lt hatte, ein  geheimer  Zugang  fìhre
von unten herauf ins Atelier.
     Es war eine viereckige Platte mit einem Ring daran als Griff.
     "Wo sollen wir  die  Briefe aufheben?", fing Charousek wieder an. "Sie,
Herr Pernath, und ich sind wohl die einzigen im ganzen Getto, die Wassertrum
harmlos vorkommen,  - warum gerade ich, das -  hat -  seine  - besonderen  -
Grìnde", - (ich sah, da sich seine Zìge in wildem Ha verzerrten, wie er so
den  letzten  Satz  færmlich zerbi -) "und Sie  halt er fìr  - -" Charousek
erstickte das Wort "verrìckt"  mit einem  raschen, erkìnstelten Husten, aber
ich erriet, was  er  hatte sagen wollen. Es tat mir  nicht weh; das  Gefìhl,
"ihr" helfen zu kænnen, machte mich so  glìckselig, da jede Empfindlichkeit
ausgelæscht war.
     Wir  kamen schlielich ìberein,  das  Paket bei mir zu verstecken,  und
gingen hinìber in meine Kammer.
      Charousek  war  l€ngst  fort, aber  immer  noch  konnte  ich mich nicht
entschlieen, zu Bette  zu gehen. Eine  gewisse innere Unzufriedenheit nagte
an mir  und hielt mich davon ab. Irgend  etwas sollte  ich noch  tun, fìhlte
ich, aber was? was?
     Einen Plan fìr den Studenten entwerfen, was weiter zu geschehen h€tte?
     Das  allein konnte  es nicht sein. Charousek lie  den Trædler  sowieso
nicht aus den Augen,  darìber bestand kein Zweifel. Ich schauderte, wenn ich
an den Ha dachte, der aus seinen Worten geweht hatte.
     Was ihm Wassertrum wohl angetan haben mochte?
     Die  seltsame  innere Unruhe  in  mir  wuchs und brachte  mich fast zur
Verzweiflung. Ein Unsichtbares, Jenseitiges rief nach mir, und  ich verstand
nicht.
     Ich kam mir vor wie ein Gaul,  der dressiert wird,  das Reien am Zìgel
spìrt und  nicht wei, welches  Kunststìck er machen soll, den Willen seines
Herrn nicht erfat.
     Hinuntergehen zu Schemajah Hillel?
     Jede Faser in mir verneinte.
     Die Vision  des Mænchs  in der Domkirche, auf  dessen Schultern gestern
der  Kopf Charouseks aufgetaucht war als  Antwort auf eine  stumme  Bitte um
Rat, gab mir Fingerzeig genug, von nun an dumpfe Gefìhle nicht ohne weiteres
zu verachten. Geheime Kr€fte keimten in mir auf  seit geraumer Zeit, das war
gewi:  ich  empfand es zu ìberm€chtig,  als  da ich auch nur  den  Versuch
gemacht h€tte, es wegzuleugnen.
     Buchstaben zu empfinden, sie nicht  nur mit  den  Augen  in  Bìchern zu
lesen, - einen Dolmetsch in mir selbst aufzustellen, der mir  ìbersetzt, was
die  Instinkte ohne Worte raunen, darin mu der  Schlìssel liegen,  sich mit
dem eigenen Innern durch klare Sprache zu verst€ndigen, begriff ich.
     "Sie haben Augen und  sehen nicht; sie  haben  Ohren und  hæren nicht",
fiel mir eine Bibelstelle wie eine Erkl€rung dazu ein.
     "Schlìssel,   Schlìssel,  Schlìssel",  wiederholten  mechanisch   meine
Lippen, derweilen mir der Geist jene sonderbaren Ideen vorgaukelte, bemerkte
ich plætzlich.
     "Schlìssel, Schlìssel -  -?" Mein  Blick fiel  auf den krummen Draht in
meiner Hand, der  mir vorhin zum ffnen der Speichertìre gedient  hatte, und
eine heie Neugier, wohin wohl die viereckige Falltìr aus dem Atelier fìhren
kænnte, peitschte mich auf.
     Und ohne zu ìberlegen, ging  ich  nochmals  hinìber in Saviolis Atelier
und zog an dem  Griffring  der Falltìre, bis es  mir schlielich gelang, die
Platte zu heben.
     Zuerst nichts als Dunkelheit.
     Dann  sah   ich:  Schmale,  steile  Stufen  liefen   hinab  in  tiefste
Finsternis.
     Ich stieg hinunter.
     Eine Zeitlang tastete ich mich mit den  H€nden die Mauern entlang, aber
es wollte  kein  Ende nehmen:  Nischen, feucht  von  Schimmel  und Moder,  -
Windungen, Ecken und Winkel,  - G€nge geradeaus, nach links und nach rechts,
Reste einer  alten Holztìre,  Wegteilungen und  dann wieder Stufen,  Stufen,
Stufen hinauf und hinab.
     Matter, erstickender Geruch nach Schwamm und Erde ìberall.
     Und noch immer kein Lichtstrahl. -
     Wenn ich nur Hillels Kerze mitgenommen h€tte!
     Endlich flacher, ebener Weg.
     Aus dem Knirschen unter meinen  Fìen schlo ich, da ich auf trockenem
Sand dahinschritt.
     Es konnte  nur  einer  jener zahllosen  G€nge sein, die scheinbar  ohne
Zweck und Ziel unter dem Getto hinfìhren bis zum Flu.
     Ich  wunderte  mich   nicht:   die   halbe   Stadt   stand   doch  seit
unvordenklichen Zeiten auf solchen unterirdischen  L€uften, und die Bewohner
Prags hatten von jeher triftigen Grund, das Tageslicht zu scheuen.
     Das Fehlen jeglichen Ger€uschs  zu meinen  H€upten sagte mir,  da  ich
mich immer noch in der Gegend des Judenviertels, das nachts wie ausgestorben
ist, befinden mute, obwohl ich schon eine Ewigkeit gewandert war. Belebtere
Straen oder Pl€tze ìber mir h€tten sich durch fernes Wagenrasseln verraten.
     Eine  Sekunde lang wìrgte  mich die Furcht:  was,  wenn  ich im  Kreise
herumging!? In ein Loch  stìrzte,  mich verletzte, ein  Bein brach und nicht
mehr weiter gehen konnte?!
     Was  geschah  dann mit  ihren  Briefen in  meiner  Kammer?  Sie  muten
unfehlbar Wassertrum in die H€nde fallen.
     Der Gedanke  an Schemajah Hillel,  mit dem ich  vag  den Begriff  eines
Helfers und Fìhrers verknìpfte, beruhigte mich unwillkìrlich.
     Vorsichtshalber  ging  ich aber doch langsamer und tastenden  Schrittes
und hielt den Arm in die Hæhe, um nicht unversehens mit dem Kopf anzurennen,
falls der Gang niedriger wìrde.
     Von Zeit zu Zeit, dann immer  æfter stie ich oben mit der Hand an, und
endlich senkte sich das Gestein so tief herab, da ich mich bìcken mute, um
durchzukommen.
     Pætzlich fuhr ich mit dem erhobenen Arm in einen leeren Raum.
     Ich blieb stehen und starrte hinauf.
     Nach  und nach schien es mir, als falle von der Decke ein leiser,  kaum
merklicher Schimmer von Licht.
     Mìndete hier ein Schacht, vielleicht aus irgendeinem Keller herunter?
     Ich richtete mich  auf und tastete mit beiden H€nden  in  Kopfeshæhe um
mich herum: die ffnung war genau viereckig und ausgemauert.
     Allm€hlich  konnte  ich darin  als  Abschlu die schattenhaften Umrisse
eines  wagerechten Kreuzes unterscheiden,  und endlich  gelang es mir, seine
St€be zu erfassen, mich daran emporzuziehen und hindurchzuzw€ngen.
     Ich stand jetzt auf dem Kreuz und orientierte mich.
     Offenbar  endeten hier die  berbleibsel einer  eisernen  Wendeltreppe,
wenn mich das Gefìhl meiner Finger nicht t€uschte?
     Lang, unsagbar lang mute  ich tappen, bis ich die zweite Stufe  finden
konnte, dann klomm ich empor.
     Es waren im  ganzen acht Stufen.  Eine jede fast in  Mannshæhe ìber der
andern.
     Sonderbar: die Treppe stie oben gegen eine Art horizontalen  Get€fels,
das   aus   regelm€igen,   sich   schneidenden   Linien   den   Lichtschein
herabschimmern lie, den ich schon weiter unten im Gang bemerkt hatte!
     Ich duckte  mich, so tief ich konnte, um aus  etwas weiterer Entfernung
besser unterscheiden zu  kænnen, wie die Linien verliefen, und sah zu meinem
Erstaunen,  da  sie genau  die  Form  eines Sechsecks,  wie man  es auf den
Synagogen findet, bildeten.
     Was mochte das nur sein?
     Plætzlich kam  ich  dahinter: es war  eine  Falltìr, die  an den Kanten
Licht durchlie! Eine Falltìr aus Holz in Gestalt eines Sternes.
     Ich  stemmte  mich  mit  den Schultern gegen  die  Platte, drìckte  sie
aufw€rts  und  stand im  n€chsten Moment  in einem Gemach, das  von  grellem
Mondschein erfìllt war.
     Es war  ziemlich  klein, vollst€ndig leer bis auf einen Haufen Gerumpel
in der Ecke und hatte nur ein einziges, stark vergittertes Fenster.
     Eine Tìre oder sonst einen Zugang mit Ausnahme dessen, den  ich  soeben
benìtzt,  vermochte ich nicht zu entdecken,  so  genau  ich  auch die Mauern
immer wieder von neuem absuchte.
     Die Gitterst€be des Fensters standen zu eng, als da ich den Kopf h€tte
durchstecken kænnen, so viel aber sah ich:
     Das  Zimmer befand sich ungef€hr in  der Hæhe eines dritten Stockwerks,
denn  die  H€user gegenìber  hatten nur  zwei  Etagen und  lagen  wesentlich
tiefer.
     Das eine Ufer der  Strae unten war fìr  mich noch knapp sichtbar, aber
infolge des blendenden Mondlichts, das mir voll ins Gesicht schien, in tiefe
Schlagschatten  getaucht,  die  es mir  unmæglich  machten, Einzelheiten  zu
unterscheiden.
     Zum  Judenviertel mute  die Gasse unbedingt gehæren, denn  die Fenster
drìben waren s€mtlich vermauert oder aus Simsen im  Bau angedeutet, und  nur
im Getto kehren die H€user einander so seltsam den Rìcken.
     Vergebens qu€lte  ich  mich  ab  herauszubringen was das wohl  fìr  ein
sonderbares Bauwerk sein mochte, in dem ich mich befand.
     Sollte  es vielleicht ein aufgelassenes Seitentìrmchen der griechischen
Kirche sein? Oder gehærte es irgendwie zur Altneusynagoge?
     Die Umgebung stimmte nicht.
     Wieder  sah  ich  mich im Zimmer  um:  nichts,  was  mir  auch nur  den
kleinsten Aufschlu  gegeben  h€tte. - Die W€nde  und die  Decke waren kahl,
Bewurf und Kalk  l€ngst abgefallen und weder  Nagellæcher,  noch  N€gel, die
verraten h€tten, da der Raum einst bewohnt gewesen.
     Der Boden lag fuhoch bedeckt mit Staub, als h€tte ihn seit Jahrzehnten
kein lebendes Wesen betreten.
     Das  Gerìmpel in der Ecke zu  durchsuchen, ekelte ich mich. Es  lag  in
tiefer Finsternis, und ich konnte nicht unterscheiden, woraus es bestand.
     Dem €ueren Eindruck nach schienen es Lumpen zu einem Kn€uel geballt.
     Oder waren es ein paar alte, schwarze Handkoffer?
     Ich tastete mit dem Fu  hin, und es gelang mir,  mit  dem Absatz einen
Teil davon in die N€he des Lichtstreifens zu ziehen, den der Mond quer ìbers
Zimmer  warf.  Es schien wie ein breites, dunkles Band,  das sich da langsam
aufrollte.
     Ein blitzender Punkt wie ein Auge!
     Ein Metallknopf vielleicht?
     Allm€hlich wurde  mir klar:  ein rmel  von  sonderbarem,  altmodischem
Schnitt hing da aus dem Bìndel heraus.
     Und  eine  kleine  weie  Schachtel,  oder  dergleichen  lag  darunter,
lockerte  sich  unter  meinem  Fu  und  zerfiel  in  eine  Menge  fleckiger
Schichten.
     Ich gab ihr einen leichten Sto: Ein Blatt flog ins Helle.
     Ein Bild?
     Ich bìckte mich: ein Pagad!
     Was mir eine weie Schachtel geschienen, war ein Tarockspiel.
     Ich hob es auf.
     Konnte es etwas  L€cherlicheres geben: Ein Kartenspiel hier  an  diesem
gespenstischen Ort!
     Merkwìrdig, da ich mich zum  L€cheln zwingen mute. Ein leises  Gefìhl
von Grauen beschlich mich.
     Ich  suchte  nach  einer  banalen  Erkl€rung,  wie  die   Karten   wohl
hierhergekommen sein kænnten,  und z€hlte dabei mechanisch das Spiel. Es war
vollst€ndig:  78 Stìck. Aber  schon w€hrend des  Z€hlens fiel mir etwas auf:
Die Bl€tter waren wie aus Eis.
     Eine  l€hmende  K€lte  ging von  ihnen  aus,  und  wie  ich  das  Paket
geschlossen  in der  Hand hielt, konnte  ich  es  kaum  mehr  loslassen:  so
erstarrt  waren  meine  Finger.  Wieder  haschte  ich nach einer  nìchternen
Erkl€rung:
     Mein  dìnner  Anzug, die  lange Wanderung ohne  Mantel  und  Hut in den
unterirdischen   G€ngen,  die  grimmige  Winternacht,  die  Steinw€nde,  der
entsetzliche Frost,  der  mit  dem Mondlicht  durchs  Fenster hereinflo:  -
sonderbar genug, da ich  erst jetzt anfing zu frieren. Die Erregung, in der
ich mich die ganze Zeit befunden, mute  mich darìber hinwegget€uscht haben.
-
     Ein Schauer nach dem andern jagte mir ìber die Haut. Schicht um Schicht
drangen sie tiefer, immer tiefer in meinen Kærper ein.
     Ich fìhlte  mein Skelett zu  Eis werden und  wurde mir  jedes einzelnen
Knochens bewut wie kalter Metallstangen, an denen mir das Fleisch festfror.
     Kein  Umherlaufen  half, kein  Stampfen  mit den  Fìen und  nicht  das
Schlagen mit den Armen. Ich bi die Z€hne zusammen, um ihr Klappern nicht zu
hæren.
     Das  ist der  Tod,  sagte  ich mir,  der  dir  die kalten H€nde auf den
Scheitel legt.
     Und ich wehrte mich wie ein  Rasender gegen den  bet€ubenden Schlaf des
Erfrierens, der, wollig  und erstickend, mich wie mit einem Mantel einhìllen
kam.
     Die Briefe, in meiner  Kammer - ihre Briefe! brìllte es in mir auf: man
wird sie finden,  wenn ich  hier sterbe.  Und sie hofft  auf  mich! Hat ihre
Rettung in meine H€nde gelegt! - Hilfe! - Hilfe! Hilfe! -
     Und ich schrie durch das Fenstergitter hinunter auf die  æde Gasse, da
es widerhallte: Hilfe, Hilfe, Hilfe!
     Warf  mich zu Boden  und sprang wieder  auf. Ich durfte nicht  sterben,
durfte  nicht! ihretwegen,  nur ihretwegen! Und wenn ich  Funken aus  meinen
Knochen schlagen sollte, um mich zu erw€rmen.
     Da fiel mein Blick  auf die Lumpen in der Ecke, und  ich stìrzte darauf
zu und zog sie mit schlotternden H€nden ìber meine Kleider.
     Es  war  ein  zerschlissener  Anzug   aus  dickem,  dunklem  Tuch   von
uraltmodischem, seltsamem Schnitt.
     Ein Geruch nach Moder ging von ihm aus.
     Dann kauerte  ich mich  in dem  gegenìberliegenden Mauerwinkel zusammen
und spìrte meine  Haut langsam, langsam w€rmer  werden. Nur das schauerliche
Gefìhl des eigenen, eisigen Gerippes in mir wollte nicht weichen. Regungslos
sa ich  da und lie meine Augen wandern: die Karte, die ich zuerst gesehen,
- der Pagad, - lag noch immer inmitten des Zimmers in dem Lichtstreifen.
     Unverwandt mute ich sie anstarren.
     Sie schien, soweit ich  auf  die  Entfernung hin  erkennen  konnte,  in
Wasserfarben ungeschickt von Kinderhand gemalt, und  stellte den hebr€ischen
Buchstaben  Aleph  dar,  in Form eines  Mannes,  altfr€nkisch gekleidet, den
grauen  Spitzbart kurz geschnitten und den linken Arm  erhoben, w€hrend  der
andere abw€rts deutete.
     Hatte  das Gesicht  des  Mannes  nicht  eine  seltsame hnlichkeit  mit
meinem, d€mmerte mir ein Verdacht auf? - Der Bart - er pate so gar nicht zu
einem Pagad, - - ich kroch auf die Karte zu und warf sie  in die Ecke zu dem
Rest des Gerìmpels, um den qu€lenden Anblick los zu sein.
     Dort lag sie  jetzt und schimmerte - ein grauweier, unbestimmter Fleck
- zu mir herìber aus dem Dunkel.
     Mit Gewalt zwang ich mich zu ìberlegen, was  ich  zu beginnen h€tte, um
wieder in meine Wohnung zu kommen:
     Den Morgen abwarten! Unten die Vorìbergehenden vom Fenster aus anrufen,
damit  sie  mir  von  auen  mit  einer  Leiter  Kerzen  oder  eine  Laterne
heraufbr€chten!  -  Ohne  Licht  die endlosen, sich  ewig  kreuzenden  G€nge
zurìckzufinden,  wìrde  mir  nie  gelingen,  empfand  ich   als  beklemmende
Gewiheit. -  Oder, falls das Fenster zu hoch l€ge, da sich jemand vom Dach
mit einem Strick - -? Gott im Himmel, wie ein Blitzstrahl durchfuhr es mich:
jetzt  wute ich,  wo  ich  war:  Ein  Zimmer ohne Zugang  -  nur  mit einem
vergitterten  Fenster  - das  altertìmliche  Haus  in der Altschulgasse, das
jeder mied! - schon einmal vor vielen Jahren hatte sich ein Mensch an  einem
Strick vom Dach herabgelassen, um durchs Fenster  zu schauen, und der Strick
war gerissen und -  Ja: ich war in dem Haus, in  dem der gespenstische Golem
jedesmal verschwand!
     Ein  tiefes Grauen, gegen das ich mich vergeblich wehrte, das ich nicht
einmal mehr durch die Erinnerung an die Briefe niederk€mpfen konnte,  l€hmte
jedes Weiterdenken und mein Herz fing an, sich zu krampfen.
     Hastig sagte ich mir vor mit steifen  Lippen,  es sei nur der Wind, der
da  so  eisig  aus der Ecke  herìberwehte, sagte es mir vor,  schneller  und
schneller,  mit  pfeifendem  Atem -  es  half nicht  mehr:  dort drìben  der
weiliche  Fleck  - die Karte  - sie quoll auf zu blasigem Klumpen,  tastete
sich  hin  zum  Rande  des  Mondstreifens  und  kroch  wieder  zurìck in die
Finsternis.  -  Tropfende  Laute - halb gedacht, geahnt, halb  wirklich - im
Raum und doch auerhalb um mich herum und  doch anderswo, - tief im  eigenen
Herzen und  wieder mitten  im  Zimmer -  erwachten: Ger€usche, wie wenn  ein
Zirkel f€llt und mit der Spitze im Holz stecken bleibt!
     Immer wieder: Der weiliche Fleck -  - - der weiliche Fleck - -!  Eine
Karte,  eine erb€rmliche, dumme, alberne Spielkarte ist es,  schrie  ich mir
ins Hirn hinein  - - - umsonst  - - jetzt  hat  er  sich  dennoch  - dennoch
Gestalt erzwungen - der Pagad  - und hockt in der Ecke und stiert herìber zu
mir mit meinem eigenen Gesicht.
     Charousek  war  l€ngst  fort, aber  immer  noch  konnte  ich mich nicht
entschlieen, zu Bette  zu gehen. Eine  gewisse innere Unzufriedenheit nagte
an mir  und hielt mich davon ab. Irgend  etwas sollte  ich noch  tun, fìhlte
ich, aber was? was?
     Einen Plan fìr den Studenten entwerfen, was weiter zu geschehen h€tte?
     Das  allein konnte  es nicht sein. Charousek lie  den Trædler  sowieso
nicht aus den Augen,  darìber bestand kein Zweifel. Ich schauderte, wenn ich
an den Ha dachte, der aus seinen Worten geweht hatte.
     Was ihm Wassertrum wohl angetan haben mochte?
     Die  seltsame  innere Unruhe  in  mir  wuchs und brachte  mich fast zur
Verzweiflung. Ein Unsichtbares, Jenseitiges rief nach mir, und  ich verstand
nicht.
     Ich kam mir vor wie ein Gaul,  der dressiert wird,  das Reien am Zìgel
spìrt und  nicht wei, welches  Kunststìck er machen soll, den Willen seines
Herrn nicht erfat.
     Hinuntergehen zu Schemajah Hillel?
     Jede Faser in mir verneinte.
     Die Vision  des Mænchs  in der Domkirche, auf  dessen Schultern gestern
der  Kopf Charouseks aufgetaucht war als  Antwort auf eine  stumme  Bitte um
Rat, gab mir Fingerzeig genug, von nun an dumpfe Gefìhle nicht ohne weiteres
zu verachten. Geheime Kr€fte keimten in mir auf  seit geraumer Zeit, das war
gewi:  ich  empfand es zu ìberm€chtig,  als  da ich auch nur  den  Versuch
gemacht h€tte, es wegzuleugnen.
     Buchstaben zu empfinden, sie nicht  nur mit  den  Augen  in  Bìchern zu
lesen, - einen Dolmetsch in mir selbst aufzustellen, der mir  ìbersetzt, was
die  Instinkte ohne Worte raunen, darin mu der  Schlìssel liegen,  sich mit
dem eigenen Innern durch klare Sprache zu verst€ndigen, begriff ich.
     "Sie haben Augen und  sehen nicht; sie  haben  Ohren und  hæren nicht",
fiel mir eine Bibelstelle wie eine Erkl€rung dazu ein.
     "Schlìssel,   Schlìssel,  Schlìssel",  wiederholten  mechanisch   meine
Lippen, derweilen mir der Geist jene sonderbaren Ideen vorgaukelte, bemerkte
ich plætzlich.
     "Schlìssel, Schlìssel -  -?" Mein  Blick fiel  auf den krummen Draht in
meiner Hand, der  mir vorhin zum ffnen der Speichertìre gedient  hatte, und
eine heie Neugier, wohin wohl die viereckige Falltìr aus dem Atelier fìhren
kænnte, peitschte mich auf.
     Und ohne zu ìberlegen, ging  ich  nochmals  hinìber in Saviolis Atelier
und zog an dem  Griffring  der Falltìre, bis es  mir schlielich gelang, die
Platte zu heben.
     Zuerst nichts als Dunkelheit.
     Dann  sah   ich:  Schmale,  steile  Stufen  liefen   hinab  in  tiefste
Finsternis.
     Ich stieg hinunter.
     Eine Zeitlang tastete ich mich mit den  H€nden die Mauern entlang, aber
es wollte  kein  Ende nehmen:  Nischen, feucht  von  Schimmel  und Moder,  -
Windungen, Ecken und Winkel,  - G€nge geradeaus, nach links und nach rechts,
Reste einer  alten Holztìre,  Wegteilungen und  dann wieder Stufen,  Stufen,
Stufen hinauf und hinab.
     Matter, erstickender Geruch nach Schwamm und Erde ìberall.
     Und noch immer kein Lichtstrahl. -
     Wenn ich nur Hillels Kerze mitgenommen h€tte!
     Endlich flacher, ebener Weg.
     Aus dem Knirschen unter meinen  Fìen schlo ich, da ich auf trockenem
Sand dahinschritt.
     Es konnte  nur  einer  jener zahllosen  G€nge sein, die scheinbar  ohne
Zweck und Ziel unter dem Getto hinfìhren bis zum Flu.
     Ich  wunderte  mich   nicht:   die   halbe   Stadt   stand   doch  seit
unvordenklichen Zeiten auf solchen unterirdischen  L€uften, und die Bewohner
Prags hatten von jeher triftigen Grund, das Tageslicht zu scheuen.
     Das Fehlen jeglichen Ger€uschs  zu meinen  H€upten sagte mir,  da  ich
mich immer noch in der Gegend des Judenviertels, das nachts wie ausgestorben
ist, befinden mute, obwohl ich schon eine Ewigkeit gewandert war. Belebtere
Straen oder Pl€tze ìber mir h€tten sich durch fernes Wagenrasseln verraten.
     Eine  Sekunde lang wìrgte  mich die Furcht:  was,  wenn  ich im  Kreise
herumging!? In ein Loch  stìrzte,  mich verletzte, ein  Bein brach und nicht
mehr weiter gehen konnte?!
     Was  geschah  dann mit  ihren  Briefen in  meiner  Kammer?  Sie  muten
unfehlbar Wassertrum in die H€nde fallen.
     Der Gedanke  an Schemajah Hillel,  mit dem ich  vag  den Begriff  eines
Helfers und Fìhrers verknìpfte, beruhigte mich unwillkìrlich.
     Vorsichtshalber  ging  ich aber doch langsamer und tastenden  Schrittes
und hielt den Arm in die Hæhe, um nicht unversehens mit dem Kopf anzurennen,
falls der Gang niedriger wìrde.
     Von Zeit zu Zeit, dann immer  æfter stie ich oben mit der Hand an, und
endlich senkte sich das Gestein so tief herab, da ich mich bìcken mute, um
durchzukommen.
     Pætzlich fuhr ich mit dem erhobenen Arm in einen leeren Raum.
     Ich blieb stehen und starrte hinauf.
     Nach  und nach schien es mir, als falle von der Decke ein leiser,  kaum
merklicher Schimmer von Licht.
     Mìndete hier ein Schacht, vielleicht aus irgendeinem Keller herunter?
     Ich richtete mich  auf und tastete mit beiden H€nden  in  Kopfeshæhe um
mich herum: die ffnung war genau viereckig und ausgemauert.
     Allm€hlich  konnte  ich darin  als  Abschlu die schattenhaften Umrisse
eines  wagerechten Kreuzes unterscheiden,  und endlich  gelang es mir, seine
St€be zu erfassen, mich daran emporzuziehen und hindurchzuzw€ngen.
     Ich stand jetzt auf dem Kreuz und orientierte mich.
     Offenbar  endeten hier die  berbleibsel einer  eisernen  Wendeltreppe,
wenn mich das Gefìhl meiner Finger nicht t€uschte?
     Lang, unsagbar lang mute  ich tappen, bis ich die zweite Stufe  finden
konnte, dann klomm ich empor.
     Es waren im  ganzen acht Stufen.  Eine jede fast in  Mannshæhe ìber der
andern.
     Sonderbar: die Treppe stie oben gegen eine Art horizontalen  Get€fels,
das   aus   regelm€igen,   sich   schneidenden   Linien   den   Lichtschein
herabschimmern lie, den ich schon weiter unten im Gang bemerkt hatte!
     Ich duckte  mich, so tief ich konnte, um aus  etwas weiterer Entfernung
besser unterscheiden zu  kænnen, wie die Linien verliefen, und sah zu meinem
Erstaunen,  da  sie genau  die  Form  eines Sechsecks,  wie man  es auf den
Synagogen findet, bildeten.
     Was mochte das nur sein?
     Plætzlich kam  ich  dahinter: es war  eine  Falltìr, die  an den Kanten
Licht durchlie! Eine Falltìr aus Holz in Gestalt eines Sternes.
     Ich  stemmte  mich  mit  den Schultern gegen  die  Platte, drìckte  sie
aufw€rts  und  stand im  n€chsten Moment  in einem Gemach, das  von  grellem
Mondschein erfìllt war.
     Es war  ziemlich  klein, vollst€ndig leer bis auf einen Haufen Gerumpel
in der Ecke und hatte nur ein einziges, stark vergittertes Fenster.
     Eine Tìre oder sonst einen Zugang mit Ausnahme dessen, den  ich  soeben
benìtzt,  vermochte ich nicht zu entdecken,  so  genau  ich  auch die Mauern
immer wieder von neuem absuchte.
     Die Gitterst€be des Fensters standen zu eng, als da ich den Kopf h€tte
durchstecken kænnen, so viel aber sah ich:
     Das  Zimmer befand sich ungef€hr in  der Hæhe eines dritten Stockwerks,
denn  die  H€user gegenìber  hatten nur  zwei  Etagen und  lagen  wesentlich
tiefer.
     Das eine Ufer der  Strae unten war fìr  mich noch knapp sichtbar, aber
infolge des blendenden Mondlichts, das mir voll ins Gesicht schien, in tiefe
Schlagschatten  getaucht,  die  es mir  unmæglich  machten, Einzelheiten  zu
unterscheiden.
     Zum  Judenviertel mute  die Gasse unbedingt gehæren, denn  die Fenster
drìben waren s€mtlich vermauert oder aus Simsen im  Bau angedeutet, und  nur
im Getto kehren die H€user einander so seltsam den Rìcken.
     Vergebens qu€lte  ich  mich  ab  herauszubringen was das wohl  fìr  ein
sonderbares Bauwerk sein mochte, in dem ich mich befand.
     Sollte  es vielleicht ein aufgelassenes Seitentìrmchen der griechischen
Kirche sein? Oder gehærte es irgendwie zur Altneusynagoge?
     Die Umgebung stimmte nicht.
     Wieder  sah  ich  mich im Zimmer  um:  nichts,  was  mir  auch nur  den
kleinsten Aufschlu  gegeben  h€tte. - Die W€nde  und die  Decke waren kahl,
Bewurf und Kalk  l€ngst abgefallen und weder  Nagellæcher,  noch  N€gel, die
verraten h€tten, da der Raum einst bewohnt gewesen.
     Der Boden lag fuhoch bedeckt mit Staub, als h€tte ihn seit Jahrzehnten
kein lebendes Wesen betreten.
     Das  Gerìmpel in der Ecke zu  durchsuchen, ekelte ich mich. Es  lag  in
tiefer Finsternis, und ich konnte nicht unterscheiden, woraus es bestand.
     Dem €ueren Eindruck nach schienen es Lumpen zu einem Kn€uel geballt.
     Oder waren es ein paar alte, schwarze Handkoffer?
     Ich tastete mit dem Fu  hin, und es gelang mir,  mit  dem Absatz einen
Teil davon in die N€he des Lichtstreifens zu ziehen, den der Mond quer ìbers
Zimmer  warf.  Es schien wie ein breites, dunkles Band,  das sich da langsam
aufrollte.
     Ein blitzender Punkt wie ein Auge!
     Ein Metallknopf vielleicht?
     Allm€hlich wurde  mir klar:  ein rmel  von  sonderbarem,  altmodischem
Schnitt hing da aus dem Bìndel heraus.
     Und  eine  kleine  weie  Schachtel,  oder  dergleichen  lag  darunter,
lockerte  sich  unter  meinem  Fu  und  zerfiel  in  eine  Menge  fleckiger
Schichten.
     Ich gab ihr einen leichten Sto: Ein Blatt flog ins Helle.
     Ein Bild?
     Ich bìckte mich: ein Pagad!
     Was mir eine weie Schachtel geschienen, war ein Tarockspiel.
     Ich hob es auf.
     Konnte es etwas  L€cherlicheres geben: Ein Kartenspiel hier  an  diesem
gespenstischen Ort!
     Merkwìrdig, da ich mich zum  L€cheln zwingen mute. Ein leises  Gefìhl
von Grauen beschlich mich.
     Ich  suchte  nach  einer  banalen  Erkl€rung,  wie  die   Karten   wohl
hierhergekommen sein kænnten,  und z€hlte dabei mechanisch das Spiel. Es war
vollst€ndig:  78 Stìck. Aber  schon w€hrend des  Z€hlens fiel mir etwas auf:
Die Bl€tter waren wie aus Eis.
     Eine  l€hmende  K€lte  ging von  ihnen  aus,  und  wie  ich  das  Paket
geschlossen  in der  Hand hielt, konnte  ich  es  kaum  mehr  loslassen:  so
erstarrt  waren  meine  Finger.  Wieder  haschte  ich nach einer  nìchternen
Erkl€rung:
     Mein  dìnner  Anzug, die  lange Wanderung ohne  Mantel  und  Hut in den
unterirdischen   G€ngen,  die  grimmige  Winternacht,  die  Steinw€nde,  der
entsetzliche Frost,  der  mit  dem Mondlicht  durchs  Fenster hereinflo:  -
sonderbar genug, da ich  erst jetzt anfing zu frieren. Die Erregung, in der
ich mich die ganze Zeit befunden, mute  mich darìber hinwegget€uscht haben.
-
     Ein Schauer nach dem andern jagte mir ìber die Haut. Schicht um Schicht
drangen sie tiefer, immer tiefer in meinen Kærper ein.
     Ich fìhlte  mein Skelett zu  Eis werden und  wurde mir  jedes einzelnen
Knochens bewut wie kalter Metallstangen, an denen mir das Fleisch festfror.
     Kein  Umherlaufen  half, kein  Stampfen  mit den  Fìen und  nicht  das
Schlagen mit den Armen. Ich bi die Z€hne zusammen, um ihr Klappern nicht zu
hæren.
     Das  ist der  Tod,  sagte  ich mir,  der  dir  die kalten H€nde auf den
Scheitel legt.
     Und ich wehrte mich wie ein  Rasender gegen den  bet€ubenden Schlaf des
Erfrierens, der, wollig  und erstickend, mich wie mit einem Mantel einhìllen
kam.
     Die Briefe, in meiner  Kammer - ihre Briefe! brìllte es in mir auf: man
wird sie finden,  wenn ich  hier sterbe.  Und sie hofft  auf  mich! Hat ihre
Rettung in meine H€nde gelegt! - Hilfe! - Hilfe! Hilfe! -
     Und ich schrie durch das Fenstergitter hinunter auf die  æde Gasse, da
es widerhallte: Hilfe, Hilfe, Hilfe!
     Warf  mich zu Boden  und sprang wieder  auf. Ich durfte nicht  sterben,
durfte  nicht! ihretwegen,  nur ihretwegen! Und wenn ich  Funken aus  meinen
Knochen schlagen sollte, um mich zu erw€rmen.
     Da fiel mein Blick  auf die Lumpen in der Ecke, und  ich stìrzte darauf
zu und zog sie mit schlotternden H€nden ìber meine Kleider.
     Es  war  ein  zerschlissener  Anzug   aus  dickem,  dunklem  Tuch   von
uraltmodischem, seltsamem Schnitt.
     Ein Geruch nach Moder ging von ihm aus.
     Dann kauerte  ich mich  in dem  gegenìberliegenden Mauerwinkel zusammen
und spìrte meine  Haut langsam, langsam w€rmer  werden. Nur das schauerliche
Gefìhl des eigenen, eisigen Gerippes in mir wollte nicht weichen. Regungslos
sa ich  da und lie meine Augen wandern: die Karte, die ich zuerst gesehen,
- der Pagad, - lag noch immer inmitten des Zimmers in dem Lichtstreifen.
     Unverwandt mute ich sie anstarren.
     Sie schien, soweit ich  auf  die  Entfernung hin  erkennen  konnte,  in
Wasserfarben ungeschickt von Kinderhand gemalt, und  stellte den hebr€ischen
Buchstaben  Aleph  dar,  in Form eines  Mannes,  altfr€nkisch gekleidet, den
grauen  Spitzbart kurz geschnitten und den linken Arm  erhoben, w€hrend  der
andere abw€rts deutete.
     Hatte  das Gesicht  des  Mannes  nicht  eine  seltsame hnlichkeit  mit
meinem, d€mmerte mir ein Verdacht auf? - Der Bart - er pate so gar nicht zu
einem Pagad, - - ich kroch auf die Karte zu und warf sie  in die Ecke zu dem
Rest des Gerìmpels, um den qu€lenden Anblick los zu sein.
     Dort lag sie  jetzt und schimmerte - ein grauweier, unbestimmter Fleck
- zu mir herìber aus dem Dunkel.
     Mit Gewalt zwang ich mich zu ìberlegen, was  ich  zu beginnen h€tte, um
wieder in meine Wohnung zu kommen:
     Den Morgen abwarten! Unten die Vorìbergehenden vom Fenster aus anrufen,
damit  sie  mir  von  auen  mit  einer  Leiter  Kerzen  oder  eine  Laterne
heraufbr€chten!  -  Ohne  Licht  die endlosen, sich  ewig  kreuzenden  G€nge
zurìckzufinden,  wìrde  mir  nie  gelingen,  empfand  ich   als  beklemmende
Gewiheit. -  Oder, falls das Fenster zu hoch l€ge, da sich jemand vom Dach
mit einem Strick - -? Gott im Himmel, wie ein Blitzstrahl durchfuhr es mich:
jetzt  wute ich,  wo  ich  war:  Ein  Zimmer ohne Zugang  -  nur  mit einem
vergitterten  Fenster  - das  altertìmliche  Haus  in der Altschulgasse, das
jeder mied! - schon einmal vor vielen Jahren hatte sich ein Mensch an  einem
Strick vom Dach herabgelassen, um durchs Fenster  zu schauen, und der Strick
war gerissen und -  Ja: ich war in dem Haus, in  dem der gespenstische Golem
jedesmal verschwand!
     Ein  tiefes Grauen, gegen das ich mich vergeblich wehrte, das ich nicht
einmal mehr durch die Erinnerung an die Briefe niederk€mpfen konnte,  l€hmte
jedes Weiterdenken und mein Herz fing an, sich zu krampfen.
     Hastig sagte ich mir vor mit steifen  Lippen,  es sei nur der Wind, der
da  so  eisig  aus der Ecke  herìberwehte, sagte es mir vor,  schneller  und
schneller,  mit  pfeifendem  Atem -  es  half nicht  mehr:  dort drìben  der
weiliche  Fleck  - die Karte  - sie quoll auf zu blasigem Klumpen,  tastete
sich  hin  zum  Rande  des  Mondstreifens  und  kroch  wieder  zurìck in die
Finsternis.  -  Tropfende  Laute - halb gedacht, geahnt, halb  wirklich - im
Raum und doch auerhalb um mich herum und  doch anderswo, - tief im  eigenen
Herzen und  wieder mitten  im  Zimmer -  erwachten: Ger€usche, wie wenn  ein
Zirkel f€llt und mit der Spitze im Holz stecken bleibt!
     Immer wieder: Der weiliche Fleck -  - - der weiliche Fleck - -!  Eine
Karte,  eine erb€rmliche, dumme, alberne Spielkarte ist es,  schrie  ich mir
ins Hirn hinein  - - - umsonst  - - jetzt  hat  er  sich  dennoch  - dennoch
Gestalt erzwungen - der Pagad  - und hockt in der Ecke und stiert herìber zu
mir mit meinem eigenen Gesicht.
      Stunden und Stunden  kauerte ich da -  unbeweglich - in  meinem Winkel,
ein frosterstarrtes Gerippe in fremden, modrigen Kleidern! -  Und er drìben:
ich selbst.
     Stumm und regungslos.
     So starrten wir uns in die Augen, - einer das gr€liche Spiegelbild des
andern. - - -
     Ob  er es auch  sieht,  wie sich  die  Mondstrahlen mit schneckenhafter
Tr€gheit ìber den Boden hinsaugen und wie Zeiger eines unsichtbaren Uhrwerks
in der Unendlichkeit die Wand emporkriechen und fahler und fahler werden? -
     Ich bannte ihn  fest  mit meinem  Blick und es half ihm  nichts, da er
sich auflæsen wollte  in dem  Morgend€mmerschein, der ihm vom Fenster her zu
Hilfe kam.
     Ich hielt ihn fest.
     Schritt vor Schritt habe ich mit ihm gerungen  um mein Leben -  um  das
Leben, das mein ist, weil es nicht mehr mir gehært. - -
     Und wie er kleiner und kleiner wurde und sich bei Tagesgrauen wieder in
sein Kartenblatt verkroch, da stand ich auf, ging hinìber zu ihm und steckte
ihn in die Tasche - den Pagad.
     Stunden und Stunden  kauerte ich da -  unbeweglich - in  meinem Winkel,
ein frosterstarrtes Gerippe in fremden, modrigen Kleidern! -  Und er drìben:
ich selbst.
     Stumm und regungslos.
     So starrten wir uns in die Augen, - einer das gr€liche Spiegelbild des
andern. - - -
     Ob  er es auch  sieht,  wie sich  die  Mondstrahlen mit schneckenhafter
Tr€gheit ìber den Boden hinsaugen und wie Zeiger eines unsichtbaren Uhrwerks
in der Unendlichkeit die Wand emporkriechen und fahler und fahler werden? -
     Ich bannte ihn  fest  mit meinem  Blick und es half ihm  nichts, da er
sich auflæsen wollte  in dem  Morgend€mmerschein, der ihm vom Fenster her zu
Hilfe kam.
     Ich hielt ihn fest.
     Schritt vor Schritt habe ich mit ihm gerungen  um mein Leben -  um  das
Leben, das mein ist, weil es nicht mehr mir gehært. - -
     Und wie er kleiner und kleiner wurde und sich bei Tagesgrauen wieder in
sein Kartenblatt verkroch, da stand ich auf, ging hinìber zu ihm und steckte
ihn in die Tasche - den Pagad.
      Immer noch war die Gasse unten æd und menschenleer.
     Ich  durchstæberte die Zimmerecke, die jetzt  im stumpfen  Morgenlichte
lag: Scherben, dort eine rostige Pfanne,  morsche Fetzen,  ein Flaschenhals.
Tote Dinge und doch so merkwìrdig bekannt.
     Und auch die Mauern - wie die Risse und Sprìnge dann deutlich wurden! -
wo hatte ich sie nur gesehen?
     Ich nahm das Kartenp€ckchen zur  Hand - es d€mmerte mir auf: hatte  ich
die nicht einst selbst bemalt? Als Kind? Vor langer, langer Zeit?
     Es  war ein uraltes Tarockspiel.  Mit hebr€ischen Zeichen. - Nummer  12
mu der "Gehenkte" sein, ìberkam's mich wie halbe Erinnerung. - Mit dem Kopf
abw€rts? Die Arme auf dem Rìcken? - Ich bl€tterte nach: Da! Da war er.
     Dann wieder, halb Traum, halb Gewiheit,  tauchte ein Bild vor mir auf:
Ein geschw€rztes Schulhaus, bucklig, schief,  ein  mìrrisches  Hexengeb€ude,
die linke Schulter hochgezogen, die andere mit einem Nebenhaus verwachsen. -
-  -  Wir sind  mehrere  halbwìchsige Jungen  -  ein verlassener Keller  ist
irgendwo - - -
     Dann  sah ich  an meinem  Kærper  herab  und  wurde  wieder  irre:  Der
altmodische Anzug war mir vællig fremd.
     Der  L€rm  eines holpernden Karrens schreckte  mich auf,  doch  als ich
hinabblickte: Keine  Menschenseele. Nur ein Fleischerhund stand versonnen an
einem Eckstein.
     Da! Endlich! Stimmen! menschliche Stimmen!
     Zwei  alte Weiber  kamen  langsam  die  Strae dahergetrottet,  und ich
zw€ngte den Kopf halb durch das Gitter und rief sie an.
     Mit offenem Mund glotzten sie in  die Hæhe und berieten  sich. Aber als
sie mich sahen, stieen sie ein gellendes Geschrei aus und liefen davon.
     Sie haben mich fìr den Golem gehalten, begriff ich.
     Und ich erwartete, da ein Zusammenlauf  von  Menschen entstehen wìrde,
denen  ich mich verst€ndlich machen  kænnte, aber wohl  eine Stunde verging,
und nur  hie  und da sp€hte unten  vorsichtig ein blasses  Gesicht herauf zu
mir, um sofort in Todesschreck wieder zurìckzufahren.
     Sollte  ich  warten, bis vielleicht nach  Stunden oder gar  erst morgen
Polizisten kamen - die Staatsfalotten, wie Zwakh sie zu nennen pflegte?
     Nein, lieber wollte ich  einen Versuch machen, die unterirdischen G€nge
ein Stìck weit auf ihre Richtung hin zu untersuchen.
     Vielleicht fiel  jetzt bei  Tag durch Ritzen  im Gestein eine Spur  von
Licht hinab?
     Ich kletterte die Leiter  hinunter,  setzte  den Weg, den  ich  gestern
gekommen war, fort - ìber  ganze Halden zerbrochener  Ziegelsteine und durch
versunkene Keller  - erklomm eine  Treppenruine und stand plætzlich -  -  im
Hausflur des schwarzen Schulhauses, das ich vorhin wie im Traum gesehen.
     Sofort stìrzte  eine  Flutwelle  von Erinnerungen  auf mich ein: B€nke,
bespritzt mit Tinte von oben  bis unten, Rechenhefte, pl€rrender Gesang, ein
Junge, der Maik€fer  in  der  Klasse losl€t, Lesebìcher  mit  zerquetschten
Butterbroten darin und der  Geruch  nach Orangenschalen. Jetzt wute ich mit
Gewiheit: Ich war einst  als  Knabe hier gewesen. - Aber ich lie mir keine
Zeit nachzudenken und eilte heim.
     Der  erste Mensch,  der  mir in der  Salnitergasse  begegnete, war  ein
verwachsener alter  Jude  mit weien  Schl€fenlocken.  Kaum  hatte  er  mich
erblickt, bedeckte er sein Gesicht mit den H€nden und heulte laut hebr€ische
Gebete herunter.
     Auf  den L€rm  hin muten wahrscheinlich  viele Leute  aus ihren Hæhlen
gestìrzt  sein,  denn es brach ein unbeschreibliches Gezeter hinter mir los.
Ich   drehte   mich   um   und   sah   ein   wimmelndes  Heer  totenblasser,
entsetzenverzerrter Gesichter sich mir nachw€lzen.
     Erstaunt  blickte  ich  an mir  herunter und verstand: -  ich trug noch
immer  die  seltsam  mittelalterlichen Kleider  von nachts  her ìber  meinem
Anzug, und die Leute glaubten, den "Golem" vor sich zu haben.
     Rasch lief ich um die Ecke hinter ein Haustor und ri mir  die modrigen
Fetzen vom Leibe.
     Gleich darauf  raste die Menge mit geschwungenen Stæcken und geifernden
M€ulern schreiend an mir vorìber.
        Licht
     Einigemal im Lauf des  Tages hatte ich  an  Hillels Tìre geklopft; - es
lie mir keine  Ruhe:  ich mute  ihn sprechen  und  fragen, was alle  diese
seltsamen Erlebnisse bedeuteten; aber immer hie es,  er sei  noch nicht  zu
Hause.
     Sowie  er  heimk€me  vom  jìdischen  Rathaus, wollte mich seine Tochter
sofort verst€ndigen. -
     Ein sonderbares M€dchen ìbrigens, diese Mirjam!
     Ein Typus, wie ich ihn noch nie gesehen.
     Eine Schænheit, so fremdartig,  da man sie im ersten Moment  gar nicht
fassen kann, - eine  Schænheit, die einen stumm macht, wenn man sie ansieht,
und  ein unerkl€rliches  Gefìhl,  so etwas, wie leise Mutlosigkeit  in einem
erweckt.
     Nach Proportionsgesetzen, die seit Jahrtausenden  verlorengegangen sein
mìssen, ist dieses Gesicht geformt, grìbelte ich mir zurecht, wie ich  es so
im Geiste wieder vor mir sah.
     Und ich dachte  nach, welchen Edelstein  ich  w€hlen  mìte,  um es als
Gemme festzuhalten und dabei den kìnstlerischen Ausdruck richtig  zu wahren:
Schon  an dem rein  uerlichen; dem blauschwarzen Glanz des Haares und  der
Augen,  der alles ìbertraf, worauf ich auch riet, scheiterte  es. - Wie erst
die unirdische Schmalheit des Gesichtes sinn- und visionsgem€ in eine Kamee
bannen,  ohne sich in die stumpfsinnige hnlichkeitsmacherei der kanonischen
"Kunst"richtung festzurennen!
     Nur durch ein  Mosaik lie es  sich  læsen, erkannte ich klar, aber was
fìr Material w€hlen? Ein  Menschenleben gehærte  dazu, das passende zusammen
zu finden. - -
     Wo nur Hillel blieb!
     Ich sehnte mich nach ihm wie nach einem lieben, alten Freunde.
     Merkwìrdig, wie er mir  in den wenigen Tagen  - und ich hatte ihn doch,
genaugenommen, nur  ein  einziges  Mal  im  Leben  gesprochen,  -  ins  Herz
gewachsen war.
     Ja,  richtig:  die  Briefe  - ihre  Briefe  - wollte  ich  doch  besser
verstecken.  Zu  meiner Beruhigung, falls ich wieder  einmal  l€nger von  zu
Hause fort sein sollte.
     Ich nahm  sie  aus  der Truhe: - in  der  Kassette wìrden  sie sicherer
aufbewahrt sein.
     Eine Photographie  glitt zwischen den Briefen heraus. Ich wollte  nicht
hinschauen, aber es war zu sp€t.
     Den Brokatstoff um die bloen  Schultern gelegt - so wie ich  sie das
erste  Mal gesehen, als sie in mein Zimmer flìchtete aus Saviolis Atelier  -
blickte sie mir in die Augen.
     Ein wahnsinniger  Schmerz bohrte sich in mich ein.  Ich las die Widmung
unter dem Bilde, ohne die Worte zu erfassen, und den Namen:
     Deine Angelina.
     Immer noch war die Gasse unten æd und menschenleer.
     Ich  durchstæberte die Zimmerecke, die jetzt  im stumpfen  Morgenlichte
lag: Scherben, dort eine rostige Pfanne,  morsche Fetzen,  ein Flaschenhals.
Tote Dinge und doch so merkwìrdig bekannt.
     Und auch die Mauern - wie die Risse und Sprìnge dann deutlich wurden! -
wo hatte ich sie nur gesehen?
     Ich nahm das Kartenp€ckchen zur  Hand - es d€mmerte mir auf: hatte  ich
die nicht einst selbst bemalt? Als Kind? Vor langer, langer Zeit?
     Es  war ein uraltes Tarockspiel.  Mit hebr€ischen Zeichen. - Nummer  12
mu der "Gehenkte" sein, ìberkam's mich wie halbe Erinnerung. - Mit dem Kopf
abw€rts? Die Arme auf dem Rìcken? - Ich bl€tterte nach: Da! Da war er.
     Dann wieder, halb Traum, halb Gewiheit,  tauchte ein Bild vor mir auf:
Ein geschw€rztes Schulhaus, bucklig, schief,  ein  mìrrisches  Hexengeb€ude,
die linke Schulter hochgezogen, die andere mit einem Nebenhaus verwachsen. -
-  -  Wir sind  mehrere  halbwìchsige Jungen  -  ein verlassener Keller  ist
irgendwo - - -
     Dann  sah ich  an meinem  Kærper  herab  und  wurde  wieder  irre:  Der
altmodische Anzug war mir vællig fremd.
     Der  L€rm  eines holpernden Karrens schreckte  mich auf,  doch  als ich
hinabblickte: Keine  Menschenseele. Nur ein Fleischerhund stand versonnen an
einem Eckstein.
     Da! Endlich! Stimmen! menschliche Stimmen!
     Zwei  alte Weiber  kamen  langsam  die  Strae dahergetrottet,  und ich
zw€ngte den Kopf halb durch das Gitter und rief sie an.
     Mit offenem Mund glotzten sie in  die Hæhe und berieten  sich. Aber als
sie mich sahen, stieen sie ein gellendes Geschrei aus und liefen davon.
     Sie haben mich fìr den Golem gehalten, begriff ich.
     Und ich erwartete, da ein Zusammenlauf  von  Menschen entstehen wìrde,
denen  ich mich verst€ndlich machen  kænnte, aber wohl  eine Stunde verging,
und nur  hie  und da sp€hte unten  vorsichtig ein blasses  Gesicht herauf zu
mir, um sofort in Todesschreck wieder zurìckzufahren.
     Sollte  ich  warten, bis vielleicht nach  Stunden oder gar  erst morgen
Polizisten kamen - die Staatsfalotten, wie Zwakh sie zu nennen pflegte?
     Nein, lieber wollte ich  einen Versuch machen, die unterirdischen G€nge
ein Stìck weit auf ihre Richtung hin zu untersuchen.
     Vielleicht fiel  jetzt bei  Tag durch Ritzen  im Gestein eine Spur  von
Licht hinab?
     Ich kletterte die Leiter  hinunter,  setzte  den Weg, den  ich  gestern
gekommen war, fort - ìber  ganze Halden zerbrochener  Ziegelsteine und durch
versunkene Keller  - erklomm eine  Treppenruine und stand plætzlich -  -  im
Hausflur des schwarzen Schulhauses, das ich vorhin wie im Traum gesehen.
     Sofort stìrzte  eine  Flutwelle  von Erinnerungen  auf mich ein: B€nke,
bespritzt mit Tinte von oben  bis unten, Rechenhefte, pl€rrender Gesang, ein
Junge, der Maik€fer  in  der  Klasse losl€t, Lesebìcher  mit  zerquetschten
Butterbroten darin und der  Geruch  nach Orangenschalen. Jetzt wute ich mit
Gewiheit: Ich war einst  als  Knabe hier gewesen. - Aber ich lie mir keine
Zeit nachzudenken und eilte heim.
     Der  erste Mensch,  der  mir in der  Salnitergasse  begegnete, war  ein
verwachsener alter  Jude  mit weien  Schl€fenlocken.  Kaum  hatte  er  mich
erblickt, bedeckte er sein Gesicht mit den H€nden und heulte laut hebr€ische
Gebete herunter.
     Auf  den L€rm  hin muten wahrscheinlich  viele Leute  aus ihren Hæhlen
gestìrzt  sein,  denn es brach ein unbeschreibliches Gezeter hinter mir los.
Ich   drehte   mich   um   und   sah   ein   wimmelndes  Heer  totenblasser,
entsetzenverzerrter Gesichter sich mir nachw€lzen.
     Erstaunt  blickte  ich  an mir  herunter und verstand: -  ich trug noch
immer  die  seltsam  mittelalterlichen Kleider  von nachts  her ìber  meinem
Anzug, und die Leute glaubten, den "Golem" vor sich zu haben.
     Rasch lief ich um die Ecke hinter ein Haustor und ri mir  die modrigen
Fetzen vom Leibe.
     Gleich darauf  raste die Menge mit geschwungenen Stæcken und geifernden
M€ulern schreiend an mir vorìber.
        Licht
     Einigemal im Lauf des  Tages hatte ich  an  Hillels Tìre geklopft; - es
lie mir keine  Ruhe:  ich mute  ihn sprechen  und  fragen, was alle  diese
seltsamen Erlebnisse bedeuteten; aber immer hie es,  er sei  noch nicht  zu
Hause.
     Sowie  er  heimk€me  vom  jìdischen  Rathaus, wollte mich seine Tochter
sofort verst€ndigen. -
     Ein sonderbares M€dchen ìbrigens, diese Mirjam!
     Ein Typus, wie ich ihn noch nie gesehen.
     Eine Schænheit, so fremdartig,  da man sie im ersten Moment  gar nicht
fassen kann, - eine  Schænheit, die einen stumm macht, wenn man sie ansieht,
und  ein unerkl€rliches  Gefìhl,  so etwas, wie leise Mutlosigkeit  in einem
erweckt.
     Nach Proportionsgesetzen, die seit Jahrtausenden  verlorengegangen sein
mìssen, ist dieses Gesicht geformt, grìbelte ich mir zurecht, wie ich  es so
im Geiste wieder vor mir sah.
     Und ich dachte  nach, welchen Edelstein  ich  w€hlen  mìte,  um es als
Gemme festzuhalten und dabei den kìnstlerischen Ausdruck richtig  zu wahren:
Schon  an dem rein  uerlichen; dem blauschwarzen Glanz des Haares und  der
Augen,  der alles ìbertraf, worauf ich auch riet, scheiterte  es. - Wie erst
die unirdische Schmalheit des Gesichtes sinn- und visionsgem€ in eine Kamee
bannen,  ohne sich in die stumpfsinnige hnlichkeitsmacherei der kanonischen
"Kunst"richtung festzurennen!
     Nur durch ein  Mosaik lie es  sich  læsen, erkannte ich klar, aber was
fìr Material w€hlen? Ein  Menschenleben gehærte  dazu, das passende zusammen
zu finden. - -
     Wo nur Hillel blieb!
     Ich sehnte mich nach ihm wie nach einem lieben, alten Freunde.
     Merkwìrdig, wie er mir  in den wenigen Tagen  - und ich hatte ihn doch,
genaugenommen, nur  ein  einziges  Mal  im  Leben  gesprochen,  -  ins  Herz
gewachsen war.
     Ja,  richtig:  die  Briefe  - ihre  Briefe  - wollte  ich  doch  besser
verstecken.  Zu  meiner Beruhigung, falls ich wieder  einmal  l€nger von  zu
Hause fort sein sollte.
     Ich nahm  sie  aus  der Truhe: - in  der  Kassette wìrden  sie sicherer
aufbewahrt sein.
     Eine Photographie  glitt zwischen den Briefen heraus. Ich wollte  nicht
hinschauen, aber es war zu sp€t.
     Den Brokatstoff um die bloen  Schultern gelegt - so wie ich  sie das
erste  Mal gesehen, als sie in mein Zimmer flìchtete aus Saviolis Atelier  -
blickte sie mir in die Augen.
     Ein wahnsinniger  Schmerz bohrte sich in mich ein.  Ich las die Widmung
unter dem Bilde, ohne die Worte zu erfassen, und den Namen:
     Deine Angelina.
      Angelina!!!
     Wie ich den Namen aussprach, zerri der Vorhang, der meine  Jugendjahre
vor mir verbarg, von oben bis unten.
     Vor  Jammer  glaubte  ich  zusammenbrechen zu mìssen.  Ich krallte  die
Finger in die Luft und winselte, - bi  mich  in die Hand: -  -  nur  wieder
blind sein, Gott  im Himmel, - den Scheintot weiterleben, wie bisher, flehte
ich.
     Das Weh stieg mir in den Mund. - Quoll. -  Schmeckte seltsam sì, - wie
Blut. - -
     Angelina!!
     Angelina!!!
     Wie ich den Namen aussprach, zerri der Vorhang, der meine  Jugendjahre
vor mir verbarg, von oben bis unten.
     Vor  Jammer  glaubte  ich  zusammenbrechen zu mìssen.  Ich krallte  die
Finger in die Luft und winselte, - bi  mich  in die Hand: -  -  nur  wieder
blind sein, Gott  im Himmel, - den Scheintot weiterleben, wie bisher, flehte
ich.
     Das Weh stieg mir in den Mund. - Quoll. -  Schmeckte seltsam sì, - wie
Blut. - -
     Angelina!!
      Der  Name kreiste  in  meinen  Adern  und  wurde  -  zu  unertr€glicher
gespenstischer Liebkosung.
     Mit  einem gewaltsamen Ruck ri ich mich zusammen und zwang  mich - mit
knirschenden Z€hnen  -  das  Bild anzustarren, bis  ich langsam Herr darìber
wurde!
     Herr darìber!
     Wie heute nacht ìber das Kartenblatt.
     Der  Name kreiste  in  meinen  Adern  und  wurde  -  zu  unertr€glicher
gespenstischer Liebkosung.
     Mit  einem gewaltsamen Ruck ri ich mich zusammen und zwang  mich - mit
knirschenden Z€hnen  -  das  Bild anzustarren, bis  ich langsam Herr darìber
wurde!
     Herr darìber!
     Wie heute nacht ìber das Kartenblatt.
      Endlich: Schritte! M€nnertritte.
     Er kam!
     Voll Jubel eilte ich zur Tìr und ri sie auf.
     Schemajah Hillel stand Strauen und hinter ihm  - ich machte mir  leise
Vorwìrfe, da  ich  es  als  Entt€uschung empfand  - mit roten B€ckchen  und
runden Kinderaugen: der alte Zwakh.
     "Wie ich  zu meiner Freude sehe, sind  Sie  wohlauf,  Meister Pernath",
fing Hillel an.
     Ein kaltes "Sie"?
     Frost. Schneidender, ertætender Frost lag plætzlich im Zimmer.
     Bet€ubt,  mit halbem  Ohr,  hærte  ich  hin,  was  Zwakh,  atemlos  vor
Aufregung, auf mich losplapperte:
     "Wissen Sie schon,  der Golem geht wieder um? Neulich erst sprachen wir
davon, wissen  Sie noch, Pernath? Die ganze Judenstadt ist  auf. Vrieslander
hat ihn selbst gesehen,  den Golem. Und wieder hat es, wie immer, mit  einem
Mord begonnen" - Ich horchte erstaunt auf: Ein Mord?
     Zwakh  schìttelte mich: "Ja, wissen Sie denn von  gar  nichts, Pernath?
Unten  h€ngt doch  grom€chtig ein  Polizeiaufruf  an  den Ecken: den dicken
Zottmann,    den    Freimaurer    -    na,     ich    meine    doch    den
Lebensversicherungsdirektor Zottmann, - soll man ermordet haben. Der Loisa -
hier  im  Haus  -  ist  bereits  verhaftet. Und  die  rote  Rosina:  spurlos
verschwunden. - Der Golem - der Golem - es ist ja haarstr€ubend."
     Ich gab  keine Antwort und suchte in Hillels  Augen:  warum  blickte er
mich so unverwandt an?
     Ein verhaltenes L€cheln zuckte plætzlich um seine Mundwinkel.
     Ich verstand. Es galt mir.
     Am liebsten w€re ich ihm um den Hals gefallen vor jauchzender Freude.
     Auer mir in meinem Entzìcken, lief  ich planlos  im Zimmer  umher. Was
zuerst bringen? Gl€ser? Eine Flasche Burgunder?  (Ich hatte  doch nur eine.)
Zigarren? - Endlich fand ich Worte: "Aber warum setzt ihr euch denn nicht?!"
- Rasch schob ich meinen beiden Freunden Sessel unter. - - -
     Zwakh fing an,  sich zu €rgern: "Warum  l€cheln Sie denn  immerw€hrend,
Hillel? Glauben Sie vielleicht nicht, da der Golem spukt? Mir scheint.  Sie
glauben ìberhaupt nicht an den Golem?"
     "Ich wìrde nicht an ihn glauben, selbst wenn ich ihn hier im Zimmer vor
mir  s€he",  antwortete  Hillel  gelassen  mit einem Blick auf  mich. -  Ich
verstand den Doppelsinn, der aus seinen Worten klang.
     Zwakh  hielt erstaunt im Trinken inne: "Das Zeugnis von  Hunderten  von
Menschen gilt  Ihnen nichts, Hillel? -  Aber  warten Sie nur, Hillel, denken
Sie an meine Worte: Mord auf Mord wird es jetzt in der Judenstadt geben! Ich
kenne das. Der Golem zieht eine unheimliche Gefolgschaft hinter sich her."
     "Die   H€ufung  gleichartiger   Ereignisse   ist  nichts  Wunderbares",
erwiderte Hillel. Er sprach im Gehen, trat ans Fenster und blickte durch die
Scheiben hinab auf den  Trædlerladen - "Wenn der  Tauwind weht, rìhrt sich's
in den Wurzeln. In den sìen wie, in den giftigen."
     Zwakh zwinkerte mir lustig zu und deutete mit dem Kopf nach Hillel.
     "Wenn der Rabbi nur reden  wollte, der kænnte uns  Dinge  erz€hlen, da
einem die Haare zu Berge stìnden", warf er halblaut hin.
     Schemajah drehte sich um.
     "Ich bin nicht Rabbi, wenn ich auch  den  Titel  tragen darf. Ich bin
nur ein armseliger Archivar im jìdischen Rathaus und fìhre die Register ìber
die Lebendigen und die Toten."
     Eine verborgene  Bedeutung lag in  seiner  Rede, fìhlte  ich. Auch  der
Marionettenspieler schien es unterbewut zu empfinden, - er wurde still, und
eine Zeitlang sprach keiner von uns ein Wort.
     "Hæren Sie  mal,  Rabbi  -,  verzeihen Sie: Herr  Hillel,  wollte ich
sagen", - fing  Zwakh nach  einer Weile  wieder  an,  und seine Stimme klang
auffallend ernst, "ich wollte Sie schon lange etwas fragen. Sie brauchen mir
ja nicht drauf zu antworten, wenn Sie nicht mægen, oder nicht dìrfen - - -"
     Schemajah trat an den  Tisch  und spielte mit  dem Weinglas -  er trank
nicht; vielleicht verbot es ihm das jìdische Ritual.
     "Fragen Sie ruhig, Herr Zwakh."
     "-  - Wissen Sie  etwas  ìber  die  jìdische Geheimlehre, die  Kabbala,
Hillel?"
     "Nur wenig."
     "Ich  habe gehært, es soll ein Dokument geben, aus dem man die  Kabbala
lernen kann: den Sohar - -"
     "Ja, den Sohar - das Buch des Glanzes."
     "Sehen  Sie, da  hat man's", schimpfte  Zwakh los.  "Ist es  nicht eine
himmelschreiende  Ungerechtigkeit,  da  eine  Schrift,  die  angeblich  die
Schlìssel zum Verst€ndnis der Bibel und zur Glìckseligkeit enth€lt -"
     Hillel unterbrach ihn: "- nur einige Schlìssel."
     "Gut,  immerhin  einige! - also, da diese  Schrift infolge ihres hohen
Wertes und ihrer Seltenheit wieder nur den  Reichen zug€nglich ist? In einem
einzigen Exemplar, das noch dazu im Londoner Museum steckt, wie ich mir habe
erz€hlen  lassen? Und ìberdies  chald€isch, aram€isch,  hebr€isch - oder was
wei ich wie - geschrieben? - Habe ich zum  Beispiel je im Leben Gelegenheit
gehabt, diese Sprachen zu lernen oder nach London zu kommen?"
     "Haben Sie denn alle Ihre Wìnsche so  hei auf dieses  Ziel gerichtet?"
fragte Hillel mit leisem Spott.
     "Offen gestanden - nein", gab Zwakh einigermaen verwirrt zu.
     "Dann sollten Sie  sich nicht  beklagen",  sagte  Hillel  trocken, "wer
nicht nach  dem  Geist  schreit mit  allen Atomen seines Leibes, -  wie  ein
Erstickender nach Luft, - der kann die Geheimnisse Gottes nicht schauen."
     "Es  sollte trotzdem ein Buch geben, in  dem s€mtliche Schlìssel zu den
R€tseln  der anderen Welt stehen, nicht nur einige", scho es mir  durch den
Kopf,  und meine Hand spielte automatisch mit dem Pagad, den ich immer  noch
in der Tasche trug,  aber ehe  ich die Frage in Worte  kleiden konnte, hatte
Zwakh sie bereits ausgesprochen.
     Hillel  l€chelte wieder  sphinxhaft: "Jede  Frage, die  ein  Mensch tun
kann, ist im selben  Augenblick beantwortet, in dem er sie geistig  gestellt
hat."
     "Verstehen Sie, was er damit meint?", wandte sich Zwakh an mich.
     Ich gab keine Antwort  und hielt den  Atem an, um kein Wort von Hillels
Rede zu verlieren.
     Schemajah fuhr fort:
     "Das ganze Leben ist  nichts anderes als formgewordene Fragen,  die den
Keim  der Antwort  in  sich  tragen - und Antworten, die schwanger gehen mit
Fragen. Wer irgend etwas anderes drin sieht, ist ein Narr."
     Zwakh schlug mit der Faust auf den Tisch:
     "Jawohl:  Fragen, die jedesmal anders lauten, und  Antworten, die jeder
anders versteht."
     "Gerade darauf  kommt  es an", sagte Hillel freundlich. "Alle  Menschen
ìber einen  Læffel  zu -  kurieren,  ist lediglich  Vorrecht der  rzte. Der
Fragende erh€lt die  Antwort, die ihm not tut: sonst ginge nicht die Kreatur
den Weg  ihrer Sehnsucht.  Glauben Sie denn, unsere jìdischen Schriften sind
blo aus Willkìr nur in Konsonanten geschrieben? - Jeder hat sich selbst die
geheimen Vokale dazu zu finden, die  ihm den nur fìr  ihn  allein bestimmten
Sinn  erschlieen,  -  soll   nicht  das  lebendige  Wort  zum  toten  Dogma
erstarren."
     Der Marionettenspieler wehrte heftig ab:
     "Das sind Worte, Rabbi, Worte! Pagad Ultimo will ich heien,  wenn  ich
daraus klug werde."
     Pagad!!  - Das  Wort  schlug  in mich ein  wie der Blitz. Ich  fiel vor
Entsetzen beinahe vom Stuhl.
     Hillel wich meinen Augen aus.
     "Pagad ultimo? Wer wei, ob Sie nicht wirklich so  heien, Herr Zwakh!"
- schlug  Hillels Rede wie aus weiter  Ferne an  mein Ohr. "Man  soll seiner
Sache  niemals  allzu sicher sein. -  brigens,  da wir  gerade  von  Karten
sprechen: Herr Zwakh, spielen Sie Tarock?"
     "Tarock? Natìrlich. Von Kindheit an."
     "Dann wundert's mich, wieso Sie nach  einem Buche fragen kænnen, in dem
die ganze Kabbala steht,  wo Sie es doch  selbst  Tausende Male in der  Hand
gehabt haben."
     "Ich? In der Hand gehabt? Ich?" - Zwakh griff sich an den Kopf.
     "Jawohl, Sie! Ist es  Ihnen niemals aufgefallen, da das Tarockspiel 22
Trìmpfe hat,  - genausoviel, wie das hebr€ische  Alphabet Buchstaben? Zeigen
unsere  bæhmischen  Karten  nicht  zum  berflu   noch   Bilder  dazu,  die
offenkundig Symbole sind: Der Narr, der Tod, der Teufel, das Letzte Gericht?
- Wie laut, lieber Freund,  wollen Sie eigentlich,  da  Ihnen das Leben die
Antworten in die Ohren schreien soll? - - Was Sie allerdings nicht zu wissen
brauchen, ist,  da Tarok  oder  Tarot soviel bedeutet  wie die jìdische
Tora = das Gesetz, oder das alt€gyptische Tarut = die Befragte, und in
der  uralten Zendsprache das Wort: tarisk = ich verlange die Antwort.  -
Aber die Gelehrten sollten es wissen,  bevor sie  die Behauptung aufstellen,
das Tarock stamme aus der Zeit Karls des Sechsten.  - Und  so, wie der Pagad
die  erste Karte im Spiel ist, so ist der Mensch  die erste Figur  in seinem
eignen Bilderbuch,  sein eigner Doppelg€nger: - -  der  hebr€ische Buchstabe
Aleph, der, nach der Form des Menschen gebaut, mit der einen Hand zum Himmel
zeigt  und mit der  andern abw€rts: das heit also: So wie es oben ist, ist
es auch unten; so wie es unten ist, ist es auch  oben.  -  Darum  sagte ich
vorhin: Wer wei, ob  Sie wirklich Zwakh heien und nicht: Pagad - berufen
Sie's nicht," - Hillel blickte mich dabei unverwandt an,  und ich ahnte, wie
sich unter seinen Worten ein Abgrund immer neuer Bedeutung auftat - "berufen
Sie's  nicht, Herr Zwakh! Man kann  da in finstere G€nge  geraten, aus denen
noch  keiner  zurìckfand,  der  nicht - einen  Talisman  bei sich  trug. Die
berlieferung erz€hlt, da einmal drei M€nner hinabgestiegen seien ins Reich
der Dunkelheit, der eine wurde wahnsinnig, der zweite blind, nur der dritte,
Rabbi  ben  Akiba,  kam  heil  wieder heim  und  sagte, er  sei sich  selbst
begegnet.  Schon so mancher, werden Sie  sagen, ist sich selbst begegnet, z.
B. Goethe, gewæhnlich  auf einer  Brìcke,  oder  sonst einem Steig, der  von
einem  Ufer eines  Flusses  zum  andern fìhrt, - hat sich  selbst  ins  Auge
geblickt und ist nicht  wahnsinnig geworden. Aber  dann war's  eben nur eine
Spiegelung des eigenen  Bewutseins und nicht der wahre Doppelg€nger:  nicht
das, was man  den Hauch der Knochen, den Habal Garmin  nennt, von dem es
heit:  Wie  er  in  die  Grube fuhr, unverweslich,  im Gebein,  so wird  er
auferstehn am Tage  des Letzten Gerichts." - Hillels Blick bohrte sich immer
tiefer in  meine Augen -  "Unsere Gromìtter sagen von  ihm: er wohnt  hoch
ìber der Erde in einem Zimmer ohne Tìre, nur mit  einem Fenster, von dem aus
eine Verst€ndigung mit den Menschen unmæglich ist. Wer ihn  zu bannen und zu
- - verfeinern  versteht, der  wird gut Freund mit sich selbst." -  - -  Was
schlielich das Tarock betrifft,  so wissen Sie so gut  wie ich:  Fìr  jeden
Spieler liegen die  Karten anders,  wer aber die Trìmpfe  richtig verwendet,
der gewinnt die Partie - - -. Aber kommen Sie jetzt, Herr Zwakh! Gehen  wir,
Sie trinken sonst Meister Pernaths ganzen  Wein  aus, und es  bleibt  nichts
mehr ìbrig fìr ihn selbst."
        Not
     Eine  Flockenschlacht tobte  vor meinem Fenster. Regimenterweise jagten
die  Schneesterne  -  winzige  Soldaten in  weien,  zottigen  M€ntelchen  -
hintereinander  her  an  den  Scheiben vorìber  -  minutenlang  -  immer  in
derselben  Richtung, wie  auf  gemeinsamer Flucht vor  einem  ganz besonders
bæsartigen Gegner. Dann hatten sie das Davonlaufen mit  einemmal dick  satt,
schienen  aus r€tselhaften Grìnden einen Wutanfall  zu  bekommen und sausten
wieder  zurìck, bis ihnen  von oben und unten neue feindliche Armeen  in die
Flanken fielen und alles in ein heilloses Gewirbel auflæsten.
     Monate schien mir zurìckzuliegen, was  ich an Seltsamem erst vor kurzem
erlebt hatte, und w€ren nicht t€glich  einigemal immer  neue krause Gerìchte
ìber den Golem zu mir  gedrungen, die alles wieder frisch  aufleben  lieen,
ich glaube, ich h€tte mich in Augenblicken des Zweifels verd€chtigen kænnen,
das Opfer eines seelischen D€mmerzustandes gewesen zu sein.
     Aus den  bunten Arabesken, die die Ereignisse um mich gewoben, stach in
schreienden  Farben hervor, was mir Zwakh ìber den noch immer unaufgekl€rten
Mord an dem sogenannten "Freimaurer" erz€hlt hatte.
     Den blatternarbigen Loisa damit in Zusammenhang zu bringen, wollte  mir
nicht recht einleuchten, obwohl ich einen dunklen Verdacht nicht abschìtteln
konnte,  -  fast  unmittelbar  darauf,  als Prokop  in  jener Nacht aus  dem
Kanalgitter ein unheimliches Ger€usch  gehært zu haben geglaubt, hatten  wir
den Burschen beim "Loisitschek"  gesehen. Allerdings lag kein Anla vor, den
Schrei unter der Erde, der ìberdies geradesogut eine Sinnest€uschung gewesen
sein konnte, als Hilferuf eines Menschen zu deuten. - - -
     Das Schneegestæber  vor meinen  Augen  blendete mich  und  ich fing an,
alles in tanzenden Streifen zu sehen. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder
auf  die  Gemme vor  mir.  Das  Wachsmodell,  das  ich von  Mirjams  Gesicht
entworfen  hatte,  mute  sich vortrefflich  auf  den  bl€ulich  leuchtenden
Mondstein da ìbertragen  lassen. - Ich  freute mich: es war  ein  angenehmer
Zufall, da sich etwas so Geeignetes unter  meinem Mineralienvorrat gefunden
hatte.  Die tiefschwarze  Matrix  von  Hornblende gab dem  Stein  gerade das
richtige  Licht  und die Konturen paten  so  genau,  als habe ihn die Natur
eigens  geschaffen, ein  bleibendes  Abbild  von Mirjams  feinem  Profil  zu
werden.
     Anfangs  war meine Absicht gewesen, eine Kamee daraus zu schneiden, die
den  €gyptischen  Gott  Osiris  darstellen   sollte,  und  die   Vision  des
Hermaphroditen aus dem Buche Ibbur, die  ich  mir jederzeit mit auffallender
Deutlichkeit  ins  Ged€chtnis  zurìckrufen konnte,  regte  mich kìnstlerisch
stark  an,  aber allm€hlich entdeckte  ich nach  den ersten  Schnitten  eine
solche  hnlichkeit mit der Tochter Schemajah Hillels, da ich  meinen  Plan
umstie. - - -
     - Das Buch Ibbur! -
     Erschìttert legte ich den Stahlgriffel weg. Unfabar, was in der kurzen
Spanne Zeit in mein Leben getreten war!
     Wie jemand, der sich plætzlich  in eine unabsehbare Sandwìste  versetzt
sieht,  wurde ich mir mit einem Schlage der  tiefen, riesengroen Einsamkeit
bewut, die mich von meinen Nebenmenschen trennte.
     Konnte ich je mit einem Freund - Hillel ausgenommen - davon reden,  was
ich erlebt?
     Wohl  war  mir in  den  stillen  Stunden  der verflossenen  N€chte  die
Erinnerung  wiedergekehrt,  da mich  all meine  Jugendjahre  -  von  frìher
Kindheit  angefangen  -  ein unsagbarer  Durst  nach  dem  Wunderbaren,  dem
jenseits aller Sterblichkeit  Liegenden, bis zur  Todespein gefoltert hatte,
aber die Erfìllung meiner Sehnsucht war wie ein Gewittersturm  gekommen  und
erdrìckte den Jubelaufschrei meiner Seele mit ihrer Wucht.
     Ich zitterte vor dem Augenblick,  wo  ich zu mir selbst kommen  und das
Geschehene in  seiner vollen  markverbrennenden  Lebendigkeit  als Gegenwart
empfinden mute.
     Nur  jetzt  sollte  es  noch  nicht kommen!  Erst den  Genu auskosten:
Unaussprechliches an Glanz auf sich zukommen zu sehen!
     Ich  hatte es  doch in meiner Macht!  Brauchte  nur hinìber zu gehen in
mein  Schlafzimmer und die Kassette aufzusperren, in der das Buch Ibbur, das
Geschenk der Unsichtbaren, lag!
     Wie lang war's her, da  hatte es  meine Hand berìhrt, als ich Angelinas
Briefe dazuschlo!
     Endlich: Schritte! M€nnertritte.
     Er kam!
     Voll Jubel eilte ich zur Tìr und ri sie auf.
     Schemajah Hillel stand Strauen und hinter ihm  - ich machte mir  leise
Vorwìrfe, da  ich  es  als  Entt€uschung empfand  - mit roten B€ckchen  und
runden Kinderaugen: der alte Zwakh.
     "Wie ich  zu meiner Freude sehe, sind  Sie  wohlauf,  Meister Pernath",
fing Hillel an.
     Ein kaltes "Sie"?
     Frost. Schneidender, ertætender Frost lag plætzlich im Zimmer.
     Bet€ubt,  mit halbem  Ohr,  hærte  ich  hin,  was  Zwakh,  atemlos  vor
Aufregung, auf mich losplapperte:
     "Wissen Sie schon,  der Golem geht wieder um? Neulich erst sprachen wir
davon, wissen  Sie noch, Pernath? Die ganze Judenstadt ist  auf. Vrieslander
hat ihn selbst gesehen,  den Golem. Und wieder hat es, wie immer, mit  einem
Mord begonnen" - Ich horchte erstaunt auf: Ein Mord?
     Zwakh  schìttelte mich: "Ja, wissen Sie denn von  gar  nichts, Pernath?
Unten  h€ngt doch  grom€chtig ein  Polizeiaufruf  an  den Ecken: den dicken
Zottmann,    den    Freimaurer    -    na,     ich    meine    doch    den
Lebensversicherungsdirektor Zottmann, - soll man ermordet haben. Der Loisa -
hier  im  Haus  -  ist  bereits  verhaftet. Und  die  rote  Rosina:  spurlos
verschwunden. - Der Golem - der Golem - es ist ja haarstr€ubend."
     Ich gab  keine Antwort und suchte in Hillels  Augen:  warum  blickte er
mich so unverwandt an?
     Ein verhaltenes L€cheln zuckte plætzlich um seine Mundwinkel.
     Ich verstand. Es galt mir.
     Am liebsten w€re ich ihm um den Hals gefallen vor jauchzender Freude.
     Auer mir in meinem Entzìcken, lief  ich planlos  im Zimmer  umher. Was
zuerst bringen? Gl€ser? Eine Flasche Burgunder?  (Ich hatte  doch nur eine.)
Zigarren? - Endlich fand ich Worte: "Aber warum setzt ihr euch denn nicht?!"
- Rasch schob ich meinen beiden Freunden Sessel unter. - - -
     Zwakh fing an,  sich zu €rgern: "Warum  l€cheln Sie denn  immerw€hrend,
Hillel? Glauben Sie vielleicht nicht, da der Golem spukt? Mir scheint.  Sie
glauben ìberhaupt nicht an den Golem?"
     "Ich wìrde nicht an ihn glauben, selbst wenn ich ihn hier im Zimmer vor
mir  s€he",  antwortete  Hillel  gelassen  mit einem Blick auf  mich. -  Ich
verstand den Doppelsinn, der aus seinen Worten klang.
     Zwakh  hielt erstaunt im Trinken inne: "Das Zeugnis von  Hunderten  von
Menschen gilt  Ihnen nichts, Hillel? -  Aber  warten Sie nur, Hillel, denken
Sie an meine Worte: Mord auf Mord wird es jetzt in der Judenstadt geben! Ich
kenne das. Der Golem zieht eine unheimliche Gefolgschaft hinter sich her."
     "Die   H€ufung  gleichartiger   Ereignisse   ist  nichts  Wunderbares",
erwiderte Hillel. Er sprach im Gehen, trat ans Fenster und blickte durch die
Scheiben hinab auf den  Trædlerladen - "Wenn der  Tauwind weht, rìhrt sich's
in den Wurzeln. In den sìen wie, in den giftigen."
     Zwakh zwinkerte mir lustig zu und deutete mit dem Kopf nach Hillel.
     "Wenn der Rabbi nur reden  wollte, der kænnte uns  Dinge  erz€hlen, da
einem die Haare zu Berge stìnden", warf er halblaut hin.
     Schemajah drehte sich um.
     "Ich bin nicht Rabbi, wenn ich auch  den  Titel  tragen darf. Ich bin
nur ein armseliger Archivar im jìdischen Rathaus und fìhre die Register ìber
die Lebendigen und die Toten."
     Eine verborgene  Bedeutung lag in  seiner  Rede, fìhlte  ich. Auch  der
Marionettenspieler schien es unterbewut zu empfinden, - er wurde still, und
eine Zeitlang sprach keiner von uns ein Wort.
     "Hæren Sie  mal,  Rabbi  -,  verzeihen Sie: Herr  Hillel,  wollte ich
sagen", - fing  Zwakh nach  einer Weile  wieder  an,  und seine Stimme klang
auffallend ernst, "ich wollte Sie schon lange etwas fragen. Sie brauchen mir
ja nicht drauf zu antworten, wenn Sie nicht mægen, oder nicht dìrfen - - -"
     Schemajah trat an den  Tisch  und spielte mit  dem Weinglas -  er trank
nicht; vielleicht verbot es ihm das jìdische Ritual.
     "Fragen Sie ruhig, Herr Zwakh."
     "-  - Wissen Sie  etwas  ìber  die  jìdische Geheimlehre, die  Kabbala,
Hillel?"
     "Nur wenig."
     "Ich  habe gehært, es soll ein Dokument geben, aus dem man die  Kabbala
lernen kann: den Sohar - -"
     "Ja, den Sohar - das Buch des Glanzes."
     "Sehen  Sie, da  hat man's", schimpfte  Zwakh los.  "Ist es  nicht eine
himmelschreiende  Ungerechtigkeit,  da  eine  Schrift,  die  angeblich  die
Schlìssel zum Verst€ndnis der Bibel und zur Glìckseligkeit enth€lt -"
     Hillel unterbrach ihn: "- nur einige Schlìssel."
     "Gut,  immerhin  einige! - also, da diese  Schrift infolge ihres hohen
Wertes und ihrer Seltenheit wieder nur den  Reichen zug€nglich ist? In einem
einzigen Exemplar, das noch dazu im Londoner Museum steckt, wie ich mir habe
erz€hlen  lassen? Und ìberdies  chald€isch, aram€isch,  hebr€isch - oder was
wei ich wie - geschrieben? - Habe ich zum  Beispiel je im Leben Gelegenheit
gehabt, diese Sprachen zu lernen oder nach London zu kommen?"
     "Haben Sie denn alle Ihre Wìnsche so  hei auf dieses  Ziel gerichtet?"
fragte Hillel mit leisem Spott.
     "Offen gestanden - nein", gab Zwakh einigermaen verwirrt zu.
     "Dann sollten Sie  sich nicht  beklagen",  sagte  Hillel  trocken, "wer
nicht nach  dem  Geist  schreit mit  allen Atomen seines Leibes, -  wie  ein
Erstickender nach Luft, - der kann die Geheimnisse Gottes nicht schauen."
     "Es  sollte trotzdem ein Buch geben, in  dem s€mtliche Schlìssel zu den
R€tseln  der anderen Welt stehen, nicht nur einige", scho es mir  durch den
Kopf,  und meine Hand spielte automatisch mit dem Pagad, den ich immer  noch
in der Tasche trug,  aber ehe  ich die Frage in Worte  kleiden konnte, hatte
Zwakh sie bereits ausgesprochen.
     Hillel  l€chelte wieder  sphinxhaft: "Jede  Frage, die  ein  Mensch tun
kann, ist im selben  Augenblick beantwortet, in dem er sie geistig  gestellt
hat."
     "Verstehen Sie, was er damit meint?", wandte sich Zwakh an mich.
     Ich gab keine Antwort  und hielt den  Atem an, um kein Wort von Hillels
Rede zu verlieren.
     Schemajah fuhr fort:
     "Das ganze Leben ist  nichts anderes als formgewordene Fragen,  die den
Keim  der Antwort  in  sich  tragen - und Antworten, die schwanger gehen mit
Fragen. Wer irgend etwas anderes drin sieht, ist ein Narr."
     Zwakh schlug mit der Faust auf den Tisch:
     "Jawohl:  Fragen, die jedesmal anders lauten, und  Antworten, die jeder
anders versteht."
     "Gerade darauf  kommt  es an", sagte Hillel freundlich. "Alle  Menschen
ìber einen  Læffel  zu -  kurieren,  ist lediglich  Vorrecht der  rzte. Der
Fragende erh€lt die  Antwort, die ihm not tut: sonst ginge nicht die Kreatur
den Weg  ihrer Sehnsucht.  Glauben Sie denn, unsere jìdischen Schriften sind
blo aus Willkìr nur in Konsonanten geschrieben? - Jeder hat sich selbst die
geheimen Vokale dazu zu finden, die  ihm den nur fìr  ihn  allein bestimmten
Sinn  erschlieen,  -  soll   nicht  das  lebendige  Wort  zum  toten  Dogma
erstarren."
     Der Marionettenspieler wehrte heftig ab:
     "Das sind Worte, Rabbi, Worte! Pagad Ultimo will ich heien,  wenn  ich
daraus klug werde."
     Pagad!!  - Das  Wort  schlug  in mich ein  wie der Blitz. Ich  fiel vor
Entsetzen beinahe vom Stuhl.
     Hillel wich meinen Augen aus.
     "Pagad ultimo? Wer wei, ob Sie nicht wirklich so  heien, Herr Zwakh!"
- schlug  Hillels Rede wie aus weiter  Ferne an  mein Ohr. "Man  soll seiner
Sache  niemals  allzu sicher sein. -  brigens,  da wir  gerade  von  Karten
sprechen: Herr Zwakh, spielen Sie Tarock?"
     "Tarock? Natìrlich. Von Kindheit an."
     "Dann wundert's mich, wieso Sie nach  einem Buche fragen kænnen, in dem
die ganze Kabbala steht,  wo Sie es doch  selbst  Tausende Male in der  Hand
gehabt haben."
     "Ich? In der Hand gehabt? Ich?" - Zwakh griff sich an den Kopf.
     "Jawohl, Sie! Ist es  Ihnen niemals aufgefallen, da das Tarockspiel 22
Trìmpfe hat,  - genausoviel, wie das hebr€ische  Alphabet Buchstaben? Zeigen
unsere  bæhmischen  Karten  nicht  zum  berflu   noch   Bilder  dazu,  die
offenkundig Symbole sind: Der Narr, der Tod, der Teufel, das Letzte Gericht?
- Wie laut, lieber Freund,  wollen Sie eigentlich,  da  Ihnen das Leben die
Antworten in die Ohren schreien soll? - - Was Sie allerdings nicht zu wissen
brauchen, ist,  da Tarok  oder  Tarot soviel bedeutet  wie die jìdische
Tora = das Gesetz, oder das alt€gyptische Tarut = die Befragte, und in
der  uralten Zendsprache das Wort: tarisk = ich verlange die Antwort.  -
Aber die Gelehrten sollten es wissen,  bevor sie  die Behauptung aufstellen,
das Tarock stamme aus der Zeit Karls des Sechsten.  - Und  so, wie der Pagad
die  erste Karte im Spiel ist, so ist der Mensch  die erste Figur  in seinem
eignen Bilderbuch,  sein eigner Doppelg€nger: - -  der  hebr€ische Buchstabe
Aleph, der, nach der Form des Menschen gebaut, mit der einen Hand zum Himmel
zeigt  und mit der  andern abw€rts: das heit also: So wie es oben ist, ist
es auch unten; so wie es unten ist, ist es auch  oben.  -  Darum  sagte ich
vorhin: Wer wei, ob  Sie wirklich Zwakh heien und nicht: Pagad - berufen
Sie's nicht," - Hillel blickte mich dabei unverwandt an,  und ich ahnte, wie
sich unter seinen Worten ein Abgrund immer neuer Bedeutung auftat - "berufen
Sie's  nicht, Herr Zwakh! Man kann  da in finstere G€nge  geraten, aus denen
noch  keiner  zurìckfand,  der  nicht - einen  Talisman  bei sich  trug. Die
berlieferung erz€hlt, da einmal drei M€nner hinabgestiegen seien ins Reich
der Dunkelheit, der eine wurde wahnsinnig, der zweite blind, nur der dritte,
Rabbi  ben  Akiba,  kam  heil  wieder heim  und  sagte, er  sei sich  selbst
begegnet.  Schon so mancher, werden Sie  sagen, ist sich selbst begegnet, z.
B. Goethe, gewæhnlich  auf einer  Brìcke,  oder  sonst einem Steig, der  von
einem  Ufer eines  Flusses  zum  andern fìhrt, - hat sich  selbst  ins  Auge
geblickt und ist nicht  wahnsinnig geworden. Aber  dann war's  eben nur eine
Spiegelung des eigenen  Bewutseins und nicht der wahre Doppelg€nger:  nicht
das, was man  den Hauch der Knochen, den Habal Garmin  nennt, von dem es
heit:  Wie  er  in  die  Grube fuhr, unverweslich,  im Gebein,  so wird  er
auferstehn am Tage  des Letzten Gerichts." - Hillels Blick bohrte sich immer
tiefer in  meine Augen -  "Unsere Gromìtter sagen von  ihm: er wohnt  hoch
ìber der Erde in einem Zimmer ohne Tìre, nur mit  einem Fenster, von dem aus
eine Verst€ndigung mit den Menschen unmæglich ist. Wer ihn  zu bannen und zu
- - verfeinern  versteht, der  wird gut Freund mit sich selbst." -  - -  Was
schlielich das Tarock betrifft,  so wissen Sie so gut  wie ich:  Fìr  jeden
Spieler liegen die  Karten anders,  wer aber die Trìmpfe  richtig verwendet,
der gewinnt die Partie - - -. Aber kommen Sie jetzt, Herr Zwakh! Gehen  wir,
Sie trinken sonst Meister Pernaths ganzen  Wein  aus, und es  bleibt  nichts
mehr ìbrig fìr ihn selbst."
        Not
     Eine  Flockenschlacht tobte  vor meinem Fenster. Regimenterweise jagten
die  Schneesterne  -  winzige  Soldaten in  weien,  zottigen  M€ntelchen  -
hintereinander  her  an  den  Scheiben vorìber  -  minutenlang  -  immer  in
derselben  Richtung, wie  auf  gemeinsamer Flucht vor  einem  ganz besonders
bæsartigen Gegner. Dann hatten sie das Davonlaufen mit  einemmal dick  satt,
schienen  aus r€tselhaften Grìnden einen Wutanfall  zu  bekommen und sausten
wieder  zurìck, bis ihnen  von oben und unten neue feindliche Armeen  in die
Flanken fielen und alles in ein heilloses Gewirbel auflæsten.
     Monate schien mir zurìckzuliegen, was  ich an Seltsamem erst vor kurzem
erlebt hatte, und w€ren nicht t€glich  einigemal immer  neue krause Gerìchte
ìber den Golem zu mir  gedrungen, die alles wieder frisch  aufleben  lieen,
ich glaube, ich h€tte mich in Augenblicken des Zweifels verd€chtigen kænnen,
das Opfer eines seelischen D€mmerzustandes gewesen zu sein.
     Aus den  bunten Arabesken, die die Ereignisse um mich gewoben, stach in
schreienden  Farben hervor, was mir Zwakh ìber den noch immer unaufgekl€rten
Mord an dem sogenannten "Freimaurer" erz€hlt hatte.
     Den blatternarbigen Loisa damit in Zusammenhang zu bringen, wollte  mir
nicht recht einleuchten, obwohl ich einen dunklen Verdacht nicht abschìtteln
konnte,  -  fast  unmittelbar  darauf,  als Prokop  in  jener Nacht aus  dem
Kanalgitter ein unheimliches Ger€usch  gehært zu haben geglaubt, hatten  wir
den Burschen beim "Loisitschek"  gesehen. Allerdings lag kein Anla vor, den
Schrei unter der Erde, der ìberdies geradesogut eine Sinnest€uschung gewesen
sein konnte, als Hilferuf eines Menschen zu deuten. - - -
     Das Schneegestæber  vor meinen  Augen  blendete mich  und  ich fing an,
alles in tanzenden Streifen zu sehen. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder
auf  die  Gemme vor  mir.  Das  Wachsmodell,  das  ich von  Mirjams  Gesicht
entworfen  hatte,  mute  sich vortrefflich  auf  den  bl€ulich  leuchtenden
Mondstein da ìbertragen  lassen. - Ich  freute mich: es war  ein  angenehmer
Zufall, da sich etwas so Geeignetes unter  meinem Mineralienvorrat gefunden
hatte.  Die tiefschwarze  Matrix  von  Hornblende gab dem  Stein  gerade das
richtige  Licht  und die Konturen paten  so  genau,  als habe ihn die Natur
eigens  geschaffen, ein  bleibendes  Abbild  von Mirjams  feinem  Profil  zu
werden.
     Anfangs  war meine Absicht gewesen, eine Kamee daraus zu schneiden, die
den  €gyptischen  Gott  Osiris  darstellen   sollte,  und  die   Vision  des
Hermaphroditen aus dem Buche Ibbur, die  ich  mir jederzeit mit auffallender
Deutlichkeit  ins  Ged€chtnis  zurìckrufen konnte,  regte  mich kìnstlerisch
stark  an,  aber allm€hlich entdeckte  ich nach  den ersten  Schnitten  eine
solche  hnlichkeit mit der Tochter Schemajah Hillels, da ich  meinen  Plan
umstie. - - -
     - Das Buch Ibbur! -
     Erschìttert legte ich den Stahlgriffel weg. Unfabar, was in der kurzen
Spanne Zeit in mein Leben getreten war!
     Wie jemand, der sich plætzlich  in eine unabsehbare Sandwìste  versetzt
sieht,  wurde ich mir mit einem Schlage der  tiefen, riesengroen Einsamkeit
bewut, die mich von meinen Nebenmenschen trennte.
     Konnte ich je mit einem Freund - Hillel ausgenommen - davon reden,  was
ich erlebt?
     Wohl  war  mir in  den  stillen  Stunden  der verflossenen  N€chte  die
Erinnerung  wiedergekehrt,  da mich  all meine  Jugendjahre  -  von  frìher
Kindheit  angefangen  -  ein unsagbarer  Durst  nach  dem  Wunderbaren,  dem
jenseits aller Sterblichkeit  Liegenden, bis zur  Todespein gefoltert hatte,
aber die Erfìllung meiner Sehnsucht war wie ein Gewittersturm  gekommen  und
erdrìckte den Jubelaufschrei meiner Seele mit ihrer Wucht.
     Ich zitterte vor dem Augenblick,  wo  ich zu mir selbst kommen  und das
Geschehene in  seiner vollen  markverbrennenden  Lebendigkeit  als Gegenwart
empfinden mute.
     Nur  jetzt  sollte  es  noch  nicht kommen!  Erst den  Genu auskosten:
Unaussprechliches an Glanz auf sich zukommen zu sehen!
     Ich  hatte es  doch in meiner Macht!  Brauchte  nur hinìber zu gehen in
mein  Schlafzimmer und die Kassette aufzusperren, in der das Buch Ibbur, das
Geschenk der Unsichtbaren, lag!
     Wie lang war's her, da  hatte es  meine Hand berìhrt, als ich Angelinas
Briefe dazuschlo!
      Dumpfes  Dræhnen drauen, wie von Zeit zu Zeit der Wind die angeh€uften
Schneemassen von den D€chern hinab vor die H€user  warf, gefolgt von  Pausen
tiefer Stille, da die Flockendecke auf dem Pflaster jeden Laut verschlang.
     Ich wollte weiterarbeiten, - da plætzlich stahlscharfe Hufschl€ge unten
die Gasse entlang, da man's færmlich Funken sprìhen sah.
     Das Fenster zu æffne
     Dumpfes  Dræhnen drauen, wie von Zeit zu Zeit der Wind die angeh€uften
Schneemassen von den D€chern hinab vor die H€user  warf, gefolgt von  Pausen
tiefer Stille, da die Flockendecke auf dem Pflaster jeden Laut verschlang.
     Ich wollte weiterarbeiten, - da plætzlich stahlscharfe Hufschl€ge unten
die Gasse entlang, da man's færmlich Funken sprìhen sah.
     Das Fenster zu æffne