en nicht
verraten, - - -"
     Ich hærte, wie Freudentr¤nen ihre Stimme fast erstickten.
     "- aber Sie werden mich verstehen: oft,  Wochen,  ja Monate", -  Mirjam
wurde  ganz leise - "haben wir nur von  Wundern gelebt. Wenn  gar  kein Brot
mehr im Hause war, aber  auch nicht ein Bissen  mehr, dann wuŸte  ich: jetzt
ist  die Stunde da! - Und dann saŸ ich hier und wartete und wartete, bis ich
vor  Herzklopfen kaum  mehr  atmen  konnte.  Und -  und  dann,  wenn's  mich
plætzlich  zog, lief ich hinunter und kreuz und quer  durch die StraŸen,  so
rasch ich konnte, um  rechtzeitig  wieder im Hause  zu sein, ehe mein  Vater
heimkam. Und - und jedesmal fand ich Geld. Einmal mehr, einmal weniger, aber
immer soviel, daŸ  ich  das Nætigste  einkaufen konnte. Oft  lag ein  Gulden
mitten auf der StraŸe; ich sah ihn  von weitem blitzen  und die Leute traten
darauf,  rutschten aus darìber, aber keiner  bemerkte ihn. - Das machte mich
zuweilen so  ìbermìtig, daŸ ich  gar nicht  erst ausging, sondern nebenan in
der Kìche  den Boden durchsuchte wie  ein  Kind, ob nicht Geld oder Brot vom
Himmel gefallen sei."
     - Ein  Gedanke  schoŸ  mir durch  den Kopf,  und ich muŸte  aus  Freude
darìber l¤cheln. -
     Sie sah es.
     "Lachen  Sie nicht,  Herr Pernath", flehte sie.  "Glauben  Sie mir, ich
weiŸ, daŸ diese Wunder wachsen werden und daŸ sie eines Tages -"
     Ich beruhigte sie: "Aber  ich lache doch nicht,  Mirjam! Was denken Sie
denn! Ich bin unendlich  glìcklich, daŸ Sie nicht  sind wie  die andern, die
hinter jeder Wirkung die gewohnte Ursache  suchen und  bocken, wenn's -  wir
rufen in solchen Fallen: Gott sei Dank! - einmal anders kommt."
     Sie streckte mir die Hand hin:
     "Und nicht wahr, Sie werden nie mehr sagen, Herr Pernath, daŸ Sie mir -
oder uns - helfen wollen? Jetzt, wo Sie wissen, daŸ Sie mir die Mæglichkeit,
ein Wunder zu erleben, rauben wìrden, wenn Sie es t¤ten?"
     Ich versprach es. Aber im Herzen machte ich einen Vorbehalt.
     Da ging die Tìr und Hillel trat ein.
     Mirjam  umarmte  ihn;  und  er  begrìŸte   mich.   Herzlich   und  voll
Freundschaft, aber wieder mit dem kìhlen "Sie".
     Auch schien  etwas  wie leise  Mìdigkeit oder  Unsicherheit auf ihm  zu
lasten. - Oder irrte ich mich?
     Vielleicht kam es nur von der D¤mmerung, die in der Stube lag.
     "Sie  sind gewiŸ hier, mich um Rat zu fragen", fing  er an, als  Mirjam
uns allein gelassen hatte, "in der Sache, die die fremde Dame betrifft - -?"
     Ich wollte ihn verwundert unterbrechen, aber er fiel mir in die Rede:
     "Ich weiŸ es von dem Studenten Charousek. Ich sprach ihn auf der  Gasse
an, weil  er mir merkwìrdig ver¤ndert vorkam. Er hat  mir alles  erz¤hlt. In
der œberfìlle seines  Herzens. Auch, daŸ - Sie ihm Geld geschenkt haben." Er
sah mich durchdringend an und betonte jedes seiner Worte auf hæchst seltsame
Weise, aber ich verstand nicht, was er damit wollte:
     "GewiŸ, es hat dadurch ein paar Tropfen Glìck mehr vom  Himmel geregnet
- und - und in diesem - Fall hat's vielleicht auch nicht geschadet, aber -,"
er dachte eine Weile nach, - "aber manchmal schafft man sich und anderen nur
Leid damit. Gar so leicht ist das Helfen nicht, wie Sie denken, mein  lieber
Freund! Da w¤re es  sehr, sehr einfach, die Welt zu erlæsen. -  Oder glauben
Sie nicht?"
     "Geben Sie  denn  nicht auch den Armen?  Oft alles,  was  Sie besitzen,
Hillel?", fragte ich.
     Er schìttelte l¤chelnd den Kopf: "Mir  scheint, Sie sind ìber Nacht ein
Talmudist geworden, daŸ Sie eine  Frage wieder mit einer Frage  beantworten.
Da ist freilich schwer streiten."
     Er  hielt  inne,  als ob  ich darauf  antworten  sollte,  aber wiederum
verstand ich nicht, worauf er eigentlich wartete.
     "œbrigens, um zu dem Thema zurìckzukommen", fuhr er in ver¤ndertem Tone
fort,  "ich glaube  nicht,  daŸ Ihrem Schìtzling  - ich  meine  die  Dame  -
augenblicklich  Gefahr droht. Lassen Sie die  Dinge an  sich herantreten. Es
heiŸt zwar: ›der kluge Mann baut vor‹, aber der Klìgere, scheint mir, wartet
ab und ist auf  alles  gefaŸt.  Vielleicht  ergibt sich die Gelegenheit, daŸ
Aaron Wassertrum mit mir zusammentrifft, aber das muŸ dann von ihm ausgehen,
- ich tue keinen Schritt, er muŸ herìberkommen. Ob zu Ihnen oder zu mir, ist
gleichgìltig - und dann will ich mit ihm reden. An ihm  wird's sein, sich zu
entscheiden,  ob  er meinen Rat befolgen will oder nicht.  Ich wasche  meine
H¤nde in Unschuld."
     Ich versuchte  ¤ngstlich  in  seinem  Gesicht  zu lesen.  So  kalt  und
eigentìmlich  drohend  hatte er  noch  nie  gesprochen.  Aber  hinter diesem
schwarzen, tiefliegenden Auge schlief ein Abgrund.
     "Es  ist wie  eine Glaswand  zwischen ihm und  uns", fielen mir Mirjams
Worte ein.
     Ich konnte ihm nur wortlos die Hand drìcken und - gehen.
     Er begleitete mich bis vor die Tìre und, als ich  die Treppe hinaufging
und mich noch einmal umdrehte, sah ich, daŸ er  stehen geblieben war und mir
freundlich nachwinkte, aber wie jemand, der noch gern etwas sagen mæchte und
nicht kann.
        Angst
     Ich hatte die Absicht, mir Mantel und Stock  zu holen und in die kleine
Wirtsstube  "Zum  alten  Ungelt"  essen  zu  gehen, wo  allabendlich  Zwakh,
Vrieslander  und Prokop  bis sp¤t in die Nacht beisammen  saŸen und einander
verrìckte Geschichten erz¤hlten; aber  kaum betrat ich  mein Zimmer, da fiel
der Vorsatz von mir ab,  - wie wenn mir H¤nde ein Tuch oder sonst etwas, was
ich am Leibe getragen, abgerissen h¤tten.
     Es lag eine  Spannung in der Luft, ìber die ich  mir keine Rechenschaft
geben konnte, die aber trotzdem vorhanden  war wie etwas Greifbares und sich
im Verlauf  weniger Sekunden derart heftig  auf  mich ìbertrug,  daŸ ich vor
Unruhe anfangs kaum wuŸte, was ich zuerst tun sollte: Licht anzìnden, hinter
mir abschlieŸen, mich niedersetzen oder auf und ab gehen.
     Hatte  sich  jemand in meiner Abwesenheit eingeschlichen und versteckt?
War's die Angst eines  Menschen  vor  dem Gesehenwerden, die mich ansteckte?
War Wassertrum vielleicht hier?
     Ich griff hinter die Gardinen, æffnete den Schrank, tat einen Blick ins
Nebenzimmer: - niemand.
     Auch die Kassette stand unverrìckt an ihrem Platz.
     Ob es nicht am besten war, ich verbrannte die Briefe kurz entschlossen,
um ein fìr allemal die Sorge um sie los zu sein?
     Schon suchte ich nach dem Schlìssel in meiner Westentasche - aber muŸte
es denn jetzt geschehen? Es blieb mir doch Zeit genug bis morgen frìh.
     Erst Licht machen!
     Ich konnte die Streichhælzer nicht finden.
     War  die  Tìr abgesperrt? - Ich  ging ein  paar Schritte  zurìck. Blieb
wieder stehen.
     Warum mit einemmal die Angst?
     Ich  wollte  mir Vorwìrfe  machen,  daŸ  ich  feig  sei: - die Gedanken
blieben stecken. Mitten im Satz.
     Eine wahnwitzige  Idee  ìberfiel mich  plætzlich: rasch, rasch  auf den
Tisch  steigen,  einen  Sessel packen und zu mir  hinaufziehen und "dem" den
Sch¤del damit von oben herab einschlagen, das da auf dem Boden herumkroch, -
- wenn - wenn es in die N¤he kam.
     "Es ist doch niemand hier," sagte ich mir laut und ¤rgerlich vor, "hast
du dich denn je im Leben gefìrchtet?"
     Es half nichts. Die Luft, die ich einatmete, wurde dìnn und  schneidend
wie „ther.
     Wenn  ich  irgendetwas  gesehen  h¤tte:  das Gr¤Ÿlichste, was man  sich
vorstellen kann, - im Nu w¤re die Furcht von mir gewichen.
     Es kam nichts.
     Ich bohrte meine Augen in alle Winkel:
     Nichts.
     œberall lauter wohlbekannte Dinge: Mæbel, Truhen,  die Lampe, das Bild,
die Wanduhr - leblose, alte, treue Freunde.
     Ich hoffte, sie wìrden sich vor meinen  Blicken ver¤ndern und mir Grund
geben, eine Sinnest¤uschung als Ursache fìr das wìrgende Angstgefìhl  in mir
zu finden.
     Auch das nicht. - Sie blieben  ihrer  Form  starr getreu. Viel zu starr
fìr das herrschende Halbdunkel, als daŸ es natìrlich gewesen w¤re.
     "Sie  stehen unter  demselben Zwang  wie  du  selbst", fìhlte ich. "Sie
trauen sich nicht, auch nur die leiseste Bewegung zu machen."
     Warum tickt die Wanduhr nicht? -
     Das Lauern ringsum trank jeden Laut.
     Ich rìttelte  am Tisch und  wunderte mich,  daŸ ich  das Ger¤usch hæren
konnte.
     Wenn doch wenigstens der Wind ums Haus pfiffe! - Nicht einmal das! Oder
das Holz im Ofen aufknallen wollte: - das Feuer war erloschen.
     Und immerw¤hrend dasselbe entsetzliche  Lauern in der Luft - pausenlos,
lìckenlos, wie das Rinnen von Wasser.
     Dieses  vergebliche  Auf-dem-Sprung-stehen  aller  meiner  Sinne!   Ich
verzweifelte  daran, es  je ìberdauern zu kænnen. - Der Raum voll Augen, die
ich nicht sehen, - voll von planlos wandernden H¤nden, die ich nicht greifen
konnte.
     "Es ist das Entsetzen, das  sich aus sich  selbst gebiert, die l¤hmende
Schrecknis des unfaŸbaren Nicht-Etwas, das keine Form  hat und unserm Denken
die Grenzen zerfriŸt", begriff ich dumpf.
     Ich stellte mich steif hin und wartete.
     Wartete wohl eine  Viertelstunde: vielleicht  lieŸ  "es" sich verleiten
und schlich von rìckw¤rts an mich heran - und ich konnte es ertappen?!
     Mit einem Ruck fuhr ich herum: wieder nichts.
     Dasselbe  markverzehrende  "Nichts", das nicht war und  doch das Zimmer
mit seinem grausigen Leben erfìllte.
     Wenn ich hinausliefe? Was hinderte mich?
     "Es  wìrde  mit  mir  gehen",   wuŸte  ich  sofort   mit  unabweisbarer
Sicherheit.  Auch, daŸ es mir nichts nìtzen kænnte, wenn ich  Licht  machte,
sah ich ein, - dennoch  suchte ich so  lange nach dem Feuerzeug, bis ich  es
gefunden hatte.
     Aber der  Kerzendocht wollte nicht brennen und kam lang aus dem Glimmen
nicht  heraus: die kleine Flamme konnte nicht leben  und  nicht sterben, und
als sie sich endlich doch ein  schwindsìchtiges Dasein erk¤mpft hatte, blieb
sie glanzlos wie gelbes, schmutziges Blech. Nein, da war die Dunkelheit noch
besser.
     Ich læschte wieder  aus und warf mich angezogen ìbers  Bett. Z¤hlte die
Schl¤ge meines Herzens: eins, zwei, drei - vier ... bis  tausend, und  immer
von neuem - Stunden,  Tage, Wochen, wie mir schien, bis meine Lippen trocken
wurden und das Haar sich mir str¤ubte: keine Sekunde der Erleichterung.
     Auch nicht eine einzige.
     Ich  fing an, mir Worte vorzusagen,  wie sie mir  gerade  auf die Zunge
kamen: "Prinz", "Baum", "Kind", "Buch" -  und sie krampfhaft zu wiederholen,
bis sie plætzlich als  sinnlose, schreckhafte Laute aus barbarischer Vorzeit
nackt  mir gegenìberstanden, und ich  mit aller Kraft nachdenken  muŸte,  in
ihre Bedeutung zurìckzufinden: P-r-i-n-z? - B-u-ch?
     War  ich nicht schon wahnsinnig?  Oder  gestorben? - Ich tastete an mir
herum.
     Aufstehen!
     Mich in den Sessel setzen!
     Ich lieŸ mich in den Lehnstuhl fallen.
     Wenn doch endlich der Tod k¤me!
     Nur dieses blutlose, furchtbare Lauern nicht mehr fìhlen! "Ich - will -
nicht - ich will - nicht!", schrie ich. "Hært ihr denn nicht?!"
     Kraftlos fiel ich zurìck.
     Konnte es nicht fassen, daŸ ich immer noch lebte.
     Unf¤hig, irgend etwas zu denken oder zu  tun, stierte ich geradeaus vor
mich hin.
      "Weshalb er mir nur  die Kærner  so  beharrlich hinreicht?", ebbte  ein
Gedanke auf mich zu, zog sich zurìck und  kam wieder.  Zog sich zurìck.  Kam
wieder.
     Langsam wurde mir endlich klar, daŸ ein seltsames Wesen vor mir stand -
vielleicht  schon, seit ich hier  saŸ, dagestanden hatte - und  mir die Hand
hinstreckte:
     Ein  graues,  breitschultriges  Geschæpf, in der GræŸe  eines gedrungen
gewachsenen  Menschen,  auf  einen  spiralfærmig  gedrehten Knotenstock  aus
weiŸem Holz gestìtzt.
     Wo  der Kopf h¤tte  sitzen mìssen, konnte ich nur einen Nebelballen aus
fahlem Dunst unterscheiden.
     Ein  trìber  Geruch nach  Sandelholz  und  nassem Schiefer ging von der
Erscheinung aus.
     Ein Gefìhl vollkommenster Wehrlosigkeit  raubte mir fast die Besinnung.
Was  ich  die ganze lange Zeit an nervenzernagender Qual mitgemacht, dr¤ngte
sich  jetzt  zu  Todesschrecken zusammen und war  in diesem  Wesen zur  Form
geronnen.
     Mein Selbsterhaltungstrieb sagte mir, ich  wìrde wahnsinnig  werden vor
Entsetzen und  Furcht,  wenn ich  das Gesicht  des Phantoms sehen kænnte,  -
warnte mich davor, schrie es mir in die Ohren - und doch zog es mich wie ein
Magnet, daŸ ich den Blick von dem fahlen Nebelballen nicht wenden konnte und
darin forschte nach Augen, Nase und Mund.
     Aber  so sehr ich mich auch abmìhte: der Dunst blieb unbeweglich.  Wohl
glìckte es mir, Kæpfe aller Art auf den Rumpf zu setzen, doch jedesmal wuŸte
ich, daŸ sie nur meiner Einbildungskraft entstammten.
     Sie zerrannen  auch stets - fast in derselben Sekunde, in der  ich  sie
geschaffen hatte.
     Nur  die  Form eines  ¤gyptischen  Ibiskopfs  blieb  noch  am  l¤ngsten
bestehen.
     Die Umrisse  des Phantoms  schleierten  schemenhaft in  der Dunkelheit,
zogen sich kaum  merklich  zusammen und dehnten sich  wieder aus,  wie unter
langsamen  Atemzìgen,  die  die  ganze  Gestalt   durchliefen,  die  einzige
Bewegung, die zu bemerken  war. Statt der  FìŸe berìhrten Knochenstumpen den
Boden, von  denen  das  Fleisch -  grau  und blutleer - auf Spannenbreite zu
wulstigen R¤ndern emporgezogen war.
     Regungslos hielt das Geschæpf mir seine Hand hin.
     Kleine Kærner lagen dann. BohnengroŸ, von roter Farbe und mit schwarzen
Punkten am Rande.
     Was sollte ich damit?!
     Ich fìhlte  dumpf:  eine  ungeheure  Verantwortung lag auf  mir  - eine
Verantwortung,  die weit hinausging ìber  alles Irdische, -  wenn  ich jetzt
nicht das Richtige tat.
     Zwei  Waagschalen,   jede  belastet   mit  dem   Gewicht   des   halben
Weltgeb¤udes,  schweben  irgendwo im  Reich  der Ursachen, ahnte  ich -  auf
welche von beiden ich ein St¤ubchen warf: die sank zu Boden.
     Das war das furchtbare Lauern ringsum!,  verstand  ich. "Keinen  Finger
rìhren!", riet mir mein Verstand, - "und wenn der Tod in alle Ewigkeit nicht
kommen sollte und mich erlæsen aus dieser Qual." -
     Auch  dann h¤ttest  du  deine  Wahl getroffen:  du h¤ttest  die  Kærner
abgelehnt, raunte es in mir. Hier gibt's kein Zurìck.
     Hilfesuchend blickte ich  um  mich, ob mir denn kein Zeichen wurde, was
ich tun sollte. Nichts.
     Auch in mir kein Rat, kein Einfall - alles tot, gestorben.
     Das Leben von Myriaden Menschen wiegt leicht wie  eine  Feder in diesem
furchtbaren Augenblick, erkannte ich. - -
     Es  muŸte  bereits tiefe  Nacht sein, denn ich konnte die  W¤nde meines
Zimmers nicht mehr unterscheiden.
     Nebenan im Atelier stampften  Schritte; ich hærte, daŸ jemand  Schr¤nke
rìckte,  Schubladen aufriŸ und polternd  zu Boden  warf, glaubte Wassertrums
Stimme zu erkennen, wie er in seinem  ræchelnden BaŸ wilde  Fluche ausstieŸ;
ich horchte nicht hin. Es war mir belanglos wie das Rascheln einer  Maus.  -
Ich schloŸ die Augen:
     Menschliche Antlitze  zogen in  langen Reihen an mir vorìber. Die Lider
zugedrìckt  - starre Totenmasken: -  mein eigenes  Geschlecht, meine eigenen
Vorfahren.
     Immer dieselbe Sch¤delbildung, wie auch der  Typus zu  wechseln schien,
so  stand es auf  aus  seinen Grìften,  -  mit glattem  gescheiteltem  Haar,
gelocktem  und  kurz   geschnittenem,  mit  Allongeperìcken  und   in  Ringe
gezw¤ngten Schæpfen - durch  Jahrhunderte heran, bis  die Zìge mir bekannter
und bekannter  wurden  und in  ein letztes Gesicht  zusammenflossen:  -  das
Gesicht des Golem, mit dem die Kette meiner Ahnen abbrach.
     Dann læste die Finsternis mein Zimmer in einen unendlichen leeren  Raum
auf, in dessen Mitte ich mich auf meinem Lehnstuhl sitzen wuŸte, vor mir der
graue Schatten wieder mit dem ausgestreckten Arm.
     Und  als  ich  die Augen aufschlug, standen  in zwei sich  schneidenden
Kreisen, die einen Achter bildeten, fremdartige Wesen um uns herum:
     Die des einen  Kreises gehìllt in Gew¤nder mit violettem Schimmer,  die
des anderen mit rætlich schwarzem.  Menschen einer fremden Rasse, von hohem,
unnatìrlich schm¤chtigem  Wuchs,  die Gesichter  hinter  leuchtenden Tìchern
verborgen.
     Das  Herzbeben  in  meiner  Brust  sagte  mir,  daŸ  der Zeitpunkt  der
Entscheidung gekommen war. Meine  Finger zuckten nach  den Kærnern: - und da
sah ich, wie ein Zittern durch die Gestalten des rætlichen Kreises ging. -
     Sollte ich die Kærner zurìckweisen?: Das Zittern ergriff den bl¤ulichen
Kreis;  -  ich  blickte  den  Mann ohne Kopf  scharf an;  er stand  da -  in
derselben Stellung: regungslos wie frìher.
     Sogar sein Atem hatte aufgehært.
     Ich hob  den Arm, wuŸte  noch immer nicht,  was  ich  tun sollte, und -
schlug auf die  ausgestreckte  Hand  des  Phantoms, daŸ die Kærner  ìber den
Boden hinrollten.
     Einen  Moment,  so j¤h wie  ein  elektrischer Schlag, entglitt  mir das
BewuŸtsein, und ich  glaubte in endlose Tiefen zu stìrzen,  - dann stand ich
fest auf den FìŸen.
     Das  graue  Geschæpf  war verschwunden. Ebenso die Wesen des  rætlichen
Kreises.
     Die bl¤ulichen Gestalten hingegen  hatten einen Ring um  mich gebildet;
sie trugen eine Inschrift aus goldnen Hieroglyphen auf der Brust und hielten
stumm  - es sah aus  wie ein  Schwur  - zwischen Zeigefinger und  Daumen die
roten  Kærner in  die  Hohe,  die  ich dem Phantom  ohne Kopf  aus  der Hand
geschlagen hatte.
     Ich  hærte,  wie  drauŸen  Hagelschauer  gegen  die  Fenster tobten und
brìllender Donner die Luft zerriŸ:
     Ein Wintergewitter in seiner ganzen  besinnungslosen Wut raste ìber die
Stadt  hinweg.  Vom  FluŸ  her  dræhnten  durch  das  Heulen  des Sturms  in
rhythmischen Intervallen die  dumpfen  Kanonenschìsse,  die das  Brechen der
Eisdecke  auf  der  Moldau  verkìndeten.  Die Stube  loderte  im  Licht  der
ununterbrochen  aufeinanderfolgenden  Blitze.  Ich  fìhlte mich plætzlich so
schwach, daŸ mir die Knie zitterten und ich mich setzen muŸte.
     "Sei ruhig," sagte deutlich eine Stimme neben mir, "sei ganz  ruhig, es
ist heute die Lelschimurim: die Nacht der Beschìtzung." -
     "Weshalb er mir nur  die Kærner  so  beharrlich hinreicht?", ebbte  ein
Gedanke auf mich zu, zog sich zurìck und  kam wieder.  Zog sich zurìck.  Kam
wieder.
     Langsam wurde mir endlich klar, daŸ ein seltsames Wesen vor mir stand -
vielleicht  schon, seit ich hier  saŸ, dagestanden hatte - und  mir die Hand
hinstreckte:
     Ein  graues,  breitschultriges  Geschæpf, in der GræŸe  eines gedrungen
gewachsenen  Menschen,  auf  einen  spiralfærmig  gedrehten Knotenstock  aus
weiŸem Holz gestìtzt.
     Wo  der Kopf h¤tte  sitzen mìssen, konnte ich nur einen Nebelballen aus
fahlem Dunst unterscheiden.
     Ein  trìber  Geruch nach  Sandelholz  und  nassem Schiefer ging von der
Erscheinung aus.
     Ein Gefìhl vollkommenster Wehrlosigkeit  raubte mir fast die Besinnung.
Was  ich  die ganze lange Zeit an nervenzernagender Qual mitgemacht, dr¤ngte
sich  jetzt  zu  Todesschrecken zusammen und war  in diesem  Wesen zur  Form
geronnen.
     Mein Selbsterhaltungstrieb sagte mir, ich  wìrde wahnsinnig  werden vor
Entsetzen und  Furcht,  wenn ich  das Gesicht  des Phantoms sehen kænnte,  -
warnte mich davor, schrie es mir in die Ohren - und doch zog es mich wie ein
Magnet, daŸ ich den Blick von dem fahlen Nebelballen nicht wenden konnte und
darin forschte nach Augen, Nase und Mund.
     Aber  so sehr ich mich auch abmìhte: der Dunst blieb unbeweglich.  Wohl
glìckte es mir, Kæpfe aller Art auf den Rumpf zu setzen, doch jedesmal wuŸte
ich, daŸ sie nur meiner Einbildungskraft entstammten.
     Sie zerrannen  auch stets - fast in derselben Sekunde, in der  ich  sie
geschaffen hatte.
     Nur  die  Form eines  ¤gyptischen  Ibiskopfs  blieb  noch  am  l¤ngsten
bestehen.
     Die Umrisse  des Phantoms  schleierten  schemenhaft in  der Dunkelheit,
zogen sich kaum  merklich  zusammen und dehnten sich  wieder aus,  wie unter
langsamen  Atemzìgen,  die  die  ganze  Gestalt   durchliefen,  die  einzige
Bewegung, die zu bemerken  war. Statt der  FìŸe berìhrten Knochenstumpen den
Boden, von  denen  das  Fleisch -  grau  und blutleer - auf Spannenbreite zu
wulstigen R¤ndern emporgezogen war.
     Regungslos hielt das Geschæpf mir seine Hand hin.
     Kleine Kærner lagen dann. BohnengroŸ, von roter Farbe und mit schwarzen
Punkten am Rande.
     Was sollte ich damit?!
     Ich fìhlte  dumpf:  eine  ungeheure  Verantwortung lag auf  mir  - eine
Verantwortung,  die weit hinausging ìber  alles Irdische, -  wenn  ich jetzt
nicht das Richtige tat.
     Zwei  Waagschalen,   jede  belastet   mit  dem   Gewicht   des   halben
Weltgeb¤udes,  schweben  irgendwo im  Reich  der Ursachen, ahnte  ich -  auf
welche von beiden ich ein St¤ubchen warf: die sank zu Boden.
     Das war das furchtbare Lauern ringsum!,  verstand  ich. "Keinen  Finger
rìhren!", riet mir mein Verstand, - "und wenn der Tod in alle Ewigkeit nicht
kommen sollte und mich erlæsen aus dieser Qual." -
     Auch  dann h¤ttest  du  deine  Wahl getroffen:  du h¤ttest  die  Kærner
abgelehnt, raunte es in mir. Hier gibt's kein Zurìck.
     Hilfesuchend blickte ich  um  mich, ob mir denn kein Zeichen wurde, was
ich tun sollte. Nichts.
     Auch in mir kein Rat, kein Einfall - alles tot, gestorben.
     Das Leben von Myriaden Menschen wiegt leicht wie  eine  Feder in diesem
furchtbaren Augenblick, erkannte ich. - -
     Es  muŸte  bereits tiefe  Nacht sein, denn ich konnte die  W¤nde meines
Zimmers nicht mehr unterscheiden.
     Nebenan im Atelier stampften  Schritte; ich hærte, daŸ jemand  Schr¤nke
rìckte,  Schubladen aufriŸ und polternd  zu Boden  warf, glaubte Wassertrums
Stimme zu erkennen, wie er in seinem  ræchelnden BaŸ wilde  Fluche ausstieŸ;
ich horchte nicht hin. Es war mir belanglos wie das Rascheln einer  Maus.  -
Ich schloŸ die Augen:
     Menschliche Antlitze  zogen in  langen Reihen an mir vorìber. Die Lider
zugedrìckt  - starre Totenmasken: -  mein eigenes  Geschlecht, meine eigenen
Vorfahren.
     Immer dieselbe Sch¤delbildung, wie auch der  Typus zu  wechseln schien,
so  stand es auf  aus  seinen Grìften,  -  mit glattem  gescheiteltem  Haar,
gelocktem  und  kurz   geschnittenem,  mit  Allongeperìcken  und   in  Ringe
gezw¤ngten Schæpfen - durch  Jahrhunderte heran, bis  die Zìge mir bekannter
und bekannter  wurden  und in  ein letztes Gesicht  zusammenflossen:  -  das
Gesicht des Golem, mit dem die Kette meiner Ahnen abbrach.
     Dann læste die Finsternis mein Zimmer in einen unendlichen leeren  Raum
auf, in dessen Mitte ich mich auf meinem Lehnstuhl sitzen wuŸte, vor mir der
graue Schatten wieder mit dem ausgestreckten Arm.
     Und  als  ich  die Augen aufschlug, standen  in zwei sich  schneidenden
Kreisen, die einen Achter bildeten, fremdartige Wesen um uns herum:
     Die des einen  Kreises gehìllt in Gew¤nder mit violettem Schimmer,  die
des anderen mit rætlich schwarzem.  Menschen einer fremden Rasse, von hohem,
unnatìrlich schm¤chtigem  Wuchs,  die Gesichter  hinter  leuchtenden Tìchern
verborgen.
     Das  Herzbeben  in  meiner  Brust  sagte  mir,  daŸ  der Zeitpunkt  der
Entscheidung gekommen war. Meine  Finger zuckten nach  den Kærnern: - und da
sah ich, wie ein Zittern durch die Gestalten des rætlichen Kreises ging. -
     Sollte ich die Kærner zurìckweisen?: Das Zittern ergriff den bl¤ulichen
Kreis;  -  ich  blickte  den  Mann ohne Kopf  scharf an;  er stand  da -  in
derselben Stellung: regungslos wie frìher.
     Sogar sein Atem hatte aufgehært.
     Ich hob  den Arm, wuŸte  noch immer nicht,  was  ich  tun sollte, und -
schlug auf die  ausgestreckte  Hand  des  Phantoms, daŸ die Kærner  ìber den
Boden hinrollten.
     Einen  Moment,  so j¤h wie  ein  elektrischer Schlag, entglitt  mir das
BewuŸtsein, und ich  glaubte in endlose Tiefen zu stìrzen,  - dann stand ich
fest auf den FìŸen.
     Das  graue  Geschæpf  war verschwunden. Ebenso die Wesen des  rætlichen
Kreises.
     Die bl¤ulichen Gestalten hingegen  hatten einen Ring um  mich gebildet;
sie trugen eine Inschrift aus goldnen Hieroglyphen auf der Brust und hielten
stumm  - es sah aus  wie ein  Schwur  - zwischen Zeigefinger und  Daumen die
roten  Kærner in  die  Hohe,  die  ich dem Phantom  ohne Kopf  aus  der Hand
geschlagen hatte.
     Ich  hærte,  wie  drauŸen  Hagelschauer  gegen  die  Fenster tobten und
brìllender Donner die Luft zerriŸ:
     Ein Wintergewitter in seiner ganzen  besinnungslosen Wut raste ìber die
Stadt  hinweg.  Vom  FluŸ  her  dræhnten  durch  das  Heulen  des Sturms  in
rhythmischen Intervallen die  dumpfen  Kanonenschìsse,  die das  Brechen der
Eisdecke  auf  der  Moldau  verkìndeten.  Die Stube  loderte  im  Licht  der
ununterbrochen  aufeinanderfolgenden  Blitze.  Ich  fìhlte mich plætzlich so
schwach, daŸ mir die Knie zitterten und ich mich setzen muŸte.
     "Sei ruhig," sagte deutlich eine Stimme neben mir, "sei ganz  ruhig, es
ist heute die Lelschimurim: die Nacht der Beschìtzung." -
      Allm¤hlich lieŸ das Unwetter nach, und der bet¤ubende L¤rm ging ìber in
das eintænige Trommeln der SchloŸen auf die Dacher.
     Die Mattigkeit in meinen  Gliedern nahm derart zu, daŸ ich nur mehr mit
stumpfen Sinnen und halb im Traum wahrnahm, was um mich her vorging:
     Jemand aus dem Kreis sagte die Worte:
     "Den ihr suchet, der ist nicht hier."
     Die andern erwiderten etwas in einer fremden Sprache.
     Hierauf sagte der erste wieder leise einen Satz, dann kam der Name
     "Henoch"
     vor, aber ich verstand das ìbrige nicht: der Wind trug das  Stæhnen der
berstenden Eisschollen zu laut vom Flusse herìber.
     Allm¤hlich lieŸ das Unwetter nach, und der bet¤ubende L¤rm ging ìber in
das eintænige Trommeln der SchloŸen auf die Dacher.
     Die Mattigkeit in meinen  Gliedern nahm derart zu, daŸ ich nur mehr mit
stumpfen Sinnen und halb im Traum wahrnahm, was um mich her vorging:
     Jemand aus dem Kreis sagte die Worte:
     "Den ihr suchet, der ist nicht hier."
     Die andern erwiderten etwas in einer fremden Sprache.
     Hierauf sagte der erste wieder leise einen Satz, dann kam der Name
     "Henoch"
     vor, aber ich verstand das ìbrige nicht: der Wind trug das  Stæhnen der
berstenden Eisschollen zu laut vom Flusse herìber.
      Dann læste sich einer aus dem Kreis, trat vor mich hin, deutete auf die
Hieroglyphen auf seiner Brust - sie  waren  dieselben Buchstaben wie die der
ìbrigen - und fragte mich, ob ich sie lesen kænne.
     Und als  ich  - lallend vor Mìdigkeit,  -  verneinte,  streckte er  die
Handfl¤che  gegen mich aus, und die Schrift  erschien  leuchtend  auf meiner
Brust in Lettern, die zuerst lateinisch waren:
     CHABRAT ZEREH AUR BOCHER
     Dann læste sich einer aus dem Kreis, trat vor mich hin, deutete auf die
Hieroglyphen auf seiner Brust - sie  waren  dieselben Buchstaben wie die der
ìbrigen - und fragte mich, ob ich sie lesen kænne.
     Und als  ich  - lallend vor Mìdigkeit,  -  verneinte,  streckte er  die
Handfl¤che  gegen mich aus, und die Schrift  erschien  leuchtend  auf meiner
Brust in Lettern, die zuerst lateinisch waren:
     CHABRAT ZEREH AUR BOCHER
      und  sich  langsam  in die mir unbekannten verwandelten. - - - Und  ich
fiel  in einen tiefen, traumlosen  Schlaf, wie  ich ihn seit jener Nacht, in
der Hillel mir die Zunge gelæst, nicht mehr gekannt hatte.
        Trieb
     Wie im  Fluge  waren mir die Stunden der  letzten Tage vergangen. Kaum,
daŸ ich mir Zeit zu den Mahlzeiten lieŸ.
     Ein  unwiderstehlicher Drang nach ¤uŸerer T¤tigkeit hatte mich von frìh
bis abends an meinen Arbeitstisch gefesselt.
     Die  Gemme war fertig  geworden, und Mirjam  hatte  sich  wie  ein Kind
darìber gefreut.
     Auch der Buchstabe "I" in dem Buche Ibbur war ausgebessert.
     Ich lehnte mich zurìck  und lieŸ ruhevoll  all die kleinen Geschehnisse
der heutigen Stunden an mir vorìberziehen:
     Wie das alte Weib,  das mich bediente, am Morgen nach dem Ungewitter zu
mir ins Zimmer gestìrzt kam mit der Meldung, die steinerne Brìcke sei in der
Nacht eingestìrzt. -
     Seltsam:  -  Eingestìrzt! Vielleicht gerade in der Stunde,  wo ich  die
Kærner - - - nein, nein,  nicht daran denken;  es  kænnte einen Anstrich von
Nìchternheit  bekommen,  was  damals   geschehen  war,  und  ich  hatte  mir
vorgenommen, es in meiner Brust  begraben  sein zu lassen, bis es von selbst
wieder erwachte, - nur nicht daran rìhren.
     Wie  lange war's her,  da ging  ich  noch  ìber  die  Brìcke,  sah  die
steinernen  Statuen  -  und  jetzt  lag sie,  die  Brìcke,  die Jahrhunderte
gestanden, in Trìmmern.
     Es stimmte mich beinahe  wehmìtig, daŸ ich nie  mehr meinen FuŸ auf sie
setzen sollte. Wenn man sie auch wieder aufbaute, war es doch nicht mehr die
alte, geheimnisvolle, steinerne Brìcke.
     Stundenlang  hatte ich,  w¤hrend ich  an  der  Gemme  schnitt,  darìber
nachdenken mìssen, und so selbstverst¤ndlich, als h¤tte ich es nie vergessen
gehabt,  war  es lebendig in mir geworden: wie  oft ich als Kind und auch in
sp¤tern  Jahren zu dem Bildnis der heiligen Luitgard und all den andern, die
jetzt begraben lagen in den tosenden Wassern, aufgeblickt.
     Die vielen, kleinen lieben  Dinge, die ich in  meiner Jugend mein eigen
genannt, hatte ich  wieder  gesehen im Geiste  - und meinen Vater  und meine
Mutter und die Menge Schulkameraden. Nur an das Haus, wo ich gewohnt, konnte
ich mich nicht mehr erinnern.
     Ich wuŸte, es wìrde plætzlich, eines  Tages, wenn ich  es am  wenigsten
erwartete, wieder vor mir stehen; und ich freute mich darauf.
     Die  Empfindung, daŸ sich  mit einemmal alles natìrlich und  einfach in
mir abwickelte, war so behaglich.
     Als ich vorgestern  das Buch Ibbur aus der Kassette  geholt hatte, - es
war so gar nichts Erstaunliches daran gewesen, daŸ es  aussah, nun, wie eben
ein altes,  mit wertvollen Initialen  geschmìcktes Pergamentbuch  aussieht -
schien es mir ganz selbstverst¤ndlich.
     Ich konnte nicht begreifen, daŸ es jemals gespenstisch auf mich gewirkt
hatte!
     Es war in hebr¤ischer  Sprache  geschrieben, vollkommen  unverst¤ndlich
fìr mich.
     Wann wohl der Unbekannte es wieder holen kommen wurde?
     Die Freude am Leben, die w¤hrend der Arbeit heimlich in mich eingezogen
war,  erwachte  von   neuem  in   ihrer  ganzen  erquickenden   Frische  und
verscheuchte  die  Nachtgedanken, die  mich  hinterrìcks  wieder  ìberfallen
wollten.
     Rasch nahm  ich  Angelinas Bild - ich  hatte die Widmung,  die darunter
stand, abgeschnitten - und kìŸte es.
     Es war das alles so tæricht  und widersinnig, aber  warum nicht  einmal
von  -  Glìck tr¤umen, die  glitzernde  Gegenwart festhalten und  sich daran
freuen, wie ìber eine Seifenblase?
     Konnte denn nicht vielleicht  doch  in Erfìllung gehen,  was mir da die
Sehnsucht meines Herzens vorgaukelte? War  es so ganz und gar unmæglich, daŸ
ich ìber Nacht ein berìhmter Mann wurde? Ihr ebenbìrtig, wenn auch  nicht an
Herkunft? Zumindest Dr. Savioli ebenbìrtig? Ich dachte an die Gemme Mirjams:
wenn mir noch andere so gelangen wie diese - kein Zweifei, selbst die ersten
Kìnstler aller Zeiten hatten nie etwas Besseres geschaffen.
     Und nur einen Zufall angenommen: der Gatte Angelinas stìrbe plætzlich?
     Mir wurde heiŸ und kalt: ein winziger Zufall -  und meine Hoffnung, die
verwegenste  Hoffnung, gewann  Gestalt. An einem dìnnen Faden, der stìndlich
reiŸen konnte, hing das Glìck, das mir dann in den SchoŸ fallen mìŸte.
     War  mir  denn nicht  schon tausendfach Wunderbareres geschehen? Dinge,
von denen die Menschheit gar nicht ahnte, daŸ sie ìberhaupt existierten?
     War es kein Wunder, daŸ binnen weniger Wochen kìnstlerische F¤higkeiten
in mir  erwacht  waren,  die  mich  jetzt schon  weit ìber  den Durchschnitt
erhoben?
     Und ich stand doch erst am Anfang des Weges!
     Hatte ich denn kein Anrecht auf Glìck?
     Ist denn Mystik gleichbedeutend mit Wunschlosigkeit?
     Ich ìbertænte das: "Ja" in mir: -  nur noch  eine Stunde tr¤umen - eine
Minute - ein kurzes Menschendasein!
     Und ich tr¤umte mit offenen Augen:
     Die  Edelsteine auf dem Tisch wuchsen und wuchsen und umgaben mich  von
allen  Seiten mit farbigen Wasserf¤llen. B¤ume aus  Opal standen  in Gruppen
beisammen und strahlten die Lichtwellen des Himmels, der blau schillerte wie
der Flìgel eines gigantischen Tropenschmetterlings, in Funkensprìhregen ìber
unabsehbare Wiesen voll heiŸem Sommerduft.
     Mich  dìrstete, und ich kìhlte meine Glieder in dem eisigen  Gischt der
B¤che, die ìber Felsblæcke rauschten aus schimmerndem Perlmutter.
     Schwìler Hauch strich ìber H¤nge, ìbers¤t  mit Blìten und  Blumen,  und
machte  mich trunken  mit  den Gerìchen von  Jasmin, Hyazinthen,  Narzissen,
Seidelbast - - -
     Unertr¤glich! Unertr¤glich! Ich verlæschte das Bild. - Mich dìrstete.
     Das waren die Qualen des Paradieses.
     Ich riŸ die Fenster auf und lieŸ den Tauwind an meine Stirne wehen.
     Es roch nach kommendem Frìhling - - -
     und  sich  langsam  in die mir unbekannten verwandelten. - - - Und  ich
fiel  in einen tiefen, traumlosen  Schlaf, wie  ich ihn seit jener Nacht, in
der Hillel mir die Zunge gelæst, nicht mehr gekannt hatte.
        Trieb
     Wie im  Fluge  waren mir die Stunden der  letzten Tage vergangen. Kaum,
daŸ ich mir Zeit zu den Mahlzeiten lieŸ.
     Ein  unwiderstehlicher Drang nach ¤uŸerer T¤tigkeit hatte mich von frìh
bis abends an meinen Arbeitstisch gefesselt.
     Die  Gemme war fertig  geworden, und Mirjam  hatte  sich  wie  ein Kind
darìber gefreut.
     Auch der Buchstabe "I" in dem Buche Ibbur war ausgebessert.
     Ich lehnte mich zurìck  und lieŸ ruhevoll  all die kleinen Geschehnisse
der heutigen Stunden an mir vorìberziehen:
     Wie das alte Weib,  das mich bediente, am Morgen nach dem Ungewitter zu
mir ins Zimmer gestìrzt kam mit der Meldung, die steinerne Brìcke sei in der
Nacht eingestìrzt. -
     Seltsam:  -  Eingestìrzt! Vielleicht gerade in der Stunde,  wo ich  die
Kærner - - - nein, nein,  nicht daran denken;  es  kænnte einen Anstrich von
Nìchternheit  bekommen,  was  damals   geschehen  war,  und  ich  hatte  mir
vorgenommen, es in meiner Brust  begraben  sein zu lassen, bis es von selbst
wieder erwachte, - nur nicht daran rìhren.
     Wie  lange war's her,  da ging  ich  noch  ìber  die  Brìcke,  sah  die
steinernen  Statuen  -  und  jetzt  lag sie,  die  Brìcke,  die Jahrhunderte
gestanden, in Trìmmern.
     Es stimmte mich beinahe  wehmìtig, daŸ ich nie  mehr meinen FuŸ auf sie
setzen sollte. Wenn man sie auch wieder aufbaute, war es doch nicht mehr die
alte, geheimnisvolle, steinerne Brìcke.
     Stundenlang  hatte ich,  w¤hrend ich  an  der  Gemme  schnitt,  darìber
nachdenken mìssen, und so selbstverst¤ndlich, als h¤tte ich es nie vergessen
gehabt,  war  es lebendig in mir geworden: wie  oft ich als Kind und auch in
sp¤tern  Jahren zu dem Bildnis der heiligen Luitgard und all den andern, die
jetzt begraben lagen in den tosenden Wassern, aufgeblickt.
     Die vielen, kleinen lieben  Dinge, die ich in  meiner Jugend mein eigen
genannt, hatte ich  wieder  gesehen im Geiste  - und meinen Vater  und meine
Mutter und die Menge Schulkameraden. Nur an das Haus, wo ich gewohnt, konnte
ich mich nicht mehr erinnern.
     Ich wuŸte, es wìrde plætzlich, eines  Tages, wenn ich  es am  wenigsten
erwartete, wieder vor mir stehen; und ich freute mich darauf.
     Die  Empfindung, daŸ sich  mit einemmal alles natìrlich und  einfach in
mir abwickelte, war so behaglich.
     Als ich vorgestern  das Buch Ibbur aus der Kassette  geholt hatte, - es
war so gar nichts Erstaunliches daran gewesen, daŸ es  aussah, nun, wie eben
ein altes,  mit wertvollen Initialen  geschmìcktes Pergamentbuch  aussieht -
schien es mir ganz selbstverst¤ndlich.
     Ich konnte nicht begreifen, daŸ es jemals gespenstisch auf mich gewirkt
hatte!
     Es war in hebr¤ischer  Sprache  geschrieben, vollkommen  unverst¤ndlich
fìr mich.
     Wann wohl der Unbekannte es wieder holen kommen wurde?
     Die Freude am Leben, die w¤hrend der Arbeit heimlich in mich eingezogen
war,  erwachte  von   neuem  in   ihrer  ganzen  erquickenden   Frische  und
verscheuchte  die  Nachtgedanken, die  mich  hinterrìcks  wieder  ìberfallen
wollten.
     Rasch nahm  ich  Angelinas Bild - ich  hatte die Widmung,  die darunter
stand, abgeschnitten - und kìŸte es.
     Es war das alles so tæricht  und widersinnig, aber  warum nicht  einmal
von  -  Glìck tr¤umen, die  glitzernde  Gegenwart festhalten und  sich daran
freuen, wie ìber eine Seifenblase?
     Konnte denn nicht vielleicht  doch  in Erfìllung gehen,  was mir da die
Sehnsucht meines Herzens vorgaukelte? War  es so ganz und gar unmæglich, daŸ
ich ìber Nacht ein berìhmter Mann wurde? Ihr ebenbìrtig, wenn auch  nicht an
Herkunft? Zumindest Dr. Savioli ebenbìrtig? Ich dachte an die Gemme Mirjams:
wenn mir noch andere so gelangen wie diese - kein Zweifei, selbst die ersten
Kìnstler aller Zeiten hatten nie etwas Besseres geschaffen.
     Und nur einen Zufall angenommen: der Gatte Angelinas stìrbe plætzlich?
     Mir wurde heiŸ und kalt: ein winziger Zufall -  und meine Hoffnung, die
verwegenste  Hoffnung, gewann  Gestalt. An einem dìnnen Faden, der stìndlich
reiŸen konnte, hing das Glìck, das mir dann in den SchoŸ fallen mìŸte.
     War  mir  denn nicht  schon tausendfach Wunderbareres geschehen? Dinge,
von denen die Menschheit gar nicht ahnte, daŸ sie ìberhaupt existierten?
     War es kein Wunder, daŸ binnen weniger Wochen kìnstlerische F¤higkeiten
in mir  erwacht  waren,  die  mich  jetzt schon  weit ìber  den Durchschnitt
erhoben?
     Und ich stand doch erst am Anfang des Weges!
     Hatte ich denn kein Anrecht auf Glìck?
     Ist denn Mystik gleichbedeutend mit Wunschlosigkeit?
     Ich ìbertænte das: "Ja" in mir: -  nur noch  eine Stunde tr¤umen - eine
Minute - ein kurzes Menschendasein!
     Und ich tr¤umte mit offenen Augen:
     Die  Edelsteine auf dem Tisch wuchsen und wuchsen und umgaben mich  von
allen  Seiten mit farbigen Wasserf¤llen. B¤ume aus  Opal standen  in Gruppen
beisammen und strahlten die Lichtwellen des Himmels, der blau schillerte wie
der Flìgel eines gigantischen Tropenschmetterlings, in Funkensprìhregen ìber
unabsehbare Wiesen voll heiŸem Sommerduft.
     Mich  dìrstete, und ich kìhlte meine Glieder in dem eisigen  Gischt der
B¤che, die ìber Felsblæcke rauschten aus schimmerndem Perlmutter.
     Schwìler Hauch strich ìber H¤nge, ìbers¤t  mit Blìten und  Blumen,  und
machte  mich trunken  mit  den Gerìchen von  Jasmin, Hyazinthen,  Narzissen,
Seidelbast - - -
     Unertr¤glich! Unertr¤glich! Ich verlæschte das Bild. - Mich dìrstete.
     Das waren die Qualen des Paradieses.
     Ich riŸ die Fenster auf und lieŸ den Tauwind an meine Stirne wehen.
     Es roch nach kommendem Frìhling - - -
      Mirjam!
     Ich muŸte an Mirjam denken.
     Wie  sie sich vor  Erregung  an der  Wand hatte halten mìssen, um nicht
umzufallen, als  sie mir erz¤hlen  gekommen, ein Wunder  sei  geschehen, ein
wirkliches Wunder: sie habe ein Goldstìck gefunden in  dem Brotlaib, den der
B¤cker vom Gang aus durchs Gitter ins Kìchenfenster gelegt. - - -
     Ich griff nach meiner  Bærse. - Hoffentlich war es heute nicht schon zu
sp¤t, und ich kam noch zurecht, ihr wieder einen Dukaten zuzuzaubern!
     T¤glich hatte sie mich besucht, um mir Gesellschaft zu leisten, wie sie
es  nannte, dabei  aber fast nicht  gesprochen, so erfìllt war  sie  von dem
"Wunder"  gewesen.  Bis  in  die  tiefsten  Tiefen hatte  das  Erlebnis  sie
aufgewìhlt und, wenn ich  mir vorstellte, wie sie  manchmal  plætzlich  ohne
¤uŸern Grund - nur unter dem  EinfluŸ ihrer  Erinnerung - totenblaŸ geworden
war bis  in die Lippen, schwindelte  mir bei dem bloŸen Gedanken, ich kænnte
in  meiner  Blindheit  Dinge  angerichtet  haben, deren  Tragweite  bis  ins
Grenzenlose ging.
     Und wenn ich mir die letzten, dunklen Worte Hillels ins Ged¤chtnis rief
und in Zusammenhang damit brachte, ìberlief es mich eiskalt.
     Die Reinheit des Motivs war  keine Entschuldigung fìr mich, - der Zweck
heiligt die Mittel nicht, das sah ich ein.
     Und  was, wenn ìberdies  das Motiv: "helfen  zu  wollen" nur  scheinbar
"rein" war?  Hielt sich nicht vielleicht  doch eine  heimliche Lìge dahinter
verborgen?: der selbstgef¤llige, unbewuŸte Wunsch,  in der Rolle des Helfers
zu schwelgen?
     Ich fing an, irre an mir selbst zu werden.
     DaŸ ich Mirjam viel zu oberfl¤chlich beurteilt hatte, war klar.
     Schon als die Tochter Hillels muŸte sie anders sein als andere M¤dchen.
     Wie hatte ich nur so vermessen sein kænnen, auf solch tærichte Weise in
ein Innenleben einzugreifen,  das vielleicht  himmelhoch ìber meinem eigenen
stand!
     Schon ihr Gesichtsschnitt, der hundertmal eher in die Zeit der sechsten
¤gyptischen  Dynastie paŸte  und  selbst fìr diese  noch viel zu vergeistigt
war, als in die unsrige mit ihren Verstandesmenschentypen, h¤tte mich warnen
mìssen.
     "Nur  der ganz  Dumme miŸtraut  dem  ¤uŸern Schein", hatte ich irgendwo
einmal gelesen. - Wie richtig! Wie richtig!
     Mirjam  und  ich waren jetzt gute Freunde; sollte ich ihr  eingestehen,
daŸ ich  es gewesen war, der die Dukaten Tag fìr Tag  ins Brot  geschmuggelt
hatte?
     Der Schlag k¤me zu plætzlich. Wìrde sie bet¤uben.
     Ich durfte das nicht wagen, muŸte behutsamer vorgehen.
     Das "Wunder" irgendwie abschw¤chen? Statt das Geld ins Brot zu stecken,
es auf die  Treppenstufe zu legen, daŸ sie es finden muŸte, wenn sie die Tìr
aufmachte,  und so weiter,  und so  weiter?  Etwas Neues,  weniger Schroffes
wìrde  sich  schon  ausdenken  lassen,  irgendein   Weg,  der  sie  aus  dem
Wunderbaren allm¤hlich  wieder  ins Allt¤gliche herìberlenkte,  træstete ich
mich.
     Ja! Das war das Richtige.
     Oder den Knoten zerhauen? Ihren Vater einweihen und zu Rate ziehen? Die
Schamræte stieg  mir ins  Gesicht. Zu diesem  Schritt blieb Zeit genug, wenn
alle andern Mittel versagten.
     Nur gleich ans Werk gehen, keine Zeit vers¤umen!
     Ein  guter   Einfall   kam  mir:   Ich   muŸte  Mirjam  zu  etwas  ganz
Absonderlichem bewegen, sie fìr ein paar Stunden aus der  gewohnten Umgebung
reiŸen, daŸ sie andere Eindrìcke bekam.
     Wir wìrden einen Wagen nehmen  und eine Spazierfahrt machen. Wer kannte
uns denn, wenn wir das Judenviertel mieden?
     Vielleicht   interessierte   es  sie,   die  eingestìrzte   Brìcke   zu
besichtigen?
     Oder der alte Zwakh oder eine ihrer frìheren Freundinnen sollte mit ihr
fahren, wenn sie es ungeheuerlich finden wìrde, daŸ ich mit dabei sei.
     Ich war fest entschlossen, keinen Widerspruch gelten zu lassen. - - -
     Mirjam!
     Ich muŸte an Mirjam denken.
     Wie  sie sich vor  Erregung  an der  Wand hatte halten mìssen, um nicht
umzufallen, als  sie mir erz¤hlen  gekommen, ein Wunder  sei  geschehen, ein
wirkliches Wunder: sie habe ein Goldstìck gefunden in  dem Brotlaib, den der
B¤cker vom Gang aus durchs Gitter ins Kìchenfenster gelegt. - - -
     Ich griff nach meiner  Bærse. - Hoffentlich war es heute nicht schon zu
sp¤t, und ich kam noch zurecht, ihr wieder einen Dukaten zuzuzaubern!
     T¤glich hatte sie mich besucht, um mir Gesellschaft zu leisten, wie sie
es  nannte, dabei  aber fast nicht  gesprochen, so erfìllt war  sie  von dem
"Wunder"  gewesen.  Bis  in  die  tiefsten  Tiefen hatte  das  Erlebnis  sie
aufgewìhlt und, wenn ich  mir vorstellte, wie sie  manchmal  plætzlich  ohne
¤uŸern Grund - nur unter dem  EinfluŸ ihrer  Erinnerung - totenblaŸ geworden
war bis  in die Lippen, schwindelte  mir bei dem bloŸen Gedanken, ich kænnte
in  meiner  Blindheit  Dinge  angerichtet  haben, deren  Tragweite  bis  ins
Grenzenlose ging.
     Und wenn ich mir die letzten, dunklen Worte Hillels ins Ged¤chtnis rief
und in Zusammenhang damit brachte, ìberlief es mich eiskalt.
     Die Reinheit des Motivs war  keine Entschuldigung fìr mich, - der Zweck
heiligt die Mittel nicht, das sah ich ein.
     Und  was, wenn ìberdies  das Motiv: "helfen  zu  wollen" nur  scheinbar
"rein" war?  Hielt sich nicht vielleicht  doch eine  heimliche Lìge dahinter
verborgen?: der selbstgef¤llige, unbewuŸte Wunsch,  in der Rolle des Helfers
zu schwelgen?
     Ich fing an, irre an mir selbst zu werden.
     DaŸ ich Mirjam viel zu oberfl¤chlich beurteilt hatte, war klar.
     Schon als die Tochter Hillels muŸte sie anders sein als andere M¤dchen.
     Wie hatte ich nur so vermessen sein kænnen, auf solch tærichte Weise in
ein Innenleben einzugreifen,  das vielleicht  himmelhoch ìber meinem eigenen
stand!
     Schon ihr Gesichtsschnitt, der hundertmal eher in die Zeit der sechsten
¤gyptischen  Dynastie paŸte  und  selbst fìr diese  noch viel zu vergeistigt
war, als in die unsrige mit ihren Verstandesmenschentypen, h¤tte mich warnen
mìssen.
     "Nur  der ganz  Dumme miŸtraut  dem  ¤uŸern Schein", hatte ich irgendwo
einmal gelesen. - Wie richtig! Wie richtig!
     Mirjam  und  ich waren jetzt gute Freunde; sollte ich ihr  eingestehen,
daŸ ich  es gewesen war, der die Dukaten Tag fìr Tag  ins Brot  geschmuggelt
hatte?
     Der Schlag k¤me zu plætzlich. Wìrde sie bet¤uben.
     Ich durfte das nicht wagen, muŸte behutsamer vorgehen.
     Das "Wunder" irgendwie abschw¤chen? Statt das Geld ins Brot zu stecken,
es auf die  Treppenstufe zu legen, daŸ sie es finden muŸte, wenn sie die Tìr
aufmachte,  und so weiter,  und so  weiter?  Etwas Neues,  weniger Schroffes
wìrde  sich  schon  ausdenken  lassen,  irgendein   Weg,  der  sie  aus  dem
Wunderbaren allm¤hlich  wieder  ins Allt¤gliche herìberlenkte,  træstete ich
mich.
     Ja! Das war das Richtige.
     Oder den Knoten zerhauen? Ihren Vater einweihen und zu Rate ziehen? Die
Schamræte stieg  mir ins  Gesicht. Zu diesem  Schritt blieb Zeit genug, wenn
alle andern Mittel versagten.
     Nur gleich ans Werk gehen, keine Zeit vers¤umen!
     Ein  guter   Einfall   kam  mir:   Ich   muŸte  Mirjam  zu  etwas  ganz
Absonderlichem bewegen, sie fìr ein paar Stunden aus der  gewohnten Umgebung
reiŸen, daŸ sie andere Eindrìcke bekam.
     Wir wìrden einen Wagen nehmen  und eine Spazierfahrt machen. Wer kannte
uns denn, wenn wir das Judenviertel mieden?
     Vielleicht   interessierte   es  sie,   die  eingestìrzte   Brìcke   zu
besichtigen?
     Oder der alte Zwakh oder eine ihrer frìheren Freundinnen sollte mit ihr
fahren, wenn sie es ungeheuerlich finden wìrde, daŸ ich mit dabei sei.
     Ich war fest entschlossen, keinen Widerspruch gelten zu lassen. - - -
      An der Tìrschwelle rannte ich einen Mann beinahe ìber den Haufen.
     Wassertrum!
     Er  muŸte  durchs  Schlìsselloch  hereingesp¤ht  haben,  denn  er stand
gebìckt, als ich mit ihm zusammengestoŸen war.
     "Suchen Sie mich?", fragte ich barsch.
     Er  stammelte ein paar Worte  der Entschuldigung in  seinem unmæglichen
Jargon; dann bejahte er.
     Ich forderte ihn auf, n¤her zu treten und sich zu setzen, aber er blieb
am  Tisch  stehen  und  drehte  krampfhaft  mit  der Hutkrempe.  Eine  tiefe
Feindseligkeit, die  er vergebens  vor  mir verbergen wollte, spiegelte  aus
seinem Gesicht und jeder seiner Bewegungen.
     Noch  nie hatte  ich den Mann in so unmittelbarer  N¤he gesehen.  Seine
grauenhafte H¤Ÿlichkeit war es nicht, die einen so abstieŸ; (sie machte mich
eher mitleidig  gestimmt: er sah aus wie ein Geschæpf,  dem die Natur selbst
bei  seiner  Geburt  voll Wut und Abscheu mit  dem  FuŸ ins Gesicht getreten
hatte)  - etwas anderes, Unw¤gbares, das von  ihm  ausging, trug  die Schuld
daran.
     Das "Blut", wie Charousek es treffend bezeichnet hatte.
     Unwillkìrlich  wischte ich  mir  die Hand  ab,  die ich ihm  bei seinem
Eintritt gereicht hatte.
     So wenig auff¤llig ich es  machte,  er schien es doch bemerkt zu haben,
denn er muŸte  sich plætzlich mit  Gewalt zwingen, das Aufflammen des Hasses
in seinen Zìgen zu unterdrìcken.
     "Hìbsch  ham Se's hier", fing er endlich  stockend  an, als er sah, daŸ
ich ihm nicht den Gefallen tat, das Gespr¤ch zu beginnen.
     Im Widerspruch zu seinen  Worten schloŸ er dabei die Augen, vielleicht,
um  meinem Blick nicht zu begegnen. Oder glaubte  er, daŸ es seinem  Gesicht
einen harmloseren Ausdruck verleihen wìrde?
     Man konnte  ihm deutlich anhæren, welche Mìhe er sich gab,  hochdeutsch
zu reden.
     Ich fìhlte mich nicht zu einer Entgegnung verpflichtet und wartete, was
er weiter sagen wìrde.
     In seiner Verlegenheit griff er nach der Feile, die - weiŸ Gott wieso -
noch  seit Charouseks Besuch  auf  dem  Tisch  lag, fuhr  aber unwillkìrlich
sofort  wie von einer  Schlange gebissen zurìck.  Ich staunte innerlich ìber
seine unterbewuŸte seelische Feinfìhligkeit.
     "Freilich, natìrlich,  es  gehært zum  Gesch¤ft, daŸ  man's  fein hat,"
raffte  er sich auf, zu sagen, "wenn man  -  so noble Besuche  bekommt."  Er
wollte  die Augen  aufschlagen, um zu sehen, welchen  Eindruck die Worte auf
mich machten,  hielt  es  aber offenbar noch  fìr verfrìht  und  schloŸ  sie
schnell wieder.
     Ich wollte ihn  in die Enge treiben: "Sie meinen die Dame,  die neulich
hier vorfuhr? Sagen Sie doch offen, wo Sie hinauswollen!"
     Er zægerte einen Moment,  dann packte er mich  heftig am Handgelenk und
zerrte mich ans Fenster.
     Die  sonderbare,  unmotivierte  Art, mit  der er es tat, erinnerte mich
daran, wie er vor einigen Tagen den taubstummen Jaromir unten in seine Hæhle
gerissen hatte.
     Mit krummen Fingern hielt er mir einen blitzenden Gegenstand hin:
     "Was glauben Sie, Herr Pernath, laŸt sich da noch was machen?"
     Es war eine goldene  Uhr  mit so stark verbeulten Deckeln, daŸ es  fast
aussah, als h¤tte sie jemand mit Absicht verbogen.
     Ich  nahm  ein  VergræŸerungsglas:  die  Scharniere  waren  zur  H¤lfte
abgerissen und innen - stand da nicht etwas eingraviert? Kaum mehr leserlich
und noch ìberdies mit einer Menge ganz frischer Schrammen zerkratzt. Langsam
entzifferte ich:
     K-rl Zott-mann.
     Zottmann? Zottmann? - Wo hatte ich diesen Namen doch gelesen? Zottmann?
Ich konnte mich nicht entsinnen. Zottmann?
     Wassertrum schlug mir die Lupe beinahe aus der Hand:
     "Im Werk is nix, da hab' ich schon selber geschaut. Aber mit'm Geh¤use,
da stinkt's."
     "Braucht man nur gerade zu klopfen - hæchstens ein paar Lætstellen. Das
kann Ihnen ebensogut jeder beliebige Goldarbeiter machen, Herr Wassertrum."
     "Ich leg' doch Wert darauf, daŸ es eine solide Arbeit  wird. Was man so
sagt: kìnstlerisch", unterbrach er mich hastig. Fast ¤ngstlich.
     "Nun gut, wenn Ihnen derart viel daran liegt -"
     "Viel  daran  liegt!" Seine  Stimme schnappte ìber vor Eifer. "Ich will
sie doch selber tragen, die Uhr. Und wenn ich sie  jemandem zeig',  will ich
sagen kænnen: schauen Sie mal her, so arbeitet der Herr von Pernath."
     Ich  ekelte  mich  vor  dem  Kerl; er spuckte mir  seine  widerw¤rtigen
Schmeicheleien færmlich ins Gesicht.
     "Wenn Sie in einer Stunde wiederkommen, wird alles fertig sein."
     Wassertrum  wand  sich in Kr¤mpfen: "Das gibt's  nicht.  Das  will  ich
nicht. Drei Tag. Vier Tag. Die n¤chste Woche  is Zeit genug. Das ganze Leben
mæcht' ich mir Vorwìrfe machen, daŸ ich Ihnen gedr¤ngt hab'."
     Was  wollte  er nur, daŸ  er  so auŸer sich geriet? -  Ich machte einen
Schritt  ins Nebenzimmer  und  sperrte  die Uhr in  die  Kassette. Angelinas
Photographie lag obenauf. Schnell schlug ich den  Deckel wieder zu - fìr den
Fall, daŸ Wassertrum mir nachblicken sollte.
     Als ich zurìckkam, fiel mir auf, daŸ er sich verf¤rbt hatte.
     Ich  musterte ihn  scharf, lieŸ aber  meinen  Verdacht  sofort  fallen:
Unmæglich! Er konnte nichts gesehen haben.
     "Also,  dann vielleicht n¤chste Woche", sagte ich, um seinem Besuch ein
Ende zu machen.
     Er schien mit einemmal keine Eile  mehr zu haben, nahm einen Sessel und
setzte sich.
     Im Gegensatz zu frìher hielt er seine  Fischaugen jetzt beim Reden weit
offen und fixierte beharrlich meinen obersten Westenknopf.
     Pause.
     "Die  Duksel hat Ihnen  natìrlich  gesagt,  Sie sollen sich  nix wissen
machen, wenn's  heraus  kommt.  Waas?"  sprudelte  er  plætzlich  ohne  jede
Einleitung auf mich los und schlug mit der Faust auf den Tisch.
     Es lag etwas merkwìrdig Schreckhaftes in der Abgerissenheit, mit der er
von  einer  Sprechweise  in  die  andere  ìbergehen  -  von  Schmeicheltænen
blitzartig  ins  Brutale  springen  konnte,  und  ich  hielt  es  fìr   sehr
wahrscheinlich,   daŸ  die  meisten  Menschen,  besonders  Frauen,  sich  im
Handumdrehen in seiner  Gewalt befinden  muŸten,  wenn er nur die  geringste
Waffe gegen sie besaŸ.
     Ich wollte auffahren, ihn am Hals  packen und  vor die  Tìr setzen, war
mein  erster  Gedanke;  dann  ìberlegte  ich,  ob es  nicht  klìger sei, ihn
zuværderst einmal grìndlich auszuhorchen.
     "Ich verstehe wahrhaftig nicht, was Sie meinen, Herr Wassertrum;" - ich
bemìhte mich, ein mæglichst dummes Gesicht zu machen - "Duksel? Was ist das:
Duksel?"
     "Soll ich Ihnen vielleicht Deitsch lernen?", fuhr er mich grob an. "Die
Hand  werden  Sie aufheben  mìssen bei Gericht, wenn's um  die Wurscht geht.
Verstehen Sie mich?! Das sag ich Ihnen!" - Er fing an zu schreien:  "Mir ins
Gesicht hinein werden Sie nicht  abschwæren,  daŸ ›sie‹ von  da drìben" - er
deutete mit dem Daumen nach dem Atelier - "zu Ihnen heribber geloffen is mit
en Teppich an und - sonst nix!"
     Die  Wut stieg mir in  die Augen; ich packte den Halunken an der  Brust
und schìttelte ihn:
     "Wenn Sie jetzt noch ein Wort in diesem Ton sagen, breche ich Ihnen die
Knochen im Leibe entzwei! Verstanden?"
     Aschfahl sank er in den Stuhl zurìck und stotterte:
     "Was is? Was is? Was wollen Sie? Ich mein' doch bloŸ."
     Ich  ging ein paarmal im Zimmer  auf  und  ab,  um  mich zu  beruhigen.
Horchte nicht hin, was er alles zu seiner Entschuldigung herausgeiferte.
     Dann setzte  ich mich ihm dicht  gegenìber, in der festen Absicht,  die
Sache, soweit  sie  Angelina  betraf, ein fìr allemal mit ihm  ins  reine zu
bringen und, sollte  es  im Frieden nicht gehen, ihn zu zwingen, endlich die
Feindseligkeiten zu  eræffnen und seine paar schwachen  Pfeile  vorzeitig zu
verschieŸen.
     Ohne seine Unterbrechungen im geringsten zu beachten, sagte ich ihm auf
den Kopf  zu, daŸ  Erpressungen  irgendwelcher Art - ich betonte  das Wort -
miŸglìcken  mìŸten, da er auch nicht eine einzige Anschuldigung mit Beweisen
erh¤rten  kænnte  und  ich  mich  einer  Zeugenschaft  (angenommen,  es w¤re
ìberhaupt im  Bereiche der Mæglichkeit, daŸ es je zu  einer solchen k¤me)  -
bestimmt  zu entziehen wissen wìrde.  Angelina stìnde mir  viel zu nahe, als
daŸ  ich  sie nicht in der  Stunde  der  Not  retten wìrde, koste es, was es
wolle, sogar einen Meineid!
     Jede Muskel in  seinem Gesicht zuckte, seine  Hasenscharte zog sich bis
zur Nase auseinander, er fletschte die Z¤hne  und kollerte wie ein  Truthahn
mir immer wieder  in die Rede hinein: "Will ich  denn was von die Duksel? So
hæren  Sie doch zu!" -  Er war auŸer  sich vor  Ungeduld, daŸ ich mich nicht
beirren  lieŸ.  - "Um den Savioli is  mir's  zu  tun, um den gottverfluchten
Hund, - den - den -", fuhr es ihm plætzlich brìllend heraus.
     Er japste nach Luft. Rasch hielt  ich inne: endlich war er dort, wo ich
ihn haben wollte, aber schon hatte er sich gefaŸt und fixierte wieder  meine
Weste.
     "Hæren  Sie  zu,  Pernath;"  er   zwang  sich,  die   kìhle,  abw¤gende
Sprechweise eines Kaufmanns nachzuahmen, "Sie reden fort von der Duk - - von
der Dame. Gut!  sie ist verheiratet. Gut: sie hat sich eingelassen mit dem -
mit dem jungen Lauser. Was hab' ich  damit zu tun?" Er bewegte die H¤nde vor
meinem Gesicht hin und her,  die  Fingerspitzen zusammengedrìckt, als hielte
er eine Prise Salz darin - "soll sie sich das selber abmachen, die Duksel. -
Ich bin e Weltmann und  Sie sin auch e Weltmann. Wir kennen  doch das beide.
Waas? Ich will doch nur zu meinem Geld kommen. Verstehen Sie, Pernath?!"
     Ich horchte erstaunt auf:
     "Zu welchem Geld? Ist Ihnen denn Dr. Savioli etwas schuldig?"
     Wassertrum wich aus:
     "Abrechnungen hab' ich mit ihm. Das kommt doch auf eins heraus."
     "Sie wollen ihn ermorden!" schrie ich.
     Er sprang auf. Taumelte. Gluckste ein paarmal.
     "Jawohl!  Ermorden! Wie lange  wollen Sie mir noch Komædie vorspielen!"
Ich deutete auf die Tìr. "Schauen Sie, daŸ Sie hinauskommen."
     Langsam  griff er  nach seinem Hut, setzte ihn  auf und wandte sich zum
Gehen. Dann blieb er noch einmal stehen und sagte  mit einer Ruhe, deren ich
ihn nie fìr f¤hig gehalten h¤tte:
     "Auch recht. Ich hab' Sie herauslassen  wollen. Gut. Wenn nicht: Nicht.
Barmherzige Barbiere  machen faule Wunden. Mein Zarbìchel ist voll. Wenn Sie
gescheit gewesen  w¤ren -:  der Savioli  is Ihnen  doch nur im Weg?! Jetzt -
mach  -  ich -  mit - Ihnen allen dreien" - er deutete mit einer  Geste  des
Erdrosselns an, womit er es meinte - "PreŸcolleeh".
     Seine Mienen drìckten eine  so satanische Grausamkeit aus und er schien
seiner Sache so sicher zu sein, daŸ mir  das Blut in den Adern erstarrte. Er
muŸte  eine  Waffe  in H¤nden  haben, von  der  ich nichts ahnte,  die  auch
Charousek nicht kannte. Ich fìhlte den Boden unter mir wanken.
     "Die  Feile!  Die Feile!" hærte  ich es  in  meinem Hirn  flìstern. Ich
sch¤tzte die Entfernung ab: ein Schritt bis zum Tisch - zwei Schritte bis zu
Wassertrum  -  - ich  wollte  zuspringen -  - -  da stand wie aus  dem Boden
gewachsen Hillel auf der Schwelle.
     Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen.
     Ich sah nur  - wie durch Nebel -, daŸ  Hillel unbeweglich stehen  blieb
und Wassertrum Schritt fìr Schritt bis an die Wand zurìckwich.
     Dann hærte ich Hillel sagen:
     "Sie kennen doch,  Aaron, den Satz: Alle Juden sind Bìrgen fìreinander?
Machen Sie's einem nicht  zu schwer."  - Er fìgte ein paar hebr¤ische  Worte
hinzu, die ich nicht verstand.
     "Was haben Sie  das  netig, an der  Tìre zu  schnìffeln?" geiferte  der
Trædler mit bebenden Lippen.
     "Ob  ich  gehorcht  habe oder nicht,  braucht Sie  nicht zu kìmmern!" -
wieder  schloŸ  Hillel mit  einem  hebr¤ischen Satz,  der diesmal  wie  eine
Drohung  klang.  Ich  erwartete, daŸ es  zu einem Zank  kommen  wìrde,  aber
Wassertrum antwortete
     An der Tìrschwelle rannte ich einen Mann beinahe ìber den Haufen.
     Wassertrum!
     Er  muŸte  durchs  Schlìsselloch  hereingesp¤ht  haben,  denn  er stand
gebìckt, als ich mit ihm zusammengestoŸen war.
     "Suchen Sie mich?", fragte ich barsch.
     Er  stammelte ein paar Worte  der Entschuldigung in  seinem unmæglichen
Jargon; dann bejahte er.
     Ich forderte ihn auf, n¤her zu treten und sich zu setzen, aber er blieb
am  Tisch  stehen  und  drehte  krampfhaft  mit  der Hutkrempe.  Eine  tiefe
Feindseligkeit, die  er vergebens  vor  mir verbergen wollte, spiegelte  aus
seinem Gesicht und jeder seiner Bewegungen.
     Noch  nie hatte  ich den Mann in so unmittelbarer  N¤he gesehen.  Seine
grauenhafte H¤Ÿlichkeit war es nicht, die einen so abstieŸ; (sie machte mich
eher mitleidig  gestimmt: er sah aus wie ein Geschæpf,  dem die Natur selbst
bei  seiner  Geburt  voll Wut und Abscheu mit  dem  FuŸ ins Gesicht getreten
hatte)  - etwas anderes, Unw¤gbares, das von  ihm  ausging, trug  die Schuld
daran.
     Das "Blut", wie Charousek es treffend bezeichnet hatte.
     Unwillkìrlich  wischte ich  mir  die Hand  ab,  die ich ihm  bei seinem
Eintritt gereicht hatte.
     So wenig auff¤llig ich es  machte,  er schien es doch bemerkt zu haben,
denn er muŸte  sich plætzlich mit  Gewalt zwingen, das Aufflammen des Hasses
in seinen Zìgen zu unterdrìcken.
     "Hìbsch  ham Se's hier", fing er endlich  stockend  an, als er sah, daŸ
ich ihm nicht den Gefallen tat, das Gespr¤ch zu beginnen.
     Im Widerspruch zu seinen  Worten schloŸ er dabei die Augen, vielleicht,
um  meinem Blick nicht zu begegnen. Oder glaubte  er, daŸ es seinem  Gesicht
einen harmloseren Ausdruck verleihen wìrde?
     Man konnte  ihm deutlich anhæren, welche Mìhe er sich gab,  hochdeutsch
zu reden.
     Ich fìhlte mich nicht zu einer Entgegnung verpflichtet und wartete, was
er weiter sagen wìrde.
     In seiner Verlegenheit griff er nach der Feile, die - weiŸ Gott wieso -
noch  seit Charouseks Besuch  auf  dem  Tisch  lag, fuhr  aber unwillkìrlich
sofort  wie von einer  Schlange gebissen zurìck.  Ich staunte innerlich ìber
seine unterbewuŸte seelische Feinfìhligkeit.
     "Freilich, natìrlich,  es  gehært zum  Gesch¤ft, daŸ  man's  fein hat,"
raffte  er sich auf, zu sagen, "wenn man  -  so noble Besuche  bekommt."  Er
wollte  die Augen  aufschlagen, um zu sehen, welchen  Eindruck die Worte auf
mich machten,  hielt  es  aber offenbar noch  fìr verfrìht  und  schloŸ  sie
schnell wieder.
     Ich wollte ihn  in die Enge treiben: "Sie meinen die Dame,  die neulich
hier vorfuhr? Sagen Sie doch offen, wo Sie hinauswollen!"
     Er zægerte einen Moment,  dann packte er mich  heftig am Handgelenk und
zerrte mich ans Fenster.
     Die  sonderbare,  unmotivierte  Art, mit  der er es tat, erinnerte mich
daran, wie er vor einigen Tagen den taubstummen Jaromir unten in seine Hæhle
gerissen hatte.
     Mit krummen Fingern hielt er mir einen blitzenden Gegenstand hin:
     "Was glauben Sie, Herr Pernath, laŸt sich da noch was machen?"
     Es war eine goldene  Uhr  mit so stark verbeulten Deckeln, daŸ es  fast
aussah, als h¤tte sie jemand mit Absicht verbogen.
     Ich  nahm  ein  VergræŸerungsglas:  die  Scharniere  waren  zur  H¤lfte
abgerissen und innen - stand da nicht etwas eingraviert? Kaum mehr leserlich
und noch ìberdies mit einer Menge ganz frischer Schrammen zerkratzt. Langsam
entzifferte ich:
     K-rl Zott-mann.
     Zottmann? Zottmann? - Wo hatte ich diesen Namen doch gelesen? Zottmann?
Ich konnte mich nicht entsinnen. Zottmann?
     Wassertrum schlug mir die Lupe beinahe aus der Hand:
     "Im Werk is nix, da hab' ich schon selber geschaut. Aber mit'm Geh¤use,
da stinkt's."
     "Braucht man nur gerade zu klopfen - hæchstens ein paar Lætstellen. Das
kann Ihnen ebensogut jeder beliebige Goldarbeiter machen, Herr Wassertrum."
     "Ich leg' doch Wert darauf, daŸ es eine solide Arbeit  wird. Was man so
sagt: kìnstlerisch", unterbrach er mich hastig. Fast ¤ngstlich.
     "Nun gut, wenn Ihnen derart viel daran liegt -"
     "Viel  daran  liegt!" Seine  Stimme schnappte ìber vor Eifer. "Ich will
sie doch selber tragen, die Uhr. Und wenn ich sie  jemandem zeig',  will ich
sagen kænnen: schauen Sie mal her, so arbeitet der Herr von Pernath."
     Ich  ekelte  mich  vor  dem  Kerl; er spuckte mir  seine  widerw¤rtigen
Schmeicheleien færmlich ins Gesicht.
     "Wenn Sie in einer Stunde wiederkommen, wird alles fertig sein."
     Wassertrum  wand  sich in Kr¤mpfen: "Das gibt's  nicht.  Das  will  ich
nicht. Drei Tag. Vier Tag. Die n¤chste Woche  is Zeit genug. Das ganze Leben
mæcht' ich mir Vorwìrfe machen, daŸ ich Ihnen gedr¤ngt hab'."
     Was  wollte  er nur, daŸ  er  so auŸer sich geriet? -  Ich machte einen
Schritt  ins Nebenzimmer  und  sperrte  die Uhr in  die  Kassette. Angelinas
Photographie lag obenauf. Schnell schlug ich den  Deckel wieder zu - fìr den
Fall, daŸ Wassertrum mir nachblicken sollte.
     Als ich zurìckkam, fiel mir auf, daŸ er sich verf¤rbt hatte.
     Ich  musterte ihn  scharf, lieŸ aber  meinen  Verdacht  sofort  fallen:
Unmæglich! Er konnte nichts gesehen haben.
     "Also,  dann vielleicht n¤chste Woche", sagte ich, um seinem Besuch ein
Ende zu machen.
     Er schien mit einemmal keine Eile  mehr zu haben, nahm einen Sessel und
setzte sich.
     Im Gegensatz zu frìher hielt er seine  Fischaugen jetzt beim Reden weit
offen und fixierte beharrlich meinen obersten Westenknopf.
     Pause.
     "Die  Duksel hat Ihnen  natìrlich  gesagt,  Sie sollen sich  nix wissen
machen, wenn's  heraus  kommt.  Waas?"  sprudelte  er  plætzlich  ohne  jede
Einleitung auf mich los und schlug mit der Faust auf den Tisch.
     Es lag etwas merkwìrdig Schreckhaftes in der Abgerissenheit, mit der er
von  einer  Sprechweise  in  die  andere  ìbergehen  -  von  Schmeicheltænen
blitzartig  ins  Brutale  springen  konnte,  und  ich  hielt  es  fìr   sehr
wahrscheinlich,   daŸ  die  meisten  Menschen,  besonders  Frauen,  sich  im
Handumdrehen in seiner  Gewalt befinden  muŸten,  wenn er nur die  geringste
Waffe gegen sie besaŸ.
     Ich wollte auffahren, ihn am Hals  packen und  vor die  Tìr setzen, war
mein  erster  Gedanke;  dann  ìberlegte  ich,  ob es  nicht  klìger sei, ihn
zuværderst einmal grìndlich auszuhorchen.
     "Ich verstehe wahrhaftig nicht, was Sie meinen, Herr Wassertrum;" - ich
bemìhte mich, ein mæglichst dummes Gesicht zu machen - "Duksel? Was ist das:
Duksel?"
     "Soll ich Ihnen vielleicht Deitsch lernen?", fuhr er mich grob an. "Die
Hand  werden  Sie aufheben  mìssen bei Gericht, wenn's um  die Wurscht geht.
Verstehen Sie mich?! Das sag ich Ihnen!" - Er fing an zu schreien:  "Mir ins
Gesicht hinein werden Sie nicht  abschwæren,  daŸ ›sie‹ von  da drìben" - er
deutete mit dem Daumen nach dem Atelier - "zu Ihnen heribber geloffen is mit
en Teppich an und - sonst nix!"
     Die  Wut stieg mir in  die Augen; ich packte den Halunken an der  Brust
und schìttelte ihn:
     "Wenn Sie jetzt noch ein Wort in diesem Ton sagen, breche ich Ihnen die
Knochen im Leibe entzwei! Verstanden?"
     Aschfahl sank er in den Stuhl zurìck und stotterte:
     "Was is? Was is? Was wollen Sie? Ich mein' doch bloŸ."
     Ich  ging ein paarmal im Zimmer  auf  und  ab,  um  mich zu  beruhigen.
Horchte nicht hin, was er alles zu seiner Entschuldigung herausgeiferte.
     Dann setzte  ich mich ihm dicht  gegenìber, in der festen Absicht,  die
Sache, soweit  sie  Angelina  betraf, ein fìr allemal mit ihm  ins  reine zu
bringen und, sollte  es  im Frieden nicht gehen, ihn zu zwingen, endlich die
Feindseligkeiten zu  eræffnen und seine paar schwachen  Pfeile  vorzeitig zu
verschieŸen.
     Ohne seine Unterbrechungen im geringsten zu beachten, sagte ich ihm auf
den Kopf  zu, daŸ  Erpressungen  irgendwelcher Art - ich betonte  das Wort -
miŸglìcken  mìŸten, da er auch nicht eine einzige Anschuldigung mit Beweisen
erh¤rten  kænnte  und  ich  mich  einer  Zeugenschaft  (angenommen,  es w¤re
ìberhaupt im  Bereiche der Mæglichkeit, daŸ es je zu  einer solchen k¤me)  -
bestimmt  zu entziehen wissen wìrde.  Angelina stìnde mir  viel zu nahe, als
daŸ  ich  sie nicht in der  Stunde  der  Not  retten wìrde, koste es, was es
wolle, sogar einen Meineid!
     Jede Muskel in  seinem Gesicht zuckte, seine  Hasenscharte zog sich bis
zur Nase auseinander, er fletschte die Z¤hne  und kollerte wie ein  Truthahn
mir immer wieder  in die Rede hinein: "Will ich  denn was von die Duksel? So
hæren  Sie doch zu!" -  Er war auŸer  sich vor  Ungeduld, daŸ ich mich nicht
beirren  lieŸ.  - "Um den Savioli is  mir's  zu  tun, um den gottverfluchten
Hund, - den - den -", fuhr es ihm plætzlich brìllend heraus.
     Er japste nach Luft. Rasch hielt  ich inne: endlich war er dort, wo ich
ihn haben wollte, aber schon hatte er sich gefaŸt und fixierte wieder  meine
Weste.
     "Hæren  Sie  zu,  Pernath;"  er   zwang  sich,  die   kìhle,  abw¤gende
Sprechweise eines Kaufmanns nachzuahmen, "Sie reden fort von der Duk - - von
der Dame. Gut!  sie ist verheiratet. Gut: sie hat sich eingelassen mit dem -
mit dem jungen Lauser. Was hab' ich  damit zu tun?" Er bewegte die H¤nde vor
meinem Gesicht hin und her,  die  Fingerspitzen zusammengedrìckt, als hielte
er eine Prise Salz darin - "soll sie sich das selber abmachen, die Duksel. -
Ich bin e Weltmann und  Sie sin auch e Weltmann. Wir kennen  doch das beide.
Waas? Ich will doch nur zu meinem Geld kommen. Verstehen Sie, Pernath?!"
     Ich horchte erstaunt auf:
     "Zu welchem Geld? Ist Ihnen denn Dr. Savioli etwas schuldig?"
     Wassertrum wich aus:
     "Abrechnungen hab' ich mit ihm. Das kommt doch auf eins heraus."
     "Sie wollen ihn ermorden!" schrie ich.
     Er sprang auf. Taumelte. Gluckste ein paarmal.
     "Jawohl!  Ermorden! Wie lange  wollen Sie mir noch Komædie vorspielen!"
Ich deutete auf die Tìr. "Schauen Sie, daŸ Sie hinauskommen."
     Langsam  griff er  nach seinem Hut, setzte ihn  auf und wandte sich zum
Gehen. Dann blieb er noch einmal stehen und sagte  mit einer Ruhe, deren ich
ihn nie fìr f¤hig gehalten h¤tte:
     "Auch recht. Ich hab' Sie herauslassen  wollen. Gut. Wenn nicht: Nicht.
Barmherzige Barbiere  machen faule Wunden. Mein Zarbìchel ist voll. Wenn Sie
gescheit gewesen  w¤ren -:  der Savioli  is Ihnen  doch nur im Weg?! Jetzt -
mach  -  ich -  mit - Ihnen allen dreien" - er deutete mit einer  Geste  des
Erdrosselns an, womit er es meinte - "PreŸcolleeh".
     Seine Mienen drìckten eine  so satanische Grausamkeit aus und er schien
seiner Sache so sicher zu sein, daŸ mir  das Blut in den Adern erstarrte. Er
muŸte  eine  Waffe  in H¤nden  haben, von  der  ich nichts ahnte,  die  auch
Charousek nicht kannte. Ich fìhlte den Boden unter mir wanken.
     "Die  Feile!  Die Feile!" hærte  ich es  in  meinem Hirn  flìstern. Ich
sch¤tzte die Entfernung ab: ein Schritt bis zum Tisch - zwei Schritte bis zu
Wassertrum  -  - ich  wollte  zuspringen -  - -  da stand wie aus  dem Boden
gewachsen Hillel auf der Schwelle.
     Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen.
     Ich sah nur  - wie durch Nebel -, daŸ  Hillel unbeweglich stehen  blieb
und Wassertrum Schritt fìr Schritt bis an die Wand zurìckwich.
     Dann hærte ich Hillel sagen:
     "Sie kennen doch,  Aaron, den Satz: Alle Juden sind Bìrgen fìreinander?
Machen Sie's einem nicht  zu schwer."  - Er fìgte ein paar hebr¤ische  Worte
hinzu, die ich nicht verstand.
     "Was haben Sie  das  netig, an der  Tìre zu  schnìffeln?" geiferte  der
Trædler mit bebenden Lippen.
     "Ob  ich  gehorcht  habe oder nicht,  braucht Sie  nicht zu kìmmern!" -
wieder  schloŸ  Hillel mit  einem  hebr¤ischen Satz,  der diesmal  wie  eine
Drohung  klang.  Ich  erwartete, daŸ es  zu einem Zank  kommen  wìrde,  aber
Wassertrum antwortete