ein Mc¤dchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann; ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
Egmont. Derselbe.
Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
Egmont. Er weicŸ ihre Wohnung; lacŸ dich von ihm fc¼hren und lohn ihm
bis an sein Ende, dacŸ er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
Ferdinand. Ich gehe nicht.
Egmont (ihn nach der Tc¼r drc¤ngend). Leb wohl!
Ferdinand. O lacŸ mich noch!
Egmont. Freund, keinen Abschied.
(Er begleitet Ferdinanden bis an die Tc¼r und reicŸt sich dort von ihm
los. Ferdinand, betc¤ubt, entfernt sich eilend.)
Egmont (allein). Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht, mir diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los und
der Schmerzen, der Furcht und jedes c¤ngstlichen Gefc¼hls. Sanft und
dringend fordert die Natur ihren letzten Zoll. Es ist vorbei, es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewicŸ auf meinem Lager wachend
hielt, das schlc¤fert nun mit unbezwinglicher GewicŸheit meine Sinnen ein.
(Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
Sc¼cŸer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glc¼ck ungebeten, unerfleht am
willigsten. Du lc¶sest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle
Bilder der Freude und des Schmerzes; ungehindert fliecŸt der Kreis innerer
Harmonien, und eingehc¼llt in gefc¤lligen Wahnsinn, versinken wir und hc¶ren
auf zu sein.
(Er entschlc¤ft; die Musik begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu erc¶ffnen, eine glc¤nzende Erscheinung zeigt
sich. Die Freiheit in himmlischem Gewande, von einer Klarheit umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat die Zc¼ge von Klc¤rchen und neigt sich gegen
den schlafenden Helden. Sie drc¼ckt eine bedauernde Empfindung aus, sie
scheint ihn zu beklagen. Bald facŸt sie sich, und mit aufmunternder Gebc¤rde
zeigt sie ihm das Bc¼ndel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heicŸt ihn
froh sein, und indem sie ihm andeutet, dacŸ sein Tod den Provinzen die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie sie sich mit dem Kranze dem Haupte nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, dacŸ er mit
dem Gesicht aufwc¤rts gegen sie liegt. Sie hc¤lt den Kranz c¼ber seinem
Haupte schwebend: man hc¶rt ganz von weitem eine kriegerische Musik von
Trommeln und Pfeifen: bei dem leisesten Laut derselben verschwindet die
Erscheinung. Der Schall wird stc¤rker. Egmont erwacht; das Gefc¤ngnis wird
vom Morgen mc¤cŸig erhellt. Seine erste Bewegung ist, nach dem Haupte zu
greifen: er steht auf und sieht sich um, indem er die Hand auf dem Haupte
behc¤lt.)
Verschwunden ist der Kranz! Du schc¶nes Bild, das Licht des Tages hat
dich verscheuchet! Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden sc¼cŸesten
Freuden meines Herzens. Die gc¶ttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie die Gestalt; das reizende Mc¤dchen kleidete sich in der Freundin
himmlisches Gewand. In einem ernsten Augenblick erscheinen sie vereinigt,
ernster als lieblich. Mit blutbefleckten Sohlen trat sie vor mir auf, die
wehenden Falten des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein Blut und vieler
Edeln Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch! Braves
Volk! Die Siegesgc¶ttin fc¼hrt dich an! Und wie das Meer durch eure Dc¤mme
bricht, so brecht, so reicŸt den Wall der Tyrannei zusammen und schwemmt
ersc¤ufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmacŸt, weg!
(Trommeln nc¤her.)
Horch! Horch! Wie oft rief mich dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits und des Siegs! Wie munter traten die Gefc¤hrten auf
der gefc¤hrlichen, rc¼hmlichen Bahn! Auch ich schreite einem ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe fc¼r die Freiheit, fc¼r die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
(Der Hintergrund wird mit einer Reihe spanischer Soldaten besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
Ja, fc¼hrt sie nur zusammen! SchliecŸt eure Reihen, ihr schreckt mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fc¼hlen.
(Trommeln.)
Dich schliecŸt der Feind von allen Seiten ein! Es blinken Schwerter;
Freunde, hc¶hern Mut! Im Rc¼cken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
(Auf die Wache zeigend.)
Und diese treibt ein hohles Wort des Herrschers, nicht ihr Gemc¼t.
Schc¼tzt eure Gc¼ter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich
euch ein Beispiel gebe.
(Trommeln. Wie er auf die Wache los- und auf die Hintertc¼r zugeht,
fc¤llt der Vorhang: die Musik fc¤llt ein und schliecŸt mit einer
Siegessymphonie das Stc¼ck.)
Last-modified: Fri, 24 Jan 2003 11:57:01 GMT