m, lie ich ihn nicht mehr
aus dem Auge.
     Des  Nachts  horchte  ich an  den Verschlagbrettern seines Ladens, denn
jede Minute konnte die Entscheidung fallen. -
     Ich  glaube,  durch Mauern hindurch wìrde ich das  ersehnte schnalzende
Ger€usch  gehært  haben,  wenn  er den Stæpsel  aus  der Giftflasche gezogen
h€tte.
     Es  fehlte  vielleicht  nur  eine  Stunde,  und  mein   Lebenswerk  war
vollbracht.
     Da griff ein Unberufener ein und ermordete ihn. Mit einer Feile.
     Lassen Sie sich das N€here von Wenzel  erz€hlen, mir wird es zu bitter,
alles das niederschreiben zu mìssen.
     Nennen Sie  es Aberglaube,  - aber,  wie  ich  sah, da Blut  vergossen
worden war - die Dinge im Laden waren befleckt  davon, - kam es mir vor, als
sei mir seine Seele entwischt.
     Etwas in  mir,  - ein feiner, untrìglicher Instinkt - sagt mir,  da es
nicht dasselbe ist, ob ein Mensch von  fremder Hand stirbt oder von eigener:
- da Wassertrum  sein  Blut mit sich in die  Erde h€tte nehmen mìssen, dann
erst w€re meine Mission erfìllt gewesen. - Jetzt, wo es anders gekommen ist,
fìhle  ich  mich als  Ausgestoener,  als  ein  Werkzeug, das  nicht  wìrdig
befunden wurde in der Hand des Todesengels.
     Aber ich will mich nicht auflehnen. Mein Ha ist von der Art, die ìbers
Grab  hinaus geht, und noch habe ich ja mein eigenes Blut, das ich vergieen
kann, wie ich will, damit es dem seinigen nachgehe im Reich der Schatten auf
Schritt und Tritt. - - -
     Jeden Tag, seit sie Wassertrum verscharrt haben, sitze ich drauen  bei
ihm auf dem Friedhof und horche in meine Brust hinein, was ich tun soll.
     Ich glaube, ich  wei  es bereits,  aber ich  will noch warten, bis das
innere Wort, das zu mir  spricht,  klar wird wie eine Quelle. - Wir Menschen
sind unrein,  und  oft bedarf  es  langen  Fastens und  Wachens, bis wir das
Flìstern unserer Seele verstehen. - - -
     In der verflossenen Woche wurde mir  offiziell vom Gericht  mitgeteilt,
da mich Wassertrum zum Universalerben eingesetzt hat.
     Da ich fìr mich  keinen Kreuzer  davon anrìhre, brauche ich Ihnen wohl
nicht  zu versichern,  Herr  Pernath. -  Ich werde mich  hìten, ihm -  fìr
drìben eine Handhabe zu geben.
     Die  H€user,  die  er  besessen  hat,   lasse   ich   versteigern,  die
Gegenst€nde, die  er berìhrt  hat,  werden verbrannt, und  was  an Geld  und
Geldeswert sich dann ergibt, f€llt nach meinem Tode zu  einem Drittel  Ihnen
zu. -
     Ich sehe im Geiste, wie Sie aufspringen und protestieren, aber ich kann
Sie  beruhigen.  Was Sie bekommen, ist Ihr  rechtm€iges Eigentum mit Zinsen
und Zinseszinsen. Schon  lange  wute ich,  da Wassertrum vor Jahren  Ihren
Vater und seine Familie um alles  gebracht hat, - erst jetzt bin ich in  der
Lage, es aktenm€ig nachweisen zu kænnen.
     Ein zweites  Drittel wird  unter die zwælf Mitglieder  des "Bataillons"
verteilt, die den Dr. Hulbert noch  persænlich  gekannt haben. Ich will, da
jeder  von  ihnen  reich  wird  und Zutritt  bekommt  zur  Prager  -  "guten
Gesellschaft".
     Das  letzte  Drittel  gehært  zu  gleichen Teilen den  n€chsten  sieben
Raubmærdern  des  Landes, die  mangels  zureichender Beweise  freigesprochen
werden mìssen.
     Ich bin das dem æffentlichen rgernis schuldig.
     So. Das w€re wohl alles.
     Und  jetzt, mein lieber, lieber Freund, leben Sie wohl und gedenken Sie
zuweilen
     Ihres
     aufrichtigen und dankbaren
     Innocenz Charousek."
     Tief erschìttert  legte ich  den Brief aus der Hand.  Ich  konnte  mich
nicht freuen ìber die Nachricht von meiner bevorstehenden Enthaftung.
     Charousek! Armer Mensch!  Wie  ein  Bruder  kìmmerte er  sich  um  mein
Schicksal. Blo, weil ich ihm einst 100 fl geschenkt hatte. Wenn ich ihm nur
einmal noch die Hand drìcken kænnte!
     Ich fìhlte: ja, er hatte recht; der Tag wìrde nie kommen.
     Ich  sah  ihn vor  mir:  seine flackernden Augen, die  schwindsìchtigen
Schultern, die hohe, noble Stirn.
     Vielleicht, da alles ganz  anders gekommen w€re, wenn  eine hilfreiche
Hand rechtzeitig in dies verdorrte Leben eingegriffen h€tte.
     Noch einmal las ich den Brief durch.
     Wieviel Methode in  Charouseks Irrsinn lag! Ob er  ìberhaupt  irrsinnig
war?
     Ich  sch€mte mich beinahe, diesen  Gedanken  auch nur  einen Augenblick
geduldet zu haben.
     Sagten seine  Anspielungen nicht genug? Er war ein Mensch  wie  Hillel,
wie  Mirjam, wie ich selbst;  ein Mensch, ìber  den  die eigene Seele Gewalt
gewonnen hatte, - den sie durch  die wilden Schluchten und Klìfte des Lebens
emporfìhrte in die Firnenwelt eines unbetreten Landes.
     Er, der doch ein ganzes Leben auf Mord gesonnen,  stand er nicht reiner
da,  als irgendeiner von denen, die naserìmpfend  umhergehen  und angelernte
Gebote eines unbekannten, mythischen Propheten zu befolgen vorgeben?
     Er hielt das Gebot, das  ihm ein ìberm€chtiger Trieb diktierte, ohne an
eine "Belohnung" hier oder jenseits auch nur zu denken.
     Was er getan hatte, war es etwas anderes als  fræmmste Pflichterfìllung
in des Wortes verborgenster Bedeutung?
     "Feig,  hinterlistig,  mordgierig,  krank, eine  problematische -  eine
Verbrechernatur"  -  ich  hærte færmlich, wie  das Urteil der Menge ìber ihn
lauten  mute,  wenn  sie  mit  ihren  blinden Stallaternen in  seine  Seele
hineinzuleuchten k€me,  -  dieser  geifernden  Menge,  die  nie  und  nimmer
begreifen wird, da die giftige Herbstzeitlose tausendfach schæner und edler
ist als der nìtzliche Schnittlauch. - - -
     Wieder  ging  das  Tìrschlo drauen,  und  ich hærte,  da  man  einen
Menschen hereinschob.
     Ich  drehte  mich  nicht einmal  um,  so sehr war ich  erfìllt von  dem
Eindruck des Briefes.
     Kein Wort ìber Angelina, nichts von Hillel stand darin.
     Freilich:  Charousek  mute  in  græter Eile  geschrieben  haben,  die
Schrift verriet es mir.
     Ob mir wohl noch ein Brief von ihm heimlich ìberbracht werden wìrde?
     Ich hoffte heimlich auf den  morgigen Tag, auf den gemeinsamen Rundgang
der Gefangenen im Hof. - Da war es noch am leichtesten, da  mir irgendeiner
vom "Bataillon" etwas zusteckte.
     Eine leise Stimme schreckte mich aus meinen Grìbeleien:
     "Wìrden  Sie gestatten, mein Herr,  da  ich mich Ihnen vorstelle? Mein
Name ist Laponder. Amadeus Laponder".
     Ich drehte mich um.
     Ein  kleiner, schm€chtiger,  noch  ziemlich  junger  Mann in  gew€hlter
Kleidung, nur  ohne  Hut,  wie alle Untersuchungsgefangenen,  verbeugte sich
korrekt vor mir.
     Er war glattrasiert  wie ein Schauspieler, und  seine  groen, hellgrìn
gl€nzenden, mandelfærmigen Augen  hatten das Eigentìmliche  an sich, da, so
geradeaus sie  auch auf mich gerichtet waren,  sie mich doch  nicht zu sehen
schienen. - Es lag so etwas wie - Geistesabwesenheit darin.
     Ich  murmelte meinen Namen und verbeugte mich ebenfalls und wollte mich
wieder umdrehen, konnte aber lange den  Blick von dem Menschen nicht wenden,
so fremdartig  wirkte er  auf mich mit  dem pagodenhaften  L€cheln,  das die
aufw€rts  gezogenen Mundwinkel der feingeschwungenen Lippen best€ndig seinem
Gesicht aufdrìckten.
     Er sah  fast  aus wie eine chinesische Buddhastatue aus Rosenquarz, mit
seiner faltenlosen, durchsichtigen Haut,  der m€dchenhaft schmalen  Nase und
den zarten Nìstern.
     "Amadeus Laponder, Amadeus Laponder", wiederholte ich vor mich hin.
     "Was er wohl begangen haben mag?"
        Mond
     "Waren Sie schon beim Verhær", fragte ich nach einer Weile.
     "Ich komme  soeben  von dort. - Hoffentlich  werde  ich  Sie hier nicht
lange inkommodieren mìssen", antwortete Herr Laponder liebenswìrdig.
     "Armer   Teufel,"  dachte   ich   mir,  "er   ahnt   nicht,  was  einem
Untersuchungsgefangenen bevorsteht."
     Ich wollte ihn langsam vorbereiten:
     "Man  gewæhnt  sich allm€hlich  an  das Stillsitzen,  wenn  einmal  die
ersten, schlimmsten Tage vorìber sind." - - -
     Er machte ein verbindliches Gesicht.
     Pause.
     "Hat das Verhær lange gedauert, Herr Laponder?"
     Er l€chelte zerstreut:
     "Nein. Ich  wurde  blo gefragt,  ob ich  gest€ndig  sei, und mute das
Protokoll unterschreiben."
     "Sie haben unterschrieben, da Sie gest€ndig sind?" fuhr es mir heraus.
     "Allerdings."
     Er sagte es, als ob es sich von selbst verstìnde.
     Es  kann  nichts Schlimmes  sein, legte ich mir zurecht, weil er so gar
keine Aufregung  zeigt. Wahrscheinlich  eine Herausforderung zum  Duell oder
etwas hnliches.
     "Ich bin leider schon  so lange hier, da  es mir wie ein Menschenleben
vorkommt";  -  ich  seufzte   unwillkìrlich,  und  er  machte  sofort   eine
teilnehmende  Miene. "Ich  wìnsche  Ihnen,  da  Sie  das nicht  mitzumachen
brauchen,  Herr  Laponder. Nach allem, was  ich sehe, werden  Sie  bald  auf
freiem Fu sein."
     "Wie  man's  nimmt",  antwortete  er  ruhig,  aber  es  klang  wie  ein
versteckter Doppelsinn.
     "Sie glauben nicht?", fragte ich l€chelnd. Er schìttelte den Kopf.
     "Wie soll ich das verstehen? -  Was haben Sie denn gar so Schreckliches
begangen?  Verzeihen Sie, Herr  Laponder, es ist nicht Neugierde  von mir, -
lediglich Teilnahme, da ich frage."
     Er zægerte  einen Augenblick,  dann  sagte  er, ohne mit der Wimper  zu
zucken:
     "Lustmord."
     Mir war, als h€tte er mich mit einem Stock ìber den Kopf geschlagen.
     Vor Abscheu und Grausen konnte ich keinen Ton herausbringen.
     Er schien es zu bemerken und blickte diskret zur Seite, aber nicht  das
leiseste  Minenspiel in seinem automatenhaft l€chelnden Gesicht verriet, da
er ìber mein plætzlich ver€ndertes Benehmen verletzt gewesen w€re.
     Wir wechselten kein Wort weiter und blickten stumm aneinander vorbei. -
- -
     Als  ich  mich  nach Einbruch  der  Dunkelheit niederlegte,  folgte  er
sogleich meinem Beispiel, entkleidete  sich, h€ngte sorgsam seine Kleider an
den  Wandnagel,  streckte sich aus und  schien,  nach seinen ruhigen, tiefen
Atemzìgen zu schlieen, unmittelbar darauf fest eingeschlafen zu sein.
     Die ganze Nacht konnte ich nicht zur Ruhe kommen.
     Das best€ndige Gefìhl, ein solches Scheusal in meiner  n€chsten N€he zu
haben  und  dieselbe Luft mit ihm atmen zu  mìssen, war  mir so gr€lich und
aufregend, da die Eindrìcke des Tages, Charouseks Brief und all das erlebte
Neue tief in den Hintergrund traten.
     Ich hatte mich so gelegt, da ich den Mærder best€ndig im Auge behielt,
denn ich wìrde es nicht haben ertragen kænnen, ihn hinter mir zu wissen.
     Die Zelle war vom Schimmer des Mondes matt durchd€mmert, und ich konnte
sehen, da Laponder regungslos, fast starr, dalag.
     Seine  Zìge  hatten etwas Leichenhaftes bekommen, und der halbgeæffnete
Mund erhæhte diesen Eindruck.
     Viele Stunden hindurch €nderte er nicht ein einziges Mal seine Lage.
     Erst sp€t nach Mitternacht, als ein dìnner Mondstrahl auf sein  Gesicht
fiel, kam eine leise Unruhe ìber ihn und er bewegte unaufhærlich die Lippen,
wie  jemand, der im Schlaf spricht. Es schien immer dasselbe Wort zu sein, -
ein zweisilbiger Satz vielleicht, - so wie:
     "La mich. La mich, La mich."
      Die n€chsten  paar Tage vergingen, ohne da  ich Notiz von ihm genommen
h€tte, und auch er brach niemals das Schweigen.
     Sein  Benehmen blieb nach wie  vor  gleich liebenswìrdig. Sooft ich auf
und ab gehen wollte, sah er es mir sofort  an und zog  hæflich,  wenn er auf
der Pritsche sa, die Fìe zurìck, um mir nicht im Wege zu sein.
     Ich fing an, mir Vorwìrfe wegen  meiner Schroffheit  zu machen,  konnte
aber den Abscheu vor ihm beim besten Willen nicht loswerden.
     So sehr ich gehofft hatte, mich an seine  N€he gewæhnen zu kænnen, - es
ging nicht.
     Selbst  in den  N€chten hielt es  mich wach.  Kaum  eine  Viertelstunde
verbrachte ich im Schlaf.
     Abend fìr Abend wiederholte sich haargenau derselbe Vorgang: Er wartete
respektvoll, bis ich mich ausstreckte, zog dann seine Kleider aus, legte sie
pedantisch in Falten, h€ngte sie auf, und so weiter und so weiter.
     Die n€chsten  paar Tage vergingen, ohne da  ich Notiz von ihm genommen
h€tte, und auch er brach niemals das Schweigen.
     Sein  Benehmen blieb nach wie  vor  gleich liebenswìrdig. Sooft ich auf
und ab gehen wollte, sah er es mir sofort  an und zog  hæflich,  wenn er auf
der Pritsche sa, die Fìe zurìck, um mir nicht im Wege zu sein.
     Ich fing an, mir Vorwìrfe wegen  meiner Schroffheit  zu machen,  konnte
aber den Abscheu vor ihm beim besten Willen nicht loswerden.
     So sehr ich gehofft hatte, mich an seine  N€he gewæhnen zu kænnen, - es
ging nicht.
     Selbst  in den  N€chten hielt es  mich wach.  Kaum  eine  Viertelstunde
verbrachte ich im Schlaf.
     Abend fìr Abend wiederholte sich haargenau derselbe Vorgang: Er wartete
respektvoll, bis ich mich ausstreckte, zog dann seine Kleider aus, legte sie
pedantisch in Falten, h€ngte sie auf, und so weiter und so weiter.
      Eines  Nachts  -  es  mochte um die  zweite  Stunde  sein  -  stand ich
schlaftrunken  vor  Mìdigkeit  wieder  auf  dem  Wandbrett,  starrte in  den
Vollmond, dessen Strahlen sich wie glitzerndes  l auf dem kupfernen Gesicht
der Turmuhr spiegelten, und dachte voll Trauer an Mirjam.
     Da hærte ich plætzlich leise ihre Stimme hinter mir.
     Sofort war ich wach, ìberwach, - fuhr herum und horchte.
     Eine Minute verging.
     Schon  glaubte  ich,  ich  h€tte mich get€uscht, da kam es  wieder. Ich
konnte die Worte nicht genau verstehen, aber es klang wie:
     "Frag' mich. Frag' mich."
     Es war bestimmt Mirjams Stimme.
     Schlotternd  vor  Aufregung  stieg ich,  so leise ich konnte, herab und
trat an das Bett Laponders.
     Das  Mondlicht schien voll auf sein  Gesicht, und ich  konnte  deutlich
unterscheiden, da er die Lider offen hatte, doch nur das Weie der Aug€pfel
war sichtbar.
     An der Starre der Wangenmuskeln sah ich, da er im Tiefschlaf lag.
     Nur  die  Lippen  bewegten  sich wieder  wie  neulich.  Und  allm€hlich
verstand ich die Worte, die hinter seinen Z€hnen hervordrangen:
     "Frag' mich. Frag' mich."
     Die Stimme war der von Mirjam t€uschend €hnlich.
     "Mirjam? Mirjam?" rief  ich unwillkìrlich, d€mpfte aber sofort den Ton,
um den Schl€fer nicht zu erwecken.
     Ich  wartete,  bis  sein  Gesicht  wieder   starr  geworden  war,  dann
wiederholte ich leise:
     "Mirjam? Mirjam?"
     Sein Mund formte ein kaum vernehmbares, aber doch deutliches:
     "Ja."
     Ich legte mein Ohr dicht an seine Lippen.  Nach  einer Weile hærte  ich
Mirjams Stimme flìstern - so unverkennbar  ihre Stimme, da mir K€lteschauer
ìber die Haut liefen.
     Ich trank die Worte so gierig, da ich nur den Sinn begriff. Sie sprach
von  Liebe zu mir und von dem unsagbaren Glìck, da wir uns endlich gefunden
h€tten  -  und  uns nie  wieder  trennen wìrden -  hastig  - ohne Pause, wie
jemand,  der  fìrchtet, unterbrochen  zu werden und jede  Sekunde  ausnìtzen
will.
     Dann wurde die Stimme stockend - erlosch zeitweilig ganz.
     "Mirjam?" fragte ich,  bebend vor  Angst  und  mit  eingezogenem  Atem,
"Mirjam, bist du gestorben?"
     Lange keine Antwort.
     Dann fast unverst€ndlich:
     "Nein. - Ich lebe. - Ich schlafe."
     Nichts mehr.
     Ich lauschte und lauschte.
     Vergebens.
     Nichts mehr.
     Vor Ergriffenheit und Zittern mute ich mich auf die Kante der Pritsche
stìtzen, um nicht vornìber auf Laponder zu fallen.
     Die  T€uschung war so  vollst€ndig gewesen, da ich  Mirjam momentelang
tats€chlich  vor  mir  liegen  zu   sehen  glaubte  und  alle  meine   Kraft
zusammennehmen  mute,  um nicht einen Ku  auf die Lippen  des  Mærders  zu
drìcken.
     "Henoch! Henoch!"  -  hærte ich ihn plætzlich lallen, dann immer klarer
und artikulierter: "Henoch! Henoch!"
     Sofort erkannte ich Hillel.
     "Bist du es, Hillel?"
     Keine Antwort.
     Ich  erinnerte mich, gelesen zu haben, da man Schlafenden, um  sie zum
Reden  zu bringen, die Fragen nicht ins Ohr stellen dìrfe, sondern gegen das
Nervengeflecht in der Magengrube richten mìsse.
     Ich tat es:
     "Hillel?"
     "Ja, ich hære dich!"
     "Ist Mirjam gesund? Weit du alles?" fragte ich schnell.
     "Ja. Ich  wei  alles. Wute es l€ngst. - Sei ohne Sorge,  Henoch,  und
fìrchte dich nicht!"
     "Kannst du mir verzeihen, Hillel?"
     "Ich sage dir doch: sei ohne Sorge."
     "Werden wir  uns bald  wiedersehen?" - Ich fìrchtete, die Antwort nicht
mehr  verstehen  zu kænnen;  schon der  letzte  Satz war nur  noch  gehaucht
worden.
     "Ich  hoffe es.  Ich will  warten - auf dich - wenn ich kann - dann mu
ich - Land -"
     "Wohin? In welches Land?" - ich fiel beinahe auf Laponder - "In welches
Land? In welches Land?"
     "- Land - Gad - sìdlich - Pal€stina -"
     Die Stimme erstarb.
     Hundert  Fragen  schæssen mir  in der Verwirrung durch den  Kopf: Warum
nennt  er  mich  Henoch?  Zwakh,  Jaromir,  die Uhr, Vrieslander,  Angelina,
Charousek.
     "Leben  Sie wohl und gedenken Sie meiner  zuweilen",  kam  es plætzlich
wieder laut und deutlich  von den  Lippen des Mærders. Diesmal in Charouseks
Tonfall, aber €hnlich so, als h€tte ich selbst es gesagt.
     Ich  erinnerte  mich:  es war wærtlich  der  Schlusatz  aus Charouseks
Brief. -
     Das Gesicht Laponders lag bereits im Dunkel. Das Mondlicht fiel auf die
Kopfenden des  Strohsacks.  In einer Viertelstunde mute  es aus  der  Zelle
verschwunden sein.
     Ich stellte Frage auf Frage, bekam aber keine Antwort mehr:
     Der Mærder lag  unbeweglich  da wie  eine  Leiche  und hatte die  Lider
geschlossen.
     Ich machte mir die heftigsten Vorwìrfe, alle die Tage ìber  in Laponder
nur den Verbrecher und niemals den Menschen gesehen zu haben. -
     Nach dem, was ich soeben erlebt, war er offenbar ein Somnambuler -  ein
Geschæpf, das unter dem Einflu des Vollmonds stand.
     Vielleicht hatte er  den Lustmord in einer  Art D€mmerzustand begangen.
Bestimmt sogar. -
     Jetzt,  wo der  Morgen  graute,  war  die  Starrheit  aus  seinen Zìgen
gewichen und hatte dem Ausdruck seligen Friedens Platz gemacht.
     So ruhig  kann ein Mensch doch nicht schlummern, der einen Mord auf dem
Gewissen hat, sagte ich mir.
     Ich konnte den Moment, wo er aufwachen wìrde, kaum erwarten.
     Ob er wohl wìte, was geschehen war?
     Endlich schlug  er die Augen  auf,  begegnete meinem  Blick und sah zur
Seite.
     Sofort trat ich zu ihm und ergriff seine Hand: "Verzeihen Sie mir, Herr
Laponder,  da  ich bisher so unfreundlich zu Ihnen gewesen bin. Es war  das
Ungewohnte, das -"
     "Seien Sie ìberzeugt,  mein Herr, ich begreife  vollkommen," unterbrach
er  mich  lebhaft,  "da  es ein  scheuliches  Gefìhl  sein  mu, mit einem
Lustmærder beisammen zu sein."
     "Reden Sie nicht  mehr  davon", bat  ich. "Es ist  mir heute  nacht  so
mancherlei durch den  Kopf gegangen, und ich werde den  Gedanken  nicht los,
Sie kænnten vielleicht - - -" ich suchte nach Worten.
     "Sie halten mich fìr krank", half er mir heraus.
     Ich bejahte: "Ich glaube es aus gewissen Anzeichen schlieen zu dìrfen.
Ich - ich - darf ich Ihnen eine direkte Frage stellen, Herr Laponder?"
     "Ich bitte darum."
     "Es klingt  etwas  merkwìrdig, - aber - wìrden Sie mir  sagen,  was Sie
heute getr€umt haben?"
     Er schìttelte l€chelnd den Kopf: "Ich tr€ume nie."
     "Aber Sie haben aus dem Schlaf gesprochen."
     Er blickte ìberrascht  auf.  Dachte  eine  Weile nach.  Dann  sagte  er
bestimmt:
     "Das kann nur geschehen sein, wenn Sie mich etwas gefragt haben." - Ich
gab es zu. "Denn wie gesagt,  ich tr€ume nie. Ich -  ich wandere", setzte er
nach einer Pause halblaut hinzu.
     "Sie wandern? Wie soll ich das verstehen?"
     Er schien nicht recht mit  der Sprache heraus zu  wollen, und ich hielt
es fìr angezeigt, ihm die Grìnde zu nennen, die mich bewogen hatten, in  ihn
zu dringen, und erz€hlte ihm in Umrissen, was nachts geschehen war.
     "Sie  kænnen sich fest darauf  verlassen," sagte  er ernst,  als ich zu
Ende war, "da alles auf Richtigkeit beruht, was ich  im  Schlaf  gesprochen
habe. Wenn ich vorhin  bemerkte, da ich nicht tr€ume, sondern wandere, so
meine ich damit, da  mein Traumleben anders  beschaffen ist als das - sagen
wir: normaler Menschen. Nennen Sie  es,  wenn Sie wollen,  ein Austreten aus
dem Kærper. - - So war ich  z.  B. heute nacht  in einem hæchst  sonderbaren
Zimmer, zu dem der Eingang von unten herauf durch eine Falltìr fìhrte."
     "Wie sah es aus?" fragte ich rasch. "War es unbewohnt? Leer?"
     "Nein; es standen  Mæbel darin; aber nicht viele. Und ein  Bett, in dem
ein junges  M€dchen schlief  - oder  wie scheintot lag, -  und ein Mann  sa
neben  ihr und hielt seine Hand  ìber ihre Stirn." - Laponder schilderte die
Gesichter der beiden. Kein Zweifel, es waren Hillel und Mirjam.
     Ich wagte vor Spannung kaum zu atmen.
     "Bitte, erz€hlen Sie weiter. War sonst noch jemand im Zimmer?"
     "Sonst  noch jemand? Warten  Sie -  - - nein: sonst war niemand mehr im
Zimmer. Ein siebenflammiger Leuchter brannte auf dem Tisch.  - Dann ging ich
eine Wendeltreppe hinunter."
     "Sie war zerbrochen?" fiel ich ein.
     "Zerbrochen? Nein, nein; sie war ganz in Ordnung. Und von  ihr  zweigte
seitlich eine Kammer ab, darin sa ein Mann mit  silbernen Schnallen an  den
Schuhen und von fremdartigem Typus, wie ich  noch nie einen Menschen gesehen
habe:  von gelber  Gesichtsfarbe  und  mit  schr€gstehenden Augen; -  er war
vornìber  gebeugt  und  schien  auf  etwas  zu  warten.  Auf  einen  Auftrag
vielleicht."
     "Ein  Buch  -  ein  altes groes  Buch  haben  Sie  nirgends gesehen?",
forschte ich.
     Er rieb sich die Stirn:
     "Ein Buch sagen Sie? - Ja. Sehr richtig: ein Buch lag auf dem Boden. Es
war  aufgeschlagen, ganz aus Pergament, und mit  einem  groen, goldenen A
fing die Seite an."
     "Mit einem I, meinen Sie wohl?"
     "Nein, mit einem A."
     "Wissen Sie das bestimmt? War es nicht ein I?"
     "Nein, es war bestimmt ein A."
     Ich  schìttelte  den  Kopf  und  fing  an zu  zweifeln.  Offenbar hatte
Laponder im Halbschlaf  in meinem Vorstellungsinhalt gelesen  und alles wirr
durcheinander  gebracht: Hillel,  Mirjam, den Golem,  das Buch Ibbur und den
unterirdischen Gang.
     "Haben  Sie die  Gabe  zu wandern, wie Sie es  nennen, schon  lang?",
fragte ich.
     "Seit meinem  21. Jahr - -  -", er stockte, schien nicht gern davon  zu
reden; da  nahm  seine Miene plætzlich  den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens
an, und er starrte auf meine Brust, als ob er dort etwas s€he.
     Ohne auf meine Verwunderung zu achten, ergriff er hastig meine Hand und
bat - fast flehentlich:
     "Um Himmels  willen, sagen Sie mir alles. Es ist  heute der letzte Tag,
den ich  bei Ihnen verbringen darf.  Vielleicht  schon in einer Stunde werde
ich abgeholt, um mein Todesurteil anzuhæren - -."
     Ich unterbr€che ihn entsetzt:
     "Dann mìssen Sie mich  mitnehmen als Zeugen! Ich  werde beschwæren, da
Sie  krank sind.  -  Sie sind mondsìchtig. Es darf  nicht  sein, da man Sie
hinrichtet,  ohne Ihren  Geisteszustand untersucht zu haben.  So  nehmen Sie
doch Vernunft an!"
     Er wehrte nervæs ab: "Das ist doch so nebens€chlich, - bitte, sagen Sie
mir alles!"
     "Aber was  soll ich Ihnen denn sagen? - Reden wir doch lieber von Ihnen
und - -"
     "Sie mìssen,  ich wei das jetzt, gewisse, seltsame Dinge erlebt haben,
die mich nah angehen, - n€her als Sie ahnen kænnen; - - ich bitte Sie, sagen
Sie mir alles!", flehte er.
     Ich konnte es nicht fassen, da ihn mein  Leben  mehr interessierte als
seine  eigenen, doch wahrhaftig genìgend dringenden Angelegenheiten;  um ihn
aber  zu  beruhigen,  erz€hlte ich  ihm alles, was  mir  an  Unbegreiflichem
geschehen war.
     Bei jedem græeren Abschnitt nickte er  zufrieden, wie jemand, der eine
Sache bis zum Grund durchschaut.
     Als  ich  zu  der Stelle kam, wo  die  Erscheinung ohne  Kopf  vor  mir
gestanden und mir  die schwarzroten  Kærner hingehalten hatte, konnte er  es
kaum erwarten, den Schlu zu erfahren.
     "Also, aus der Hand geschlagen haben Sie sie ihm", murmelte er sinnend.
"Ich h€tte nie gedacht, da es einen dritten Weg geben kænnte.
     "Es war  das  kein dritter  Weg", sagte ich, "es war derselbe, wie wenn
ich die Kærner abgelehnt h€tte."
     Er l€chelte.
     "Glauben Sie nicht, Herr Laponder?"
     "Wenn  Sie sie  abgelehnt  h€tten,  w€ren  Sie wohl  auch den  Weg des
Lebens gegangen, aber die Kærner, die magische Kr€fte bedeuten, w€ren nicht
zurìckgeblieben. -  So sind sie  auf den  Boden gerollt, wie Sie sagen.  Das
heit:  sie  sind hiergeblieben und  werden  von  Ihren Vorfahren  so  lange
gehìtet,  bis die Zeit des Keimens da ist.  Dann  werden  die Kr€fte, die in
Ihnen jetzt noch schlummern, lebendig werden."
     Ich verstand nicht: "Von meinen Vorfahren werden die Kærner behìtet?"
     "Sie mìssen es teilweise symbolisch auffassen, was Sie  erlebt  haben",
erkl€rte  Laponder.  "Der Kreis der bl€ulich  strahlenden  Menschen, der Sie
umstand,  war die  Kette  der  ererbten Iche, die  jeder  von einer Mutter
Geborene mit sich herumschleppt.  Die  Seele ist  nichts  Einzelnes, - sie
soll es erst  werden, und das nennt man dann: Unsterblichkeit;  Ihre Seele
ist  noch zusammengesetzt aus  vielen Ichen - so, wie ein Ameisenstaat aus
vielen Ameisen; Sie tragen die seelischen Reste vieler tausend Vorfahren  in
sich: - die  H€upter Ihres  Geschlechtes. Bei  allen  Wesen ist es  so.  Wie
kænnte  denn  ein Huhn,  das  aus einem Ei kìnstlich  erbrìtet  wurde,  sich
sogleich  die  richtige  Nahrung  suchen,  wenn  nicht  die  Erfahrung   von
Jahrmillionen  in ihm  st€ke? - Das Vorhandensein des Instinkts verr€t die
Gegenwart der Vorfahren im Leib und in der Seele. - Aber, verzeihen Sie, ich
wollte Sie nicht unterbrechen."
     Ich  erz€hlte   zu  Ende.  Alles.  Auch   das,   was  Mirjam  ìber  den
"Hermaphroditen" gesagt hatte.
     Als  ich innehielt  und  aufblickte, bemerkte ich,  da  Laponder  wei
geworden war wie der Kalk an der Wand und Tr€nen ìber seine Wangen liefen.
     Rasch stand ich auf, tat, als s€he  ich es nicht, und ging in der Zelle
auf und nieder, um abzuwarten, bis er sich beruhigt haben wìrde.
     Dann  setzte ich  mich ihm gegenìber und  bot meine ganze  Beredsamkeit
auf, ihn  zu ìberzeugen,  wie dringend nætig es w€re, den Richtern gegenìber
auf seinen krankhaften Geisteszustand hinzuweisen.
     "Wenn Sie wenigstens den Mord nicht eingestanden h€tten!", schlo ich.
     "Aber ich mute doch! Man hat mich auf mein Gewissen gefragt", sagte er
naiv.
     "Halten  Sie denn eine Lìge fìr schlimmer  als  - als einen Lustmord?",
fragte ich verblìfft.
     "Im allgemeinen  vielleicht  nicht,  in meinem Fall gewi. - Sehen Sie:
als ich vom Untersuchungsrichter gefragt wurde,  ob ich  gestìnde, hatte ich
die Kraft, die Wahrheit zu  sagen. Es stand also  in  meiner Wahl, zu  lìgen
oder nicht zu lìgen. - Als ich den  Lustmord beging - -  bitte, ersparen Sie
mir  die Details: es  war so gr€lich, da ich  die  Erinnerung nicht wieder
aufleben lassen mæchte  - - als ich den  Lustmord beging, da hatte ich keine
Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen  klarem Bewutsein handelte, so hatte ich
dennoch keine Wahl: irgend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nie geahnt
hatte, wachte auf und war  st€rker als ich.  Glauben Sie, wenn ich  die Wahl
gehabt haben  wìrde,  ich  h€tte gemordet? - Nie  habe ich  getætet -  nicht
einmal  das kleinste  Tier,  - und jetzt w€re ich es  schon  gar nicht  mehr
imstande.
     Nehmen  Sie  an,  es  w€re  Menschengesetz:  zu  morden,  und  auf  die
Unterlassung stìnde der  Tod  - €hnlich, wie  es im  Krieg  der Fall  ist, -
augenblicklich h€tte ich mir den Tod verdient. - Weil mir keine Wahl bliebe.
Ich kænnte ganz  einfach nicht morden.  Damals, als ich den Lustmord beging,
lag die Sache umgekehrt."
     "Um so mehr, wo Sie sich jetzt quasi als ein anderer fìhlen, mìssen Sie
alles aufbieten, dem Richterspruch zu entgehen!", wandte ich ein.
     Laponder machte eine  abwehrende Handbewegung: "Sie  irren! Die Richter
haben  von ihrem Standpunkt  aus ganz recht. Sollen sie  einen Menschen  wie
mich vielleicht frei umherlaufen lassen? Damit morgen oder ìbermorgen wieder
das Unheil losbricht?"
     "Nein; aber  in  einer  Heilanstalt fìr Geisteskranke  sollte  man  Sie
internieren. Das ist es doch, was ich sage!"
     "Wenn  ich  irrsinnig  w€re,  h€tten  Sie  recht",  erwiderte  Laponder
gleichmìtig. "Aber ich  bin  nicht irrsinnig. Ich  bin etwas ganz anderes, -
etwas, was  dem Irrsinn sehr €hnlich sieht, aber gerade das  Gegenteil  ist.
Bitte,  hæren Sie zu. Sie werden mich sogleich verstehen. - -  - Was Sie mir
vorhin von dem Phantom ohne Kopf - ein Symbol natìrlich: dieses Phantom; den
Schlìssel kænnen Sie leicht finden, wenn Sie darìber nachdenken - erz€hlten,
ist mir einst genauso passiert. Nur habe ich die Kærner angenommen. Ich gehe
also den Weg des Todes! - Fìr mich ist das Heiligste, das ich denken kann:
meine Schritte vom Geistigen in mir lenken zu lassen. Blind, vertrauensvoll,
wohin  der Weg auch fìhren  mag: ob zum Galgen  oder zum Thron, ob zur Armut
oder  zum Reichtum. Niemals habe ich gezægert, wenn die  Wahl in meine  Hand
gelegt war.
     Darum habe ich auch nicht gelogen, als die Wahl in meiner Hand lag.
     Kennen Sie die Worte des Propheten Micha:
     "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist,
     und was der Herr von dir fordert,"?
     Wìrde ich gelogen haben, h€tte  ich eine  Ursache geschaffen, weil  ich
die Wahl hatte; -  - als ich den  Mord beging, schuf  ich keine Ursache; nur
die Wirkung  einer in mir  schlummernden,  l€ngst gelegten Ursache, ìber die
ich keine Gewalt mehr besa, wurde frei.
     Also sind meine H€nde rein.
     Dadurch, da  das Geistige in  mir mich zum  Mærder werden lie, hat es
eine Hinrichtung an mir  vollzogen; dadurch, da  mich  die  Menschen an den
Galgen knìpfen, wird mein Schicksal  losgelæst von dem ihrigen:  - ich komme
zur Freiheit."
     Er ist  ein Heiliger, fìhlte ich, und  das  Haar str€ubte sich mir  vor
Schauder ìber meine eigene Kleinheit.
     "Sie haben mir  erz€hlt,  da Sie durch den hypnotischen Eingriff eines
Arztes  in Ihr Bewutsein  lange die Erinnerung an Ihre Jugendzeit vergessen
hatten", fuhr er  fort.  "Es ist das  das Kennzeichen - das Stigma  -  aller
derer,  die von  der  Schlange  des geistigen Reiches  gebissen  sind.  Es
scheint fast, als mìten in uns zwei Leben aufeinandergepfropft  werden, wie
ein Edelreis auf den wilden Baum,  ehe  das  Wunder  der Erweckung geschehen
kann; -  was  sonst  durch  den  Tod  getrennt wird,  geschieht  hier  durch
Erlæschen der Erinnerung - manchmal nur durch eine plætzliche innere Umkehr.
     Bei mir war es so,  da ich scheinbar ohne €uere Ursache in meinem 21.
Jahr  eines Morgens wie ver€ndert erwachte.  Was mir bis dahin lieb gewesen,
erschien mir mit einemmal gleichgìltig: Das  Leben kam mir dumm vor wie eine
Indianergeschichte  und  verlor   an  Wirklichkeit;  die  Tr€ume  wurden  zu
Gewiheit - zu apodiktischer, beweiskr€ftiger Gewiheit, verstehen Sie wohl:
zu beweiskr€ftiger,  realer Gewiheit,  und das  Leben des Tages  wurde  zum
Traum.
     Alle  Menschen  kænnten  das,  wenn  sie den Schlìssel  h€tten. Und der
Schlìssel liegt einzig  und allein darin, da  man sich seiner Ichgestalt,
sozusagen seiner  Haut, im Schlaf bewut wird,  - die schmale  Ritze findet,
durch die sich das Bewutsein zw€ngt zwischen Wachsein und Tiefschlaf.
     Darum sagte ich vorhin: ich wandere und nicht: ich tr€ume.
     Das Ringen nach  der Unsterblichkeit ist ein  Kampf um das Zepter gegen
die  uns  innewohnenden  Kl€nge  und  Gespenster;  und das  Warten  auf  das
Kænigwerden des eigenen Ichs ist das Warten auf den Messias.
     Der schemenhafte  Habal Garmin, den Sie  gesehen haben, der Hauch  der
Knochen der Kabbala, das war der Kænig. Wenn er gekrænt sein  wird, dann  -
reit der  Strick  entzwei,  mit dem Sie  durch  die €ueren  Sinne  und den
Schornstein des Verstandes an die Welt gebunden sind.
     Wieso es  kommen konnte, da ich trotz meinem Losgetrenntsein vom Leben
ìber Nacht zum Lustmærder werden konnte, fragen Sie mich? Der Mensch ist wie
ein Glasrohr, durch das bunte Kugeln laufen: bei fast allen im Leben nur die
eine. Ist die Kugel rot, heit der Mensch: schlecht.  Ist sie  gelb,  dann
ist der Mensch:  gut. Laufen  zwei  hintereinander  - eine rote  und  eine
gelbe, dann hat man einen ungefestigten Charakter. Wir von der Schlange
Gebissenen,  machen in einem  Leben durch, was sonst an der ganzen Rasse in
einem  Weltenalter  geschieht: die farbigen Kugeln rasen  hintereinander her
durch das Glasrohr, und wenn sie zu Ende sind - - dann sind wir Propheten, -
sind die Spiegel Gottes geworden."
     Laponder schwieg.
     Lange konnte  ich  kein Wort  sprechen.  Seine  Rede  hatte  mich  fast
bet€ubt.
     "Weshalb fragten Sie mich vorhin  so €ngstlich nach meinen Erlebnissen,
wo  Sie  doch so  viel, viel hæher stehen als ich?", fing ich endlich wieder
an.
     "Sie irren," sagte  Laponder, "ich stehe weit unter Ihnen. - Ich fragte
Sie, weil ich fìhlte, da Sie den Schlìssel besitzen, der mir noch fehlte."
     "Ich? Einen Schlìssel. O Gott!"
     "Jawohl Sie! Und Sie  haben ihn mir gegeben. - Ich glaube nicht, da es
einen glìcklicheren Menschen auf Erden gibt, als ich es heute bin."
     Drauen entstand ein  Ger€usch; die  Riegel  wurden zurìckgeschoben,  -
Laponder achtete kaum darauf:
     "Das mit dem Hermaphroditen  war  der  Schlìssel.  Jetzt habe  ich  die
Gewiheit.  Schon deshalb bin ich froh,  da man mich holen kommt, denn bald
bin ich am Ziel."
     Vor Tr€nen konnte  ich Laponders Gesicht  nicht mehr unterscheiden, ich
hærte nur das L€cheln in seiner Stimme.
     "Und jetzt: Leben Sie wohl, Herr Pernath, und denken  Sie: das, was man
morgen  aufhenkt,  sind  nur  meine  Kleider;  Sie  haben mir  das  Schænste
eræffnet, - das Letzte, was ich noch nicht wute.  Jetzt geht's zur Hochzeit
-  -  -," er  stand auf und folgte  dem Gefangenw€rter - "es h€ngt  mit  dem
Lustmord  eng  zusammen",  waren  die letzten  Worte, die ich  hærte und nur
dunkel begriff.
     Eines  Nachts  -  es  mochte um die  zweite  Stunde  sein  -  stand ich
schlaftrunken  vor  Mìdigkeit  wieder  auf  dem  Wandbrett,  starrte in  den
Vollmond, dessen Strahlen sich wie glitzerndes  l auf dem kupfernen Gesicht
der Turmuhr spiegelten, und dachte voll Trauer an Mirjam.
     Da hærte ich plætzlich leise ihre Stimme hinter mir.
     Sofort war ich wach, ìberwach, - fuhr herum und horchte.
     Eine Minute verging.
     Schon  glaubte  ich,  ich  h€tte mich get€uscht, da kam es  wieder. Ich
konnte die Worte nicht genau verstehen, aber es klang wie:
     "Frag' mich. Frag' mich."
     Es war bestimmt Mirjams Stimme.
     Schlotternd  vor  Aufregung  stieg ich,  so leise ich konnte, herab und
trat an das Bett Laponders.
     Das  Mondlicht schien voll auf sein  Gesicht, und ich  konnte  deutlich
unterscheiden, da er die Lider offen hatte, doch nur das Weie der Aug€pfel
war sichtbar.
     An der Starre der Wangenmuskeln sah ich, da er im Tiefschlaf lag.
     Nur  die  Lippen  bewegten  sich wieder  wie  neulich.  Und  allm€hlich
verstand ich die Worte, die hinter seinen Z€hnen hervordrangen:
     "Frag' mich. Frag' mich."
     Die Stimme war der von Mirjam t€uschend €hnlich.
     "Mirjam? Mirjam?" rief  ich unwillkìrlich, d€mpfte aber sofort den Ton,
um den Schl€fer nicht zu erwecken.
     Ich  wartete,  bis  sein  Gesicht  wieder   starr  geworden  war,  dann
wiederholte ich leise:
     "Mirjam? Mirjam?"
     Sein Mund formte ein kaum vernehmbares, aber doch deutliches:
     "Ja."
     Ich legte mein Ohr dicht an seine Lippen.  Nach  einer Weile hærte  ich
Mirjams Stimme flìstern - so unverkennbar  ihre Stimme, da mir K€lteschauer
ìber die Haut liefen.
     Ich trank die Worte so gierig, da ich nur den Sinn begriff. Sie sprach
von  Liebe zu mir und von dem unsagbaren Glìck, da wir uns endlich gefunden
h€tten  -  und  uns nie  wieder  trennen wìrden -  hastig  - ohne Pause, wie
jemand,  der  fìrchtet, unterbrochen  zu werden und jede  Sekunde  ausnìtzen
will.
     Dann wurde die Stimme stockend - erlosch zeitweilig ganz.
     "Mirjam?" fragte ich,  bebend vor  Angst  und  mit  eingezogenem  Atem,
"Mirjam, bist du gestorben?"
     Lange keine Antwort.
     Dann fast unverst€ndlich:
     "Nein. - Ich lebe. - Ich schlafe."
     Nichts mehr.
     Ich lauschte und lauschte.
     Vergebens.
     Nichts mehr.
     Vor Ergriffenheit und Zittern mute ich mich auf die Kante der Pritsche
stìtzen, um nicht vornìber auf Laponder zu fallen.
     Die  T€uschung war so  vollst€ndig gewesen, da ich  Mirjam momentelang
tats€chlich  vor  mir  liegen  zu   sehen  glaubte  und  alle  meine   Kraft
zusammennehmen  mute,  um nicht einen Ku  auf die Lippen  des  Mærders  zu
drìcken.
     "Henoch! Henoch!"  -  hærte ich ihn plætzlich lallen, dann immer klarer
und artikulierter: "Henoch! Henoch!"
     Sofort erkannte ich Hillel.
     "Bist du es, Hillel?"
     Keine Antwort.
     Ich  erinnerte mich, gelesen zu haben, da man Schlafenden, um  sie zum
Reden  zu bringen, die Fragen nicht ins Ohr stellen dìrfe, sondern gegen das
Nervengeflecht in der Magengrube richten mìsse.
     Ich tat es:
     "Hillel?"
     "Ja, ich hære dich!"
     "Ist Mirjam gesund? Weit du alles?" fragte ich schnell.
     "Ja. Ich  wei  alles. Wute es l€ngst. - Sei ohne Sorge,  Henoch,  und
fìrchte dich nicht!"
     "Kannst du mir verzeihen, Hillel?"
     "Ich sage dir doch: sei ohne Sorge."
     "Werden wir  uns bald  wiedersehen?" - Ich fìrchtete, die Antwort nicht
mehr  verstehen  zu kænnen;  schon der  letzte  Satz war nur  noch  gehaucht
worden.
     "Ich  hoffe es.  Ich will  warten - auf dich - wenn ich kann - dann mu
ich - Land -"
     "Wohin? In welches Land?" - ich fiel beinahe auf Laponder - "In welches
Land? In welches Land?"
     "- Land - Gad - sìdlich - Pal€stina -"
     Die Stimme erstarb.
     Hundert  Fragen  schæssen mir  in der Verwirrung durch den  Kopf: Warum
nennt  er  mich  Henoch?  Zwakh,  Jaromir,  die Uhr, Vrieslander,  Angelina,
Charousek.
     "Leben  Sie wohl und gedenken Sie meiner  zuweilen",  kam  es plætzlich
wieder laut und deutlich  von den  Lippen des Mærders. Diesmal in Charouseks
Tonfall, aber €hnlich so, als h€tte ich selbst es gesagt.
     Ich  erinnerte  mich:  es war wærtlich  der  Schlusatz  aus Charouseks
Brief. -
     Das Gesicht Laponders lag bereits im Dunkel. Das Mondlicht fiel auf die
Kopfenden des  Strohsacks.  In einer Viertelstunde mute  es aus  der  Zelle
verschwunden sein.
     Ich stellte Frage auf Frage, bekam aber keine Antwort mehr:
     Der Mærder lag  unbeweglich  da wie  eine  Leiche  und hatte die  Lider
geschlossen.
     Ich machte mir die heftigsten Vorwìrfe, alle die Tage ìber  in Laponder
nur den Verbrecher und niemals den Menschen gesehen zu haben. -
     Nach dem, was ich soeben erlebt, war er offenbar ein Somnambuler -  ein
Geschæpf, das unter dem Einflu des Vollmonds stand.
     Vielleicht hatte er  den Lustmord in einer  Art D€mmerzustand begangen.
Bestimmt sogar. -
     Jetzt,  wo der  Morgen  graute,  war  die  Starrheit  aus  seinen Zìgen
gewichen und hatte dem Ausdruck seligen Friedens Platz gemacht.
     So ruhig  kann ein Mensch doch nicht schlummern, der einen Mord auf dem
Gewissen hat, sagte ich mir.
     Ich konnte den Moment, wo er aufwachen wìrde, kaum erwarten.
     Ob er wohl wìte, was geschehen war?
     Endlich schlug  er die Augen  auf,  begegnete meinem  Blick und sah zur
Seite.
     Sofort trat ich zu ihm und ergriff seine Hand: "Verzeihen Sie mir, Herr
Laponder,  da  ich bisher so unfreundlich zu Ihnen gewesen bin. Es war  das
Ungewohnte, das -"
     "Seien Sie ìberzeugt,  mein Herr, ich begreife  vollkommen," unterbrach
er  mich  lebhaft,  "da  es ein  scheuliches  Gefìhl  sein  mu, mit einem
Lustmærder beisammen zu sein."
     "Reden Sie nicht  mehr  davon", bat  ich. "Es ist  mir heute  nacht  so
mancherlei durch den  Kopf gegangen, und ich werde den  Gedanken  nicht los,
Sie kænnten vielleicht - - -" ich suchte nach Worten.
     "Sie halten mich fìr krank", half er mir heraus.
     Ich bejahte: "Ich glaube es aus gewissen Anzeichen schlieen zu dìrfen.
Ich - ich - darf ich Ihnen eine direkte Frage stellen, Herr Laponder?"
     "Ich bitte darum."
     "Es klingt  etwas  merkwìrdig, - aber - wìrden Sie mir  sagen,  was Sie
heute getr€umt haben?"
     Er schìttelte l€chelnd den Kopf: "Ich tr€ume nie."
     "Aber Sie haben aus dem Schlaf gesprochen."
     Er blickte ìberrascht  auf.  Dachte  eine  Weile nach.  Dann  sagte  er
bestimmt:
     "Das kann nur geschehen sein, wenn Sie mich etwas gefragt haben." - Ich
gab es zu. "Denn wie gesagt,  ich tr€ume nie. Ich -  ich wandere", setzte er
nach einer Pause halblaut hinzu.
     "Sie wandern? Wie soll ich das verstehen?"
     Er schien nicht recht mit  der Sprache heraus zu  wollen, und ich hielt
es fìr angezeigt, ihm die Grìnde zu nennen, die mich bewogen hatten, in  ihn
zu dringen, und erz€hlte ihm in Umrissen, was nachts geschehen war.
     "Sie  kænnen sich fest darauf  verlassen," sagte  er ernst,  als ich zu
Ende war, "da alles auf Richtigkeit beruht, was ich  im  Schlaf  gesprochen
habe. Wenn ich vorhin  bemerkte, da ich nicht tr€ume, sondern wandere, so
meine ich damit, da  mein Traumleben anders  beschaffen ist als das - sagen
wir: normaler Menschen. Nennen Sie  es,  wenn Sie wollen,  ein Austreten aus
dem Kærper. - - So war ich  z.  B. heute nacht  in einem hæchst  sonderbaren
Zimmer, zu dem der Eingang von unten herauf durch eine Falltìr fìhrte."
     "Wie sah es aus?" fragte ich rasch. "War es unbewohnt? Leer?"
     "Nein; es standen  Mæbel darin; aber nicht viele. Und ein  Bett, in dem
ein junges  M€dchen schlief  - oder  wie scheintot lag, -  und ein Mann  sa
neben  ihr und hielt seine Hand  ìber ihre Stirn." - Laponder schilderte die
Gesichter der beiden. Kein Zweifel, es waren Hillel und Mirjam.
     Ich wagte vor Spannung kaum zu atmen.
     "Bitte, erz€hlen Sie weiter. War sonst noch jemand im Zimmer?"
     "Sonst  noch jemand? Warten  Sie -  - - nein: sonst war niemand mehr im
Zimmer. Ein siebenflammiger Leuchter brannte auf dem Tisch.  - Dann ging ich
eine Wendeltreppe hinunter."
     "Sie war zerbrochen?" fiel ich ein.
     "Zerbrochen? Nein, nein; sie war ganz in Ordnung. Und von  ihr  zweigte
seitlich eine Kammer ab, darin sa ein Mann mit  silbernen Schnallen an  den
Schuhen und von fremdartigem Typus, wie ich  noch nie einen Menschen gesehen
habe:  von gelber  Gesichtsfarbe  und  mit  schr€gstehenden Augen; -  er war
vornìber  gebeugt  und  schien  auf  etwas  zu  warten.  Auf  einen  Auftrag
vielleicht."
     "Ein  Buch  -  ein  altes groes  Buch  haben  Sie  nirgends gesehen?",
forschte ich.
     Er rieb sich die Stirn:
     "Ein Buch sagen Sie? - Ja. Sehr richtig: ein Buch lag auf dem Boden. Es
war  aufgeschlagen, ganz aus Pergament, und mit  einem  groen, goldenen A
fing die Seite an."
     "Mit einem I, meinen Sie wohl?"
     "Nein, mit einem A."
     "Wissen Sie das bestimmt? War es nicht ein I?"
     "Nein, es war bestimmt ein A."
     Ich  schìttelte  den  Kopf  und  fing  an zu  zweifeln.  Offenbar hatte
Laponder im Halbschlaf  in meinem Vorstellungsinhalt gelesen  und alles wirr
durcheinander  gebracht: Hillel,  Mirjam, den Golem,  das Buch Ibbur und den
unterirdischen Gang.
     "Haben  Sie die  Gabe  zu wandern, wie Sie es  nennen, schon  lang?",
fragte ich.
     "Seit meinem  21. Jahr - -  -", er stockte, schien nicht gern davon  zu
reden; da  nahm  seine Miene plætzlich  den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens
an, und er starrte auf meine Brust, als ob er dort etwas s€he.
     Ohne auf meine Verwunderung zu achten, ergriff er hastig meine Hand und
bat - fast flehentlich:
     "Um Himmels  willen, sagen Sie mir alles. Es ist  heute der letzte Tag,
den ich  bei Ihnen verbringen darf.  Vielleicht  schon in einer Stunde werde
ich abgeholt, um mein Todesurteil anzuhæren - -."
     Ich unterbr€che ihn entsetzt:
     "Dann mìssen Sie mich  mitnehmen als Zeugen! Ich  werde beschwæren, da
Sie  krank sind.  -  Sie sind mondsìchtig. Es darf  nicht  sein, da man Sie
hinrichtet,  ohne Ihren  Geisteszustand untersucht zu haben.  So  nehmen Sie
doch Vernunft an!"
     Er wehrte nervæs ab: "Das ist doch so nebens€chlich, - bitte, sagen Sie
mir alles!"
     "Aber was  soll ich Ihnen denn sagen? - Reden wir doch lieber von Ihnen
und - -"
     "Sie mìssen,  ich wei das jetzt, gewisse, seltsame Dinge erlebt haben,
die mich nah angehen, - n€her als Sie ahnen kænnen; - - ich bitte Sie, sagen
Sie mir alles!", flehte er.
     Ich konnte es nicht fassen, da ihn mein  Leben  mehr interessierte als
seine  eigenen, doch wahrhaftig genìgend dringenden Angelegenheiten;  um ihn
aber  zu  beruhigen,  erz€hlte ich  ihm alles, was  mir  an  Unbegreiflichem
geschehen war.
     Bei jedem græeren Abschnitt nickte er  zufrieden, wie jemand, der eine
Sache bis zum Grund durchschaut.
     Als  ich  zu  der Stelle kam, wo  die  Erscheinung ohne  Kopf  vor  mir
gestanden und mir  die schwarzroten  Kærner hingehalten hatte, konnte er  es
kaum erwarten, den Schlu zu erfahren.
     "Also, aus der Hand geschlagen haben Sie sie ihm", murmelte er sinnend.
"Ich h€tte nie gedacht, da es einen dritten Weg geben kænnte.
     "Es war  das  kein dritter  Weg", sagte ich, "es war derselbe, wie wenn
ich die Kærner abgelehnt h€tte."
     Er l€chelte.
     "Glauben Sie nicht, Herr Laponder?"
     "Wenn  Sie sie  abgelehnt  h€tten,  w€ren  Sie wohl  auch den  Weg des
Lebens gegangen, aber die Kærner, die magische Kr€fte bedeuten, w€ren nicht
zurìckgeblieben. -  So sind sie  auf den  Boden gerollt, wie Sie sagen.  Das
heit:  sie  sind hiergeblieben und  werden  von  Ihren Vorfahren  so  lange
gehìtet,  bis die Zeit des Keimens da ist.  Dann  werden  die Kr€fte, die in
Ihnen jetzt noch schlummern, lebendig werden."
     Ich verstand nicht: "Von meinen Vorfahren werden die Kærner behìtet?"
     "Sie mìssen es teilweise symbolisch auffassen, was Sie  erlebt  haben",
erkl€rte  Laponder.  "Der Kreis der bl€ulich  strahlenden  Menschen, der Sie
umstand,  war die  Kette  der  ererbten Iche, die  jeder  von einer Mutter
Geborene mit sich herumschleppt.  Die  Seele ist  nichts  Einzelnes, - sie
soll es erst  werden, und das nennt man dann: Unsterblichkeit;  Ihre Seele
ist  noch zusammengesetzt aus  vielen Ichen - so, wie ein Ameisenstaat aus
vielen Ameisen; Sie tragen die seelischen Reste vieler tausend Vorfahren  in
sich: - die  H€upter Ihres  Geschlechtes. Bei  allen  Wesen ist es  so.  Wie
kænnte  denn  ein Huhn,  das  aus einem Ei kìnstlich  erbrìtet  wurde,  sich
sogleich  die  richtige  Nahrung  suchen,  wenn  nicht  die  Erfahrung   von
Jahrmillionen  in ihm  st€ke? - Das Vorhandensein des Instinkts verr€t die
Gegenwart der Vorfahren im Leib und in der Seele. - Aber, verzeihen Sie, ich
wollte Sie nicht unterbrechen."
     Ich  erz€hlte   zu  Ende.  Alles.  Auch   das,   was  Mirjam  ìber  den
"Hermaphroditen" gesagt hatte.
     Als  ich innehielt  und  aufblickte, bemerkte ich,  da  Laponder  wei
geworden war wie der Kalk an der Wand und Tr€nen ìber seine Wangen liefen.
     Rasch stand ich auf, tat, als s€he  ich es nicht, und ging in der Zelle
auf und nieder, um abzuwarten, bis er sich beruhigt haben wìrde.
     Dann  setzte ich  mich ihm gegenìber und  bot meine ganze  Beredsamkeit
auf, ihn  zu ìberzeugen,  wie dringend nætig es w€re, den Richtern gegenìber
auf seinen krankhaften Geisteszustand hinzuweisen.
     "Wenn Sie wenigstens den Mord nicht eingestanden h€tten!", schlo ich.
     "Aber ich mute doch! Man hat mich auf mein Gewissen gefragt", sagte er
naiv.
     "Halten  Sie denn eine Lìge fìr schlimmer  als  - als einen Lustmord?",
fragte ich verblìfft.
     "Im allgemeinen  vielleicht  nicht,  in meinem Fall gewi. - Sehen Sie:
als ich vom Untersuchungsrichter gefragt wurde,  ob ich  gestìnde, hatte ich
die Kraft, die Wahrheit zu  sagen. Es stand also  in  meiner Wahl, zu  lìgen
oder nicht zu lìgen. - Als ich den  Lustmord beging - -  bitte, ersparen Sie
mir  die Details: es  war so gr€lich, da ich  die  Erinnerung nicht wieder
aufleben lassen mæchte  - - als ich den  Lustmord beging, da hatte ich keine
Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen  klarem Bewutsein handelte, so hatte ich
dennoch keine Wahl: irgend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nie geahnt
hatte, wachte auf und war  st€rker als ich.  Glauben Sie, wenn ich  die Wahl
gehabt haben  wìrde,  ich  h€tte gemordet? - Nie  habe ich  getætet -  nicht
einmal  das kleinste  Tier,  - und jetzt w€re ich es  schon  gar nicht  mehr
imstande.
     Nehmen  Sie  an,  es  w€re  Menschengesetz:  zu  morden,  und  auf  die
Unterlassung stìnde der  Tod  - €hnlich, wie  es im  Krieg  der Fall  ist, -
augenblicklich h€tte ich mir den Tod verdient. - Weil mir keine Wahl bliebe.
Ich kænnte ganz  einfach nicht morden.  Damals, als ich den Lustmord beging,
lag die Sache umgekehrt."
     "Um so mehr, wo Sie sich jetzt quasi als ein anderer fìhlen, mìssen Sie
alles aufbieten, dem Richterspruch zu entgehen!", wandte ich ein.
     Laponder machte eine  abwehrende Handbewegung: "Sie  irren! Die Richter
haben  von ihrem Standpunkt  aus ganz recht. Sollen sie  einen Menschen  wie
mich vielleicht frei umherlaufen lassen? Damit morgen oder ìbermorgen wieder
das Unheil losbricht?"
     "Nein; aber  in  einer  Heilanstalt fìr Geisteskranke  sollte  man  Sie
internieren. Das ist es doch, was ich sage!"
     "Wenn  ich  irrsinnig  w€re,  h€tten  Sie  recht",  erwiderte  Laponder
gleichmìtig. "Aber ich  bin  nicht irrsinnig. Ich  bin etwas ganz anderes, -
etwas, was  dem Irrsinn sehr €hnlich sieht, aber gerade das  Gegenteil  ist.
Bitte,  hæren Sie zu. Sie werden mich sogleich verstehen. - -  - Was Sie mir
vorhin von dem Phantom ohne Kopf - ein Symbol natìrlich: dieses Phantom; den
Schlìssel kænnen Sie leicht finden, wenn Sie darìber nachdenken - erz€hlten,
ist mir einst genauso passiert. Nur habe ich die Kærner angenommen. Ich gehe
also den Weg des Todes! - Fìr mich ist das Heiligste, das ich denken kann:
meine Schritte vom Geistigen in mir lenken zu lassen. Blind, vertrauensvoll,
wohin  der Weg auch fìhren  mag: ob zum Galgen  oder zum Thron, ob zur Armut
oder  zum Reichtum. Niemals habe ich gezægert, wenn die  Wahl in meine  Hand
gelegt war.
     Darum habe ich auch nicht gelogen, als die Wahl in meiner Hand lag.
     Kennen Sie die Worte des Propheten Micha:
     "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist,
     und was der Herr von dir fordert,"?
     Wìrde ich gelogen haben, h€tte  ich eine  Ursache geschaffen, weil  ich
die Wahl hatte; -  - als ich den  Mord beging, schuf  ich keine Ursache; nur
die Wirkung  einer in mir  schlummernden,  l€ngst gelegten Ursache, ìber die
ich keine Gewalt mehr besa, wurde frei.
     Also sind meine H€nde rein.
     Dadurch, da  das Geistige in  mir mich zum  Mærder werden lie, hat es
eine Hinrichtung an mir  vollzogen; dadurch, da  mich  die  Menschen an den
Galgen knìpfen, wird mein Schicksal  losgelæst von dem ihrigen:  - ich komme
zur Freiheit."
     Er ist  ein Heiliger, fìhlte ich, und  das  Haar str€ubte sich mir  vor
Schauder ìber meine eigene Kleinheit.
     "Sie haben mir  erz€hlt,  da Sie durch den hypnotischen Eingriff eines
Arztes  in Ihr Bewutsein  lange die Erinnerung an Ihre Jugendzeit vergessen
hatten", fuhr er  fort.  "Es ist das  das Kennzeichen - das Stigma  -  aller
derer,  die von  der  Schlange  des geistigen Reiches  gebissen  sind.  Es
scheint fast, als mìten in uns zwei Leben aufeinandergepfropft  werden, wie
ein Edelreis auf den wilden Baum,  ehe  das  Wunder  der Erweckung geschehen
kann; -  was  sonst  durch  den  Tod  getrennt wird,  geschieht  hier  durch
Erlæschen der Erinnerung - manchmal nur durch eine plætzliche innere Umkehr.
     Bei mir war es so,  da ich scheinbar ohne €uere Ursache in meinem 21.
Jahr  eines Morgens wie ver€ndert erwachte.  Was mir bis dahin lieb gewesen,
erschien mir mit einemmal gleichgìltig: Das  Leben kam mir dumm vor wie eine
Indianergeschichte  und  verlor   an  Wirklichkeit;  die  Tr€ume  wurden  zu
Gewiheit - zu apodiktischer, beweiskr€ftiger Gewiheit, verstehen Sie wohl:
zu beweiskr€ftiger,  realer Gewiheit,  und das  Leben des Tages  wurde  zum
Traum.
     Alle  Menschen  kænnten  das,  wenn  sie den Schlìssel  h€tten. Und der
Schlìssel liegt einzig  und allein darin, da  man sich seiner Ichgestalt,
sozusagen seiner  Haut, im Schlaf bewut wird,  - die schmale  Ritze findet,
durch die sich das Bewutsein zw€ngt zwischen Wachsein und Tiefschlaf.
     Darum sagte ich vorhin: ich wandere und nicht: ich tr€ume.
     Das Ringen nach  der Unsterblichkeit ist ein  Kampf um das Zepter gegen
die  uns  innewohnenden  Kl€nge  und  Gespenster;  und das  Warten  auf  das
Kænigwerden des eigenen Ichs ist das Warten auf den Messias.
     Der schemenhafte  Habal Garmin, den Sie  gesehen haben, der Hauch  der
Knochen der Kabbala, das war der Kænig. Wenn er gekrænt sein  wird, dann  -
reit der  Strick  entzwei,  mit dem Sie  durch  die €ueren  Sinne  und den
Schornstein des Verstandes an die Welt gebunden sind.
     Wieso es  kommen konnte, da ich trotz meinem Losgetrenntsein vom Leben
ìber Nacht zum Lustmærder werden konnte, fragen Sie mich? Der Mensch ist wie
ein Glasrohr, durch das bunte Kugeln laufen: bei fast allen im Leben nur die
eine. Ist die Kugel rot, heit der Mensch: schlecht.  Ist sie  gelb,  dann
ist der Mensch:  gut. Laufen  zwei  hintereinander  - eine rote  und  eine
gelbe, dann hat man einen ungefestigten Charakter. Wir von der Schlange
Gebissenen,  machen in einem  Leben durch, was sonst an der ganzen Rasse in
einem  Weltenalter  geschieht: die farbigen Kugeln rasen  hintereinander her
durch das Glasrohr, und wenn sie zu Ende sind - - dann sind wir Propheten, -
sind die Spiegel Gottes geworden."
     Laponder schwieg.
     Lange konnte  ich  kein Wort  sprechen.  Seine  Rede  hatte  mich  fast
bet€ubt.
     "Weshalb fragten Sie mich vorhin  so €ngstlich nach meinen Erlebnissen,
wo  Sie  doch so  viel, viel hæher stehen als ich?", fing ich endlich wieder
an.
     "Sie irren," sagte  Laponder, "ich stehe weit unter Ihnen. - Ich fragte
Sie, weil ich fìhlte, da Sie den Schlìssel besitzen, der mir noch fehlte."
     "Ich? Einen Schlìssel. O Gott!"
     "Jawohl Sie! Und Sie  haben ihn mir gegeben. - Ich glaube nicht, da es
einen glìcklicheren Menschen auf Erden gibt, als ich es heute bin."
     Drauen entstand ein  Ger€usch; die  Riegel  wurden zurìckgeschoben,  -
Laponder achtete kaum darauf:
     "Das mit dem Hermaphroditen  war  der  Schlìssel.  Jetzt habe  ich  die
Gewiheit.  Schon deshalb bin ich froh,  da man mich holen kommt, denn bald
bin ich am Ziel."
     Vor Tr€nen konnte  ich Laponders Gesicht  nicht mehr unterscheiden, ich
hærte nur das L€cheln in seiner Stimme.
     "Und jetzt: Leben Sie wohl, Herr Pernath, und denken  Sie: das, was man
morgen  aufhenkt,  sind  nur  meine  Kleider;  Sie  haben mir  das  Schænste
eræffnet, - das Letzte, was ich noch nicht wute.  Jetzt geht's zur Hochzeit
-  -  -," er  stand auf und folgte  dem Gefangenw€rter - "es h€ngt  mit  dem
Lustmord  eng  zusammen",  waren  die letzten  Worte, die ich  hærte und nur
dunkel begriff.
      Sooft seit jener Nacht der Vollmond am Himmel  stand, glaubte ich immer
wieder  Laponders  schlafendes Gesicht  auf der grauen  Leinwand des  Bettes
liegen zu sehen.
     In den n€chsten Tagen,  nachdem er weggefìhrt worden war, hatte ich ein
H€mmern  und  Zimmern  aus  dem  Hinrichtungshof  heraufdræhnen  hæren,  das
manchmal bis zum Morgengrauen dauerte.
     Ich erriet, was es bedeutete,  und hielt  mir stundenlang die Ohren  zu
vor Verzweiflung.
     Monat um Monat verflo. Ich sah, wie der Sommer zerrann, am Krankwerden
des kìmmerlichen Laubs im Hof; roch  es an dem pelzigen  Hauch,  der aus den
Mauern drang.
     Wenn mein Blick bei den Rundg€ngen auf den sterbenden Baum fiel und das
eingewachsene  Glasbild der Heiligen in seiner Rinde,  zog ich unwillkìrlich
jedesmal den  Vergleich,  wie  tief sich  auch  Laponders  Gesicht  in  mich
eingegraben hatte.  Best€ndig trug ich es in mir herum, dieses Buddhagesicht
mit der faltenlosen Haut und dem seltsamen, immerw€hrenden L€cheln.
     Ein   einziges   Mal   noch   -   im   September   -  hatte  mich   der
Untersuchungsrichter holen  lassen  und  mitrauisch  gefragt,  wie  ich  es
begrìnden  kænne, da  ich bei  dem Bankschalter gesagt,  ich mìsse dringend
verreisen, und warum  ich  in den  Stunden vor meiner Verhaftung  so unruhig
gewesen w€re und meine s€mtlichen Edelsteine zu mir gesteckt h€tte.
     Auf meine Antwort, ich sei mit der Absicht umgegangen, mir das Leben zu
nehmen, hatte es wieder hinter dem Schreibtisch hæhnisch gemeckert. -
     Bis  dahin  war  ich allein in  meiner Zelle gewesen und konnte  meinen
Gedanken, meiner  Trauer um Charousek, der, wie ich fìhlte, l€ngst tot  sein
mute, und Laponder und meiner Sehnsucht nach Mirjam nachh€ngen.
     Dann  kamen  wieder  neue  Gefangene:  diebische  Kommis mit  verlebten
Gesichtern, dickwanstige Bankkassierer,  - "Waisenkinder", wie der  schwarze
Vãssatka sie genannt  haben  wìrde, - und  verpesteten mir  die Luft und die
Stimmung.
     Eines  Tages gab einer von ihnen voll Entrìstung zum  besten,  da  vor
geraumer Zeit ein Lustmord in der Stadt geschehen sei. Zum  Glìck h€tte  man
den T€ter sogleich erwischt und kurzen Proze mit ihm gemacht.
     "Laponder hat  er  geheien,  der Schuft, der gottserb€rmliche", schrie
ein Kerl mit  einer Raubtierschnauze, der  wegen  Kindsmihandlung  zu  - 14
Tagen  Gef€ngnis  verurteilt  worden  war,  dazwischen.  "Auf  frischer  Tat
habn's'n g'fat. Die Lampen is umg'fallen bei dem  Krawall  und's  Zimmer is
ausbrennt. Die Leich'  von dem M€del is  dabei so verkohlt, da mer  bis zum
heutigen Tage noch  næt  hat  rausbringen  kænnen, wer sie  eigentlich  war.
Schwarze  Haar hat's  g'habt und a  schmal's G'sicht, dæs  is  alls, was mer
wei. Und der Laponder hat  net ums Verrecken rausg'rìckt mit ihrem Namen. -
Wann's nach  mir gangen w€r,  i h€tt  ihm d'Haut ab'zogen und Pfeffer  drauf
g'streut. - Dæs san halt die feinen Herren! Mærder san's, alle z'samm. - - -
- Als ob's net anderne Mittel g'nua gebet, wann aner a M€del los sein wìll",
setzte er mit zynischem L€cheln hinzu.
     Die Wut kochte in mir, und am liebsten h€tte  ich den Halunken zu Boden
geschlagen.
     Nacht fìr Nacht  schnarchte  er in dem  Bett, auf dem Laponder gelegen.
Ich atmete auf, als er endlich freigelassen wurde.
     Aber selbst  da war ich ihn  noch nicht los:  seine Rede hatte sich wie
ein Pfeil mit Widerhaken in mich eingebohrt.
     Fast best€ndig, haupts€chlich in der Dunkelheit, nagte jetzt in mir der
grausige Verdacht, Mirjam kænnte das Opfer Laponders gewesen sein.
     Je mehr ich dagegen ank€mpfte, desto tiefer verstrickte ich mich in dem
Gedanken, bis er beinahe zur fixen Idee wurde.
     Manchmal, besonders wenn  der Mond grell durchs Gitter schien, wurde es
besser:  ich konnte mir  die Stunden,  die  ich  mit Laponder  verlebt, dann
lebendig machen, und das tiefe Gefìhl  fìr ihn verscheuchte mir die Qual,  -
aber nur zu oft kamen die gr€lichen Minuten wieder,  wo ich Mirjam ermordet
und  verkohlt  im  Geiste  vor mir sah und glaubte,  vor Angst  den Verstand
verlieren zu mìssen.
     Die  schwachen  Anhaltspunkte,  die  ich  fìr  meinen  Verdacht  hatte,
verdichteten  sich  in  solchen  Zeiten zu einem geschlossenen  Ganzen, - zu
einem Gem€lde voll unbeschreiblich entsetzenerregender Einzelheiten.
     Anfang  November gegen 10 Uhr abends,  es war bereits stockfinster  und
die Verzweiflung in mir hatte  einen  derartigen Hæhepunkt erreicht, da ich
mich,  um  nicht laut aufzuschreien,  in  meinen Strohsack  verbi  wie  ein
verdurstendes  Tier,  æffnete  plætzlich  der  Gefangenw€rter die  Zelle und
forderte mich auf, mit  ihm  zum Untersuchungsrichter zu  kommen. Ich fìhlte
mich so schwach, da ich mehr taumelte als ging.
     Die  Hoffnung, jemals dieses schreckliche Haus verlassen zu dìrfen, war
l€ngst in mir gestorben.
     Ich machte  mich  darauf  gefat, wieder  eine  kalte Frage gestellt zu
bekommen, das stereotype Gemecker  hinter dem Schreibtisch zu hæren und dann
zurìck in die Finsternis zu mìssen.
     Der  Herr Baron Leisetreter war bereits nach Hause gegangen und nur ein
alter, buckliger Schreiber mit Spinnenfingern stand im Zimmer.
     Dumpf wartete ich, was mit mir geschehen wìrde.
     Es fiel mir auf, da der Gefangenw€rter mit hereingekommen war und  mir
gutmìtig zublinzelte, aber ich war viel zu niedergeschlagen, als da ich mir
ìber die Bedeutung alles dessen h€tte klarwerden kænnen.
     "Die Untersuchung hat ergeben", fing der Schreiber  an, meckerte, stieg
auf  einen  Sessel  und  kramte   erst   lange  auf  dem   Bìcherbord   nach
Schriftstìcken,  ehe  er fortfuhr:  "hat ergeben, da der  in Frage kommende
Karl Zottmann vor seinem Tode  anl€lich  einer heimlichen Zusammenkunft mit
der unverehelichten ehemaligen Prostituierten Rosina Metzeles, die damaliger
Zeit  den  Spitznamen  die  rote Rosina  fìhrte,  dann  sp€ter  von  einem
taubstummen,    nunmehr    unter     polizeilicher     Aufsicht    stehenden
Silhubettenschneider namens Jaromir Kw¡nitschka aus dem Weinsalon Kautsky
losgekauft wurde und seit einigen Monaten mit Seiner Durchlaucht dem Fìrsten
Ferri Athenst€dt im gemeinsamen, wilden Konkubinate als Maiteresse lebt, von
hinterlistiger Hand in  ein unterirdisches, aufgelassenes  Kellergewælbe des
Hauses  Nummer  conscriptionis  21873,  gebrochen  durch  ræmisch  III,  der
Hahnpagasse, laufende Numero sieben, gelockt, dortselbst eingeschlossen und
sich selbst,  beziehungsweise  dem  Tode  durch  Verhungern  oder  Erfrieren
ìberlassen  wurde.  -  -  Der  obenerw€hnte Zottmann n€mlich",  erkl€rte der
Schreiber mit einem Blick ìber die  Brille hinweg und bl€tterte  ein paarmal
um.
     "Die  Untersuchung  hat  weiters  ergeben,  da  der  obenerw€hnte Karl
Zottmann  allem  Anscheine  nach  -  nach  eingetretenem  Ableben  -  seiner
s€mtlichen  bei  ihm  getragenen  Habseligkeiten,  insbesondere  seiner  sub
faszikel  ræmisch P gebrochen durch B€h beigeschlossenen  doppelmanteligen
Taschenuhr" - der  Schreiber hob die Uhr an der Kette in die Hæhe - "beraubt
wurde.  Der  eidesstattlichen  Aussage  des   Silhubettenschnitzers  Jaromir
Kw¡nitschka,   verwaisten   Sohnes   des   vor   17   Jahren   verstorbenen
Hostienb€ckers gleichen Namens:  die Uhr im Bette seines inzwischen flìchtig
gegangenen Bruders Loisa gefunden und
     Sooft seit jener Nacht der Vollmond am Himmel  stand, glaubte ich immer
wieder  Laponders  schlafendes Gesicht  auf der grauen  Leinwand des  Bettes
liegen zu sehen.
     In den n€chsten Tagen,  nachdem er weggefìhrt worden war, hatte ich ein
H€mmern  und  Zimmern  aus  dem  Hinrichtungshof  heraufdræhnen  hæren,  das
manchmal bis zum Morgengrauen dauerte.
     Ich erriet, was es bedeutete,  und hielt  mir stundenlang die Ohren  zu
vor Verzweiflung.
     Monat um Monat verflo. Ich sah, wie der Sommer zerrann, am Krankwerden
des kìmmerlichen Laubs im Hof; roch  es an dem pelzigen  Hauch,  der aus den
Mauern drang.
     Wenn mein Blick bei den Rundg€ngen auf den sterbenden Baum fiel und das
eingewachsene  Glasbild der Heiligen in seiner Rinde,  zog ich unwillkìrlich
jedesmal den  Vergleich,  wie  tief sich  auch  Laponders  Gesicht  in  mich
eingegraben hatte.  Best€ndig trug ich es in mir herum, dieses Buddhagesicht
mit der faltenlosen Haut und dem seltsamen, immerw€hrenden L€cheln.
     Ein   einziges   Mal   noch   -   im   September   -  hatte  mich   der
Untersuchungsrichter holen  lassen  und  mitrauisch  gefragt,  wie  ich  es
begrìnden  kænne, da  ich bei  dem Bankschalter gesagt,  ich mìsse dringend
verreisen, und warum  ich  in den  Stunden vor meiner Verhaftung  so unruhig
gewesen w€re und meine s€mtlichen Edelsteine zu mir gesteckt h€tte.
     Auf meine Antwort, ich sei mit der Absicht umgegangen, mir das Leben zu
nehmen, hatte es wieder hinter dem Schreibtisch hæhnisch gemeckert. -
     Bis  dahin  war  ich allein in  meiner Zelle gewesen und konnte  meinen
Gedanken, meiner  Trauer um Charousek, der, wie ich fìhlte, l€ngst tot  sein
mute, und Laponder und meiner Sehnsucht nach Mirjam nachh€ngen.
     Dann  kamen  wieder  neue  Gefangene:  diebische  Kommis mit  verlebten
Gesichtern, dickwanstige Bankkassierer,  - "Waisenkinder", wie der  schwarze
Vãssatka sie genannt  haben  wìrde, - und  verpesteten mir  die Luft und die
Stimmung.
     Eines  Tages gab einer von ihnen voll Entrìstung zum  besten,  da  vor
geraumer Zeit ein Lustmord in der Stadt geschehen sei. Zum  Glìck h€tte  man
den T€ter sogleich erwischt und kurzen Proze mit ihm gemacht.
     "Laponder hat  er  geheien,  der Schuft, der gottserb€rmliche", schrie
ein Kerl mit  einer Raubtierschnauze, der  wegen  Kindsmihandlung  zu  - 14
Tagen  Gef€ngnis  verurteilt  worden  war,  dazwischen.  "Auf  frischer  Tat
habn's'n g'fat. Die Lampen is umg'fallen bei dem  Krawall  und's  Zimmer is
ausbrennt. Die Leich'  von dem M€del is  dabei so verkohlt, da mer  bis zum
heutigen Tage noch  næt  hat  rausbringen  kænnen, wer sie  eigentlich  war.
Schwarze  Haar hat's  g'habt und a  schmal's G'sicht, dæs  is  alls, was mer
wei. Und der Laponder hat  net ums Verrecken rausg'rìckt mit ihrem Namen. -
Wann's nach  mir gangen w€r,  i h€tt  ihm d'Haut ab'zogen und Pfeffer  drauf
g'streut. - Dæs san halt die feinen Herren! Mærder san's, alle z'samm. - - -
- Als ob's net anderne Mittel g'nua gebet, wann aner a M€del los sein wìll",
setzte er mit zynischem L€cheln hinzu.
     Die Wut kochte in mir, und am liebsten h€tte  ich den Halunken zu Boden
geschlagen.
     Nacht fìr Nacht  schnarchte  er in dem  Bett, auf dem Laponder gelegen.
Ich atmete auf, als er endlich freigelassen wurde.
     Aber selbst  da war ich ihn  noch nicht los:  seine Rede hatte sich wie
ein Pfeil mit Widerhaken in mich eingebohrt.
     Fast best€ndig, haupts€chlich in der Dunkelheit, nagte jetzt in mir der
grausige Verdacht, Mirjam kænnte das Opfer Laponders gewesen sein.
     Je mehr ich dagegen ank€mpfte, desto tiefer verstrickte ich mich in dem
Gedanken, bis er beinahe zur fixen Idee wurde.
     Manchmal, besonders wenn  der Mond grell durchs Gitter schien, wurde es
besser:  ich konnte mir  die Stunden,  die  ich  mit Laponder  verlebt, dann
lebendig machen, und das tiefe Gefìhl  fìr ihn verscheuchte mir die Qual,  -
aber nur zu oft kamen die gr€lichen Minuten wieder,  wo ich Mirjam ermordet
und  verkohlt  im  Geiste  vor mir sah und glaubte,  vor Angst  den Verstand
verlieren zu mìssen.
     Die  schwachen  Anhaltspunkte,  die  ich  fìr  meinen  Verdacht  hatte,
verdichteten  sich  in  solchen  Zeiten zu einem geschlossenen  Ganzen, - zu
einem Gem€lde voll unbeschreiblich entsetzenerregender Einzelheiten.
     Anfang  November gegen 10 Uhr abends,  es war bereits stockfinster  und
die Verzweiflung in mir hatte  einen  derartigen Hæhepunkt erreicht, da ich
mich,  um  nicht laut aufzuschreien,  in  meinen Strohsack  verbi  wie  ein
verdurstendes  Tier,  æffnete  plætzlich  der  Gefangenw€rter die  Zelle und
forderte mich auf, mit  ihm  zum Untersuchungsrichter zu  kommen. Ich fìhlte
mich so schwach, da ich mehr taumelte als ging.
     Die  Hoffnung, jemals dieses schreckliche Haus verlassen zu dìrfen, war
l€ngst in mir gestorben.
     Ich machte  mich  darauf  gefat, wieder  eine  kalte Frage gestellt zu
bekommen, das stereotype Gemecker  hinter dem Schreibtisch zu hæren und dann
zurìck in die Finsternis zu mìssen.
     Der  Herr Baron Leisetreter war bereits nach Hause gegangen und nur ein
alter, buckliger Schreiber mit Spinnenfingern stand im Zimmer.
     Dumpf wartete ich, was mit mir geschehen wìrde.
     Es fiel mir auf, da der Gefangenw€rter mit hereingekommen war und  mir
gutmìtig zublinzelte, aber ich war viel zu niedergeschlagen, als da ich mir
ìber die Bedeutung alles dessen h€tte klarwerden kænnen.
     "Die Untersuchung hat ergeben", fing der Schreiber  an, meckerte, stieg
auf  einen  Sessel  und  kramte   erst   lange  auf  dem   Bìcherbord   nach
Schriftstìcken,  ehe  er fortfuhr:  "hat ergeben, da der  in Frage kommende
Karl Zottmann vor seinem Tode  anl€lich  einer heimlichen Zusammenkunft mit
der unverehelichten ehemaligen Prostituierten Rosina Metzeles, die damaliger
Zeit  den  Spitznamen  die  rote Rosina  fìhrte,  dann  sp€ter  von  einem
taubstummen,    nunmehr    unter     polizeilicher     Aufsicht    stehenden
Silhubettenschneider namens Jaromir Kw¡nitschka aus dem Weinsalon Kautsky
losgekauft wurde und seit einigen Monaten mit Seiner Durchlaucht dem Fìrsten
Ferri Athenst€dt im gemeinsamen, wilden Konkubinate als Maiteresse lebt, von
hinterlistiger Hand in  ein unterirdisches, aufgelassenes  Kellergewælbe des
Hauses  Nummer  conscriptionis  21873,  gebrochen  durch  ræmisch  III,  der
Hahnpagasse, laufende Numero sieben, gelockt, dortselbst eingeschlossen und
sich selbst,  beziehungsweise  dem  Tode  durch  Verhungern  oder  Erfrieren
ìberlassen  wurde.  -  -  Der  obenerw€hnte Zottmann n€mlich",  erkl€rte der
Schreiber mit einem Blick ìber die  Brille hinweg und bl€tterte  ein paarmal
um.
     "Die  Untersuchung  hat  weiters  ergeben,  da  der  obenerw€hnte Karl
Zottmann  allem  Anscheine  nach  -  nach  eingetretenem  Ableben  -  seiner
s€mtlichen  bei  ihm  getragenen  Habseligkeiten,  insbesondere  seiner  sub
faszikel  ræmisch P gebrochen durch B€h beigeschlossenen  doppelmanteligen
Taschenuhr" - der  Schreiber hob die Uhr an der Kette in die Hæhe - "beraubt
wurde.  Der  eidesstattlichen  Aussage  des   Silhubettenschnitzers  Jaromir
Kw¡nitschka,   verwaisten   Sohnes   des   vor   17   Jahren   verstorbenen
Hostienb€ckers gleichen Namens:  die Uhr im Bette seines inzwischen flìchtig
gegangenen Bruders Loisa gefunden und