r bewegen
und arbeiten, sogar schreiben. Und außerdem wird da immer noch mehr
erfunden werden."
Er liegt eine Zeitlang still. Dann sagt er: " Du kannst meine
Schnurschuhe fur Muller mitnehmen.
Ich nicke und denke nach, was ich ihm Aufmunterndes sagen kann. Seine
Lippen sind weggewischt, sein Mund ist grußer geworden, die Zuhne
stechen hervor, als wuren sie aus Kreide. Das Fleisch zerschmilzt, die Stirn
wulbt sich sturker, die Backenknochen stehen vor. Das Skelett arbeitet sich
durch. Die Augen versinken schon. In ein paar Stunden wird es vorbei sein.
Er ist nicht der erste, den ich so sehe; aber wir sind zusammen
aufgewachsen, da ist es doch immer etwas anders. Ich habe die Aufsutze von
ihm abgeschrieben. Er trug in der Schule meistens einen braunen Anzug mit
Gurtel, der an den urmeln blankgewetzt war. Auch war er der einzige von uns,
der die große Riesenwelle am Reck konnte. Das Haar flog ihm wie Seide
ms Gesicht, wenn er sie machte. Kantorek war deshalb stolz auf ihn. Aber
Zigaretten konnte er nicht vertragen. Seine Haut war sehr weiß, er
hatte etwas von einem Mudchen.
Ich blicke auf meine Stiefel. Sie sind groß und klobig, die Hose
ist hineingeschoben; wenn man aufsteht, sieht man dick und kruftig in diesen
breiten Ruhren aus. Aber wenn wir baden gehen und uns ausziehen, haben wir
plutzlich wieder schmale Beine und schmale Schultern. Wir sind dann keine
Soldaten mehr, sondern beinahe Knaben, man wurde auch nicht glauben,
daß wir Tornister schleppen kunnen. Es ist ein sonderbarer Augenblick,
wenn wir nackt sind; dann sind wir Zivilisten und fuhlen uns auch beinahe
so.
Franz Kemmerich sah beim Baden klein und schmal aus wie ein Kind. Da
liegt er nun, weshalb nur? Man sollte die ganze Welt an diesem Bette
vorbeifuhren und sagen: Das ist Franz Kemmerich, neunzehneinhalb Jahre alt,
er will nicht sterben. Laßt ihn nicht sterben!
Meine Gedanken gehen durcheinander. Diese Luft von Karbol und Brand
verschleimt die Lungen, sie ist ein truger Brei, der erstickt.
Es wird dunkel. Kemmerichs Gesicht verbleicht, es hebt sich von den
Kissen und ist so blaß, daß es schimmert. Der Mund bewegt sich
leise. Ich nuhere mich ihm. Er flustert: "Wenn ihr meine Uhr findet, schickt
sie nach Hause."
Ich widerspreche nicht. Es hat keinen Zweck mehr. Man kann ihn nicht
uberzeugen. Mir ist elend vor Hilflosigkeit. Diese Stirn mit den
eingesunkenen Schlufen, dieser Mund, der nur noch Gebiß ist, diese
spitze Nase! Und die dicke weinende Frau zu Hause, an die ich schreiben
muß. Wenn ich nur den Brief schon weg hutte.
Lazarettgehilfen gehen herum mit Flaschen und Eimern. Einer kommt
heran, wirft Kemmerich einen forschenden Blick zu und entfernt sich wieder.
Man sieht, daß er wartet, wahrscheinlich braucht er das Bett.
Ich rucke nahe an Franz heran und spreche, als kunnte ihn das retten:
"Vielleicht kommst du in das Erholungsheim am Klosterberg, Franz, zwischen
den Villen. Du kannst dann vom Fenster aus uber die Felder sehen bis zu den
beiden Buumen am Horizont. Es ist jetzt die schunste Zeit, wenn das Korn
reift, abends in der Sonne sehen die Felder dann aus wie Perlmutter. Und die
Pappelauee am Klosterbach, in dem wir Stichlinge gefangen haben! Du kannst
dir dann wieder ein Aquarium anlegen und Fische zuchten, du kannst ausgehen
und brauchst niemand zu fragen, und Klavierspielen kannst du sogar auch,
wenn du willst."
Ich beuge mich uber sein Gesicht, das im Schatten liegt. Er atmet noch,
leise. Sein Gesicht ist naß, er weint. Da habe ich ja schunen Unsinn
angerichtet mit meinem dummen Gerede!
"Aber Franz" - ich umfasse seine Schulter und lege mein Gesicht an
seins. "Willst du jetzt schlafen?"
Er antwortet nicht. Die Trunen laufen ihm die Backen herunter. Ich
muchte sie abwischen, aber mein Taschentuch ist zu schmutzig.
Eine Stunde vergeht. Ich sitze gespannt und beobachte jede seiner
Mienen, ob er vielleicht noch etwas sagen muchte. Wenn er doch den Mund
auftun und schreien wollte! Aber er weint nur, den Kopf zur Seite gewandt.
Er spricht nicht von seiner Mutter und seinen Geschwistern, er sagt nichts,
es liegt wohl schon hinter ihm; - er ist
jetzt allein mit seinem kleinen neunzehnjuhrigen Leben und weint, weil
es ihn verlußt.
Dies ist der fassungsloseste und schwerste Abschied, den ich je gesehen
habe, obwohl es beiTiedjen auch schlimm war, der nach seiner Mutter brullte,
ein burenstarker Kerl, und der den Arzt mit aufgerissenen Augen angstvoll
mit einem Seitengewehr von seinem Bett fernhielt, bis er zusammenklappte.
Plutzlich stuhnt Kemmerich und fungt an zu rucheln.
Ich springe auf, stolpere hinaus und frage: "Wo ist der Arzt? Wo ist
der Arzt?"
Als ich den weißen Kittel sehe, halte ich ihn fest. "Kommen Sie
rasch, Franz Kemmerich stirbt sonst."
Er macht sich los und fragt einen dabeistehenden Lazarettgehilfen: "Was
soll das heißen?"
Der sagt: "Bett 26, Oberschenkel amputiert."
Er schnauzt: "Wie soll ich davon etwas wissen, ich habe heute funf
Beine amputiert", schiebt mich weg, sagt dem Lazarettgehilfen: "Sehen Sie
nach", und rennt zum Operationssaal.
Ich bebe vor Wut, als ich mit dem Sanituter gehe. Der Mann sieht mich
an und sagt: "Eine Operation nach der andern, seit morgens funf Uhr - doll,
sage ich dir, heute allein wieder sechzehn Abgunge - deiner ist der
siebzehnte. Zwanzig werden sicher noch voll -"
Mir wird schwach, ich kann plutzlich nicht mehr. Ich will nicht mehr
schimpfen, es ist sinnlos, ich muchte mich fallen lassen und nie wieder
aufstehen.
Wir sind am Bette Kemmerichs. Er ist tot. Das Gesicht ist noch
naß von den Trunen. Die Augen stehen halb offen, sie sind gelb wie
alte Hornknupfe. -
Der Sanituter stußt mich in die Rippen.
"Nimmst du seine Sachen mit?"
Ich nicke.
Er fuhrt fort: "Wir mussen ihn gleich wegbringen, wir brauchen das
Bett. Draußen liegen sie schon auf dem Flur."
Ich nehme die Sachen und knupfe Kemmerich die Erkennungsmarke ab. Der
Sanituter fragt nach dem Soldbuch. Es ist nicht da.
Ich sage, daß es wohl auf der Schreibstube sein musse, und gehe.
Hinter mir zerren sie Franz schon auf eine Zeltbahn.
Vor der Tur fuhle ich wie eine Erlusung das Dunkel und den Wind. Ich
atme, so sehr ich es vermag, und spure die Luft warm und weich wie nie in
meinem Gesicht. Gedanken an Mudchen, an bluhende Wiesen, an weiße
Wolken fliegen mir plutzlich durch den Kopf. Meine Fuße bewegen sich
in den Stiefeln vorwurts, ich gehe schneller, ich laufe. Soldaten kommen an
mir voruber, ihre Gespruche erregen mich, ohne daß ich sie verstehe.
Die Erde ist von Kruften durchflossen, die durch meine Fußsohlen in
mich uberstrumen. Die Nacht knistert elektrisch, die Front gewittert dumpf
wie ein Trommelkonzert. Meine Glieder bewegen sich geschmeidig, ich fuhle
meine Gelenke stark, ich schnaufe und schnaube. Die Nacht lebt, ich lebe.
Ich spure Hunger, einen grußeren als nur vom Magen. -
Muller steht vor der Baracke und erwartet mich. Ich gebe ihm die
Schuhe. Wir gehen hinein, und er probiert sie an. Sie passen genau. -
Er kramt in seinen Vorruten und bietet mir ein schunes Stuck
Zervelatwurst an. Dazu gibt es heißen Tee mit Rum.
3
Wir bekommen Ersatz. Die Lucken werden ausgefullt, und die Strohsucke
in den Baracken sind bald belegt. Zum Teil sind es alte Leute, aber auch
funfundzwanzig Mann junger Ersatz aus den Feldrekrutendepots werden uns
uberwiesen. Sie sind fast ein Jahr junger als wir. Kropp stußt mich
an: "Hast du die Kinder gesehen?"
Ich nicke. Wir werfen uns in die Brust, lassen uns auf dem Hof
rasieren, stecken die Hunde in die Hosentaschen, sehen uns die Rekruten an
und fuhlen uns als steinaltes Militur.
Katczinsky schließt sich uns an. Wir wandern durch die
Pferdestulle und kommen zu den Ersatzleuten, die gerade Gasmasken und Kaffee
empfangen. Kat fragt einen der jungsten: "Habt wohl lange nichts
Vernunftiges zu futtern gekriegt, was?"
Der verzieht das Gesicht. "Morgens Steckrubenbrot - mittags
Steckrubengemuse, abends Steckrubenkoteletts und Steckrubensalat."
Katczinsky pfeift fachmunnisch. "Brot aus Steckruben? Da habt ihr Gluck
gehabt, sie machen es auch schon aus Sugespunen. Aber was meinst du zu
weißen Bohnen, willst du einen Schlag haben?"
Der Junge wird rot. "Verkohlen brauchst du mich nicht."
Katczinsky antwortet nichts als: "Nimm dein Kochgeschirr."
Wir folgen neugierig. Er fuhrt uns zu einer Tonne neben seinem
Strohsack. Sie ist tatsuchlich halb voll weißer Bohnen mit
Rindfleisch. Katczinsky steht vor ihr wie ein General und sagt: "Auge auf,
Finger lang! Das ist die Parole bei den Preußen."
Wir sind uberrascht. Ich frage: "Meine Fresse, Kat, wie kommst du denn
dazu?"
"Die Tomate war froh, als ich ihr's abnahm. Ich habe drei Stuck
Fallschirmseide dafur gegeben. Na, weiße Bohnen schmecken kalt doch
tadellos."
Er gibt gunnerhaft dem Jungen eine Portion auf und sagt: "Wenn du das
nuchstemal hier antrittst mit deinem Kochgeschirr, hast du in der linken
Hand eine Zigarre oder einen Priem. Verstanden?"
Dann wendet er sich zu uns. "Ihr kriegt naturlich so."
Katczinsky ist nicht zu entbehren, weil er einen sechsten Sinn hat. Es
gibt uberall solche Leute, aber niemand sieht ihnen von vornherein an,
daß es so ist. Jede Kompanie hat einen oder zwei davon. Katczinsky ist
der gerissenste, den ich kenne. Von Beruf ist er, glaube ich, Schuster, aber
das tut nichts zur Sache, er versteht jedes Handwerk. Es ist gut, mit ihm
befreundet zu sein. Wir sind es, Kropp und ich, auch Haie Westhus gehurt
halb und halb dazu. Er ist allerdings schon mehr ausfuhrendes Organ, denn er
arbeitet unter dem Kommando Kats, wenn eine Sache geschmissen wird, zu der
man Fuuste braucht. Dafur hat er dann seine Vorteile.
Wir kommen zum Beispiel nachts in einen vullig unbekannten Ort, ein
trubseliges Nest, dem man gleich ansieht, daß es ausgepowert ist bis
auf die Mauern. Quartier ist eine kleine, dunkle Fabrik, die erst dazu
eingerichtet worden ist. Es stehen Betten darin, vielmehr nur Bettstellen,
ein paar Holzlatten, die mit Drahtgeflecht bespannt sind.
Drahtgeflecht ist hart. Eine Decke zum Unterlegen haben wir nicht, wir
brauchen unsere zum Zudecken. Die Zeltbahn ist zu dunn.
Kat sieht sich die Sache an und sagt zu Haie Westhus: "Komm mal mit."
Sie gehen los, in den vullig unbekannten Ort hinein. Eine halbe Stunde
sputer sind sie wieder da, die Arme hoch voll Stroh. Kat hat einen
Pferdestall gefunden und damit das Stroh. Wir kunnten jetzt warm schlafen,
wenn wir nicht noch einen so entsetzlichen Kohldampf hutten.
Kropp fragt einen Artilleristen, der schon lunger in der Gegend ist:
"Gibt es hier irgendwo eine Kantine?"
Der lacht: "Hat sich was! Hier ist nichts zu holen. Keine Brotrinde
holst du hier."
"Sind denn keine Einwohner mehr da?"
Er spuckt aus. "Doch, ein paar. Aber die lungern selbst um jeden
Kuchenkessel herum und betteln."
Das ist eine buse Sache. Dann mussen wir eben den Schmachtriemen enger
schnallen und bis morgen warten, wenn die Furage kommt.
Ich sehe jedoch, wie Kat seine Mutze aufsetzt, und frage: "Wo willst du
hin, Kat?"
"Mal etwas die Lage spannen." Er schlendert hinaus.
Der Artillerist grinst huhnisch. "Spann man! Verheb dich nicht dabei."
Enttuuscht legen wir uns hin und uberlegen, ob wir die eisernen
Portionen anknabbern sollen. Aber es ist uns zu riskant. So versuchen wir
ein Auge voll Schlaf zu nehmen.
Kropp bricht eine Zigarette durch und gibt mir die Hulfte. Tjaden
erzuhlt von seinem Nationalgericht, großen Bohnen mit Speck. Er
verdammt die Zubereitung ohne Bohnenkraut. Vor allem aber soll man alles
durcheinander kochen, um Gottes willen nicht die Kartoffeln, die Bohnen und
den Speck getrennt. Jemand knurrte, daß er Tjaden zu Bohnenkraut
verarbeiten wurde, wenn er nicht sofort still wure. Darauf wird es ruhig in
dem großen Raum. Nur ein paar Kerzen flackern in den Flaschenhulsen,
und ab und zu spuckt der Artillerist aus.
Wir duseln ein bißchen, als die Tur aufgeht und Kat erscheint.
Ich glaube zu truumen: er hat zwei Brote unter dem Arm und in der Hand einen
blutigen Sandsack mit Pferdefleisch.
Dem Artilleristen fullt die Pfeife aus dem Munde. Er betastet das Brot.
"Tatsuchlich, richtiges Brot, und noch warm."
Kat redet nicht weiter daruber. Er hat eben Brot, das andere ist egal.
Ich bin uberzeugt, wenn man ihn in der Wuste aussetzte, wurde er in einer
Stunde ein Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden.
Er sagt kurz zu Haie: "Hack Holz."
Dann holt er eine Bratpfanne unter seinem Rock hervor und zieht eine
Handvoll Salz und sogar eine Scheibe Fett aus der Tasche; - er hat an alles
gedacht. Haie macht auf dem Fußboden ein Feuer. Es prasselt durch die
kahle Fabrikhalle. Wir klettern aus den Betten.
Der Artillerist schwankt. Er uberlegt, ob er loben soll, damit
vielleicht auch etwas fur ihn abfullt. Aber Katczinsky sieht ihn gar nicht,
so sehr ist er Luft fur ihn. Da zieht er fluchend ab.
Kat kennt die Art, Pferdefleisch weichzubraten. Es darf nicht gleich in
die Pfanne, dann wird es hart. Vorher muß es in wenig Wasser
vorgekocht werden. Wir hocken uns mit unsern Messern im Kreis und schlagen
uns den Magen voll.
Das ist Kat. Wenn in einem Jahr in einer Gegend nur eine Stunde lang
etwas Eßbares aufzutreiben wure, so wurde er genau in dieser Stunde,
wie von einer Erleuchtung getrieben, seine Mutze aufsetzen, hinausgehen,
geradewegs wie nach einem Kompaß darauf zu, und es finden.
Er findet alles; - wenn es kalt ist, kleine Ofen und Holz, Heu und
Stroh, Tische, Stuhle - vor allem aber Fressen. Es ist rutselhaft, man
sollte glauben, er zaubere es aus der Luft. Seine Glanzleistung waren vier
Dosen Hummer. Allerdings hutten wir lieber Schmalz dafur gehabt.
Wir haben uns auf der Sonnenseite der Baracken hingehauen. Es riecht
nach Teer, Sommer und Schweißfußen.
Kat sitzt neben mir, denn er unterhult sich gern. Wir haben heute
mittag eine Stunde Ehrenbezeigungen geubt, weil Tjaden einen Major
nachlussig gegrußt hat. Das will Kat nicht aus dem Kopf. Er
uußert: "Paß auf, wir verlieren den Krieg, weil wir zu gut
grußen kunnen."
Kropp storcht nuher, barfuß, die Hosen aufgekrempelt. Er legt
seine gewaschenen Socken zum Trocknen aufs Gras. Kat sieht in den Himmel,
lußt einen kruftigen Laut huren und sagt versonnen dazu: "Jedes
Buhnchen gibt ein Tunchen."
Die beiden fangen an zu disputieren. Gleichzeitig wetten sie um eine
Flasche Bier auf einen Fliegerkampf, der sich uber uns abspielt.
Kat lußt sich nicht von seiner Meinung abbringen, die er als
altes Frontschwein wieder in Reimen von sich gibt: "Gleiche Luhnung,
gleiches Essen, war'der Krieg schon lungst vergessen." -
Kropp dagegen ist ein Denker. Er schlugt vor, eine Kriegserklurung
solle eine Art Volksfest werden mit Eintrittskarten und Musik wie bei
Stiergefechten. Dann mußten in der Arena die Minister und Generule der
beiden Lunder in Badehosen, mit Knuppeln bewaffnet, aufeinander losgehen.
Wer ubrigbliebe, dessen Land hutte gesiegt. Das wure einfacher und besser
als hier, wo die falschen Leute sich bekumpfen.
Der Vorschlag gefullt. Dann gleitet das Gespruch auf den Kasernendrill
uber.
Mir fullt dabei ein Bild ein. Gluhender Mittag auf dem Kasernenhof. Die
Hitze steht uber dem Platz. Die Kasernen wirken wie ausgestorben. Alles
schluft. Man hurt nur Trommler uben, irgendwo haben sie sich aufgestellt und
uben, ungeschickt, eintunig, stumpfsinnig. Welch ein Dreiklang:
Mittagshitze, Kasernenhof und Trommeluben!
Die Fenster der Kaserne sind leer und dunkel. Aus einigen hungen
trocknende Drillichhosen. Man sieht sehnsuchtig hinuber. Die Stuben sind
kuhl. -
Oh, ihr dunklen, muffigen Korporalschaftsstuben mit den eisernen
Bettgestellen, den gewurfelten Betten, den Spindschrunken und den Schemeln
davor! Selbst ihr kunnt das Ziel von Wunschen werden; hier draußen
seid ihr sogar ein sagenhafter Abglanz von Heimat, ihr Gelasse voll Dunst
von abgestandenen Speisen, Schlaf, Rauch und Kleidern!
Katczinsky beschreibt sie mit Farbenpracht und großer Bewegung.
Was wurden wir geben, wenn wir zu ihnen zuruck kunnten! Denn weiter wagen
sich unsre Gedanken schon gar nicht -
Ihr Instruktionsstunden in der Morgenfruhe - "Worin zerfullt das Gewehr
98?" - ihr Turnstunden am Nachmittag - "Klavierspieler vortreten. Rechts
heraus. Meldet euch in der Kuche zum Kartoffelschulen" -
Wir schwelgen in Erinnerungen. Kropp lacht plutzlich und sagt: "In
Luhne umsteigen."
Das war das liebste Spiel unseres Korporals. Luhne ist ein
Umsteigebahnhof. Damit unsre Urlauber sich dort nicht verlaufen sollten,
ubte Himmelstoß das Umsteigen mit uns in der Kasernenstube. Wir
sollten lernen, daß man in Luhne durch eine Unterfuhrung zum
Anschlußzug gelangte. Die Betten stellten die Unterfuhrung dar, und
jeder baute sich links davon auf. Dann kam das Kommando: "In Luhne
umsteigen!", und wie der Blitz kroch alles unter den Betten hindurch auf die
andere Seite. Das haben wir stundenlang geubt. -
Inzwischen ist das deutsche Flugzeug abgeschossen worden. Wie ein Komet
sturzt es in einer Rauchfahne abwurts. Kropp hat dadurch eine Flasche Bier
verloren und zuhlt mißmutig sein Geld.
"Der Himmelstoß ist als Brieftruger sicher ein bescheidener
Mann", sagte ich, nachdem sich Alberts Enttuuschung gelegt hat, "wie mag es
nur kommen, daß er als Unteroffizier ein solcher Schinder ist?"
Die Frage macht Kropp wieder mobil. "Das ist nicht nur Himmelstoß
allein, das sind sehr viele. Sowie sie Tressen oder einen Subel haben,
werden sie andere Menschen, als ob sie Beton gefressen hutten."
"Das macht die Uniform", vermute ich.
"So ungefuhr", sagt Kat und setzt sich zu einer großen Rede
zurecht, "aber der Grund liegt anderswo. Sieh mal, wenn du einen Hund zum
Kartoffelfressen abrichtest und du legst ihm dann nachher ein Stuck Fleisch
hin, so wird er trotzdem danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt.
Und wenn du einem Menschen ein Stuckchen Macht gibst, dann geht es ihm
ebenso; er schnappt danach. Das kommt ganz von selber, denn der Mensch ist
an und fur sich zunuchst einmal ein Biest, und dann erst ist vielleicht
noch, wie bei einer Schmalzstulle, etwas Anstundigkeit draufgeschmiert. Der
Kommiß besteht nun darin, daß immer einer uber den andern Macht
hat. Das Schlimme ist nur, daß jeder viel zuviel Macht hat; ein
Unteroffizier kann einen Gemeinen, ein Leutnant einen Unteroffizier, ein
Hauptmann einen Leutnant derartig zwiebeln, daß er verruckt wird. Und
weil er das weiß, deshalb gewuhnt er es sich gleich schon etwas an.
Nimm nur die einfachste Sache: wir kommen vom Exerzierplatz und sind
hundemude. Da wird befohlen: Singen! Na, es wird ein schlapper Gesang, denn
jeder ist froh, daß er sein Gewehr noch schleppen kann. Und schon
macht die Kompanie kehrt und muß eine Stunde strafexerzieren. Beim
Ruckmarsch heißt es wieder: ‚Singen!', und jetzt wird gesungen. Was
hat das Ganze fur einen Zweck? Der Kompaniefuhrer hat seinen Kopf
durchgesetzt, weil er die Macht dazu hat. Niemand wird ihn tadeln, im
Gegenteil, er gilt als stramm. Dabei ist so etwas nur eine Kleinigkeit, es
gibt doch noch ganz andere Sachen, womit sie einen schinden. Nun frage ich
euch: Mag der Mann in Zivil sein, was er will, in welchem Beruf kann er sich
so etwas leisten, ohne daß ihm die Schnauze eingeschlagen wird ? Das
kann er nur beim Kommiß! Seht ihr, und das steigt jedem zu Kopf! Und
es steigt ihm um so mehr zu Kopf, je weniger er als Zivilist zu sagen
hatte."
"Es heißt eben, Disziplin muß sein -", meint Kropp
nachlussig.
" Grunde", knurrt Kat, "haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf
keine Schikane werden. Und mach du das mal einem Schlosser oder Knecht oder
Arbeiter klar, erklure das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten
hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er
weiß ganz genau, was notwendig ist und was nicht. Ich sage euch,
daß der einfache Soldat hier vorn so aushult, das ist allerhand!
Allerhand ist das!"
Jeder gibt es zu, denn jeder weiß, daß nur im
Schutzengraben der Drill aufhurt, daß er aber wenige Kilometer hinter
der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem grußten Unsinn, mit
Grußen und Parademarsch. Denn es ist eisernes Gesetz: Der Soldat
muß auf jeden Fall beschuftigt werden.
Doch nun erscheint Tjaden, mit roten Flecken im Gesicht. Er ist so
aufgeregt, daß er stottert. Strahlend buchstabiert er:
"Himmelstoß ist unterwegs nach hier. Er kommt an die Front."
Tjaden hat eine Hauptwut auf Himmelstoß, weil der ihn im
Barackenlager auf seine Weise erzogen hat. Tjaden ist Bettnusser, nachts
beim Schlafen passiert es ihm eben. Himmelstoß behauptet steif und
fest, es sei nur Faulheit, und er fand ein seiner wurdiges Mittel, um Tjaden
zu heilen. Er trieb in der benachbarten Baracke einen zweiten Bettnusser
auf, der Kindervater hieß. Den quartierte er mit Tjaden zusammen. In
den Baracken standen die typischen Bettgestelle, zwei Betten ubereinander,
die Bettbuden aus Draht. Himmelstoß legte beide nun so zusammen,
daß der eine das obere, der andere das darunter befindliche Bett
bekam. Der untere war dadurch naturlich scheußlich daran. Dafur wurde
am nuchsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit er Vergeltung
hatte. Das war Himmelstoß' Selbsterziehung.
Der Einfall war gemein, aber in der Idee gut. Leider nutzte er nichts,
weil die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei den beiden.
Das konnte jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit,
daß immer einer von beiden auf dem Fußboden schlief. Er hutte
sich leicht dabei erkulten kunnen. -
Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er blinzelt mir
zu und reibt anduchtig seine Tatze. Wir haben zusammen den schunsten Tag
unseres Kommißlebens erlebt. Das war der Abend, bevor wir ins Feld
fuhren. Wir waren einem der Regimenter mit der hohen Hausnummer zugeteilt,
vorher aber zur Einkleidung in die Garnison zuruckbefurdert worden,
allerdings nicht zum Rekrutendepot, sondern in eine andere Kaserne. Am
nuchsten Morgen fruh sollten wir abfahren. Abends machten wir uns auf, um
mit Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen.
Kropp war sogar so weit gegangen, daß er sich vorgenommen hatte, im
Frieden das Postfach einzuschlagen, um sputer, wenn Himmelstoß wieder
Brieftruger war, sein Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie
er ihn schleifen wurde. Denn das war es gerade, weshalb er uns nicht
kleinkriegen konnte; wir rechneten stets damit, daß wir ihn schon
einmal schnappen wurden, sputestens am Kriegsende.
Einstweilen wollten wir ihn grundlich verhauen. Was konnte uns schon
passieren, wenn er uns nicht erkannte und wir ohnehin morgen fruh abfuhren.
Wir wußten, in welcher Kneipe er jeden Abend saß. Wenn er
von dort zur Kaserne ging, mußte er durch eine dunkle, unbebaute
Straße. Dort lauerten wir ihm hinter einem Steinhaufen auf. Ich hatte
einen Bettuberzug bei mir. Wir zitterten vor Erwartung, ob er auch allein
sein wurde. Endlich hurten wir seinen Schritt, den kannten wir genau, wir
hatten ihn oft genug morgens gehurt, wenn die Tur aufflog und "Aufstehen!"
gebrullt wurde.
"Allein?" flusterte Kropp.
"Allein!" - Ich schlich mit Tjaden um den Steinhaufen herum.
Da blitzte schon sein Koppelschloß. Himmelstoß schien etwas
angeheitert zu sein; er sang. Ahnungslos ging er voruber.
Wir faßten das Bettuch, machten einen leisen Satz, stulpten es
ihm von hinten uber den Kopf, rissen es nach unten, so daß er wie in
einem weißen Sack dastand und die Arme nicht heben konnte. Das Singen
erstarb.
Im nuchsten Moment war Haie Westhus heran. Mit ausgebreiteten Armen
warf er uns zuruck, um nur ja der erste zu sein. Er stellte sich
genußreich in Positur, hob den Arm wie einen Signalmast, die Hand wie
eine Kohlenschaufel und knallte einen Schlag auf den weißen Sack, der
einen Ochsen hutte tuten kunnen.
Himmelstoß uberschlug sich, landete funf Meter weiter und fing an
zu brullen. Auch dafur hatten wir gesorgt, denn wir hatten ein Kissen bei
uns. Haie hockte sich hin, legte das Kissen auf die Knie, packte
Himmelstoß da, wo der Kopf war, und druckte ihn auf das Kissen. Sofort
wurde er im Ton gedumpfter. Haie ließ ihn ab und zu mal Luft
schnappen, dann kam aus dem Gurgeln ein prachtvoller heller Schrei, der
gleich wieder zart wurde.
Tjaden knupfte jetzt Himmelstoß die Hosentruger ab und zog ihm
die Hose herunter. Die Klopfpeitsche hielt er dabei mit den Zuhnen fest.
Dann erhob er sich und begann sich zu bewegen.
Es war ein wunderbares Bild: Himmelstoß auf der Erde, uber ihn
gebeugt, seinen Kopf auf den Knien, Haie mit teuflisch grinsendem Gesicht
und vor Lust offenem Maul, dann die zuckende, gestreifte Unterhose mit den
X-Beinen, die in der heruntergeschobenen Hose bei jedem Schlag die
originellsten Bewegungen machten, und daruber wie ein Holzhacker der
unermudliche Tjaden. Wir mußten ihn schließlich geradezu
wegreißen, um auch noch an die Reihe zu kommen.
Endlich stellte Haie Himmelstoß wieder auf die Beine und gab als
Schluß eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pflucken zu wollen, so
holte seine Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelstoß kippte um. Haie
hob ihn wieder auf, stellte ihn sich parat und langte ihm ein zweites,
erstklassig gezieltes Ding mit der linken Hand. Himmelstoß heulte und
fluchtete auf allen vieren. Sein gestreifter Brieftrugerhintern leuchtete im
Mond.
Wir verschwanden im Galopp.
Haie sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig, gesuttigt und etwas
rutselhaft: "Rache ist Blutwurst." -
Eigentlich konnte Himmelstoß froh sein; denn sein Wort, daß
immer einer den andern erziehen musse, hatte an ihm selbst Fruchte getragen.
Wir waren gelehrige Schuler seiner Methoden geworden.
Er hat nie heraus gekriegt, wem er die Sache verdankte. Immerhin gewann
er dabei ein Bettuch; denn als wir einige Stunden sputer noch einmal
nachsahen, war es nicht mehr zu finden.
Dieser Abend war der Grund, daß wir am nuchsten Morgen
einigermaßen gefaßt abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete
uns deshalb ganz geruhrt als Heldenjugend.
4
Wir mussen nach vorn zum Schanzen. Beim Dunkelwerden rollen die
Lastwagen an. Wir klettern hinauf. Es ist ein warmer Abend, und die
Dummerung erscheint uns wie ein Tuch, unter dessen Schutz wir uns wohl
fuhlen. Sie verbindet uns; sogar der geizige Tjaden schenkt mir eine
Zigarette und gibt mir Feuer.
Wir stehen nebeneinander, dicht an dicht, sitzen kann niemand. Das sind
wir auch nicht gewuhnt. Muller ist endlich mal guter Laune; er trugt seine
neuen Stiefel.
Die Motoren brummen an, die Wagen klappern und rasseln. Die
Straßen sind ausgefahren und voller Lucher. Es darf kein Licht gemacht
werden, deshalb rumpeln wir hinein, daß wir fast aus dem Wagen
purzeln. Das beunruhigt uns nicht weiter. Was kann schon passieren; ein
gebrochener Arm ist besser als ein Loch im Bauch, und mancher wunscht sich
geradezu eine solch gute Gelegenheit, nach Hause zu kommen.
Neben uns fahren in langer Reihe die Munitionskolonnen. Sie haben es
eilig, uberholen uns fortwuhrend. Wir rufen ihnen Witze zu, und sie
antworten.
Eine Mauer wird sichtbar, sie gehurt zu einem Hause, das abseits der
Straße liegt. Ich spitze plutzlich die Ohren. Tuusche ich mich? Wieder
hure ich deutlich Gunsegeschnatter. Ein Blick zu Katczinsky - ein Blick von
ihm zuruck; wir verstehen uns.
"Kat, ich hure da einen Kochgeschirraspiranten -"
Er nickt. "Wird gemacht, wenn wir zuruck sind. Ich weiß hier
Bescheid."
Naturlich weiß Kat Bescheid. Er kennt bestimmt jedes Gunsebein in
zwanzig Kilometer Umkreis.
Die Wagen erreichen das Gebiet der Artillerie. Die Geschutzstunde sind
gegen Fliegersicht mit Buschen verkleidet, wie zu einer Art militurischem
Laubhuttenfest. Diese Lauben suhen lustig und friedlich aus, wenn ihre
Insassen keine Kanonen wuren.
Die Luft wird diesig von Geschutzrauch und Nebel. Man schmeckt den
Pulverqualm bitter auf der Zunge. Die Abschusse krachen, daß unser
Wagen bebt, das Echo rollt tosend hinterher, alles schwankt. Unsere
Gesichter verundern sich unmerklich. Wir brauchen zwar nicht in die Gruben,
sondern nur zum Schanzen, aber in - jedem Gesicht steht jetzt: hier ist die
Front, wir sind in ihrem Bereich. Es ist das noch keine Angst. Wer so oft
nach vorn gefahren ist wie wir, der wird dickfellig. Nur die jungen Rekruten
sind aufgeregt. Kat belehrt sie: "Das war ein 30,5. Ihr hurt es am
Abschuß; - gleich kommt der Einschlag."
Aber der dumpfe Hall der Einschluge dringt nicht heruber. Er ertrinkt
im Gemurmel der Front. Kat horcht hinaus: "Die Nacht gibt es Kattun."
Wir horchen alle. Die Front ist unruhig. Kropp sagt:
"Die Tommys schießen schon."
Die Abschusse sind deutlich zu huren. Es sind die englischen Batterien,
rechts von unserm Abschnitt. Sie beginnen eine Stunde zu fruh. Bei uns
fingen sie immer erst Punkt zehn Uhr an.
"Was fullt denn denen ein", ruft Muller, "ihre Uhren gehen wohl vor."
"Es gibt Kattun, sag ich euch, ich spure es in den Knochen." Kat zieht
die Schultern hoch.
Neben uns druhnen drei Abschusse. Der Feuerstrahl schießt schrug
in den Nebel, die Geschutze brummen und rumoren. Wir frusteln und sind froh,
daß wir morgen fruh wieder in den Baracken sein werden.
Unsere Gesichter sind nicht blasser und nicht ruter als sonst; sie sind
auch nicht gespannter oder schlaffer, und doch sind sie anders. Wir fuhlen,
daß in unserm Blut ein Kontakt angeknipst ist. Das sind keine
Redensarten; es ist Tatsache. Die Front ist es, das Bewußtsein der
Front, das diesen Kontakt auslust. Im Augenblick, wo die ersten Granaten
pfeifen, wo die Luft unter den Abschussen zerreißt, ist plutzlich in
unsern Adern, unsern Hunden, unsern Augen ein geducktes Warten, ein Lauern,
ein sturkeres Wachsein, eine sonderbare Geschmeidigkeit der Sinne. Der
Kurper ist mit einem Schlage in voller Bereitschaft.
Oft ist es mir, als wure es die erschutterte, vibrierende Luft, die mit
lautlosem Schwingen auf uns uberspringt; oder als wure es die Front selbst,
von der eine Elektrizitut ausstrahlt, die unbekannte Nervenspitzen
mobilisiert.
Jedesmal ist es dasselbe: wir fahren ab und sind murrische oder
gutgelaunte Soldaten; - dann kommen die ersten Geschutzstunde, und jedes
Wort unserer Gespruche hat einen verunderten Klang. -
Wenn Kat vor den Baracken steht und sagt: "Es gibt Kattun -", so ist
das eben seine Meinung, fertig; - wenn er es aber hier sagt, so hat der Satz
eine Schurfe wie ein Bajonett nachts im Mond, er schneidet glatt durch die
Gedanken, er ist nuher und spricht zu diesem Unbewußten, das in uns
aufgewacht ist, mit einer dunklen Bedeutung, "es gibt Kattun" -. Vielleicht
ist es unser innerstes und geheimstes Leben, das erzittert und sich zur
Abwehr erhebt.
Fur mich ist die Front ein unheimlicher Strudel. Wenn man noch weit
entfernt von seinem Zentrum im ruhigen Wasser ist, fuhlt man schon die
Saugkraft, die einen an sich zieht, langsam, unentrinnbar, ohne viel
Widerstand. Aus der Erde, aus der Luft aber strumen uns Abwehrkrufte zu, -
am meisten von der Erde. Fur niemand ist die Erde so viel wie fur den
Soldaten. Wenn er sich an sie preßt, lange, heftig, wenn er sich tief
mit dem Gesicht und den Gliedern in sie hineinwuhlt in der Todesangst des
Feuers, dann ist sie sein einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter, er
stuhnt seine Furcht und seine Schreie in ihr Schweigen und ihre
Geborgenheit, sie nimmt sie auf und entlußt ihn wieder zu neuen zehn
Sekunden Lauf und Leben, faßt ihn wieder, und manchmal fur immer.
Erde - Erde - Erde -!
Erde, mit deinen Bodenfalten und Luchern und Vertiefungen, in die man
sich hineinwerfen, hineinkauern kann! Erde, du gabst uns im Krampf des
Grauens, im Aufspritzen der Vernichtung, im Todesbrullen der Explosionen die
ungeheure Widerwelle gewonnenen Lebens! Der irre Sturm fast zerfetzten
Daseins floß im Ruckstrom von dir durch unsre Hunde, so daß wir
die geretteten in dich gruben und im stummen Angstgluck der uberstandenen
Minute mit unseren Lippen in dich hineinbissen! -
Wir schnellen mit einem Ruck in einem Teil unseres Seins beim ersten
Druhnen der Granaten um Tausende von Jahren zuruck. Es ist der Instinkt des
Tieres, der in uns erwacht, der uns leitet und beschutzt. Er ist nicht
bewußt, er ist viel schneller, viel sicherer, viel unfehlbarer als das
Bewußtsein. Man kann es nicht erkluren. Man geht und denkt an nichts -
plutzlich liegt man in einer Bodenmulde, und uber einen spritzen die
Splitter hinweg; - aber man kann sich nicht entsinnen, die Granate kommen
gehurt oder den Gedanken gehabt zu haben, sich hinzulegen. Hutte man sich
darauf verlassen sollen, man wure bereits ein Haufen verstreutes Fleisch. Es
ist das andere gewesen, diese hellsichtige Witterung in uns, die uns
niedergerissen und gerettet hat, ohne daß man weiß, wie. Wenn
sie nicht wure, gube es von Flandern bis zu den Vogesen schon lungst keine
Menschen mehr.
Wir fahren ab als murrische oder gutgelaunte Soldaten, - wir kommen in
die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.
Ein durftiger Wald nimmt uns auf. Wir passieren die Gulaschkanonen.
Hinter dem Walde steigen wir ab. Die Wagen fahren zuruck. Sie sollen uns
morgens vor dem Hellwerden wieder abholen.
Nebel und Geschutzrauch stehen in Brusthuhe uber den Wiesen. Der Mond
scheint darauf. Auf der Straße ziehen Truppen. Die Stahlhelme
schimmern mit matten Reflexen im Mondlicht. Die Kupfe und die Gewehre ragen
aus dem weißen Nebel, nickende Kupfe, schwankende Gewehrluufe.
Weiter vorn hurt der Nebel auf. Die Kupfe werden hier zu Gestalten; -
Rucke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel wie aus einem Milchteich. Sie
formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten
schließen sich zu einem Keil, man erkennt die einzelnen nicht mehr,
nur ein dunkler Keil schiebt sich nach vorn, sonderbar ergunzt aus den im
Nebelteich heranschwimmenden Kupfen und Gewehren. Eine Kolonne - keine
Menschen.
Auf einer Querstraße fahren leichte Geschutze und Munitionswagen
heran. Die Pferde haben glunzende Rucken im Mondschein, ihre Bewegungen sind
schun, sie werfen die Kupfe, man sieht die Augen blitzen. Die Geschutze und
Wagen gleiten vor dem verschwimmenden Hintergrund der Mondlandschaft
voruber, die Reiter mit ihren Stahlhelmen sehen aus wie Ritter einer
vergangenen Zeit, es ist irgendwie schun und ergreifend.
Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil von uns ladet sich gebogene,
spitze Eisenstube auf die Schultern, der andere steckt glatte Eisenstucke
durch Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer.
Das Terrain wird zerrissener. Von vorn kommen Meldungen durch:
"Achtung, links tiefer Granattrichter" - "Vorsicht, Graben" -
Unsere Augen sind angespannt, unsere Fuße und Stucke fuhlen vor,
ehe sie die Last des Kurpers empfangen. Mit einmal hult der Zug; - man
prallt mit dem Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft.
Einige zerschossene Wagen sind im Wege. Ein neuer Befehl. "Zigaretten
und Pfeifen aus." -Wir sind dicht an den Gruben.
Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Wir umgehen ein Wuldchen und
haben dann den Frontabschnitt vor uns.
Eine Ungewisse, ru<