nicht eine Silbe,  ìberlegte einen Augenblick und ging
dann trotzig hinaus.
     Gespannt blickte ich Hillel an. Er  winkte mir zu, ich solle schweigen.
Offenbar wartete er auf irgend  etwas,  denn  er horchte angestrengt auf den
Gang  hinaus.  Ich  wollte die Tìre schlieen gehen: er hielt mich mit einer
ungeduldigen Handbewegung zurìck.
     Wohl  eine  Minute  verging, dann  kamen  die schleppenden Schritte des
Trædlers  wieder  die Stufen  herauf. Ohne ein Wort zu sprechen  ging Hillel
hinaus und machte ihm Platz.
     Wassertrum wartete,  bis er  auer Hærweite war, dann knurrte  er  mich
verbissen an:
     "Geben Se mer meine Uhr zorìck."
        Weib
     Wo nur Charousek blieb?
     Beinahe 24  Stunden waren vergangen, und noch immer lie  er sich nicht
blicken.
     Sollte er das Zeichen vergessen haben, das  wir verabredet hatten? Oder
sah er es vielleicht nicht?
     Ich ging ans Fenster und richtete den Spiegel so, da der Sonnenstrahl,
der  darauf schien,  genau auf das vergitterte Guckloch seiner Kellerwohnung
fiel.
     Das  Eingreifen  Hillels -  gestern  -  hatte mich  ziemlich  beruhigt.
Bestimmt wìrde er mich gewarnt haben, wenn eine Gefahr im Anzug w€re.
     berdies: Wassertrum  konnte nichts von Belang mehr unternommen  haben;
gleich,   nachdem  er   mich  verlassen   hatte,  war  er  in  seinen  Laden
zurìckgekehrt,  - ich  warf  einen  Blick  hinunter:  richtig,  da lehnte er
unbeweglich  hinter  seinen  Herdplatten,  genau  so,  wie  ich   ihn  schon
frìhmorgens gesehen - - -
     Unertr€glich, das ewige Warten!
     Die  milde  Frìhlingsluft,  die  durch  das  offene  Fenster   aus  dem
Nebenzimmer hereinstræmte, machte mich krank vor Sehnsucht.
     Dies  schmelzende  Tropfen   von  den  D€chern!  Und  wie   die  feinen
Wasserschnìre im Sonnenlicht gl€nzten!
     Es zog mich hinaus an unsichtbaren F€den. Voll Ungeduld ging ich in der
Stube auf und ab. Warf mich in einen Sessel. Stand wieder auf.
     Dieses  sìchtige Keimen einer  Ungewissen Verliebtheit in meiner Brust,
es wollte nicht weichen.
     Die ganze Nacht ìber  hatte es  mich gequ€lt.  Einmal  war es  Angelina
gewesen, die sich an mich geschmiegt,  dann wieder sprach ich scheinbar ganz
harmlos mit  Mirjam, und kaum  hatte  ich das  Bild  zerrissen, kam abermals
Angelina und kìte mich;  ich  roch den Duft  ihres Haares, und ihr  weicher
Zobelpelz kitzelte mich am Hals,  rutschte von ihren entblæten  Schultern -
und sie wurde zu Rosina, die mit trunkenen, halbgeschlossenen Augen tanzte -
im  Frack - nackt;  - - - und alles in  einem Halbschlaf,  der doch genau so
gewesen war wie Wachsein. Wie ein sìes, verzehrendes, d€mmeriges Wachsein.
     Gegen  Morgen  stand  dann  mein  Doppelg€nger  an  meinem  Bett,   der
schattenhafte  Habal  Garmin,  "der  Hauch  der  Knochen",  von  dem  Hillel
gesprochen, - und ich sah ihm an den Augen an: er war in meiner Macht, mute
mir  jede Frage beantworten,  die ich ihm stellen wìrde  nach irdischen oder
jenseitigen Dingen, und  er  wartete nur  darauf,  aber der  Durst nach  dem
Geheimnisvollen  konnte  nicht  an  gegen  die  Schwìle  meines  Blutes  und
versickerte im dìrren Erdreich meines Verstandes. - Ich schickte das Phantom
weg, es  solle zum  Spiegelbild Angelinas werden, und es schrumpfte zusammen
zu  dem Buchstaben "Aleph", wuchs wieder empor, stand  da als das Koloweib,
splitternackt, wie ich es einstens  im Buche Ibbur gesehen,  mit  dem  Pulse
gleich  einem  Erdbeben,  und  beugte sich  ìber mich,  und  ich  atmete den
bet€ubenden Geruch ihres heien Fleisches ein.
      Kam  denn Charousek  immer noch  nicht? -  Die  Glocken  sangen von den
Kirchtìrmen.
     Eine Viertelstunde wollte  ich noch  warten -  dann  aber hinaus! Durch
belebte Straen voll festt€gig  gekleideter Menschen schlendern, mich in das
frohe Gewimmel mischen in den Stadtteilen  der  Reichen, schæne Frauen sehen
mit koketten Gesichtern und schmalen H€nden und Fìen.
     Vielleicht  begegnete ich dabei Charousek  zuf€llig, entschuldigte  ich
mich vor mir selbst.
     Ich holte das altertìmliche Tarockspiel vom Bìcherbord, um mir die Zeit
rascher zu vertreiben. -
     Vielleicht  lie sich aus den  Bildern  Anregung schæpfen  zum  Entwurf
einer Kamee?
     Ich suchte nach dem Pagad.
     Nicht zu finden. Wo konnte er hingeraten sein?
     Ich  bl€tterte  noch  einmal  die  Karten  durch  und  verlor  mich  in
Nachdenken  ìber  ihren verborgenen  Sinn.  Besonders der "Gehenkte", -  was
konnte er nur bedeuten?:
     Ein  Mann h€ngt an einem Seil zwischen  Himmel und Erde, den  Kopf nach
abw€rts, die  Arme auf den Rìcken  gebunden, den  rechten Unterschenkel ìber
das linke  Bein  verschr€nkt,  da es  aussieht  wie  ein  Kreuz ìber  einem
verkehrten Dreieck?
     Unverst€ndliches Gleichnis.
     Da! - Endlich! Charousek kam.
     Oder doch nicht?
     Freudige berraschung, es war Mirjam.
     Kam  denn Charousek  immer noch  nicht? -  Die  Glocken  sangen von den
Kirchtìrmen.
     Eine Viertelstunde wollte  ich noch  warten -  dann  aber hinaus! Durch
belebte Straen voll festt€gig  gekleideter Menschen schlendern, mich in das
frohe Gewimmel mischen in den Stadtteilen  der  Reichen, schæne Frauen sehen
mit koketten Gesichtern und schmalen H€nden und Fìen.
     Vielleicht  begegnete ich dabei Charousek  zuf€llig, entschuldigte  ich
mich vor mir selbst.
     Ich holte das altertìmliche Tarockspiel vom Bìcherbord, um mir die Zeit
rascher zu vertreiben. -
     Vielleicht  lie sich aus den  Bildern  Anregung schæpfen  zum  Entwurf
einer Kamee?
     Ich suchte nach dem Pagad.
     Nicht zu finden. Wo konnte er hingeraten sein?
     Ich  bl€tterte  noch  einmal  die  Karten  durch  und  verlor  mich  in
Nachdenken  ìber  ihren verborgenen  Sinn.  Besonders der "Gehenkte", -  was
konnte er nur bedeuten?:
     Ein  Mann h€ngt an einem Seil zwischen  Himmel und Erde, den  Kopf nach
abw€rts, die  Arme auf den Rìcken  gebunden, den  rechten Unterschenkel ìber
das linke  Bein  verschr€nkt,  da es  aussieht  wie  ein  Kreuz ìber  einem
verkehrten Dreieck?
     Unverst€ndliches Gleichnis.
     Da! - Endlich! Charousek kam.
     Oder doch nicht?
     Freudige berraschung, es war Mirjam.
      "Wissen Sie, Mirjam, da  ich  soeben zu Ihnen hinuntergehen wollte und
Sie bitten,  eine  Spazierfahrt  mit  mir zu machen?" Es war nicht  ganz die
Wahrheit, aber ich machte mir weiter keine Gedanken darìber.  - "Nicht wahr,
Sie schlagen es mir  nicht ab?! Ich bin heute  so unendlich froh im  Herzen,
da Sie, gerade Sie, Mirjam, meiner Freude die Krone aufsetzen mìssen."
     "-  spazierenfahren?",  wiederholte sie derart verblìfft, da  ich laut
auflachen mute.
     "Ist denn der Vorschlag gar so wunderbar?"
     "Nein, nein, aber -  -," sie suchte nach Worten,  "unerhært merkwìrdig.
Spazierenfahren!"
     "Durchaus   nicht   merkwìrdig,  wenn  Sie  sich   vorhalten,   da  es
Hunderttausende  von  Menschen  tun  -  eigentlich  ihr ganzes Leben  nichts
anderes tun."
     "Ja, andere Menschen!" gab sie, immer noch vollst€ndig ìberrumpelt, zu.
     Ich fate ihre beiden H€nde:
     "Was andere  Menschen an  Freude erleben  dìrfen, mæchte ich,  da Sie,
Mirjam, in noch unendlich viel reicherem Mae genieen."
     Sie wurde plætzlich leichenbla,  und ich sah  an der  starren Taubheit
ihres Blickes, woran sie dachte. Es gab mir einen Stich.
     "Sie  dìrfen es nicht immer mit sich  herumtragen,  Mirjam," redete ich
ihr zu, "das - das Wunder. Wollen Sie mir das nicht versprechen  - aus - aus
Freundschaft?"
     Sie hærte die Angst aus meinen Worten und blickte mich erstaunt an.
     "Wenn es Sie nicht so angriffe, kænnte  ich mich mit Ihnen freuen, aber
so? Wissen Sie,  da ich tief besorgt bin um  Sie, Mirjam? -  Um -  um - wie
soll  ich nur  sagen? - um  Ihre seelische Gesundheit! Fassen Sie  es  nicht
wærtlich auf, aber -: ich wollte, das Wunder w€re nie geschehen."
     Ich  erwartete, sie wìrde mir widersprechen,  aber  sie nickte  nur  in
Gedanken versunken.
     "Es verzehrt Sie. Habe ich nicht recht, Mirjam?" Sie raffte sich auf:
     "Manchmal mæchte ich beinahe auch, es w€re nicht geschehen."
     Es  klang wie  ein  Hoffnungsstrahl fìr mich.  -  "Wenn ich mir  denken
soll,"  sie  sprach  ganz  langsam  und  traumverloren,  "da Zeiten  kommen
kænnten, wo ich ohne solche Wunder leben mìte - - -."
     "Sie kænnen doch ìber  Nacht  reich werden und brauchen dann nicht mehr
-,"  fuhr ich ihr unbedacht in die Rede, hielt aber rasch inne, als ich  das
Entsetzen  in ihrem Gesicht bemerkte, - "ich meine: Sie kænnen plætzlich auf
natìrliche Weise Ihrer  Sorgen enthoben werden, und die Wunder, die Sie dann
erleben, wìrden geistiger Art sein: - innere Erlebnisse."
     Sie schìttelte den Kopf  und sagte hart: "Innere Erlebnisse sind  keine
Wunder. Erstaunlich  genug, da es Menschen zu geben  scheint, die ìberhaupt
keine  haben.  - Seit meiner Kindheit, Tag fìr Tag, Nacht  fìr Nacht, erlebe
ich -" (sie  brach mit einem Ruck ab, und ich erriet, da noch etwas anderes
in ihr war, von  dem sie  mir  nie gesprochen  hatte,  vielleicht  das Weben
unsichtbarer  Geschehnisse, €hnlich den meinigen)  -  "aber das gehært nicht
hierher.  Selbst,  wenn  einer  aufstìnde  und  machte Kranke  gesund  durch
Handauflegen, ich kænnte es kein Wunder nennen. Erst, wenn der leblose Stoff
- die Erde  - beseelt wird vom  Geist und die Gesetze  der Natur zerbrechen,
dann ist  das geschehen, wonach ich mich sehne, seit ich denken  kann. - Mir
hat einmal mein Vater gesagt: es g€be zwei Seiten der Kabbala: eine magische
und eine  abstrakte, die sich niemals zur Deckung bringen lieen. Wohl kænne
die magische die  abstrakte an sich ziehen,  aber  nie und nimmer umgekehrt.
Die magische ist ein  Geschenk,  die andere  kann errungen werden, wenn auch
nur  mit Hilfe eines Fìhrers."  Sie  nahm den ersten Faden wieder  auf: "Das
Geschenk  ist es,  nach dem ich dìrste;  was  ich mir erringen kann, ist mir
gleichgìltig und  wertlos wie Staub. Wenn ich  mir  denken soll,  es kænnten
Zeiten kommen,  sagte  ich  vorhin, wo  ich wieder ohne  diese  Wunder leben
mìte," -  ich  sah,  wie  sich ihre Finger  krampften  und Reue und  Jammer
zerfleischten mich,  - "ich glaube,  ich  sterbe jetzt  schon angesichts der
bloen Mæglichkeit."
     "Ist  das der Grund, weshalb  auch  Sie wìnschten, das  Wunder w€re nie
geschehen?", forschte ich.
     "Nur zum Teil. Es ist  noch etwas anderes da. Ich - ich - ", sie dachte
einen Augenblick nach, "war noch nicht reif dazu, ein Wunder  in dieser Form
zu erleben. Das ist  es. Wie soll ich  es Ihnen  erkl€ren? Nehmen Sie einmal
an, blo  als Beispiel,  ich h€tte seit  Jahren jede Nacht ein und denselben
Traum, der sich immer weiter fortspinnt und in dem  mich jemand - sagen wir:
ein  Bewohner einer  andern  Welt -  belehrt  und  mir  nicht nur  an  einem
Spiegelbilde von mir selbst und seinen allm€hlichen Ver€nderungen zeigt, wie
weit  ich von der  magischen Reife, ein Wunder erleben zu kænnen, entfernt
bin, sondern: mir  auch in Verstandesfragen, wie  sie  mich  einmal tagsìber
besch€ftigen, derart Aufschlu gibt,  da ich  es jederzeit nachprìfen kann.
Sie werden mich  verstehen:  Ein solches Wesen ersetzt einem an Glìck alles,
was sich auf  Erden ausdenken l€t; es ist fìr mich die Brìcke, die mich mit
dem  Drìben verbindet, ist  die Jakobsleiter, auf der  ich  mich  ìber die
Dunkelheit des Alltags erheben kann ins  Licht, - ist mir Fìhrer und Freund,
und  alle meine  Zuversicht, da ich mich auf den  dunkeln Wegen,  die meine
Seele  geht, nicht verirren  kann in Wahnsinn  und Finsternis, setze ich auf
ihn, der mich noch nie belogen hat.  -  Da  mit einem Mal, entgegen allem,
was er mir gesagt hat, kreuzt  ein  Wunder mein Leben!  Wem soll ich jetzt
glauben? War das, was mich die vielen Jahre ìber ununterbrochen erfìllt hat,
eine T€uschung? Wenn ich daran zweifeln mìte, ich stìrzte kopfìber in einen
bodenlosen  Abgrund.  -  Und  doch  ist  das  Wunder  geschehen!  Ich  wìrde
aufjauchzen vor Freude, wenn -"
     "Wenn  - - -?" unterbrach ich sie atemlos. Vielleicht sprach sie selbst
das erlæsende Wort, und ich konnte ihr alles eingestehen.
     "- wenn ich erfìhre, da ich mich geirrt habe, - da es gar kein Wunder
war! Aber ich  wei so genau, wie  ich wei, da ich  hier sitze, ich  ginge
zugrunde daran"; (mir  blieb das  Herz stehen) - "zurìckgerissen werden, vom
Himmel wieder herab mìssen  auf die Erde? Glauben Sie,  da  das  ein Mensch
ertragen kann?"
     "Bitten Sie doch Ihren Vater um Hilfe", sagte ich ratlos vor Angst.
     "Meinen Vater? Um Hilfe?" - sie blickte mich verst€ndnislos an - "wo es
nur  zwei Wege  fìr mich  gibt, kann  er da einen dritten finden? - - Wissen
Sie, was die einzige Rettung fìr mich w€re? Wenn mir das gesch€he, was Ihnen
geschehen ist. Wenn ich  in dieser Minute alles,  was hinter mir liegt: mein
ganzes  Leben  bis zum  heutigen Tag -  vergessen  kænnte.  -  Ist  es nicht
merkwìrdig: was Sie als Unglìck empfinden, w€re fìr mich das hæchste Glìck!"
     Wir  schwiegen  beide noch eine  lange Zeit. Dann ergriff sie plætzlich
meine Hand und l€chelte. Beinahe fræhlich.
     "Ich will nicht, da Sie sich meinetwegen gr€men;" - (sie træstete mich
- mich!) - "vorhin  waren Sie so voll  Freude  und Glìck  ìber den  Frìhling
drauen, und jetzt sind  Sie die Betrìbnis selbst. Ich h€tte Ihnen ìberhaupt
nichts sagen  sollen.  Reien Sie  es aus Ihrem  Ged€chtnis  und denken  Sie
wieder so heiter wie vorhin! - Ich bin ja so froh -"
     "Sie? Froh? Mirjam?", unterbrach ich sie bitter.
     Sie  machte ein  ìberzeugtes Gesicht: "Ja! Wirklich!  Froh!  Als ich zu
Ihnen  heraufging,  war ich  so unbeschreiblich €ngstlich, -  ich wei nicht
warum: ich konnte das Gefìhl nicht loswerden, da Sie in einer groen Gefahr
schweben",  -  ich  horchte auf -  "aber, statt mich darìber  zu freuen, Sie
gesund und wohlauf zu treffen, habe ich Sie angeunkt und - -"
     Ich zwang mich zur Lustigkeit: "und das  kænnen Sie nur gutmachen, wenn
Sie mit  mir ausfahren." (Ich bemìhte mich, so viel bermut  wie  mæglich in
meine Stimme zu  legen:)  "Ich mæchte doch einmal sehen, Mirjam,  ob es  mir
nicht gelingt, Ihnen die trìben Gedanken zu verscheuchen. Sagen Sie, was Sie
wollen: Sie sind noch lange kein €gyptischer Zauberer, sondern vorl€ufig nur
ein junges M€dchen,  dem  der  Tauwind  noch manchen  bæsen Streich  spielen
kann."
     Sie wurde plætzlich ganz lustig:
     "Ja, was ist  denn das  heute mit  Ihnen, Herr Pernath? So hab' ich Sie
noch  nie  gesehen!  -  brigens  Tauwind:  bei  uns  Judenm€dchen  lenken
bekanntlich die  Eltern den Tauwind, und wir haben nur zu gehorchen. Tuen es
natìrlich auch. Es steckt uns schon so im Blut. - Mir  ja nicht", setzte sie
ernsthafter  hinzu, "meine Mutter hat bæs gestreikt, als sie den  gr€lichen
Aaron Wassertrum heiraten sollte."
     "Was? Ihre Mutter? Den Trædler da unten?"
     Mirjam nickte. "Gott sei Dank ist es nicht zustande gekommen. - Fìr den
armen Menschen freilich war es ein vernichtender Schlag."
     "Armer Mensch, sagen Sie?" fuhr ich auf. "Der Kerl ist ein Verbrecher."
     Sie wiegte nachdenklich den Kopf: "Gewi, er  ist  ein Verbrecher. Aber
wer  in  einer solchen Haut steckt und kein Verbrecher wird, mu ein Prophet
sein."
     Ich rìckte neugierig n€her;
     "Wissen  Sie Genaueres  ìber  ihn?  Mich  interessiert  das.  Aus  ganz
besonderen - -"
     "Wenn Sie einmal  seinen  Laden von innen gesehen h€tten, Herr Pernath,
wìten Sie sofort, wie es  in seiner Seele ausschaut. Ich sage das, weil ich
als Kind sehr oft drin  war. - Warum sehen Sie mich so erstaunt an? Ist denn
das  so  merkwìrdig?  - Gegen mich war er immer freundlich und gìtig. Einmal
sogar, erinnere ich mich, schenkte er mir einen groen blitzenden Stein, der
mir besonders unter seinen Sachen gefallen hatte. Meine Mutter sagte, es sei
ein Brillant, und ich mute ihn natìrlich sofort zurìcktragen.
     Erst wollte er ihn lange  nicht wiedernehmen, aber dann ri  er ihn mir
aus  der Hand  und warf ihn voll  Wut weit  von sich. Ich habe  aber dennoch
gesehen, wie  ihm dabei die Tr€nen  aus den Augen  stìrzten; ich konnte auch
damals  schon genug  Hebr€isch, um zu verstehen, was er murmelte: Alles ist
verflucht, was meine Hand berìhrt. - -  Es war das  letzte Mal, da ich ihn
besuchen durfte. Nie  wieder  hat  er mich seitdem  aufgefordert, zu ihm  zu
kommen. Ich wei auch warum: H€tte ich  ihn nicht zu træsten versucht,  w€re
alles beim alten geblieben, so aber, weil er mir unendlich leid tat  und ich
es  ihm sagte, wollte er  mich nicht  mehr  sehen. - -  - Sie  verstehen das
nicht, Herr Pernath? Es  ist doch so einfach:  er ist  ein Besessener, - ein
Mensch, der sofort mitrauisch,  unheilbar mitrauisch wird, wenn jemand  an
sein  Herz  rìhrt.  Er  h€lt  sich  fìr  noch  viel  h€licher,  als  er  in
Wirklichkeit ist, - wenn das ìberhaupt mæglich sein  kann, und darin wurzelt
sein ganzes  Denken und Handeln. Man sagt, seine Frau h€tte ihn gern gehabt,
vielleicht war  es mehr  Mitleid als  Liebe, aber immerhin glaubten  es sehr
viele Leute. Der  einzige, der vom Gegenteil tief durchdrungen  war, war er.
berall wittert er Verrat und Ha.
     Nur bei seinem Sohn  machte er eine Ausnahme.  Ob es  daher kam, da er
ihn vom  S€uglingsalter an hatte  heranwachsen sehen, also das Keimen  jeder
Eigenschaft von Urbeginn in dem Kinde sozusagen miterlebte und daher nie  zu
einem Punkte gelangte, wo sein  Mitrauen h€tte einsetzen kænnen, oder ob es
im jìdischen Blute lag:  alles, was  an  Liebesf€higkeit  in ihm lebte,  auf
seinen Nachkommen  auszugieen - in jener instinktiven Furcht unserer Rasse:
wir kænnten  aussterben  und eine Mission nicht  erfìllen, die wir vergessen
haben, die aber dunkel in uns fortlebt, - wer kann das wissen!
     Mit  einer Umsicht, die beinahe  an Weisheit  grenzte,  und  bei  einem
unbelesenen Menschen, wie er, wunderbar ist, leitete er die Erziehung seines
Sohnes.  Mit  dem  Scharfsinn eines Psychologen r€umte  er dem  Kinde  jedes
Erlebnis aus dem  Wege,  das  zur Entwicklung der  Gewissenst€tigkeit  h€tte
beitragen kænnen, um ihm kìnftige seelische Leiden zu ersparen.
     Er hielt ihm als Lehrer einen hervorragenden Gelehrten, der die Ansicht
verfocht,  die  Tiere  seien empfindungslos  und  ihre  Schmerz€uerung  ein
mechanischer Reflex.
     Aus   jedem   Geschæpf  so  viel  Freude  und  Genu  fìr  sich  selbst
herauspressen,  wie  nur  irgend  mæglich,  und dann die Schale  sofort  als
nutzlos  wegzuwerfen:  das  war  ungef€hr  das  Abc  seines   weitblickenden
Erziehungssystems.
     Da das Geld als Standarte und  Schlìssel zur Macht dabei eine  erste
Rolle spielte, kænnen Sie sich denken,  Herr  Pernath. Und  so wie er selbst
den eigenen Reichtum  sorgsam geheim h€lt, um die  Grenzen seines Einflusses
in Dunkel zu hìllen, so ersann er sich  ein Mittel, seinem Sohn hnliches zu
ermæglichen, ihm aber gleichzeitig die Qual eines scheinbar €rmlichen Lebens
zu ersparen:  er durchtr€nkte  ihn  mit  der  infernalischen  Lìge  von  der
Schænheit,  brachte ihm die €uere und  innere Geb€rde  der sthetik  bei,
lehrte  ihn €uerlich:  die Lilie auf  dem Felde heucheln und innerlich  ein
Aasgeier sein.
     Natìrlich war das mit der  Schænheit wohl  kaum  eigene Erfindung von
ihm - vermutlich die Verbesserung eines Ratschlags, den ihm ein Gebildeter
gegeben hatte.
     Da ihn sein Sohn sp€ter verleugnete, wo und  wann er nur  konnte, nahm
er niemals  ìbel. Im  Gegenteil, er machte es  ihm  zur  Pflicht: denn seine
Liebe war  selbstlos, und wie ich  es schon einmal von meinem Vater sagte: -
von der Art, die ìbers Grab hinausgeht."
     Mirjam schwieg  einen  Augenblick  und  ich sah ihr  an,  wie  sie ihre
Gedanken stumm weiterspann, hærte  es an dem ver€nderten Klang ihrer Stimme,
als sie sagte:
     "Seltsame Frìchte wachsen auf dem Baume des Judentums."
     "Sagen Sie,  Mirjam,"  fragte ich,  "haben Sie  nie  davon  gehært, da
Wassertrum eine  Wachsfigur in seinem Laden stehen hat? Ich wei nicht mehr,
wer es mir erz€hlt hat, - es war vielleicht nur ein Traum - -"
     "Nein,  nein,  es  ist  schon  richtig, Herr Pernath:  eine lebensgroe
Wachsfigur steht in der Ecke, in der er, mitten unter dem tollsten Gerìmpel,
auf seinem Strohsack schl€ft. Er hat sie vor Jahren einem Schaubudenbesitzer
abgewuchert,  heit  es, blo  weil  sie  einem  M€dchen - einer  Christin -
€hnlich sah, die angeblich einmal seine Geliebte gewesen sein soll."
     "Charouseks Mutter!" dr€ngte es sich mir auf.
     "Ihren Namen wissen Sie nicht, Mirjam?"
     Mirjam  schìttelte den Kopf. "Wenn Ihnen daran liegt,  - soll ich  mich
erkundigen?"
     "Ach Gott, nein, Mirjam; es ist  mir vollkommen gleichgìltig", (ich sah
an ihren blitzenden Augen,  da sie sich in  Eifer geredet hatte. Sie durfte
nicht wieder zu  sich kommen, nahm  ich mir vor),  "aber was mich viel  mehr
interessiert,  ist das  Gebiet,  von dem Sie vorhin  flìchtig  sprachen. Ich
meine  das  vom  Tauwind.  -  Ihr  Vater  wìrde  Ihnen  doch  gewi  nicht
vorschreiben, wen Sie heiraten sollen?"
     Sie lachte lustig auf. "Mein Vater? Wo denken Sie hin!"
     "Nun, das ist ein groes Glìck fìr mich."
     "Wieso?" fragte sie arglos.
     "Weil ich dann noch Chancen habe."
     Es war nur ein Scherz, und sie nahm es auch nicht anders hin, aber doch
sprang sie rasch auf  und  ging ans Fenster,  um mich nicht sehen zu lassen,
da sie rot wurde.
     Ich lenkte ein, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen:
     "Das  eine  bitte  ich  mir  aus  als  alter  Freund:  Mich  mìssen Sie
einweihen, wenn's einmal so weit ist. - Oder gedenken Sie ìberhaupt ledig zu
bleiben?"
     "Nein!  nein!   nein!"  -  sie  wehrte  so  entschlossen  ab,  da  ich
unwillkìrlich l€chelte - "einmal mu ich ja doch heiraten."
     "Natìrlich! Selbstverst€ndlich!"
     Sie wurde nervæs wie ein Backfisch.
     "Kænnen Sie denn nicht eine Minute ernsthaft  bleiben, Herr Pernath?" -
Ich  machte gehorsam ein Lehrergesicht, und sie setzte sich wieder. - "Also:
wenn ich sage, ich mu doch einmal heiraten, so meine ich damit, da ich mir
zwar bis jetzt den Kopfìber  die n€heren Umst€nde nicht zerbrochen habe, den
Sinn des Lebens aber gewi nicht verstìnde, wenn ich annehmen wìrde, ich sei
als Weib auf die Welt gekommen, um kinderlos zu bleiben."
     Das erste Mal,  seit ich sie kannte,  sah ich das Frauenhafte in  ihren
Zìgen.
     "Es  gehært  mit   zu  meinen  Tr€umen",  fuhr  sie  leise  fort,  "mir
vorzustellen, da es ein Endziel sei, wenn zwei Wesen zu einem verschmelzen,
- zu dem, was - - haben Sie nie von dem €gyptischen Osiriskult gehært?  - zu
dem verschmelzen, was der Hermaphrodit als Symbol bedeuten mag."
     Ich horchte gespannt auf: "Der Hermaphrodit -?"
     "Ich meine:  Die  magische  Vereinigung  von m€nnlich und  weiblich  im
Menschengeschlecht  zu  einem  Halbgott.  Als  Endziel! -  Nein,  nicht  als
Endziel, als Beginn eines neuen Weges, der ewig ist - kein Ende hat."
     "Und  hoffen  Sie,   dereinst  denjenigen   zu   finden,"   fragte  ich
erschìttert, "den Sie suchen? - Kann es nicht  sein, da er in  einem fernen
Land lebt, vielleicht gar nicht auf Erden ist?"
     "Davon wei ich nichts"; sagte sie einfach, "ich  kann nur warten. Wenn
er durch Zeit und Raum von mir getrennt ist, - was ich nicht glaube, weshalb
w€re  ich  dann  hier  im  Getto  angebunden?  -  oder   durch   die  Klìfte
gegenseitigen Nichterkennens - und  ich finde ihn nicht, dann hat mein Leben
keinen Zweck gehabt und war das gedankenlose Spiel eines idiotischen D€mons.
- Aber, bitte, bitte, reden wir nicht mehr davon," flehte sie, "wenn man den
Gedanken  nur  ausspricht,  bekommt  er  schon  einen  h€lichen,  irdischen
Beigeschmack, und ich mæchte nicht -"
     Sie brach plætzlich ab.
     "Was mæchten Sie nicht, Mirjam?"
     Sie hob die Hand. Stand rasch auf und sagte:
     "Sie bekommen Besuch, Herr Pernath!"
     Seidenkleider raschelten auf dem Gang.
     Ungestìmes Klopfen. Dann:
     Angelina!
     Mirjam wollte gehen; ich hielt sie zurìck:
     "Darf  ich vorstellen: die Tochter eines lieben  Freundes - Frau Gr€fin
-"
     "Nicht   einmal  vorfahren  kann  man   mehr.   berall   das  Pflaster
aufgerissen. Wann werden Sie  einmal in eine menschenwìrdige Gegend siedeln,
Meister Pernath? Drauen schmilzt der Schnee und der  Himmel  jubelt, da es
einem  die Brust zersprengt,  und Sie hocken  hier in Ihrer Tropfsteingrotte
wie ein alter  Frosch, - -  ìbrigens wissen Sie,  da ich gestern bei meinem
Juwelier  war und  er gesagt hat: Sie seien der græte Kìnstler, der feinste
Gemmenschneider,  den es heute gibt,  wenn nicht  einer der  græten, die je
gelebt  haben?!"  - Angelina  plauderte  wie ein  Wasserfall,  und  ich  war
verzaubert. Sah nur mehr ihre strahlenden, blauen Augen, die kleinen Fìe in
den  winzigen  Lackstiefeln,  sah  das kapriziæse  Gesicht aus dem Wust  von
Pelzwerk leuchten und die rosigen Ohrl€ppchen.
     Sie lie sich kaum Zeit auszuatmen.
     "An  der Ecke  steht mein Wagen.  Ich  hatte schon Angst, Sie nicht  zu
Hause  zu treffen. Sie haben doch hoffentlich noch nicht zu Mittag gegessen?
Wir fahren zuerst  - ja, wohin fahren wir zuerst? Wir fahren zuerst einmal -
warten Sie - - ja: vielleicht in den  Baumgarten, oder kurz: irgendwohin ins
Freie, wo man  so recht das Keimen und heimliche Sprossen in  der Luft ahnt.
Kommen Sie, kommen Sie, nehmen Sie Ihren Hut;  und dann essen Sie bei mir, -
und dann schw€tzen wir  bis abends. Nehmen Sie doch Ihren Hut! Worauf warten
Sie denn? - Eine warme,  ganz weiche Decke ist unten: da wickeln wir uns ein
bis an die Ohren und kuscheln uns zusammen, bis uns siedhei wird."
     Was sollte ich  nur  sagen?! "Soeben  habe ich mit  der Tochter  meines
Freundes eine Spazierfahrt verabredet - -"
     Mirjam hatte  sich bereits  hastig von Angelina verabschiedet, noch ehe
ich aussprechen konnte.
     Ich  begleitete  sie  bis  vor  die  Tìr,  obschon  sie mich freundlich
abwehren wollte.
     "Hæren Sie mich an, Mirjam, ich kann es Ihnen hier auf der Treppe nicht
so sagen, wie ich an Ihnen h€nge - - und da ich tausendmal lieber mit Ihnen
- -"
     "Sie dìrfen die Dame nicht warten lassen, Herr  Pernath,"  dr€ngte sie,
"adieu und viel Vergnìgen!"
     Sie sagte es voll Herzlichkeit und unverstellt und  echt, aber ich sah,
da der Glanz in ihren Augen erloschen war.
     Sie eilte  die Treppe hinunter,  und  das  Leid schnìrte mir  die Kehle
zusammen.
     Mir war, als h€tte ich eine Welt verloren.
     "Wissen Sie, Mirjam, da  ich  soeben zu Ihnen hinuntergehen wollte und
Sie bitten,  eine  Spazierfahrt  mit  mir zu machen?" Es war nicht  ganz die
Wahrheit, aber ich machte mir weiter keine Gedanken darìber.  - "Nicht wahr,
Sie schlagen es mir  nicht ab?! Ich bin heute  so unendlich froh im  Herzen,
da Sie, gerade Sie, Mirjam, meiner Freude die Krone aufsetzen mìssen."
     "-  spazierenfahren?",  wiederholte sie derart verblìfft, da  ich laut
auflachen mute.
     "Ist denn der Vorschlag gar so wunderbar?"
     "Nein, nein, aber -  -," sie suchte nach Worten,  "unerhært merkwìrdig.
Spazierenfahren!"
     "Durchaus   nicht   merkwìrdig,  wenn  Sie  sich   vorhalten,   da  es
Hunderttausende  von  Menschen  tun  -  eigentlich  ihr ganzes Leben  nichts
anderes tun."
     "Ja, andere Menschen!" gab sie, immer noch vollst€ndig ìberrumpelt, zu.
     Ich fate ihre beiden H€nde:
     "Was andere  Menschen an  Freude erleben  dìrfen, mæchte ich,  da Sie,
Mirjam, in noch unendlich viel reicherem Mae genieen."
     Sie wurde plætzlich leichenbla,  und ich sah  an der  starren Taubheit
ihres Blickes, woran sie dachte. Es gab mir einen Stich.
     "Sie  dìrfen es nicht immer mit sich  herumtragen,  Mirjam," redete ich
ihr zu, "das - das Wunder. Wollen Sie mir das nicht versprechen  - aus - aus
Freundschaft?"
     Sie hærte die Angst aus meinen Worten und blickte mich erstaunt an.
     "Wenn es Sie nicht so angriffe, kænnte  ich mich mit Ihnen freuen, aber
so? Wissen Sie,  da ich tief besorgt bin um  Sie, Mirjam? -  Um -  um - wie
soll  ich nur  sagen? - um  Ihre seelische Gesundheit! Fassen Sie  es  nicht
wærtlich auf, aber -: ich wollte, das Wunder w€re nie geschehen."
     Ich  erwartete, sie wìrde mir widersprechen,  aber  sie nickte  nur  in
Gedanken versunken.
     "Es verzehrt Sie. Habe ich nicht recht, Mirjam?" Sie raffte sich auf:
     "Manchmal mæchte ich beinahe auch, es w€re nicht geschehen."
     Es  klang wie  ein  Hoffnungsstrahl fìr mich.  -  "Wenn ich mir  denken
soll,"  sie  sprach  ganz  langsam  und  traumverloren,  "da Zeiten  kommen
kænnten, wo ich ohne solche Wunder leben mìte - - -."
     "Sie kænnen doch ìber  Nacht  reich werden und brauchen dann nicht mehr
-,"  fuhr ich ihr unbedacht in die Rede, hielt aber rasch inne, als ich  das
Entsetzen  in ihrem Gesicht bemerkte, - "ich meine: Sie kænnen plætzlich auf
natìrliche Weise Ihrer  Sorgen enthoben werden, und die Wunder, die Sie dann
erleben, wìrden geistiger Art sein: - innere Erlebnisse."
     Sie schìttelte den Kopf  und sagte hart: "Innere Erlebnisse sind  keine
Wunder. Erstaunlich  genug, da es Menschen zu geben  scheint, die ìberhaupt
keine  haben.  - Seit meiner Kindheit, Tag fìr Tag, Nacht  fìr Nacht, erlebe
ich -" (sie  brach mit einem Ruck ab, und ich erriet, da noch etwas anderes
in ihr war, von  dem sie  mir  nie gesprochen  hatte,  vielleicht  das Weben
unsichtbarer  Geschehnisse, €hnlich den meinigen)  -  "aber das gehært nicht
hierher.  Selbst,  wenn  einer  aufstìnde  und  machte Kranke  gesund  durch
Handauflegen, ich kænnte es kein Wunder nennen. Erst, wenn der leblose Stoff
- die Erde  - beseelt wird vom  Geist und die Gesetze  der Natur zerbrechen,
dann ist  das geschehen, wonach ich mich sehne, seit ich denken  kann. - Mir
hat einmal mein Vater gesagt: es g€be zwei Seiten der Kabbala: eine magische
und eine  abstrakte, die sich niemals zur Deckung bringen lieen. Wohl kænne
die magische die  abstrakte an sich ziehen,  aber  nie und nimmer umgekehrt.
Die magische ist ein  Geschenk,  die andere  kann errungen werden, wenn auch
nur  mit Hilfe eines Fìhrers."  Sie  nahm den ersten Faden wieder  auf: "Das
Geschenk  ist es,  nach dem ich dìrste;  was  ich mir erringen kann, ist mir
gleichgìltig und  wertlos wie Staub. Wenn ich  mir  denken soll,  es kænnten
Zeiten kommen,  sagte  ich  vorhin, wo  ich wieder ohne  diese  Wunder leben
mìte," -  ich  sah,  wie  sich ihre Finger  krampften  und Reue und  Jammer
zerfleischten mich,  - "ich glaube,  ich  sterbe jetzt  schon angesichts der
bloen Mæglichkeit."
     "Ist  das der Grund, weshalb  auch  Sie wìnschten, das  Wunder w€re nie
geschehen?", forschte ich.
     "Nur zum Teil. Es ist  noch etwas anderes da. Ich - ich - ", sie dachte
einen Augenblick nach, "war noch nicht reif dazu, ein Wunder  in dieser Form
zu erleben. Das ist  es. Wie soll ich  es Ihnen  erkl€ren? Nehmen Sie einmal
an, blo  als Beispiel,  ich h€tte seit  Jahren jede Nacht ein und denselben
Traum, der sich immer weiter fortspinnt und in dem  mich jemand - sagen wir:
ein  Bewohner einer  andern  Welt -  belehrt  und  mir  nicht nur  an  einem
Spiegelbilde von mir selbst und seinen allm€hlichen Ver€nderungen zeigt, wie
weit  ich von der  magischen Reife, ein Wunder erleben zu kænnen, entfernt
bin, sondern: mir  auch in Verstandesfragen, wie  sie  mich  einmal tagsìber
besch€ftigen, derart Aufschlu gibt,  da ich  es jederzeit nachprìfen kann.
Sie werden mich  verstehen:  Ein solches Wesen ersetzt einem an Glìck alles,
was sich auf  Erden ausdenken l€t; es ist fìr mich die Brìcke, die mich mit
dem  Drìben verbindet, ist  die Jakobsleiter, auf der  ich  mich  ìber die
Dunkelheit des Alltags erheben kann ins  Licht, - ist mir Fìhrer und Freund,
und  alle meine  Zuversicht, da ich mich auf den  dunkeln Wegen,  die meine
Seele  geht, nicht verirren  kann in Wahnsinn  und Finsternis, setze ich auf
ihn, der mich noch nie belogen hat.  -  Da  mit einem Mal, entgegen allem,
was er mir gesagt hat, kreuzt  ein  Wunder mein Leben!  Wem soll ich jetzt
glauben? War das, was mich die vielen Jahre ìber ununterbrochen erfìllt hat,
eine T€uschung? Wenn ich daran zweifeln mìte, ich stìrzte kopfìber in einen
bodenlosen  Abgrund.  -  Und  doch  ist  das  Wunder  geschehen!  Ich  wìrde
aufjauchzen vor Freude, wenn -"
     "Wenn  - - -?" unterbrach ich sie atemlos. Vielleicht sprach sie selbst
das erlæsende Wort, und ich konnte ihr alles eingestehen.
     "- wenn ich erfìhre, da ich mich geirrt habe, - da es gar kein Wunder
war! Aber ich  wei so genau, wie  ich wei, da ich  hier sitze, ich  ginge
zugrunde daran"; (mir  blieb das  Herz stehen) - "zurìckgerissen werden, vom
Himmel wieder herab mìssen  auf die Erde? Glauben Sie,  da  das  ein Mensch
ertragen kann?"
     "Bitten Sie doch Ihren Vater um Hilfe", sagte ich ratlos vor Angst.
     "Meinen Vater? Um Hilfe?" - sie blickte mich verst€ndnislos an - "wo es
nur  zwei Wege  fìr mich  gibt, kann  er da einen dritten finden? - - Wissen
Sie, was die einzige Rettung fìr mich w€re? Wenn mir das gesch€he, was Ihnen
geschehen ist. Wenn ich  in dieser Minute alles,  was hinter mir liegt: mein
ganzes  Leben  bis zum  heutigen Tag -  vergessen  kænnte.  -  Ist  es nicht
merkwìrdig: was Sie als Unglìck empfinden, w€re fìr mich das hæchste Glìck!"
     Wir  schwiegen  beide noch eine  lange Zeit. Dann ergriff sie plætzlich
meine Hand und l€chelte. Beinahe fræhlich.
     "Ich will nicht, da Sie sich meinetwegen gr€men;" - (sie træstete mich
- mich!) - "vorhin  waren Sie so voll  Freude  und Glìck  ìber den  Frìhling
drauen, und jetzt sind  Sie die Betrìbnis selbst. Ich h€tte Ihnen ìberhaupt
nichts sagen  sollen.  Reien Sie  es aus Ihrem  Ged€chtnis  und denken  Sie
wieder so heiter wie vorhin! - Ich bin ja so froh -"
     "Sie? Froh? Mirjam?", unterbrach ich sie bitter.
     Sie  machte ein  ìberzeugtes Gesicht: "Ja! Wirklich!  Froh!  Als ich zu
Ihnen  heraufging,  war ich  so unbeschreiblich €ngstlich, -  ich wei nicht
warum: ich konnte das Gefìhl nicht loswerden, da Sie in einer groen Gefahr
schweben",  -  ich  horchte auf -  "aber, statt mich darìber  zu freuen, Sie
gesund und wohlauf zu treffen, habe ich Sie angeunkt und - -"
     Ich zwang mich zur Lustigkeit: "und das  kænnen Sie nur gutmachen, wenn
Sie mit  mir ausfahren." (Ich bemìhte mich, so viel bermut  wie  mæglich in
meine Stimme zu  legen:)  "Ich mæchte doch einmal sehen, Mirjam,  ob es  mir
nicht gelingt, Ihnen die trìben Gedanken zu verscheuchen. Sagen Sie, was Sie
wollen: Sie sind noch lange kein €gyptischer Zauberer, sondern vorl€ufig nur
ein junges M€dchen,  dem  der  Tauwind  noch manchen  bæsen Streich  spielen
kann."
     Sie wurde plætzlich ganz lustig:
     "Ja, was ist  denn das  heute mit  Ihnen, Herr Pernath? So hab' ich Sie
noch  nie  gesehen!  -  brigens  Tauwind:  bei  uns  Judenm€dchen  lenken
bekanntlich die  Eltern den Tauwind, und wir haben nur zu gehorchen. Tuen es
natìrlich auch. Es steckt uns schon so im Blut. - Mir  ja nicht", setzte sie
ernsthafter  hinzu, "meine Mutter hat bæs gestreikt, als sie den  gr€lichen
Aaron Wassertrum heiraten sollte."
     "Was? Ihre Mutter? Den Trædler da unten?"
     Mirjam nickte. "Gott sei Dank ist es nicht zustande gekommen. - Fìr den
armen Menschen freilich war es ein vernichtender Schlag."
     "Armer Mensch, sagen Sie?" fuhr ich auf. "Der Kerl ist ein Verbrecher."
     Sie wiegte nachdenklich den Kopf: "Gewi, er  ist  ein Verbrecher. Aber
wer  in  einer solchen Haut steckt und kein Verbrecher wird, mu ein Prophet
sein."
     Ich rìckte neugierig n€her;
     "Wissen  Sie Genaueres  ìber  ihn?  Mich  interessiert  das.  Aus  ganz
besonderen - -"
     "Wenn Sie einmal  seinen  Laden von innen gesehen h€tten, Herr Pernath,
wìten Sie sofort, wie es  in seiner Seele ausschaut. Ich sage das, weil ich
als Kind sehr oft drin  war. - Warum sehen Sie mich so erstaunt an? Ist denn
das  so  merkwìrdig?  - Gegen mich war er immer freundlich und gìtig. Einmal
sogar, erinnere ich mich, schenkte er mir einen groen blitzenden Stein, der
mir besonders unter seinen Sachen gefallen hatte. Meine Mutter sagte, es sei
ein Brillant, und ich mute ihn natìrlich sofort zurìcktragen.
     Erst wollte er ihn lange  nicht wiedernehmen, aber dann ri  er ihn mir
aus  der Hand  und warf ihn voll  Wut weit  von sich. Ich habe  aber dennoch
gesehen, wie  ihm dabei die Tr€nen  aus den Augen  stìrzten; ich konnte auch
damals  schon genug  Hebr€isch, um zu verstehen, was er murmelte: Alles ist
verflucht, was meine Hand berìhrt. - -  Es war das  letzte Mal, da ich ihn
besuchen durfte. Nie  wieder  hat  er mich seitdem  aufgefordert, zu ihm  zu
kommen. Ich wei auch warum: H€tte ich  ihn nicht zu træsten versucht,  w€re
alles beim alten geblieben, so aber, weil er mir unendlich leid tat  und ich
es  ihm sagte, wollte er  mich nicht  mehr  sehen. - -  - Sie  verstehen das
nicht, Herr Pernath? Es  ist doch so einfach:  er ist  ein Besessener, - ein
Mensch, der sofort mitrauisch,  unheilbar mitrauisch wird, wenn jemand  an
sein  Herz  rìhrt.  Er  h€lt  sich  fìr  noch  viel  h€licher,  als  er  in
Wirklichkeit ist, - wenn das ìberhaupt mæglich sein  kann, und darin wurzelt
sein ganzes  Denken und Handeln. Man sagt, seine Frau h€tte ihn gern gehabt,
vielleicht war  es mehr  Mitleid als  Liebe, aber immerhin glaubten  es sehr
viele Leute. Der  einzige, der vom Gegenteil tief durchdrungen  war, war er.
berall wittert er Verrat und Ha.
     Nur bei seinem Sohn  machte er eine Ausnahme.  Ob es  daher kam, da er
ihn vom  S€uglingsalter an hatte  heranwachsen sehen, also das Keimen  jeder
Eigenschaft von Urbeginn in dem Kinde sozusagen miterlebte und daher nie  zu
einem Punkte gelangte, wo sein  Mitrauen h€tte einsetzen kænnen, oder ob es
im jìdischen Blute lag:  alles, was  an  Liebesf€higkeit  in ihm lebte,  auf
seinen Nachkommen  auszugieen - in jener instinktiven Furcht unserer Rasse:
wir kænnten  aussterben  und eine Mission nicht  erfìllen, die wir vergessen
haben, die aber dunkel in uns fortlebt, - wer kann das wissen!
     Mit  einer Umsicht, die beinahe  an Weisheit  grenzte,  und  bei  einem
unbelesenen Menschen, wie er, wunderbar ist, leitete er die Erziehung seines
Sohnes.  Mit  dem  Scharfsinn eines Psychologen r€umte  er dem  Kinde  jedes
Erlebnis aus dem  Wege,  das  zur Entwicklung der  Gewissenst€tigkeit  h€tte
beitragen kænnen, um ihm kìnftige seelische Leiden zu ersparen.
     Er hielt ihm als Lehrer einen hervorragenden Gelehrten, der die Ansicht
verfocht,  die  Tiere  seien empfindungslos  und  ihre  Schmerz€uerung  ein
mechanischer Reflex.
     Aus   jedem   Geschæpf  so  viel  Freude  und  Genu  fìr  sich  selbst
herauspressen,  wie  nur  irgend  mæglich,  und dann die Schale  sofort  als
nutzlos  wegzuwerfen:  das  war  ungef€hr  das  Abc  seines   weitblickenden
Erziehungssystems.
     Da das Geld als Standarte und  Schlìssel zur Macht dabei eine  erste
Rolle spielte, kænnen Sie sich denken,  Herr  Pernath. Und  so wie er selbst
den eigenen Reichtum  sorgsam geheim h€lt, um die  Grenzen seines Einflusses
in Dunkel zu hìllen, so ersann er sich  ein Mittel, seinem Sohn hnliches zu
ermæglichen, ihm aber gleichzeitig die Qual eines scheinbar €rmlichen Lebens
zu ersparen:  er durchtr€nkte  ihn  mit  der  infernalischen  Lìge  von  der
Schænheit,  brachte ihm die €uere und  innere Geb€rde  der sthetik  bei,
lehrte  ihn €uerlich:  die Lilie auf  dem Felde heucheln und innerlich  ein
Aasgeier sein.
     Natìrlich war das mit der  Schænheit wohl  kaum  eigene Erfindung von
ihm - vermutlich die Verbesserung eines Ratschlags, den ihm ein Gebildeter
gegeben hatte.
     Da ihn sein Sohn sp€ter verleugnete, wo und  wann er nur  konnte, nahm
er niemals  ìbel. Im  Gegenteil, er machte es  ihm  zur  Pflicht: denn seine
Liebe war  selbstlos, und wie ich  es schon einmal von meinem Vater sagte: -
von der Art, die ìbers Grab hinausgeht."
     Mirjam schwieg  einen  Augenblick  und  ich sah ihr  an,  wie  sie ihre
Gedanken stumm weiterspann, hærte  es an dem ver€nderten Klang ihrer Stimme,
als sie sagte:
     "Seltsame Frìchte wachsen auf dem Baume des Judentums."
     "Sagen Sie,  Mirjam,"  fragte ich,  "haben Sie  nie  davon  gehært, da
Wassertrum eine  Wachsfigur in seinem Laden stehen hat? Ich wei nicht mehr,
wer es mir erz€hlt hat, - es war vielleicht nur ein Traum - -"
     "Nein,  nein,  es  ist  schon  richtig, Herr Pernath:  eine lebensgroe
Wachsfigur steht in der Ecke, in der er, mitten unter dem tollsten Gerìmpel,
auf seinem Strohsack schl€ft. Er hat sie vor Jahren einem Schaubudenbesitzer
abgewuchert,  heit  es, blo  weil  sie  einem  M€dchen - einer  Christin -
€hnlich sah, die angeblich einmal seine Geliebte gewesen sein soll."
     "Charouseks Mutter!" dr€ngte es sich mir auf.
     "Ihren Namen wissen Sie nicht, Mirjam?"
     Mirjam  schìttelte den Kopf. "Wenn Ihnen daran liegt,  - soll ich  mich
erkundigen?"
     "Ach Gott, nein, Mirjam; es ist  mir vollkommen gleichgìltig", (ich sah
an ihren blitzenden Augen,  da sie sich in  Eifer geredet hatte. Sie durfte
nicht wieder zu  sich kommen, nahm  ich mir vor),  "aber was mich viel  mehr
interessiert,  ist das  Gebiet,  von dem Sie vorhin  flìchtig  sprachen. Ich
meine  das  vom  Tauwind.  -  Ihr  Vater  wìrde  Ihnen  doch  gewi  nicht
vorschreiben, wen Sie heiraten sollen?"
     Sie lachte lustig auf. "Mein Vater? Wo denken Sie hin!"
     "Nun, das ist ein groes Glìck fìr mich."
     "Wieso?" fragte sie arglos.
     "Weil ich dann noch Chancen habe."
     Es war nur ein Scherz, und sie nahm es auch nicht anders hin, aber doch
sprang sie rasch auf  und  ging ans Fenster,  um mich nicht sehen zu lassen,
da sie rot wurde.
     Ich lenkte ein, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen:
     "Das  eine  bitte  ich  mir  aus  als  alter  Freund:  Mich  mìssen Sie
einweihen, wenn's einmal so weit ist. - Oder gedenken Sie ìberhaupt ledig zu
bleiben?"
     "Nein!  nein!   nein!"  -  sie  wehrte  so  entschlossen  ab,  da  ich
unwillkìrlich l€chelte - "einmal mu ich ja doch heiraten."
     "Natìrlich! Selbstverst€ndlich!"
     Sie wurde nervæs wie ein Backfisch.
     "Kænnen Sie denn nicht eine Minute ernsthaft  bleiben, Herr Pernath?" -
Ich  machte gehorsam ein Lehrergesicht, und sie setzte sich wieder. - "Also:
wenn ich sage, ich mu doch einmal heiraten, so meine ich damit, da ich mir
zwar bis jetzt den Kopfìber  die n€heren Umst€nde nicht zerbrochen habe, den
Sinn des Lebens aber gewi nicht verstìnde, wenn ich annehmen wìrde, ich sei
als Weib auf die Welt gekommen, um kinderlos zu bleiben."
     Das erste Mal,  seit ich sie kannte,  sah ich das Frauenhafte in  ihren
Zìgen.
     "Es  gehært  mit   zu  meinen  Tr€umen",  fuhr  sie  leise  fort,  "mir
vorzustellen, da es ein Endziel sei, wenn zwei Wesen zu einem verschmelzen,
- zu dem, was - - haben Sie nie von dem €gyptischen Osiriskult gehært?  - zu
dem verschmelzen, was der Hermaphrodit als Symbol bedeuten mag."
     Ich horchte gespannt auf: "Der Hermaphrodit -?"
     "Ich meine:  Die  magische  Vereinigung  von m€nnlich und  weiblich  im
Menschengeschlecht  zu  einem  Halbgott.  Als  Endziel! -  Nein,  nicht  als
Endziel, als Beginn eines neuen Weges, der ewig ist - kein Ende hat."
     "Und  hoffen  Sie,   dereinst  denjenigen   zu   finden,"   fragte  ich
erschìttert, "den Sie suchen? - Kann es nicht  sein, da er in  einem fernen
Land lebt, vielleicht gar nicht auf Erden ist?"
     "Davon wei ich nichts"; sagte sie einfach, "ich  kann nur warten. Wenn
er durch Zeit und Raum von mir getrennt ist, - was ich nicht glaube, weshalb
w€re  ich  dann  hier  im  Getto  angebunden?  -  oder   durch   die  Klìfte
gegenseitigen Nichterkennens - und  ich finde ihn nicht, dann hat mein Leben
keinen Zweck gehabt und war das gedankenlose Spiel eines idiotischen D€mons.
- Aber, bitte, bitte, reden wir nicht mehr davon," flehte sie, "wenn man den
Gedanken  nur  ausspricht,  bekommt  er  schon  einen  h€lichen,  irdischen
Beigeschmack, und ich mæchte nicht -"
     Sie brach plætzlich ab.
     "Was mæchten Sie nicht, Mirjam?"
     Sie hob die Hand. Stand rasch auf und sagte:
     "Sie bekommen Besuch, Herr Pernath!"
     Seidenkleider raschelten auf dem Gang.
     Ungestìmes Klopfen. Dann:
     Angelina!
     Mirjam wollte gehen; ich hielt sie zurìck:
     "Darf  ich vorstellen: die Tochter eines lieben  Freundes - Frau Gr€fin
-"
     "Nicht   einmal  vorfahren  kann  man   mehr.   berall   das  Pflaster
aufgerissen. Wann werden Sie  einmal in eine menschenwìrdige Gegend siedeln,
Meister Pernath? Drauen schmilzt der Schnee und der  Himmel  jubelt, da es
einem  die Brust zersprengt,  und Sie hocken  hier in Ihrer Tropfsteingrotte
wie ein alter  Frosch, - -  ìbrigens wissen Sie,  da ich gestern bei meinem
Juwelier  war und  er gesagt hat: Sie seien der græte Kìnstler, der feinste
Gemmenschneider,  den es heute gibt,  wenn nicht  einer der  græten, die je
gelebt  haben?!"  - Angelina  plauderte  wie ein  Wasserfall,  und  ich  war
verzaubert. Sah nur mehr ihre strahlenden, blauen Augen, die kleinen Fìe in
den  winzigen  Lackstiefeln,  sah  das kapriziæse  Gesicht aus dem Wust  von
Pelzwerk leuchten und die rosigen Ohrl€ppchen.
     Sie lie sich kaum Zeit auszuatmen.
     "An  der Ecke  steht mein Wagen.  Ich  hatte schon Angst, Sie nicht  zu
Hause  zu treffen. Sie haben doch hoffentlich noch nicht zu Mittag gegessen?
Wir fahren zuerst  - ja, wohin fahren wir zuerst? Wir fahren zuerst einmal -
warten Sie - - ja: vielleicht in den  Baumgarten, oder kurz: irgendwohin ins
Freie, wo man  so recht das Keimen und heimliche Sprossen in  der Luft ahnt.
Kommen Sie, kommen Sie, nehmen Sie Ihren Hut;  und dann essen Sie bei mir, -
und dann schw€tzen wir  bis abends. Nehmen Sie doch Ihren Hut! Worauf warten
Sie denn? - Eine warme,  ganz weiche Decke ist unten: da wickeln wir uns ein
bis an die Ohren und kuscheln uns zusammen, bis uns siedhei wird."
     Was sollte ich  nur  sagen?! "Soeben  habe ich mit  der Tochter  meines
Freundes eine Spazierfahrt verabredet - -"
     Mirjam hatte  sich bereits  hastig von Angelina verabschiedet, noch ehe
ich aussprechen konnte.
     Ich  begleitete  sie  bis  vor  die  Tìr,  obschon  sie mich freundlich
abwehren wollte.
     "Hæren Sie mich an, Mirjam, ich kann es Ihnen hier auf der Treppe nicht
so sagen, wie ich an Ihnen h€nge - - und da ich tausendmal lieber mit Ihnen
- -"
     "Sie dìrfen die Dame nicht warten lassen, Herr  Pernath,"  dr€ngte sie,
"adieu und viel Vergnìgen!"
     Sie sagte es voll Herzlichkeit und unverstellt und  echt, aber ich sah,
da der Glanz in ihren Augen erloschen war.
     Sie eilte  die Treppe hinunter,  und  das  Leid schnìrte mir  die Kehle
zusammen.
     Mir war, als h€tte ich eine Welt verloren.
      Wie im  Rausch sa ich an Angelinas Seite.  Wir fuhren in rasendem Trab
durch die menschenìberfìllten Straen.
     Eine Brandung des Lebens rings um mich, da ich, halb bet€ubt, nur noch
die  kleinen   Lichtflecke  in  dem  Bilde,  das  an   mir   vorìberhuschte,
unterscheiden  konnte: blitzende Juwelen in Ohrringen und Muffketten, blanke
Zylinderhìte, weie  Damenhandschuhe, einen Pudel mit rosa Halsschleife, der
kl€ffend   in   die  R€der  beien   wollte,  sch€umende  Rappen,   die  uns
entgegensausten in silbernen Geschirren, ein  Ladenfenster, drin schimmernde
Schalen  voll Perlschnìren  und  funkelnden  Geschmeiden,  -  Seidenglanz um
schlanke M€dchenhìften.
     Der scharfe Wind, der uns ins Gesicht  schnitt, lie mich die W€rme von
Angelinas Kærper doppelt sinnverwirrend empfinden.
     Die Schutzleute an den Kreuzungen sprangen respektvoll zur Seite,  wenn
wir an ihnen vorìberjagten.
     Dann ging's im Schritt ìber das Quai, das eine einzige  Wagenreihe war,
an der eingestìrzten steinernen Brìcke vorbei, umstaut vom Gewìhl  gaffender
Gesichter.
     Ich blickte kaum hin: - das kleinste Wort aus dem Munde Angelinas, ihre
Wimpern,  das eilige Spiel  ihrer Lippen, - alles, alles  war mir  unendlich
viel  wichtiger,  als  zuzusehen,  wie  die   Felstrìmmer   dort  unten  den
antaumelnden Eisschollen die Schultern entgegenstemmten. -
     Parkwege. Dann - gestampfte, elastische  Erde. Dann Laubrascheln  unter
den  Hufen  der  Pferde,  nasse  Luft,   bl€tterlose   Baumriesen  voll  von
Kr€hennestern, totes  Wiesengrìn mit weilichen Inseln schwindenden Schnees,
alles zog an mir vorbei wie getr€umt.
     Nur mit ein paar kurzen Worten, fast gleichgìltig, kam Angelina auf Dr.
Savioli zu sprechen.
     "Jetzt,  wo  die  Gefahr  vorìber  ist",  sagte  sie  mit entzìckender,
kindlicher  Unbefangenheit,  "und ich  wei,  da es ihm auch wieder  besser
geht, kommt mir alles das,  was ich mitgemacht  habe, so gr€lich langweilig
vor.  - Ich  will mich endlich einmal wieder freuen, die Augen  zumachen und
untertauchen in dem glitzernden Schaum des Lebens. Ich glaube,  alle  Frauen
sind so. Sie  gestehen es blo nicht ein. Oder sie sind so dumm,  da sie es
selbst nicht wissen. Meinen  Sie nicht auch?" Sie  hærte gar nicht hin,  was
ich   darauf   antwortete.  "brigens   sind   mir  die  Frauen  vollst€ndig
uninteressant.  Sie dìrfen  es natìrlich  nicht als Schmeichelei  auffassen:
aber  -  wahrhaftig, die bloe  N€he eines  sympathischen Mannes ist mir  im
kleinen  Finger  lieber  als das  anregendste  Gespr€ch  mit  einer noch  so
gescheiten  Frau. Es ist ja schlielich doch alles  dummes Zeug, was man  da
zusammenschw€tzt. - Hæchstens: das bichen Putz - na und! Die Moden wechseln
ja  nicht gar so h€ufig. - - Nicht wahr, ich bin  leichtsinnig?", fragte sie
plætzlich  kokett,  da ich  mich, bestrickt  von ihrem Reiz, zusammennehmen
mute, nicht  ihr  Kæpfchen zwischen meine  H€nde zu nehmen  und sie in  den
Nacken zu kìssen, - "sagen Sie, da ich leichtsinnig bin!"
     Sie schmiegte sich noch dichter an und h€ngte sich in mich ein.
     Wir   fuhren   aus  der   Allee  heraus   an   Bosketts   entlang   mit
strohumwickelten Zierstauden, die  aussahen  in ihren Hìllen  wie Rìmpfe von
Ungeheuern mit abgehauenen Gliedern und H€uptern.
     Leute saen auf B€nken in der Sonne und  blickten hinter uns  drein und
steckten die Kæpfe zusammen.
     Wir  schwiegen eine  Weile und hingen  unseren Gedanken  nach. Wie  war
Angelina  doch so vollst€ndig anders, als sie  bisher in  meiner  Einbildung
gelebt hatte! - Als sei sie erst heute fìr mich in die Gegenwart gerìckt!
     War  das  wirklich  dieselbe  Frau, die  ich damals  in  der  Domkirche
getræstet hatte?
     Ich konnte den Blick nicht wenden von ihrem halboffenen Mund.
     Sie sprach noch immer kein Wort. Schien im Geiste ein Bild zu sehen.
     Der Wagen bog ìber eine feuchte Wiese.
     Es roch nach erwachender Erde.
     "Wissen Sie, - - Frau - -?"
     "Nennen Sie mich doch Angelina", unterbrach sie mich leise.
     "Wissen Sie, Angelina, da  - da ich heute die  ganze Nacht von  Ihnen
getr€umt habe?", stie ich gepret hervor.
     Sie  machte eine  kleine rasche  Bewegung, als wolle sie  ihren Arm aus
meinem  ziehen, und sah mich gro an. "Merkwìrdig! Und ich  von Ihnen! - Und
in diesem Moment habe ich dasselbe gedacht."
     Wieder  stockte  das Gespr€ch, und beide  errieten  wir,  da  wir auch
dasselbe getr€umt hatten.
     Ich fìhlte es an dem Beben ihres Blutes. Ihr Arm zitterte kaum merklich
an meiner Brust. Sie blickte  krampfhaft von mir weg aus dem Wagen hinaus. -
- -
     Langsam zog  ich  ihre  Hand  an  meine Lippen,  streifte  den  weien,
duftenden Handschuh  zurìck, hærte, wie  ihr Atem  heftig wurde, und  prete
toll vor Liebe meine Z€hne in ihren Handballen.
     Wie im  Rausch sa ich an Angelinas Seite.  Wir fuhren in rasendem Trab
durch die menschenìberfìllten Straen.
     Eine Brandung des Lebens rings um mich, da ich, halb bet€ubt, nur noch
die  kleinen   Lichtflecke  in  dem  Bilde,  das  an   mir   vorìberhuschte,
unterscheiden  konnte: blitzende Juwelen in Ohrringen und Muffketten, blanke
Zylinderhìte, weie  Damenhandschuhe, einen Pudel mit rosa Halsschleife, der
kl€ffend   in   die  R€der  beien   wollte,  sch€umende  Rappen,   die  uns
entgegensausten in silbernen Geschirren, ein  Ladenfenster, drin schimmernde
Schalen  voll Perlschnìren  und  funkelnden  Geschmeiden,  -  Seidenglanz um
schlanke M€dchenhìften.
     Der scharfe Wind, der uns ins Gesicht  schnitt, lie mich die W€rme von
Angelinas Kærper doppelt sinnverwirrend empfinden.
     Die Schutzleute an den Kreuzungen sprangen respektvoll zur Seite,  wenn
wir an ihnen vorìberjagten.
     Dann ging's im Schritt ìber das Quai, das eine einzige  Wagenreihe war,
an der eingestìrzten steinernen Brìcke vorbei, umstaut vom Gewìhl  gaffender
Gesichter.
     Ich blickte kaum hin: - das kleinste Wort aus dem Munde Angelinas, ihre
Wimpern,  das eilige Spiel  ihrer Lippen, - alles, alles  war mir  unendlich
viel  wichtiger,  als  zuzusehen,  wie  die   Felstrìmmer   dort  unten  den
antaumelnden Eisschollen die Schultern entgegenstemmten. -
     Parkwege. Dann - gestampfte, elastische  Erde. Dann Laubrascheln  unter
den  Hufen  der  Pferde,  nasse  Luft,   bl€tterlose   Baumriesen  voll  von
Kr€hennestern, totes  Wiesengrìn mit weilichen Inseln schwindenden Schnees,
alles zog an mir vorbei wie getr€umt.
     Nur mit ein paar kurzen Worten, fast gleichgìltig, kam Angelina auf Dr.
Savioli zu sprechen.
     "Jetzt,  wo  die  Gefahr  vorìber  ist",  sagte  sie  mit entzìckender,
kindlicher  Unbefangenheit,  "und ich  wei,  da es ihm auch wieder  besser
geht, kommt mir alles das,  was ich mitgemacht  habe, so gr€lich langweilig
vor.  - Ich  will mich endlich einmal wieder freuen, die Augen  zumachen und
untertauchen in dem glitzernden Schaum des Lebens. Ich glaube,  alle  Frauen
sind so. Sie  gestehen es blo nicht ein. Oder sie sind so dumm,  da sie es
selbst nicht wissen. Meinen  Sie nicht auch?" Sie  hærte gar nicht hin,  was
ich   darauf   antwortete.  "brigens   sind   mir  die  Frauen  vollst€ndig
uninteressant.  Sie dìrfen  es natìrlich  nicht als Schmeichelei  auffassen:
aber  -  wahrhaftig, die bloe  N€he eines  sympathischen Mannes ist mir  im
kleinen  Finger  lieber  als das  anregendste  Gespr€ch  mit  einer noch  so
gescheiten  Frau. Es ist ja schlielich doch alles  dummes Zeug, was man  da
zusammenschw€tzt. - Hæchstens: das bichen Putz - na und! Die Moden wechseln
ja  nicht gar so h€ufig. - - Nicht wahr, ich bin  leichtsinnig?", fragte sie
plætzlich  kokett,  da ich  mich, bestrickt  von ihrem Reiz, zusammennehmen
mute, nicht  ihr  Kæpfchen zwischen meine  H€nde zu nehmen  und sie in  den
Nacken zu kìssen, - "sagen Sie, da ich leichtsinnig bin!"
     Sie schmiegte sich noch dichter an und h€ngte sich in mich ein.
     Wir   fuhren   aus  der   Allee  heraus   an   Bosketts   entlang   mit
strohumwickelten Zierstauden, die  aussahen  in ihren Hìllen  wie Rìmpfe von
Ungeheuern mit abgehauenen Gliedern und H€uptern.
     Leute saen auf B€nken in der Sonne und  blickten hinter uns  drein und
steckten die Kæpfe zusammen.
     Wir  schwiegen eine  Weile und hingen  unseren Gedanken  nach. Wie  war
Angelina  doch so vollst€ndig anders, als sie  bisher in  meiner  Einbildung
gelebt hatte! - Als sei sie erst heute fìr mich in die Gegenwart gerìckt!
     War  das  wirklich  dieselbe  Frau, die  ich damals  in  der  Domkirche
getræstet hatte?
     Ich konnte den Blick nicht wenden von ihrem halboffenen Mund.
     Sie sprach noch immer kein Wort. Schien im Geiste ein Bild zu sehen.
     Der Wagen bog ìber eine feuchte Wiese.
     Es roch nach erwachender Erde.
     "Wissen Sie, - - Frau - -?"
     "Nennen Sie mich doch Angelina", unterbrach sie mich leise.
     "Wissen Sie, Angelina, da  - da ich heute die  ganze Nacht von  Ihnen
getr€umt habe?", stie ich gepret hervor.
     Sie  machte eine  kleine rasche  Bewegung, als wolle sie  ihren Arm aus
meinem  ziehen, und sah mich gro an. "Merkwìrdig! Und ich  von Ihnen! - Und
in diesem Moment habe ich dasselbe gedacht."
     Wieder  stockte  das Gespr€ch, und beide  errieten  wir,  da  wir auch
dasselbe getr€umt hatten.
     Ich fìhlte es an dem Beben ihres Blutes. Ihr Arm zitterte kaum merklich
an meiner Brust. Sie blickte  krampfhaft von mir weg aus dem Wagen hinaus. -
- -
     Langsam zog  ich  ihre  Hand  an  meine Lippen,  streifte  den  weien,
duftenden Handschuh  zurìck, hærte, wie  ihr Atem  heftig wurde, und  prete
toll vor Liebe meine Z€hne in ihren Handballen.
      -  - Stunden  sp€ter  ging ich wie ein Trunkener  durch  den Abendnebel
hinab der  Stadt zu. Planlos w€hlte ich die Straen  und ging lange, ohne es
zu wissen, im Kreise herum.
     Dann stand ich am Flu ìber eisernes Gel€nder gebeugt und starrte hinab
in die tosenden Wellen.
     Noch  immer  fìhlte  ich  Angelinas  Arme um  meinen  Nacken,  sah  das
steinerne  Becken  des  Springbrunnens,  an  dem  wir schon einmal  Abschied
voneinander  genommen  vor  vielen  Jahren,  vor   mir,  mit  den  faulenden
Ulmenbl€ttern  darin, und sie wanderte  wieder mit mir,  wie soeben erst vor
kurzem, den Kopf an  meine  Schulter  gelehnt, stumm  durch den fræsteldnen,
d€mmrigen Park ihres Schlosses.
     Ich setzte mich  auf eine  Bank und zog den Hut tief ins Gesicht, um zu
tr€umen.
     Die Wasser  brausten  ìber  das  Wehr und  ihr Rauschen verschlang  die
letzten, aufmurrenden Ger€usche der schlafengehenden Stadt.
     Wenn  ich  von  Zeit  zu  Zeit meinen  Mantel  fester  um mich zog  und
aufblickte, lag der Flu in immer tieferen Schatten, bis er endlich, von der
schweren  Nacht  erdrìckt,  schwarzgrau  dahinstræmte  und  der  Gischt  des
Staudamms als weier,  blendender  Streifen  schr€g  hinìber zum andern Ufer
lief.
     Mich  schauderte  bei  dem  Gedanken, wieder zurìck  zu mìssen in  mein
trauriges Haus.
     Der Glanz eines kurzen Nachmittags hatte mich  fìr immer  zum Fremdling
in meiner Wohnst€tte gemacht.
     Eine Spanne  von wenigen Wochen, vielleicht  nur von Tagen, dann  mute
das  Glìck vorìber sein  - und  nichts  blieb  davon als  eine wehe,  schæne
Erinnerung.
     Und dann?
     Dann war  ich heimatlos  hier  und drìben, diesseits  und jenseits  des
Flusses.
     Ich  stand  auf!  Wollte noch durch das Parkgitter einen  Blick auf das
Schlo werfen, hinter dessen  Fenstern sie schlief, ehe ich in  das finstere
Getto ging. -  - - Ich schlug die Richtung  ein, aus  der ich  gekommen war,
tappte  mich  durch  den dichten Nebel  an  H€userreihen  entlang  und  ìber
schlummernde Pl€tze, sah  schwarze  Monumente drohend auftauchen und einsame
Schilderh€user  und die  Schnærkel  von Barockfassaden.  Der  matte Schimmer
einer Laterne  wuchs  zu  riesigen,  phantastischen  Ringen  in verblichenen
Regenbogenfarben aus dem Dunst heraus, wurde zum fahlgelben, stechenden Auge
und zerging hinter mir in der Luft.
     Mein Fu tastete breite, steinerne Stufenfl€chen, mit Kies bestreut. Wo
war ich? Ein Hohlweg, der steil aufw€rts fìhrt?
     Glatte Gartenmauern links  und  rechts? Die  kahlen  ste  eines Baumes
h€ngen herìber. Sie kommen  vom  Himmel herunter:  der Stamm  verbirgt  sich
hinter der Nebelwand. -
     Ein paar morsche, dìnne Zweige  brechen krachend ab,  wie  mein Hut sie
streift, und fallen an meinem Mantel hinab  in den  nebligen grauen Abgrund,
der mir meine Fìe verbirgt.
     Dann ein strahlender Punkt: ein  einsames Licht in der Ferne - irgendwo
- r€tselhaft - zwischen Himmel und Erde. - - -
     Ich mute fehlgegangen sein. Es konnte nur die "alte Schlostiege" sein
neben den H€ngen der Fìrstenbergschen G€rten - - -
     Dann lange Strecken lehmiger Erde. - Ein gepflasterter Weg.
     Ein  massiger  Schatten  ragt hoch  auf, den  Kopf  in einer schwarzen,
steifen Zipfelmìtze: "die Daliborka" = der Hungerturm, in dem Menschen einst
verschmachteten, derweilen Kænige unten im "Hirschgraben" das Wild hetzten.
     Ein schmales, gewundenes G€chen mit Schiescharten, ein Schneckengang,
kaum breit genug,  die Schultern durchzulassen  -  und  ich stand  vor einer
Reihe von H€uschen, keines hæher als ich.
     Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die D€cher greifen.
     Ich war  in  die  "Goldmachergasse"  geraten,  wo  im  Mittelalter  die
alchimistischen  Adepten  den  Stein der Weisen geglìht und die Mondstrahlen
vergiftet haben.
     Es rìhrte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war.
     Aber ich fand die Mauerlìcke nicht mehr, die mich  eingelassen, - stie
an ein Holzgatter.
     Es nìtzt  nichts, ich  mu jemand wecken,  damit man mir den Weg zeigt,
sagte ich mir. Sonderbar, da hier ein  Haus die Gasse  abschliet  - græer
als die andern und anscheinend wohnlich? Ich  kann mich  nicht entsinnen, es
je bemerkt zu haben.
     Es mu wohl wei getìncht sein, da es so hell aus dem Nebel leuchtet?
     Ich gehe durch das Gatter ìber  den  schmalen Gartenstreif,  drìcke das
Gesicht an die Scheiben: - alles finster. Ich  klopfe ans Fenster. - Da geht
drinnen ein steinalter Mann, eine  brennende  Kerze  in der Hand, durch eine
Tìr mit greisenhaft  wankenden  Schritten  bis  mitten  in die Stube, bleibt
stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten
und  Kolben an der Wand, starrt  nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in
den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich.
     Der Schatten seiner Backenknochen f€llt ihm auf die Augenhæhlen, da es
aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.
     Er sieht mich offenbar nicht.
     Ich klopfe ans Glas.
     Er hært mich  nicht. Geht  lautlos wie ein Schlafwandler wieder aus dem
Zimmer.
     Ich warte vergebens.
     Klopfe ans Haustor: niemand æffnet. - - -
     -  - Stunden  sp€ter  ging ich wie ein Trunkener  durch  den Abendnebel
hinab der  Stadt zu. Planlos w€hlte ich die Straen  und ging lange, ohne es
zu wissen, im Kreise herum.
     Dann stand ich am Flu ìber eisernes Gel€nder gebeugt und starrte hinab
in die tosenden Wellen.
     Noch  immer  fìhlte  ich  Angelinas  Arme um  meinen  Nacken,  sah  das
steinerne  Becken  des  Springbrunnens,  an  dem  wir schon einmal  Abschied
voneinander  genommen  vor  vielen  Jahren,  vor   mir,  mit  den  faulenden
Ulmenbl€ttern  darin, und sie wanderte  wieder mit mir,  wie soeben erst vor
kurzem, den Kopf an  meine  Schulter  gelehnt, stumm  durch den fræsteldnen,
d€mmrigen Park ihres Schlosses.
     Ich setzte mich  auf eine  Bank und zog den Hut tief ins Gesicht, um zu
tr€umen.
     Die Wasser  brausten  ìber  das  Wehr und  ihr Rauschen verschlang  die
letzten, aufmurrenden Ger€usche der schlafengehenden Stadt.
     Wenn  ich  von  Zeit  zu  Zeit meinen  Mantel  fester  um mich zog  und
aufblickte, lag der Flu in immer tieferen Schatten, bis er endlich, von der
schweren  Nacht  erdrìckt,  schwarzgrau  dahinstræmte  und  der  Gischt  des
Staudamms als weier,  blendender  Streifen  schr€g  hinìber zum andern Ufer
lief.
     Mich  schauderte  bei  dem  Gedanken, wieder zurìck  zu mìssen in  mein
trauriges Haus.
     Der Glanz eines kurzen Nachmittags hatte mich  fìr immer  zum Fremdling
in meiner Wohnst€tte gemacht.
     Eine Spanne  von wenigen Wochen, vielleicht  nur von Tagen, dann  mute
das  Glìck vorìber sein  - und  nichts  blieb  davon als  eine wehe,  schæne
Erinnerung.
     Und dann?
     Dann war  ich heimatlos  hier  und drìben, diesseits  und jenseits  des
Flusses.
     Ich  stand  auf!  Wollte noch durch das Parkgitter einen  Blick auf das
Schlo werfen, hinter dessen  Fenstern sie schlief, ehe ich in  das finstere
Getto ging. -  - - Ich schlug die Richtung  ein, aus  der ich  gekommen war,
tappte  mich  durch  den dichten Nebel  an  H€userreihen  entlang  und  ìber
schlummernde Pl€tze, sah  schwarze  Monumente drohend auftauchen und einsame
Schilderh€user  und die  Schnærkel  von Barockfassaden.  Der  matte Schimmer
einer Laterne  wuchs  zu  riesigen,  phantastischen  Ringen  in verblichenen
Regenbogenfarben aus dem Dunst heraus, wurde zum fahlgelben, stechenden Auge
und zerging hinter mir in der Luft.
     Mein Fu tastete breite, steinerne Stufenfl€chen, mit Kies bestreut. Wo
war ich? Ein Hohlweg, der steil aufw€rts fìhrt?
     Glatte Gartenmauern links  und  rechts? Die  kahlen  ste  eines Baumes
h€ngen herìber. Sie kommen  vom  Himmel herunter:  der Stamm  verbirgt  sich
hinter der Nebelwand. -
     Ein paar morsche, dìnne Zweige  brechen krachend ab,  wie  mein Hut sie
streift, und fallen an meinem Mantel hinab  in den  nebligen grauen Abgrund,
der mir meine Fìe verbirgt.
     Dann ein strahlender Punkt: ein  einsames Licht in der Ferne - irgendwo
- r€tselhaft - zwischen Himmel und Erde. - - -
     Ich mute fehlgegangen sein. Es konnte nur die "alte Schlostiege" sein
neben den H€ngen der Fìrstenbergschen G€rten - - -
     Dann lange Strecken lehmiger Erde. - Ein gepflasterter Weg.
     Ein  massiger  Schatten  ragt hoch  auf, den  Kopf  in einer schwarzen,
steifen Zipfelmìtze: "die Daliborka" = der Hungerturm, in dem Menschen einst
verschmachteten, derweilen Kænige unten im "Hirschgraben" das Wild hetzten.
     Ein schmales, gewundenes G€chen mit Schiescharten, ein Schneckengang,
kaum breit genug,  die Schultern durchzulassen  -  und  ich stand  vor einer
Reihe von H€uschen, keines hæher als ich.
     Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die D€cher greifen.
     Ich war  in  die  "Goldmachergasse"  geraten,  wo  im  Mittelalter  die
alchimistischen  Adepten  den  Stein der Weisen geglìht und die Mondstrahlen
vergiftet haben.
     Es rìhrte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war.
     Aber ich fand die Mauerlìcke nicht mehr, die mich  eingelassen, - stie
an ein Holzgatter.
     Es nìtzt  nichts, ich  mu jemand wecken,  damit man mir den Weg zeigt,
sagte ich mir. Sonderbar, da hier ein  Haus die Gasse  abschliet  - græer
als die andern und anscheinend wohnlich? Ich  kann mich  nicht entsinnen, es
je bemerkt zu haben.
     Es mu wohl wei getìncht sein, da es so hell aus dem Nebel leuchtet?
     Ich gehe durch das Gatter ìber  den  schmalen Gartenstreif,  drìcke das
Gesicht an die Scheiben: - alles finster. Ich  klopfe ans Fenster. - Da geht
drinnen ein steinalter Mann, eine  brennende  Kerze  in der Hand, durch eine
Tìr mit greisenhaft  wankenden  Schritten  bis  mitten  in die Stube, bleibt
stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten
und  Kolben an der Wand, starrt  nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in
den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich.
     Der Schatten seiner Backenknochen f€llt ihm auf die Augenhæhlen, da es
aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.
     Er sieht mich offenbar nicht.
     Ich klopfe ans Glas.
     Er hært mich  nicht. Geht  lautlos wie ein Schlafwandler wieder aus dem
Zimmer.
     Ich warte vergebens.
     Klopfe ans Haustor: niemand æffnet. - - -
      Es  blieb mir nichts ìbrig, als so lange zu suchen, bis ich den Ausgang
aus der Gasse endlich fand.
     Es  blieb mir nichts ìbrig, als so lange zu suchen, bis ich den Ausgang
aus der Gasse endlich fand.
      Ob  es nicht am besten  w€re, ich ginge noch unter Menschen,  ìberlegte
ich. -  Zu meinen Freunden: Zwakh, Prokop und Vrieslander ins "alte Ungelt",
wo sie bestimmt sein wìrden -, um meine verzehrende Sehnsucht nach Angelinas
Kìssen wenigstens fìr ein paar  Stunden zu  ìbert€uben? Rasch mache ich mich
auf den Weg.
     Ob  es nicht am besten  w€re, ich ginge noch unter Menschen,  ìberlegte
ich. -  Zu meinen Freunden: Zwakh, Prokop und Vrieslander ins "alte Ungelt",
wo sie bestimmt sein wìrden -, um meine verzehrende Sehnsucht nach Angelinas
Kìssen wenigstens fìr ein paar  Stunden zu  ìbert€uben? Rasch mache ich mich
auf den Weg.
      Wie  ein  Trifolium von  Toten hockten sie  um den wurmstichigen, alten
Tisch herum, - alle drei: weie dìnnstielige Tonpfeifen zwischen den Z€hnen,
und das Zimmer voll Rauch.
     Man  konnte  kaum ihre Gesichtszìge  unterscheiden,  so  schluckten die
dunkelbraunen W€nde das sp€rliche Licht der altmodischen H€ngelampe ein.
     In  der  Ecke die  spindeldìrre, wortkarge,  verwitterte Kellnerin  mit
ihrem   ewigen   Strickstrumpf,   dem  farblosen  Blick   und   der   gelben
Entenschnabelnase!
     Mattrote Decken hingen vor den geschlossenen  Tìren, so da die Stimmen
der  G€ste im  Nebenzimmer  nur  wie das leise  Summen eines  Bienenschwarms
herìberdrangen.
     Vrieslander, seinen  kegelfærmigen Hut mit der  geraden Krempe auf  dem
Kopf, mit  seinem  Knebelbart,  der  bleigrauen Gesichtsfarbe  und der Narbe
unter  dem Auge, sah aus wie ein ertrunkener Holl€nder aus einem vergessenen
Jahrhundert.
     Josua  Prokop  hatte  sich  eine  Gabel quer  durch  die  Musikerlocken
gesteckt,   klapperte   unaufhærlich    mit   seinen   gespenstisch   langen
Knochenfingern und sah bewundernd zu, wie sich  Zwakh abmìhte, der bauchigen
Arakflasche das Purpurm€ntelchen einer Marionette umzuh€ngen.
     "Das  wird Babinski",  erkl€rte mir Vrieslander mit  tiefem Ernst. "Sie
wissen  nicht,  wer Babinski  war? Zwakh,  erz€hlen Sie  Pernath  rasch, wer
Babinski war!"
     "Babinski  war",  begann  Zwakh sofort, ohne  auch nur eine Sekunde von
seiner Arbeit aufzusehen, "einst ein  berìhmter Raubmærder  in Prag. - Viele
Jahre betrieb  er  sein  sch€ndliches Handwerk,  ohne da  es jemand bemerkt
h€tte. Nach und nach  jedoch fiel es in den besseren Familien auf,  da bald
dieses, bald jenes Mitglied der Sippe  beim Essen fehlte und sich nie wieder
blicken lie. Wenn man auch anfangs nichts sagte, da die Sache gewissermaen
ihre  guten Seiten  hatte, indem  man weniger  zu kochen brauchte, so durfte
wiederum  nicht  auer  acht   gelassen  werden,  da  das  Ansehen  in  der
Gesellschaft leicht darunter leiden und man ins Gerede kommen konnte.
     Besonders, wenn es sich um das  spurlose Verschwinden mannbarer Tæchter
handelte.
     berdies verlangte die  Hochachtung vor sich selbst,  da  man  auf ein
bìrgerliches Zusammenleben in der Familie nach auen hin das nætige  Gewicht
legte.
     Die Zeitungsrubriken: "Kehre zurìck, alles ist verziehen" wuchsen immer
mehr und  mehr, -  ein  Umstand,  den Babinski, leichtsinnig wie die meisten
Berufsmærder, in seine  Berechnungen nicht einbezogen hatte, - und  erregten
schlielich die allgemeine Aufmerksamkeit.
     In dem  lieblichen Dærfchen Krtsch  bei Prag hatte sich  Babinski,  der
innerlich  ein ausgesprochen  idyllischer Charakter war,  mit der Zeit durch
seine unverdrossene T€tigkeit ein kleines, aber trautes Heim geschaffen. Ein
H€uschen, blitzend  vor  Sauberkeit,  und  ein G€rtchen davor mit  blìhenden
Geranien.
     Da es ihm seine Einkìnfte nicht gestatteten, sich zu vergræern, sah er
sich genætigt, um  die Leichen seiner Opfer unauff€llig bestatten zu kænnen,
statt  eines  Blumenbeetes  -  wie  er  es  gern   gesehen   h€tte  -  einen
grasbewachsenen und schlichten, aber, den Umst€nden angemessen: zweckm€igen
Grabhìgel anzulegen,  der sich  mìhelos verl€ngern lie, wenn es der Betrieb
oder die Saison erforderte.
     Auf  dieser  Weihest€tte pflegte Babinski allabendlich nach  des  Tages
Last und Mìhen in  den  Strahlen der untergehenden  Sonne  zu sitzen und auf
seiner Flæte allerlei schwermìtige Weisen zu blasen." - -
     "Halt!"  unterbrach Josua Prokop rauh, zog einen  Hausschlìssel aus der
Tasche, hielt ihn wie eine Klarinette an den Mund und sang:
     "Zimzerlim zambusla - deh."
     "Waren  Sie denn dabei,  da Sie die Melodie so genau kennen?",  fragte
Vrieslander erstaunt.
     Prokop warf ihm einen bitterbæsen Blick zu: "Nein. Dazu hat Babinski zu
frìh gelebt. Aber was er gespielt haben kann, mu  ich als Komponist doch am
besten  wissen.  Ihnen   steht  darìber  kein  Urteil  zu:  Sie  sind  nicht
musikalisch. - - Zimzerlim - zambusla - busla - deh."
     Zwakh hærte  ergriffen  zu,  bis  Prokop  seinen  Hausschlìssel  wieder
einsteckte, und fuhr dann fort:
     "Das best€ndige Wachsen des Hìgels erweckte allm€hlich Verdacht bei den
Anrainern, und einem Polizeimann aus der Vorstadt  Zizkov, der  gelegentlich
von weitem  zusah, wie Babinski gerade eine alte Dame der guten Gesellschaft
erwìrgte,  gebìhrt das  Verdienst, dem selbstsìchtigen Treiben  des Unholdes
ein fìr allemal Schranken gesetzt zu haben:
     Man verhaftete Babinski in seinem Tuskulum.
     Der  Gerichtshof  verurteilte  ihn  unter  Zubilligung  des  mildernden
Umstandes  eines  ansonsten trefflichen  Leumundes zum Tode durch den Strang
und beauftragte zugleich die Firma  Gebrìder Leipen - Seilwa
     Wie  ein  Trifolium von  Toten hockten sie  um den wurmstichigen, alten
Tisch herum, - alle drei: weie dìnnstielige Tonpfeifen zwischen den Z€hnen,
und das Zimmer voll Rauch.
     Man  konnte  kaum ihre Gesichtszìge  unterscheiden,  so  schluckten die
dunkelbraunen W€nde das sp€rliche Licht der altmodischen H€ngelampe ein.
     In  der  Ecke die  spindeldìrre, wortkarge,  verwitterte Kellnerin  mit
ihrem   ewigen   Strickstrumpf,   dem  farblosen  Blick   und   der   gelben
Entenschnabelnase!
     Mattrote Decken hingen vor den geschlossenen  Tìren, so da die Stimmen
der  G€ste im  Nebenzimmer  nur  wie das leise  Summen eines  Bienenschwarms
herìberdrangen.
     Vrieslander, seinen  kegelfærmigen Hut mit der  geraden Krempe auf  dem
Kopf, mit  seinem  Knebelbart,  der  bleigrauen Gesichtsfarbe  und der Narbe
unter  dem Auge, sah aus wie ein ertrunkener Holl€nder aus einem vergessenen
Jahrhundert.
     Josua  Prokop  hatte  sich  eine  Gabel quer  durch  die  Musikerlocken
gesteckt,   klapperte   unaufhærlich    mit   seinen   gespenstisch   langen
Knochenfingern und sah bewundernd zu, wie sich  Zwakh abmìhte, der bauchigen
Arakflasche das Purpurm€ntelchen einer Marionette umzuh€ngen.
     "Das  wird Babinski",  erkl€rte mir Vrieslander mit  tiefem Ernst. "Sie
wissen  nicht,  wer Babinski  war? Zwakh,  erz€hlen Sie  Pernath  rasch, wer
Babinski war!"
     "Babinski  war",  begann  Zwakh sofort, ohne  auch nur eine Sekunde von
seiner Arbeit aufzusehen, "einst ein  berìhmter Raubmærder  in Prag. - Viele
Jahre betrieb  er  sein  sch€ndliches Handwerk,  ohne da  es jemand bemerkt
h€tte. Nach und nach  jedoch fiel es in den besseren Familien auf,  da bald
dieses, bald jenes Mitglied der Sippe  beim Essen fehlte und sich nie wieder
blicken lie. Wenn man auch anfangs nichts sagte, da die Sache gewissermaen
ihre  guten Seiten  hatte, indem  man weniger  zu kochen brauchte, so durfte
wiederum  nicht  auer  acht   gelassen  werden,  da  das  Ansehen  in  der
Gesellschaft leicht darunter leiden und man ins Gerede kommen konnte.
     Besonders, wenn es sich um das  spurlose Verschwinden mannbarer Tæchter
handelte.
     berdies verlangte die  Hochachtung vor sich selbst,  da  man  auf ein
bìrgerliches Zusammenleben in der Familie nach auen hin das nætige  Gewicht
legte.
     Die Zeitungsrubriken: "Kehre zurìck, alles ist verziehen" wuchsen immer
mehr und  mehr, -  ein  Umstand,  den Babinski, leichtsinnig wie die meisten
Berufsmærder, in seine  Berechnungen nicht einbezogen hatte, - und  erregten
schlielich die allgemeine Aufmerksamkeit.
     In dem  lieblichen Dærfchen Krtsch  bei Prag hatte sich  Babinski,  der
innerlich  ein ausgesprochen  idyllischer Charakter war,  mit der Zeit durch
seine unverdrossene T€tigkeit ein kleines, aber trautes Heim geschaffen. Ein
H€uschen, blitzend  vor  Sauberkeit,  und  ein G€rtchen davor mit  blìhenden
Geranien.
     Da es ihm seine Einkìnfte nicht gestatteten, sich zu vergræern, sah er
sich genætigt, um  die Leichen seiner Opfer unauff€llig bestatten zu kænnen,
statt  eines  Blumenbeetes  -  wie  er  es  gern   gesehen   h€tte  -  einen
grasbewachsenen und schlichten, aber, den Umst€nden angemessen: zweckm€igen
Grabhìgel anzulegen,  der sich  mìhelos verl€ngern lie, wenn es der Betrieb
oder die Saison erforderte.
     Auf  dieser  Weihest€tte pflegte Babinski allabendlich nach  des  Tages
Last und Mìhen in  den  Strahlen der untergehenden  Sonne  zu sitzen und auf
seiner Flæte allerlei schwermìtige Weisen zu blasen." - -
     "Halt!"  unterbrach Josua Prokop rauh, zog einen  Hausschlìssel aus der
Tasche, hielt ihn wie eine Klarinette an den Mund und sang:
     "Zimzerlim zambusla - deh."
     "Waren  Sie denn dabei,  da Sie die Melodie so genau kennen?",  fragte
Vrieslander erstaunt.
     Prokop warf ihm einen bitterbæsen Blick zu: "Nein. Dazu hat Babinski zu
frìh gelebt. Aber was er gespielt haben kann, mu  ich als Komponist doch am
besten  wissen.  Ihnen   steht  darìber  kein  Urteil  zu:  Sie  sind  nicht
musikalisch. - - Zimzerlim - zambusla - busla - deh."
     Zwakh hærte  ergriffen  zu,  bis  Prokop  seinen  Hausschlìssel  wieder
einsteckte, und fuhr dann fort:
     "Das best€ndige Wachsen des Hìgels erweckte allm€hlich Verdacht bei den
Anrainern, und einem Polizeimann aus der Vorstadt  Zizkov, der  gelegentlich
von weitem  zusah, wie Babinski gerade eine alte Dame der guten Gesellschaft
erwìrgte,  gebìhrt das  Verdienst, dem selbstsìchtigen Treiben  des Unholdes
ein fìr allemal Schranken gesetzt zu haben:
     Man verhaftete Babinski in seinem Tuskulum.
     Der  Gerichtshof  verurteilte  ihn  unter  Zubilligung  des  mildernden
Umstandes  eines  ansonsten trefflichen  Leumundes zum Tode durch den Strang
und beauftragte zugleich die Firma  Gebrìder Leipen - Seilwa