en weitabgewandten Mann der Wissenschaft  hinaus, und wenn einmal
auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt  so  mit halben
Worten hin,  da  sein  Vater  noch aus dem  Getto  stamme,  - sich aus  den
niedrigsten Anf€ngen  heraus unter  Kummer aller  Art und uns€glichen Sorgen
empor ans Licht habe arbeiten mìssen.
     Ja! Unter Kummer und Sorgen!
     Unter  wessen  Kummer  und  uns€glichen  Sorgen  aber  und mit  welchen
Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt!
     Ich aber wei, was es mit dem Getto fìr eine Bewandtnis hat!" Charousek
fate meinen Arm und schìttelte ihn heftig.
     "Meister Pernath, ich bin so arm, da ich es selbst kaum mehr begreife;
ich  mu halbnackt gehen wie ein Vagabund,  sehen Sie  her, und ich bin doch
Student der Medizin, - bin doch ein gebildeter Mensch!"
     Er ri seinen  berzieher  auf und ich sah zu meinem Entsetzen, da  er
weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel ìber der nackten Haut trug.
     "Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allm€chtigen,
angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte,  - und noch heute  ahnt keiner, da
ich, ich der eigentliche Urheber war.
     Man meint in  der  Stadt, ein gewisser  Dr. Savioli sei es gewesen, der
seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben
hat. - Dr. Savioli war nichts als  mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein
habe den Plan  erdacht  und das Material  zusammengetragen, habe die Beweise
geliefert und  leise  und unmerklich  Stein  um  Stein  in dem  Geb€ude  Dr.
Wassorys  gelockert, bis  der Zustand erreicht war, wo kein Geld  der  Erde,
keine List des Gettos mehr vermocht h€tten, den Zusammenbruch, zu dem es nur
noch eines unmerklichen Anstoes bedurfte, abzuwenden.
     Wissen Sie, so - so wie man Schach spielt.
     Gerade so wie man Schach spielt.
     Und niemand wei, da ich es war!
     Den  Trædler Aaron Wassertrum, den l€t wohl manchmal  eine  furchtbare
Ahnung nicht schlafen, da  einer,  den er  nicht kennt, der immer in seiner
N€he ist  und den er doch nicht fassen kann, - ein anderer als Dr. Savioli -
die Hand im Spiele gehabt haben mìsse.
     Wiewohl  Wassertrum einer von  jenen ist, deren  Augen  durch Mauern zu
schauen  vermægen, so  fat  er  es  doch nicht,  da  es Gehirne  gibt, die
auszurechnen imstande sind,  wie man mit  langen, unsichtbaren,  vergifteten
Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen
vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen."
     Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild.
     "Aaron Wassertrum wird es  bald  erfahren; genau an dem Tage, an dem er
Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage!
     Auch  diese Schachpartie  habe ich ausgerechnet  bis zum letzten Zug. -
Diesmal wird es ein Kænigsl€ufergambit sein.  Da gibt es keinen einzigen Zug
bis  zum  bittern  Ende,  gegen den ich  nicht eine  verderbliche Entgegnung
wìte.
     Wer sich mit mir in ein solches Kænigsl€ufergambit einl€t,  der  h€ngt
in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen F€den, -
an F€den,  die ich zupfe, - hæren Sie  wohl,  die ich zupfe,  und mit dessen
freiem Willen ist's dahin."
     Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht.
     "Was haben Ihnen  Wassertrum  und sein Sohn denn getan, da Sie so voll
Ha sind?"
     Charousek wehrte heftig ab:
     "Lassen wir das - fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen
hat! -  Oder wìnschen  Sie, da  wir ein andres  Mal darìber sprechen? - Der
Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?"
     Er senkte seine Stimme, wie jemand,  der plætzlich ganz ruhig wird. Ich
schìttelte den Kopf.
     "Haben  Sie jemals  gehært, wie man heutzutage den grìnen Star heilt? -
Nicht?  - So mu  ich  Ihnen  das  deutlich  machen, damit  Sie alles  genau
verstehen, Meister Pernath!
     Hæren  Sie zu: Der grìne Star  also ist eine bæsartige Erkrankung des
Augeninnern,  die  mit  Erblinden  endet,  und  es gibt nur ein  Mittel, dem
Fortschreiten des bels Einhalt  zu tun, n€mlich die sogenannte Iridektomie,
die darin besteht, da man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilfærmiges
Stìckchen herauszwickt.
     Die    unvermeidlichen    Folgen    davon    sind    wohl     greuliche
Blendungserscheinungen,  die  fìrs  ganze  Leben  bleiben;  der  Proze  des
Erblindens jedoch ist meistens aufgehalten.
     Mit der Diagnose des grìnen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis.
     Es gibt  n€mlich Zeiten,  besonders bei Beginn  der  Krankheit, wo  die
deutlichsten  Symptome  scheinbar ganz zurìcktreten, und  in  solchen F€llen
darf  ein Arzt, obwohl er keine Spur einer  Krankheit  finden  kann, dennoch
niemals  mit Bestimmtheit  sagen, da  sein Vorg€nger,  der  andrer  Meinung
gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben mìsse.
     Hat aber einmal die erw€hnte Iridektomie, die sich natìrlich genauso an
einem gesunden Auge wie an  einem  kranken ausfìhren l€t, stattgefunden, so
kann  man  unmæglich  mehr  feststellen,  ob  frìher  wirklich  grìner  Star
vorgelegen hat oder nicht.
     Und  auf  diese  und  noch  andere  Umst€nde  hatte Dr.  Wassory  einen
scheulichen Plan aufgebaut.
     Unz€hlige Male - besonders an  Frauen - konstatierte er grìnen Star, wo
harmlose Sehstærungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm
keine Mìhe machte und viel Geld eintrug.
     Da endlich  hatte er vollkommen Wehrlose in der  Hand; da  gehærte  zum
Ausplìndern auch keine Spur von Mut mehr!
     Sehen Sie, Meister Pernath,  da  war das degenerierte  Raubtier in jene
Lebensbedingungen  versetzt,  wo es auch  ohne Waffe  und Kraft  seine Opfer
zerfleischen konnte.
     Ohne etwas aufs Spiel  zu setzen! - Begreifen Sie?! Ohne das  geringste
wagen zu mìssen!
     Durch eine Menge fauler  Veræffentlichungen  in Fachbl€ttern hatte sich
Dr.  Wassory  in  den  Ruf  eines  hervorragenden  Spezialisten  zu   setzen
verstanden und  sogar  seinen  Kollegen,  die  viel zu arglos und  anst€ndig
waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewut.
     Ein  Strom  von  Patienten,  die  alle bei ihm  Hilfe  suchten, war die
natìrliche Folge.
     Kam  nun  jemand mit geringfìgigen Sehstærungen  zu ihm und  lie  sich
untersuchen, so ging  Dr.  Wassory  sofort mit  tìckischer Planm€igkeit  zu
Werke.
     Zuerst stellte er das ìbliche Krankenverhær an, notierte aber geschickt
immer nur, um fìr  alle  F€lle gedeckt  zu  sein, jene  Antworten, die  eine
Deutung auf grìnen Star zulieen.
     Und  vorsichtig  sondierte er, ob  nicht  schon  eine frìhere  Diagnose
vorl€ge.
     Gespr€chsweise  lie er  einflieen, da  ein  dringender  Ruf aus  dem
Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher Manahmen an ihn  ergangen  sei
und er daher schon morgen verreisen mìsse. -
     Bei  der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die  er sodann
vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie mæglich.
     Alles mit Vorbedacht! Alles mit Vorbedacht!
     Wenn das Verhær  vorìber und die  ìbliche bange Frage des Patienten, ob
Grund  zur Befìrchtung vorhanden  sei,  erfolgt war,  da tat  Wassory seinen
ersten Schachzug.
     Er setzte sich dem Kranken gegenìber, lie eine Minute verstreichen und
sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz:
     "Erblindung  beider Augen  ist bereits in  der allern€chsten Zeit  wohl
unvermeidlich!"
      Die Szene, die naturgem€ folgte, war entsetzlich.
     Oft fielen  die Leute in Ohnmacht, weinten und  schrien und warfen sich
in wilder Verzweiflung zu Boden.
     Das Augenlicht verlieren, heit alles verlieren.
     Und  wenn der wiederum ìbliche  Moment eintrat,  wo  das arme Opfer die
Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob  es  denn auf Gottes  Erde  gar
keine  Hilfe  mehr  g€be,  da  tat  die  Bestie den  zweiten  Schachzug  und
verwandelte sich selbst in jenen - Gott, der helfen konnte!
     Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! -
     Schleunigste  Operation,  sagte Dr. Wassory dann  nachdenklich, sei das
einzige,  was vielleicht  Rettung  bringen  kænne,  und  mit  einer  wilden,
gierigen Eitelkeit, die plætzlich  ìber ihn  kam,  erging er  sich mit einem
Redeschwall  in  weitschweifigem  Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle
mit dem  vorliegenden eine ungemein groe  hnlichkeit  gehabt h€tten, - wie
unz€hlige  Kranke  ihm  allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten  und
dergleichen mehr.
     Er  schwelgte færmlich  in  dem  Gefìhl,  fìr  eine  Art hæheren Wesens
gehalten  zu werden,  in dessen H€nde das Wohl  und Wehe seines  Mitmenschen
gelegt ist.
     Das hilflose Opfer aber sa, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen
vor ihm, Angstschwei auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede
zu  fallen, aus Furcht: ihn -  den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte -
zu erzìrnen.
     Und mit den Worten, da er zur Operation leider erst in einigen Monaten
schreiten  kænne, wenn er  von seiner  Reise wieder  zurìck sei, schlo  Dr.
Wassory seine Rede.
     Hoffentlich - man solle in solchen F€llen immer das Beste hoffen  - sei
es dann nicht zu sp€t, sagte er.
     Natìrlich  sprangen dann die  Kranken entsetzt auf, erkl€rten,  da sie
unter gar  keinen Umst€nden  auch  nur einen Tag l€nger warten  wollten, und
baten flehentlich  um Rat, wer von den andern Augen€rzten in der Stadt sonst
wohl als Operateur in Betracht kommen kænnte.
     Da war  der Augenblick  gekommen,  wo  Dr. Wassory  den  entscheidenden
Schlag fìhrte.
     Er ging in tiefem Nachdenken auf und  ab, legte  seine  Stirn in Falten
des  Grams  und  lispelte schlielich bekìmmert,  ein Eingriff seitens eines
andern Arztes bedinge  leider  eine  abermalige  Bespiegelung des Auges  mit
elektrischem Licht,  und  das  mìsse  - der  Patient  wisse  ja  selbst, wie
schmerzhaft es sei -  wegen der blendenden Strahlen geradezu  verh€ngnisvoll
wirken.
     Ein  andrer  Arzt also, ganz abgesehen davon, da  so manchem von ihnen
gerade  in der  Iridektomie die  nætige  bung  fehle -  dìrfe, eben weil er
wiederum von neuem  untersuchen mìsse,  gar nicht vor Ablauf  l€ngerer Zeit,
bis sich die Sehnerven wieder erholt h€tten, zu einem chirurgischen Eingriff
schreiten."
     Charousek ballte die F€uste.
     "Das  nennen  wir  in  der  Schachsprache  Zugzwang,  lieber  Meister
Pernath! - - Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, - ein erzwungener Zug
nach dem andern.
     Halb  wahnsinnig  vor Verzweiflung  beschwor  nun der  Patient den  Dr.
Wassory,  er  mæge  doch  Erbarmen  haben,  einen  Tag  nur   seine  Abreise
verschieben und die  Operation selber  vornehmen.  - Es  handle sich doch um
mehr  als  um  schnellen   Tod,  die  grauenhafte,  folternde  Angst,  jeden
Augenblick erblinden zu  mìssen,  sei  ja  das  Schrecklichste, was es geben
kænne.
     Und  je  mehr  das  Scheusal sich str€ubte und jammerte:  ein  Aufschub
seiner Reise kænne  ihm unabsehbaren  Schaden bringen,  desto  hæhere Summen
boten freiwillig die Kranken.
     Schien schlielich  die  Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er  nach und
fìgte bereits am selben Tage,  ehe noch ein  Zufall  seinen  Plan  aufdecken
konnte,  den  Bedauernswerten  an beiden gesunden  Augen  jenen  unheilbaren
Schaden  zu, jenes immerw€hrende Gefìhl des Geblendetseins, das das Leben zu
stetiger Qual gestalten mute, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein fìr
allemal verwischte.
     Durch  solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht
nur seinen Ruhm  und seinen Ruf  als  unvergleichlicher  Arzt,  dem es  noch
jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, - es befriedigte
gleichzeitig seine malose  Geldgier und frænte  seiner Eitelkeit, wenn  die
ahnungslosen, an Kærper  und Vermægen gesch€digten Opfer zu ihm wie zu einem
Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.
     Nur  ein Mensch, der  mit  allen  Fasern im Getto und seinen zahllosen,
unscheinbaren,  jedoch   unìberwindlichen  Hilfsquellen   wurzelte  und  von
Kindheit an gelernt hat, auf  der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden
Menschen in  der Stadt kannte  und  bis  ins kleinste  seine Beziehungen und
Vermægensverh€ltnisse   erriet  und  durchschaute,  -  nur   ein  solcher  -
"Halbhellseher" mæchte man es beinahe  nennen, - konnte jahrelang  derartige
Scheulichkeiten verìben.
     Und  w€re  ich nicht  gewesen, bis heute triebe  er sein Handwerk noch,
wìrde es  bis  ins  hohe  Alter  weiterbetrieben haben, um  schlielich  als
ehrwìrdiger  Patriarch im  Kreise seiner  Lieben, angetan  mit hohen  Ehren,
kìnftigen  Geschlechtern  ein  leuchtendes  Vorbild,  seinen  Lebensabend zu
genieen, bis  - bis endlich auch ìber ihn das groe Verrecken hinweggezogen
w€re.
     Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener
Atmosph€re hællischer List ges€ttigt,  und so vermochte  ich ihn  zu Fall zu
bringen, - so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, - wie aus
heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.
     Dr.  Savioli,  ein  junger  deutscher  Arzt,   hat  das  Verdienst  der
Entlarvung, -  ihn  schob ich vor  und h€ufte Beweis auf Beweis, bis der Tag
anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.
     Da beging die Bestie Selbstmord! - Gesegnet sei die Stunde!
     Als  h€tte  mein  Doppelg€nger  neben  ihm  gestanden und ihm  die Hand
gefìhrt, nahm  er  sich  das  Leben  mit  jener Phiole  Amylnitrit, die  ich
absichtlich  in  seinem   Ordinationszimmer   bei   der   Gelegenheit  hatte
stehenlassen, als ich selbst ihn einmal  verleitet, auch an mir  die falsche
Diagnose des grìnen Stars  zu stellen, - absichtlich und  mit dem  glìhenden
Wunsche, da es  dieses  Amylnitrit sein mæchte,  das  ihm  den letzten Sto
geben sollte.
     Der Gehirnschlag h€tte ihn getroffen, hie es in der Stadt.
     Amylnitrit tætet, eingeatmet, wie Gehirnschlag.  Aber  lange konnte das
Gerìcht nicht aufrechterhalten werden."
     Die Szene, die naturgem€ folgte, war entsetzlich.
     Oft fielen  die Leute in Ohnmacht, weinten und  schrien und warfen sich
in wilder Verzweiflung zu Boden.
     Das Augenlicht verlieren, heit alles verlieren.
     Und  wenn der wiederum ìbliche  Moment eintrat,  wo  das arme Opfer die
Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob  es  denn auf Gottes  Erde  gar
keine  Hilfe  mehr  g€be,  da  tat  die  Bestie den  zweiten  Schachzug  und
verwandelte sich selbst in jenen - Gott, der helfen konnte!
     Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! -
     Schleunigste  Operation,  sagte Dr. Wassory dann  nachdenklich, sei das
einzige,  was vielleicht  Rettung  bringen  kænne,  und  mit  einer  wilden,
gierigen Eitelkeit, die plætzlich  ìber ihn  kam,  erging er  sich mit einem
Redeschwall  in  weitschweifigem  Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle
mit dem  vorliegenden eine ungemein groe  hnlichkeit  gehabt h€tten, - wie
unz€hlige  Kranke  ihm  allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten  und
dergleichen mehr.
     Er  schwelgte færmlich  in  dem  Gefìhl,  fìr  eine  Art hæheren Wesens
gehalten  zu werden,  in dessen H€nde das Wohl  und Wehe seines  Mitmenschen
gelegt ist.
     Das hilflose Opfer aber sa, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen
vor ihm, Angstschwei auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede
zu  fallen, aus Furcht: ihn -  den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte -
zu erzìrnen.
     Und mit den Worten, da er zur Operation leider erst in einigen Monaten
schreiten  kænne, wenn er  von seiner  Reise wieder  zurìck sei, schlo  Dr.
Wassory seine Rede.
     Hoffentlich - man solle in solchen F€llen immer das Beste hoffen  - sei
es dann nicht zu sp€t, sagte er.
     Natìrlich  sprangen dann die  Kranken entsetzt auf, erkl€rten,  da sie
unter gar  keinen Umst€nden  auch  nur einen Tag l€nger warten  wollten, und
baten flehentlich  um Rat, wer von den andern Augen€rzten in der Stadt sonst
wohl als Operateur in Betracht kommen kænnte.
     Da war  der Augenblick  gekommen,  wo  Dr. Wassory  den  entscheidenden
Schlag fìhrte.
     Er ging in tiefem Nachdenken auf und  ab, legte  seine  Stirn in Falten
des  Grams  und  lispelte schlielich bekìmmert,  ein Eingriff seitens eines
andern Arztes bedinge  leider  eine  abermalige  Bespiegelung des Auges  mit
elektrischem Licht,  und  das  mìsse  - der  Patient  wisse  ja  selbst, wie
schmerzhaft es sei -  wegen der blendenden Strahlen geradezu  verh€ngnisvoll
wirken.
     Ein  andrer  Arzt also, ganz abgesehen davon, da  so manchem von ihnen
gerade  in der  Iridektomie die  nætige  bung  fehle -  dìrfe, eben weil er
wiederum von neuem  untersuchen mìsse,  gar nicht vor Ablauf  l€ngerer Zeit,
bis sich die Sehnerven wieder erholt h€tten, zu einem chirurgischen Eingriff
schreiten."
     Charousek ballte die F€uste.
     "Das  nennen  wir  in  der  Schachsprache  Zugzwang,  lieber  Meister
Pernath! - - Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, - ein erzwungener Zug
nach dem andern.
     Halb  wahnsinnig  vor Verzweiflung  beschwor  nun der  Patient den  Dr.
Wassory,  er  mæge  doch  Erbarmen  haben,  einen  Tag  nur   seine  Abreise
verschieben und die  Operation selber  vornehmen.  - Es  handle sich doch um
mehr  als  um  schnellen   Tod,  die  grauenhafte,  folternde  Angst,  jeden
Augenblick erblinden zu  mìssen,  sei  ja  das  Schrecklichste, was es geben
kænne.
     Und  je  mehr  das  Scheusal sich str€ubte und jammerte:  ein  Aufschub
seiner Reise kænne  ihm unabsehbaren  Schaden bringen,  desto  hæhere Summen
boten freiwillig die Kranken.
     Schien schlielich  die  Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er  nach und
fìgte bereits am selben Tage,  ehe noch ein  Zufall  seinen  Plan  aufdecken
konnte,  den  Bedauernswerten  an beiden gesunden  Augen  jenen  unheilbaren
Schaden  zu, jenes immerw€hrende Gefìhl des Geblendetseins, das das Leben zu
stetiger Qual gestalten mute, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein fìr
allemal verwischte.
     Durch  solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht
nur seinen Ruhm  und seinen Ruf  als  unvergleichlicher  Arzt,  dem es  noch
jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, - es befriedigte
gleichzeitig seine malose  Geldgier und frænte  seiner Eitelkeit, wenn  die
ahnungslosen, an Kærper  und Vermægen gesch€digten Opfer zu ihm wie zu einem
Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.
     Nur  ein Mensch, der  mit  allen  Fasern im Getto und seinen zahllosen,
unscheinbaren,  jedoch   unìberwindlichen  Hilfsquellen   wurzelte  und  von
Kindheit an gelernt hat, auf  der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden
Menschen in  der Stadt kannte  und  bis  ins kleinste  seine Beziehungen und
Vermægensverh€ltnisse   erriet  und  durchschaute,  -  nur   ein  solcher  -
"Halbhellseher" mæchte man es beinahe  nennen, - konnte jahrelang  derartige
Scheulichkeiten verìben.
     Und  w€re  ich nicht  gewesen, bis heute triebe  er sein Handwerk noch,
wìrde es  bis  ins  hohe  Alter  weiterbetrieben haben, um  schlielich  als
ehrwìrdiger  Patriarch im  Kreise seiner  Lieben, angetan  mit hohen  Ehren,
kìnftigen  Geschlechtern  ein  leuchtendes  Vorbild,  seinen  Lebensabend zu
genieen, bis  - bis endlich auch ìber ihn das groe Verrecken hinweggezogen
w€re.
     Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener
Atmosph€re hællischer List ges€ttigt,  und so vermochte  ich ihn  zu Fall zu
bringen, - so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, - wie aus
heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.
     Dr.  Savioli,  ein  junger  deutscher  Arzt,   hat  das  Verdienst  der
Entlarvung, -  ihn  schob ich vor  und h€ufte Beweis auf Beweis, bis der Tag
anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.
     Da beging die Bestie Selbstmord! - Gesegnet sei die Stunde!
     Als  h€tte  mein  Doppelg€nger  neben  ihm  gestanden und ihm  die Hand
gefìhrt, nahm  er  sich  das  Leben  mit  jener Phiole  Amylnitrit, die  ich
absichtlich  in  seinem   Ordinationszimmer   bei   der   Gelegenheit  hatte
stehenlassen, als ich selbst ihn einmal  verleitet, auch an mir  die falsche
Diagnose des grìnen Stars  zu stellen, - absichtlich und  mit dem  glìhenden
Wunsche, da es  dieses  Amylnitrit sein mæchte,  das  ihm  den letzten Sto
geben sollte.
     Der Gehirnschlag h€tte ihn getroffen, hie es in der Stadt.
     Amylnitrit tætet, eingeatmet, wie Gehirnschlag.  Aber  lange konnte das
Gerìcht nicht aufrechterhalten werden."
      Charousek  starrte plætzlich geistesabwesend, als habe er  sich in  ein
tiefes  Problem verloren,  vor sich hin, dann  zuckte er mit der Achsel nach
der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trædlerladen lag.
     "Jetzt ist er allein,"  murmelte er, "ganz allein mit seiner Gier und -
und - und mit der Wachspuppe!"
     Charousek  starrte plætzlich geistesabwesend, als habe er  sich in  ein
tiefes  Problem verloren,  vor sich hin, dann  zuckte er mit der Achsel nach
der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trædlerladen lag.
     "Jetzt ist er allein,"  murmelte er, "ganz allein mit seiner Gier und -
und - und mit der Wachspuppe!"
      Mir schlug das Herz bis zum Hals.
     Ich sah Charousek voll Entsetzen an.
     War er wahnsinnig? Es muten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge
erfinden lieen.
     Gewi, gewi! Er hat alles erfunden, getr€umt!
     Es  kann nicht wahr  sein,  was  er da  ìber den Augenarzt Grauenhaftes
erz€hlt  hat.  Er  ist schwindsìchtig, und die Fieber  des Todes  kreisen in
seinem Hirn.
     Und  ich  wollte ihn mit ein paar scherzenden  Worten beruhigen,  seine
Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.
     Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung
das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein
Zimmer  mit  runden  Fischaugen  durch  die aufgerissene Tìr  hereingeschaut
hatte.
     Dr.  Savioli!  Dr.  Savioli! - ja, ja, so war auch  der Name des jungen
Mannes gewesen, den mir  der Marionettenspieler  Zwakh  flìsternd anvertraut
als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.
     Dr. Savioli! -  Wie  ein Schrei tauchte es in meinem  Innern auf.  Eine
Reihe  nebelhafter   Bilder  zuckte  durch  meinen  Geist,  jagte  sich  mit
schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstìrmten.
     Ich wollte Charousek fragen,  ihm  voll Angst rasch alles erz€hlen, was
ich  damals  erlebt, da sah ich, da ein heftiger  Hustenanfall  sich seiner
bem€chtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie
er  sich  mìhsam  mit  den  H€nden  an  der  Mauer  stìtzend  in  den  Regen
hinaustappte und mir einen flìchtigen Gru zunickte.
     Ja,  ja,  er hat  recht, er sprach nicht im Fieber, - fìhlte ich, - das
unfabare Gespenst des Verbrechens ist  es, das durch diese Gassen schleicht
Tag und Nacht und sich zu verkærpern sucht.
     Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. Plætzlich schl€gt es sich
nieder in einer Menschenseele, - wir ahnen es nicht, - da, dort, und ehe wir
es fassen kænnen, ist es gestaltlos geworden und alles l€ngst vorìber.
     Und  nur  noch  dunkle Worte  ìber irgendein  entsetzliches  Geschehnis
kommen an uns heran.
     Mit einem  Schlage begriff ich diese  r€tselhaften Geschæpfe, die rings
um  mich  wohnten, in  ihrem innersten  Wesen: sie treiben  willenlos durchs
Dasein  von einem unsichtbaren magnetischen Strom  belebt - - so, wie vorhin
das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vorìberschwamm.
     Mir war, als  starrten die H€user alle mit  tìckischen  Gesichtern voll
namenloser  Bosheit  auf  mich herìber, -  die  Tore:  aufgerissene schwarze
M€uler,  aus  denen  die  Zungen  ausgefault  waren,  -  Rachen,  die  jeden
Augenblick   einen  gellenden  Schrei  ausstoen  konnten,  so  gellend  und
haerfìllt, da es uns bis ins Innerste erschrecken mìte.
     Was hatte zum Schlu noch  der Student  ìber den  Trædler gesagt? - Ich
flìsterte  mir  seine  Worte vor: -  Aaron  Wassertrum sei  jetzt allein mit
seiner Gier und - - seiner Wachspuppe.
     Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?
     Es mu  ein Gleichnis gewesen  sein, beschwichtigte ich  mich,  - eines
jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen  zu ìberfallen pflegt, die
man nicht versteht,  und  die einen,  wenn sie  sp€ter  unerwartet  sichtbar
werden, so tieferschrecken kænnen wie die  Dinge  von ungewohnter  Form, auf
die plætzlich ein greller Lichtstreif f€llt.
     Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck,
den mir Charouseks Erz€hlung verursacht hatte, abzuschìtteln.
     Ich sah die  Leute genauer  an, die mit  mir in dem Hausflur  warteten:
Neben  mir  stand jetzt  der dicke  Alte. Derselbe, der vorhin  so widerlich
gelacht hatte.
     Er  hatte einen  schwarzen  Gehrock an  und  Handschuhe und starrte mit
vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenìber.
     Sein  glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Zìgen zuckte vor
Erregung.
     Unwillkìrlich  folgte ich  seinen  Blicken und bemerkte,  da  sie  wie
gebannt  an der rothaarigen Rosina hingen,  die drìben  jenseits  der  Gasse
stand, ihr immerw€hrendes L€cheln um die Lippen.
     Der Alte war bemìht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, da sie es wohl
wute, aber sich benahm, als verstìnde sie nicht.
     Endlich hielt es der Alte nicht l€nger aus, watete  auf den  Fuspitzen
hinìber  und hìpfte  mit l€cherlicher Elastizit€t  wie ein  groer schwarzer
Gummiball ìber die Pfìtzen.
     Man schien ihn zu kennen, denn ich hærte allerhand Glossen fallen,  die
darauf hinzielten. Ein  Strolch  hinter mir, ein rotes, gestricktes  Tuch um
den Hals, mit  blauer Milit€rmìtze, die Virginia hinter dem Ohr,  machte mit
grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand.
     Ich  begriff nur, da sie den Alten in der  Judenstadt den "Freimaurer"
nannten  und  in  ihrer  Sprache mit  diesem  Spitznamen  jemand  bezeichnen
wollten, der sich an halbwìchsigen M€dchen  zu vergehen  pflegt, aber  durch
intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. - - -
     Dann  waren  das Gesicht  Rosinas und  der  Alte drìben  im  Dunkel des
Hausflures verschwunden.
        Punsch
     Wir  hatten das Fenster geæffnet, um den Tabakrauch aus meinem  kleinen
Zimmer stræmen zu lassen.
     Der kalte Nachtwind blies herein und  wehte an die zottigen M€ntel, die
an der Tìre hingen, da sie leise hin und her schwankten.
     "Prokops wìrdige Haupteszierde mæchte am liebsten  davonfliegen", sagte
Zwakh und deutete auf des Musikers  groen Schlapphut, der die breite Krempe
bewegte wie schwarze Flìgel.
     Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern.
     "Er will," sagte er, "er will wahrscheinlich - - -"
     "Er will zum  Loisitschek zur Tanzmusik",  nahm  ihm Vrieslander  das
Wort vorweg.
     Prokop lachte und schlug mit  der Hand den Takt zu den Kl€ngen, die die
dìnne Winterluft her ìber die D€cher trug.
     Dann  nahm  er meine alte, zerbrochene  Gitarre von der Wand, tat,  als
zupfe  er  die  zerbrochenen Saiten  und sang  mit  kreischendem Falsett und
gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied:
     "An Bein-del von Ei-sen
     recht alt
     "An Stran-zen net gar
     a so kalt
     "Messinung, a' R€ucherl
     und Rohn
     "und immerrr nurr putz-en - - -
     Mir schlug das Herz bis zum Hals.
     Ich sah Charousek voll Entsetzen an.
     War er wahnsinnig? Es muten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge
erfinden lieen.
     Gewi, gewi! Er hat alles erfunden, getr€umt!
     Es  kann nicht wahr  sein,  was  er da  ìber den Augenarzt Grauenhaftes
erz€hlt  hat.  Er  ist schwindsìchtig, und die Fieber  des Todes  kreisen in
seinem Hirn.
     Und  ich  wollte ihn mit ein paar scherzenden  Worten beruhigen,  seine
Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.
     Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung
das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein
Zimmer  mit  runden  Fischaugen  durch  die aufgerissene Tìr  hereingeschaut
hatte.
     Dr.  Savioli!  Dr.  Savioli! - ja, ja, so war auch  der Name des jungen
Mannes gewesen, den mir  der Marionettenspieler  Zwakh  flìsternd anvertraut
als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.
     Dr. Savioli! -  Wie  ein Schrei tauchte es in meinem  Innern auf.  Eine
Reihe  nebelhafter   Bilder  zuckte  durch  meinen  Geist,  jagte  sich  mit
schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstìrmten.
     Ich wollte Charousek fragen,  ihm  voll Angst rasch alles erz€hlen, was
ich  damals  erlebt, da sah ich, da ein heftiger  Hustenanfall  sich seiner
bem€chtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie
er  sich  mìhsam  mit  den  H€nden  an  der  Mauer  stìtzend  in  den  Regen
hinaustappte und mir einen flìchtigen Gru zunickte.
     Ja,  ja,  er hat  recht, er sprach nicht im Fieber, - fìhlte ich, - das
unfabare Gespenst des Verbrechens ist  es, das durch diese Gassen schleicht
Tag und Nacht und sich zu verkærpern sucht.
     Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. Plætzlich schl€gt es sich
nieder in einer Menschenseele, - wir ahnen es nicht, - da, dort, und ehe wir
es fassen kænnen, ist es gestaltlos geworden und alles l€ngst vorìber.
     Und  nur  noch  dunkle Worte  ìber irgendein  entsetzliches  Geschehnis
kommen an uns heran.
     Mit einem  Schlage begriff ich diese  r€tselhaften Geschæpfe, die rings
um  mich  wohnten, in  ihrem innersten  Wesen: sie treiben  willenlos durchs
Dasein  von einem unsichtbaren magnetischen Strom  belebt - - so, wie vorhin
das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vorìberschwamm.
     Mir war, als  starrten die H€user alle mit  tìckischen  Gesichtern voll
namenloser  Bosheit  auf  mich herìber, -  die  Tore:  aufgerissene schwarze
M€uler,  aus  denen  die  Zungen  ausgefault  waren,  -  Rachen,  die  jeden
Augenblick   einen  gellenden  Schrei  ausstoen  konnten,  so  gellend  und
haerfìllt, da es uns bis ins Innerste erschrecken mìte.
     Was hatte zum Schlu noch  der Student  ìber den  Trædler gesagt? - Ich
flìsterte  mir  seine  Worte vor: -  Aaron  Wassertrum sei  jetzt allein mit
seiner Gier und - - seiner Wachspuppe.
     Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?
     Es mu  ein Gleichnis gewesen  sein, beschwichtigte ich  mich,  - eines
jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen  zu ìberfallen pflegt, die
man nicht versteht,  und  die einen,  wenn sie  sp€ter  unerwartet  sichtbar
werden, so tieferschrecken kænnen wie die  Dinge  von ungewohnter  Form, auf
die plætzlich ein greller Lichtstreif f€llt.
     Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck,
den mir Charouseks Erz€hlung verursacht hatte, abzuschìtteln.
     Ich sah die  Leute genauer  an, die mit  mir in dem Hausflur  warteten:
Neben  mir  stand jetzt  der dicke  Alte. Derselbe, der vorhin  so widerlich
gelacht hatte.
     Er  hatte einen  schwarzen  Gehrock an  und  Handschuhe und starrte mit
vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenìber.
     Sein  glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Zìgen zuckte vor
Erregung.
     Unwillkìrlich  folgte ich  seinen  Blicken und bemerkte,  da  sie  wie
gebannt  an der rothaarigen Rosina hingen,  die drìben  jenseits  der  Gasse
stand, ihr immerw€hrendes L€cheln um die Lippen.
     Der Alte war bemìht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, da sie es wohl
wute, aber sich benahm, als verstìnde sie nicht.
     Endlich hielt es der Alte nicht l€nger aus, watete  auf den  Fuspitzen
hinìber  und hìpfte  mit l€cherlicher Elastizit€t  wie ein  groer schwarzer
Gummiball ìber die Pfìtzen.
     Man schien ihn zu kennen, denn ich hærte allerhand Glossen fallen,  die
darauf hinzielten. Ein  Strolch  hinter mir, ein rotes, gestricktes  Tuch um
den Hals, mit  blauer Milit€rmìtze, die Virginia hinter dem Ohr,  machte mit
grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand.
     Ich  begriff nur, da sie den Alten in der  Judenstadt den "Freimaurer"
nannten  und  in  ihrer  Sprache mit  diesem  Spitznamen  jemand  bezeichnen
wollten, der sich an halbwìchsigen M€dchen  zu vergehen  pflegt, aber  durch
intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. - - -
     Dann  waren  das Gesicht  Rosinas und  der  Alte drìben  im  Dunkel des
Hausflures verschwunden.
        Punsch
     Wir  hatten das Fenster geæffnet, um den Tabakrauch aus meinem  kleinen
Zimmer stræmen zu lassen.
     Der kalte Nachtwind blies herein und  wehte an die zottigen M€ntel, die
an der Tìre hingen, da sie leise hin und her schwankten.
     "Prokops wìrdige Haupteszierde mæchte am liebsten  davonfliegen", sagte
Zwakh und deutete auf des Musikers  groen Schlapphut, der die breite Krempe
bewegte wie schwarze Flìgel.
     Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern.
     "Er will," sagte er, "er will wahrscheinlich - - -"
     "Er will zum  Loisitschek zur Tanzmusik",  nahm  ihm Vrieslander  das
Wort vorweg.
     Prokop lachte und schlug mit  der Hand den Takt zu den Kl€ngen, die die
dìnne Winterluft her ìber die D€cher trug.
     Dann  nahm  er meine alte, zerbrochene  Gitarre von der Wand, tat,  als
zupfe  er  die  zerbrochenen Saiten  und sang  mit  kreischendem Falsett und
gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied:
     "An Bein-del von Ei-sen
     recht alt
     "An Stran-zen net gar
     a so kalt
     "Messinung, a' R€ucherl
     und Rohn
     "und immerrr nurr putz-en - - -
      "Wie  groartig er mit einem  Mal  die  Gaunersprache  beherrscht!" und
Vrieslander lachte laut auf und brummte mit:
     "Und stok-en sich Aufzug
     und Pfiff
     "Und schmallern an eisernes
     G'sìff.
     "Juch, -
     "Und Handschuhkren, Harom net san - -
     "Wie  groartig er mit einem  Mal  die  Gaunersprache  beherrscht!" und
Vrieslander lachte laut auf und brummte mit:
     "Und stok-en sich Aufzug
     und Pfiff
     "Und schmallern an eisernes
     G'sìff.
     "Juch, -
     "Und Handschuhkren, Harom net san - -
      "Dieses  kuriose  Lied  schnarrt  jeden  Abend beim  Loisitschek  der
meschuggene  Nephtali  Schaffranek  mit  dem  grìnen  Augenschirm,  und  ein
geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grælt den  Text dazu",  erkl€rte
mir Zwakh. "Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen,  Meister
Pernath. Sp€ter vielleicht,  wenn  wir  mit dem Punsch zu Ende  sind,  - was
meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?"
     "Ja, ja, kommen Sie nachher  mit  uns", sagte  Prokop  und  klinkte das
Fenster zu, - "man mu so etwas gesehen haben."
     Dann tranken wir den heien Punsch und hingen unsern Gedanken nach.
     Vrieslander schnitzte an einer Marionette.
     "Sie  haben  uns  færmlich  von  der Auenwelt  abgeschnitten,  Josua,"
unterbrach  Zwakh die Stille,  "seit Sie das Fenster geschlossen haben,  hat
niemand mehr ein Wort gesprochen."
     "Ich  dachte nur  darìber  nach, als  vorhin die  M€ntel so flogen, wie
seltsam  es  ist,  wenn der Wind  leblose  Dinge  bewegt," antwortete Prokop
schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: "Es sieht gar
so wunderlich aus, wenn Gegenst€nde plætzlich zu flattern anheben, die sonst
immer tot daliegen. Nicht? - Ich  sah einmal auf einem menschenleeren  Platz
zu, wie groe Papierfetzen, - ohne da  ich vom Winde etwas spìrte, denn ich
stand durch  ein Haus gedeckt, - in  toller Wut  im Kreise  herumjagten  und
einander  verfolgten,  als  h€tten  sie  sich  den  Tod  geschworen.   Einen
Augenblick sp€ter schienen  sie sich beruhigt  zu haben, aber plætzlich  kam
wieder eine wahnwitzige Erbitterung ìber sie, und in sinnlosem Grimm  rasten
sie umher,  dr€ngten  sich in einen Winkel  zusammen,  um von neuem besessen
auseinander zu stieben und schlielich hinter einer Ecke zu verschwinden.
     Nur eine  dicke  Zeitung  konnte nicht mitkommen;  sie  blieb  auf  dem
Pflaster liegen und klappte haerfìllt  auf und  zu,  als sei  ihr  der Atem
ausgegangen und als schnappe sie nach Luft.
     Ein dunkler  Verdacht stieg damals in mir auf:  was,  wenn am  Ende wir
Lebewesen auch so etwas hnliches w€ren wie solche Papierfetzen? -  Ob nicht
vielleicht  ein  unsichtbarer, unbegreiflicher  "Wind"  auch uns hin und her
treibt und unsre Handlungen bestimmt, w€hrend wir in unserer Einfalt glauben
unter eigenem, freiem Willen zu stehen?
     Wie,  wenn das Leben in uns nichts  anderes  w€re als  ein r€tselhafter
Wirbelwind? Jener  Wind,  von dem  die  Bibel  sagt: Weit du, von wannen er
kommt und wohin er geht? - - - Tr€umen wir nicht auch zuweilen, wir  griffen
in  tiefes  Wasser  und fingen  silberne  Fische,  und  nichts  anderes  ist
geschehen, als da ein kalter Luftzug unsere H€nde traf?"
     "Prokop, Sie  sprechen in  Worten  wie Pernath, was ist's  mit  Ihnen?"
sagte Zwakh und sah den Musiker mitrauisch an.
     "Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erz€hlt wurde, - schade, da
Sie so  sp€t kamen und  sie nicht  mit anhærten,  - hat ihn  so nachdenklich
gestimmt", meinte Vrieslander.
     "Eine Geschichte von einem Buche?"
     "Eigentlich von  einem  Menschen,  der  ein Buch  brachte  und  seltsam
aussah. - Pernath wei nicht, wie er heit, wo  er wohnt, was er wollte, und
obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen  sein soll,  lasse es sich doch
nicht recht schildern."
     Zwakh horchte auf.
     *"Das ist sehr merkwìrdig," sagte er  nach einer Pause, "war der Fremde
vielleicht bartlos, und hatte er schr€gstehende Augen?"
     "Ich  glaube," antwortete ich, "das heit, ich -  ich  - wei  es  ganz
bestimmt. Kennen Sie ihn denn?"
     Der Marionettenspieler schìttelte  den Kopf. "Er erinnerte mich nur  an
den Golem."
     Der Maler Vrieslander lie sein Schnitzmesser sinken:
     "Golem? - Ich habe  schon so viel davon reden  hæren. Wissen Sie  etwas
ìber den Golem, Zwakh?"
     "Wer kann sagen, da  er ìber den Golem etwas wisse?", antwortete Zwakh
und zuckte die Achseln. "Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines
Tages in  den  Gassen  ein  Ereignis  vollzieht,  das ihn  plætzlich  wieder
aufleben  l€t. Und  eine  Zeitlang spricht  dann  jeder  von  ihm,  und die
Gerìchte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so ìbertrieben und aufgebauscht,
da  sie schlielich an der  eigenen Unglaubwìrdigkeit zugrunde  gehen.  Der
Ursprung der  Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurìck, sagt
man. Nach verlorengegangenen  Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner  da
einen kìnstlichen Menschen - den sogenannten Golem - verfertigt haben, damit
er  ihm  als Diener helfe  die Glocken in der Synagoge l€uten, und allerhand
grobe Arbeit tue.
     Es  sei  aber doch kein  richtiger Mensch daraus  geworden  und nur ein
dumpfes, halbbewutes Vegetieren habe ihn belebt. Wie es heit, auch das nur
tagsìber und kraft des  Einflusses eines  magischen Zettels, der ihm  hinter
den Z€hnen stak und die freien siderischen Kr€fte des Weltalls herabzog.
     Und als eines Abends vor dem Nachtgebet der Rabbiner das Siegel aus dem
Munde des Golem zu nehmen vers€umt, da w€re dieser in Tobsucht verfallen, in
der Dunkelheit durch die Gassen gerast und h€tte zerschlagen, was ihm in den
Weg gekommen.
     Bis der Rabbi sich ihm entgegengeworfen und den Zettel vernichtet habe.
     Und da  sei das Geschæpf leblos  niedergestìrzt.  Nichts blieb  von ihm
ìbrig   als   die  zwerghafte  Lehmfigur,  die  heute  noch  drìben  in  der
Altneusynagoge gezeigt wird."
     "Derselbe  Rabbiner soll einmal  auch  zum Kaiser  auf die Burg berufen
worden  sein  und  die Schemen  der  Toten  beschworen und  sichtbar gemacht
haben,"  warf Prokop ein,  "moderne  Forscher behaupten, er habe  sich  dazu
einer Laterna magica bedient."
     "Jawohl,  keine Erkl€rung ist  abgeschmackt  genug,  da  sie  bei  den
Heutigen  nicht Beifall f€nde,"  fuhr Zwakh  unbeirrt fort. - "Eine  Laterna
magica!!  Als  ob  Kaiser  Rudolf,  der  sein  ganzes Leben  solchen  Dingen
nachging, einen  so  plumpen  Schwindel  nicht auf  den  ersten  Blick h€tte
durchschauen mìssen!
     Ich kann  freilich nicht wissen, worauf sich die Golemsage zurìckfìhren
l€t, da  aber irgend etwas, was nicht sterben kann, in diesem Stadtviertel
sein  Wesen  treibt  und  damit  zusammenh€ngt, dessen  bin  ich sicher. Von
Geschlecht  zu  Geschlecht haben meine Vorfahren hier  gewohnt,  und niemand
kann wohl  auf  mehr  erlebte und ererbte Erinnerungen  an  das  periodische
Auftauchen des Golem zurìckblicken als gerade ich!"
     Zwakh hatte  plætzlich  aufgehært zu reden, und man fìhlte mit ihm, wie
seine Gedanken in vergangene Zeiten zurìckwanderten.
     Wie er, den Kopf aufgestìtzt,  dort am  Tische sa und beim Scheine der
Lampe  seine  roten, jugendlichen  B€ckchen fremdartig von  dem  weien Haar
abstachen,  verglich  ich  unwillkìrlich  im  Geiste  seine  Zìge   mit  den
maskenhaften Gesichtern seiner Marionetten, die er mir so oft gezeigt.
     Seltsam, wie €hnlich ihnen der alte Mann doch sah!
     Derselbe Ausdruck und derselbe Gesichtsschnitt!
     Manche Dinge  der Erde kænnen nicht loskommen voneinander,  fìhlte ich,
und wie ich Zwakhs einfaches Schicksal an mir vorìberziehen lie,  da schien
es mir mit  einemmal gespenstisch und  ungeheuerlich, da ein Mensch wie er,
obschon er  eine  bessere Erziehung als seine Vorfahren  genossen hatte  und
Schauspieler  h€tte  werden   sollen,  plætzlich  wieder  zu  dem  sch€bigen
Marionettenkasten zurìckkehren konnte, um nun abermals auf die Jahrm€rkte zu
ziehen  und  dieselben  Puppen,  die   schon  seiner  Vorv€ter  kìmmerliches
Erwerbsmittel gewesen, von  neuem  ihre ungelenken  Verbeugungen machen  und
schl€frigen Erlebnisse vorfìhren zu lassen.
     Er vermag es  nicht, sich von ihnen zu trennen, begriff ich;  sie leben
mit von seinem  Leben, und als  er fern von ihnen war, da haben sie  sich in
Gedanken verwandelt, haben  in seinem Hirn gewohnt und ihn rast- und ruhelos
gemacht, bis er wieder heimkehrte. Darum h€lt  er sie jetzt so liebevoll und
kleidet sie stolz in Flitter.
     "Zwakh, wollen Sie uns nicht weitererz€hlen?" forderte Prokop den Alten
auf und  sah fragend  nach Vrieslander und mir  hin, ob  auch  wir  gleichen
Wunsches seien.
     "Ich wei nicht, wo ich anfangen soll,"  meinte  der Alte zægernd, "die
Geschichte mit dem  Golem  l€t sich schwer fassen.  So  wie Pernath  vorhin
sagte:  er wisse genau, wie jener Unbekannte ausgesehen habe, und doch kænne
er ihn nicht  schildern. Ungef€hr alle  dreiunddreiig Jahre wiederholt sich
ein  Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich
tr€gt  und  dennoch ein Entsetzen  verbreitet, fìr  das weder eine Erkl€rung
noch eine Rechtfertigung ausreicht:
     Immer wieder begibt es sich n€mlich, da ein vollkommen fremder Mensch,
bartlos,  von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus,  aus der Richtung
der  Altschulgasse   her,  in  altmodische,  verschossene  Kleider  gehìllt,
gleichm€igen und  eigentìmlich stolpernden Ganges, so, als wolle  er  jeden
Augenblick  vornìber fallen, durch  die Judenstadt schreitet und plætzlich -
unsichtbar wird.
     Gewæhnlich biegt er in eine Gasse und ist dann verschwunden.
     Ein andermal heit es,  er habe auf seinem Wege einen Kreis beschrieben
und  sei zu dem Punkte  zurìckgekehrt, von dem er ausgegangen: einem uralten
Hause in der N€he der Synagoge.
     Einige Aufgeregte wiederum behaupten, sie  h€tten  ihn um eine Ecke auf
sich    zukommen   sehen.   Wiewohl    er   ihnen   aber    ganz    deutlich
entgegengeschritten, sei er dennoch, genau wie  jemand,  dessen Gestalt sich
in  weiter  Ferne  verliert,  immer  kleiner  und  kleiner  geworden  und  -
schlielich ganz verschwunden.
     Vor Sechsundsechzig Jahren nun mu der Eindruck, den er hervorgebracht,
besonders tief gegangen sein, denn ich erinnere mich - ich war noch ein ganz
kleiner Junge -, da  man das Geb€ude in der Altschulgasse damals  von  oben
bis unten durchsuchte.
     Es wurde auch festgestellt, da wirklich in diesem Hause ein Zimmer mit
Gitterfenster vorhanden ist, zu dem es keinen Zugang gibt.
     Aus allen Fenstern hatte man W€sche geh€ngt, um von der Gasse aus einen
Augenschein zu gewinnen, und war auf diese Weise der Tatsache  auf  die Spur
gekommen.
     Da es  anders nicht zu  erreichen gewesen, hatte sich ein Mann an einem
Strick vom  Dache herabgelassen,  um hineinzusehen. Kaum aber  war er in die
N€he  des  Fensters  gelangt,  da   ri  das  Seil,  und   der  Unglìckliche
zerschmetterte sich auf dem Pflaster den Sch€del. Und als sp€ter der Versuch
nochmals wiederholt werden sollte,  gingen die Ansichten  ìber die  Lage des
Fensters derart auseinander, da man davon abstand.
     Ich  selber begegnete dem  Golem das erste  Mal  in  meinem Leben vor
ungef€hr dreiunddreiig Jahren.
     Er kam in einem sogenannten Durchhause  auf mich zu,  und  wir  rannten
fast aneinander.
     Es ist mir heute noch unbegreiflich, was damals in mir vorgegangen sein
mu. Man  tr€gt doch  um Gottes willen nicht immerw€hrend, tagaus tagein die
Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen.
     In jenem Augenblick aber, bestimmt - ganz bestimmt, noch ehe ich seiner
ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der  Golem! Und im
selben  Moment stolperte  jemand aus dem Dunkel  des  Torflures  hervor, und
jener  Unbekannte ging  an mir  vorìber. Eine Sekunde sp€ter drang eine Flut
bleicher,  aufgeregter   Gesichter  mir  entgegen,  die   mich  mit   Fragen
bestìrmten, ob ich ihn gesehen h€tte.
     Und  als ich  antwortete, da fìhlte ich, da sich meine  Zunge wie  aus
einem Krampfe læste, von dem ich vorher nichts gespìrt hatte.
     Ich war færmlich ìberrascht, da ich mich  bewegen konnte, und deutlich
kam  mir  zum Bewutsein, da ich mich,  wenn auch  nur  den Bruchteil eines
Herzschlags lang - in einer Art Starrkrampf befunden haben mute.
     ber all das habe  ich oft und  lange  nachgedacht, und mich dìnkt, ich
komme  der  Wahrheit  am n€chsten,  wenn ich sage: Immer einmal  in der Zeit
eines  Menschenalters geht  blitzschnell  eine  geistige  Epidemie durch die
Judenstadt,  bef€llt  die Seelen  der Lebenden zu irgendeinem Zweck, der uns
verhìllt  bleibt,  und  l€t  wie  eine  Luftspiegelung  die  Umrisse  eines
charakteristischen  Wesens  erstehen, das  vielleicht  vorjahrhunderten hier
gelebt hat und nach Form und Gestaltung dìrstet.
     Vielleicht ist es  mitten unter uns,  Stunde fìr Stunde, und wir nehmen
es nicht wahr.  Hæren  wir  doch  auch den Ton einer schwirrenden Stimmgabel
nicht, bevor sie das Holz berìhrt und es mitschwingen macht.
     Vielleicht  ist  es nur so  etwas  wie  ein seelisches  Kunstwerk, ohne
innewohnendes  Bewutsein, - ein Kunstwerk, das entsteht,  wie  ein Kristall
nach stets sich gleichbleibendem Gesetz aus dem Gestaltlosen herausw€chst.
     Wer wei das?
     Wie  in   schwìlen  Tagen  die  elektrische  Spannung   sich   bis  zur
Unertr€glichkeit steigert und endlich  den Blitz gebiert, kænnte es da nicht
sein, da auch auf die stetige Anh€ufung jener niemals wechselnden Gedanken,
die hier  im Getto die Luft  vergiften, eine plætzliche, ruckweise Entladung
folgen  mu? -  eine  seelische Explosion,  die  unser  Traumbewutsein  ans
Tageslicht peitscht, um -  dort den  Blitz  der Natur - hier ein Gespenst zu
schaffen, das in Mienen, Gang und Gehaben, in allem und jedem das Symbol der
Massenseele  unfehlbar  offenbaren  mìte, wenn man die geheime  Sprache der
Formen nur richtig zu deuten verstìnde?
     Und wie mancherlei  Erscheinungen das Einschlagen des Blitzes ankìnden,
so  verraten   auch  hier   gewisse   grauenhafte  Vorzeichen  das  drohende
Hereinbrechen jenes Phantoms ins  Reich der  Tat.  Der  abbl€tternde  Bewurf
einer  alten  Mauer nimmt eine Gestalt an, die  einem  schreitenden Menschen
gleicht; und in Eisblumen am Fenster bilden sich Zìge starrer Gesichter. Der
Sand  vom  Dache   scheint  anders  zu  fallen  als  sonst  und  dr€ngt  dem
argwæhnischen Beobachter den Verdacht auf, eine unsichtbare Intelligenz, die
sich lichtscheu verborgen h€lt, werfe ihn herab  und ìbe  sich in heimlichen
Versuchen,  allerlei  seltsame Umrisse hervorzubringen. - Ruht  das Auge auf
eintænigem Geflecht oder den Unebenheiten der  Haut, bem€chtigt  sich  unser
die unerfreuliche Gabe, ìberall mahnende, bedeutsame Formen zu sehen, die in
unsern Tr€umen ins Riesengroe auswachsen. Und immer zieht sich durch solche
schemenhaften  Versuche der  angesammelten  Gedankenherden,  die  W€lle  der
Allt€glichkeit  zu durchnagen,  fìr uns  wie ein  roter  Faden die qualvolle
Gewiheit, da  unser  eigenstes  Inneres  mit Vorbedacht  und gegen  unsern
Willen ausgesogen wird, nur damit die Gestalt des Phantoms  plastisch werden
kænne.
     Wie  ich  nun  vorhin  Pernath  best€tigen  hærte, da  ihm  ein Mensch
begegnet sei, bartlos, mit schiefgestellten Augen, da stand der "Golem"  vor
mir, wie ich ihn damals gesehen.
     Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir.
     Und eine gewisse dumpfe Furcht, es  stehe  wieder  etwas Unerkl€rliches
nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon
einmal in meinen Kinderjahren verspìrt, als die ersten spukhaften uerungen
des Golem ihre Schatten vorauswarfen.
     Sechsundsechzig Jahre ist  das  wohl jetzt her und knìpft sich an einen
Abend, an dem der Br€utigam meiner Schwester  zu Besuch gekommen war, und in
der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte.
     Es wurde damals Blei gegossen - zum Scherz - und ich stand mit  offenem
Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, - in meiner wirren,
kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem
ich  meinen Grovater  oft hatte erz€hlen hæren, und bildete mir ein,  jeden
Augenblick mìsse die Tìr aufgehen und der Unbekannte eintreten.
     Meine  Schwester leerte dann den Læffel mit dem flìssigen Metall in das
Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an.
     Mit welken,  zitternden  H€nden  holte mein  Grovater  den  blitzenden
Bleiklumpen heraus  und  hielt ihn ans  Licht. Gleich  darauf entstand  eine
allgemeine  Erregung.  Man  redete  laut  durcheinander;  ich  wollte   mich
hinzudr€ngen, aber man wehrte mich ab.
     Sp€ter, als ich €lter geworden, erz€hlte mir mein Vater, es w€re damals
das  geschmolzene  Metall zu  einem kleinen,  ganz deutlichen Kopf  erstarrt
gewesen,  -  glatt  und  rund,  wie  nach  einer  Form   gegossen,  und  von
unheimlicher hnlichkeit mit den  Zìgen  des "Golem", da sich alle entsetzt
h€tten.
     Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah  Hillel, der  die  Requisiten
der  Altneusynagoge  in  Verwahrung  hat  und auch die gewisse Lehmfigur aus
Kaiser Rudolfs  Zeiten, darìber.  Er hat sich mit Kabbala  befat und meint,
jener  Erdklumpen  mit  den menschlichen  Gliedmaen sei  vielleicht  nichts
anderes  als  ein  ehemaliges  Vorzeichen, ganz so wie  in  meinem Fall  der
bleierne Kopf. Und  der Unbekannte, der da umgehe, mìsse das Phantasie- oder
Gedankenbild  sein,  das  jener  mittelalterliche  Rabbiner zuerst  lebendig
gedacht  habe,  ehe er  es mit Materie  bekleiden konnte,  und  das  nun  in
regelm€igen    Zeitabschnitten,    bei    den    gleichen    astrologischen
Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden  - wiederkehre, vom Triebe
nach stofflichem Leben gequ€lt.
     Auch Hillels  verstorbene  Frau  hatte  den "Golem"  von  Angesicht  zu
Angesicht erblickt und ebenso wie ich gefìhlt, da man  sich im  Starrkrampf
befindet, solange das r€tselhafte Wesen in der N€he weilt.
     Sie sagte, sie sei felsenfest ìberzeugt gewesen, da es damals nur ihre
eigene Seele habe sein kænnen,  die  -  aus dem Kærper  getreten - ihr einen
Augenblick gegenìbergestanden und mit den Zìgen eines fremden Geschæpfes ins
Gesicht gestarrt h€tte.
     Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bem€chtigt, habe
sie  doch keine  Sekunde die Gewiheit verlassen, da jener  andere nur  ein
Stìck ihres eignen Innern sein konnte." -
     "Dieses  kuriose  Lied  schnarrt  jeden  Abend beim  Loisitschek  der
meschuggene  Nephtali  Schaffranek  mit  dem  grìnen  Augenschirm,  und  ein
geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grælt den  Text dazu",  erkl€rte
mir Zwakh. "Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen,  Meister
Pernath. Sp€ter vielleicht,  wenn  wir  mit dem Punsch zu Ende  sind,  - was
meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?"
     "Ja, ja, kommen Sie nachher  mit  uns", sagte  Prokop  und  klinkte das
Fenster zu, - "man mu so etwas gesehen haben."
     Dann tranken wir den heien Punsch und hingen unsern Gedanken nach.
     Vrieslander schnitzte an einer Marionette.
     "Sie  haben  uns  færmlich  von  der Auenwelt  abgeschnitten,  Josua,"
unterbrach  Zwakh die Stille,  "seit Sie das Fenster geschlossen haben,  hat
niemand mehr ein Wort gesprochen."
     "Ich  dachte nur  darìber  nach, als  vorhin die  M€ntel so flogen, wie
seltsam  es  ist,  wenn der Wind  leblose  Dinge  bewegt," antwortete Prokop
schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: "Es sieht gar
so wunderlich aus, wenn Gegenst€nde plætzlich zu flattern anheben, die sonst
immer tot daliegen. Nicht? - Ich  sah einmal auf einem menschenleeren  Platz
zu, wie groe Papierfetzen, - ohne da  ich vom Winde etwas spìrte, denn ich
stand durch  ein Haus gedeckt, - in  toller Wut  im Kreise  herumjagten  und
einander  verfolgten,  als  h€tten  sie  sich  den  Tod  geschworen.   Einen
Augenblick sp€ter schienen  sie sich beruhigt  zu haben, aber plætzlich  kam
wieder eine wahnwitzige Erbitterung ìber sie, und in sinnlosem Grimm  rasten
sie umher,  dr€ngten  sich in einen Winkel  zusammen,  um von neuem besessen
auseinander zu stieben und schlielich hinter einer Ecke zu verschwinden.
     Nur eine  dicke  Zeitung  konnte nicht mitkommen;  sie  blieb  auf  dem
Pflaster liegen und klappte haerfìllt  auf und  zu,  als sei  ihr  der Atem
ausgegangen und als schnappe sie nach Luft.
     Ein dunkler  Verdacht stieg damals in mir auf:  was,  wenn am  Ende wir
Lebewesen auch so etwas hnliches w€ren wie solche Papierfetzen? -  Ob nicht
vielleicht  ein  unsichtbarer, unbegreiflicher  "Wind"  auch uns hin und her
treibt und unsre Handlungen bestimmt, w€hrend wir in unserer Einfalt glauben
unter eigenem, freiem Willen zu stehen?
     Wie,  wenn das Leben in uns nichts  anderes  w€re als  ein r€tselhafter
Wirbelwind? Jener  Wind,  von dem  die  Bibel  sagt: Weit du, von wannen er
kommt und wohin er geht? - - - Tr€umen wir nicht auch zuweilen, wir  griffen
in  tiefes  Wasser  und fingen  silberne  Fische,  und  nichts  anderes  ist
geschehen, als da ein kalter Luftzug unsere H€nde traf?"
     "Prokop, Sie  sprechen in  Worten  wie Pernath, was ist's  mit  Ihnen?"
sagte Zwakh und sah den Musiker mitrauisch an.
     "Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erz€hlt wurde, - schade, da
Sie so  sp€t kamen und  sie nicht  mit anhærten,  - hat ihn  so nachdenklich
gestimmt", meinte Vrieslander.
     "Eine Geschichte von einem Buche?"
     "Eigentlich von  einem  Menschen,  der  ein Buch  brachte  und  seltsam
aussah. - Pernath wei nicht, wie er heit, wo  er wohnt, was er wollte, und
obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen  sein soll,  lasse es sich doch
nicht recht schildern."
     Zwakh horchte auf.
     *"Das ist sehr merkwìrdig," sagte er  nach einer Pause, "war der Fremde
vielleicht bartlos, und hatte er schr€gstehende Augen?"
     "Ich  glaube," antwortete ich, "das heit, ich -  ich  - wei  es  ganz
bestimmt. Kennen Sie ihn denn?"
     Der Marionettenspieler schìttelte  den Kopf. "Er erinnerte mich nur  an
den Golem."
     Der Maler Vrieslander lie sein Schnitzmesser sinken:
     "Golem? - Ich habe  schon so viel davon reden  hæren. Wissen Sie  etwas
ìber den Golem, Zwakh?"
     "Wer kann sagen, da  er ìber den Golem etwas wisse?", antwortete Zwakh
und zuckte die Achseln. "Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines
Tages in  den  Gassen  ein  Ereignis  vollzieht,  das ihn  plætzlich  wieder
aufleben  l€t. Und  eine  Zeitlang spricht  dann  jeder  von  ihm,  und die
Gerìchte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so ìbertrieben und aufgebauscht,
da  sie schlielich an der  eigenen Unglaubwìrdigkeit zugrunde  gehen.  Der
Ursprung der  Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurìck, sagt
man. Nach verlorengegangenen  Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner  da
einen kìnstlichen Menschen - den sogenannten Golem - verfertigt haben, damit
er  ihm  als Diener helfe  die Glocken in der Synagoge l€uten, und allerhand
grobe Arbeit tue.
     Es  sei  aber doch kein  richtiger Mensch daraus  geworden  und nur ein
dumpfes, halbbewutes Vegetieren habe ihn belebt. Wie es heit, auch das nur
tagsìber und kraft des  Einflusses eines  magischen Zettels, der ihm  hinter
den Z€hnen stak und die freien siderischen Kr€fte des Weltalls herabzog.
     Und als eines Abends vor dem Nachtgebet der Rabbiner das Siegel aus dem
Munde des Golem zu nehmen vers€umt, da w€re dieser in Tobsucht verfallen, in
der Dunkelheit durch die Gassen gerast und h€tte zerschlagen, was ihm in den
Weg gekommen.
     Bis der Rabbi sich ihm entgegengeworfen und den Zettel vernichtet habe.
     Und da  sei das Geschæpf leblos  niedergestìrzt.  Nichts blieb  von ihm
ìbrig   als   die  zwerghafte  Lehmfigur,  die  heute  noch  drìben  in  der
Altneusynagoge gezeigt wird."
     "Derselbe  Rabbiner soll einmal  auch  zum Kaiser  auf die Burg berufen
worden  sein  und  die Schemen  der  Toten  beschworen und  sichtbar gemacht
haben,"  warf Prokop ein,  "moderne  Forscher behaupten, er habe  sich  dazu
einer Laterna magica bedient."
     "Jawohl,  keine Erkl€rung ist  abgeschmackt  genug,  da  sie  bei  den
Heutigen  nicht Beifall f€nde,"  fuhr Zwakh  unbeirrt fort. - "Eine  Laterna
magica!!  Als  ob  Kaiser  Rudolf,  der  sein  ganzes Leben  solchen  Dingen
nachging, einen  so  plumpen  Schwindel  nicht auf  den  ersten  Blick h€tte
durchschauen mìssen!
     Ich kann  freilich nicht wissen, worauf sich die Golemsage zurìckfìhren
l€t, da  aber irgend etwas, was nicht sterben kann, in diesem Stadtviertel
sein  Wesen  treibt  und  damit  zusammenh€ngt, dessen  bin  ich sicher. Von
Geschlecht  zu  Geschlecht haben meine Vorfahren hier  gewohnt,  und niemand
kann wohl  auf  mehr  erlebte und ererbte Erinnerungen  an  das  periodische
Auftauchen des Golem zurìckblicken als gerade ich!"
     Zwakh hatte  plætzlich  aufgehært zu reden, und man fìhlte mit ihm, wie
seine Gedanken in vergangene Zeiten zurìckwanderten.
     Wie er, den Kopf aufgestìtzt,  dort am  Tische sa und beim Scheine der
Lampe  seine  roten, jugendlichen  B€ckchen fremdartig von  dem  weien Haar
abstachen,  verglich  ich  unwillkìrlich  im  Geiste  seine  Zìge   mit  den
maskenhaften Gesichtern seiner Marionetten, die er mir so oft gezeigt.
     Seltsam, wie €hnlich ihnen der alte Mann doch sah!
     Derselbe Ausdruck und derselbe Gesichtsschnitt!
     Manche Dinge  der Erde kænnen nicht loskommen voneinander,  fìhlte ich,
und wie ich Zwakhs einfaches Schicksal an mir vorìberziehen lie,  da schien
es mir mit  einemmal gespenstisch und  ungeheuerlich, da ein Mensch wie er,
obschon er  eine  bessere Erziehung als seine Vorfahren  genossen hatte  und
Schauspieler  h€tte  werden   sollen,  plætzlich  wieder  zu  dem  sch€bigen
Marionettenkasten zurìckkehren konnte, um nun abermals auf die Jahrm€rkte zu
ziehen  und  dieselben  Puppen,  die   schon  seiner  Vorv€ter  kìmmerliches
Erwerbsmittel gewesen, von  neuem  ihre ungelenken  Verbeugungen machen  und
schl€frigen Erlebnisse vorfìhren zu lassen.
     Er vermag es  nicht, sich von ihnen zu trennen, begriff ich;  sie leben
mit von seinem  Leben, und als  er fern von ihnen war, da haben sie  sich in
Gedanken verwandelt, haben  in seinem Hirn gewohnt und ihn rast- und ruhelos
gemacht, bis er wieder heimkehrte. Darum h€lt  er sie jetzt so liebevoll und
kleidet sie stolz in Flitter.
     "Zwakh, wollen Sie uns nicht weitererz€hlen?" forderte Prokop den Alten
auf und  sah fragend  nach Vrieslander und mir  hin, ob  auch  wir  gleichen
Wunsches seien.
     "Ich wei nicht, wo ich anfangen soll,"  meinte  der Alte zægernd, "die
Geschichte mit dem  Golem  l€t sich schwer fassen.  So  wie Pernath  vorhin
sagte:  er wisse genau, wie jener Unbekannte ausgesehen habe, und doch kænne
er ihn nicht  schildern. Ungef€hr alle  dreiunddreiig Jahre wiederholt sich
ein  Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich
tr€gt  und  dennoch ein Entsetzen  verbreitet, fìr  das weder eine Erkl€rung
noch eine Rechtfertigung ausreicht:
     Immer wieder begibt es sich n€mlich, da ein vollkommen fremder Mensch,
bartlos,  von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus,  aus der Richtung
der  Altschulgasse   her,  in  altmodische,  verschossene  Kleider  gehìllt,
gleichm€igen und  eigentìmlich stolpernden Ganges, so, als wolle  er  jeden
Augenblick  vornìber fallen, durch  die Judenstadt schreitet und plætzlich -
unsichtbar wird.
     Gewæhnlich biegt er in eine Gasse und ist dann verschwunden.
     Ein andermal heit es,  er habe auf seinem Wege einen Kreis beschrieben
und  sei zu dem Punkte  zurìckgekehrt, von dem er ausgegangen: einem uralten
Hause in der N€he der Synagoge.
     Einige Aufgeregte wiederum behaupten, sie  h€tten  ihn um eine Ecke auf
sich    zukommen   sehen.   Wiewohl    er   ihnen   aber    ganz    deutlich
entgegengeschritten, sei er dennoch, genau wie  jemand,  dessen Gestalt sich
in  weiter  Ferne  verliert,  immer  kleiner  und  kleiner  geworden  und  -
schlielich ganz verschwunden.
     Vor Sechsundsechzig Jahren nun mu der Eindruck, den er hervorgebracht,
besonders tief gegangen sein, denn ich erinnere mich - ich war noch ein ganz
kleiner Junge -, da  man das Geb€ude in der Altschulgasse damals  von  oben
bis unten durchsuchte.
     Es wurde auch festgestellt, da wirklich in diesem Hause ein Zimmer mit
Gitterfenster vorhanden ist, zu dem es keinen Zugang gibt.
     Aus allen Fenstern hatte man W€sche geh€ngt, um von der Gasse aus einen
Augenschein zu gewinnen, und war auf diese Weise der Tatsache  auf  die Spur
gekommen.
     Da es  anders nicht zu  erreichen gewesen, hatte sich ein Mann an einem
Strick vom  Dache herabgelassen,  um hineinzusehen. Kaum aber  war er in die
N€he  des  Fensters  gelangt,  da   ri  das  Seil,  und   der  Unglìckliche
zerschmetterte sich auf dem Pflaster den Sch€del. Und als sp€ter der Versuch
nochmals wiederholt werden sollte,  gingen die Ansichten  ìber die  Lage des
Fensters derart auseinander, da man davon abstand.
     Ich  selber begegnete dem  Golem das erste  Mal  in  meinem Leben vor
ungef€hr dreiunddreiig Jahren.
     Er kam in einem sogenannten Durchhause  auf mich zu,  und  wir  rannten
fast aneinander.
     Es ist mir heute noch unbegreiflich, was damals in mir vorgegangen sein
mu. Man  tr€gt doch  um Gottes willen nicht immerw€hrend, tagaus tagein die
Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen.
     In jenem Augenblick aber, bestimmt - ganz bestimmt, noch ehe ich seiner
ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der  Golem! Und im
selben  Moment stolperte  jemand aus dem Dunkel  des  Torflures  hervor, und
jener  Unbekannte ging  an mir  vorìber. Eine Sekunde sp€ter drang eine Flut
bleicher,  aufgeregter   Gesichter  mir  entgegen,  die   mich  mit   Fragen
bestìrmten, ob ich ihn gesehen h€tte.
     Und  als ich  antwortete, da fìhlte ich, da sich meine  Zunge wie  aus
einem Krampfe læste, von dem ich vorher nichts gespìrt hatte.
     Ich war færmlich ìberrascht, da ich mich  bewegen konnte, und deutlich
kam  mir  zum Bewutsein, da ich mich,  wenn auch  nur  den Bruchteil eines
Herzschlags lang - in einer Art Starrkrampf befunden haben mute.
     ber all das habe  ich oft und  lange  nachgedacht, und mich dìnkt, ich
komme  der  Wahrheit  am n€chsten,  wenn ich sage: Immer einmal  in der Zeit
eines  Menschenalters geht  blitzschnell  eine  geistige  Epidemie durch die
Judenstadt,  bef€llt  die Seelen  der Lebenden zu irgendeinem Zweck, der uns
verhìllt  bleibt,  und  l€t  wie  eine  Luftspiegelung  die  Umrisse  eines
charakteristischen  Wesens  erstehen, das  vielleicht  vorjahrhunderten hier
gelebt hat und nach Form und Gestaltung dìrstet.
     Vielleicht ist es  mitten unter uns,  Stunde fìr Stunde, und wir nehmen
es nicht wahr.  Hæren  wir  doch  auch den Ton einer schwirrenden Stimmgabel
nicht, bevor sie das Holz berìhrt und es mitschwingen macht.
     Vielleicht  ist  es nur so  etwas  wie  ein seelisches  Kunstwerk, ohne
innewohnendes  Bewutsein, - ein Kunstwerk, das entsteht,  wie  ein Kristall
nach stets sich gleichbleibendem Gesetz aus dem Gestaltlosen herausw€chst.
     Wer wei das?
     Wie  in   schwìlen  Tagen  die  elektrische  Spannung   sich   bis  zur
Unertr€glichkeit steigert und endlich  den Blitz gebiert, kænnte es da nicht
sein, da auch auf die stetige Anh€ufung jener niemals wechselnden Gedanken,
die hier  im Getto die Luft  vergiften, eine plætzliche, ruckweise Entladung
folgen  mu? -  eine  seelische Explosion,  die  unser  Traumbewutsein  ans
Tageslicht peitscht, um -  dort den  Blitz  der Natur - hier ein Gespenst zu
schaffen, das in Mienen, Gang und Gehaben, in allem und jedem das Symbol der
Massenseele  unfehlbar  offenbaren  mìte, wenn man die geheime  Sprache der
Formen nur richtig zu deuten verstìnde?
     Und wie mancherlei  Erscheinungen das Einschlagen des Blitzes ankìnden,
so  verraten   auch  hier   gewisse   grauenhafte  Vorzeichen  das  drohende
Hereinbrechen jenes Phantoms ins  Reich der  Tat.  Der  abbl€tternde  Bewurf
einer  alten  Mauer nimmt eine Gestalt an, die  einem  schreitenden Menschen
gleicht; und in Eisblumen am Fenster bilden sich Zìge starrer Gesichter. Der
Sand  vom  Dache   scheint  anders  zu  fallen  als  sonst  und  dr€ngt  dem
argwæhnischen Beobachter den Verdacht auf, eine unsichtbare Intelligenz, die
sich lichtscheu verborgen h€lt, werfe ihn herab  und ìbe  sich in heimlichen
Versuchen,  allerlei  seltsame Umrisse hervorzubringen. - Ruht  das Auge auf
eintænigem Geflecht oder den Unebenheiten der  Haut, bem€chtigt  sich  unser
die unerfreuliche Gabe, ìberall mahnende, bedeutsame Formen zu sehen, die in
unsern Tr€umen ins Riesengroe auswachsen. Und immer zieht sich durch solche
schemenhaften  Versuche der  angesammelten  Gedankenherden,  die  W€lle  der
Allt€glichkeit  zu durchnagen,  fìr uns  wie ein  roter  Faden die qualvolle
Gewiheit, da  unser  eigenstes  Inneres  mit Vorbedacht  und gegen  unsern
Willen ausgesogen wird, nur damit die Gestalt des Phantoms  plastisch werden
kænne.
     Wie  ich  nun  vorhin  Pernath  best€tigen  hærte, da  ihm  ein Mensch
begegnet sei, bartlos, mit schiefgestellten Augen, da stand der "Golem"  vor
mir, wie ich ihn damals gesehen.
     Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir.
     Und eine gewisse dumpfe Furcht, es  stehe  wieder  etwas Unerkl€rliches
nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon
einmal in meinen Kinderjahren verspìrt, als die ersten spukhaften uerungen
des Golem ihre Schatten vorauswarfen.
     Sechsundsechzig Jahre ist  das  wohl jetzt her und knìpft sich an einen
Abend, an dem der Br€utigam meiner Schwester  zu Besuch gekommen war, und in
der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte.
     Es wurde damals Blei gegossen - zum Scherz - und ich stand mit  offenem
Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, - in meiner wirren,
kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem
ich  meinen Grovater  oft hatte erz€hlen hæren, und bildete mir ein,  jeden
Augenblick mìsse die Tìr aufgehen und der Unbekannte eintreten.
     Meine  Schwester leerte dann den Læffel mit dem flìssigen Metall in das
Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an.
     Mit welken,  zitternden  H€nden  holte mein  Grovater  den  blitzenden
Bleiklumpen heraus  und  hielt ihn ans  Licht. Gleich  darauf entstand  eine
allgemeine  Erregung.  Man  redete  laut  durcheinander;  ich  wollte   mich
hinzudr€ngen, aber man wehrte mich ab.
     Sp€ter, als ich €lter geworden, erz€hlte mir mein Vater, es w€re damals
das  geschmolzene  Metall zu  einem kleinen,  ganz deutlichen Kopf  erstarrt
gewesen,  -  glatt  und  rund,  wie  nach  einer  Form   gegossen,  und  von
unheimlicher hnlichkeit mit den  Zìgen  des "Golem", da sich alle entsetzt
h€tten.
     Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah  Hillel, der  die  Requisiten
der  Altneusynagoge  in  Verwahrung  hat  und auch die gewisse Lehmfigur aus
Kaiser Rudolfs  Zeiten, darìber.  Er hat sich mit Kabbala  befat und meint,
jener  Erdklumpen  mit  den menschlichen  Gliedmaen sei  vielleicht  nichts
anderes  als  ein  ehemaliges  Vorzeichen, ganz so wie  in  meinem Fall  der
bleierne Kopf. Und  der Unbekannte, der da umgehe, mìsse das Phantasie- oder
Gedankenbild  sein,  das  jener  mittelalterliche  Rabbiner zuerst  lebendig
gedacht  habe,  ehe er  es mit Materie  bekleiden konnte,  und  das  nun  in
regelm€igen    Zeitabschnitten,    bei    den    gleichen    astrologischen
Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden  - wiederkehre, vom Triebe
nach stofflichem Leben gequ€lt.
     Auch Hillels  verstorbene  Frau  hatte  den "Golem"  von  Angesicht  zu
Angesicht erblickt und ebenso wie ich gefìhlt, da man  sich im  Starrkrampf
befindet, solange das r€tselhafte Wesen in der N€he weilt.
     Sie sagte, sie sei felsenfest ìberzeugt gewesen, da es damals nur ihre
eigene Seele habe sein kænnen,  die  -  aus dem Kærper  getreten - ihr einen
Augenblick gegenìbergestanden und mit den Zìgen eines fremden Geschæpfes ins
Gesicht gestarrt h€tte.
     Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bem€chtigt, habe
sie  doch keine  Sekunde die Gewiheit verlassen, da jener  andere nur  ein
Stìck ihres eignen Innern sein konnte." -
      "Es ist unglaublich", murmelte Prokop in Gedanken verloren.
     Auch der Maler Vrieslander schien ganz in Grìbeln versunken.
     Da klopfte es an die Tìre und das alte Weib, das mir des Abends  Wasser
bringt  und was ich sonst noch  nætig  habe,  trat ein, stellte den tænernen
Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus.
     Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber
noch lange Zeit sprach niemand ein Wort.
     Als  sei ein neuer Einflu  mit der  Alten zur Tìr hereingeschlìpft, an
den man sich erst gewæhnen mute.
     "Ja!  Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht
loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht",
sagte  plætzlich  Zwakh  ganz  unvermittelt.  "Dieses  erstarrte,  grinsende
L€cheln  kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die  Gromutter,
dann die Mutter! -  Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe
Name Rosina; - es ist immer eine die Auferstehung der andern."
     "Ist Rosina  nicht  die Tochter des Trædlers Aaron Wassertrum?"  fragte
ich.
     "Man spricht so", meinte Zwakh, - - "Aaron Wassertrum aber  hat manchen
Sohn und manche Tochter, von denen man nicht  wei. Auch bei  Rosinas Mutter
wute man nicht, wer ihr Vater gewesen, - auch  nicht, was aus ihr  geworden
ist. - Mit fìnfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren  und war seitdem nicht
mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen,  soweit ich
mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde.
     Wie jetzt  ihre Tochter, spukte damals  sie den halbwìchsigen Jungen im
Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, - ich sehe ihn æfter, - doch sein Name ist
mir entfallen.  Die andern sind bald gestorben,  und  ich meine, sie hat sie
     "Es ist unglaublich", murmelte Prokop in Gedanken verloren.
     Auch der Maler Vrieslander schien ganz in Grìbeln versunken.
     Da klopfte es an die Tìre und das alte Weib, das mir des Abends  Wasser
bringt  und was ich sonst noch  nætig  habe,  trat ein, stellte den tænernen
Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus.
     Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber
noch lange Zeit sprach niemand ein Wort.
     Als  sei ein neuer Einflu  mit der  Alten zur Tìr hereingeschlìpft, an
den man sich erst gewæhnen mute.
     "Ja!  Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht
loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht",
sagte  plætzlich  Zwakh  ganz  unvermittelt.  "Dieses  erstarrte,  grinsende
L€cheln  kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die  Gromutter,
dann die Mutter! -  Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe
Name Rosina; - es ist immer eine die Auferstehung der andern."
     "Ist Rosina  nicht  die Tochter des Trædlers Aaron Wassertrum?"  fragte
ich.
     "Man spricht so", meinte Zwakh, - - "Aaron Wassertrum aber  hat manchen
Sohn und manche Tochter, von denen man nicht  wei. Auch bei  Rosinas Mutter
wute man nicht, wer ihr Vater gewesen, - auch  nicht, was aus ihr  geworden
ist. - Mit fìnfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren  und war seitdem nicht
mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen,  soweit ich
mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde.
     Wie jetzt  ihre Tochter, spukte damals  sie den halbwìchsigen Jungen im
Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, - ich sehe ihn æfter, - doch sein Name ist
mir entfallen.  Die andern sind bald gestorben,  und  ich meine, sie hat sie