in Nachdenken,  und ich
hærte ihn einen  hebr¤ischen Satz murmeln: "Lischuos¨cho  Kiwisi  Adoschem."
Dann drang seine Stimme wieder klar an mein Ohr:
     "Du bist  zu  mir  gekommen in  tiefem Schlaf  und  ich habe dich  wach
gemacht. Im Psalm David heiŸt es:
     "Da sprach ich in mir selbst: jetzt fange ich an: Die Rechte Gottes ist
es, welche diese Ver¤nderung gemacht hat."
     Wenn die Menschen aufstehen von ihren Lagerst¤tten,  so w¤hnen sie, sie
h¤tten  den Schlaf abgeschìttelt, und wissen nicht, daŸ sie ihren Sinnen zum
Opfer fallen  und die Beute eines  neuen viel tieferen Schlafes  werden, als
der war, dem sie soeben entronnen  sind. Es gibt nur ein wahres Wachsein und
das  ist  das, dem Du dich jetzt  n¤herst. Sprich den Menschen davon und sie
werden sagen, Du seist  krank, denn  sie kænnen dich nicht verstehen.  Darum
ist es zwecklos und grausam, ihnen davon zu reden.
     Sie fahren dahin wie ein Strom -
     Und sind wie ein Schlaf,
     Gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird -
     Das des Abends abgehauen wird und verdorret."
      "Wer war  der Fremde, der mich  in meiner Kammer aufgesucht hat und mir
das Buch "Ibbur" gab? Habe ich ihn im Wachen oder im Traum gesehen?", wollte
ich fragen,  doch  Hillel antwortete mir, noch ehe ich den Gedanken in Worte
fassen konnte:
     "Nimm an, der Mann, der zu Dir kam und den Du den Golem nennst, bedeute
die Erweckung des Toten durch  das  innerste  Geistesleben.  Jedes Ding  auf
Erden ist nichts als ein ewiges Symbol in Staub gekleidet!
     Wie denkst Du mit dem Auge? Jede Form, die Du siehst, denkst Du mit dem
Auge. Alles, was zur Form geronnen ist, war vorher ein Gespenst."
     Ich fìhlte, wie Begriffe, die bisher in  meinem Hirn verankert gewesen,
sich  losrissen  und  gleich  Schiffen  ohne  Steuer  hinaustrieben  in  ein
uferloses Meer.
     Ruhevoll fuhr Hillel fort:
     "Wer aufgeweckt  worden  ist,  kann nicht  mehr sterben; Schlaf und Tod
sind dasselbe."
     "- - kann nicht mehr sterben?" - Ein dumpfer Schmerz ergriff mich.
     "Zwei  Pfade  laufen nebeneinander hin:  der Weg des Lebens und der Weg
des Todes. Du hast das Buch "Ibbur" genommen und darin gelesen.  Deine Seele
ist schwanger geworden vom Geist des Lebens", hærte ich ihn reden.
     "Hillel, Hillel, laŸ  mich den Weg  gehen, den alle Menschen gehen: den
des Sterbens!", schrie alles wild in mir auf.
     Schemajah Hillels Gesicht wurde starr vor Ernst.
     "Die Menschen gehen keinen Weg,  weder den  des  Lebens,  noch  den des
Todes.  Sie treiben daher wie Spreu im Sturm. Im Talmud steht: "Ehe Gott die
Welt  schuf,  hielt er den  Wesen einen Spiegel  vor; darin  sahen  sie  die
geistigen Leiden des Daseins  und die Wonnen, die  darauf folgten. Da nahmen
die  einen die Leiden auf sich. Die  anderen aber  weigerten sich, und diese
strich Gott aus  dem Buche der Lebenden." Du aber gehst einen  Weg und  hast
ihn aus freiem Willen beschritten, - wenn Du es jetzt auch selbst nicht mehr
weiŸt: Du bist berufen  von dir selbst.  Gr¤m' dich  nicht: allm¤hlich, wenn
das Wissen kommt,  kommt  auch die  Erinnerung. Wissen  und Erinnerung  sind
dasselbe."
     Der   freundliche,  fast  liebenswìrdige  Ton,  in  den  Hillels   Rede
ausgeklungen  war, gab  mir meine Ruhe wieder, und  ich fìhlte mich geborgen
wie ein krankes Kind, das seinen Vater bei sich weiŸ.
     Ich blickte auf und sah, daŸ mit einemmal  viele  Gestalten  im  Zimmer
waren und uns  im Kreis umstanden: einige in weiŸen Sterbegew¤ndern, wie sie
die alten Rabbiner trugen, andere mit dreieckigem Hut und Silberschnallen an
den  Schuhen - aber  Hillel fuhr  mir mit der  Hand ìber die  Augen, und die
Stube war wieder leer.
     Dann  geleitete  er mich hinaus  zur Treppe  und gab mir eine brennende
Kerze mit, damit ich mir hinaufleuchten kænne in mein Zimmer.
     "Wer war  der Fremde, der mich  in meiner Kammer aufgesucht hat und mir
das Buch "Ibbur" gab? Habe ich ihn im Wachen oder im Traum gesehen?", wollte
ich fragen,  doch  Hillel antwortete mir, noch ehe ich den Gedanken in Worte
fassen konnte:
     "Nimm an, der Mann, der zu Dir kam und den Du den Golem nennst, bedeute
die Erweckung des Toten durch  das  innerste  Geistesleben.  Jedes Ding  auf
Erden ist nichts als ein ewiges Symbol in Staub gekleidet!
     Wie denkst Du mit dem Auge? Jede Form, die Du siehst, denkst Du mit dem
Auge. Alles, was zur Form geronnen ist, war vorher ein Gespenst."
     Ich fìhlte, wie Begriffe, die bisher in  meinem Hirn verankert gewesen,
sich  losrissen  und  gleich  Schiffen  ohne  Steuer  hinaustrieben  in  ein
uferloses Meer.
     Ruhevoll fuhr Hillel fort:
     "Wer aufgeweckt  worden  ist,  kann nicht  mehr sterben; Schlaf und Tod
sind dasselbe."
     "- - kann nicht mehr sterben?" - Ein dumpfer Schmerz ergriff mich.
     "Zwei  Pfade  laufen nebeneinander hin:  der Weg des Lebens und der Weg
des Todes. Du hast das Buch "Ibbur" genommen und darin gelesen.  Deine Seele
ist schwanger geworden vom Geist des Lebens", hærte ich ihn reden.
     "Hillel, Hillel, laŸ  mich den Weg  gehen, den alle Menschen gehen: den
des Sterbens!", schrie alles wild in mir auf.
     Schemajah Hillels Gesicht wurde starr vor Ernst.
     "Die Menschen gehen keinen Weg,  weder den  des  Lebens,  noch  den des
Todes.  Sie treiben daher wie Spreu im Sturm. Im Talmud steht: "Ehe Gott die
Welt  schuf,  hielt er den  Wesen einen Spiegel  vor; darin  sahen  sie  die
geistigen Leiden des Daseins  und die Wonnen, die  darauf folgten. Da nahmen
die  einen die Leiden auf sich. Die  anderen aber  weigerten sich, und diese
strich Gott aus  dem Buche der Lebenden." Du aber gehst einen  Weg und  hast
ihn aus freiem Willen beschritten, - wenn Du es jetzt auch selbst nicht mehr
weiŸt: Du bist berufen  von dir selbst.  Gr¤m' dich  nicht: allm¤hlich, wenn
das Wissen kommt,  kommt  auch die  Erinnerung. Wissen  und Erinnerung  sind
dasselbe."
     Der   freundliche,  fast  liebenswìrdige  Ton,  in  den  Hillels   Rede
ausgeklungen  war, gab  mir meine Ruhe wieder, und  ich fìhlte mich geborgen
wie ein krankes Kind, das seinen Vater bei sich weiŸ.
     Ich blickte auf und sah, daŸ mit einemmal  viele  Gestalten  im  Zimmer
waren und uns  im Kreis umstanden: einige in weiŸen Sterbegew¤ndern, wie sie
die alten Rabbiner trugen, andere mit dreieckigem Hut und Silberschnallen an
den  Schuhen - aber  Hillel fuhr  mir mit der  Hand ìber die  Augen, und die
Stube war wieder leer.
     Dann  geleitete  er mich hinaus  zur Treppe  und gab mir eine brennende
Kerze mit, damit ich mir hinaufleuchten kænne in mein Zimmer.
      Ich legte  mich zu  Bett  und wollte schlafen,  aber  der Schlummer kam
nicht,  und ich  geriet stattdessen in einen  sonderbaren Zustand, der weder
Tr¤umen war, noch Wachen, noch Schlafen.
     Das  Licht hatte ich ausgelæscht, aber trotzdem war alles in der  Stube
so deutlich, daŸ ich  jede  einzelne  Form genau unterscheiden konnte. Dabei
fìhlte  ich mich vollkommen  behaglich und frei  von der gewissen qualvollen
Unruhe, die einen foltert, wenn man sich in ¤hnlicher Verfassung befindet.
     Nie  vorher in  meinem Leben w¤re ich imstande gewesen, so  scharf  und
pr¤zis zu  denken wie  eben  jetzt. Der Rhythmus der Gesundheit durchstræmte
meine  Nerven  und ordnete meine Gedanken in Reih' und Glied wie eine Armee,
die nur auf meine Befehle wartete.
     Ich brauchte bloŸ zu  rufen, und sie traten vor mich und erfìllten, was
ich wìnschte.
     Eine  Gemme,  die  ich in  den  letzten Wochen  aus  Aventurinstein  zu
schneiden versucht hatte, - ohne damit  zurechtzukommen, da sich die  vielen
zerstreuten  Flimmer in  dem  Mineral niemals  mit den  Gesichtszìgen decken
wollten, die ich  mir vorgestellt,  - fiel mir  ein, und im  Nu sah  ich die
Læsung vor mir und wuŸte genau, wie ich den Stichel zu  fìhren hatte, um der
Struktur der Masse gerecht zu werden.
     Ehedem  Sklave einer Horde phantastischer Eindrìcke und Traumgesichter,
von denen ich oft nicht  gewuŸt: waren es Ideen  oder Gefìhle,  sah ich mich
jetzt plætzlich als Herr und Kænig im eigenen Reich.
     Rechenexempel, die ich frìher  nur mit „chzen und auf dem Papier  h¤tte
bew¤ltigen  kænnen,  fìgten sich  mir  mit einem  Mal im Kopf  spielend  zum
Resultat.  Alles mit Hilfe einer  neuen, in  mir erwachten F¤higkeit, das zu
sehen  und  festzuhalten,   was   ich  gerade  brauchte:  Ziffern,   Formen,
Gegenst¤nde  oder  Farben. Und  wenn es sich um  Fragen handelte,  die durch
derlei  Werkzeuge  nicht  zu  læsen  waren:  - philosophische  Probleme  und
¤hnliches  -, so  trat  an  Stelle des inneren Sehens  das Gehær, wobei  die
Stimme Schemajah Hillels die Rolle des Sprechers ìbernahm.
     Erkenntnisse seltsamster Art wurden mir zuteil.
     Was ich tausendmal im Leben achtlos als bloŸes Wort an meinem Ohr hatte
vorìbergehen  lassen,  stand wertgetr¤nkt  bis in die tiefste Faser vor mir;
was  ich  "auswendig"  gelernt,  "erfaŸte" ich  mit  einem  Schlag  als mein
"Eigen"tum. Der Wortbildung Geheimnisse, die ich nie geahnt, lagen nackt vor
mir.
     Die "hohen" Ideale  der Menschheit,  die  vordem  mit kommerzienr¤tlich
biederer  Miene,  die Pathosbrust mit  Orden bekleckst, mich  von oben herab
behandelt hatten,  -  demìtig nahmen  sie jetzt die Maske von der Fratze und
entschuldigten sich:  sie seien selber ja nur Bettler, aber immerhin Krìcken
fìr - einen noch frecheren Schwindel.
     Tr¤umte ich nicht  vielleicht doch? Hatte ich etwa gar nicht mit Hillel
gesprochen?
     Ich griff nach dem Sessel neben meinem Bett.
     Richtig: dort lag die Kerze, die  mir  Schemajah  mitgegeben hatte; und
selig wie ein kleiner Junge  in der Christfestnacht, der sich ìberzeugt hat,
daŸ der wundervolle Hampelmann wirklich und leibhaftig vorhanden ist, wìhlte
ich mich wieder in die Kissen.
     Und wie ein Spìrhund drang ich weiter vor in das Dickicht der geistigen
R¤tsel, die mich rings umgaben.
     Zuerst versuchte ich zu dem Punkt in meinem Leben zurìckzugelangen, bis
zu dem meine Erinnerung  reichte. Nur von dort aus - glaubte ich - kænnte es
mir mæglich sein, jenen  Teil  meines Daseins zu ìberblicken, der  fìr mich,
durch eine seltsame Fìgung des Schicksals in Finsternis gehìllt lag.
     Aber wie  sehr ich mich auch bemìhte, ich kam nicht weiter, als daŸ ich
mich wie einst  in dem dìsteren Hofe unseres Hauses stehen sah und durch den
Torbogen den Trædlerladen des Aaron  Wassertrum unterschied - als ob ich ein
Jahrhundert lang als  Gemmenschneider  in diesem Hause  gewohnt h¤tte, immer
gleich alt und ohne jemals ein Kind gewesen zu sein!
     Schon wollte ich  es als hoffnungslos aufgeben, weiter  zu  schìrfen in
den Sch¤chten  der Vergangenheit,  da begriff ich  plætzlich mit leuchtender
Klarheit,  daŸ  in   meiner  Erinnerung  wohl  die   breite  HeerstraŸe  der
Geschehnisse  mit dem gewissen Torbogen endete, nicht aber eine Menge winzig
schmaler FuŸsteige, die wohl  bisher den Hauptpfad st¤ndig begleitet hatten,
von mir jedoch nicht beachtet worden  waren. "Woher", schrie es  mir fast in
die  Ohren,  "hast du denn die  Kenntnisse, dank derer du jetzt  dein  Leben
fristest? Wer hat dich Gemmenschneiden gelehrt -  und Gravieren  und all das
andere? Lesen, schreiben,  sprechen - und essen -  und gehen,  atmen, denken
und fìhlen?"
     Sofort griff ich den Rat meines Innern  auf. Systematisch ging ich mein
Leben zurìck.
     Ich  zwang  mich  in  verkehrter  aber ununterbrochener Reihenfolge  zu
ìberlegen: was ist soeben geschehen, was war der Ausgangspunkt dazu, was lag
vor diesem und so weiter?
     Wieder  war  ich bei dem  gewissen Torbogen angelangt - - jetzt! Jetzt!
Nur ein kleiner Sprung ins Leere und der Abgrund, der mich von dem Vergessen
trennte,  muŸte ìberflogen sein - da trat ein Bild vor mich, das ich auf der
Rìckwanderung meiner Gedanken ìbersehen hatte: Schemajah Hillel fuhr mir mit
der Hand ìber die Augen - genau wie vorhin unten in seinem Zimmer.
     Und weggewischt war alles. Sogar der Wunsch, weiter zu forschen.
     Nur eins stand fest als bleibender Gewinn:  die  Erkenntnis:  die Reihe
der Begebenheiten im Leben ist eine Sackgasse, so breit und gangbar sie auch
zu  sein  scheint.  Die  schmalen,  verborgenen  Steige sind's,  die  in die
verlorene Heimat  zurìckfìhren: das, was mit feiner, kaum sichtbarer Schrift
in unserem Kærper eingraviert ist, und nicht  die scheuŸliche Narbe, die die
Raspel des  ¤uŸeren  Lebens  hinterlaŸt,  -  birgt die  Læsung  der  letzten
Geheimnisse.
     So,  wie ich zurìckfinden kænnte in die Tage meiner jugend, wenn ich in
der  Fibel das Alphabet in verkehrter  Folge  vorn¤hme von Z bis A,  um dort
anzulangen, wo ich in der Schule  zu lernen  begonnen, -  so,  begriff  ich,
muŸte ich auch wandern kænnen in die andere ferne Heimat, die jenseits allen
Denkens liegt.
     Eine Weltkugel an Arbeit w¤lzte sich auf meine Schultern. Auch Herkules
trug eine Zeitlang das Gewælbe des  Himmels auf seinem Haupte, fiel mir ein,
und versteckte  Bedeutung  schimmerte  mir  aus  der Sage entgegen.  Und wie
Herkules wieder loskam  durch eine List, indem er den Riesen Atlas bat: "LaŸ
mich  nur  einen Bausch  von Stricken  um  den Kopf binden,  damit  mir  die
entsetzliche Last nicht das Gehirn zersprengt", so g¤be es vielleicht  einen
dunklen Weg - d¤mmerte mir - von dieser Klippe weg.
     Ein tiefer  Argwohn, der Fìhrerschaft  meiner Gedanken weiter blind  zu
vertrauen, beschlich mich plætzlich. Ich legte mich gerade und verschloŸ mit
den  Fingern Augen und Ohren, um nicht abgelenkt zu  werden durch die Sinne.
Um jeden Gedanken zu tæten.
     Doch mein Wille zerschellte an dem ehernen Gesetz: Ich konnte immer nur
einen Gedanken durch einen  anderen vertreiben,  und  starb der  eine, schon
m¤stete sich der n¤chste an seinem Fleische. Ich flìchtete in den brausenden
Strom meines  Blutes, aber die Gedanken folgten mir auf dem FuŸ; ich verbarg
mich  im H¤mmerwerk  meines  Herzens: nur eine kleine Weile, und sie  hatten
mich entdeckt.
     Abermals  kam  mir da  Hillels freundliche Stimme zu  Hilfe und  sagte:
"Bleib  auf  deinem  Weg  und wanke  nicht!  Der  Schlìssel  zur  Kunst  des
Vergessens gehært unseren Brìdern, die den  Pfad des  Todes wandeln; du aber
bist geschw¤ngert vom Geiste des - Lebens."
     Das  Buch Ibbur erschien  vor mir,  und zwei Buchstaben  flammten darin
auf: der eine, der das erzene Weib  bedeutete, mit dem Pulsschlag,  m¤chtig,
gleich  einem Erdbeben, - der andere in  unendlicher Ferne: der Hermaphrodit
auf dem Thron von Perlmutter, auf dem Haupte die Krone aus rotem Holz.
     Dann  fuhr  Schemajah Hillel ein drittes Mal mit der  Hand  ìber  meine
Augen, und ich schlummerte ein.
        Schnee
     "Mein lieber und verehrter Meister Pernath!
     Ich schreibe Ihnen diesen Brief in fliegender Eile und  hæchster Angst.
Bitte, vernichten  Sie ihn  sofort,  nachdem  Sie ihn gelesen  haben, - oder
besser noch, bringen  Sie ihn mir  samt Kuvert mit.  - Ich h¤tte keine  Ruhe
sonst.
     Sagen  Sie keiner Menschenseele, daŸ  ich Ihnen geschrieben habe.  Auch
nicht, wohin Sie heute gehen werden!
     Ihr ehrliches gutes Gesicht hat  mir  - "neulich" - (Sie  werden  durch
diese kurze Anspielung auf ein Ereignis,  dessen  Zeuge  Sie waren, erraten,
wer  Ihnen  diesen Brief  schreibt,  denn  ich fìrchte  mich,  meinen  Namen
darunter  zu  setzen)  -  so viel Vertrauen eingeflæŸt, und weiter,  daŸ Ihr
lieber, seliger Vater mich als Kind  unterrichtet hat,  - alles das gibt mir
den Mut, mich an Sie, als vielleicht den einzigen  Menschen, der noch helfen
kann, zu wenden.
     Ich flehe Sie an, kommen  Sie  heute, abends um 5 Uhr, in die Domkirche
auf dem Hradschin."
     Eine Ihnen bekannte Dame.
     Ich legte  mich zu  Bett  und wollte schlafen,  aber  der Schlummer kam
nicht,  und ich  geriet stattdessen in einen  sonderbaren Zustand, der weder
Tr¤umen war, noch Wachen, noch Schlafen.
     Das  Licht hatte ich ausgelæscht, aber trotzdem war alles in der  Stube
so deutlich, daŸ ich  jede  einzelne  Form genau unterscheiden konnte. Dabei
fìhlte  ich mich vollkommen  behaglich und frei  von der gewissen qualvollen
Unruhe, die einen foltert, wenn man sich in ¤hnlicher Verfassung befindet.
     Nie  vorher in  meinem Leben w¤re ich imstande gewesen, so  scharf  und
pr¤zis zu  denken wie  eben  jetzt. Der Rhythmus der Gesundheit durchstræmte
meine  Nerven  und ordnete meine Gedanken in Reih' und Glied wie eine Armee,
die nur auf meine Befehle wartete.
     Ich brauchte bloŸ zu  rufen, und sie traten vor mich und erfìllten, was
ich wìnschte.
     Eine  Gemme,  die  ich in  den  letzten Wochen  aus  Aventurinstein  zu
schneiden versucht hatte, - ohne damit  zurechtzukommen, da sich die  vielen
zerstreuten  Flimmer in  dem  Mineral niemals  mit den  Gesichtszìgen decken
wollten, die ich  mir vorgestellt,  - fiel mir  ein, und im  Nu sah  ich die
Læsung vor mir und wuŸte genau, wie ich den Stichel zu  fìhren hatte, um der
Struktur der Masse gerecht zu werden.
     Ehedem  Sklave einer Horde phantastischer Eindrìcke und Traumgesichter,
von denen ich oft nicht  gewuŸt: waren es Ideen  oder Gefìhle,  sah ich mich
jetzt plætzlich als Herr und Kænig im eigenen Reich.
     Rechenexempel, die ich frìher  nur mit „chzen und auf dem Papier  h¤tte
bew¤ltigen  kænnen,  fìgten sich  mir  mit einem  Mal im Kopf  spielend  zum
Resultat.  Alles mit Hilfe einer  neuen, in  mir erwachten F¤higkeit, das zu
sehen  und  festzuhalten,   was   ich  gerade  brauchte:  Ziffern,   Formen,
Gegenst¤nde  oder  Farben. Und  wenn es sich um  Fragen handelte,  die durch
derlei  Werkzeuge  nicht  zu  læsen  waren:  - philosophische  Probleme  und
¤hnliches  -, so  trat  an  Stelle des inneren Sehens  das Gehær, wobei  die
Stimme Schemajah Hillels die Rolle des Sprechers ìbernahm.
     Erkenntnisse seltsamster Art wurden mir zuteil.
     Was ich tausendmal im Leben achtlos als bloŸes Wort an meinem Ohr hatte
vorìbergehen  lassen,  stand wertgetr¤nkt  bis in die tiefste Faser vor mir;
was  ich  "auswendig"  gelernt,  "erfaŸte" ich  mit  einem  Schlag  als mein
"Eigen"tum. Der Wortbildung Geheimnisse, die ich nie geahnt, lagen nackt vor
mir.
     Die "hohen" Ideale  der Menschheit,  die  vordem  mit kommerzienr¤tlich
biederer  Miene,  die Pathosbrust mit  Orden bekleckst, mich  von oben herab
behandelt hatten,  -  demìtig nahmen  sie jetzt die Maske von der Fratze und
entschuldigten sich:  sie seien selber ja nur Bettler, aber immerhin Krìcken
fìr - einen noch frecheren Schwindel.
     Tr¤umte ich nicht  vielleicht doch? Hatte ich etwa gar nicht mit Hillel
gesprochen?
     Ich griff nach dem Sessel neben meinem Bett.
     Richtig: dort lag die Kerze, die  mir  Schemajah  mitgegeben hatte; und
selig wie ein kleiner Junge  in der Christfestnacht, der sich ìberzeugt hat,
daŸ der wundervolle Hampelmann wirklich und leibhaftig vorhanden ist, wìhlte
ich mich wieder in die Kissen.
     Und wie ein Spìrhund drang ich weiter vor in das Dickicht der geistigen
R¤tsel, die mich rings umgaben.
     Zuerst versuchte ich zu dem Punkt in meinem Leben zurìckzugelangen, bis
zu dem meine Erinnerung  reichte. Nur von dort aus - glaubte ich - kænnte es
mir mæglich sein, jenen  Teil  meines Daseins zu ìberblicken, der  fìr mich,
durch eine seltsame Fìgung des Schicksals in Finsternis gehìllt lag.
     Aber wie  sehr ich mich auch bemìhte, ich kam nicht weiter, als daŸ ich
mich wie einst  in dem dìsteren Hofe unseres Hauses stehen sah und durch den
Torbogen den Trædlerladen des Aaron  Wassertrum unterschied - als ob ich ein
Jahrhundert lang als  Gemmenschneider  in diesem Hause  gewohnt h¤tte, immer
gleich alt und ohne jemals ein Kind gewesen zu sein!
     Schon wollte ich  es als hoffnungslos aufgeben, weiter  zu  schìrfen in
den Sch¤chten  der Vergangenheit,  da begriff ich  plætzlich mit leuchtender
Klarheit,  daŸ  in   meiner  Erinnerung  wohl  die   breite  HeerstraŸe  der
Geschehnisse  mit dem gewissen Torbogen endete, nicht aber eine Menge winzig
schmaler FuŸsteige, die wohl  bisher den Hauptpfad st¤ndig begleitet hatten,
von mir jedoch nicht beachtet worden  waren. "Woher", schrie es  mir fast in
die  Ohren,  "hast du denn die  Kenntnisse, dank derer du jetzt  dein  Leben
fristest? Wer hat dich Gemmenschneiden gelehrt -  und Gravieren  und all das
andere? Lesen, schreiben,  sprechen - und essen -  und gehen,  atmen, denken
und fìhlen?"
     Sofort griff ich den Rat meines Innern  auf. Systematisch ging ich mein
Leben zurìck.
     Ich  zwang  mich  in  verkehrter  aber ununterbrochener Reihenfolge  zu
ìberlegen: was ist soeben geschehen, was war der Ausgangspunkt dazu, was lag
vor diesem und so weiter?
     Wieder  war  ich bei dem  gewissen Torbogen angelangt - - jetzt! Jetzt!
Nur ein kleiner Sprung ins Leere und der Abgrund, der mich von dem Vergessen
trennte,  muŸte ìberflogen sein - da trat ein Bild vor mich, das ich auf der
Rìckwanderung meiner Gedanken ìbersehen hatte: Schemajah Hillel fuhr mir mit
der Hand ìber die Augen - genau wie vorhin unten in seinem Zimmer.
     Und weggewischt war alles. Sogar der Wunsch, weiter zu forschen.
     Nur eins stand fest als bleibender Gewinn:  die  Erkenntnis:  die Reihe
der Begebenheiten im Leben ist eine Sackgasse, so breit und gangbar sie auch
zu  sein  scheint.  Die  schmalen,  verborgenen  Steige sind's,  die  in die
verlorene Heimat  zurìckfìhren: das, was mit feiner, kaum sichtbarer Schrift
in unserem Kærper eingraviert ist, und nicht  die scheuŸliche Narbe, die die
Raspel des  ¤uŸeren  Lebens  hinterlaŸt,  -  birgt die  Læsung  der  letzten
Geheimnisse.
     So,  wie ich zurìckfinden kænnte in die Tage meiner jugend, wenn ich in
der  Fibel das Alphabet in verkehrter  Folge  vorn¤hme von Z bis A,  um dort
anzulangen, wo ich in der Schule  zu lernen  begonnen, -  so,  begriff  ich,
muŸte ich auch wandern kænnen in die andere ferne Heimat, die jenseits allen
Denkens liegt.
     Eine Weltkugel an Arbeit w¤lzte sich auf meine Schultern. Auch Herkules
trug eine Zeitlang das Gewælbe des  Himmels auf seinem Haupte, fiel mir ein,
und versteckte  Bedeutung  schimmerte  mir  aus  der Sage entgegen.  Und wie
Herkules wieder loskam  durch eine List, indem er den Riesen Atlas bat: "LaŸ
mich  nur  einen Bausch  von Stricken  um  den Kopf binden,  damit  mir  die
entsetzliche Last nicht das Gehirn zersprengt", so g¤be es vielleicht  einen
dunklen Weg - d¤mmerte mir - von dieser Klippe weg.
     Ein tiefer  Argwohn, der Fìhrerschaft  meiner Gedanken weiter blind  zu
vertrauen, beschlich mich plætzlich. Ich legte mich gerade und verschloŸ mit
den  Fingern Augen und Ohren, um nicht abgelenkt zu  werden durch die Sinne.
Um jeden Gedanken zu tæten.
     Doch mein Wille zerschellte an dem ehernen Gesetz: Ich konnte immer nur
einen Gedanken durch einen  anderen vertreiben,  und  starb der  eine, schon
m¤stete sich der n¤chste an seinem Fleische. Ich flìchtete in den brausenden
Strom meines  Blutes, aber die Gedanken folgten mir auf dem FuŸ; ich verbarg
mich  im H¤mmerwerk  meines  Herzens: nur eine kleine Weile, und sie  hatten
mich entdeckt.
     Abermals  kam  mir da  Hillels freundliche Stimme zu  Hilfe und  sagte:
"Bleib  auf  deinem  Weg  und wanke  nicht!  Der  Schlìssel  zur  Kunst  des
Vergessens gehært unseren Brìdern, die den  Pfad des  Todes wandeln; du aber
bist geschw¤ngert vom Geiste des - Lebens."
     Das  Buch Ibbur erschien  vor mir,  und zwei Buchstaben  flammten darin
auf: der eine, der das erzene Weib  bedeutete, mit dem Pulsschlag,  m¤chtig,
gleich  einem Erdbeben, - der andere in  unendlicher Ferne: der Hermaphrodit
auf dem Thron von Perlmutter, auf dem Haupte die Krone aus rotem Holz.
     Dann  fuhr  Schemajah Hillel ein drittes Mal mit der  Hand  ìber  meine
Augen, und ich schlummerte ein.
        Schnee
     "Mein lieber und verehrter Meister Pernath!
     Ich schreibe Ihnen diesen Brief in fliegender Eile und  hæchster Angst.
Bitte, vernichten  Sie ihn  sofort,  nachdem  Sie ihn gelesen  haben, - oder
besser noch, bringen  Sie ihn mir  samt Kuvert mit.  - Ich h¤tte keine  Ruhe
sonst.
     Sagen  Sie keiner Menschenseele, daŸ  ich Ihnen geschrieben habe.  Auch
nicht, wohin Sie heute gehen werden!
     Ihr ehrliches gutes Gesicht hat  mir  - "neulich" - (Sie  werden  durch
diese kurze Anspielung auf ein Ereignis,  dessen  Zeuge  Sie waren, erraten,
wer  Ihnen  diesen Brief  schreibt,  denn  ich fìrchte  mich,  meinen  Namen
darunter  zu  setzen)  -  so viel Vertrauen eingeflæŸt, und weiter,  daŸ Ihr
lieber, seliger Vater mich als Kind  unterrichtet hat,  - alles das gibt mir
den Mut, mich an Sie, als vielleicht den einzigen  Menschen, der noch helfen
kann, zu wenden.
     Ich flehe Sie an, kommen  Sie  heute, abends um 5 Uhr, in die Domkirche
auf dem Hradschin."
     Eine Ihnen bekannte Dame.
      Wohl eine  Viertelstunde  lang saŸ  ich da und hielt  den  Brief in der
Hand.  Die seltsame,  weihevolle Stimmung,  die mich  von  gestern nacht her
umfangen  gehalten, war  mit  einem  Schlag  gewichen, -  weggeweht von  dem
frischen  Windhauch  eines neuen irdischen Tages.  Ein junges  Schicksal kam
l¤chelnd  und verheiŸungsvoll  -  ein  Frìhlingskind  -  auf  mich  zu.  Ein
Menschenherz suchte Hilfe bei  mir. - Bei mir! Wie sah meine Stube plætzlich
so anders aus! Der  wurmstichige, geschnitzte Schrank  blickte  so zufrieden
drein, und die vier Sessel kamen mir  vor wie  alte Leute, die um den  Tisch
herumsitzen und behaglich kichernd Tarock spielen.
     Meine  Stunden hatten einen Inhalt bekommen, einen Inhalt voll Reichtum
und Glanz.
     So sollte der morsche Baum noch Frìchte tragen?
     Ich fìhlte,  wie  mich eine lebendige  Kraft durchrieselte,  die bisher
schlafen gelegen in  mir - verborgen  gewesen in den  Tiefen  meiner  Seele,
verschìttet von dem Geræll, das der  Alltag h¤uft, wie eine Quelle losbricht
aus dem Eis, wenn der Winter zerbricht.
     Und ich wuŸte so gewiŸ, wie ich den Brief  in der  Hand  hielt, daŸ ich
wìrde  helfen kænnen,  um was es auch ginge. Der Jubel in  meinem Herzen gab
mir die Sicherheit.
     Wieder und  wieder las  ich  die  Stelle: "und weiter,  daŸ Ihr  lieber
seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat -  - -"; - mir  stand der  Atem
still. Klang das  nicht wie  VerheiŸung:  "Heute noch  wirst du  mit mir  im
Paradiese  sein?" Die Hand, die sich mir  hinstreckte, Hilfe suchend,  hielt
mir  das Geschenk  entgegen: die Rìckerinnerung, nach der  ich  dìrstete,  -
wìrde  mir  das Geheimnis  offenbaren, den Vorhang  heben  helfen,  der sich
hinter meiner Vergangenheit geschlossen hatte!
     "Ihr  lieber seliger Vater" -  -, wie fremdartig die Worte klangen, als
ich sie  mir  vorsagte! - Vater! - Einen Augenblick sah ich das mìde Gesicht
eines  alten  Mannes  mit  weiŸem Haar in dem Lehnstuhl  neben meiner  Truhe
auftauchen  - fremd,  ganz fremd und  doch so schauerlich bekannt; -  - dann
kamen  meine  Augen  wieder  zu  sich,  und die Hammerlaute  meines  Herzens
schlugen die greifbare Stunde der Gegenwart.
     Erschreckt fuhr ich  auf: hatte ich die Zeit vertr¤umt? Ich blickte auf
die Uhr: Gott sei Lob, erst halb fìnf.
     Ich  ging  in meine  Schlafkammer nebenan,  holte Hut  und  Mantel  und
schritt die Treppen hinab.  Was kìmmerte  mich heute das Geraune der dunklen
Winkel, die  bæsartigen,  engherzigen, verdrossenen Bedenken, die  immer von
ihnen  aufstiegen:  "Wir  lassen dich nicht,  - du bist unser, - wir  wollen
nicht, daŸ du dich freust - das w¤re noch schæner, Freude hier im Haus!"
     Der feine, vergiftete Staub, der sich sonst aus allen diesen G¤ngen und
Ecken her  um  mich gelegt  mit  wìrgenden H¤nden: heute  wich  er  vor  dem
lebendigen Hauch meines Mundes. Einen Augenblick blieb ich stehen an Hillels
Tìr.
     Sollte ich eintreten?
     Eine heimliche Scheu hielt mich ab zu  klopfen. Mir war so ganz  anders
heute, - so, als dìrfe ich gar nicht hinein zu ihm. Und schon trieb mich die
Hand des Lebens vorw¤rts, die Stiegen hinab. - -
     Die Gasse lag weiŸ im Schnee.
     Ich  glaube, daŸ viele  Leute  mich  gegrìŸt  haben; ich  erinnere mich
nicht, ob  ich ihnen gedankt. Immer  wieder fìhlte ich  an die Brust, ob ich
den Brief auch bei mir trìge:
     Es ging eine W¤rme von der Stelle aus. - -
     Wohl eine  Viertelstunde  lang saŸ  ich da und hielt  den  Brief in der
Hand.  Die seltsame,  weihevolle Stimmung,  die mich  von  gestern nacht her
umfangen  gehalten, war  mit  einem  Schlag  gewichen, -  weggeweht von  dem
frischen  Windhauch  eines neuen irdischen Tages.  Ein junges  Schicksal kam
l¤chelnd  und verheiŸungsvoll  -  ein  Frìhlingskind  -  auf  mich  zu.  Ein
Menschenherz suchte Hilfe bei  mir. - Bei mir! Wie sah meine Stube plætzlich
so anders aus! Der  wurmstichige, geschnitzte Schrank  blickte  so zufrieden
drein, und die vier Sessel kamen mir  vor wie  alte Leute, die um den  Tisch
herumsitzen und behaglich kichernd Tarock spielen.
     Meine  Stunden hatten einen Inhalt bekommen, einen Inhalt voll Reichtum
und Glanz.
     So sollte der morsche Baum noch Frìchte tragen?
     Ich fìhlte,  wie  mich eine lebendige  Kraft durchrieselte,  die bisher
schlafen gelegen in  mir - verborgen  gewesen in den  Tiefen  meiner  Seele,
verschìttet von dem Geræll, das der  Alltag h¤uft, wie eine Quelle losbricht
aus dem Eis, wenn der Winter zerbricht.
     Und ich wuŸte so gewiŸ, wie ich den Brief  in der  Hand  hielt, daŸ ich
wìrde  helfen kænnen,  um was es auch ginge. Der Jubel in  meinem Herzen gab
mir die Sicherheit.
     Wieder und  wieder las  ich  die  Stelle: "und weiter,  daŸ Ihr  lieber
seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat -  - -"; - mir  stand der  Atem
still. Klang das  nicht wie  VerheiŸung:  "Heute noch  wirst du  mit mir  im
Paradiese  sein?" Die Hand, die sich mir  hinstreckte, Hilfe suchend,  hielt
mir  das Geschenk  entgegen: die Rìckerinnerung, nach der  ich  dìrstete,  -
wìrde  mir  das Geheimnis  offenbaren, den Vorhang  heben  helfen,  der sich
hinter meiner Vergangenheit geschlossen hatte!
     "Ihr  lieber seliger Vater" -  -, wie fremdartig die Worte klangen, als
ich sie  mir  vorsagte! - Vater! - Einen Augenblick sah ich das mìde Gesicht
eines  alten  Mannes  mit  weiŸem Haar in dem Lehnstuhl  neben meiner  Truhe
auftauchen  - fremd,  ganz fremd und  doch so schauerlich bekannt; -  - dann
kamen  meine  Augen  wieder  zu  sich,  und die Hammerlaute  meines  Herzens
schlugen die greifbare Stunde der Gegenwart.
     Erschreckt fuhr ich  auf: hatte ich die Zeit vertr¤umt? Ich blickte auf
die Uhr: Gott sei Lob, erst halb fìnf.
     Ich  ging  in meine  Schlafkammer nebenan,  holte Hut  und  Mantel  und
schritt die Treppen hinab.  Was kìmmerte  mich heute das Geraune der dunklen
Winkel, die  bæsartigen,  engherzigen, verdrossenen Bedenken, die  immer von
ihnen  aufstiegen:  "Wir  lassen dich nicht,  - du bist unser, - wir  wollen
nicht, daŸ du dich freust - das w¤re noch schæner, Freude hier im Haus!"
     Der feine, vergiftete Staub, der sich sonst aus allen diesen G¤ngen und
Ecken her  um  mich gelegt  mit  wìrgenden H¤nden: heute  wich  er  vor  dem
lebendigen Hauch meines Mundes. Einen Augenblick blieb ich stehen an Hillels
Tìr.
     Sollte ich eintreten?
     Eine heimliche Scheu hielt mich ab zu  klopfen. Mir war so ganz  anders
heute, - so, als dìrfe ich gar nicht hinein zu ihm. Und schon trieb mich die
Hand des Lebens vorw¤rts, die Stiegen hinab. - -
     Die Gasse lag weiŸ im Schnee.
     Ich  glaube, daŸ viele  Leute  mich  gegrìŸt  haben; ich  erinnere mich
nicht, ob  ich ihnen gedankt. Immer  wieder fìhlte ich  an die Brust, ob ich
den Brief auch bei mir trìge:
     Es ging eine W¤rme von der Stelle aus. - -
      Ich  wanderte  durch  die  Bogen  der  gequaderten Laubeng¤nge  auf dem
Altst¤dter Ring und an  dem  Erzbrunnen vorbei, dessen  barockes Gitter voll
Eiszapfen  hing, hinìber ìber die steinerne Brìcke mit ihren Heiligenstatuen
und dem Standbild des Johannes von Nepomuk.
     Unten sch¤umte der FluŸ voll HaŸ gegen die Fundamente.
     Halb im Traum fiel mein Blick auf den gehæhlten Sandstein  der heiligen
Luitgard mit "den Qualen der Verdammten" darin: dicht lag der Schnee auf den
Lidern der BìŸenden und den Ketten an ihren betend erhobenen H¤nden.
     Torbogen nahmen mich auf und  entlieŸen mich, Pal¤ste zogen  langsam an
mir vorìber, mit geschnitzten, hochmìtigen  Portalen, darinnen Læwenkæpfe in
bronzene Ringe bissen.
     Auch  hier  ìberall  Schnee, Schnee. Weich, weiŸ  wie  das  Fell  eines
riesigen Eisb¤ren.
     Hohe, stolze  Fenster,  die  Simse  beglitzert  und  vereist,  schauten
teilnahmslos zu den Wolken empor.
     Ich wunderte mich, wie der Himmel so voll ziehender Vægel war.
     Als ich die  unz¤hligen Granitstufen emporstieg zum  Hradschin, jede so
breit,  wie  wohl vier Menschenleiber lang sind, versank  Schritt um Schritt
die Stadt mit ihren D¤chern und Giebeln vor meinem Sinn. - - -
     Ich  wanderte  durch  die  Bogen  der  gequaderten Laubeng¤nge  auf dem
Altst¤dter Ring und an  dem  Erzbrunnen vorbei, dessen  barockes Gitter voll
Eiszapfen  hing, hinìber ìber die steinerne Brìcke mit ihren Heiligenstatuen
und dem Standbild des Johannes von Nepomuk.
     Unten sch¤umte der FluŸ voll HaŸ gegen die Fundamente.
     Halb im Traum fiel mein Blick auf den gehæhlten Sandstein  der heiligen
Luitgard mit "den Qualen der Verdammten" darin: dicht lag der Schnee auf den
Lidern der BìŸenden und den Ketten an ihren betend erhobenen H¤nden.
     Torbogen nahmen mich auf und  entlieŸen mich, Pal¤ste zogen  langsam an
mir vorìber, mit geschnitzten, hochmìtigen  Portalen, darinnen Læwenkæpfe in
bronzene Ringe bissen.
     Auch  hier  ìberall  Schnee, Schnee. Weich, weiŸ  wie  das  Fell  eines
riesigen Eisb¤ren.
     Hohe, stolze  Fenster,  die  Simse  beglitzert  und  vereist,  schauten
teilnahmslos zu den Wolken empor.
     Ich wunderte mich, wie der Himmel so voll ziehender Vægel war.
     Als ich die  unz¤hligen Granitstufen emporstieg zum  Hradschin, jede so
breit,  wie  wohl vier Menschenleiber lang sind, versank  Schritt um Schritt
die Stadt mit ihren D¤chern und Giebeln vor meinem Sinn. - - -
      Schon schlich die D¤mmerung die  H¤userreihen entlang, da trat ich  auf
den einsamen Platz, aus dessen Mitte der Dom aufragt zum Thron der Engel.
     FuŸstapfen - die R¤nder mit Krusten aus Eis - fìhrten hin zum Nebentor.
     Von irgendwo  aus  einer  fernen  Wohnung klangen leise, verlorene Tæne
eines Harmoniums in  die Abendstille hinaus. Wie Tr¤nentropfen der Schwermut
fielen sie in die Verlassenheit.
     Ich  hærte  hinter   mir   das  Seufzen  des  Schlagpolsters,  wie  die
Kirchentìre mich  aufnahm, dann stand ich  im Dunkel, und der  goldene Altar
blinkte in starrer Ruhe herìber zu mir durch den  grìnen und blauen Schimmer
sterbenden  Lichtes, das  durch  die  farbigen  Fenster  auf  die  Betstìhle
niedersank. Funken sprìhten aus roten, gl¤sernen Ampeln.
     Welker Duft von Wachs und Weihrauch.
     Ich lehnte mich in eine  Bank.  Mein Blut ward seltsam still  in diesem
Reich der Regungslosigkeit.
     Ein  Leben  ohne  Herzschlag  erfìllte  den  Raum  -  ein   heimliches,
geduldiges Warten.
     Die silbernen Reliquienschreine lagen im ewigen Schlaf.
     Da! -  Aus weiter,  weiter  Ferne  drang  das  Ger¤usch von Pferdehufen
ged¤mpft, kaum merklich an mein Ohr, wollte n¤her kommen und verstummte.
     Ein matter Schall, wie wenn ein Wagenschlag zuf¤llt. - - -
     Schon schlich die D¤mmerung die  H¤userreihen entlang, da trat ich  auf
den einsamen Platz, aus dessen Mitte der Dom aufragt zum Thron der Engel.
     FuŸstapfen - die R¤nder mit Krusten aus Eis - fìhrten hin zum Nebentor.
     Von irgendwo  aus  einer  fernen  Wohnung klangen leise, verlorene Tæne
eines Harmoniums in  die Abendstille hinaus. Wie Tr¤nentropfen der Schwermut
fielen sie in die Verlassenheit.
     Ich  hærte  hinter   mir   das  Seufzen  des  Schlagpolsters,  wie  die
Kirchentìre mich  aufnahm, dann stand ich  im Dunkel, und der  goldene Altar
blinkte in starrer Ruhe herìber zu mir durch den  grìnen und blauen Schimmer
sterbenden  Lichtes, das  durch  die  farbigen  Fenster  auf  die  Betstìhle
niedersank. Funken sprìhten aus roten, gl¤sernen Ampeln.
     Welker Duft von Wachs und Weihrauch.
     Ich lehnte mich in eine  Bank.  Mein Blut ward seltsam still  in diesem
Reich der Regungslosigkeit.
     Ein  Leben  ohne  Herzschlag  erfìllte  den  Raum  -  ein   heimliches,
geduldiges Warten.
     Die silbernen Reliquienschreine lagen im ewigen Schlaf.
     Da! -  Aus weiter,  weiter  Ferne  drang  das  Ger¤usch von Pferdehufen
ged¤mpft, kaum merklich an mein Ohr, wollte n¤her kommen und verstummte.
     Ein matter Schall, wie wenn ein Wagenschlag zuf¤llt. - - -
      Das  Rauschen eines seidenen Kleides war auf mich  zugekommen, und eine
zarte, schmale Damenhand hatte leicht meinen Arm berìhrt.
     "Bitte, bitte, gehen wir doch dort  neben  den Pfeiler; es  widerstrebt
mir, hier in den  Betstìhlen von den Dingen zu sprechen, die ich Ihnen sagen
muŸ."
     Die weihevollen  Bilder  ringsum zerrannen  zu nìchterner Klarheit. Der
Tag hatte mich plætzlich angefaŸt.
     "Ich  weiŸ gar  nicht, wie ich Ihnen  danken soll, Meister Pernath, daŸ
Sie mir zuliebe bei dem schlechten Wetter den langen Weg hier herauf gemacht
haben."
     Ich stotterte ein paar banale Worte.
     "-  -  Aber  ich  wuŸte  keinen  andern  Ort,  wo  ich   sicherer   vor
Nachforschung und Gefahr bin, als diesen. Hierher, in den Dom, ist uns gewiŸ
niemand nachgegangen."
     Ich zog den Brief hervor und reichte ihn der Dame.
     Sie war fast ganz vermummt in einen kostbaren Pelz, aber schon am Klang
ihrer Stimme  hatte  ich  sie  wiedererkannt als dieselbe,  die damals  voll
Entsetzen vor  Wassertrum in mein  Zimmer in der HahnpaŸgasse flìchtete. Ich
war auch nicht erstaunt darìber, denn ich hatte niemand anderen erwartet.
     Meine  Augen  hingen  an  ihrem  Gesicht,  das  in  der  D¤mmerung  der
Mauernische  wohl  noch blasser schien, als es in Wirklichkeit sein  mochte.
Ihre  Schænheit  benahm  mir fast den  Atem, und ich stand  wie  gebannt. Am
liebsten w¤re ich vor ihr niedergefallen und h¤tte ihre FìŸe gekìŸt, daŸ sie
es war, der ich helfen sollte, daŸ sie mich dazu erw¤hlt hatte.
     Das  Rauschen eines seidenen Kleides war auf mich  zugekommen, und eine
zarte, schmale Damenhand hatte leicht meinen Arm berìhrt.
     "Bitte, bitte, gehen wir doch dort  neben  den Pfeiler; es  widerstrebt
mir, hier in den  Betstìhlen von den Dingen zu sprechen, die ich Ihnen sagen
muŸ."
     Die weihevollen  Bilder  ringsum zerrannen  zu nìchterner Klarheit. Der
Tag hatte mich plætzlich angefaŸt.
     "Ich  weiŸ gar  nicht, wie ich Ihnen  danken soll, Meister Pernath, daŸ
Sie mir zuliebe bei dem schlechten Wetter den langen Weg hier herauf gemacht
haben."
     Ich stotterte ein paar banale Worte.
     "-  -  Aber  ich  wuŸte  keinen  andern  Ort,  wo  ich   sicherer   vor
Nachforschung und Gefahr bin, als diesen. Hierher, in den Dom, ist uns gewiŸ
niemand nachgegangen."
     Ich zog den Brief hervor und reichte ihn der Dame.
     Sie war fast ganz vermummt in einen kostbaren Pelz, aber schon am Klang
ihrer Stimme  hatte  ich  sie  wiedererkannt als dieselbe,  die damals  voll
Entsetzen vor  Wassertrum in mein  Zimmer in der HahnpaŸgasse flìchtete. Ich
war auch nicht erstaunt darìber, denn ich hatte niemand anderen erwartet.
     Meine  Augen  hingen  an  ihrem  Gesicht,  das  in  der  D¤mmerung  der
Mauernische  wohl  noch blasser schien, als es in Wirklichkeit sein  mochte.
Ihre  Schænheit  benahm  mir fast den  Atem, und ich stand  wie  gebannt. Am
liebsten w¤re ich vor ihr niedergefallen und h¤tte ihre FìŸe gekìŸt, daŸ sie
es war, der ich helfen sollte, daŸ sie mich dazu erw¤hlt hatte.
      "Vergessen Sie, ich  bitte Sie von Herzen darum,  -  wenigstens solange
wir hier sind - die Situation, in der Sie mich damals gesehen haben", sprach
sie  gepreŸt  weiter, "ich weiŸ auch gar  nicht, wie  Sie ìber  solche Dinge
denken - -"
     "Ich bin  ein  alter  Mann geworden, aber  kein  einziges Mal in meinem
Leben  war ich  so vermessen, daŸ  ich mich Richter gedìnkt h¤tte ìber meine
Mitmenschen", war das einzige, was ich hervorbrachte.
     "Ich danke Ihnen, Meister Pernath", sagte sie warm  und  schlicht. "Und
jetzt  hæren Sie mich geduldig an, ob  Sie  mir in meiner Verzweiflung nicht
helfen oder wenigstens einen Rat geben kænnen." - Ich fìhlte, wie eine wilde
Angst sie packte, und hærte ihre Stimme  zittern. - "Damals - - im Atelier -
- - damals  brach  die schreckliche GewiŸheit  ìber mich  herein,  daŸ jener
grauenhafte Oger mir mit  Vorbedacht  nachgespìrt hat.  - Schon durch Monate
war mir  aufgefallen, daŸ, wohin ich auch immer  ging, - ob allein, oder mit
meinem  Gatten,  oder  mit -  -  -  mit  -  mit  Dr. Savioli,  -  stets  das
entsetzliche  Verbrechergesicht  dieses   Trædlers  irgendwo   in  der  N¤he
auftauchte. Im Schlaf und im Wachen verfolgten mich seine schielenden Augen.
Noch  macht sich  ja  kein Zeichen  bemerkbar, was er  vorhat,  aber  um  so
qualvoller drosselt mich nachts die Angst: wann wirft er mir die Schlinge um
den Hals!
     Anfangs  wollte  mich  Dr.  Savioli  damit beruhigen,  was  denn so ein
armseliger  Trædler  wie  dieser  Aaron  Wassertrum  ìberhaupt  vermæchte  -
schlimmsten Falles kænnte es  sich nur um eine geringfìgige Erpressung  oder
dergleichen handeln, aber jedesmal  wurden seine  Lippen weiŸ, wenn der Name
Wassertrum  fiel. Ich ahne: Dr. Savioli h¤lt mir  etwas  geheim, um  mich zu
beruhigen, - irgend  etwas Furchtbares, was ihn oder  mich das Leben  kosten
kann.
     Und dann  erfuhr ich, was er mir sorgsam  verheimlichen wollte: daŸ ihn
der  Trædler mehrere Male  des Nachts  in seiner Wohnung besucht hat!  - Ich
weiŸ es, ich spìre es in jeder Faser meines Kærpers: es geht etwas  vor, das
sich langsam um  uns zusammenzieht wie  die Ringe einer  Schlange. - Was hat
dieser Mærder dort zu suchen? Warum kann Dr. Savioli ihn  nicht abschìtteln?
Nein, nein, ich sehe  das nicht  l¤nger  mit an; ich muŸ  etwas  tun. Irgend
etwas, ehe es mich in den Wahnsinn treibt."
     Ich wollte ihr ein paar Worte des Trostes entgegnen, aber sie lieŸ mich
nicht zu Ende sprechen.
     "Und in den letzten Tagen  nahm der  Alp, der  mich zu erwìrgen  droht,
immer greifbarere  Formen an. Dr. Savioli ist plætzlich erkrankt, - ich kann
mich  nicht mehr  mit ihm verst¤ndigen  -  darf ihn nicht besuchen, wenn ich
nicht stìndlich gew¤rtigen soll, daŸ meine Liebe zu ihm entdeckt wird -;  er
liegt in Delirien,  und das  einzige, was  ich erkunden konnte, ist,  daŸ er
sich im Fieber  von einem Scheusal verfolgt w¤hnt, dessen  Lippen von  einer
Hasenscharte gespalten sind: - Aaron Wassertrum!
     Ich weiŸ,  wie mutig Dr. Savioli ist; um  so entsetzlicher - kænnen Sie
sich  das  vorstellen? - wirkt es auf  mich,  ihn jetzt  gel¤hmt  vor  einer
Gefahr, die ich selbst nur wie die dunkle N¤he eines grauenhaften Wìrgengels
empfinde, zusammengebrochen zu sehen.
     Sie werden sagen, ich sei feige, und warum ich mich denn nicht offen zu
Dr.  Savioli bekenne,  alles  von mir wìrfe, wenn ich  ihn doch so  liebe -:
alles, Reichtum, Ehre, Ruf  und  so weiter,  aber  -" sie schrie es færmlich
heraus, daŸ es  widerhallte von den  Chorgalerien, - "ich kann nicht!  - Ich
hab' doch mein Kind, mein liebes, blondes, kleines M¤del! Ich kann doch mein
Kind  nicht hergeben! - Glauben Sie denn, mein Mann  lieŸe es mir?!  Da, da,
nehmen Sie das, Meister  Pernath" - sie riŸ im  Wahnwitz ein T¤schchen  auf,
das  vollgestopft war  mit Perlenschnìren und Edelsteinen - "und bringen Sie
es dem Verbrecher; - ich weiŸ, er ist habsìchtig - er soll sich alles holen,
was ich  besitze, aber  mein Kind soll er mir lassen. - Nicht  wahr, er wird
schweigen? - So reden Sie doch  um Jesu  Christi willen,  sagen Sie nur  ein
Wort, daŸ Sie mir helfen wollen!"
     Es  gelang mir mit græŸter Mìhe,  die Rasende  wenigstens  so  weit  zu
beruhigen, daŸ sie sich auf eine Bank niederlieŸ.
     Ich  sprach  zu   ihr,  wie  es  mir  der   Augenblick  eingab.  Wirre,
zusammenhanglose S¤tze.
     Gedanken jagten dabei  in meinem Hirn, so daŸ ich selbst kaum verstand,
was mein Mund redete, - Ideen phantastischer Art, die  zusammenbrachen, kaum
daŸ sie geboren waren.
     Geistesabwesend haftete  mein Blick auf einer bemalten  Mænchsstatue in
der Wandnische. Ich redete und redete. Allm¤hlich verwandelten sich die Zìge
der   Statue,   die  Kutte   wurde   ein  fadenscheiniger   œberzieher   mit
hochgeklapptem Kragen,  und ein jugendliches Gesicht mit  abgezehrten Wangen
und hektischen Flecken wuchs daraus empor.
     Ehe ich  die  Vision verstehen konnte, war  der  Mænch wieder da. Meine
Pulse schlugen zu laut.
     Die unglìckliche  Frau  hatte sich ìber  meine Hand gebeugt  und weinte
still.
     Ich gab ihr von der Kraft, die  in mich eingezogen war in  der  Stunde,
als  ich  den  Brief gelesen  hatte,  und  mich jetzt  abermals  ìberm¤chtig
erfìllte, und ich sah, wie sie langsam daran genas.
     "Ich will  Ihnen sagen,  warum  ich mich gerade  an  Sie gewendet habe,
Meister Pernath",  fing sie nach langem Schweigen leise wieder an. "Es waren
ein  paar Worte, die Sie mir einmal gesagt haben - und die ich nie vergessen
konnte die vielen Jahre hindurch - -"
     Vor vielen Jahren? Mir gerann das Blut.
     "- -  Sie  nahmen Abschied von mir - ich weiŸ nicht  mehr,  weshalb und
wieso, ich war ja noch ein Kind, - und Sie sagten so  freundlich und doch so
traurig:
     ›Es  wird wohl nie die Zeit kommen, aber gedenken Sie meiner, wenn  Sie
je im Leben  nicht aus noch ein wissen.  Vielleicht gibt mir Gott der  Herr,
daŸ  ich  es dann  sein  darf,  der  Ihnen  hilft.‹ -  Ich habe mich  damals
abgewendet und rasch meinen Ball  in den Springbrunnen fallen lassen,  damit
Sie meine Tr¤nen nicht sehen  sollten. Und dann  wollte ich Ihnen  das  rote
Korallenherz schenken, das ich  an einem Seidenband um den  Hals  trug, aber
ich sch¤mte mich, weil das gar so l¤cherlich gewesen w¤re." - - -
     Erinnerung!
     - Die Finger des Starrkrampfes tasteten nach meiner Kehle. Ein Schimmer
wie  aus  einem vergessenen,  fernen  Land  der  Sehnsucht trat  vor mich  -
unvermittelt und  schreckhaft:  Ein  kleines  M¤dchen  in  weiŸem  Kleid und
ringsum  die  dunkle  Wiese  eines  SchloŸparks,  von  alten  Ulmen ums¤umt.
Deutlich sah ich es wieder vor mir. - -
     "Vergessen Sie, ich  bitte Sie von Herzen darum,  -  wenigstens solange
wir hier sind - die Situation, in der Sie mich damals gesehen haben", sprach
sie  gepreŸt  weiter, "ich weiŸ auch gar  nicht, wie  Sie ìber  solche Dinge
denken - -"
     "Ich bin  ein  alter  Mann geworden, aber  kein  einziges Mal in meinem
Leben  war ich  so vermessen, daŸ  ich mich Richter gedìnkt h¤tte ìber meine
Mitmenschen", war das einzige, was ich hervorbrachte.
     "Ich danke Ihnen, Meister Pernath", sagte sie warm  und  schlicht. "Und
jetzt  hæren Sie mich geduldig an, ob  Sie  mir in meiner Verzweiflung nicht
helfen oder wenigstens einen Rat geben kænnen." - Ich fìhlte, wie eine wilde
Angst sie packte, und hærte ihre Stimme  zittern. - "Damals - - im Atelier -
- - damals  brach  die schreckliche GewiŸheit  ìber mich  herein,  daŸ jener
grauenhafte Oger mir mit  Vorbedacht  nachgespìrt hat.  - Schon durch Monate
war mir  aufgefallen, daŸ, wohin ich auch immer  ging, - ob allein, oder mit
meinem  Gatten,  oder  mit -  -  -  mit  -  mit  Dr. Savioli,  -  stets  das
entsetzliche  Verbrechergesicht  dieses   Trædlers  irgendwo   in  der  N¤he
auftauchte. Im Schlaf und im Wachen verfolgten mich seine schielenden Augen.
Noch  macht sich  ja  kein Zeichen  bemerkbar, was er  vorhat,  aber  um  so
qualvoller drosselt mich nachts die Angst: wann wirft er mir die Schlinge um
den Hals!
     Anfangs  wollte  mich  Dr.  Savioli  damit beruhigen,  was  denn so ein
armseliger  Trædler  wie  dieser  Aaron  Wassertrum  ìberhaupt  vermæchte  -
schlimmsten Falles kænnte es  sich nur um eine geringfìgige Erpressung  oder
dergleichen handeln, aber jedesmal  wurden seine  Lippen weiŸ, wenn der Name
Wassertrum  fiel. Ich ahne: Dr. Savioli h¤lt mir  etwas  geheim, um  mich zu
beruhigen, - irgend  etwas Furchtbares, was ihn oder  mich das Leben  kosten
kann.
     Und dann  erfuhr ich, was er mir sorgsam  verheimlichen wollte: daŸ ihn
der  Trædler mehrere Male  des Nachts  in seiner Wohnung besucht hat!  - Ich
weiŸ es, ich spìre es in jeder Faser meines Kærpers: es geht etwas  vor, das
sich langsam um  uns zusammenzieht wie  die Ringe einer  Schlange. - Was hat
dieser Mærder dort zu suchen? Warum kann Dr. Savioli ihn  nicht abschìtteln?
Nein, nein, ich sehe  das nicht  l¤nger  mit an; ich muŸ  etwas  tun. Irgend
etwas, ehe es mich in den Wahnsinn treibt."
     Ich wollte ihr ein paar Worte des Trostes entgegnen, aber sie lieŸ mich
nicht zu Ende sprechen.
     "Und in den letzten Tagen  nahm der  Alp, der  mich zu erwìrgen  droht,
immer greifbarere  Formen an. Dr. Savioli ist plætzlich erkrankt, - ich kann
mich  nicht mehr  mit ihm verst¤ndigen  -  darf ihn nicht besuchen, wenn ich
nicht stìndlich gew¤rtigen soll, daŸ meine Liebe zu ihm entdeckt wird -;  er
liegt in Delirien,  und das  einzige, was  ich erkunden konnte, ist,  daŸ er
sich im Fieber  von einem Scheusal verfolgt w¤hnt, dessen  Lippen von  einer
Hasenscharte gespalten sind: - Aaron Wassertrum!
     Ich weiŸ,  wie mutig Dr. Savioli ist; um  so entsetzlicher - kænnen Sie
sich  das  vorstellen? - wirkt es auf  mich,  ihn jetzt  gel¤hmt  vor  einer
Gefahr, die ich selbst nur wie die dunkle N¤he eines grauenhaften Wìrgengels
empfinde, zusammengebrochen zu sehen.
     Sie werden sagen, ich sei feige, und warum ich mich denn nicht offen zu
Dr.  Savioli bekenne,  alles  von mir wìrfe, wenn ich  ihn doch so  liebe -:
alles, Reichtum, Ehre, Ruf  und  so weiter,  aber  -" sie schrie es færmlich
heraus, daŸ es  widerhallte von den  Chorgalerien, - "ich kann nicht!  - Ich
hab' doch mein Kind, mein liebes, blondes, kleines M¤del! Ich kann doch mein
Kind  nicht hergeben! - Glauben Sie denn, mein Mann  lieŸe es mir?!  Da, da,
nehmen Sie das, Meister  Pernath" - sie riŸ im  Wahnwitz ein T¤schchen  auf,
das  vollgestopft war  mit Perlenschnìren und Edelsteinen - "und bringen Sie
es dem Verbrecher; - ich weiŸ, er ist habsìchtig - er soll sich alles holen,
was ich  besitze, aber  mein Kind soll er mir lassen. - Nicht  wahr, er wird
schweigen? - So reden Sie doch  um Jesu  Christi willen,  sagen Sie nur  ein
Wort, daŸ Sie mir helfen wollen!"
     Es  gelang mir mit græŸter Mìhe,  die Rasende  wenigstens  so  weit  zu
beruhigen, daŸ sie sich auf eine Bank niederlieŸ.
     Ich  sprach  zu   ihr,  wie  es  mir  der   Augenblick  eingab.  Wirre,
zusammenhanglose S¤tze.
     Gedanken jagten dabei  in meinem Hirn, so daŸ ich selbst kaum verstand,
was mein Mund redete, - Ideen phantastischer Art, die  zusammenbrachen, kaum
daŸ sie geboren waren.
     Geistesabwesend haftete  mein Blick auf einer bemalten  Mænchsstatue in
der Wandnische. Ich redete und redete. Allm¤hlich verwandelten sich die Zìge
der   Statue,   die  Kutte   wurde   ein  fadenscheiniger   œberzieher   mit
hochgeklapptem Kragen,  und ein jugendliches Gesicht mit  abgezehrten Wangen
und hektischen Flecken wuchs daraus empor.
     Ehe ich  die  Vision verstehen konnte, war  der  Mænch wieder da. Meine
Pulse schlugen zu laut.
     Die unglìckliche  Frau  hatte sich ìber  meine Hand gebeugt  und weinte
still.
     Ich gab ihr von der Kraft, die  in mich eingezogen war in  der  Stunde,
als  ich  den  Brief gelesen  hatte,  und  mich jetzt  abermals  ìberm¤chtig
erfìllte, und ich sah, wie sie langsam daran genas.
     "Ich will  Ihnen sagen,  warum  ich mich gerade  an  Sie gewendet habe,
Meister Pernath",  fing sie nach langem Schweigen leise wieder an. "Es waren
ein  paar Worte, die Sie mir einmal gesagt haben - und die ich nie vergessen
konnte die vielen Jahre hindurch - -"
     Vor vielen Jahren? Mir gerann das Blut.
     "- -  Sie  nahmen Abschied von mir - ich weiŸ nicht  mehr,  weshalb und
wieso, ich war ja noch ein Kind, - und Sie sagten so  freundlich und doch so
traurig:
     ›Es  wird wohl nie die Zeit kommen, aber gedenken Sie meiner, wenn  Sie
je im Leben  nicht aus noch ein wissen.  Vielleicht gibt mir Gott der  Herr,
daŸ  ich  es dann  sein  darf,  der  Ihnen  hilft.‹ -  Ich habe mich  damals
abgewendet und rasch meinen Ball  in den Springbrunnen fallen lassen,  damit
Sie meine Tr¤nen nicht sehen  sollten. Und dann  wollte ich Ihnen  das  rote
Korallenherz schenken, das ich  an einem Seidenband um den  Hals  trug, aber
ich sch¤mte mich, weil das gar so l¤cherlich gewesen w¤re." - - -
     Erinnerung!
     - Die Finger des Starrkrampfes tasteten nach meiner Kehle. Ein Schimmer
wie  aus  einem vergessenen,  fernen  Land  der  Sehnsucht trat  vor mich  -
unvermittelt und  schreckhaft:  Ein  kleines  M¤dchen  in  weiŸem  Kleid und
ringsum  die  dunkle  Wiese  eines  SchloŸparks,  von  alten  Ulmen ums¤umt.
Deutlich sah ich es wieder vor mir. - -
      Ich muŸte mich verf¤rbt  haben; ich merkte  es an der Hast, mit der sie
fortfuhr: "Ich weiŸ ja, daŸ Ihre Worte damals nur der Stimmung des Abschieds
entsprangen, aber  sie  waren  mir  oft ein Trost und - und ich  danke Ihnen
dafìr."
     Mit aller  Kraft biŸ ich  die Z¤hne zusammen  und  jagte  den heulenden
Schmerz, der mich zerfetzte, in die Brust zurìck.
     Ich  verstand: Eine gn¤dige  Hand war es gewesen,  die die  Riegel  vor
meiner Erinnerung  zugeschoben hatte.  Klar stand jetzt in meinem BewuŸtsein
geschrieben, was ein kurzer  Schimmer  aus alten Tagen herìbergetragen: Eine
Liebe,  die  fìr  mein Herz  zu  stark gewesen, hatte fìr Jahre mein  Denken
zernagt, und die Nacht des Irrsinns war damals der Balsam fìr  meinen wunden
Geist geworden.
     Allm¤hlich senkte sich die Ruhe des Erstorbenseins ìber mich und kìhlte
die Tr¤nen hinter  meinen Augenlidern. Der Hall  von  Glocken zog ernst  und
stolz durch den Dom, und ich konnte freudig l¤chelnd der in die Augen sehen,
die gekommen war, Hilfe bei mir zu suchen.
     Ich muŸte mich verf¤rbt  haben; ich merkte  es an der Hast, mit der sie
fortfuhr: "Ich weiŸ ja, daŸ Ihre Worte damals nur der Stimmung des Abschieds
entsprangen, aber  sie  waren  mir  oft ein Trost und - und ich  danke Ihnen
dafìr."
     Mit aller  Kraft biŸ ich  die Z¤hne zusammen  und  jagte  den heulenden
Schmerz, der mich zerfetzte, in die Brust zurìck.
     Ich  verstand: Eine gn¤dige  Hand war es gewesen,  die die  Riegel  vor
meiner Erinnerung  zugeschoben hatte.  Klar stand jetzt in meinem BewuŸtsein
geschrieben, was ein kurzer  Schimmer  aus alten Tagen herìbergetragen: Eine
Liebe,  die  fìr  mein Herz  zu  stark gewesen, hatte fìr Jahre mein  Denken
zernagt, und die Nacht des Irrsinns war damals der Balsam fìr  meinen wunden
Geist geworden.
     Allm¤hlich senkte sich die Ruhe des Erstorbenseins ìber mich und kìhlte
die Tr¤nen hinter  meinen Augenlidern. Der Hall  von  Glocken zog ernst  und
stolz durch den Dom, und ich konnte freudig l¤chelnd der in die Augen sehen,
die gekommen war, Hilfe bei mir zu suchen.
      Wieder hærte ich das dumpfe Fallen des Wagenschlags und das Trappen der
Hufe. - - -
     Wieder hærte ich das dumpfe Fallen des Wagenschlags und das Trappen der
Hufe. - - -
      Durch nachtblauglitzernden Schnee ging ich hinab in die Stadt.
     Die   Laternen   staunten  mich  an  mit  zwinkernden  Augen,  und  aus
geschichteten  Bergen  von Tannenb¤umen raunte es von Flitter  und silbernen
Nìssen und vom kommenden Christfest.
     Auf dem Rathausplatz an der Mariens¤ule  murmelten bei Kerzenglanz  die
alten  Bettelweiber  mit  den  grauen  Kopftìchern  der  Muttergottes  ihren
Rosenkranz.
     Vor  dem  dunklen  Eingang  zur   Judenstadt   hockten  die  Buden  des
Weihnachtsmarktes. Mitten  darin, mit rotem Tuch bespannt, leuchtete  grell,
von   schwelenden   Fackeln   beschienen,    die    offene    Bìhne    eines
Marionettentheaters.
     Zwakhs Policcinell in  Purpur und Violett, die Peitsche in der Hand und
daran  an  der  Schnur  einen  Totensch¤del,  ritt  klappernd auf  hælzernem
Schimmel ìber die Bretter.
     In  Reihen  fest  aneinander   gedr¤ngt  starrten  die  Kleinen  -  die
Pelzmìtzen  tief  ìber die  Ohren gezogen  -  mit offenem  Munde  hinauf und
lauschten  gebannt den  Versen  des  Prager Dichters Oskar Wiener, die  mein
Freund Zwakh da drinnen im Kasten sprach:
     "Ganz vorne schritt ein Hampelmann,
     Der Kerl war mager wie ein Dichter
     Und hatte bunte Lappen an
     Und torkelte und schnitt Gesichter." - - -
     Durch nachtblauglitzernden Schnee ging ich hinab in die Stadt.
     Die   Laternen   staunten  mich  an  mit  zwinkernden  Augen,  und  aus
geschichteten  Bergen  von Tannenb¤umen raunte es von Flitter  und silbernen
Nìssen und vom kommenden Christfest.
     Auf dem Rathausplatz an der Mariens¤ule  murmelten bei Kerzenglanz  die
alten  Bettelweiber  mit  den  grauen  Kopftìchern  der  Muttergottes  ihren
Rosenkranz.
     Vor  dem  dunklen  Eingang  zur   Judenstadt   hockten  die  Buden  des
Weihnachtsmarktes. Mitten  darin, mit rotem Tuch bespannt, leuchtete  grell,
von   schwelenden   Fackeln   beschienen,    die    offene    Bìhne    eines
Marionettentheaters.
     Zwakhs Policcinell in  Purpur und Violett, die Peitsche in der Hand und
daran  an  der  Schnur  einen  Totensch¤del,  ritt  klappernd auf  hælzernem
Schimmel ìber die Bretter.
     In  Reihen  fest  aneinander   gedr¤ngt  starrten  die  Kleinen  -  die
Pelzmìtzen  tief  ìber die  Ohren gezogen  -  mit offenem  Munde  hinauf und
lauschten  gebannt den  Versen  des  Prager Dichters Oskar Wiener, die  mein
Freund Zwakh da drinnen im Kasten sprach:
     "Ganz vorne schritt ein Hampelmann,
     Der Kerl war mager wie ein Dichter
     Und hatte bunte Lappen an
     Und torkelte und schnitt Gesichter." - - -
      Ich bog in  die  Gasse  ein,  die schwarz  und  winklig  auf den  Platz
mìndete.  Dicht, Kopf an Kopf,  stand lautlos eine Menschenmenge  da in  der
Finsternis vor einem Anschlagzettel.
     Ein Mann hatte ein Streichholz angezìndet, und ich konnte einige Zeilen
bruchstìckweise lesen.  Mit  dumpfen Sinnen  nahm mein  BewuŸtsein  ein paar
Worte auf:
     VermiŸt!
     1000 fl Belohnung
     „lterer Herr... schwarz gekleidet...
     ......... Signalement:
     ... fleischiges, glattrasiertes Gesicht......
     ...... Haarfarbe: weiŸ.........
     .. Polizeidirektion... Zimmer Nr....
     Wunschlos, teilnahmslos, ein lebender Leichnam, ging ich langsam hinein
in die lichtlosen H¤userreihen.
     Eine  Handvoll  winziger  Sterne glitzerte auf  dem  schmalen,  dunklen
Himmelsweg ìber den Giebeln.
     Friedvoll  schweiften meine Gedanken  zurìck in den  Dom, und die  Ruhe
meiner Seele wurde noch beseligender und tiefer, da drang vom Platz herìber,
schneidend klar  -  als  stìnde  sie dicht an  meinem Ohr  - die  Stimme des
Marionettenspielers durch die Winterluft:
     "Wo ist das Herz aus rotem Stein?
     Es hing an einem Seidenbande
     Und funkelte im Frìhrotschein." - - -
        Spuk
     Bis tief in die Nacht hatte ich ruhelos mein Zimmer durchmessen und mir
das Gehirn zermartert, wie ich "ihr" Hilfe bringen kænnte.
     Oft war ich nahe daran gewesen, hinunter zu Schemajah Hillel zu  gehen,
ihm zu erz¤hlen, was mir  anvertraut worden, und ihn  um Rat zu bitten. Aber
jedesmal verwarf ich den EntschluŸ.
     Er stand im Geist so riesengroŸ vor mir, daŸ es eine Entweihung schien,
ihn mit Dingen, die das ¤uŸere Leben betrafen,  zu  behelligen,  dann wieder
kamen  Momente,  wo mich brennende  Zweifel befielen, ob ich in Wirklichkeit
alles das erlebt h¤tte, was nur eine kurze Spanne Zeit zurìcklag und doch so
seltsam verblaŸt schien, verglichen mit den lebenstrotzenden Erlebnissen des
verflossenen Tages.
     Hatte  ich  nicht  doch  getr¤umt?  Durfte ich -  ein  Mensch, dem  das
Unerhærte  geschehen war, daŸ er seine Vergangenheit vergessen hatte, - auch
nur eine Sekunde lang als GewiŸheit  annehmen, wofìr als einziger Zeuge bloŸ
meine Erinnerung die Hand aufhob?
     Mein  Blick  fiel auf die Kerze Hillels, die immer  noch auf dem Sessel
lag. Gott  sei  Dank,  wenigstens das eine  stand fest:  ich  war mit ihm in
persænlicher Berìhrung gewesen!
     Sollte  ich  nicht ohne  Besinnen  hinunterlaufen  zu  ihm,  seine Knie
umfassen und wie Mensch  zu Mensch ihm  klagen, daŸ ein  uns¤gliches  Weh an
meinem Herzen fraŸ?
     Schon hielt ich die Klinke in der Hand, da lieŸ ich wieder los; ich sah
voraus,  was kommen wìrde: Hillel wìrde mir mild ìber die Augen fahren und -
- - nein, nein, nur das nicht! Ich  hatte kein Recht, Linderung zu begehren.
"Sie" vertraute  auf mich und  meine Hilfe, und wenn die Gefahr, in der  sie
sich fìhlte, mir in Momenten auch klein und nichtig erscheinen mochte, - sie
empfand sie sicherlich als riesengroŸ!
     Hillel um Rat zu bitten, blieb morgen Zeit  - ich zwang mich, kalt  und
nìchtern  zu denken; - ihn jetzt -  mitten in der Nacht zu stæren? - es ging
nicht an. So wìrde nur ein Verrìckter handeln.
     Ich wollte die  Lampe  anzìnden;  dann  lieŸ ich  es wieder  sein:  der
Abglanz des Mondlichts fiel von den  D¤chern gegenìber herein in mein Zimmer
und  gab mehr Helle, als  ich brauchte. Und ich fìrchtete, die Nacht  kænnte
noch langsamer vergehen, wenn ich Licht machte.
     Es  lag  so   viel  Hoffnungslosigkeit  in  dem  Gedanken,  die   Lampe
anzuzìnden, nur  um den  Tag zu erwarten, - eine leise Angst sagte mir,  der
Morgen rìcke dadurch in unerlebbare Ferne.
     Ich  trat ans Fenster: Wie ein gespenstischer, in der Luft  schwebender
Friedhof lagen  die Reihen verschnærkelter Giebel dort oben -  Leichensteine
mit  verwitterten Jahreszahlen, getìrmt ìber die dunklen  Modergrìfte, diese
"Wohnst¤tten", darein  sich das  Gewimmel  der  Lebenden  Hæhlen  und  G¤nge
genagt.
     Lange  stand  ich so und starrte hinauf, bis ich mich leise, ganz leise
zu wundern begann, warum ich denn nicht aufschr¤ke, wo doch ein Ger¤usch von
verhaltenen Schritten durch die Mauern neben mir deutlich an mein Ohr drang.
     Ich  horchte hin:  Kein Zweifel, wieder ging da ein Mensch.  Das  kurze
„chzen der Dielen verriet, wie seine Sohle zægernd schlich.
     Mit einem Schlage war  ich ganz bei mir. Ich wurde færmlich kleiner, so
preŸte sich  alles in mir zusammen unter  dem Druck  des  Willens, zu hæren.
Jedes Zeitempfinden gerann zu Gegenwart.
     Noch  ein  rasches Knistern,  das  vor sich  selbst erschrak und hastig
abbrach.  Dann  Totenstille. Jene  lauernde,  grauenhafte  Stille,  die  ihr
eigener Verr¤ter ist und Minuten ins Ungeheuerliche wachsen macht.
     Regungslos stand ich, das Ohr an die Wand gedrìckt, das drohende Gefìhl
in der Kehle, daŸ drìben einer stand, genauso wie ich und dasselbe tat.
     Ich lauschte und lauschte:
     Nichts.
     Der Atelierraum nebenan schien wie abgestorben.
     Lautlos  -  auf  den Zehenspitzen - stahl  ich  mich an den Sessel  bei
meinem Bett, nahm Hillels Kerze und zìndete sie an.
     Dann ìberlegte ich:  Die eiserne Speichertìre drauŸen auf dem Gang, die
zum Atelier Saviolis fìhrte, ging nur von drìben aufzuklinken.
     Aufs  Geratewohl  ergriff ich ein hakenfærmiges Stìck Draht,  das unter
meinen Graviersticheln auf dem Tische  lag: derlei Schlæsser springen leicht
auf. Schon beim ersten Druck auf die Riegelfeder!
     Und was wìrde dann geschehen?
     Nur  Aaron Wassertrum konnte  es sein,  der  da  nebenan spionierte,  -
vielleicht  in K¤sten wìhlte, um  neue  Waffen  und Beweise in die  Hand  zu
bekommen, legte ich mir zurecht.
     Ob es viel nìtzen wìrde, wenn ich dazwischen trat?
     Ich besann mich nicht lang:  handeln, nicht denken! Nur dies furchtbare
Warten auf den Morgen zerfetzen!
     Und schon stand ich vor der  eisernen Bodentìre, drìckte dagegen, schob
vorsichtig  den Haken ins  SchloŸ und  horchte.  Richtig:  Ein  schleifendes
Ger¤uch drinnen im Atelier, wie wenn jemand eine Schublade aufzieht.
     Im n¤chsten Augenblick schnellte der Riegel zurìck.
     Ich konnte das Zimmer ìberblicken und sah,  obwohl  es fast finster war
und meine Kerze mich nur blendete,  wie ein  Mann in langem schwarzem Mantel
entsetzt vor  einem Schreibtisch aufsprang, - eine Sekunde lang unschlìssig,
wohin sich wenden, - eine Bewegung machte, als wolle er auf mich losstìrzen,
sich dann den Hut vom Kopf riŸ und hastig damit sein Gesicht bedeckte.
     "Was suchen Sie hier!" wollte ich rufen, doch der Mann kam mir zuvor:
     "Pernath! Sie sind's?  Gotteswillen! Das Licht weg!" Die Stimme kam mir
bekannt vor, war aber keinesfalls die des Trædlers Wassertrum.
     Automatisch blies ich die Kerze aus.
     Das Zimmer lag halbdunkel da  - nur von  dem schimmrigen Dunst, der aus
der Fensternische  hereindrang, matt  erhellt  - genau  wie meines, und  ich
muŸte  meine  Augen  aufs ¤uŸerste anstrengen,  ehe ich  in dem abgezehrten,
hektischen Gesicht, das  plætzlich ìber dem  Mantel auftauchte, die Zìge des
Studenten Charousek erkennen konnte.
     "Der Mænch!"  dr¤ngte  es sich mir auf die  Zunge  und ich verstand mit
einem Mal die Vision,  die ich gestern im Dom gehabt! Charousek! Das war der
Mann, an den ich mich wenden sollte! - Und ich hærte seine Worte wieder, die
er damals im Regen unter dem Torbogen gesagt  hatte: "Aaron Wassertrum  wird
es schon erfahren, daŸ man mit vergifteten, unsichtbaren Nadeln durch Mauern
stechen kann. Genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will."
     Hatte ich an Charousek einen Bundesgenossen?  WuŸte  er ebenfalls,  was
sich zugetragen? Sein Hiersein  zu so ungewæhnlicher Stunde lieŸ fast darauf
schlieŸen, aber ich scheute mich, die direkte Frage an ihn zu richten.
     Er  war  ans Fenster geeilt und sp¤hte hinter dem Vorhang hinunter  auf
die Gasse.
     Ich erriet: er fìrchtete, Wassertrum kænne den Lichtschein meiner Kerze
wahrgenommen haben.
     "Sie denken gewiŸ,  ich  sei ein Dieb, daŸ  ich nachts  hier  in  einer
fremden Wohnung herumsuche,  Meister Pernath," fing er nach langem Schweigen
mit unsicherer Stimme an, "aber ich schwære Ihnen - -"
     Ich fiel ihm sofort in die Rede und beruhigte ihn.
     Und um ihm  zu zeigen, daŸ ich keinerlei  MiŸtrauen gegen ihn hegte, in
ihm  vielmehr  einen  Bundesgenossen  sah,  erz¤hlte  ich  ihm  mit  kleinen
Einschr¤nkungen,  die  ich fìr  nætig hielt, welche Bewandtnis  es  mit  dem
Atelier  habe, und  daŸ  ich fìrchte, eine Frau, die  mir nahestehe,  sei in
Gefahr, den erpresserischen Gelìsten des  Trædlers  in irgendwelcher Art zum
Opfer zu fallen.
     Aus der hæflichen Weise, mit  der  er mir zuhærte, ohne mich mit Fragen
zu  unterbrechen,  entnahm ich, daŸ  er das meiste bereits wuŸte,  wenn auch
vielleicht nicht in Einzelheiten.
     "Es stimmt schon",  sagte er grìbelnd, als  ich  zu Ende  gekommen war.
"Habe ich mich also doch nicht geirrt! Der Kerl  will Savioli  an die Gurgel
fahren,  das  ist  klar,  aber offenbar hat  er  noch  nicht genug  Material
beisammen. Weshalb wìrde er sich sonst noch hier immerw¤hrend  herumdrìcken!
Ich ging n¤mlich gestern, sagen wir mal: ›zuf¤llig‹ durch die HahnpaŸgasse,"
erklarte er, als er  meine  fragende  Miene bemerkte, "da fiel  mir auf, daŸ
Wassertrum erst lange - scheinbar unbefangen  - vor dem Tor unten auf und ab
schlenderte, dann aber,  als er sich unbeobachtet  glaubte,  rasch  ins Haus
bog. Ich ging  ihm sofort nach und tat so,  als wollte ich Sie besuchen, das
heiŸt,  ich klopfte  bei  Ihnen  an, und dabei ìberraschte  ich  ihn, wie er
drauŸen  an  der  eisernen  Bodentìr  mit  einem  Schlìssel  herumhantierte.
Natìrlich gab er es augenblicklich auf, als ich kam, und  klopfte  ebenfalls
als  Vorwand bei Ihnen an.  Sie schienen ìbrigens  nicht zu Hause gewesen zu
sein, denn es æffnete niemand.
     Als ich mich dann  vorsichtig in der Judenstadt erkundigte, erfuhr ich,
daŸ jemand,  der nach den Schilderungen nur Dr.  Savioli  sein konnte,  hier
heimlich  ein  Absteigequartier  bes¤Ÿe. Da Dr.  Savioli  schwerkrank liegt,
reimte ich mir das ìbrige zurecht.
     Sehen Sie: und  das da habe ich  aus den Schubladen zusammengesucht, um
Wassertrum  fìr alle F¤lle zuvorzukommen", schloŸ  Charousek und deutete auf
ein  Paket  Briefe  auf  dem  Schreibtisch;   "es  ist  alles,  was  ich  an
Schriftstìcken finden konnte. Hoffentlich ist  sonst nichts  mehr vorhanden.
Wenigstens habe ich in s¤mtlichen Truhen und Schr¤nken gestæbert, so gut das
in der Finsternis ging."
     Meine Augen  durchforschten bei seiner  Rede  das  Zimmer  und  blieben
unwillkìrlich  auf  einer Falltìre am Boden  haften. Ich entsann mich  dabei
dunkel, daŸ Zwakh mir irgendwann erz¤h
     Ich bog in  die  Gasse  ein,  die schwarz  und  winklig  auf den  Platz
mìndete.  Dicht, Kopf an Kopf,  stand lautlos eine Menschenmenge  da in  der
Finsternis vor einem Anschlagzettel.
     Ein Mann hatte ein Streichholz angezìndet, und ich konnte einige Zeilen
bruchstìckweise lesen.  Mit  dumpfen Sinnen  nahm mein  BewuŸtsein  ein paar
Worte auf:
     VermiŸt!
     1000 fl Belohnung
     „lterer Herr... schwarz gekleidet...
     ......... Signalement:
     ... fleischiges, glattrasiertes Gesicht......
     ...... Haarfarbe: weiŸ.........
     .. Polizeidirektion... Zimmer Nr....
     Wunschlos, teilnahmslos, ein lebender Leichnam, ging ich langsam hinein
in die lichtlosen H¤userreihen.
     Eine  Handvoll  winziger  Sterne glitzerte auf  dem  schmalen,  dunklen
Himmelsweg ìber den Giebeln.
     Friedvoll  schweiften meine Gedanken  zurìck in den  Dom, und die  Ruhe
meiner Seele wurde noch beseligender und tiefer, da drang vom Platz herìber,
schneidend klar  -  als  stìnde  sie dicht an  meinem Ohr  - die  Stimme des
Marionettenspielers durch die Winterluft:
     "Wo ist das Herz aus rotem Stein?
     Es hing an einem Seidenbande
     Und funkelte im Frìhrotschein." - - -
        Spuk
     Bis tief in die Nacht hatte ich ruhelos mein Zimmer durchmessen und mir
das Gehirn zermartert, wie ich "ihr" Hilfe bringen kænnte.
     Oft war ich nahe daran gewesen, hinunter zu Schemajah Hillel zu  gehen,
ihm zu erz¤hlen, was mir  anvertraut worden, und ihn  um Rat zu bitten. Aber
jedesmal verwarf ich den EntschluŸ.
     Er stand im Geist so riesengroŸ vor mir, daŸ es eine Entweihung schien,
ihn mit Dingen, die das ¤uŸere Leben betrafen,  zu  behelligen,  dann wieder
kamen  Momente,  wo mich brennende  Zweifel befielen, ob ich in Wirklichkeit
alles das erlebt h¤tte, was nur eine kurze Spanne Zeit zurìcklag und doch so
seltsam verblaŸt schien, verglichen mit den lebenstrotzenden Erlebnissen des
verflossenen Tages.
     Hatte  ich  nicht  doch  getr¤umt?  Durfte ich -  ein  Mensch, dem  das
Unerhærte  geschehen war, daŸ er seine Vergangenheit vergessen hatte, - auch
nur eine Sekunde lang als GewiŸheit  annehmen, wofìr als einziger Zeuge bloŸ
meine Erinnerung die Hand aufhob?
     Mein  Blick  fiel auf die Kerze Hillels, die immer  noch auf dem Sessel
lag. Gott  sei  Dank,  wenigstens das eine  stand fest:  ich  war mit ihm in
persænlicher Berìhrung gewesen!
     Sollte  ich  nicht ohne  Besinnen  hinunterlaufen  zu  ihm,  seine Knie
umfassen und wie Mensch  zu Mensch ihm  klagen, daŸ ein  uns¤gliches  Weh an
meinem Herzen fraŸ?
     Schon hielt ich die Klinke in der Hand, da lieŸ ich wieder los; ich sah
voraus,  was kommen wìrde: Hillel wìrde mir mild ìber die Augen fahren und -
- - nein, nein, nur das nicht! Ich  hatte kein Recht, Linderung zu begehren.
"Sie" vertraute  auf mich und  meine Hilfe, und wenn die Gefahr, in der  sie
sich fìhlte, mir in Momenten auch klein und nichtig erscheinen mochte, - sie
empfand sie sicherlich als riesengroŸ!
     Hillel um Rat zu bitten, blieb morgen Zeit  - ich zwang mich, kalt  und
nìchtern  zu denken; - ihn jetzt -  mitten in der Nacht zu stæren? - es ging
nicht an. So wìrde nur ein Verrìckter handeln.
     Ich wollte die  Lampe  anzìnden;  dann  lieŸ ich  es wieder  sein:  der
Abglanz des Mondlichts fiel von den  D¤chern gegenìber herein in mein Zimmer
und  gab mehr Helle, als  ich brauchte. Und ich fìrchtete, die Nacht  kænnte
noch langsamer vergehen, wenn ich Licht machte.
     Es  lag  so   viel  Hoffnungslosigkeit  in  dem  Gedanken,  die   Lampe
anzuzìnden, nur  um den  Tag zu erwarten, - eine leise Angst sagte mir,  der
Morgen rìcke dadurch in unerlebbare Ferne.
     Ich  trat ans Fenster: Wie ein gespenstischer, in der Luft  schwebender
Friedhof lagen  die Reihen verschnærkelter Giebel dort oben -  Leichensteine
mit  verwitterten Jahreszahlen, getìrmt ìber die dunklen  Modergrìfte, diese
"Wohnst¤tten", darein  sich das  Gewimmel  der  Lebenden  Hæhlen  und  G¤nge
genagt.
     Lange  stand  ich so und starrte hinauf, bis ich mich leise, ganz leise
zu wundern begann, warum ich denn nicht aufschr¤ke, wo doch ein Ger¤usch von
verhaltenen Schritten durch die Mauern neben mir deutlich an mein Ohr drang.
     Ich  horchte hin:  Kein Zweifel, wieder ging da ein Mensch.  Das  kurze
„chzen der Dielen verriet, wie seine Sohle zægernd schlich.
     Mit einem Schlage war  ich ganz bei mir. Ich wurde færmlich kleiner, so
preŸte sich  alles in mir zusammen unter  dem Druck  des  Willens, zu hæren.
Jedes Zeitempfinden gerann zu Gegenwart.
     Noch  ein  rasches Knistern,  das  vor sich  selbst erschrak und hastig
abbrach.  Dann  Totenstille. Jene  lauernde,  grauenhafte  Stille,  die  ihr
eigener Verr¤ter ist und Minuten ins Ungeheuerliche wachsen macht.
     Regungslos stand ich, das Ohr an die Wand gedrìckt, das drohende Gefìhl
in der Kehle, daŸ drìben einer stand, genauso wie ich und dasselbe tat.
     Ich lauschte und lauschte:
     Nichts.
     Der Atelierraum nebenan schien wie abgestorben.
     Lautlos  -  auf  den Zehenspitzen - stahl  ich  mich an den Sessel  bei
meinem Bett, nahm Hillels Kerze und zìndete sie an.
     Dann ìberlegte ich:  Die eiserne Speichertìre drauŸen auf dem Gang, die
zum Atelier Saviolis fìhrte, ging nur von drìben aufzuklinken.
     Aufs  Geratewohl  ergriff ich ein hakenfærmiges Stìck Draht,  das unter
meinen Graviersticheln auf dem Tische  lag: derlei Schlæsser springen leicht
auf. Schon beim ersten Druck auf die Riegelfeder!
     Und was wìrde dann geschehen?
     Nur  Aaron Wassertrum konnte  es sein,  der  da  nebenan spionierte,  -
vielleicht  in K¤sten wìhlte, um  neue  Waffen  und Beweise in die  Hand  zu
bekommen, legte ich mir zurecht.
     Ob es viel nìtzen wìrde, wenn ich dazwischen trat?
     Ich besann mich nicht lang:  handeln, nicht denken! Nur dies furchtbare
Warten auf den Morgen zerfetzen!
     Und schon stand ich vor der  eisernen Bodentìre, drìckte dagegen, schob
vorsichtig  den Haken ins  SchloŸ und  horchte.  Richtig:  Ein  schleifendes
Ger¤uch drinnen im Atelier, wie wenn jemand eine Schublade aufzieht.
     Im n¤chsten Augenblick schnellte der Riegel zurìck.
     Ich konnte das Zimmer ìberblicken und sah,  obwohl  es fast finster war
und meine Kerze mich nur blendete,  wie ein  Mann in langem schwarzem Mantel
entsetzt vor  einem Schreibtisch aufsprang, - eine Sekunde lang unschlìssig,
wohin sich wenden, - eine Bewegung machte, als wolle er auf mich losstìrzen,
sich dann den Hut vom Kopf riŸ und hastig damit sein Gesicht bedeckte.
     "Was suchen Sie hier!" wollte ich rufen, doch der Mann kam mir zuvor:
     "Pernath! Sie sind's?  Gotteswillen! Das Licht weg!" Die Stimme kam mir
bekannt vor, war aber keinesfalls die des Trædlers Wassertrum.
     Automatisch blies ich die Kerze aus.
     Das Zimmer lag halbdunkel da  - nur von  dem schimmrigen Dunst, der aus
der Fensternische  hereindrang, matt  erhellt  - genau  wie meines, und  ich
muŸte  meine  Augen  aufs ¤uŸerste anstrengen,  ehe ich  in dem abgezehrten,
hektischen Gesicht, das  plætzlich ìber dem  Mantel auftauchte, die Zìge des
Studenten Charousek erkennen konnte.
     "Der Mænch!"  dr¤ngte  es sich mir auf die  Zunge  und ich verstand mit
einem Mal die Vision,  die ich gestern im Dom gehabt! Charousek! Das war der
Mann, an den ich mich wenden sollte! - Und ich hærte seine Worte wieder, die
er damals im Regen unter dem Torbogen gesagt  hatte: "Aaron Wassertrum  wird
es schon erfahren, daŸ man mit vergifteten, unsichtbaren Nadeln durch Mauern
stechen kann. Genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will."
     Hatte ich an Charousek einen Bundesgenossen?  WuŸte  er ebenfalls,  was
sich zugetragen? Sein Hiersein  zu so ungewæhnlicher Stunde lieŸ fast darauf
schlieŸen, aber ich scheute mich, die direkte Frage an ihn zu richten.
     Er  war  ans Fenster geeilt und sp¤hte hinter dem Vorhang hinunter  auf
die Gasse.
     Ich erriet: er fìrchtete, Wassertrum kænne den Lichtschein meiner Kerze
wahrgenommen haben.
     "Sie denken gewiŸ,  ich  sei ein Dieb, daŸ  ich nachts  hier  in  einer
fremden Wohnung herumsuche,  Meister Pernath," fing er nach langem Schweigen
mit unsicherer Stimme an, "aber ich schwære Ihnen - -"
     Ich fiel ihm sofort in die Rede und beruhigte ihn.
     Und um ihm  zu zeigen, daŸ ich keinerlei  MiŸtrauen gegen ihn hegte, in
ihm  vielmehr  einen  Bundesgenossen  sah,  erz¤hlte  ich  ihm  mit  kleinen
Einschr¤nkungen,  die  ich fìr  nætig hielt, welche Bewandtnis  es  mit  dem
Atelier  habe, und  daŸ  ich fìrchte, eine Frau, die  mir nahestehe,  sei in
Gefahr, den erpresserischen Gelìsten des  Trædlers  in irgendwelcher Art zum
Opfer zu fallen.
     Aus der hæflichen Weise, mit  der  er mir zuhærte, ohne mich mit Fragen
zu  unterbrechen,  entnahm ich, daŸ  er das meiste bereits wuŸte,  wenn auch
vielleicht nicht in Einzelheiten.
     "Es stimmt schon",  sagte er grìbelnd, als  ich  zu Ende  gekommen war.
"Habe ich mich also doch nicht geirrt! Der Kerl  will Savioli  an die Gurgel
fahren,  das  ist  klar,  aber offenbar hat  er  noch  nicht genug  Material
beisammen. Weshalb wìrde er sich sonst noch hier immerw¤hrend  herumdrìcken!
Ich ging n¤mlich gestern, sagen wir mal: ›zuf¤llig‹ durch die HahnpaŸgasse,"
erklarte er, als er  meine  fragende  Miene bemerkte, "da fiel  mir auf, daŸ
Wassertrum erst lange - scheinbar unbefangen  - vor dem Tor unten auf und ab
schlenderte, dann aber,  als er sich unbeobachtet  glaubte,  rasch  ins Haus
bog. Ich ging  ihm sofort nach und tat so,  als wollte ich Sie besuchen, das
heiŸt,  ich klopfte  bei  Ihnen  an, und dabei ìberraschte  ich  ihn, wie er
drauŸen  an  der  eisernen  Bodentìr  mit  einem  Schlìssel  herumhantierte.
Natìrlich gab er es augenblicklich auf, als ich kam, und  klopfte  ebenfalls
als  Vorwand bei Ihnen an.  Sie schienen ìbrigens  nicht zu Hause gewesen zu
sein, denn es æffnete niemand.
     Als ich mich dann  vorsichtig in der Judenstadt erkundigte, erfuhr ich,
daŸ jemand,  der nach den Schilderungen nur Dr.  Savioli  sein konnte,  hier
heimlich  ein  Absteigequartier  bes¤Ÿe. Da Dr.  Savioli  schwerkrank liegt,
reimte ich mir das ìbrige zurecht.
     Sehen Sie: und  das da habe ich  aus den Schubladen zusammengesucht, um
Wassertrum  fìr alle F¤lle zuvorzukommen", schloŸ  Charousek und deutete auf
ein  Paket  Briefe  auf  dem  Schreibtisch;   "es  ist  alles,  was  ich  an
Schriftstìcken finden konnte. Hoffentlich ist  sonst nichts  mehr vorhanden.
Wenigstens habe ich in s¤mtlichen Truhen und Schr¤nken gestæbert, so gut das
in der Finsternis ging."
     Meine Augen  durchforschten bei seiner  Rede  das  Zimmer  und  blieben
unwillkìrlich  auf  einer Falltìre am Boden  haften. Ich entsann mich  dabei
dunkel, daŸ Zwakh mir irgendwann erz¤h