alle frìhzeitig  under die Erde gebracht. Ich  erinnere mich aus  jener Zeit
ìberhaupt nur noch an kurze Episoden, die wie verblichene  Bilder durch mein
Ged€chtnis  treiben.  So  hat  es  damals  einen  halbblædsinnigen  Menschen
gegeben, der nachts von Schenke zu Schenke zog und den G€sten gegen ein paar
Kreuzer Silhouetten aus schwarzem Papier schnitt. Und wenn man ihn betrunken
machte,  geriet  er  in eine uns€gliche  Traurigkeit,  und unter Tr€nen  und
Schluchzen  schnitzelte  er,  ohne  aufzuhæren,  immer das  gleiche  scharfe
M€dchenprofil, bis sein ganzer Papiervorrat verbraucht war.
     Aus Zusammenh€ngen zu schlieen, die ich  l€ngst vergessen,  hatte er -
fast ein Kind noch - eine gewisse Rosina, wohl die Gromutter  der heutigen,
so heftig geliebt, da er den Verstand darìber verlor.
     Wenn ich die Jahre zurìckz€hle, kann es keine andere als die Gromutter
der jetzigen Rosina gewesen sein." - - -
     Zwakh schwieg und lehnte sich zurìck.
     Das  Schicksal  in diesem Haus irrt  im Kreise  umher  und  kehrt immer
wieder  zum  selben  Punkt zurìck,  fuhr  es  mir durch  den Sinn,  und  ein
h€liches Bild,  das  ich  einmal  mit angesehen - eine Katze mit verletzter
Gehirnh€lfte im Kreise herumtaumelnd - trat vor mein Auge.
      "Jetzt kommt der Kopf", hærte ich  plætzlich den Maler Vrieslander  mit
heller Stimme sagen.
     Und er nahm einen runden Holzklotz aus  der Tasche und begann an ihm zu
schnitzen.
     Eine  schwere Mìdigkeit  legte sich mir ìber die Augen, und  ich rìckte
meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein in den Hintergrund.
     Das Wasser fìr den Punsch brodelte im Kessel, und Josua  Prokop  fìllte
wiederum die Gl€ser.  Leise,  ganz leise  klangen die  Kl€nge der  Tanzmusik
durch  das geschlossene Fenster; - manchmal  verstummten sie  vollends, dann
wiederum wachten sie  ein wenig  auf, wie sie der Wind unterwegs verlor oder
zu uns von der Gasse emportrug.
     Ob  ich  denn nicht  anstoen wolle,  fragte mich  nach einer Weile der
Musiker.
     Ich aber gab  keine Antwort, - so vollkommen war mir der Wille, mich zu
bewegen, abhanden gekommen, da ich gar nicht auf den  Gedanken, den Mund zu
æffnen, verfiel.
     Ich  dachte  ich  schliefe, so  steinern war die innere Ruhe,  die sich
meiner  bem€chtigt hatte. Und ich mute hinìber auf Vrieslanders  funkelndes
Messer blinzeln, das ruhelos  aus  dem  Holz  kleine Sp€ne  bi,  -  um  die
Gewiheit zu erlangen, da ich wach sei.
     In  weiter Ferne brummte Zwakhs  Stimme und  erz€hlte  wieder  allerlei
wunderliche Geschichten  ìber Marionetten  und  krause M€rchen,  die  er fìr
seine Puppenspiele erdacht.
     Auch  von Dr. Savioli  war die  Rede und  von der vornehmen  Dame,  der
Gattin eines Adeligen, die in das versteckte Atelier heimlich zu Savioli  zu
Besuch komme.
     Und   wiederum  sah   ich  im   Geiste  Aaron   Wassertrums  hæhnische,
triumphierende Miene. -
     Ob ich  Zwakh  nicht mitteilen  sollte, was sich damals ereignet hatte,
ìberlegte  ich,  -  dann  hielt  ich  es nicht  der Mìhe  fìr  wert  und fìr
belanglos. Auch  wute ich, da mein Wille versagen wìrde,  wollte ich jetzt
den Versuch machen zu sprechen.
     Plætzlich sahen die drei am Tisch aufmerksam zu mir herìber, und Prokop
sagte ganz laut: "Er ist eingeschlafen", -  so laut, da  es fast klang, als
ob es eine Frage sein sollte.
     Sie redeten mit ged€mpfter Stimme weiter, und ich erkannte, da sie von
mir sprachen.
     Vrieslanders  Schnitzmesser tanzte hin und her  und fing das Licht auf,
das von  der  Lampe niederflo, und der spiegelnde Schein brannte mir in den
Augen.
     Es fiel  ein Wort wie: "irr sein", und ich horchte auf die Rede, die in
der Runde ging.
     "Gebiete, wie  das  vom  Golem sollte man vor Pernath  nie berìhren,"
sagte  Josua  Prokop  vorwurfsvoll, "als  er  vorhin  von  dem  Buche  Ibbur
erz€hlte, schwiegen wir still und fragten nicht  weiter. Ich  mæchte wetten,
er hat alles nur getr€umt."
     Zwakh nickte: "Sie haben ganz  recht. Es ist, wie wenn man  mit offenem
Lichte  eine  verstaubte Kammer betreten wollte, in der morsche Tìcher Decke
und W€nde bespannen und der dìrre Zunder der Vergangenheit fuhoch den Boden
bedeckt; ein flìchtiges Berìhren nur und schon schl€gt das Feuer  aus  allen
Ecken."
     "War Pernath lange im  Irrenhaus? Schade  um  ihn, er  kann  doch  erst
vierzig sein", sagte Vrieslander.
     "Ich wei es nicht, ich  habe auch keine  Vorstellung, woher er stammen
mag  und was  frìher  sein Beruf gewesen  ist.  Aussehen  tut er ja wie  ein
altfranzæsischer Edelmann mit  seiner  schlanken Gestalt und dem  Spitzbart.
Vor vielen vielen Jahren  hat mich ein befreundeter alter Arzt  gebeten, ich
mæchte mich seiner ein wenig annehmen und ihm  eine kleine Wohnung  hier  in
diesen Gassen, wo sich  niemand um  ihn kìmmern und mit Fragen nach frìheren
Zeiten beunruhigen wìrde,  aussuchen."  -  Wieder  sah Zwakh  bewegt zu  mir
herìber. -  "Seit jener  Zeit  lebt er hier,  bessert Antiquit€ten  aus  und
schneidet Gemmen und hat  sich damit einen  kleinen  Wohlstand gegrìndet. Es
ist ein Glìck fìr ihn, da  er alles, was mit seinem Wahnsinn zusammenh€ngt,
vergessen zu haben scheint. Fragen Sie ihn beileibe nur niemals nach Dingen,
die  die Vergangenheit in seiner Erinnerung wachrufen kænnten, - wie oft hat
mir  das  der alte Arzt ans  Herz gelegt! Wissen Sie, Zwakh, sagte er immer,
wir haben so eine gewisse Methode; wir haben seine Krankheit mit vieler Mìhe
eingemauert,  mæchte  ich's  nennen,  -  so  wie   man  eine  Unglìcksst€tte
einfriedet, weil sich an sie eine traurige Erinnerung knìpft." - - -
     Die Rede  des Marionettenspielers  war  auf  mich  zugekommen  wie  ein
Schl€chter auf ein wehrloses Tier und prete mir mit rohen, grausamen H€nden
das Herz zusammen.
     Von  jeher hatte eine dumpfe Qual an mir genagt,  - ein Ahnen, als w€re
mir etwas  genommen  worden und als  h€tte ich  in  meinem Leben eine  lange
Strecke Wegs an einem Abgrunde hin durchschritten wie ein Schlafwandler. Und
nie war es mir gelungen, die Ursache zu ergrìnden.
     Jetzt  lag  des  R€tsels  Læsung  offen  vor   mir   und  brannte  mich
unertr€glich wie eine blogelegte Wunde.
     Mein  krankhafter Widerwillen, der Erinnerung an verflossene Ereignisse
nachzuh€ngen,  -  dann der seltsame, von  Zeit zu Zeit immer  wiederkehrende
Traum, ich  sei in  ein Haus  mit einer Flucht  mir unzug€nglicher  Gem€cher
gesperrt, - das be€ngstigende  Versagen meines  Ged€chtnisses in Dingen, die
meine  Jugendzeit betrafen, - alles das fand mit einem Male seine furchtbare
Erkl€rung: ich war wahnsinnig gewesen und man hatte Hypnose angewandt, hatte
das  - "Zimmer" verschlossen, das die Verbindung  zu jenen Gem€chern  meines
Gehirns  bildete,  und mich zum  Heimatlosen  inmitten  des  mich umgebenden
Lebens gemacht.
     Und keine Aussicht, die verlorene Erinnerung je wieder zu gewinnen!
     Die Triebfedern meines  Denkens  und  Handelns liegen  in einem andern,
vergessenen  Dasein  verborgen, begriff  ich, -  nie wìrde ich  sie erkennen
kænnen: eine verschnittene Pflanze bin ich, ein Reis, das  aus einer fremden
Wurzel sprot.  Gel€nge  es mir  auch, den  Eingang  in jenes  verschlossene
"Zimmer"  zu erzwingen, mìte  ich  nicht  abermals den Gespenstern, die man
darein gebannt, in die H€nde fallen?!
     Die Geschichte von dem Golem, die Zwakh  vor einer Stunde erz€hlte, zog
mir  durch  den  Sinn,  und  plætzlich  erkannte  ich  einen   riesengroen,
geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem sagenhaften Gemach ohne Zugang, in
dem jener Unbekannte wohnen sollte, und meinem bedeutungsvollen Traum.
     Ja!  auch  in  meinem  Falle  "wìrde der  Strick  reien",  wollte  ich
versuchen, in das vergitterte Fenster meines Innern zu blicken.
     Der seltsame Zusammenhang wurde mir  immer deutlicher  und  nahm  etwas
unbeschreiblich Erschreckendes fìr mich an.
     Ich fìhlte: es  sind  da  Dinge -  unfabare -  zusammengeschmiedet und
laufen  wie   blinde  Pferde,  die  nicht  wissen   wohin  der  Weg   fìhrt,
nebeneinander her.
     Auch im  Getto: ein Zimmer, ein  Raum,  dessen Eingang  niemand  finden
kann, - ein schattenhaftes Wesen, das darin wohnt und nur zuweilen durch die
Gassen tappt, um Grauen und Entsetzen unter die Menschen zu tragen! - - -
     Immer  noch schnitzte Vrieslander an dem Kopfe, und das Holz  knirschte
unter der Klinge des Messers.
     Es tat mir  fast  weh, wie ich es hærte,  und ich sah hin, ob  es  denn
nicht bald zu Ende sei.
     Wie der Kopf sich in des  Malers Hand hin und her  wandte, war  es, als
habe er Bewutsein und sp€he von  Winkel zu Winkel. Dann ruhten  seine Augen
lange auf mir, befriedigt, da sie mich endlich gefunden.
     Auch  ich  vermochte meine  Blicke  nicht mehr abzuwenden  und  starrte
unverwandt auf das hælzerne Antlitz.
     Eine Weile schien das Messer des Malers  zægernd etwas  zu suchen, dann
ritzte es entschlossen eine Linie  ein, und plætzlich  gewannen die Zìge des
Holzklotzes schreckhaftes Leben.
     Ich  erkannte  das gelbe Gesicht  des Fremden, der mir damals das  Buch
gebracht.
     Dann konnte ich nichts mehr unterscheiden,  der Anblick hatte nur  eine
Sekunde gedauert, und  ich spìrte,  da  mein Herz  zu schlagen aufhærte und
€ngstlich flatterte.
     Dennoch blieb ich mir - wie damals - des Gesichtes bewut.
     Ich war  es selber  geworden und lag auf Vrieslanders Scho  und sp€hte
umher.
     Meine  Augen  wanderten im  Zimmer umher, und eine fremde Hand  bewegte
meinen Sch€del.
     Dann  sah ich mit einem  Male  Zwakhs aufgeregte Miene  und hærte seine
Worte: Um Gottes willen, das ist ja der Golem!
     Und ein kurzes Ringen  entstand, und man wollte  Vrieslander mit Gewalt
das Schnitzwerk entreien, doch der wehrte sich und rief lachend:
     "Was wollt ihr, es ist doch ganz  und  gar milungen." Und er wand sich
los, æffnete das Fenster und warf den Kopf auf die Gasse hinunter.
     Da  schwand mein Bewutsein,  und ich tauchte in eine tiefe Finsternis,
die von  schimmernden  Goldf€den  durchzogen war, und als  ich,  wie es  mir
schien, nach  einer langen, langen Zeit erwachte, da erst hærte ich das Holz
klappernd auf das Pflaster fallen. - - -
     "Jetzt kommt der Kopf", hærte ich  plætzlich den Maler Vrieslander  mit
heller Stimme sagen.
     Und er nahm einen runden Holzklotz aus  der Tasche und begann an ihm zu
schnitzen.
     Eine  schwere Mìdigkeit  legte sich mir ìber die Augen, und  ich rìckte
meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein in den Hintergrund.
     Das Wasser fìr den Punsch brodelte im Kessel, und Josua  Prokop  fìllte
wiederum die Gl€ser.  Leise,  ganz leise  klangen die  Kl€nge der  Tanzmusik
durch  das geschlossene Fenster; - manchmal  verstummten sie  vollends, dann
wiederum wachten sie  ein wenig  auf, wie sie der Wind unterwegs verlor oder
zu uns von der Gasse emportrug.
     Ob  ich  denn nicht  anstoen wolle,  fragte mich  nach einer Weile der
Musiker.
     Ich aber gab  keine Antwort, - so vollkommen war mir der Wille, mich zu
bewegen, abhanden gekommen, da ich gar nicht auf den  Gedanken, den Mund zu
æffnen, verfiel.
     Ich  dachte  ich  schliefe, so  steinern war die innere Ruhe,  die sich
meiner  bem€chtigt hatte. Und ich mute hinìber auf Vrieslanders  funkelndes
Messer blinzeln, das ruhelos  aus  dem  Holz  kleine Sp€ne  bi,  -  um  die
Gewiheit zu erlangen, da ich wach sei.
     In  weiter Ferne brummte Zwakhs  Stimme und  erz€hlte  wieder  allerlei
wunderliche Geschichten  ìber Marionetten  und  krause M€rchen,  die  er fìr
seine Puppenspiele erdacht.
     Auch  von Dr. Savioli  war die  Rede und  von der vornehmen  Dame,  der
Gattin eines Adeligen, die in das versteckte Atelier heimlich zu Savioli  zu
Besuch komme.
     Und   wiederum  sah   ich  im   Geiste  Aaron   Wassertrums  hæhnische,
triumphierende Miene. -
     Ob ich  Zwakh  nicht mitteilen  sollte, was sich damals ereignet hatte,
ìberlegte  ich,  -  dann  hielt  ich  es nicht  der Mìhe  fìr  wert  und fìr
belanglos. Auch  wute ich, da mein Wille versagen wìrde,  wollte ich jetzt
den Versuch machen zu sprechen.
     Plætzlich sahen die drei am Tisch aufmerksam zu mir herìber, und Prokop
sagte ganz laut: "Er ist eingeschlafen", -  so laut, da  es fast klang, als
ob es eine Frage sein sollte.
     Sie redeten mit ged€mpfter Stimme weiter, und ich erkannte, da sie von
mir sprachen.
     Vrieslanders  Schnitzmesser tanzte hin und her  und fing das Licht auf,
das von  der  Lampe niederflo, und der spiegelnde Schein brannte mir in den
Augen.
     Es fiel  ein Wort wie: "irr sein", und ich horchte auf die Rede, die in
der Runde ging.
     "Gebiete, wie  das  vom  Golem sollte man vor Pernath  nie berìhren,"
sagte  Josua  Prokop  vorwurfsvoll, "als  er  vorhin  von  dem  Buche  Ibbur
erz€hlte, schwiegen wir still und fragten nicht  weiter. Ich  mæchte wetten,
er hat alles nur getr€umt."
     Zwakh nickte: "Sie haben ganz  recht. Es ist, wie wenn man  mit offenem
Lichte  eine  verstaubte Kammer betreten wollte, in der morsche Tìcher Decke
und W€nde bespannen und der dìrre Zunder der Vergangenheit fuhoch den Boden
bedeckt; ein flìchtiges Berìhren nur und schon schl€gt das Feuer  aus  allen
Ecken."
     "War Pernath lange im  Irrenhaus? Schade  um  ihn, er  kann  doch  erst
vierzig sein", sagte Vrieslander.
     "Ich wei es nicht, ich  habe auch keine  Vorstellung, woher er stammen
mag  und was  frìher  sein Beruf gewesen  ist.  Aussehen  tut er ja wie  ein
altfranzæsischer Edelmann mit  seiner  schlanken Gestalt und dem  Spitzbart.
Vor vielen vielen Jahren  hat mich ein befreundeter alter Arzt  gebeten, ich
mæchte mich seiner ein wenig annehmen und ihm  eine kleine Wohnung  hier  in
diesen Gassen, wo sich  niemand um  ihn kìmmern und mit Fragen nach frìheren
Zeiten beunruhigen wìrde,  aussuchen."  -  Wieder  sah Zwakh  bewegt zu  mir
herìber. -  "Seit jener  Zeit  lebt er hier,  bessert Antiquit€ten  aus  und
schneidet Gemmen und hat  sich damit einen  kleinen  Wohlstand gegrìndet. Es
ist ein Glìck fìr ihn, da  er alles, was mit seinem Wahnsinn zusammenh€ngt,
vergessen zu haben scheint. Fragen Sie ihn beileibe nur niemals nach Dingen,
die  die Vergangenheit in seiner Erinnerung wachrufen kænnten, - wie oft hat
mir  das  der alte Arzt ans  Herz gelegt! Wissen Sie, Zwakh, sagte er immer,
wir haben so eine gewisse Methode; wir haben seine Krankheit mit vieler Mìhe
eingemauert,  mæchte  ich's  nennen,  -  so  wie   man  eine  Unglìcksst€tte
einfriedet, weil sich an sie eine traurige Erinnerung knìpft." - - -
     Die Rede  des Marionettenspielers  war  auf  mich  zugekommen  wie  ein
Schl€chter auf ein wehrloses Tier und prete mir mit rohen, grausamen H€nden
das Herz zusammen.
     Von  jeher hatte eine dumpfe Qual an mir genagt,  - ein Ahnen, als w€re
mir etwas  genommen  worden und als  h€tte ich  in  meinem Leben eine  lange
Strecke Wegs an einem Abgrunde hin durchschritten wie ein Schlafwandler. Und
nie war es mir gelungen, die Ursache zu ergrìnden.
     Jetzt  lag  des  R€tsels  Læsung  offen  vor   mir   und  brannte  mich
unertr€glich wie eine blogelegte Wunde.
     Mein  krankhafter Widerwillen, der Erinnerung an verflossene Ereignisse
nachzuh€ngen,  -  dann der seltsame, von  Zeit zu Zeit immer  wiederkehrende
Traum, ich  sei in  ein Haus  mit einer Flucht  mir unzug€nglicher  Gem€cher
gesperrt, - das be€ngstigende  Versagen meines  Ged€chtnisses in Dingen, die
meine  Jugendzeit betrafen, - alles das fand mit einem Male seine furchtbare
Erkl€rung: ich war wahnsinnig gewesen und man hatte Hypnose angewandt, hatte
das  - "Zimmer" verschlossen, das die Verbindung  zu jenen Gem€chern  meines
Gehirns  bildete,  und mich zum  Heimatlosen  inmitten  des  mich umgebenden
Lebens gemacht.
     Und keine Aussicht, die verlorene Erinnerung je wieder zu gewinnen!
     Die Triebfedern meines  Denkens  und  Handelns liegen  in einem andern,
vergessenen  Dasein  verborgen, begriff  ich, -  nie wìrde ich  sie erkennen
kænnen: eine verschnittene Pflanze bin ich, ein Reis, das  aus einer fremden
Wurzel sprot.  Gel€nge  es mir  auch, den  Eingang  in jenes  verschlossene
"Zimmer"  zu erzwingen, mìte  ich  nicht  abermals den Gespenstern, die man
darein gebannt, in die H€nde fallen?!
     Die Geschichte von dem Golem, die Zwakh  vor einer Stunde erz€hlte, zog
mir  durch  den  Sinn,  und  plætzlich  erkannte  ich  einen   riesengroen,
geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem sagenhaften Gemach ohne Zugang, in
dem jener Unbekannte wohnen sollte, und meinem bedeutungsvollen Traum.
     Ja!  auch  in  meinem  Falle  "wìrde der  Strick  reien",  wollte  ich
versuchen, in das vergitterte Fenster meines Innern zu blicken.
     Der seltsame Zusammenhang wurde mir  immer deutlicher  und  nahm  etwas
unbeschreiblich Erschreckendes fìr mich an.
     Ich fìhlte: es  sind  da  Dinge -  unfabare -  zusammengeschmiedet und
laufen  wie   blinde  Pferde,  die  nicht  wissen   wohin  der  Weg   fìhrt,
nebeneinander her.
     Auch im  Getto: ein Zimmer, ein  Raum,  dessen Eingang  niemand  finden
kann, - ein schattenhaftes Wesen, das darin wohnt und nur zuweilen durch die
Gassen tappt, um Grauen und Entsetzen unter die Menschen zu tragen! - - -
     Immer  noch schnitzte Vrieslander an dem Kopfe, und das Holz  knirschte
unter der Klinge des Messers.
     Es tat mir  fast  weh, wie ich es hærte,  und ich sah hin, ob  es  denn
nicht bald zu Ende sei.
     Wie der Kopf sich in des  Malers Hand hin und her  wandte, war  es, als
habe er Bewutsein und sp€he von  Winkel zu Winkel. Dann ruhten  seine Augen
lange auf mir, befriedigt, da sie mich endlich gefunden.
     Auch  ich  vermochte meine  Blicke  nicht mehr abzuwenden  und  starrte
unverwandt auf das hælzerne Antlitz.
     Eine Weile schien das Messer des Malers  zægernd etwas  zu suchen, dann
ritzte es entschlossen eine Linie  ein, und plætzlich  gewannen die Zìge des
Holzklotzes schreckhaftes Leben.
     Ich  erkannte  das gelbe Gesicht  des Fremden, der mir damals das  Buch
gebracht.
     Dann konnte ich nichts mehr unterscheiden,  der Anblick hatte nur  eine
Sekunde gedauert, und  ich spìrte,  da  mein Herz  zu schlagen aufhærte und
€ngstlich flatterte.
     Dennoch blieb ich mir - wie damals - des Gesichtes bewut.
     Ich war  es selber  geworden und lag auf Vrieslanders Scho  und sp€hte
umher.
     Meine  Augen  wanderten im  Zimmer umher, und eine fremde Hand  bewegte
meinen Sch€del.
     Dann  sah ich mit einem  Male  Zwakhs aufgeregte Miene  und hærte seine
Worte: Um Gottes willen, das ist ja der Golem!
     Und ein kurzes Ringen  entstand, und man wollte  Vrieslander mit Gewalt
das Schnitzwerk entreien, doch der wehrte sich und rief lachend:
     "Was wollt ihr, es ist doch ganz  und  gar milungen." Und er wand sich
los, æffnete das Fenster und warf den Kopf auf die Gasse hinunter.
     Da  schwand mein Bewutsein,  und ich tauchte in eine tiefe Finsternis,
die von  schimmernden  Goldf€den  durchzogen war, und als  ich,  wie es  mir
schien, nach  einer langen, langen Zeit erwachte, da erst hærte ich das Holz
klappernd auf das Pflaster fallen. - - -
      "Sie  haben so  fest  geschlafen, da Sie  nicht merkten,  wie  wir Sie
schìttelten,"  - sagte Josua Prokop zu mir,  "der Punsch ist  aus,  und  Sie
haben alles vers€umt."
     Der heie Schmerz ìber das, was ich vorhin mitangehært, ìbermannte mich
wieder, und  ich  wollte aufschreien, da ich nicht getr€umt  habe, als  ich
ihnen von dem  Buche Ibbur  erz€hlte -  und es aus  der Kassette  nehmen und
ihnen zeigen kænne.
     Aber  diese  Gedanken  kamen  nicht  zu  Wort und  konnten die Stimmung
allgemeinen Aufbruches, die meine G€ste ergriffen hatte, nicht durchdringen.
     Zwakh h€ngte mir mit Gewalt den Mantel und und rief:
     "Kommen  Sie  nur  mit zum Loisitschek, Meister Pernath,  es  wird Ihre
Lebensgeister erfrischen."
        Nacht
     Willenlos hatte ich mich von Zwakh die Treppe hinunterfìhren lassen.
     Ich spìrte  den Geruch des  Nebels, der von  der Strae ins Haus drang,
deutlicher und deutlicher werden. Josua Prokop und Vrieslander  waren einige
Schritte vorausgegangen,  und  man  hærte, wie  sie  drauen vor dem  Torweg
mitsammen sprachen.
     "Er  mu  rein in das  Kanalgitter  gefallen  sein.  Es  ist  doch  zum
Teufelholen."
     Wir traten hinaus auf die  Gasse, und  ich sah, wie  Prokop sich bìckte
und die Marionette suchte.
     "Freut  mich, da  du  den dummen  Kopf  nicht finden kannst",  brummte
Vrieslander. Er hatte sich an die Mauer gestellt und sein Gesicht  leuchtete
grell auf und erlosch wieder in kurzen Intervallen  - wie er das Feuer eines
Streichholzes zischend in seine kurze Pfeife sog.
     Prokop machte  eine heftig abwehrende Bewegung  mit dem  Arm und beugte
sich noch tiefer hinab. Er kniete beinahe auf dem Pflaster:
     "Still doch! Hært ihr denn nichts?"
     Wir traten an ihn heran. Er deutete stumm auf das Kanalgitter und legte
horchend die Hand ans Ohr. Eine Weile standen  wir unbeweglich und lauschten
in den Schacht hinab.
     Nichts.
     "Was war's denn?" flìsterte  endlich der alte  Marionettenspieler; doch
sofort packte ihn Prokop heftig beim Handgelenk.
     Einen  Augenblick  -  kaum  einen  Herzschlag  lang  -  hatte  es   mir
geschienen,  als klopfte da unten  eine Hand gegen eine Eisenplatte  -  fast
unhærbar. Wie ich eine Sekunde sp€ter darìber nachdachte,  war alles vorbei;
nur in meiner Brust  hallte es wie ein Erinnerungsecho weiter und læste sich
langsam in ein unbestimmtes Gefìhl des Grauens auf.
     Schritte, die die Gasse heraufkamen, verscheuchten den Eindruck.
     "Gehen wir; was stehen wir da herum!" mahnte Vrieslander.
     Wir schritten die H€userreihe entlang.
     Prokop folgte nur widerwillig.
     "Meinen  Hals mæcht  ich wetten,  da  unten  hat  jemand  geschrien  in
Todesangst."
     Niemand von uns  antwortete ihm, aber  ich fìhlte, da etwas wie  leise
d€mmernde Angst uns die Zunge in Fesseln hielt.
     Bald darauf standen wir vor einem rotverh€ngten Schenkenfenster.
        "SALON LOISITSCHEK".
     "Heinte groes Konzehr"
     stand auf einem Pappendeckel geschrieben,  dessen Rand mit verblichenen
Photographien von Frauenzimmern bedeckt war.
     Ehe  noch Zwakh die Hand auf die Klinke  legen konnte, æffnete sich die
Eingangstìr nach innen, und ein vierschrætiger Kerl mit gewichstem schwarzem
Haar, ohne Kragen - eine grìnseidene Krawatte um den bloen Hals geschlungen
und die Frackweste mit einem Klumpen aus Schweinsz€hnen geschmìckt - empfing
uns mit Bìcklingen.
     "J€, j€,  das sin  mir  G€st€h.  -  -  - Pane Schaffranek,  rasch einen
Tusch!" setzte er, ìber die Schulter  in  das  von Menschen ìberfìllte Lokal
gewendet, hastig seinem Willkommensgru hinzu.
     Ein klimperndes Ger€usch, wie wenn eine Ratte ìber Klaviersaiten liefe,
war die Antwort.
     "J€, j€, das  sin  mir  G€st€h,  das sin  mir G€st€h.  Da  schaut man",
murmelte der Vierschrætige immerw€hrend eifrig vor sich hin, w€hrend er  uns
aus den M€nteln half.
     "Ja, ja, heinte ist der  ganze verehrliche Hochadel des Landes  bei mir
versammelt", beantwortete er triumphierend Vrieslanders erstaunte Miene, als
im  Hintergrund  auf  einer  Art   Estrade,  die  durch  Gel€nder  und  eine
zweistufige  Treppe vom  vorderen Teil  der  Schenke getrennt war,  ein paar
vornehme junge Herren in Abendtoilette sichtbar wurden.
     Schwaden beienden Tabakrauches lagerten ìber den Tischen, hinter denen
die  langen Holzb€nke  an  den  W€nden  vollbesetzt von zerlumpten Gestalten
waren:  Dirnen von  den Schanzen, ungek€mmt, schmutzig,  barfu,  die festen
Brìste kaum verhìllt  von  mifarbigen Umh€ngetìchern, Zuh€lter  daneben mit
blauen Milit€rmìtzen und Zigaretten hinter dem Ohr, Viehh€ndler mit haarigen
F€usten  und  schwerf€lligen  Fingern,  die bei jeder Bewegung  eine  stumme
Sprache der Niedertracht redeten, vazierende Kellner  mit  frechen Augen und
blatternarbige Kommis mit karierten Hosen.
     "Ich  stell'  ich  Ihnen  spanische  Plente  umadum,  damit  Sie  schæn
ungestært sein", kr€chzte die  feiste  Stimme des  Vierschrætigen,  und eine
Rollwand,  beklebt mit kleinen, tanzenden Chinesen, schob  sich langsam  vor
den Ecktisch, an den wir uns gesetzt hatten.
     Schnarrende  Kl€nge einer Harfe  machten  das  Stimmengewirr  im Zimmer
verlæschen.
     Eine Sekunde eine rhythmische Pause.
     Totenstille, als hielte alles den Atem an.
     Mit erschreckender  Deutlichkeit hærte man plætzlich  wie  die eisernen
Gasst€be fauchend die flachen herzfærmigen Flammen aus ihren  Mìndern in die
Luft bliesen  -  - dann  fiel die Musik ìber das Ger€usch her und verschlang
es.
     Als  w€ren  sie  soeben erst  entstanden,  tauchten  da  zwei  seltsame
Gestalten aus dem Tabakqualm vor meinem Blick empor.
     Mit  langem,  wallendem,   weien  Prophetenbart,  ein  schwarzseidenes
K€ppchen -  wie  es  die  alten  jìdischen  Familienv€ter tragen  - auf  dem
Kahlkopf, die  blinden Augen  milchbl€ulich und  gl€sern - starr  zur  Decke
gerichtet  -  sa dort  ein Greis, bewegte lautlos die  Lippen  und fuhr mit
dìrren Fingern wie mit Geierkrallen in die Saiten einer Harfe. Neben ihm  in
speckgl€nzendem,  schwarzen Taffetkleid,  Jettschmuck und  Jettkreuz an Hals
und  Armen  -  ein  Sinnbild  erheuchelter  Bìrgermoral  -  ein  schwammiges
Weibsbild, die Ziehharmonika auf dem Scho.
     Ein wildes Gestolper von  Kl€ngen  dr€ngte  sich aus  den Instrumenten,
dann sank die Melodie ermattet zur bloen Begleitung herab.
     Der Greis hatte ein paarmal in die Luft gebissen und ri den  Mund weit
auf, da man die  schwarzen Zahnstumpen sehen konnte. Langsam aus der  Brust
herauf rang  sich ihm, von seltsamen hebr€ischen Ræchellauten begleitet, ein
wilder Ba:
     "Roo - n - te, blau - we Stern - -"
     "Rititit" (schrillte das Weibsbild  dazwischen und schnappte sofort die
keifigen Lippen zusammen, als habe sie schon zuviel gesagt)
     "Roonte blaue Steern
     Hærndlach ess i' ach geern";
     "Rititit"
     "Rotboart, Grienboart
     allerlaj Stern" - -
     "Rititit, rititit."
     "Sie  haben so  fest  geschlafen, da Sie  nicht merkten,  wie  wir Sie
schìttelten,"  - sagte Josua Prokop zu mir,  "der Punsch ist  aus,  und  Sie
haben alles vers€umt."
     Der heie Schmerz ìber das, was ich vorhin mitangehært, ìbermannte mich
wieder, und  ich  wollte aufschreien, da ich nicht getr€umt  habe, als  ich
ihnen von dem  Buche Ibbur  erz€hlte -  und es aus  der Kassette  nehmen und
ihnen zeigen kænne.
     Aber  diese  Gedanken  kamen  nicht  zu  Wort und  konnten die Stimmung
allgemeinen Aufbruches, die meine G€ste ergriffen hatte, nicht durchdringen.
     Zwakh h€ngte mir mit Gewalt den Mantel und und rief:
     "Kommen  Sie  nur  mit zum Loisitschek, Meister Pernath,  es  wird Ihre
Lebensgeister erfrischen."
        Nacht
     Willenlos hatte ich mich von Zwakh die Treppe hinunterfìhren lassen.
     Ich spìrte  den Geruch des  Nebels, der von  der Strae ins Haus drang,
deutlicher und deutlicher werden. Josua Prokop und Vrieslander  waren einige
Schritte vorausgegangen,  und  man  hærte, wie  sie  drauen vor dem  Torweg
mitsammen sprachen.
     "Er  mu  rein in das  Kanalgitter  gefallen  sein.  Es  ist  doch  zum
Teufelholen."
     Wir traten hinaus auf die  Gasse, und  ich sah, wie  Prokop sich bìckte
und die Marionette suchte.
     "Freut  mich, da  du  den dummen  Kopf  nicht finden kannst",  brummte
Vrieslander. Er hatte sich an die Mauer gestellt und sein Gesicht  leuchtete
grell auf und erlosch wieder in kurzen Intervallen  - wie er das Feuer eines
Streichholzes zischend in seine kurze Pfeife sog.
     Prokop machte  eine heftig abwehrende Bewegung  mit dem  Arm und beugte
sich noch tiefer hinab. Er kniete beinahe auf dem Pflaster:
     "Still doch! Hært ihr denn nichts?"
     Wir traten an ihn heran. Er deutete stumm auf das Kanalgitter und legte
horchend die Hand ans Ohr. Eine Weile standen  wir unbeweglich und lauschten
in den Schacht hinab.
     Nichts.
     "Was war's denn?" flìsterte  endlich der alte  Marionettenspieler; doch
sofort packte ihn Prokop heftig beim Handgelenk.
     Einen  Augenblick  -  kaum  einen  Herzschlag  lang  -  hatte  es   mir
geschienen,  als klopfte da unten  eine Hand gegen eine Eisenplatte  -  fast
unhærbar. Wie ich eine Sekunde sp€ter darìber nachdachte,  war alles vorbei;
nur in meiner Brust  hallte es wie ein Erinnerungsecho weiter und læste sich
langsam in ein unbestimmtes Gefìhl des Grauens auf.
     Schritte, die die Gasse heraufkamen, verscheuchten den Eindruck.
     "Gehen wir; was stehen wir da herum!" mahnte Vrieslander.
     Wir schritten die H€userreihe entlang.
     Prokop folgte nur widerwillig.
     "Meinen  Hals mæcht  ich wetten,  da  unten  hat  jemand  geschrien  in
Todesangst."
     Niemand von uns  antwortete ihm, aber  ich fìhlte, da etwas wie  leise
d€mmernde Angst uns die Zunge in Fesseln hielt.
     Bald darauf standen wir vor einem rotverh€ngten Schenkenfenster.
        "SALON LOISITSCHEK".
     "Heinte groes Konzehr"
     stand auf einem Pappendeckel geschrieben,  dessen Rand mit verblichenen
Photographien von Frauenzimmern bedeckt war.
     Ehe  noch Zwakh die Hand auf die Klinke  legen konnte, æffnete sich die
Eingangstìr nach innen, und ein vierschrætiger Kerl mit gewichstem schwarzem
Haar, ohne Kragen - eine grìnseidene Krawatte um den bloen Hals geschlungen
und die Frackweste mit einem Klumpen aus Schweinsz€hnen geschmìckt - empfing
uns mit Bìcklingen.
     "J€, j€,  das sin  mir  G€st€h.  -  -  - Pane Schaffranek,  rasch einen
Tusch!" setzte er, ìber die Schulter  in  das  von Menschen ìberfìllte Lokal
gewendet, hastig seinem Willkommensgru hinzu.
     Ein klimperndes Ger€usch, wie wenn eine Ratte ìber Klaviersaiten liefe,
war die Antwort.
     "J€, j€, das  sin  mir  G€st€h,  das sin  mir G€st€h.  Da  schaut man",
murmelte der Vierschrætige immerw€hrend eifrig vor sich hin, w€hrend er  uns
aus den M€nteln half.
     "Ja, ja, heinte ist der  ganze verehrliche Hochadel des Landes  bei mir
versammelt", beantwortete er triumphierend Vrieslanders erstaunte Miene, als
im  Hintergrund  auf  einer  Art   Estrade,  die  durch  Gel€nder  und  eine
zweistufige  Treppe vom  vorderen Teil  der  Schenke getrennt war,  ein paar
vornehme junge Herren in Abendtoilette sichtbar wurden.
     Schwaden beienden Tabakrauches lagerten ìber den Tischen, hinter denen
die  langen Holzb€nke  an  den  W€nden  vollbesetzt von zerlumpten Gestalten
waren:  Dirnen von  den Schanzen, ungek€mmt, schmutzig,  barfu,  die festen
Brìste kaum verhìllt  von  mifarbigen Umh€ngetìchern, Zuh€lter  daneben mit
blauen Milit€rmìtzen und Zigaretten hinter dem Ohr, Viehh€ndler mit haarigen
F€usten  und  schwerf€lligen  Fingern,  die bei jeder Bewegung  eine  stumme
Sprache der Niedertracht redeten, vazierende Kellner  mit  frechen Augen und
blatternarbige Kommis mit karierten Hosen.
     "Ich  stell'  ich  Ihnen  spanische  Plente  umadum,  damit  Sie  schæn
ungestært sein", kr€chzte die  feiste  Stimme des  Vierschrætigen,  und eine
Rollwand,  beklebt mit kleinen, tanzenden Chinesen, schob  sich langsam  vor
den Ecktisch, an den wir uns gesetzt hatten.
     Schnarrende  Kl€nge einer Harfe  machten  das  Stimmengewirr  im Zimmer
verlæschen.
     Eine Sekunde eine rhythmische Pause.
     Totenstille, als hielte alles den Atem an.
     Mit erschreckender  Deutlichkeit hærte man plætzlich  wie  die eisernen
Gasst€be fauchend die flachen herzfærmigen Flammen aus ihren  Mìndern in die
Luft bliesen  -  - dann  fiel die Musik ìber das Ger€usch her und verschlang
es.
     Als  w€ren  sie  soeben erst  entstanden,  tauchten  da  zwei  seltsame
Gestalten aus dem Tabakqualm vor meinem Blick empor.
     Mit  langem,  wallendem,   weien  Prophetenbart,  ein  schwarzseidenes
K€ppchen -  wie  es  die  alten  jìdischen  Familienv€ter tragen  - auf  dem
Kahlkopf, die  blinden Augen  milchbl€ulich und  gl€sern - starr  zur  Decke
gerichtet  -  sa dort  ein Greis, bewegte lautlos die  Lippen  und fuhr mit
dìrren Fingern wie mit Geierkrallen in die Saiten einer Harfe. Neben ihm  in
speckgl€nzendem,  schwarzen Taffetkleid,  Jettschmuck und  Jettkreuz an Hals
und  Armen  -  ein  Sinnbild  erheuchelter  Bìrgermoral  -  ein  schwammiges
Weibsbild, die Ziehharmonika auf dem Scho.
     Ein wildes Gestolper von  Kl€ngen  dr€ngte  sich aus  den Instrumenten,
dann sank die Melodie ermattet zur bloen Begleitung herab.
     Der Greis hatte ein paarmal in die Luft gebissen und ri den  Mund weit
auf, da man die  schwarzen Zahnstumpen sehen konnte. Langsam aus der  Brust
herauf rang  sich ihm, von seltsamen hebr€ischen Ræchellauten begleitet, ein
wilder Ba:
     "Roo - n - te, blau - we Stern - -"
     "Rititit" (schrillte das Weibsbild  dazwischen und schnappte sofort die
keifigen Lippen zusammen, als habe sie schon zuviel gesagt)
     "Roonte blaue Steern
     Hærndlach ess i' ach geern";
     "Rititit"
     "Rotboart, Grienboart
     allerlaj Stern" - -
     "Rititit, rititit."
      Die Paare traten zum Tanze an.
     "Es  ist  das Lied vom  chomezigen Borchu", erkl€rte uns l€chelnd der
Marionettenspieler und schlug leise mit dem Zinnlæffel, der sonderbarerweise
mit einer Kette am  Tisch befestigt war, den Takt. "Vor wohl  hundert Jahren
oder mehr noch hatten  zwei B€ckergesellen, Rotbart  und Grìnbart, am  Abend
des Schabbes Hagodel das  Brot  - Sterne und  Hærnchen - vergiftet, um ein
ausgiebiges Sterben in der Judenstadt hervorzurufen; aber  der Meschores -
der  Gemeindediener  - war  infolge gættlicher Erleuchtung noch  rechtzeitig
draufgekommen und konnte die beiden Verbrecher der Stadtpolizei ìberliefern.
Zur Erinnerung an die wundersame Errettung aus Todesgefahr dichteten  damals
die Landonim und Bocherlech jenes seltsame Lied, das wir  hier jetzt als
Bordellquadrille hæren."
     "Rititit - Rititit"
     "Roote blaue  Steern - - - -" immer hohler und fanatischer erscholl das
Gebell des Greises.
     Plætzlich  wurde  die  Melodie  konfuser und  ging  allm€hlich  in  den
Rhythmus  des bæhmischen  "Schlapak"  -  eines schleifenden  Schiebetanzes -
ìber, bei dem die Paare die schwitzigen Wangen innig aneinander preten.
     "So  recht. Bravo.  h da! fang,  hep,  hep!" rief von der Estrade  ein
schlanker,  junger Kavalier im Frack, das  Monokel im  Auge, dem Harfenisten
zu, griff in die Westentasche und warf ein Silberstìck  in  der Richtung. Es
erreichte  sein Ziel  nicht:  ich sah  noch,  wie  es  ìber  das  Tanzgewìhl
hinblitzte; da war es plætzlich verschwunden. Ein Strolch - sein Gesicht kam
mir  so bekannt vor; ich glaube, es mu  derselbe  gewesen sein, der neulich
bei dem  Regengu neben  Charousek gestanden - hatte seine  Hand  hinter dem
Busentuch  seiner  T€nzerin,  wo  er  sie  bisher  hartn€ckig ruhen  gehabt,
hervorgezogen - ein Griff in die Luft mit affenhafter  Geschwindigkeit, ohne
auch nur  einen Takt der  Musik auszulassen, und die Mìnze  war  geschnappt.
Nicht ein Muskel zuckte im Gesicht des Burschen auf, nur zwei, drei Paare in
der N€he grinsten leise.
     "Wahrscheinlich einer vom Bataillon,  nach  der  Geschicklichkeit  zu
schlieen", sagte Zwakh lachend.
     "Meister Pernath hat sicherlich noch nie etwas vom Bataillon gehært",
fiel   Vrieslander   auffallend  rasch   ein  und   zwinkerte  heimlich  dem
Marionettenspieler  zu, da  ich es nicht sehen sollte. - Ich  verstand  gar
wohl: es war wie vorhin, oben auf meinem Zimmer. Sie hielten mich fìr krank.
Wollten mich aufheitern. Und Zwakh sollte etwas erz€hlen. Irgend etwas.
     Wie mich der gute Alte so mitleidig ansah, stieg es mir hei vom Herzen
in die Augen. Wenn er wìte, wie weh mir sein Mitleid tat!
     Ich ìberhærte die ersten  Worte, mit denen der Marionettenspieler seine
Worte einleitete, -  ich wei nur, mir  war, als  verblute  ich langsam. Mir
wurde immer k€lter und starrer, wie vorhin, als  ich  als hælzernes  Gesicht
auf Vrieslanders Scho gelegen hatte. Dann war ich plætzlich mitten  drin in
der  Erz€hlung, die mich fremdartig  umfing, -  einhìllte, wie ein  lebloses
Stìck aus einem Lesebuch.
     Zwakh begann:
     "Die Erz€hlung vom Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und seinem Bataillon.
     - - - No, was soll ich  Ihnen sagen: Das Gesicht hatte er voller Warzen
und krumme Beine wie ein Dachshund. Schon als Jìngling  kannte er nichts als
Studium.  Trockenes,  entnervendes  Studium.  Von  dem,  was  er sich  durch
Stundengeben mìhsam erwarb, mute er noch seine  kranke Mutter erhalten. Wie
grìne  Wiesen aussehen und Hecken und Hìgel  voll Blumen und  W€lder, erfuhr
er, glaube ich, nur  aus Bìchern. Und  wie wenig von  Sonnenschein  in Prags
schwarze Gassen f€llt, wissen Sie ja selbst.
     Sein  Doktorat  hatte er mit  Auszeichnung gemacht; das war  eigentlich
selbstverst€ndlich.
     Nun, und  mit  der  Zeit  wurde er  ein  berìhmter Rechtsgelehrter.  So
berìhmt, da alle Leute - Richter und alte Advokaten - zu ihm fragen  kamen,
wenn sie irgend  etwas nicht wuten. Dabei lebte er €rmlich wie  ein Bettler
in einer Dachkammer, deren Fenster hinaus auf den Teinhof schaute.
     So  vergingen  Jahre um Jahre und Dr. Hulberts  Ruf als  Leuchte seiner
Wissenschaft wurde  allm€hlich Sprichwort im ganzen Lande. Da ein  Mann wie
er weichen Herzensempfindungen zug€nglich sein konnte, zumal sein Haar schon
anfing  wei  zu werden und sich niemand erinnerte, ihn je von etwas anderem
als von Jurisprudenz sprechen gehort  zu haben, hatte  wohl keiner geglaubt.
Doch  gerade  in  solchen  verschlossenen  Herzen  glìht  die  Sehnsucht  am
heiesten.
     An dem Tage, als Dr. Hulbert das Ziel erreichte, das ihm wohl schon als
Hæchstes seit seiner Studentenzeit vorgeschwebt  hatte:  - als n€mlich Seine
Majest€t  der Kaiser  von  Wien aus  ihn  zum Rector  magnificus an  unserer
Universit€t  ernannte,  da  ging es von Mund zu Mund, er habe sich mit einem
jungen, bildschænen Fr€ulein aus zwar armer, aber adliger Familie verlobt.
     Und wirklich schien von da  an das Gluck bei  Dr. Hulbert eingezogen zu
sein. Wenn auch  seine  Ehe kinderlos blieb,  so  trug  er doch seine  junge
Gattin auf H€nden,  und jeden  Wunsch zu erfìllen, den er ihr nur irgend von
den Augen abzulesen vermochte, war seine hæchste Freude.
     In seinem  Gluck verga er jedoch keineswegs, wie  es wohl  so  mancher
andere getan  hatte,  seine  leidenden  Mitmenschen.  "Mir  hat  Gott  meine
Sehnsucht  gestillt,"  soll  er  einmal gesagt  haben,  -  "er  hat  mir ein
Traumgesicht  zur  Wahrheit  werden  lassen,  das  wie  ein  Glanz  vor  mir
hergegangen ist seit Kindheit an: er hat mir  das lieblichste Wesen zu eigen
gegeben, das die Erde  tragt. Und so will ich, da  ein  Schimmer von diesem
Gluck, soweit es in meiner Macht steht, auch auf andere fallt." - - -
     Und so kam es, da er sich bei Gelegenheit eines armen Studenten annahm
wie seines eigenen  Sohnes. Vermutlich in der Erw€gung,  wie wohl ihm selbst
ein solch gutes Werk getan hatte, w€re es ihm am  eigenen Leib  und Leben in
den Tagen  seiner  kummervollen Jugendzeit passiert. Wie  aber nun auf Erden
manche Tat, die dem Menschen gut und  edel  scheint, Folgen nach  sich zieht
gleich   der   einer  fluchwìrdigen,  weil  wir  wohl  doch  nicht   richtig
unterscheiden kænnen zwischen dem,  was giftigen Samen in sich tragt und was
heilsamen, so  begab es sich auch hier, da aus  Dr. Hulberts mitleidsvollem
Werk das bitterste Leid fìr ihn selbst spro.
     Die  junge  Frau  entbrannte  gar  bald  in  heimlicher  Liebe  zu  dem
Studenten, und ein  erbarmungsloses  Schicksal wollte,  da sie  der  Rektor
gerade  in dem Augenblicke, als  er  unerwartet  nach Hause  kam, um sie zum
Zeichen  seiner Liebe  mit  einem  Strau  Rosen  als  Geburtstagspr€sent zu
ìberraschen, in  den Armen  dessen antraf,  auf den  er Wohltat ìber Wohltat
geh€uft hatte.
     Man  sagt,  da  die  blaue  Muttergottesblume  fìr  immer  ihre  Farbe
verlieren kann, wenn  der  fahle, schweflige Schein  eines Blitzes,  der ein
Hagelwetter verkìndet, plætzlich auf sie f€llt; gewi ist, da die Seele des
alten Mannes fìr  immer  erblindete an dem Tage, wo sein  Gluck  in Scherben
ging.  Am  selben  Abend  noch sa er,  er, der bis dahin nicht  gewut, was
Unm€igkeit  ist, hier beim "Loisitschek" - fast  bewutlos vom  Fusel - bis
zum Morgengrauen. Und der "Loisitschek" wurde seine Heimst€tte fìr  den Rest
seines zerstærten Lebens. Im Sommer schlief er irgendwo auf dem Schutt eines
Neubaus, im Winter hier auf den hælzernen B€nken.
     Den Titel  eines Professors  und  Doktors beider  Rechte belie man ihm
stillschweigend. Niemand hatte das Herz dazu, gegen ihn, den einst berìhmten
Gelehrten, den Vorwurf zu erheben, da man rgernis n€hme an seinem Wandel.
     Allm€hlich  sammelte sich  um ihn, was an  lichtscheuem Gesindel in der
Judenstadt sein  Wesen  trieb,  und so kam es zur  Grìndung jener  seltsamen
Gemeinschaft, die man noch heutigentags "das Bataillon" nennt.
     Dr.  Hulberts umfassende  Gesetzeskenntnis wurde das Bollwerk  fìr alle
die,  denen  die  Polizei  zu scharf  auf  die  Finger  sah.  War  irgendein
entlassener  Str€fling  daran  zu  verhungern,   schickte  ihn  Dr.  Hulbert
splitternackt  hinaus  auf  den  Altstadter  Ring  - und  das  Amt  auf  der
sogenannten "Fischbanka" sah sich genætigt, einen Anzug beizustellen. Sollte
eine unterstandslose  Dirne aus  der Stadt gewiesen werden, so heiratete sie
schnell einen Strolch, der bezirkszust€ndig war, und wurde dadurch ans€ssig.
     Hundert solcher  Auswege wute Dr. Hulbert, und seinem  Rate  gegenìber
stand  die Polizei  machtlos da.  - Was diese Ausgestoenen der menschlichen
Gesellschaft "verdienten", ìbergaben sie getreulich  auf Heller  und Kreuzer
der gemeinsamen  Kassa, aus der der nætige Lebensunterhalt bestritten wurde.
Niemals  lie sich  auch nur einer  die geringste  Unehrlichkeit  zuschulden
kommen.  Mag  sein,  da angesichts dieser eisernen  Disziplin der Name "das
Bataillon" entstand.
     Pìnktlich am ersten Dezember, wo sich der Tag des Unglìcks  j€hrte, das
den alten Mann betroffen hatte, fand jedesmal nachts beim "Loisitschek" eine
seltsame  Feier statt.  Kopf  an Kopf  gedr€ngt  standen sie hier:  Bettler,
Vagabunden,  Zuh€lter und Dirnen, Trunkenbolde und  Lumpensammler,  und eine
lautlose Stille herrschte wie beim  Gottesdienst. -  Und dann erz€hlte ihnen
Dr.  Hulbert dort von der Ecke  aus,  wo jetzt die beiden Musikanten sitzen,
gerade   unter  dem   Krænungsbilde  Seiner  Majest€t   des  Kaisers,  seine
Lebensgeschichte:  - wie er sich emporgerungen, den Doktortitel erworben und
sp€ter Rektor magnificus geworden war. Wenn er zu der Stelle kam, wo er  mit
dem Busch Rosen in der Hand  ins Zimmer seiner jungen Frau trat, - zur Feier
ihres Geburtstages und zugleich zum Ged€chtnis jener Stunde,  da er dereinst
um sie anhalten  gekommen und sie  seine  liebe  Braut geworden  war,  -  da
versagte ihm jedesmal  die Stimme, und weinend  sank  er am Tisch  zusammen.
Dann  geschah es wohl zuweilen, da  irgendein liederliches Frauenzimmer ihm
versch€mt und heimlich,  damit es  keiner sehen sollte, eine halbwelke Blume
in die Hand legte.
     Von  den Zuhærern rìhrte  sich dann  noch lange Zeit keiner. Zum Weinen
sind diese  Menschen  zu hart, aber an  ihren Kleidern blickten sie herunter
und drehten unsicher die Finger.
     Eines  Morgens fand man Dr. Hulbert  tot auf  einer Bank  unten  an der
Moldau. Er wird, denke ich, erfroren sein.
     Sein Leichenbeg€ngnis  sehe  ich noch heute vor  mir.  Das  "Bataillon"
hatte sich fast zerfleischt, um alles so prunkvoll wie mæglich zu gestalten.
     Voran ging der Pedell der  Universit€t in  vollem  Ornat: in den H€nden
das  purpurne Kissenpolster mit der gìldenen  Kette  darauf  und hinter  dem
Leichenwagen   in   unabsehbarer   Reihe  -   -  das   "Bataillon"   barfu,
schmutzstarrend, zerlumpt  und zerfetzt. Einer  von ihnen hatte sein Letztes
verkauft  und  ging  daher:  Leib,  Beine  und  Arme  mit  Lagen  aus  altem
Zeitungspapier umwickelt und umbunden.
     So erwiesen sie ihm die letzte Ehre.
     Auf seinem  Grabe, drauen im Friedhof, steht ein  weier Stein, darein
sind drei Figuren gemeielt: Der Heiland gekreuzigt  zwischen  zwei R€ubern.
Von unbekannter Hand  gestiftet. Man  munkelt, Dr.  Hulberts  Frau habe  das
Denkmal errichtet. - - -
     Im Testament des toten Rechtsgelehrten aber war  ein Legat  vorgesehen,
danach bekommt jeder vom "Bataillon" mittags "beim Loisitschek" umsonst eine
Suppe; zu diesem  Zwecke h€ngen  hier am Tisch die Læffel an den Ketten, und
die ausgehæhlten Mulden in der Tischplatte sind die Teller.  Um 12 Uhr kommt
die  Kellnerin  und spritzt  mit einer groen, blechernen  Spritze die Brìhe
hinein und, wenn sich einer  nicht  ausweisen kann  als "vom Bataillon",  so
zieht sie die Suppe mit der Spritze wieder zurìck.
     Von diesem Tisch aus machte die Gepflogenheit  als Witz die Runde durch
die ganze Welt."
     Die Paare traten zum Tanze an.
     "Es  ist  das Lied vom  chomezigen Borchu", erkl€rte uns l€chelnd der
Marionettenspieler und schlug leise mit dem Zinnlæffel, der sonderbarerweise
mit einer Kette am  Tisch befestigt war, den Takt. "Vor wohl  hundert Jahren
oder mehr noch hatten  zwei B€ckergesellen, Rotbart  und Grìnbart, am  Abend
des Schabbes Hagodel das  Brot  - Sterne und  Hærnchen - vergiftet, um ein
ausgiebiges Sterben in der Judenstadt hervorzurufen; aber  der Meschores -
der  Gemeindediener  - war  infolge gættlicher Erleuchtung noch  rechtzeitig
draufgekommen und konnte die beiden Verbrecher der Stadtpolizei ìberliefern.
Zur Erinnerung an die wundersame Errettung aus Todesgefahr dichteten  damals
die Landonim und Bocherlech jenes seltsame Lied, das wir  hier jetzt als
Bordellquadrille hæren."
     "Rititit - Rititit"
     "Roote blaue  Steern - - - -" immer hohler und fanatischer erscholl das
Gebell des Greises.
     Plætzlich  wurde  die  Melodie  konfuser und  ging  allm€hlich  in  den
Rhythmus  des bæhmischen  "Schlapak"  -  eines schleifenden  Schiebetanzes -
ìber, bei dem die Paare die schwitzigen Wangen innig aneinander preten.
     "So  recht. Bravo.  h da! fang,  hep,  hep!" rief von der Estrade  ein
schlanker,  junger Kavalier im Frack, das  Monokel im  Auge, dem Harfenisten
zu, griff in die Westentasche und warf ein Silberstìck  in  der Richtung. Es
erreichte  sein Ziel  nicht:  ich sah  noch,  wie  es  ìber  das  Tanzgewìhl
hinblitzte; da war es plætzlich verschwunden. Ein Strolch - sein Gesicht kam
mir  so bekannt vor; ich glaube, es mu  derselbe  gewesen sein, der neulich
bei dem  Regengu neben  Charousek gestanden - hatte seine  Hand  hinter dem
Busentuch  seiner  T€nzerin,  wo  er  sie  bisher  hartn€ckig ruhen  gehabt,
hervorgezogen - ein Griff in die Luft mit affenhafter  Geschwindigkeit, ohne
auch nur  einen Takt der  Musik auszulassen, und die Mìnze  war  geschnappt.
Nicht ein Muskel zuckte im Gesicht des Burschen auf, nur zwei, drei Paare in
der N€he grinsten leise.
     "Wahrscheinlich einer vom Bataillon,  nach  der  Geschicklichkeit  zu
schlieen", sagte Zwakh lachend.
     "Meister Pernath hat sicherlich noch nie etwas vom Bataillon gehært",
fiel   Vrieslander   auffallend  rasch   ein  und   zwinkerte  heimlich  dem
Marionettenspieler  zu, da  ich es nicht sehen sollte. - Ich  verstand  gar
wohl: es war wie vorhin, oben auf meinem Zimmer. Sie hielten mich fìr krank.
Wollten mich aufheitern. Und Zwakh sollte etwas erz€hlen. Irgend etwas.
     Wie mich der gute Alte so mitleidig ansah, stieg es mir hei vom Herzen
in die Augen. Wenn er wìte, wie weh mir sein Mitleid tat!
     Ich ìberhærte die ersten  Worte, mit denen der Marionettenspieler seine
Worte einleitete, -  ich wei nur, mir  war, als  verblute  ich langsam. Mir
wurde immer k€lter und starrer, wie vorhin, als  ich  als hælzernes  Gesicht
auf Vrieslanders Scho gelegen hatte. Dann war ich plætzlich mitten  drin in
der  Erz€hlung, die mich fremdartig  umfing, -  einhìllte, wie ein  lebloses
Stìck aus einem Lesebuch.
     Zwakh begann:
     "Die Erz€hlung vom Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und seinem Bataillon.
     - - - No, was soll ich  Ihnen sagen: Das Gesicht hatte er voller Warzen
und krumme Beine wie ein Dachshund. Schon als Jìngling  kannte er nichts als
Studium.  Trockenes,  entnervendes  Studium.  Von  dem,  was  er sich  durch
Stundengeben mìhsam erwarb, mute er noch seine  kranke Mutter erhalten. Wie
grìne  Wiesen aussehen und Hecken und Hìgel  voll Blumen und  W€lder, erfuhr
er, glaube ich, nur  aus Bìchern. Und  wie wenig von  Sonnenschein  in Prags
schwarze Gassen f€llt, wissen Sie ja selbst.
     Sein  Doktorat  hatte er mit  Auszeichnung gemacht; das war  eigentlich
selbstverst€ndlich.
     Nun, und  mit  der  Zeit  wurde er  ein  berìhmter Rechtsgelehrter.  So
berìhmt, da alle Leute - Richter und alte Advokaten - zu ihm fragen  kamen,
wenn sie irgend  etwas nicht wuten. Dabei lebte er €rmlich wie  ein Bettler
in einer Dachkammer, deren Fenster hinaus auf den Teinhof schaute.
     So  vergingen  Jahre um Jahre und Dr. Hulberts  Ruf als  Leuchte seiner
Wissenschaft wurde  allm€hlich Sprichwort im ganzen Lande. Da ein  Mann wie
er weichen Herzensempfindungen zug€nglich sein konnte, zumal sein Haar schon
anfing  wei  zu werden und sich niemand erinnerte, ihn je von etwas anderem
als von Jurisprudenz sprechen gehort  zu haben, hatte  wohl keiner geglaubt.
Doch  gerade  in  solchen  verschlossenen  Herzen  glìht  die  Sehnsucht  am
heiesten.
     An dem Tage, als Dr. Hulbert das Ziel erreichte, das ihm wohl schon als
Hæchstes seit seiner Studentenzeit vorgeschwebt  hatte:  - als n€mlich Seine
Majest€t  der Kaiser  von  Wien aus  ihn  zum Rector  magnificus an  unserer
Universit€t  ernannte,  da  ging es von Mund zu Mund, er habe sich mit einem
jungen, bildschænen Fr€ulein aus zwar armer, aber adliger Familie verlobt.
     Und wirklich schien von da  an das Gluck bei  Dr. Hulbert eingezogen zu
sein. Wenn auch  seine  Ehe kinderlos blieb,  so  trug  er doch seine  junge
Gattin auf H€nden,  und jeden  Wunsch zu erfìllen, den er ihr nur irgend von
den Augen abzulesen vermochte, war seine hæchste Freude.
     In seinem  Gluck verga er jedoch keineswegs, wie  es wohl  so  mancher
andere getan  hatte,  seine  leidenden  Mitmenschen.  "Mir  hat  Gott  meine
Sehnsucht  gestillt,"  soll  er  einmal gesagt  haben,  -  "er  hat  mir ein
Traumgesicht  zur  Wahrheit  werden  lassen,  das  wie  ein  Glanz  vor  mir
hergegangen ist seit Kindheit an: er hat mir  das lieblichste Wesen zu eigen
gegeben, das die Erde  tragt. Und so will ich, da  ein  Schimmer von diesem
Gluck, soweit es in meiner Macht steht, auch auf andere fallt." - - -
     Und so kam es, da er sich bei Gelegenheit eines armen Studenten annahm
wie seines eigenen  Sohnes. Vermutlich in der Erw€gung,  wie wohl ihm selbst
ein solch gutes Werk getan hatte, w€re es ihm am  eigenen Leib  und Leben in
den Tagen  seiner  kummervollen Jugendzeit passiert. Wie  aber nun auf Erden
manche Tat, die dem Menschen gut und  edel  scheint, Folgen nach  sich zieht
gleich   der   einer  fluchwìrdigen,  weil  wir  wohl  doch  nicht   richtig
unterscheiden kænnen zwischen dem,  was giftigen Samen in sich tragt und was
heilsamen, so  begab es sich auch hier, da aus  Dr. Hulberts mitleidsvollem
Werk das bitterste Leid fìr ihn selbst spro.
     Die  junge  Frau  entbrannte  gar  bald  in  heimlicher  Liebe  zu  dem
Studenten, und ein  erbarmungsloses  Schicksal wollte,  da sie  der  Rektor
gerade  in dem Augenblicke, als  er  unerwartet  nach Hause  kam, um sie zum
Zeichen  seiner Liebe  mit  einem  Strau  Rosen  als  Geburtstagspr€sent zu
ìberraschen, in  den Armen  dessen antraf,  auf den  er Wohltat ìber Wohltat
geh€uft hatte.
     Man  sagt,  da  die  blaue  Muttergottesblume  fìr  immer  ihre  Farbe
verlieren kann, wenn  der  fahle, schweflige Schein  eines Blitzes,  der ein
Hagelwetter verkìndet, plætzlich auf sie f€llt; gewi ist, da die Seele des
alten Mannes fìr  immer  erblindete an dem Tage, wo sein  Gluck  in Scherben
ging.  Am  selben  Abend  noch sa er,  er, der bis dahin nicht  gewut, was
Unm€igkeit  ist, hier beim "Loisitschek" - fast  bewutlos vom  Fusel - bis
zum Morgengrauen. Und der "Loisitschek" wurde seine Heimst€tte fìr  den Rest
seines zerstærten Lebens. Im Sommer schlief er irgendwo auf dem Schutt eines
Neubaus, im Winter hier auf den hælzernen B€nken.
     Den Titel  eines Professors  und  Doktors beider  Rechte belie man ihm
stillschweigend. Niemand hatte das Herz dazu, gegen ihn, den einst berìhmten
Gelehrten, den Vorwurf zu erheben, da man rgernis n€hme an seinem Wandel.
     Allm€hlich  sammelte sich  um ihn, was an  lichtscheuem Gesindel in der
Judenstadt sein  Wesen  trieb,  und so kam es zur  Grìndung jener  seltsamen
Gemeinschaft, die man noch heutigentags "das Bataillon" nennt.
     Dr.  Hulberts umfassende  Gesetzeskenntnis wurde das Bollwerk  fìr alle
die,  denen  die  Polizei  zu scharf  auf  die  Finger  sah.  War  irgendein
entlassener  Str€fling  daran  zu  verhungern,   schickte  ihn  Dr.  Hulbert
splitternackt  hinaus  auf  den  Altstadter  Ring  - und  das  Amt  auf  der
sogenannten "Fischbanka" sah sich genætigt, einen Anzug beizustellen. Sollte
eine unterstandslose  Dirne aus  der Stadt gewiesen werden, so heiratete sie
schnell einen Strolch, der bezirkszust€ndig war, und wurde dadurch ans€ssig.
     Hundert solcher  Auswege wute Dr. Hulbert, und seinem  Rate  gegenìber
stand  die Polizei  machtlos da.  - Was diese Ausgestoenen der menschlichen
Gesellschaft "verdienten", ìbergaben sie getreulich  auf Heller  und Kreuzer
der gemeinsamen  Kassa, aus der der nætige Lebensunterhalt bestritten wurde.
Niemals  lie sich  auch nur einer  die geringste  Unehrlichkeit  zuschulden
kommen.  Mag  sein,  da angesichts dieser eisernen  Disziplin der Name "das
Bataillon" entstand.
     Pìnktlich am ersten Dezember, wo sich der Tag des Unglìcks  j€hrte, das
den alten Mann betroffen hatte, fand jedesmal nachts beim "Loisitschek" eine
seltsame  Feier statt.  Kopf  an Kopf  gedr€ngt  standen sie hier:  Bettler,
Vagabunden,  Zuh€lter und Dirnen, Trunkenbolde und  Lumpensammler,  und eine
lautlose Stille herrschte wie beim  Gottesdienst. -  Und dann erz€hlte ihnen
Dr.  Hulbert dort von der Ecke  aus,  wo jetzt die beiden Musikanten sitzen,
gerade   unter  dem   Krænungsbilde  Seiner  Majest€t   des  Kaisers,  seine
Lebensgeschichte:  - wie er sich emporgerungen, den Doktortitel erworben und
sp€ter Rektor magnificus geworden war. Wenn er zu der Stelle kam, wo er  mit
dem Busch Rosen in der Hand  ins Zimmer seiner jungen Frau trat, - zur Feier
ihres Geburtstages und zugleich zum Ged€chtnis jener Stunde,  da er dereinst
um sie anhalten  gekommen und sie  seine  liebe  Braut geworden  war,  -  da
versagte ihm jedesmal  die Stimme, und weinend  sank  er am Tisch  zusammen.
Dann  geschah es wohl zuweilen, da  irgendein liederliches Frauenzimmer ihm
versch€mt und heimlich,  damit es  keiner sehen sollte, eine halbwelke Blume
in die Hand legte.
     Von  den Zuhærern rìhrte  sich dann  noch lange Zeit keiner. Zum Weinen
sind diese  Menschen  zu hart, aber an  ihren Kleidern blickten sie herunter
und drehten unsicher die Finger.
     Eines  Morgens fand man Dr. Hulbert  tot auf  einer Bank  unten  an der
Moldau. Er wird, denke ich, erfroren sein.
     Sein Leichenbeg€ngnis  sehe  ich noch heute vor  mir.  Das  "Bataillon"
hatte sich fast zerfleischt, um alles so prunkvoll wie mæglich zu gestalten.
     Voran ging der Pedell der  Universit€t in  vollem  Ornat: in den H€nden
das  purpurne Kissenpolster mit der gìldenen  Kette  darauf  und hinter  dem
Leichenwagen   in   unabsehbarer   Reihe  -   -  das   "Bataillon"   barfu,
schmutzstarrend, zerlumpt  und zerfetzt. Einer  von ihnen hatte sein Letztes
verkauft  und  ging  daher:  Leib,  Beine  und  Arme  mit  Lagen  aus  altem
Zeitungspapier umwickelt und umbunden.
     So erwiesen sie ihm die letzte Ehre.
     Auf seinem  Grabe, drauen im Friedhof, steht ein  weier Stein, darein
sind drei Figuren gemeielt: Der Heiland gekreuzigt  zwischen  zwei R€ubern.
Von unbekannter Hand  gestiftet. Man  munkelt, Dr.  Hulberts  Frau habe  das
Denkmal errichtet. - - -
     Im Testament des toten Rechtsgelehrten aber war  ein Legat  vorgesehen,
danach bekommt jeder vom "Bataillon" mittags "beim Loisitschek" umsonst eine
Suppe; zu diesem  Zwecke h€ngen  hier am Tisch die Læffel an den Ketten, und
die ausgehæhlten Mulden in der Tischplatte sind die Teller.  Um 12 Uhr kommt
die  Kellnerin  und spritzt  mit einer groen, blechernen  Spritze die Brìhe
hinein und, wenn sich einer  nicht  ausweisen kann  als "vom Bataillon",  so
zieht sie die Suppe mit der Spritze wieder zurìck.
     Von diesem Tisch aus machte die Gepflogenheit  als Witz die Runde durch
die ganze Welt."
      Der Eindruck eines Tumultes im Lokal weckte mich aus  meiner Lethargie.
Die letzten S€tze, die Zwakh gesprochen, wehten ìber mein Bewutsein hinweg.
Ich sah  noch, wie  er seine H€nde  bewegte, um  das Vor- und Zurìckschieben
eines Spritzenkolbens klarzumachen,  dann jagten die Bilder, die  sich rings
um  uns   abrollten,  so  rasch   und   automatenhaft  und  dennoch  mit  so
gespenstischer Deutlichkeit an meinem Auge vorìber, da ich in Momenten ganz
mich selbst verga und mir wie ein Rad vorkam in einem lebendigen Uhrwerk.
     Das Zimmer  war  ein  einziges  Menschengewìhl geworden.  Oben  auf der
Estrade: dutzende Herren in  schwarzen Fr€cken. Weie Manschetten, blitzende
Ringe. Eine  Dragoneruniform  mit Rittmeisterschnìren.  Im  Hintergrund  ein
Damenhut mit lachsfarbigen Strauenfedern.
     Durch  die  St€be  des Gel€nders  stierte das verzerrte  Gesicht Loisas
hinauf. Ich sah: er  konnte sich kaum aufrecht halten. Auch Jaromir  war  da
und  schaute unverwandt hinauf, mit dem Rìcken  dicht,  ganz dicht,  an  der
Seitenwand, als presse ihn eine unsichtbare Hand dagegen.
     Die Gestalten hielten  plætzlich im  Tanzen inne:  der Wirt mute ihnen
etwas zugerufen  haben, was  sie erschreckt hatte.  Die  Musik spielte noch,
aber leise; sie traute  sich nicht mehr recht. Sie  zitterte; man fìhlte  es
deutlich. Und doch lag der Ausdruck  h€mischer  wilder Freude in dem Gesicht
des Wirtes.
     - - - - In der Eingangstìr steht mit einem Mal der  Polizeikommiss€r in
Uniform.  Er hatte die  Arme ausgebreitet, um niemand hinauszulassen. Hinter
ihm ein Kriminalschutzmann.
     "Wird also doch hier getanzt? Trotz Verbotes?  Ich sperre die Spelunke.
Sie kommen mit, Wirt! Und was hier ist, marsch auf die Wachstube!"
     Es klingt wie Kommandos.
     Der Vierschrætige gibt keine Antwort, aber das h€mische Grinsen  bleibt
in seinen Zìgen.
     Blo starrer ist es geworden.
     Die Harmonika hat sich verschluckt und pfeift nur noch.
     Auch die Harfe zieht den Schwanz ein.
     Die Gesichter  sind  plætzlich  alle im Profil  zu  sehen: sie  glotzen
erwartungsvoll hinauf auf die Estrade.
     Und da kommt eine  vornehme  schwarze Gestalt gelassen  die paar Stufen
herab und geht langsam auf den Kommiss€r zu.
     Die   Augen   des   Kriminalschutzmannes    h€ngen   gebannt   an   den
heranschlendernden schwarzen Lackschuhen.
     Der Kavalier ist  einen Schritt vor dem Polizeibeamten stehen geblieben
und  l€t  den  Blick gelangweilt ihm  von Kopf  bis zu den Fìen und wieder
zurìck schweifen.
     Die  andern jungen Adligen oben  auf der Estrade  haben  sich ìber  das
Gel€nder  gebeugt  und  verbeien  das   Lachen  hinter  ihren  grauseidenen
Taschentìchern.
     Der  Dragonerrittmeister klemmt ein Goldstìck ins Auge und spuckt einem
M€dchen, das unter ihm lehnt, seinen Zigarettenstummel ins Haar.
     Der Polizeikommiss€r hat sich  verf€rbt und  starrt in der Verlegenheit
immerw€hrend auf die Perle in der Hemdbrust des Aristokraten.
     Er  kann  den gleichgìltigen, glanzlosen  Blick  dieses glattrasierten,
unbeweglichen Gesichtes mit der Hakennase nicht ertragen.
     Er bringt ihn aus der Ruhe. Schmettert ihn nieder.
     Die Totenstille im Lokal wird immer qu€lender.
     "So  sehen  die  Ritterstatuen aus, die  mit  gefalteten H€nden auf den
Steins€rgen liegen in den gotischen Kirchen", flìstert der Maler Vrieslander
mit einem Blick auf den Kavalier.
     Da bricht der  Aristokrat endlich das  Schweigen: "h - Hm." -  -  - er
kopiert die Stimme des Wirtes: "J€, j€, das sin mir G€st€h - da schaut man."
Ein  schallendes  Gejohle  explodiert im Lokal, da  die Gl€ser klirren; die
Strolche halten sich den Bauch vor  Lachen. Eine Flasche fliegt an die  Wand
und   zerschellt.  Der  vierschrætige  Wirt   meckert  uns   erl€uternd  und
ehrfurchtsvoll zu: "Seine Durchlaucht Exzellenz Fìrst Ferri Athenst€dt."
     Der Fìrst hat dem Beamten eine Visitkarte hingehalten. Der rmste nimmt
sie, salutiert wiederholt und schl€gt die Hacken zusammen.
     Es  wird  von neuem  still,  die  Menge  lauscht  atemlos,  was  weiter
geschehen wird.
     Der Kavalier spricht wieder:
     "Die Damen und Herren, die Sie hier versammelt sehen, - €h - sind meine
lieben G€ste."  Seine Durchlaucht  deutet mit einer nachl€ssigen Armbewegung
auf  das  Gesindel,  "wìnschen  Sie,  Herr  Kommiss€r,  -  €h  -  vielleicht
vorgestellt zu werden?"
     Der Kommiss€r verneint mit erzwungenem L€cheln, stottert verlegen etwas
von  "leidiger  Pflichterfìllung"  und  rafft sich schlielich zu den Worten
auf: "Ich sehe ja, da es hier anst€ndig zugeht."
     Das bringt Leben in den Dragonerrittmeister: er eilt in den Hintergrund
auf  den Damenhut mit der Strauenfeder zu und zerrt im n€chsten  Augenblick
unter dem Jubel der jungen Adligen - Rosina am Arm herunter in den Saal.
     Sie schwankt vor Trunkenheit und h€lt die Augen geschlossen. Der groe,
kostbare Hut sitzt ihr schief, und sie hat nichts an als lange rosa Strìmpfe
und - einen Herrenfrack auf dem bloen Kærper.
     Ein Zeichen: Die Musik fallt ein wie rasend - - - "Rititit - Rititit" -
- - und schwemmt den gurgelnden Schrei fort, den der taubstumme Jaromir, als
er Rosina gesehen, an der Wand drìben ausgestoen hat. - -
     Wir wollen gehen.
     Zwakh ruft nach der Kellnerin.
     Der allgemeine L€rm verschlingt seine Worte.
     Die Szenen vor mir werden phantastisch wie ein Opiumrausch.
     Der Rittmeister  h€lt die  halbnackte  Rosina  im Arm  und  dreht  sich
langsam mit ihr im Takt.
     Die Menge hat respektvoll Platz gemacht.
     Dann murmelt es von den B€nken: "Der Loisitschek, der Loisitschek", die
H€lse werden  lang und zu dem tanzenden  Paar gesellt sich ein  zweites noch
seltsameres. Ein weibisch aussehender  Bursche in  rosa  Trikots, mit langem
blondem Haar bis  zu den Schultern,  Lippen und Wangen  geschminkt wie  eine
Dirne  und  die  Augen  niedergeschlagen  in  koketter  Verwirrung,  - h€ngt
schmachtend an der Brust des Fìrsten Athenst€dt.
     Ein sìlicher Walzer quillt aus der Harfe.
     Wilder Ekel vor dem Leben schnìrt mir die Kehle zusammen.
     Mein  Blick  sucht voll  Angst  die  Ture:  der  Kommiss€r  steht  dort
abgewendet,   um   nichts   zu  sehen,   und   flìstert   hastig   mit   dem
Kriminalschutzmann, der etwas einsteckt. Es klirrt wie Handschellen.
     Die  beiden  sp€hen  hinìber auf den blatternarbigen Loisa,  der  einen
Augenblick sich zu verstecken sucht und dann gel€hmt - das Gesicht  kalkwei
und verzerrt vor Entsetzen - stehen bleibt.
     Ein Bild zuckt in der Erinnerung vor  mir auf und erlischt sofort:  Das
Bild, wie "Prokop lauscht, wie ich es  vor einer Stunde gesehen,  - ìber das
Kanalgitter gebeugt - und ein Todesschrei gellt aus der Erde empor."
     Der Eindruck eines Tumultes im Lokal weckte mich aus  meiner Lethargie.
Die letzten S€tze, die Zwakh gesprochen, wehten ìber mein Bewutsein hinweg.
Ich sah  noch, wie  er seine H€nde  bewegte, um  das Vor- und Zurìckschieben
eines Spritzenkolbens klarzumachen,  dann jagten die Bilder, die  sich rings
um  uns   abrollten,  so  rasch   und   automatenhaft  und  dennoch  mit  so
gespenstischer Deutlichkeit an meinem Auge vorìber, da ich in Momenten ganz
mich selbst verga und mir wie ein Rad vorkam in einem lebendigen Uhrwerk.
     Das Zimmer  war  ein  einziges  Menschengewìhl geworden.  Oben  auf der
Estrade: dutzende Herren in  schwarzen Fr€cken. Weie Manschetten, blitzende
Ringe. Eine  Dragoneruniform  mit Rittmeisterschnìren.  Im  Hintergrund  ein
Damenhut mit lachsfarbigen Strauenfedern.
     Durch  die  St€be  des Gel€nders  stierte das verzerrte  Gesicht Loisas
hinauf. Ich sah: er  konnte sich kaum aufrecht halten. Auch Jaromir  war  da
und  schaute unverwandt hinauf, mit dem Rìcken  dicht,  ganz dicht,  an  der
Seitenwand, als presse ihn eine unsichtbare Hand dagegen.
     Die Gestalten hielten  plætzlich im  Tanzen inne:  der Wirt mute ihnen
etwas zugerufen  haben, was  sie erschreckt hatte.  Die  Musik spielte noch,
aber leise; sie traute  sich nicht mehr recht. Sie  zitterte; man fìhlte  es
deutlich. Und doch lag der Ausdruck  h€mischer  wilder Freude in dem Gesicht
des Wirtes.
     - - - - In der Eingangstìr steht mit einem Mal der  Polizeikommiss€r in
Uniform.  Er hatte die  Arme ausgebreitet, um niemand hinauszulassen. Hinter
ihm ein Kriminalschutzmann.
     "Wird also doch hier getanzt? Trotz Verbotes?  Ich sperre die Spelunke.
Sie kommen mit, Wirt! Und was hier ist, marsch auf die Wachstube!"
     Es klingt wie Kommandos.
     Der Vierschrætige gibt keine Antwort, aber das h€mische Grinsen  bleibt
in seinen Zìgen.
     Blo starrer ist es geworden.
     Die Harmonika hat sich verschluckt und pfeift nur noch.
     Auch die Harfe zieht den Schwanz ein.
     Die Gesichter  sind  plætzlich  alle im Profil  zu  sehen: sie  glotzen
erwartungsvoll hinauf auf die Estrade.
     Und da kommt eine  vornehme  schwarze Gestalt gelassen  die paar Stufen
herab und geht langsam auf den Kommiss€r zu.
     Die   Augen   des   Kriminalschutzmannes    h€ngen   gebannt   an   den
heranschlendernden schwarzen Lackschuhen.
     Der Kavalier ist  einen Schritt vor dem Polizeibeamten stehen geblieben
und  l€t  den  Blick gelangweilt ihm  von Kopf  bis zu den Fìen und wieder
zurìck schweifen.
     Die  andern jungen Adligen oben  auf der Estrade  haben  sich ìber  das
Gel€nder  gebeugt  und  verbeien  das   Lachen  hinter  ihren  grauseidenen
Taschentìchern.
     Der  Dragonerrittmeister klemmt ein Goldstìck ins Auge und spuckt einem
M€dchen, das unter ihm lehnt, seinen Zigarettenstummel ins Haar.
     Der Polizeikommiss€r hat sich  verf€rbt und  starrt in der Verlegenheit
immerw€hrend auf die Perle in der Hemdbrust des Aristokraten.
     Er  kann  den gleichgìltigen, glanzlosen  Blick  dieses glattrasierten,
unbeweglichen Gesichtes mit der Hakennase nicht ertragen.
     Er bringt ihn aus der Ruhe. Schmettert ihn nieder.
     Die Totenstille im Lokal wird immer qu€lender.
     "So  sehen  die  Ritterstatuen aus, die  mit  gefalteten H€nden auf den
Steins€rgen liegen in den gotischen Kirchen", flìstert der Maler Vrieslander
mit einem Blick auf den Kavalier.
     Da bricht der  Aristokrat endlich das  Schweigen: "h - Hm." -  -  - er
kopiert die Stimme des Wirtes: "J€, j€, das sin mir G€st€h - da schaut man."
Ein  schallendes  Gejohle  explodiert im Lokal, da  die Gl€ser klirren; die
Strolche halten sich den Bauch vor  Lachen. Eine Flasche fliegt an die  Wand
und   zerschellt.  Der  vierschrætige  Wirt   meckert  uns   erl€uternd  und
ehrfurchtsvoll zu: "Seine Durchlaucht Exzellenz Fìrst Ferri Athenst€dt."
     Der Fìrst hat dem Beamten eine Visitkarte hingehalten. Der rmste nimmt
sie, salutiert wiederholt und schl€gt die Hacken zusammen.
     Es  wird  von neuem  still,  die  Menge  lauscht  atemlos,  was  weiter
geschehen wird.
     Der Kavalier spricht wieder:
     "Die Damen und Herren, die Sie hier versammelt sehen, - €h - sind meine
lieben G€ste."  Seine Durchlaucht  deutet mit einer nachl€ssigen Armbewegung
auf  das  Gesindel,  "wìnschen  Sie,  Herr  Kommiss€r,  -  €h  -  vielleicht
vorgestellt zu werden?"
     Der Kommiss€r verneint mit erzwungenem L€cheln, stottert verlegen etwas
von  "leidiger  Pflichterfìllung"  und  rafft sich schlielich zu den Worten
auf: "Ich sehe ja, da es hier anst€ndig zugeht."
     Das bringt Leben in den Dragonerrittmeister: er eilt in den Hintergrund
auf  den Damenhut mit der Strauenfeder zu und zerrt im n€chsten  Augenblick
unter dem Jubel der jungen Adligen - Rosina am Arm herunter in den Saal.
     Sie schwankt vor Trunkenheit und h€lt die Augen geschlossen. Der groe,
kostbare Hut sitzt ihr schief, und sie hat nichts an als lange rosa Strìmpfe
und - einen Herrenfrack auf dem bloen Kærper.
     Ein Zeichen: Die Musik fallt ein wie rasend - - - "Rititit - Rititit" -
- - und schwemmt den gurgelnden Schrei fort, den der taubstumme Jaromir, als
er Rosina gesehen, an der Wand drìben ausgestoen hat. - -
     Wir wollen gehen.
     Zwakh ruft nach der Kellnerin.
     Der allgemeine L€rm verschlingt seine Worte.
     Die Szenen vor mir werden phantastisch wie ein Opiumrausch.
     Der Rittmeister  h€lt die  halbnackte  Rosina  im Arm  und  dreht  sich
langsam mit ihr im Takt.
     Die Menge hat respektvoll Platz gemacht.
     Dann murmelt es von den B€nken: "Der Loisitschek, der Loisitschek", die
H€lse werden  lang und zu dem tanzenden  Paar gesellt sich ein  zweites noch
seltsameres. Ein weibisch aussehender  Bursche in  rosa  Trikots, mit langem
blondem Haar bis  zu den Schultern,  Lippen und Wangen  geschminkt wie  eine
Dirne  und  die  Augen  niedergeschlagen  in  koketter  Verwirrung,  - h€ngt
schmachtend an der Brust des Fìrsten Athenst€dt.
     Ein sìlicher Walzer quillt aus der Harfe.
     Wilder Ekel vor dem Leben schnìrt mir die Kehle zusammen.
     Mein  Blick  sucht voll  Angst  die  Ture:  der  Kommiss€r  steht  dort
abgewendet,   um   nichts   zu  sehen,   und   flìstert   hastig   mit   dem
Kriminalschutzmann, der etwas einsteckt. Es klirrt wie Handschellen.
     Die  beiden  sp€hen  hinìber auf den blatternarbigen Loisa,  der  einen
Augenblick sich zu verstecken sucht und dann gel€hmt - das Gesicht  kalkwei
und verzerrt vor Entsetzen - stehen bleibt.
     Ein Bild zuckt in der Erinnerung vor  mir auf und erlischt sofort:  Das
Bild, wie "Prokop lauscht, wie ich es  vor einer Stunde gesehen,  - ìber das
Kanalgitter gebeugt - und ein Todesschrei gellt aus der Erde empor."
      Ich will rufen und kann nicht. Kalte Finger greifen mir in den Mund und
biegen  mir  die  Zunge  nach  unten  gegen die Vorderz€hne, da es  wie ein
Klumpen meinen Gaumen erfìllt und ich kein Wort hervorbringen kann.
     Ich kann die Finger  nicht sehen,  wei,  da sie unsichtbar  sind, und
doch empfinde ich sie wie etwas Kærperliches.
     Und  klar  steht   es  in  meinem   Bewutsein:  sie  gehæren  zu   der
gespenstischen Hand,  die mir  in meinem Zimmer in der Hahnpagasse das Buch
"Ibbur" gegeben hat.
     "Wasser, Wasser!" schreit Zwakh neben mir. Sie halten mir den  Kopf und
leuchten mir mit einer Kerze in die Pupillen.
     "In seine Wohnung schaffen, Arzt holen - der Archivar Hillel kennt sich
aus in solchen Dingen - - zu ihm bringen!" beraten sie murmelnd.
     Dann liege ich  starr wie  eine Leiche  auf einer Bahre  und Prokop und
Vrieslander tragen mich hinaus.
        Wach
     Zwakh war  vor  uns  die Treppen  hinaufgelaufen,  und  ich hærte,  wie
Mirjam, die Tochter des Archivars Hillel, ihn €ngstlich ausfragte und er sie
zu beruhigen trachtete.
     Ich gab mir keine Mìhe hinzuhorchen, was sie  miteinander sprachen, und
erriet mehr, als ich es in Worten  verstand, da Zwakh erz€hlte, mir sei ein
Unfall zugestoen  und sie k€men bitten, mir die erste Hilfe  zu leisten und
mich wieder zu Bewutsein zu bringen.
     Noch immer  konnte  ich kein Glied rìhren, und die unsichtbaren  Finger
hielten meine Zunge; aber mein Denken war fest und sicher und das Gefìhl des
Grauens hatte  von mir abgelassen.  Ich wute  genau, wo ich war und was mit
mir  geschah, und empfand es nicht einmal als absonderlich, da man mich wie
einen  Toten  hinauftrug,  samt  der  Bahre   im  Zimmer  Schemajah  Hillels
niedersetzte und - allein lie.
     Eine ruhige, natìrliche Zufriedenheit, wie man sie beim Heimkommen nach
einer langen Wanderung geniet, erfìllte mich.
     Es  war finster  in der  Stube, und mit verschwimmenden Umrissen  hoben
sich die Fensterrahmen in Kreuzesformen  von dem  mattleuchtenden  Dunst ab,
der von der Gasse heraufschimmerte.
     Alles  kam mir selbstverst€ndlich  vor  und  ich  wunderte  mich  weder
darìber,  da  Hillel  mit  einem jìdischen  siebenflammigen  Sabbatleuchter
eintrat, noch, da  er mir  gelassen "guten  Abend" wìnschte  wie  jemandem,
dessen Kommen er erwartet hatte.
     Was ich  die  ganze  Zeit,  die  ich  im  Hause  wohnte,  nie als etwas
Besonderes bemerkt hatte, - trotzdem wir einander  oft drei-  bis viermal in
der Woche auf  den Stiegen begegnet waren, - fiel mir plætzlich stark an ihm
auf,  wie er so  hin  und  her  ging,  einige Gegenst€nde  auf  der  Kommode
zurechtrìckte und schlielich mit  dem  Leuchter  einen zweiten, gleichfalls
siebenflammigen anzìndete.
     N€mlich:  sein  Ebenma an Leib  und  Gliedern und der  schmale,  feine
Schnitt des Gesichtes mit dem edlen Stirnaufbau.
     Er konnte, wie ich jetzt beim Schein der Kerzen  sah,  nicht €lter sein
als ich: hæchstens 45 Jahre z€hlen.
     "Du bist um einige Minuten  frìher  gekommen", - begann  er  nach einer
Weile  - "als anzunehmen  war, sonst  h€tte  ich  die Lichter  schon  vorher
angezìndet." -  Er deutete  auf  die  beiden Leuchter, trat an die Bahre und
richtete seine  dunklen, tiefliegenden Augen, wie es schien, auf jemand, der
mir zu H€upten stand oder  kniete, den ich aber  nicht  zu  sehen vermochte.
Dabei bewegte er seine Lippen und sprach lautlos einen Satz.
     Sofort  lieen  die  unsichtbaren  Finger  meine  Zunge   los  und  der
Starrkrampf  wich  von mir. Ich richtete mich auf und  blickte hinter  mich:
Niemand auer Schemajah Hillel und mir war im Zimmer.
     Sein "Du" und die Bemerkung, da er mich erwartet habe, hatten also mir
gegolten!?
     Viel befremdender als diese beiden Umst€nde an sich wirkte es auf mich,
da ich nicht imstande war, auch nur  die  geringste Verwunderung darìber zu
empfinden.
     Hillel erriet offenbar  meine  Gedanken, denn  er  l€chelte freundlich,
wobei er mir von der Bahre aufstehen half und mit  der Hand auf einen Sessel
wies, und sagte:
     "Es  ist  auch  nichts Wunderbares dabei.  Schreckhaft  wirken  nur die
gespenstischen Dinge - die Kischuph - auf den Menschen; das Leben kratzt und
brennt wie  ein h€rener Mantel,  aber die Sonnenstrahlen der geistigen  Welt
sind mild und erw€rmend."
     Ich schwieg, da mir nichts einfiel, was  ich ihm h€tte erwidern sollen.
Er schien auch keine Gegenrede erwartet zu  haben, setzte sich mir gegenìber
und  fuhr  gelassen fort: "Auch ein  silberner Spiegel, h€tte er Empfindung,
litte nur Schmerzen, wenn er poliert wird. Glatt und gl€nzend geworden, gibt
er alle Bilder wieder, die auf ihn fallen, ohne Leid und Erregung."
     "Wohl dem Menschen", setzte er leise hinzu, "der von sich  sagen  kann:
Ich bin geschliffen." -  Einen Augenblick versank er
     Ich will rufen und kann nicht. Kalte Finger greifen mir in den Mund und
biegen  mir  die  Zunge  nach  unten  gegen die Vorderz€hne, da es  wie ein
Klumpen meinen Gaumen erfìllt und ich kein Wort hervorbringen kann.
     Ich kann die Finger  nicht sehen,  wei,  da sie unsichtbar  sind, und
doch empfinde ich sie wie etwas Kærperliches.
     Und  klar  steht   es  in  meinem   Bewutsein:  sie  gehæren  zu   der
gespenstischen Hand,  die mir  in meinem Zimmer in der Hahnpagasse das Buch
"Ibbur" gegeben hat.
     "Wasser, Wasser!" schreit Zwakh neben mir. Sie halten mir den  Kopf und
leuchten mir mit einer Kerze in die Pupillen.
     "In seine Wohnung schaffen, Arzt holen - der Archivar Hillel kennt sich
aus in solchen Dingen - - zu ihm bringen!" beraten sie murmelnd.
     Dann liege ich  starr wie  eine Leiche  auf einer Bahre  und Prokop und
Vrieslander tragen mich hinaus.
        Wach
     Zwakh war  vor  uns  die Treppen  hinaufgelaufen,  und  ich hærte,  wie
Mirjam, die Tochter des Archivars Hillel, ihn €ngstlich ausfragte und er sie
zu beruhigen trachtete.
     Ich gab mir keine Mìhe hinzuhorchen, was sie  miteinander sprachen, und
erriet mehr, als ich es in Worten  verstand, da Zwakh erz€hlte, mir sei ein
Unfall zugestoen  und sie k€men bitten, mir die erste Hilfe  zu leisten und
mich wieder zu Bewutsein zu bringen.
     Noch immer  konnte  ich kein Glied rìhren, und die unsichtbaren  Finger
hielten meine Zunge; aber mein Denken war fest und sicher und das Gefìhl des
Grauens hatte  von mir abgelassen.  Ich wute  genau, wo ich war und was mit
mir  geschah, und empfand es nicht einmal als absonderlich, da man mich wie
einen  Toten  hinauftrug,  samt  der  Bahre   im  Zimmer  Schemajah  Hillels
niedersetzte und - allein lie.
     Eine ruhige, natìrliche Zufriedenheit, wie man sie beim Heimkommen nach
einer langen Wanderung geniet, erfìllte mich.
     Es  war finster  in der  Stube, und mit verschwimmenden Umrissen  hoben
sich die Fensterrahmen in Kreuzesformen  von dem  mattleuchtenden  Dunst ab,
der von der Gasse heraufschimmerte.
     Alles  kam mir selbstverst€ndlich  vor  und  ich  wunderte  mich  weder
darìber,  da  Hillel  mit  einem jìdischen  siebenflammigen  Sabbatleuchter
eintrat, noch, da  er mir  gelassen "guten  Abend" wìnschte  wie  jemandem,
dessen Kommen er erwartet hatte.
     Was ich  die  ganze  Zeit,  die  ich  im  Hause  wohnte,  nie als etwas
Besonderes bemerkt hatte, - trotzdem wir einander  oft drei-  bis viermal in
der Woche auf  den Stiegen begegnet waren, - fiel mir plætzlich stark an ihm
auf,  wie er so  hin  und  her  ging,  einige Gegenst€nde  auf  der  Kommode
zurechtrìckte und schlielich mit  dem  Leuchter  einen zweiten, gleichfalls
siebenflammigen anzìndete.
     N€mlich:  sein  Ebenma an Leib  und  Gliedern und der  schmale,  feine
Schnitt des Gesichtes mit dem edlen Stirnaufbau.
     Er konnte, wie ich jetzt beim Schein der Kerzen  sah,  nicht €lter sein
als ich: hæchstens 45 Jahre z€hlen.
     "Du bist um einige Minuten  frìher  gekommen", - begann  er  nach einer
Weile  - "als anzunehmen  war, sonst  h€tte  ich  die Lichter  schon  vorher
angezìndet." -  Er deutete  auf  die  beiden Leuchter, trat an die Bahre und
richtete seine  dunklen, tiefliegenden Augen, wie es schien, auf jemand, der
mir zu H€upten stand oder  kniete, den ich aber  nicht  zu  sehen vermochte.
Dabei bewegte er seine Lippen und sprach lautlos einen Satz.
     Sofort  lieen  die  unsichtbaren  Finger  meine  Zunge   los  und  der
Starrkrampf  wich  von mir. Ich richtete mich auf und  blickte hinter  mich:
Niemand auer Schemajah Hillel und mir war im Zimmer.
     Sein "Du" und die Bemerkung, da er mich erwartet habe, hatten also mir
gegolten!?
     Viel befremdender als diese beiden Umst€nde an sich wirkte es auf mich,
da ich nicht imstande war, auch nur  die  geringste Verwunderung darìber zu
empfinden.
     Hillel erriet offenbar  meine  Gedanken, denn  er  l€chelte freundlich,
wobei er mir von der Bahre aufstehen half und mit  der Hand auf einen Sessel
wies, und sagte:
     "Es  ist  auch  nichts Wunderbares dabei.  Schreckhaft  wirken  nur die
gespenstischen Dinge - die Kischuph - auf den Menschen; das Leben kratzt und
brennt wie  ein h€rener Mantel,  aber die Sonnenstrahlen der geistigen  Welt
sind mild und erw€rmend."
     Ich schwieg, da mir nichts einfiel, was  ich ihm h€tte erwidern sollen.
Er schien auch keine Gegenrede erwartet zu  haben, setzte sich mir gegenìber
und  fuhr  gelassen fort: "Auch ein  silberner Spiegel, h€tte er Empfindung,
litte nur Schmerzen, wenn er poliert wird. Glatt und gl€nzend geworden, gibt
er alle Bilder wieder, die auf ihn fallen, ohne Leid und Erregung."
     "Wohl dem Menschen", setzte er leise hinzu, "der von sich  sagen  kann:
Ich bin geschliffen." -  Einen Augenblick versank er