n und  hinauszuschauen, war unmæglich:  Muskeln aus
Eis verbanden seine R€nder mit dem Mauerwerk, und die Scheiben waren bis zur
H€lfte wei  verweht. Ich sah  nur,  da Charousek scheinbar  ganz friedlich
neben  dem  Trædler  Wassertrum  stand  -  sie  muten soeben  ein  Gespr€ch
mitsammen gefìhrt haben - sah, wie die Verblìffung, die sich in ihrer beider
Mienen malte, wuchs und sie sprachlos offenbar den Wagen, der meinen Blicken
entzogen war, anstarrten.
     Angelinas Gatte ist es, fuhr es mir durch den Kopf. - Sie selbst konnte
es  nicht  sein!  Mit ihrer  Equipage  hier  bei  mir vorzufahren  -  in der
Hahnpagasse! - vor aller Leute Augen! Es w€re hellichter Wahnsinn  gewesen.
- Aber was sollte ich zu ihrem Gatten sagen, wenn er's w€re und mich auf den
Kopf zu fragte?
     Leugnen, natìrlich leugnen.
     Hastig legte ich  mir die Mæglichkeiten zurecht: es kann nur ihr  Gatte
sein. Er hat einen anonymen Brief bekommen, - von Wassertrum - da  sie hier
gewesen sei  zu  einem  Rendezvous,  und  sie  hat  eine  Ausrede gebraucht:
wahrscheinlich, da sie eine Gemme oder sonst etwas bei mir bestellt habe. -
- - Da! wìtendes Klopfen an meiner Tìr und - Angelina stand vor mir.
     Sie konnte kein Wort hervorbringen,  aber der Ausdruck  ihres Gesichtes
verriet mir alles: sie brauchte sich nicht  mehr zu verstecken. Das Lied war
aus.
     Dennoch lehnte sich  irgend etwas in mir  auf gegen diese  Annahme. Ich
brachte es nicht fertig, zu glauben, da das  Gefìhl, ihr helfen zu  kænnen,
mich belogen haben sollte.
     Ich fìhrte sie in meinen Lehnstuhl. Streichelte ihr stumm das Haar; und
sie verbarg, todmìde wie ein Kind, ihren Kopf an meiner Brust.
     Wir hærten  das Knistern der  brennenden Scheite im Ofen und sahen, wie
der rote Schein ìber die Dielen huschte, aufflammte und erlosch - aufflammte
und erlosch - aufflammte und erlosch - - -
     "Wo ist das Herz  aus rotem Stein - - -" klang es in meinem Innern. Ich
fuhr auf: Wo bin ich! Wie lang sitzt sie schon hier?
     Und ich  forschte sie aus, - vorsichtig,  leise, ganz  leise,  da  sie
nicht aufwache und ich mit der Sonde die schmerzende Wunde nicht berìhre.
     Bruchstìckweise erfuhr  ich, was ich zu wissen brauchte, und setzte  es
mir zusammen wie ein Mosaik:
     "Ihr Gatte wei - -?"
     "Nein, noch nicht; er ist verreist."
     Also um  Dr. Saviolis Leben drehte sich's; - Charousek hatte es richtig
erraten. Und weil's um Saviolis Leben ging, und nicht mehr um ihres, war sie
hier. Sie denkt nicht mehr daran, irgend etwas zu verbergen, begriff ich.
     Wassertrum war  abermals  bei  Dr.  Savioli  gewesen.  Hatte  sich  mit
Drohungen und Gewalt den Weg erzwungen bis zu seinem Krankenlager.
     Und weiter! Weiter! Was wollte er von ihm?
     Was er wollte? Sie hatte es halb erraten, halb erfahren: er wollte, da
- - da - er wollte, da sich Dr. Savioli - - ein Leid antue.
     Sie kenne jetzt auch  die Grìnde von Wassertrums wildem besinnungslosem
Ha: "Dr. Savioli habe einst  seinen Sohn, den Augenarzt Wassory, in den Tod
getrieben."
     Sofort schlug  ein Gedanke in mich  ein wie der Blitz:  hinunterlaufen,
dem Trædler alles verraten: da Charousek den Schlag gefìhrt hatte - aus dem
Hinterhalt  - und nicht Savioli,  der nur das  Werkzeug war - - -.  "Verrat!
Verrat!"  heulte es mir ins Hirn, "du willst also den armen schwindsìchtigen
Charousek, der dir  helfen wollte und  ihr,  der  Rachsucht dieses  Halunken
preisgeben?" - Und es  zerri  mich in blutende H€lften. -  Dann  sprach ein
Gedanke eiskalt  und gelassen die Losung aus: "Narr! Du  hast es doch in der
Hand!  Brauchst ja nur die Feile  dort auf dem Tisch  zu nehmen, hinunter zu
laufen und sie dem Trædler durch die  Gurgel zu jagen, da die Spitze hinten
zum Genick herausschaut."
     Mein Herz jauchzte einen Dankesschrei zu Gott.
      Ich forschte weiter:
     "Und Dr. Savioli?"
     Kein Zweifel,  da er Hand  an sich  legen  wird, wenn  sie  ihn  nicht
rettete. Die Krankenschwestern lieen ihn nicht  aus  den Augen,  hatten ihn
mit  Morphium bet€ubt,  aber  vielleicht erwacht er  plætzlich  - vielleicht
gerade  jetzt - und  - und - nein, nein, sie mìsse fort, dìrfe keine Sekunde
Zeit  mehr  vers€umen,  -  sie  wolle  ihrem  Gatten  schreiben,  ihm  alles
eingestehen, - solle er ihr das Kind nehmen, aber Savioli sei gerettet, denn
sie h€tte Wassertrum damit die einzige Waffe aus der Hand geschlagen, die er
bes€e und mit der er drohe.
     Sie wolle das Geheimnis selbst enthìllen, ehe er es verraten kænne.
     "Das  werden  Sie nicht  tun, Angelina!" schrie ich  und dachte  an die
Feile und die Stimme versagte mir in jubelnder Freude ìber meine Macht.
     Angelina wollte sich losreien: ich hielt sie fest.
     "Nur noch eins: berlegen Sie, wird Ihr Gatte  denn dem Trædler so ohne
weiteres glauben?"
     "Aber Wassertrum hat doch  Beweise, offenbar  meine  Briefe, vielleicht
auch  ein  Bild  von mir,  -  alles, was  im Schreibtisch nebenan im Atelier
versteckt war."
     Briefe? Bild?  Schreibtisch? - ich wute nicht  mehr, was  ich tat: ich
ri Angelina an meine Brust und kìte sie. Auf den Mund,  auf die Stirn, auf
die Augen.
     Ihr blondes Haar lag wie ein goldner Schleier vor meinem Gesicht.
     Dann  hielt  ich sie  an  ihren  schmalen H€nden und  erz€hlte  ihr mit
fliegenden  Worten,  da der Todfeind  Wassertrums -  ein  armer  bæhmischer
Student -  die  Briefe und  alles in Sicherheit gebracht  h€tte  und  sie in
meinem Besitz seien und fest verwahrt.
     Und sie fiel mir um den Hals und lachte und weinte in einem Atem. Kìte
mich. Rannte zur Tìr. Kehrte wieder um und kìte mich wieder.
     Dann war sie verschwunden.
     Ich stand  wie bet€ubt  und fìhlte noch immer den Atem ihres Mundes  an
meinem Gesicht.
     Ich  hærte wie  die Wagenr€der ìber  das  Pflaster  donnerten  und  den
rasenden Galopp der Hufe. Eine Minute sp€ter war alles still. Wie ein Grab.
     Auch in mir.
     Ich forschte weiter:
     "Und Dr. Savioli?"
     Kein Zweifel,  da er Hand  an sich  legen  wird, wenn  sie  ihn  nicht
rettete. Die Krankenschwestern lieen ihn nicht  aus  den Augen,  hatten ihn
mit  Morphium bet€ubt,  aber  vielleicht erwacht er  plætzlich  - vielleicht
gerade  jetzt - und  - und - nein, nein, sie mìsse fort, dìrfe keine Sekunde
Zeit  mehr  vers€umen,  -  sie  wolle  ihrem  Gatten  schreiben,  ihm  alles
eingestehen, - solle er ihr das Kind nehmen, aber Savioli sei gerettet, denn
sie h€tte Wassertrum damit die einzige Waffe aus der Hand geschlagen, die er
bes€e und mit der er drohe.
     Sie wolle das Geheimnis selbst enthìllen, ehe er es verraten kænne.
     "Das  werden  Sie nicht  tun, Angelina!" schrie ich  und dachte  an die
Feile und die Stimme versagte mir in jubelnder Freude ìber meine Macht.
     Angelina wollte sich losreien: ich hielt sie fest.
     "Nur noch eins: berlegen Sie, wird Ihr Gatte  denn dem Trædler so ohne
weiteres glauben?"
     "Aber Wassertrum hat doch  Beweise, offenbar  meine  Briefe, vielleicht
auch  ein  Bild  von mir,  -  alles, was  im Schreibtisch nebenan im Atelier
versteckt war."
     Briefe? Bild?  Schreibtisch? - ich wute nicht  mehr, was  ich tat: ich
ri Angelina an meine Brust und kìte sie. Auf den Mund,  auf die Stirn, auf
die Augen.
     Ihr blondes Haar lag wie ein goldner Schleier vor meinem Gesicht.
     Dann  hielt  ich sie  an  ihren  schmalen H€nden und  erz€hlte  ihr mit
fliegenden  Worten,  da der Todfeind  Wassertrums -  ein  armer  bæhmischer
Student -  die  Briefe und  alles in Sicherheit gebracht  h€tte  und  sie in
meinem Besitz seien und fest verwahrt.
     Und sie fiel mir um den Hals und lachte und weinte in einem Atem. Kìte
mich. Rannte zur Tìr. Kehrte wieder um und kìte mich wieder.
     Dann war sie verschwunden.
     Ich stand  wie bet€ubt  und fìhlte noch immer den Atem ihres Mundes  an
meinem Gesicht.
     Ich  hærte wie  die Wagenr€der ìber  das  Pflaster  donnerten  und  den
rasenden Galopp der Hufe. Eine Minute sp€ter war alles still. Wie ein Grab.
     Auch in mir.
      Plætzlich knarrte die  Tìr  leise  hinter mir, und  Charousek stand  im
Zimmer:
     "Verzeihen  Sie,  Herr  Pernath,  ich  habe  lange geklopft,  aber  Sie
schienen es nicht zu hæren."
     Ich nickte nur stumm.
     "Hoffentlich nehmen Sie nicht an, da ich  mich mit Wassertrum versæhnt
habe, weil  Sie mich vorhin mit ihm sprechen sahen?" - Charouseks hohnisches
L€cheln  sagte mir,  da er nur einen grimmigen Spa  machte. -  "Sie mìssen
n€mlich wissen: Das Gluck ist mir hold; die Kanaille da unten f€ngt an, mich
in  ihr Herz zu schlieen,  Meister Pernath. - - Es ist eine seltsame Sache,
das mit der Stimme des Blutes", setzte er leise - halb fìr sich - hinzu.
     Ich verstand nicht, was er damit meinen konnte, und nahm an, ich  h€tte
etwas ìberhært. Die ausgestandene Erregung zitterte noch zu stark in mir.
     "Er wollte  mir einen Mantel  schenken", fuhr Charousek laut fort. "Ich
habe natìrlich dankend abgelehnt. Mich brennt schon meine eigene Haut genug.
- Und dann hat er mir Geld aufgedr€ngt."
     "Sie haben es angenommen?!", wollte es mir herausfahren, aber ich hielt
noch rasch meine Zunge im Zaum.
     Die Wangen des Studenten bekamen kreisrunde rote Flecken:
     "Das Geld habe ich selbstverst€ndlich angenommen."
     Mir wurde ganz wirr im Kopf!
     "- an - genommen?", stammelte ich.
     "Ich  h€tte  nie  gedacht, da  man  auf  Erden eine  so  reine  Freude
empfinden kann!" -  Charousek hielt  einen Augenblick inne und  schnitt eine
Fratze.  -  "Ist  es  nicht  ein erhebendes  Gefìhl,  im Haushalt der  Natur
Mìtterchens  Vorsehung ækonomischen Finger  allenthalben  in  Weisheit und
Umsicht walten zu sehen!?" - Er sprach  wie  ein Pastor und  klimperte dabei
mit  dem Geld in  seiner Tasche, - "wahrlich, als hehre Pflicht empfinde ich
es, den Schatz,  mir  anvertraut  von milder Hand,  auf  Heller und  Pfennig
dereinst dem edelsten aller Zwecke zuzufìhren."
     War er betrunken? Oder wahnsinnig?
     Charousek €nderte plætzlich den Ton:
     "Es liegt eine satanische Komik darin, da Wassertrum sich die - Arznei
selber bezahlt. Finden Sie nicht?"
     Eine  Ahnung d€mmerte mir auf, was sich hinter Charouseks Rede verbarg,
und mir graute vor seinen fiebernden Augen.
     "brigens lassen wir das jetzt, Meister Pernath. Erledigen wir erst die
laufenden Gesch€fte. Vorhin, die Dame, das war sie doch?  Was ist ihr denn
eingefallen, hier æffentlich vorzufahren?"
     Ich erz€hlte Charousek, was geschehen war.
     "Wassertrum  hat bestimmt keine Beweise  in  den H€nden", unterbrach er
mich  freudig,  "sonst  h€tte er  nicht heute morgen  abermals  das  Atelier
durchsucht. - Merkwìrdig, da Sie ihn nicht gehært haben!? Eine volle Stunde
lang war er drìben."
     Ich staunte, woher er alles so genau wissen kænne, und sagte es ihm.
     "Darf  ich?" -  als Erkl€rung nahm er  sich  eine Zigarette vom  Tisch,
zìndete sie an und  erl€uterte: "Sehen Sie, wenn Sie  jetzt die  Tìr æffnen,
bringt die  Zugluft, die  vom Stiegenhaus hereinweht, den Tabakrauch aus der
Richtung. Es ist das vielleicht das einzige Naturgesetz, das Herr Wassertrum
genau kennt, und fìr alle F€lle hat  er  in der  Straenmauer des Ateliers -
das Haus gehært ihm, wie Sie wissen - eine kleine, versteckte, offene Nische
anbringen lassen:  eine Art Ventilation, und darin ein rotes F€hnchen.  Wenn
nun jemand das Zimmer betritt oder verl€t, das heit: die Zugtìr æffnet, so
merkt es Wassertrum unten an dem heftigen Flattern des F€hnchens. Allerdings
wei ich es ebenfalls," setzte  Charousek trocken hinzu, "wenn's mir drum zu
tun  ist, und kann es  von dem Kellerloch  vis- -vis,  in dem  zu hausen ein
gn€diges  Schicksal  mir  huldreichst  gestattet,  genau  beobachten.  - Der
niedliche  Scherz  mit der  Ventilation  ist zwar  ein  Patent  des wìrdigen
Patriarchen, aber auch mir seit Jahren gel€ufig."
     "Was fìr einen ìbermenschlichen Ha Sie gegen ihn haben mìssen, da Sie
so  jeden  seiner  Schritte  belauern.  Und  noch dazu seit langem, wie  Sie
sagen!" warf ich ein.
     "Ha?"  Charousek  l€chelte krampfhaft.  "Ha? - Ha ist kein Ausdruck.
Das Wort, das meine Gefìhle gegen ihn bezeichnen kænnte, mu erst geschaffen
werden. - Ich hasse, genaugenommen, auch gar nicht ihn. Ich hasse sein Blut.
Verstehen Sie das?  Ich  wittere wie  ein wildes  Tier,  wenn  auch nur  ein
Tropfen von seinem Blut in den Adern  eines Menschen fliet, - und" - er bi
die Z€hne  zusammen  - "das kommt  zuweilen  vor  hier im  Getto." Unf€hig
weiter zu  sprechen vor Aufregung lief er ans Fenster  und starrte hinaus. -
Ich hærte wie er sein Keuchen unterdrìckte. Wir schwiegen beide eine Weile.
     "Hallo, was ist denn das?" fuhr er plætzlich auf und winkte mir hastig:
"Rasch, rasch! Haben Sie nicht einen Operngucker oder so etwas?"
     Wir sp€hten vorsichtig hinter den Vorh€ngen hinunter:
     Der taubstumme Jaromir stand vor dem Eingang des Trædlerladens und bot,
soviel  wir aus  seiner  Zeichensprache  erraten konnten,  Wassertrum  einen
kleinen blitzenden Gegenstand, den er in der Hand halb verbarg, zum Kauf an.
Wassertrum  fuhr  danach wie ein  Geier und  zog sich  damit in  seine Hæhle
zurìck.
     Gleich darauf stìrzte er wieder hervor - totenbla - und packte Jaromir
an der Brust: Es entspann  sich ein heftiges Ringen. -  Mit einem  Mal  lie
Wassertrum los und schien  zu ìberlegen. Nagte wìtend  an seiner gespaltenen
Oberlippe. Warf einen grìbelnden Blick zu uns herauf und zog dann Jaromir am
Arm friedlich in seinen Laden.
     Wir warteten  wohl eine Viertelstunde  lang: sie  schienen nicht fertig
werden zu kænnen mit ihrem Handel.
     Endlich  kam  der Taubstumme mit befriedigter Miene  wieder heraus  und
ging seines Weges.
     "Was  halten Sie davon?", fragte ich.  "Es scheint  nichts Wichtiges zu
sein?  Vermutlich hat  der arme  Bursche irgendeinen  erbettelten Gegenstand
versilbert."
     Der Student gab keine Antwort und setzte sich schweigend wieder  an den
Tisch.
     Offenbar legte auch er dem Geschehnis keine Bedeutung bei, denn er fuhr
nach einer Pause da fort, wo er stehen geblieben war:
     "Ja. Also  ich sagte,  ich  hasse  sein  Blut. - Unterbrechen Sie mich,
Meister Pernath, wenn  ich wieder heftig  werde. Ich will kalt bleiben.  Ich
darf  meine besten  Empfindungen  nicht  so vergeuden. Es packt  mich  sonst
nachher wie Ernìchterung. Ein Mensch  mit Schamgefìhl soll  in kìhlen Worten
reden, nicht mit Pathos wie eine Prostituierte oder  - oder  ein  Dichter. -
Seit  die  Welt  steht,  w€r's niemand eingefallen, vor  Leid  die H€nde zu
ringen, wenn nicht  die Schauspieler diese  Geste als besonders plastisch
ausgetìftelt h€tten."
     Ich  begriff, da er mit Absicht  blind  drauflos  redete, um innerlich
Ruhe zu bekommen.
     Es  wollte ihm nicht  recht  gelingen. Nervæs lief er im Zimmer auf und
ab, fate alle mæglichen  Gegenst€nde an und stellte sie zerstreut zurìck an
ihren Platz.
     Dann war er mit einem Ruck wieder mitten in seinem Thema:
     "Aus den  kleinsten unwillkìrlichen  Bewegungen eines  Menschen  verr€t
sich  mir dieses  Blut. Ich kenne  Kinder, die  ihm  €hnlich sehen und als
seine gelten, aber doch sind sie nicht vom  selben Stamme -  man  kann  mich
nicht  t€uschen. Jahrelang erfuhr ich nicht, da Dr.  Wassory sein Sohn ist,
aber ich habe es - ich mæchte sagen - gerochen.
     Schon als  kleiner  Junge, als ich noch nicht  ahnen konnte, in welchen
Beziehungen  Wassertrum zu  mir  steht,"  - sein  Blick ruhte  eine  Sekunde
forschend auf mir, - "besa ich diese Gabe. Man hat mich mit Fìen getreten,
mich geschlagen, da es  wohl  keine Stelle an meinem Kærper gibt, die nicht
wìte, was rasender Schmerz ist, - hat mich  hungern und dursten lassen, bis
ich  halb wahnsinnig wurde und schimmlige Erde gefressen habe, aber  niemals
konnte ich  diejenigen hassen, die mich peinigten. Ich konnte einfach nicht.
Es war kein Platz mehr in mir fìr  Ha. - Verstehen Sie?  Und doch war  mein
ganzes Wesen getr€nkt damit.
     Nie hat mir Wassertrum auch nur das geringste angetan - ich  will damit
sagen,  da  er  mich  jemals weder  geschlagen  oder  beworfen,  noch  auch
irgendwie  beschimpft hat,  wenn ich mich  als Gassenjunge unten herumtrieb:
ich wei das genau, - und doch richtete sich alles, was an Rachsucht und Wut
in mir kochte, gegen ihn. Nur gegen ihn!
     Merkwìrdig  ist,  da ich  ihm trotzdem nie als Kind  einen Schabernack
gespielt  habe. Wenn's  die andern taten, zog  ich mich  sofort zurìck. Aber
stundenlang konnte ich im Torweg stehen und,  hinter  der Haustìr versteckt,
durch  die  Angelritzen  sein  Gesicht  unverwandt  anstieren,  bis mir  vor
unerkl€rlichem Hagefìhl schwarz vor den Augen wurde.
     Damals, glaube  ich, habe ich den Grundstein zu  dem Hellsehen  gelegt,
das  sofort in  mir aufwacht,  wenn  ich  mit Wesen,  ja sogar mit Dingen in
Berìhrung komme, die  in Verbindung mit ihm stehen. Ich mu wohl jede seiner
Bewegungen: seine  Art, den Rock zu tragen und  wie er Sachen anfat, hustet
und  trinkt,  und all das  Tausenderlei damals  unbewut  auswendig  gelernt
haben, bis sich's mir  in die Seele  fra, da  ich ìberall die Spuren davon
auf den ersten Blick mit unfehlbarer Sicherheit als seine Erbstìcke erkennen
kann.
     Sp€ter wurde das manchmal fast zur Manie: ich warf harmlose Gegenst€nde
von mir,  blo  weil mich der  Gedanke qu€lte, seine Hand  kænne sie berìhrt
haben, -  andere  wieder waren mir ans  Herz  gewachsen; ich liebte sie  wie
Freunde, die ihm Bæses wìnschten."
     Charousek  schwieg einen Moment. Ich sah, wie  er  geistesabwesend  ins
Leere blickte. Seine Finger streichelten mechanisch die Feile auf dem Tisch.
     "Als dann ein paar mitleidige Lehrer fìr  mich gesammelt hatten und ich
Philosophie und Medizin studierte - auch nebenbei selbst denken lernte -, da
kam mir langsam die Erkenntnis, was Ha ist:
     Wir kænnen nur  etwas so tief hassen, wie ich es tue, was ein Teil  von
uns selbst ist.
     Und wie ich  sp€ter  dahinter kam,  - nach und  nach  alles erfuhr: was
meine Mutter war - und - und noch sein mu, wenn - wenn sie noch lebt, - und
da  mein eigener  Leib" - er wendete sich ab,  damit ich sein Gesicht nicht
sehen sollte,  - "voll  ist von seinem eklen Blut - nun ja, Pernath, - warum
sollen Sie's nicht wissen:  er ist mein Vater! - da wurde  mir  klar, wo die
Wurzel lag.  -  -  - Zuweilen  kommt's mir  sogar  wie  ein  geheimnisvoller
Zusammenhang  vor,  da ich  schwindsìchtig  bin und  Blut spucken mu: mein
Kærper  wehrt sich gegen alles, was von ihm  ist, und stæt es mit Abscheu
von sich.
     Oft hat mich mein Ha bis in den Traum begleitet und zu træsten gesucht
mit Geschichten  von allen nur erdenklichen  Foltern, die ich ihm  zufìgen
durfte,  aber  immer  verscheuchte  ich  sie  selber,  weil  sie  den  faden
Beigeschmack des - Unbefriedigtseins in mir hinterlieen.
     Wenn ich ìber mich selbst nachdenke und mich wundern mu, da es so gar
niemanden und nichts auf der Welt gibt, was ich zu hassen, - ja nicht einmal
als antipathisch zu empfinden imstande w€re, auer ihn und seinen Stamm, -
beschleicht  mich  oft  das  widerliche Gefìhl: ich kænnte das sein, was man
einen guten Menschen nennt.  Aber zum Glìck ist es  nicht so. - Ich  sagte
Ihnen schon: es ist kein Platz mehr in mir.
     Und  glauben  Sie  nur ja  nicht,  da  ein  trauriges  Schicksal  mich
verbittert hat: (Was er meiner Mutter angetan hat,  erfuhr ich ìberdies erst
in sp€teren  Jahren)  - ich habe  einen Freudentag  erlebt, der weit  in den
Schatten  stellt, was sonst einem Sterblichen vergænnt ist. Ich  wei nicht,
ob Sie kennen, was  innere, echte, heie Fræmmigkeit ist, - ich hatte es bis
dahin auch nicht  gekannt - als  ich aber an jenem Tage, an dem Wassory sich
selbst ausgerottet hat, am Laden unten stand und sah, wie er die Nachricht
bekam, -  sie stumpfsinnig, wie ein  Laie, der die echte  Bìhne des Lebens
nicht  kennt,  h€tte  glauben  mìssen,  - hinnahm,  wohl  eine  Stunde  lang
teilnahmslos  stehen  blieb, seine  blutrote Hasenscharte nur ein ganz klein
bichen hæher ìber die Z€hne gezogen als sonst und den Blick so gewi - - so
-  so  -  so  eigenartig nach innen  gekehrt,  -  -  -  -  da fìhlte ich den
Weihrauchduft von den Schwingen des Erzengels. - - Kennen Sie das Gnadenbild
der schwarzen  Muttergottes in der Teinkirche? Dort warf ich mich nieder und
die Finsternis des Paradieses hìllte meine Seele ein." -
     - -  - Wie ich  Charousek so  dastehen sah,  die  groen, tr€umerischen
Augen voll Tr€nen, da fielen mir Hillels Worte ein von der Unbegreiflichkeit
des dunklen Pfades, den die Brìder des Todes gehen.
     Charousek fuhr fort:
     "Die  €ueren  Umstande,  die meinen  Ha rechtfertigen  oder  in den
Gehirnen  der  amtlich  besoldeten  Richter  begreiflich  erscheinen  lassen
kænnten,  werden Sie vielleicht  gar nicht interessieren:  - Tatsachen sehen
sich an wie  Meilensteine und sind doch nur leere Eierschalen. Sie  sind das
aufdringliche Knallen der Champagnerpfropfen an den  Tafeln der Protzen, das
nur der Schwachsinnige fìr das Wesentliche eines Gelages  h€lt. - Wassertrum
hat  meine  Mutter mit  all den  infernalischen  Mitteln, die seinesgleichen
Gewohnheit sind, gezwungen, ihm zu Willen zu sein, - wenn es nicht noch viel
schlimmer  war.  Und  dann  -  -  nun  ja  - und dann  hat er sie  an  - ein
Freudenhaus verkauft, - -  - so etwas ist nicht schwer, wenn man Polizeir€te
zu  Gesch€ftsfreunden hat,  - aber  nicht  etwa, weil er  ihrer  ìberdrìssig
gewesen  w€re, o nein!  Ich kenne die Schlupfwinkel seines  Herzens: an  dem
Tage hat  er  sie verkauft, wo er sich voll Schrecken bewut wurde, wie hei
er  sie  in  Wirklichkeit  liebte.  So einer  wie  er handelt  da  scheinbar
widersinnig, aber immer gleich. Das  Hamsterhafte in seinem  Wesen quietscht
auf, sowie jemand kommt und kauft ihm irgend etwas ab aus seiner Trædlerbude
gegen noch so teures Geld: er empfindet nur den Zwang des Hergebenmìssens.
Er mæchte den  Begriff haben  am liebsten in sich hineinfressen und kænnte
er  sich ìberhaupt ein Ideal ausdenken, so  w€r's das, sich dereinst in  den
abstrakten Begriff Besitz aufzulæsen. - -
     Und da  ist es damals riesengro in ihm gewachsen bis zu einem Berg von
Angst:  "seiner selbst nicht mehr sicher" zu sein, -  nicht: etwas an  Liebe
geben zu wollen,  sondern geben zu  mìssen: die Gegenwart eines Unsichtbaren
in sich zu ahnen, das seinen Willen oder das, von dem er mæchte, da es sein
Wille sein sollte, heimlich in Fesseln schlug. - So war der Anfang. Was dann
folgte, geschah automatisch. Wie der Hecht mechanisch zubeien  mu, - ob er
will  oder  nicht   -  wenn  ein  blitzender   Gegenstand  zu  rechter  Zeit
vorìberschwimmt.
     Das Verschachern meiner Mutter ergab sich fìr Wassertrum als natìrliche
Folge. Es befriedigte  den  Rest der in ihm schlummernden Eigenschaften: die
Gier nach  Gold und die perverse  Wonne an der Selbstqual.  - - -  Verzeihen
Sie,  Meister  Pernath," -  Charouseks  Stimme  klang plætzlich so hart  und
nìchtern, da  ich erschrak, - "verzeihen Sie, da ich so furchtbar gescheit
daherrede, aber  wenn  man  an der Universit€t  ist,  kommt einem eine Menge
vertrottelter Bìcher unter die  H€nde;  unwillkìrlich  verf€llt man dann  in
eine teppenhafte Ausdrucksweise." -
     Ich zwang mich ihm zu Gefallen zu einem L€cheln; innerlich verstand ich
gar wohl, da er mit dem Weinen k€mpfte.
     Irgendwie mu ich ihm helfen, ìberlegte ich, wenigstens seine bitterste
Not  zu lindern  versuchen, soweit  das  in  meiner Macht  steht.  Ich  nahm
unauff€llig  die Hundertguldennote,  die  ich noch zu Hause  hatte,  aus der
Kommodenschublade und steckte sie in die Tasche.
     "Wenn Sie sp€ter einmal in eine bessere Umgebung kommen und Ihren Beruf
als  Arzt ausìben, wird  Frieden bei Ihnen einziehen, Herr Charousek"; sagte
ich, um dem Gespr€ch eine versæhnliche Richtung zu geben, - "machen Sie bald
Ihr Doktorat?"
     "Demn€chst.  Ich bin  es meinen Wohlt€tern  schuldig.  Zweck  hat's  ja
keinen, denn meine Tage sind gez€hlt."
     Ich  wollte den  ìblichen Einwand  machen, da  er doch wohl zu schwarz
sehe, aber erwehrte l€chelnd ab:
     "Es  ist  das  beste  so.  Es  mu  ìberdies  kein Vergnìgen sein,  den
Heilkomædianten  zu mimen  und  sich  zu  guterletzt  noch als  diplomierter
Brunnenvergifter  einen Adelstitel zuzuziehen. - - Andererseits",  setzte er
mit seinem galligen Humor hinzu, "wird mir leider jedes weitere segensreiche
Wirken hier im Diesseits-Getto ein fìr allemal abgeschnitten sein." Er griff
nach seinem Hut. "Jetzt  will ich aber nicht  langer stæren. Oder  w€re noch
etwas zu besprechen  in  der Angelegenheit Savioli? Ich denke nicht.  Lassen
Sie mich  jedenfalls wissen, wenn  Sie etwas  Neues erfahren. Am besten, Sie
h€ngen  einen  Spiegel hier ans Fenster, als  Zeichen,  da ich Sie besuchen
soll. Zu  mir  in den  Keller dìrfen Sie auf  keinen Fall kommen: Wassertrum
wurde sofort Verdacht schæpfen, da wir  zusammenhalten. - Ich  bin ìbrigens
sehr neugierig, was  er jetzt tun  wird, wo er gesehen hat, da die Dame  zu
Ihnen gekommen ist. Sagen Sie ganz einfach, sie h€tte Ihnen ein Schmuckstìck
zu reparieren gebracht, und  wenn er zudringlich  wird, spielen Sie eben den
Rabiaten."
     Es  wollte  sich  keine passende  Gelegenheit  ergeben,  Charousek  die
Banknote  aufzudr€ngen;  ich   nahm  daher  das  Modellierwachs  wieder  vom
Fensterbrett und sagte: "Kommen Sie, ich  begleite Sie ein Stìck die Treppen
hinunter. - Hillel erwartet mich", log ich.
     Er stutzte:
     "Sie sind mit ihm befreundet?"
     "Ein wenig.  Kennen Sie ihn? - - Oder mitrauen Sie ihm", -  ich  mute
unwillkìrlich l€cheln - "vielleicht auch?"
     "Da sei Gott vor!"
     "Warum sagen Sie das so ernst?"
     Charousek zægerte und dachte nach:
     "Ich wei selbst nicht warum. Es  mu etwas Unbewutes sein: so oft ich
ihm   auf  der  Strae  begegne,  mæchte  ich  am  liebsten   vom   Pflaster
heruntertreten und das  Knie beugen wie vor einem Priester, der  die  Hostie
tr€gt.  -  Sehen Sie, Meister  Pernath, da  haben Sie einen Menschen, der in
jedem Atom das Gegenteil von Wassertrum  ist. Er gilt z. B. bei den Christen
hier im  Viertel, die,  wie immer, so auch in diesem Fall falsch  informiert
sind, als Geizhals und heimlicher Million€r und ist doch unsagbar arm."
     Ich fuhr entsetzt auf: "arm?"
     "Ja, womæglich  noch armer als ich. Das Wort nehmen kennt er,  glaub'
ich, ìberhaupt nur aus Bìchern; aber wenn  er  am Ersten  des Monats aus dem
Rathaus kommt, dann laufen die  jìdischen  Bettler vor ihm davon, weil sie
wissen,  er  wìrde dem  n€chsten besten  von  ihnen seinen ganzen k€rglichen
Gehalt in die Hand drìcken und  ein paar  Tage sp€ter -  samt seiner Tochter
selber  verhungern. - Wenn's wahr  ist, was eine uralte talmudische  Legende
behauptet: da von  den zwælf jìdischen St€mmen zehn verflucht sind und zwei
hellig,  so verkærpert er die zwei heiligen und Wassertrum  alle zehn andern
zusammen. - Haben  Sie noch nie  bemerkt,  wie  Wassertrum  s€mtliche Farben
spielt, wenn Hillel an ihm vorìber  geht? Interessant, sag' ich Ihnen! Sehen
Sie,  solches Blut kann sich gar nicht  vermischen; da kamen die  Kinder tot
zur  Welt. Vorausgesetzt, da die  Mìtter nicht schon frìher  vor  Entsetzen
stìrben.  - Hillel  ist ìbrigens der  einzige, an den  sich Wassertrum nicht
herantraut; - er weicht ihm  aus wie dem Feuer. Vermutlich, weil Hillel  das
Unbegreifliche, das vollkommen Unentr€tselbare, fìr ihn bedeutet. Vielleicht
wittert er in ihm auch den Kabballsten."
     Wir gingen bereits die Stiegen hinab.
     "Glauben  Sie, da es heutzutage  noch Kabballsten gibt - da ìberhaupt
an  der Kabbala  etwas  sein konnte?",  fragte  ich, gespannt, was  er  wohl
antworten wìrde, aber er schien nicht zugehært zu haben.
     Ich wiederholte meine Frage.
     Hastig lenkte er ab und deutete auf eine Tìr des Treppenhauses, die aus
Kistendeckeln zusammengenagelt war:
     "Sie haben da  neue Mitbewohner bekommen,  eine zwar jìdische aber arme
Familie:  den  meschuggenen  Musikanten  Nephtali  Schaffranek mit  Tochter,
Schwiegersohn und Enkelkindern. Wenn's dunkel wird und er allein ist mit den
kleinen M€dchen, kommt der Rappel ìber ihn: dann bindet er sie an den Daumen
zusammen,  damit  sie  ihm nicht  davonlaufen,  zw€ngt sie  in  einen  alten
Hìhnerk€fig  und  unterweist  sie im  Gesang,  wie er  es nennt, damit sie
sp€ter ihren Lebensunterhalt selbst erwerben kænnen, -  das heit,  er lehrt
sie  die verrìcktesten Lieder, die es gibt, deutsche Texte, Bruchstìcke, die
er  irgendwo  aufgeschnappt  hat und im D€mmer seines Seelenzustandes  fìr -
preuische Schlachthymnen oder dergleichen h€lt."
     Wirklich tænte da  eine sonderbare Musik leise auf den Gang heraus. Ein
Fiedelbogen  kratzte fìrchterlich hoch und immerw€hrend in ein und demselben
Ton die Umrisse eines Gassenhauers, und zwei fadendìnne Kinderstimmen sangen
dazu:
     "Frau Pick,
     Frau Hock,
     Frau Kle - pe - tarsch,
     se stehen beirenond
     und schmusen allerhond - -"
     Plætzlich knarrte die  Tìr  leise  hinter mir, und  Charousek stand  im
Zimmer:
     "Verzeihen  Sie,  Herr  Pernath,  ich  habe  lange geklopft,  aber  Sie
schienen es nicht zu hæren."
     Ich nickte nur stumm.
     "Hoffentlich nehmen Sie nicht an, da ich  mich mit Wassertrum versæhnt
habe, weil  Sie mich vorhin mit ihm sprechen sahen?" - Charouseks hohnisches
L€cheln  sagte mir,  da er nur einen grimmigen Spa  machte. -  "Sie mìssen
n€mlich wissen: Das Gluck ist mir hold; die Kanaille da unten f€ngt an, mich
in  ihr Herz zu schlieen,  Meister Pernath. - - Es ist eine seltsame Sache,
das mit der Stimme des Blutes", setzte er leise - halb fìr sich - hinzu.
     Ich verstand nicht, was er damit meinen konnte, und nahm an, ich  h€tte
etwas ìberhært. Die ausgestandene Erregung zitterte noch zu stark in mir.
     "Er wollte  mir einen Mantel  schenken", fuhr Charousek laut fort. "Ich
habe natìrlich dankend abgelehnt. Mich brennt schon meine eigene Haut genug.
- Und dann hat er mir Geld aufgedr€ngt."
     "Sie haben es angenommen?!", wollte es mir herausfahren, aber ich hielt
noch rasch meine Zunge im Zaum.
     Die Wangen des Studenten bekamen kreisrunde rote Flecken:
     "Das Geld habe ich selbstverst€ndlich angenommen."
     Mir wurde ganz wirr im Kopf!
     "- an - genommen?", stammelte ich.
     "Ich  h€tte  nie  gedacht, da  man  auf  Erden eine  so  reine  Freude
empfinden kann!" -  Charousek hielt  einen Augenblick inne und  schnitt eine
Fratze.  -  "Ist  es  nicht  ein erhebendes  Gefìhl,  im Haushalt der  Natur
Mìtterchens  Vorsehung ækonomischen Finger  allenthalben  in  Weisheit und
Umsicht walten zu sehen!?" - Er sprach  wie  ein Pastor und  klimperte dabei
mit  dem Geld in  seiner Tasche, - "wahrlich, als hehre Pflicht empfinde ich
es, den Schatz,  mir  anvertraut  von milder Hand,  auf  Heller und  Pfennig
dereinst dem edelsten aller Zwecke zuzufìhren."
     War er betrunken? Oder wahnsinnig?
     Charousek €nderte plætzlich den Ton:
     "Es liegt eine satanische Komik darin, da Wassertrum sich die - Arznei
selber bezahlt. Finden Sie nicht?"
     Eine  Ahnung d€mmerte mir auf, was sich hinter Charouseks Rede verbarg,
und mir graute vor seinen fiebernden Augen.
     "brigens lassen wir das jetzt, Meister Pernath. Erledigen wir erst die
laufenden Gesch€fte. Vorhin, die Dame, das war sie doch?  Was ist ihr denn
eingefallen, hier æffentlich vorzufahren?"
     Ich erz€hlte Charousek, was geschehen war.
     "Wassertrum  hat bestimmt keine Beweise  in  den H€nden", unterbrach er
mich  freudig,  "sonst  h€tte er  nicht heute morgen  abermals  das  Atelier
durchsucht. - Merkwìrdig, da Sie ihn nicht gehært haben!? Eine volle Stunde
lang war er drìben."
     Ich staunte, woher er alles so genau wissen kænne, und sagte es ihm.
     "Darf  ich?" -  als Erkl€rung nahm er  sich  eine Zigarette vom  Tisch,
zìndete sie an und  erl€uterte: "Sehen Sie, wenn Sie  jetzt die  Tìr æffnen,
bringt die  Zugluft, die  vom Stiegenhaus hereinweht, den Tabakrauch aus der
Richtung. Es ist das vielleicht das einzige Naturgesetz, das Herr Wassertrum
genau kennt, und fìr alle F€lle hat  er  in der  Straenmauer des Ateliers -
das Haus gehært ihm, wie Sie wissen - eine kleine, versteckte, offene Nische
anbringen lassen:  eine Art Ventilation, und darin ein rotes F€hnchen.  Wenn
nun jemand das Zimmer betritt oder verl€t, das heit: die Zugtìr æffnet, so
merkt es Wassertrum unten an dem heftigen Flattern des F€hnchens. Allerdings
wei ich es ebenfalls," setzte  Charousek trocken hinzu, "wenn's mir drum zu
tun  ist, und kann es  von dem Kellerloch  vis- -vis,  in dem  zu hausen ein
gn€diges  Schicksal  mir  huldreichst  gestattet,  genau  beobachten.  - Der
niedliche  Scherz  mit der  Ventilation  ist zwar  ein  Patent  des wìrdigen
Patriarchen, aber auch mir seit Jahren gel€ufig."
     "Was fìr einen ìbermenschlichen Ha Sie gegen ihn haben mìssen, da Sie
so  jeden  seiner  Schritte  belauern.  Und  noch dazu seit langem, wie  Sie
sagen!" warf ich ein.
     "Ha?"  Charousek  l€chelte krampfhaft.  "Ha? - Ha ist kein Ausdruck.
Das Wort, das meine Gefìhle gegen ihn bezeichnen kænnte, mu erst geschaffen
werden. - Ich hasse, genaugenommen, auch gar nicht ihn. Ich hasse sein Blut.
Verstehen Sie das?  Ich  wittere wie  ein wildes  Tier,  wenn  auch nur  ein
Tropfen von seinem Blut in den Adern  eines Menschen fliet, - und" - er bi
die Z€hne  zusammen  - "das kommt  zuweilen  vor  hier im  Getto." Unf€hig
weiter zu  sprechen vor Aufregung lief er ans Fenster  und starrte hinaus. -
Ich hærte wie er sein Keuchen unterdrìckte. Wir schwiegen beide eine Weile.
     "Hallo, was ist denn das?" fuhr er plætzlich auf und winkte mir hastig:
"Rasch, rasch! Haben Sie nicht einen Operngucker oder so etwas?"
     Wir sp€hten vorsichtig hinter den Vorh€ngen hinunter:
     Der taubstumme Jaromir stand vor dem Eingang des Trædlerladens und bot,
soviel  wir aus  seiner  Zeichensprache  erraten konnten,  Wassertrum  einen
kleinen blitzenden Gegenstand, den er in der Hand halb verbarg, zum Kauf an.
Wassertrum  fuhr  danach wie ein  Geier und  zog sich  damit in  seine Hæhle
zurìck.
     Gleich darauf stìrzte er wieder hervor - totenbla - und packte Jaromir
an der Brust: Es entspann  sich ein heftiges Ringen. -  Mit einem  Mal  lie
Wassertrum los und schien  zu ìberlegen. Nagte wìtend  an seiner gespaltenen
Oberlippe. Warf einen grìbelnden Blick zu uns herauf und zog dann Jaromir am
Arm friedlich in seinen Laden.
     Wir warteten  wohl eine Viertelstunde  lang: sie  schienen nicht fertig
werden zu kænnen mit ihrem Handel.
     Endlich  kam  der Taubstumme mit befriedigter Miene  wieder heraus  und
ging seines Weges.
     "Was  halten Sie davon?", fragte ich.  "Es scheint  nichts Wichtiges zu
sein?  Vermutlich hat  der arme  Bursche irgendeinen  erbettelten Gegenstand
versilbert."
     Der Student gab keine Antwort und setzte sich schweigend wieder  an den
Tisch.
     Offenbar legte auch er dem Geschehnis keine Bedeutung bei, denn er fuhr
nach einer Pause da fort, wo er stehen geblieben war:
     "Ja. Also  ich sagte,  ich  hasse  sein  Blut. - Unterbrechen Sie mich,
Meister Pernath, wenn  ich wieder heftig  werde. Ich will kalt bleiben.  Ich
darf  meine besten  Empfindungen  nicht  so vergeuden. Es packt  mich  sonst
nachher wie Ernìchterung. Ein Mensch  mit Schamgefìhl soll  in kìhlen Worten
reden, nicht mit Pathos wie eine Prostituierte oder  - oder  ein  Dichter. -
Seit  die  Welt  steht,  w€r's niemand eingefallen, vor  Leid  die H€nde zu
ringen, wenn nicht  die Schauspieler diese  Geste als besonders plastisch
ausgetìftelt h€tten."
     Ich  begriff, da er mit Absicht  blind  drauflos  redete, um innerlich
Ruhe zu bekommen.
     Es  wollte ihm nicht  recht  gelingen. Nervæs lief er im Zimmer auf und
ab, fate alle mæglichen  Gegenst€nde an und stellte sie zerstreut zurìck an
ihren Platz.
     Dann war er mit einem Ruck wieder mitten in seinem Thema:
     "Aus den  kleinsten unwillkìrlichen  Bewegungen eines  Menschen  verr€t
sich  mir dieses  Blut. Ich kenne  Kinder, die  ihm  €hnlich sehen und als
seine gelten, aber doch sind sie nicht vom  selben Stamme -  man  kann  mich
nicht  t€uschen. Jahrelang erfuhr ich nicht, da Dr.  Wassory sein Sohn ist,
aber ich habe es - ich mæchte sagen - gerochen.
     Schon als  kleiner  Junge, als ich noch nicht  ahnen konnte, in welchen
Beziehungen  Wassertrum zu  mir  steht,"  - sein  Blick ruhte  eine  Sekunde
forschend auf mir, - "besa ich diese Gabe. Man hat mich mit Fìen getreten,
mich geschlagen, da es  wohl  keine Stelle an meinem Kærper gibt, die nicht
wìte, was rasender Schmerz ist, - hat mich  hungern und dursten lassen, bis
ich  halb wahnsinnig wurde und schimmlige Erde gefressen habe, aber  niemals
konnte ich  diejenigen hassen, die mich peinigten. Ich konnte einfach nicht.
Es war kein Platz mehr in mir fìr  Ha. - Verstehen Sie?  Und doch war  mein
ganzes Wesen getr€nkt damit.
     Nie hat mir Wassertrum auch nur das geringste angetan - ich  will damit
sagen,  da  er  mich  jemals weder  geschlagen  oder  beworfen,  noch  auch
irgendwie  beschimpft hat,  wenn ich mich  als Gassenjunge unten herumtrieb:
ich wei das genau, - und doch richtete sich alles, was an Rachsucht und Wut
in mir kochte, gegen ihn. Nur gegen ihn!
     Merkwìrdig  ist,  da ich  ihm trotzdem nie als Kind  einen Schabernack
gespielt  habe. Wenn's  die andern taten, zog  ich mich  sofort zurìck. Aber
stundenlang konnte ich im Torweg stehen und,  hinter  der Haustìr versteckt,
durch  die  Angelritzen  sein  Gesicht  unverwandt  anstieren,  bis mir  vor
unerkl€rlichem Hagefìhl schwarz vor den Augen wurde.
     Damals, glaube  ich, habe ich den Grundstein zu  dem Hellsehen  gelegt,
das  sofort in  mir aufwacht,  wenn  ich  mit Wesen,  ja sogar mit Dingen in
Berìhrung komme, die  in Verbindung mit ihm stehen. Ich mu wohl jede seiner
Bewegungen: seine  Art, den Rock zu tragen und  wie er Sachen anfat, hustet
und  trinkt,  und all das  Tausenderlei damals  unbewut  auswendig  gelernt
haben, bis sich's mir  in die Seele  fra, da  ich ìberall die Spuren davon
auf den ersten Blick mit unfehlbarer Sicherheit als seine Erbstìcke erkennen
kann.
     Sp€ter wurde das manchmal fast zur Manie: ich warf harmlose Gegenst€nde
von mir,  blo  weil mich der  Gedanke qu€lte, seine Hand  kænne sie berìhrt
haben, -  andere  wieder waren mir ans  Herz  gewachsen; ich liebte sie  wie
Freunde, die ihm Bæses wìnschten."
     Charousek  schwieg einen Moment. Ich sah, wie  er  geistesabwesend  ins
Leere blickte. Seine Finger streichelten mechanisch die Feile auf dem Tisch.
     "Als dann ein paar mitleidige Lehrer fìr  mich gesammelt hatten und ich
Philosophie und Medizin studierte - auch nebenbei selbst denken lernte -, da
kam mir langsam die Erkenntnis, was Ha ist:
     Wir kænnen nur  etwas so tief hassen, wie ich es tue, was ein Teil  von
uns selbst ist.
     Und wie ich  sp€ter  dahinter kam,  - nach und  nach  alles erfuhr: was
meine Mutter war - und - und noch sein mu, wenn - wenn sie noch lebt, - und
da  mein eigener  Leib" - er wendete sich ab,  damit ich sein Gesicht nicht
sehen sollte,  - "voll  ist von seinem eklen Blut - nun ja, Pernath, - warum
sollen Sie's nicht wissen:  er ist mein Vater! - da wurde  mir  klar, wo die
Wurzel lag.  -  -  - Zuweilen  kommt's mir  sogar  wie  ein  geheimnisvoller
Zusammenhang  vor,  da ich  schwindsìchtig  bin und  Blut spucken mu: mein
Kærper  wehrt sich gegen alles, was von ihm  ist, und stæt es mit Abscheu
von sich.
     Oft hat mich mein Ha bis in den Traum begleitet und zu træsten gesucht
mit Geschichten  von allen nur erdenklichen  Foltern, die ich ihm  zufìgen
durfte,  aber  immer  verscheuchte  ich  sie  selber,  weil  sie  den  faden
Beigeschmack des - Unbefriedigtseins in mir hinterlieen.
     Wenn ich ìber mich selbst nachdenke und mich wundern mu, da es so gar
niemanden und nichts auf der Welt gibt, was ich zu hassen, - ja nicht einmal
als antipathisch zu empfinden imstande w€re, auer ihn und seinen Stamm, -
beschleicht  mich  oft  das  widerliche Gefìhl: ich kænnte das sein, was man
einen guten Menschen nennt.  Aber zum Glìck ist es  nicht so. - Ich  sagte
Ihnen schon: es ist kein Platz mehr in mir.
     Und  glauben  Sie  nur ja  nicht,  da  ein  trauriges  Schicksal  mich
verbittert hat: (Was er meiner Mutter angetan hat,  erfuhr ich ìberdies erst
in sp€teren  Jahren)  - ich habe  einen Freudentag  erlebt, der weit  in den
Schatten  stellt, was sonst einem Sterblichen vergænnt ist. Ich  wei nicht,
ob Sie kennen, was  innere, echte, heie Fræmmigkeit ist, - ich hatte es bis
dahin auch nicht  gekannt - als  ich aber an jenem Tage, an dem Wassory sich
selbst ausgerottet hat, am Laden unten stand und sah, wie er die Nachricht
bekam, -  sie stumpfsinnig, wie ein  Laie, der die echte  Bìhne des Lebens
nicht  kennt,  h€tte  glauben  mìssen,  - hinnahm,  wohl  eine  Stunde  lang
teilnahmslos  stehen  blieb, seine  blutrote Hasenscharte nur ein ganz klein
bichen hæher ìber die Z€hne gezogen als sonst und den Blick so gewi - - so
-  so  -  so  eigenartig nach innen  gekehrt,  -  -  -  -  da fìhlte ich den
Weihrauchduft von den Schwingen des Erzengels. - - Kennen Sie das Gnadenbild
der schwarzen  Muttergottes in der Teinkirche? Dort warf ich mich nieder und
die Finsternis des Paradieses hìllte meine Seele ein." -
     - -  - Wie ich  Charousek so  dastehen sah,  die  groen, tr€umerischen
Augen voll Tr€nen, da fielen mir Hillels Worte ein von der Unbegreiflichkeit
des dunklen Pfades, den die Brìder des Todes gehen.
     Charousek fuhr fort:
     "Die  €ueren  Umstande,  die meinen  Ha rechtfertigen  oder  in den
Gehirnen  der  amtlich  besoldeten  Richter  begreiflich  erscheinen  lassen
kænnten,  werden Sie vielleicht  gar nicht interessieren:  - Tatsachen sehen
sich an wie  Meilensteine und sind doch nur leere Eierschalen. Sie  sind das
aufdringliche Knallen der Champagnerpfropfen an den  Tafeln der Protzen, das
nur der Schwachsinnige fìr das Wesentliche eines Gelages  h€lt. - Wassertrum
hat  meine  Mutter mit  all den  infernalischen  Mitteln, die seinesgleichen
Gewohnheit sind, gezwungen, ihm zu Willen zu sein, - wenn es nicht noch viel
schlimmer  war.  Und  dann  -  -  nun  ja  - und dann  hat er sie  an  - ein
Freudenhaus verkauft, - -  - so etwas ist nicht schwer, wenn man Polizeir€te
zu  Gesch€ftsfreunden hat,  - aber  nicht  etwa, weil er  ihrer  ìberdrìssig
gewesen  w€re, o nein!  Ich kenne die Schlupfwinkel seines  Herzens: an  dem
Tage hat  er  sie verkauft, wo er sich voll Schrecken bewut wurde, wie hei
er  sie  in  Wirklichkeit  liebte.  So einer  wie  er handelt  da  scheinbar
widersinnig, aber immer gleich. Das  Hamsterhafte in seinem  Wesen quietscht
auf, sowie jemand kommt und kauft ihm irgend etwas ab aus seiner Trædlerbude
gegen noch so teures Geld: er empfindet nur den Zwang des Hergebenmìssens.
Er mæchte den  Begriff haben  am liebsten in sich hineinfressen und kænnte
er  sich ìberhaupt ein Ideal ausdenken, so  w€r's das, sich dereinst in  den
abstrakten Begriff Besitz aufzulæsen. - -
     Und da  ist es damals riesengro in ihm gewachsen bis zu einem Berg von
Angst:  "seiner selbst nicht mehr sicher" zu sein, -  nicht: etwas an  Liebe
geben zu wollen,  sondern geben zu  mìssen: die Gegenwart eines Unsichtbaren
in sich zu ahnen, das seinen Willen oder das, von dem er mæchte, da es sein
Wille sein sollte, heimlich in Fesseln schlug. - So war der Anfang. Was dann
folgte, geschah automatisch. Wie der Hecht mechanisch zubeien  mu, - ob er
will  oder  nicht   -  wenn  ein  blitzender   Gegenstand  zu  rechter  Zeit
vorìberschwimmt.
     Das Verschachern meiner Mutter ergab sich fìr Wassertrum als natìrliche
Folge. Es befriedigte  den  Rest der in ihm schlummernden Eigenschaften: die
Gier nach  Gold und die perverse  Wonne an der Selbstqual.  - - -  Verzeihen
Sie,  Meister  Pernath," -  Charouseks  Stimme  klang plætzlich so hart  und
nìchtern, da  ich erschrak, - "verzeihen Sie, da ich so furchtbar gescheit
daherrede, aber  wenn  man  an der Universit€t  ist,  kommt einem eine Menge
vertrottelter Bìcher unter die  H€nde;  unwillkìrlich  verf€llt man dann  in
eine teppenhafte Ausdrucksweise." -
     Ich zwang mich ihm zu Gefallen zu einem L€cheln; innerlich verstand ich
gar wohl, da er mit dem Weinen k€mpfte.
     Irgendwie mu ich ihm helfen, ìberlegte ich, wenigstens seine bitterste
Not  zu lindern  versuchen, soweit  das  in  meiner Macht  steht.  Ich  nahm
unauff€llig  die Hundertguldennote,  die  ich noch zu Hause  hatte,  aus der
Kommodenschublade und steckte sie in die Tasche.
     "Wenn Sie sp€ter einmal in eine bessere Umgebung kommen und Ihren Beruf
als  Arzt ausìben, wird  Frieden bei Ihnen einziehen, Herr Charousek"; sagte
ich, um dem Gespr€ch eine versæhnliche Richtung zu geben, - "machen Sie bald
Ihr Doktorat?"
     "Demn€chst.  Ich bin  es meinen Wohlt€tern  schuldig.  Zweck  hat's  ja
keinen, denn meine Tage sind gez€hlt."
     Ich  wollte den  ìblichen Einwand  machen, da  er doch wohl zu schwarz
sehe, aber erwehrte l€chelnd ab:
     "Es  ist  das  beste  so.  Es  mu  ìberdies  kein Vergnìgen sein,  den
Heilkomædianten  zu mimen  und  sich  zu  guterletzt  noch als  diplomierter
Brunnenvergifter  einen Adelstitel zuzuziehen. - - Andererseits",  setzte er
mit seinem galligen Humor hinzu, "wird mir leider jedes weitere segensreiche
Wirken hier im Diesseits-Getto ein fìr allemal abgeschnitten sein." Er griff
nach seinem Hut. "Jetzt  will ich aber nicht  langer stæren. Oder  w€re noch
etwas zu besprechen  in  der Angelegenheit Savioli? Ich denke nicht.  Lassen
Sie mich  jedenfalls wissen, wenn  Sie etwas  Neues erfahren. Am besten, Sie
h€ngen  einen  Spiegel hier ans Fenster, als  Zeichen,  da ich Sie besuchen
soll. Zu  mir  in den  Keller dìrfen Sie auf  keinen Fall kommen: Wassertrum
wurde sofort Verdacht schæpfen, da wir  zusammenhalten. - Ich  bin ìbrigens
sehr neugierig, was  er jetzt tun  wird, wo er gesehen hat, da die Dame  zu
Ihnen gekommen ist. Sagen Sie ganz einfach, sie h€tte Ihnen ein Schmuckstìck
zu reparieren gebracht, und  wenn er zudringlich  wird, spielen Sie eben den
Rabiaten."
     Es  wollte  sich  keine passende  Gelegenheit  ergeben,  Charousek  die
Banknote  aufzudr€ngen;  ich   nahm  daher  das  Modellierwachs  wieder  vom
Fensterbrett und sagte: "Kommen Sie, ich  begleite Sie ein Stìck die Treppen
hinunter. - Hillel erwartet mich", log ich.
     Er stutzte:
     "Sie sind mit ihm befreundet?"
     "Ein wenig.  Kennen Sie ihn? - - Oder mitrauen Sie ihm", -  ich  mute
unwillkìrlich l€cheln - "vielleicht auch?"
     "Da sei Gott vor!"
     "Warum sagen Sie das so ernst?"
     Charousek zægerte und dachte nach:
     "Ich wei selbst nicht warum. Es  mu etwas Unbewutes sein: so oft ich
ihm   auf  der  Strae  begegne,  mæchte  ich  am  liebsten   vom   Pflaster
heruntertreten und das  Knie beugen wie vor einem Priester, der  die  Hostie
tr€gt.  -  Sehen Sie, Meister  Pernath, da  haben Sie einen Menschen, der in
jedem Atom das Gegenteil von Wassertrum  ist. Er gilt z. B. bei den Christen
hier im  Viertel, die,  wie immer, so auch in diesem Fall falsch  informiert
sind, als Geizhals und heimlicher Million€r und ist doch unsagbar arm."
     Ich fuhr entsetzt auf: "arm?"
     "Ja, womæglich  noch armer als ich. Das Wort nehmen kennt er,  glaub'
ich, ìberhaupt nur aus Bìchern; aber wenn  er  am Ersten  des Monats aus dem
Rathaus kommt, dann laufen die  jìdischen  Bettler vor ihm davon, weil sie
wissen,  er  wìrde dem  n€chsten besten  von  ihnen seinen ganzen k€rglichen
Gehalt in die Hand drìcken und  ein paar  Tage sp€ter -  samt seiner Tochter
selber  verhungern. - Wenn's wahr  ist, was eine uralte talmudische  Legende
behauptet: da von  den zwælf jìdischen St€mmen zehn verflucht sind und zwei
hellig,  so verkærpert er die zwei heiligen und Wassertrum  alle zehn andern
zusammen. - Haben  Sie noch nie  bemerkt,  wie  Wassertrum  s€mtliche Farben
spielt, wenn Hillel an ihm vorìber  geht? Interessant, sag' ich Ihnen! Sehen
Sie,  solches Blut kann sich gar nicht  vermischen; da kamen die  Kinder tot
zur  Welt. Vorausgesetzt, da die  Mìtter nicht schon frìher  vor  Entsetzen
stìrben.  - Hillel  ist ìbrigens der  einzige, an den  sich Wassertrum nicht
herantraut; - er weicht ihm  aus wie dem Feuer. Vermutlich, weil Hillel  das
Unbegreifliche, das vollkommen Unentr€tselbare, fìr ihn bedeutet. Vielleicht
wittert er in ihm auch den Kabballsten."
     Wir gingen bereits die Stiegen hinab.
     "Glauben  Sie, da es heutzutage  noch Kabballsten gibt - da ìberhaupt
an  der Kabbala  etwas  sein konnte?",  fragte  ich, gespannt, was  er  wohl
antworten wìrde, aber er schien nicht zugehært zu haben.
     Ich wiederholte meine Frage.
     Hastig lenkte er ab und deutete auf eine Tìr des Treppenhauses, die aus
Kistendeckeln zusammengenagelt war:
     "Sie haben da  neue Mitbewohner bekommen,  eine zwar jìdische aber arme
Familie:  den  meschuggenen  Musikanten  Nephtali  Schaffranek mit  Tochter,
Schwiegersohn und Enkelkindern. Wenn's dunkel wird und er allein ist mit den
kleinen M€dchen, kommt der Rappel ìber ihn: dann bindet er sie an den Daumen
zusammen,  damit  sie  ihm nicht  davonlaufen,  zw€ngt sie  in  einen  alten
Hìhnerk€fig  und  unterweist  sie im  Gesang,  wie er  es nennt, damit sie
sp€ter ihren Lebensunterhalt selbst erwerben kænnen, -  das heit,  er lehrt
sie  die verrìcktesten Lieder, die es gibt, deutsche Texte, Bruchstìcke, die
er  irgendwo  aufgeschnappt  hat und im D€mmer seines Seelenzustandes  fìr -
preuische Schlachthymnen oder dergleichen h€lt."
     Wirklich tænte da  eine sonderbare Musik leise auf den Gang heraus. Ein
Fiedelbogen  kratzte fìrchterlich hoch und immerw€hrend in ein und demselben
Ton die Umrisse eines Gassenhauers, und zwei fadendìnne Kinderstimmen sangen
dazu:
     "Frau Pick,
     Frau Hock,
     Frau Kle - pe - tarsch,
     se stehen beirenond
     und schmusen allerhond - -"
      Es  war wie  Wahnwitz und Komik zugleich,  und ich  mute wider  Willen
hellaut auflachen.
     "Schwiegersohn Schaffranek  -  seine  Frau verkauft  auf  dem Eiermarkt
Gurkensaft  gl€schenweise an die Schuljugend - l€uft den ganzen  Tag  in den
Bìros  herum",  fuhr  Charousek  grimmig  fort,  "und  erbettelt  sich  alte
Briefmarken. Die sortiert er dann,  und wenn er  welche darunter findet, die
zuf€llig  nur  am Rande  gestempelt  sind, so legt  er  sie  aufeinander und
schneidet  sie  durch. Die  ungestempelten  H€lften  klebt  er  zusammen und
verkauft sie  als neu.  Anfangs blìhte das  Gesch€ft und  warf manchmal fast
einen - Gulden  im  Tag  ab, aber schlielich  kamen  die  Prager  jìdischen
Groindustriellen  dahinter - und machen es jetzt selber.  Sie  schæpfen den
Rahm ab."
     "Wìrden  Sie  Not  lindern,  Charousek,  wenn  Sie  ìberflìssiges  Geld
h€tten?" fragte ich rasch. - Wir standen vor Hillels Tìr und ich klopfte an.
     "Halten  Sie mich fìr  so gemein,  da Sie glauben kænnen,  ich t€te es
nicht?", fragte er verblìfft zurìck.
     Mirjams Schritte  kamen n€her,  und ich  wartete,  bis  sie die  Klinke
niederdrìckte, dann schob ich ihm rasch die Banknote in die Tasche:
     "Nein, Herr Charousek, ich halte Sie nicht dafìr, aber  mich mìten Sie
fìr gemein halten, wenn ich's unterliee."
     Ehe er etwas  erwidern konnte, hatte  ich  ihm die Hand geschìttelt und
die Tìr  hinter  mir zugezogen. W€hrend mich  Mirjam begrìte, lauschte ich,
was er tun wìrde.
     Er  blieb  eine  Weile stehen,  dann  schluchzte er leise auf und  ging
langsam mit  suchendem Schritt die Treppe hinunter. Wie jemand, der  sich am
Gel€nder halten mu. - - -
     Es  war wie  Wahnwitz und Komik zugleich,  und ich  mute wider  Willen
hellaut auflachen.
     "Schwiegersohn Schaffranek  -  seine  Frau verkauft  auf  dem Eiermarkt
Gurkensaft  gl€schenweise an die Schuljugend - l€uft den ganzen  Tag  in den
Bìros  herum",  fuhr  Charousek  grimmig  fort,  "und  erbettelt  sich  alte
Briefmarken. Die sortiert er dann,  und wenn er  welche darunter findet, die
zuf€llig  nur  am Rande  gestempelt  sind, so legt  er  sie  aufeinander und
schneidet  sie  durch. Die  ungestempelten  H€lften  klebt  er  zusammen und
verkauft sie  als neu.  Anfangs blìhte das  Gesch€ft und  warf manchmal fast
einen - Gulden  im  Tag  ab, aber schlielich  kamen  die  Prager  jìdischen
Groindustriellen  dahinter - und machen es jetzt selber.  Sie  schæpfen den
Rahm ab."
     "Wìrden  Sie  Not  lindern,  Charousek,  wenn  Sie  ìberflìssiges  Geld
h€tten?" fragte ich rasch. - Wir standen vor Hillels Tìr und ich klopfte an.
     "Halten  Sie mich fìr  so gemein,  da Sie glauben kænnen,  ich t€te es
nicht?", fragte er verblìfft zurìck.
     Mirjams Schritte  kamen n€her,  und ich  wartete,  bis  sie die  Klinke
niederdrìckte, dann schob ich ihm rasch die Banknote in die Tasche:
     "Nein, Herr Charousek, ich halte Sie nicht dafìr, aber  mich mìten Sie
fìr gemein halten, wenn ich's unterliee."
     Ehe er etwas  erwidern konnte, hatte  ich  ihm die Hand geschìttelt und
die Tìr  hinter  mir zugezogen. W€hrend mich  Mirjam begrìte, lauschte ich,
was er tun wìrde.
     Er  blieb  eine  Weile stehen,  dann  schluchzte er leise auf und  ging
langsam mit  suchendem Schritt die Treppe hinunter. Wie jemand, der  sich am
Gel€nder halten mu. - - -
      Es war das erste Mal, da ich Hillels Zimmer besuchte.
     Es sah schmucklos aus  wie ein Gef€ngnis. Der Boden peinlich sauber und
mit weiem Sand bestreut. Nichts an Mæbeln als zwei Stìhle und ein Tisch und
eine Kommode. Ein Holzpostament je links und rechts an den W€nden. - - -
     Mirjam sa  mir  gegenìber am  Fenster, und  ich  bossierte  an  meinem
Modellierwachs.
     "Mu  man denn  ein  Gesicht vor  sich  haben,  um  die  hnlichkeit zu
treffen?", fragte sie schìchtern und nur, um die Stille zu unterbrechen.
     Wir  wichen einander scheu  mit den Blicken aus. Sie wute nicht, wohin
die Augen  richten in ihrer Qual und  Scham ìber die jammervolle Stube,  und
mir brannten die Wangen von innerem Vorwurf, da ich mich nicht l€ngst darum
gekìmmert hatte, wie sie und ihr Vater lebten.
     Aber irgend etwas mute ich doch antworten!
     "Nicht so sehr,  um  die hnlichkeit zu treffen, als um zu vergleichen,
ob man innerlich  auch richtig gesehen hat",  - ich fìhlte, noch w€hrend ich
sprach, wie grundfalsch das alles war, was ich sagte.
     Jahrelang  hatte ich  den irrigen  Grundsatz  der Maler, man  mìsse die
€uere  Natur  studieren, um  kìnstlerisch schaffen zu  kænnen, stumpfsinnig
nachgebetet und befolgt; erst, seit Hillel mich in jener Nacht erweckt,  war
mir  das   innere   Schauen  aufgegangen:  das   wahre  Sehenkænnen   hinter
geschlossenen Lidern, das sofort erlischt, wenn man die Augen  aufschl€gt, -
die  Gabe, die sie alle zu haben glauben und die doch unter Millionen keiner
wirklich besitzt.
     Wie konnte  ich  auch nur  von der Mæglichkeit sprechen, die unfehlbare
Richtschnur  der geistigen  Vision an  den groben  Mitteln des  Augenscheins
nachmessen zu wollen!
     Mirjam schien hnliches zu denken, nach dem Erstaunen in  ihren  Mienen
zu schlieen.
     "Sie dìrfen es nicht so wærtlich nehmen", entschuldigte ich mich.
     Voll Aufmerksamkeit  sah sie  zu,  wie  ich mit  dem  Griffel  die Form
vertiefte.
     "Es  mu unendlich  schwer sein,  alles  dann haargenau  auf  Stein  zu
ìbertragen?"
     "Das ist nur mechanische Arbeit. So ziemlich wenigstens."
     Pause.
     "Darf ich die Gemme sehen, wenn sie fertig ist?" fragte sie.
     "Sie ist doch fìr Sie bestimmt, Mirjam."
     "Nein, nein; das geht nicht, - - das - das  -  -", -  ich sah, wie ihre
H€nde nervæs wurden.
     "Nicht  einmal  diese  Kleinigkeit  wollen  Sie  von   mir  annehmen?",
unterbrach ich sie schnell, "ich wollte, ich dìrfte mehr fìr Sie tun."
     Hastig wandte sie das Gesicht ab.
     Was hatte ich da gesagt! Ich  mute sie aufs tiefste verletzt haben. Es
hatte geklungen, als wollte ich auf ihre Armut anspielen.
     Konnte ich es noch beschænigen? Wurde es dann nicht weit schlimmer?
     Ich nahm einen Anlauf:
     "Hæren Sie mich ruhig  an, Mirjam! Ich  bitte  Sie darum. - Ich schulde
Ihrem Vater so unendlich viel, - Sie kænnen das gar nicht ermessen - -"
     Sie sah mich unsicher an; verstand offenbar nicht.
     "-ja ja: unendlich viel. Mehr als mein Leben."
     "Weil er Ihnen damals beistand, als Sie ohnm€chtig waren? Das  war doch
selbstverst€ndlich."
     Ich fìhlte:  sie  wute  nicht,  welches  Band  mich  mit  ihrem  Vater
verknìpfte. Vorsichtig  sondierte  ich,  wie weit ich  gehen durfte, ohne zu
verraten, was er ihr verschwieg.
     "Weit hæher als €uere Hilfe, dachte ich, ist die  innere zu stellen. -
Ich meine die, die aus  dem  geistigen Einflu eines Menschen auf den andern
ìberstrahlt. - Verstehen Sie, was ich damit sagen will,  Mirjam?  - Man kann
jemand auch seelisch heilen, nicht nur kærperlich, Mirjam."
     "Und das hat - -?"
     "Ja, das hat Ihr Vater an mir getan!"  - ich fate sie  an der  Hand, -
"begreifen Sie nicht, da es mir da  ein Herzenswunsch sein mu, wenn  schon
nicht ihm, so doch jemand, der ihm so nahesteht,  wie Sie, irgendeine Freude
zu bereiten? - Haben Sie nur ein ganz klein wenig Vertrauen zu mir! - Gibt's
denn gar keinen Wunsch, den ich Ihnen erfìllen kænnte?"
     Sie  schìttelte  den  Kopf:  "Sie glauben, ich  fìhle  mich unglìcklich
hier?"
     "Gewi nicht. Aber vielleicht haben Sie  zuweilen Sorgen, die ich Ihnen
abnehmen  konnte? Sie  sind  verpflichtet - hæren Sie!  - verpflichtet, mich
daran teilnehmen zu lassen! Warum leben Sie denn beide hier in  der finstern
traurigen Gasse, wenn Sie nicht mìten? Sie sind noch so jung, Mirjam, und -
-"
     "Sie  leben  doch  selbst  hier,  Herr  Pernath", unterbrach  sie  mich
l€chelnd, "was fesselt Sie an das Haus?"
     Ich stutzte. - Ja.  Ja,  das  war richtig.  Warum lebte ich  eigentlich
hier? Ich konnte  es  mir  nicht  erkl€ren, was fesselt  dich an  das  Haus?
wiederholte ich mir geistesabwesend. Ich konnte keine  Erkl€rung finden  und
verga  einen  Augenblick  ganz,  wo  ich  war.  -  Dann stand ich plætzlich
entrìckt irgendwo hoch oben - in einem  Garten - roch  den zauberhaften Duft
von blìhenden Holunderdolden, - sah herab auf die Stadt - - -
     "Habe  ich eine Wunde berìhrt? Hab' ich Ihnen  weh getan?", kam Mirjams
Stimme von weit, weit her zu mir.
     Sie hatte sich  ìber mich gebeugt und sah mir  €ngstlich forschend  ins
Gesicht.
     Ich mute wohl lange starr dagesessen haben, da sie so besorgt war.
     Eine Weile schwankte es hin und her in mir, dann brach sich's plætzlich
gewaltsam Bahn, ìberflutete mich,  und ich schìttete Mirjam mein ganzes Herz
aus.
     Ich erz€hlte ihr, wie  einem lieben, alten Freund,  mit  dem  man  sein
ganzes Leben beisammen war und vor dem man kein Geheimnis hat, wie's um mich
stand  und auf welche Weise ich aus einer  Erz€hlung Zwakhs  erfahren hatte,
da ich  in frìheren Jahren wahnsinnig gewesen und  der  Erinnerung an meine
Vergangenheit  beraubt worden  war, - wie in letzter Zeit Bilder in mir wach
geworden,  die  in jenen Tagen  wurzeln muten, immer h€ufiger und h€ufiger,
und da  ich  vor dem Moment zitterte, wo mir alles offenbar werden und mich
von neuem zerreien wìrde.
     Nur, was ich mit ihrem Vater  in  Zusammenhang bringen  mute: -  meine
Erlebnisse in den unterirdischen G€ngen und all das  ìbrige, verschwieg  ich
ihr.
     Sie  war  dicht zu  mir  gerìckt  und hærte mit  einer tiefen atemlosen
Teilnahme zu, die mir uns€glich wohl tat.
     Endlich hatte ich einen Menschen gefunden, mit dem ich mich aussprechen
konnte, wenn mir meine geistige Einsamkeit zu  schwer wurde.  - Gewi  wohl:
Hillel war  ja noch da, aber fìr mich nur wie ein Wesen jenseits der Wolken,
das kam und verschwand wie ein Licht, an das ich nicht herankonnte, wenn ich
mich sehnte.
     Ich sagte  es ihr und sie verstand  mich. Auch sie sah ihn so, trotzdem
er ihr Vater war.
     Er hing mit unendlicher Liebe an ihr und sie an ihm - "und doch bin ich
wie  durch eine Glaswand von  ihm getrennt," vertraute sie mir an, "die  ich
nicht durchbrechen kann. Solange ich  denke, war es  so. - Wenn ich ihn  als
Kind  im  Traum an meinem  Bette  stehen sah, immer  trug er  das Gewand des
Hohenpriesters: die goldene Tafel des Moses mit den 12 Steinen darin auf der
Brust, und blaue  leuchtende Strahlen gingen von seinen Schl€fen  aus. - Ich
glaube, seine Liebe ist von der Art, die ìbers Grab hinausgeht, und zu gro,
als da wir sie fassen kænnten. - Das hat auch  meine Mutter  immer  gesagt,
wenn  wir  heimlich  ìber ihn  sprachen."  -  - Sie schauderte plætzlich und
zitterte am ganzen Leib. Ich wollte aufspringen, aber sie hielt mich zurìck:
"Seien  Sie ruhig,  es ist  nichts. Blo  eine Erinnerung. Als  meine Mutter
starb -  nur  ich  wei, wie er  sie geliebt hat,  ich war  damals  noch ein
kleines M€dchen, - glaubte ich vor Schmerz ersticken zu mìssen, und ich lief
zu ihm hin und krallte mich in seinen Rock und wollte aufschreien und konnte
doch nicht, weil alles gel€hmt war in mir - und - und da - - - - mir lauft's
wieder eiskalt ìber den Rìcken, wenn ich daran denke - sah er mich  l€chelnd
an, kìte mich auf die Stirn und fuhr mir mit der Hand ìber die Augen. - - -
-  Und von dem  Moment  an bis  heute  war jedes  Leid, da ich meine Mutter
verloren  hatte,  wie  ausgetilgt  in  mir.  Nicht  eine  Tr€ne  konnte  ich
vergieen,  als sie begraben  wurde;  ich sah die Sonne als strahlende  Hand
Gottes  am Himmel stehen und wunderte mich, warum die Menschen weinten. Mein
Vater  ging hinter  dem Sarge  her,  neben mir,  und  wenn  ich  aufblickte,
l€chelte er jedesmal leise und ich fìhlte, wie das Entsetzen durch die Menge
fuhr, als sie es sahen."
     "Und  sind Sie  glìcklich, Mirjam? Ganz glìcklich? Liegt nicht zugleich
etwas Furchtbares fìr Sie in dem Gedanken, ein Wesen zum Vater zu haben, das
hinausgewachsen ist ìber alles Menschentum?", fragte ich leise.
     Mirjam schìttelte freudig den Kopf:
     "Ich  lebe wie in  einem seligen Schlaf dahin.  - Als Sie  mich  vorhin
fragten, Herr Pernath, ob ich nicht Sorgen h€tte und warum wir hier wohnten,
mute ich fast lachen. Ist denn die Natur schæn? Nun ja, die B€ume sind grìn
und  der  Himmel  ist  blau,  aber  das  alles  kann  ich  mir  viel schæner
vorstellen, wenn ich die Augen schliee. Mu ich  denn, um sie zu sehen, auf
einer Wiese sitzen? - Und das bichen  Not und - und - und Hunger?  Das wird
tausendfach aufgewogen durch die Hoffnung und das Warten."
     "Das Warten?", fragte ich erstaunt.
     "Das Warten  auf ein Wunder. Kennen Sie  das  nicht? Nein? Da  sind Sie
aber ein ganz,  ganz armer Mensch.  - Da das so  wenige kennen?! Sehen Sie,
das  ist auch der Grund,  weshalb ich nie ausgehe und  mit niemand verkehre.
Ich hatte wohl frìher ein paar Freundinnen - Jìdinnen natìrlich, wie ich  -,
aber wir redeten immer aneinander vorbei;  sie verstanden mich nicht und ich
sie  nicht. Wenn ich von  Wundern  sprach, glaubten  sie  anfangs, ich mache
Spa,  und  als sie merkten,  wie ernst  es mir war und  da  ich auch unter
Wundern  nicht  das  verstand,  was  die  Deutschen  mit  ihren  Brillen  so
bezeichnen: das  gesetzm€ige Wachsen des  Grases  und dergleichen,  sondern
eher das Gegenteil, -  h€tten sie mich  am liebsten  fìr  verrìckt gehalten,
aber dagegen stand ihnen wieder im Wege, da  ich  ziemlich gelenkig bin  im
Denken,  hebr€isch  und  aram€isch gelernt habe, die Targumim und Midraschim
lesen kann, und  was dergleichen  Nebens€chlichkeiten mehr sind. Schlielich
fanden sie ein Wort,  das ìberhaupt nichts mehr  ausdrìckt: sie nannten mich
ìberspannt.
     Wenn  ich ihnen  dann  klarmachen  wollte,  da  das Bedeutsame  -  das
Wesentliche  - fìr mich  in  der  Bibel und anderen  heiligen Schriften  das
Wunder und blo das Wunder sei und nicht Vorschriften  ìber Moral und Ethik,
die nur versteckte Wege sein kænnen, um  zum Wunder zu gelangen, - so wuten
sie  nur  mit  Gemeinpl€tzen  zu  erwidern,  denn sie  scheuten sich,  offen
einzugestehen, da  sie  aus  den Religionsschriften  nur das glaubten,  was
ebensogut  im bìrgerlichen  Gesetzbuch  stehen  kænnte. Wenn  sie  das  Wort
Wunder nur  hærten,  wurde ihnen schon unbehaglich. Sie verlæren den Boden
unter den Fìen, sagten sie.
     Als ob  es etwas Herrlicheres  geben  kænnte,  als den Boden  unter den
Fìen zu verlieren!
     Die Welt ist  dazu da,  um von uns kaputt gedacht zu werden, hærte  ich
einmal meinen Vater  sagen, - dann, dann erst f€ngt das Leben an. - Ich wei
nicht, was er mit dem Leben meinte, aber ich fìhle zuweilen, da ich eines
Tages so wie: erwachen werde.  Wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, in
welchen Zustand hinein. Und Wunder mìssen  dem vorhergehen,  denke  ich  mir
immer.
     Hast  du denn schon welche erlebt, da du fortw€hrend darauf wartest?
fragten  mich oft  meine  Freundinnen,  und wenn ich  verneinte, wurden  sie
plætzlich froh  und siegesgewi. Sagen Sie, Herr Pernath,  kænnen Sie solche
Herzen  verstehen? Da ich doch Wunder erlebt habe, wenn auch nur kleine,  -
winzig  kleine  -",  -  Mirjams  Augen gl€nzten,  - "wollte  ich ihn
     Es war das erste Mal, da ich Hillels Zimmer besuchte.
     Es sah schmucklos aus  wie ein Gef€ngnis. Der Boden peinlich sauber und
mit weiem Sand bestreut. Nichts an Mæbeln als zwei Stìhle und ein Tisch und
eine Kommode. Ein Holzpostament je links und rechts an den W€nden. - - -
     Mirjam sa  mir  gegenìber am  Fenster, und  ich  bossierte  an  meinem
Modellierwachs.
     "Mu  man denn  ein  Gesicht vor  sich  haben,  um  die  hnlichkeit zu
treffen?", fragte sie schìchtern und nur, um die Stille zu unterbrechen.
     Wir  wichen einander scheu  mit den Blicken aus. Sie wute nicht, wohin
die Augen  richten in ihrer Qual und  Scham ìber die jammervolle Stube,  und
mir brannten die Wangen von innerem Vorwurf, da ich mich nicht l€ngst darum
gekìmmert hatte, wie sie und ihr Vater lebten.
     Aber irgend etwas mute ich doch antworten!
     "Nicht so sehr,  um  die hnlichkeit zu treffen, als um zu vergleichen,
ob man innerlich  auch richtig gesehen hat",  - ich fìhlte, noch w€hrend ich
sprach, wie grundfalsch das alles war, was ich sagte.
     Jahrelang  hatte ich  den irrigen  Grundsatz  der Maler, man  mìsse die
€uere  Natur  studieren, um  kìnstlerisch schaffen zu  kænnen, stumpfsinnig
nachgebetet und befolgt; erst, seit Hillel mich in jener Nacht erweckt,  war
mir  das   innere   Schauen  aufgegangen:  das   wahre  Sehenkænnen   hinter
geschlossenen Lidern, das sofort erlischt, wenn man die Augen  aufschl€gt, -
die  Gabe, die sie alle zu haben glauben und die doch unter Millionen keiner
wirklich besitzt.
     Wie konnte  ich  auch nur  von der Mæglichkeit sprechen, die unfehlbare
Richtschnur  der geistigen  Vision an  den groben  Mitteln des  Augenscheins
nachmessen zu wollen!
     Mirjam schien hnliches zu denken, nach dem Erstaunen in  ihren  Mienen
zu schlieen.
     "Sie dìrfen es nicht so wærtlich nehmen", entschuldigte ich mich.
     Voll Aufmerksamkeit  sah sie  zu,  wie  ich mit  dem  Griffel  die Form
vertiefte.
     "Es  mu unendlich  schwer sein,  alles  dann haargenau  auf  Stein  zu
ìbertragen?"
     "Das ist nur mechanische Arbeit. So ziemlich wenigstens."
     Pause.
     "Darf ich die Gemme sehen, wenn sie fertig ist?" fragte sie.
     "Sie ist doch fìr Sie bestimmt, Mirjam."
     "Nein, nein; das geht nicht, - - das - das  -  -", -  ich sah, wie ihre
H€nde nervæs wurden.
     "Nicht  einmal  diese  Kleinigkeit  wollen  Sie  von   mir  annehmen?",
unterbrach ich sie schnell, "ich wollte, ich dìrfte mehr fìr Sie tun."
     Hastig wandte sie das Gesicht ab.
     Was hatte ich da gesagt! Ich  mute sie aufs tiefste verletzt haben. Es
hatte geklungen, als wollte ich auf ihre Armut anspielen.
     Konnte ich es noch beschænigen? Wurde es dann nicht weit schlimmer?
     Ich nahm einen Anlauf:
     "Hæren Sie mich ruhig  an, Mirjam! Ich  bitte  Sie darum. - Ich schulde
Ihrem Vater so unendlich viel, - Sie kænnen das gar nicht ermessen - -"
     Sie sah mich unsicher an; verstand offenbar nicht.
     "-ja ja: unendlich viel. Mehr als mein Leben."
     "Weil er Ihnen damals beistand, als Sie ohnm€chtig waren? Das  war doch
selbstverst€ndlich."
     Ich fìhlte:  sie  wute  nicht,  welches  Band  mich  mit  ihrem  Vater
verknìpfte. Vorsichtig  sondierte  ich,  wie weit ich  gehen durfte, ohne zu
verraten, was er ihr verschwieg.
     "Weit hæher als €uere Hilfe, dachte ich, ist die  innere zu stellen. -
Ich meine die, die aus  dem  geistigen Einflu eines Menschen auf den andern
ìberstrahlt. - Verstehen Sie, was ich damit sagen will,  Mirjam?  - Man kann
jemand auch seelisch heilen, nicht nur kærperlich, Mirjam."
     "Und das hat - -?"
     "Ja, das hat Ihr Vater an mir getan!"  - ich fate sie  an der  Hand, -
"begreifen Sie nicht, da es mir da  ein Herzenswunsch sein mu, wenn  schon
nicht ihm, so doch jemand, der ihm so nahesteht,  wie Sie, irgendeine Freude
zu bereiten? - Haben Sie nur ein ganz klein wenig Vertrauen zu mir! - Gibt's
denn gar keinen Wunsch, den ich Ihnen erfìllen kænnte?"
     Sie  schìttelte  den  Kopf:  "Sie glauben, ich  fìhle  mich unglìcklich
hier?"
     "Gewi nicht. Aber vielleicht haben Sie  zuweilen Sorgen, die ich Ihnen
abnehmen  konnte? Sie  sind  verpflichtet - hæren Sie!  - verpflichtet, mich
daran teilnehmen zu lassen! Warum leben Sie denn beide hier in  der finstern
traurigen Gasse, wenn Sie nicht mìten? Sie sind noch so jung, Mirjam, und -
-"
     "Sie  leben  doch  selbst  hier,  Herr  Pernath", unterbrach  sie  mich
l€chelnd, "was fesselt Sie an das Haus?"
     Ich stutzte. - Ja.  Ja,  das  war richtig.  Warum lebte ich  eigentlich
hier? Ich konnte  es  mir  nicht  erkl€ren, was fesselt  dich an  das  Haus?
wiederholte ich mir geistesabwesend. Ich konnte keine  Erkl€rung finden  und
verga  einen  Augenblick  ganz,  wo  ich  war.  -  Dann stand ich plætzlich
entrìckt irgendwo hoch oben - in einem  Garten - roch  den zauberhaften Duft
von blìhenden Holunderdolden, - sah herab auf die Stadt - - -
     "Habe  ich eine Wunde berìhrt? Hab' ich Ihnen  weh getan?", kam Mirjams
Stimme von weit, weit her zu mir.
     Sie hatte sich  ìber mich gebeugt und sah mir  €ngstlich forschend  ins
Gesicht.
     Ich mute wohl lange starr dagesessen haben, da sie so besorgt war.
     Eine Weile schwankte es hin und her in mir, dann brach sich's plætzlich
gewaltsam Bahn, ìberflutete mich,  und ich schìttete Mirjam mein ganzes Herz
aus.
     Ich erz€hlte ihr, wie  einem lieben, alten Freund,  mit  dem  man  sein
ganzes Leben beisammen war und vor dem man kein Geheimnis hat, wie's um mich
stand  und auf welche Weise ich aus einer  Erz€hlung Zwakhs  erfahren hatte,
da ich  in frìheren Jahren wahnsinnig gewesen und  der  Erinnerung an meine
Vergangenheit  beraubt worden  war, - wie in letzter Zeit Bilder in mir wach
geworden,  die  in jenen Tagen  wurzeln muten, immer h€ufiger und h€ufiger,
und da  ich  vor dem Moment zitterte, wo mir alles offenbar werden und mich
von neuem zerreien wìrde.
     Nur, was ich mit ihrem Vater  in  Zusammenhang bringen  mute: -  meine
Erlebnisse in den unterirdischen G€ngen und all das  ìbrige, verschwieg  ich
ihr.
     Sie  war  dicht zu  mir  gerìckt  und hærte mit  einer tiefen atemlosen
Teilnahme zu, die mir uns€glich wohl tat.
     Endlich hatte ich einen Menschen gefunden, mit dem ich mich aussprechen
konnte, wenn mir meine geistige Einsamkeit zu  schwer wurde.  - Gewi  wohl:
Hillel war  ja noch da, aber fìr mich nur wie ein Wesen jenseits der Wolken,
das kam und verschwand wie ein Licht, an das ich nicht herankonnte, wenn ich
mich sehnte.
     Ich sagte  es ihr und sie verstand  mich. Auch sie sah ihn so, trotzdem
er ihr Vater war.
     Er hing mit unendlicher Liebe an ihr und sie an ihm - "und doch bin ich
wie  durch eine Glaswand von  ihm getrennt," vertraute sie mir an, "die  ich
nicht durchbrechen kann. Solange ich  denke, war es  so. - Wenn ich ihn  als
Kind  im  Traum an meinem  Bette  stehen sah, immer  trug er  das Gewand des
Hohenpriesters: die goldene Tafel des Moses mit den 12 Steinen darin auf der
Brust, und blaue  leuchtende Strahlen gingen von seinen Schl€fen  aus. - Ich
glaube, seine Liebe ist von der Art, die ìbers Grab hinausgeht, und zu gro,
als da wir sie fassen kænnten. - Das hat auch  meine Mutter  immer  gesagt,
wenn  wir  heimlich  ìber ihn  sprachen."  -  - Sie schauderte plætzlich und
zitterte am ganzen Leib. Ich wollte aufspringen, aber sie hielt mich zurìck:
"Seien  Sie ruhig,  es ist  nichts. Blo  eine Erinnerung. Als  meine Mutter
starb -  nur  ich  wei, wie er  sie geliebt hat,  ich war  damals  noch ein
kleines M€dchen, - glaubte ich vor Schmerz ersticken zu mìssen, und ich lief
zu ihm hin und krallte mich in seinen Rock und wollte aufschreien und konnte
doch nicht, weil alles gel€hmt war in mir - und - und da - - - - mir lauft's
wieder eiskalt ìber den Rìcken, wenn ich daran denke - sah er mich  l€chelnd
an, kìte mich auf die Stirn und fuhr mir mit der Hand ìber die Augen. - - -
-  Und von dem  Moment  an bis  heute  war jedes  Leid, da ich meine Mutter
verloren  hatte,  wie  ausgetilgt  in  mir.  Nicht  eine  Tr€ne  konnte  ich
vergieen,  als sie begraben  wurde;  ich sah die Sonne als strahlende  Hand
Gottes  am Himmel stehen und wunderte mich, warum die Menschen weinten. Mein
Vater  ging hinter  dem Sarge  her,  neben mir,  und  wenn  ich  aufblickte,
l€chelte er jedesmal leise und ich fìhlte, wie das Entsetzen durch die Menge
fuhr, als sie es sahen."
     "Und  sind Sie  glìcklich, Mirjam? Ganz glìcklich? Liegt nicht zugleich
etwas Furchtbares fìr Sie in dem Gedanken, ein Wesen zum Vater zu haben, das
hinausgewachsen ist ìber alles Menschentum?", fragte ich leise.
     Mirjam schìttelte freudig den Kopf:
     "Ich  lebe wie in  einem seligen Schlaf dahin.  - Als Sie  mich  vorhin
fragten, Herr Pernath, ob ich nicht Sorgen h€tte und warum wir hier wohnten,
mute ich fast lachen. Ist denn die Natur schæn? Nun ja, die B€ume sind grìn
und  der  Himmel  ist  blau,  aber  das  alles  kann  ich  mir  viel schæner
vorstellen, wenn ich die Augen schliee. Mu ich  denn, um sie zu sehen, auf
einer Wiese sitzen? - Und das bichen  Not und - und - und Hunger?  Das wird
tausendfach aufgewogen durch die Hoffnung und das Warten."
     "Das Warten?", fragte ich erstaunt.
     "Das Warten  auf ein Wunder. Kennen Sie  das  nicht? Nein? Da  sind Sie
aber ein ganz,  ganz armer Mensch.  - Da das so  wenige kennen?! Sehen Sie,
das  ist auch der Grund,  weshalb ich nie ausgehe und  mit niemand verkehre.
Ich hatte wohl frìher ein paar Freundinnen - Jìdinnen natìrlich, wie ich  -,
aber wir redeten immer aneinander vorbei;  sie verstanden mich nicht und ich
sie  nicht. Wenn ich von  Wundern  sprach, glaubten  sie  anfangs, ich mache
Spa,  und  als sie merkten,  wie ernst  es mir war und  da  ich auch unter
Wundern  nicht  das  verstand,  was  die  Deutschen  mit  ihren  Brillen  so
bezeichnen: das  gesetzm€ige Wachsen des  Grases  und dergleichen,  sondern
eher das Gegenteil, -  h€tten sie mich  am liebsten  fìr  verrìckt gehalten,
aber dagegen stand ihnen wieder im Wege, da  ich  ziemlich gelenkig bin  im
Denken,  hebr€isch  und  aram€isch gelernt habe, die Targumim und Midraschim
lesen kann, und  was dergleichen  Nebens€chlichkeiten mehr sind. Schlielich
fanden sie ein Wort,  das ìberhaupt nichts mehr  ausdrìckt: sie nannten mich
ìberspannt.
     Wenn  ich ihnen  dann  klarmachen  wollte,  da  das Bedeutsame  -  das
Wesentliche  - fìr mich  in  der  Bibel und anderen  heiligen Schriften  das
Wunder und blo das Wunder sei und nicht Vorschriften  ìber Moral und Ethik,
die nur versteckte Wege sein kænnen, um  zum Wunder zu gelangen, - so wuten
sie  nur  mit  Gemeinpl€tzen  zu  erwidern,  denn sie  scheuten sich,  offen
einzugestehen, da  sie  aus  den Religionsschriften  nur das glaubten,  was
ebensogut  im bìrgerlichen  Gesetzbuch  stehen  kænnte. Wenn  sie  das  Wort
Wunder nur  hærten,  wurde ihnen schon unbehaglich. Sie verlæren den Boden
unter den Fìen, sagten sie.
     Als ob  es etwas Herrlicheres  geben  kænnte,  als den Boden  unter den
Fìen zu verlieren!
     Die Welt ist  dazu da,  um von uns kaputt gedacht zu werden, hærte  ich
einmal meinen Vater  sagen, - dann, dann erst f€ngt das Leben an. - Ich wei
nicht, was er mit dem Leben meinte, aber ich fìhle zuweilen, da ich eines
Tages so wie: erwachen werde.  Wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, in
welchen Zustand hinein. Und Wunder mìssen  dem vorhergehen,  denke  ich  mir
immer.
     Hast  du denn schon welche erlebt, da du fortw€hrend darauf wartest?
fragten  mich oft  meine  Freundinnen,  und wenn ich  verneinte, wurden  sie
plætzlich froh  und siegesgewi. Sagen Sie, Herr Pernath,  kænnen Sie solche
Herzen  verstehen? Da ich doch Wunder erlebt habe, wenn auch nur kleine,  -
winzig  kleine  -",  -  Mirjams  Augen gl€nzten,  - "wollte  ich ihn