Gustav Meyrink. Der Golem
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     ¥ç âë© ¨áâ®ç¨ª: Gustav Meyrink. Der Golem, Leipzig, 1916
     OCR, Spellcheck: Serge Winitzki
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         Leipzig
         Kurt Wolff Verlag
         1916
         Vierter Abdruck. Dezember 1915
         Copyright 1915 by Kurt Wolff Verlag Leipzig
         Kapitelverzeichnis
     Schlaf
     Tag
     I
     Prag
     Punsch
     Nacht
     Wach
     Schnee
     Spuk
     Licht
     Not
     Angst
     Trieb
     Weib
     List
     Qual
     Mai
     Mond
     Frei
     SchluŸ
         Schlaf
     Das Mondlicht  f¤llt  auf das  FuŸende meines Bettes und liegt dort wie
ein groŸer, heller, flacher Stein.
     Wenn der  Vollmond in seiner Gestalt  zu schrumpfen  beginnt  und seine
rechte Seite  f¤ngt an  zu verfallen,  -  wie  ein  Gesicht,  das dem  Alter
entgegengeht,  zuerst  an  einer  Wange  Falten  zeigt und abmagert,  - dann
bem¤chtigt  sich meiner um solche  Zeit des  Nachts  eine  trìbe,  qualvolle
Unruhe.
     Ich schlafe nicht und wache nicht, und im  Halbtraum vermischt  sich in
meiner   Seele  Erlebtes  mit   Gelesenem   und  Gehærtem,  wie  Stræme  von
verschiedener Farbe und Klarheit zusammenflieŸen.
     Ich  hatte  ìber  das Leben  des  Buddha  Gotama gelesen, ehe ich  mich
niedergelegt, und in tausend Spielarten zog der Satz immer wieder  von vorne
beginnend durch meinen Sinn:
     "Eine Kr¤he flog zu einem Stein hin, der wie ein Stìck Fett aussah, und
dachte: vielleicht ist  hier etwas Wohlschmeckendes. Da nun die  Kr¤he  dort
nichts  Wohlschmeckendes  fand, flog sie fort. Wie die Kr¤he,  die sich  dem
Stein gen¤hert, so verlassen wir - wir, die Versucher, - den Asketen Gotama,
da wir den Gefallen an ihm verloren haben."
     Und  das Bild von dem Stein, der  aussah wie ein Stìck Fett, w¤chst ins
Ungeheuerliche in meinem Hirn:
     Ich schreite durch ein ausgetrocknetes FluŸbett  und hebe glatte Kiesel
auf.
     Graublaue mit eingesprengtem glitzerndem Staub, ìber die ich nachgrìble
und nachgrìble  und doch mit  ihnen nichts anzufangen weiŸ, -  dann schwarze
mit  schwefelgelben Flecken wie  die steingewordenen Versuche  eines Kindes,
plumpe, gesprenkelte Molche nachzubilden.
     Und  ich will sie weit  von mir werfen, diese Kiesel, doch immer fallen
sie mir  aus der Hand, und ich kann sie aus dem Bereich  meiner Augen  nicht
bannen.
     Alle jene Steine, die je in meinem  Leben eine Rolle  gespielt, tauchen
auf rings um mich her.
     Manche  qu¤len sich  schwerf¤llig  ab,  sich  aus dem  Sande  ans Licht
emporzuarbeiten  -  wie groŸe  schieferfarbene Taschenkrebse, wenn  die Flut
zurìckkommt, - und als wollten sie alles daransetzen, meine Blicke auf  sich
zu lenken, um mir Dinge von unendlicher Wichtigkeit zu sagen.
     Andere - erschæpft - fallen kraftlos zurìck in ihre Læcher und geben es
auf, je zu Worte zu kommen.
     Zuweilen  fahre ich empor aus dem D¤mmer  dieser halben Tr¤ume und sehe
fìr einen  Augenblick  wiederum  den Mondschein  auf dem gebauschten FuŸende
meiner Decke liegen wie  einen  groŸen, hellen, flachen  Stein, um blind von
neuem hinter meinem schwindenden BewuŸtsein  herzutappen, ruhelos nach jenem
Stein suchend,  der mich qu¤lt - der  irgendwo verborgen  im  Schutte meiner
Erinnerung liegen muŸ und aussieht wie ein Stìck Fett.
     Eine Regenræhre muŸ einst neben ihm auf  der  Erde gemìndet haben, male
ich mir aus - stumpfwinklig abgebogen, die R¤nder von Rost zerfressen, - und
trotzig  will  ich  mir  im  Geiste  ein  solches Bild  erzwingen, um  meine
aufgescheuchten Gedanken zu belìgen und in Schlaf zu lullen.
     Es gelingt mir nicht.
     Immer  wieder und immer  wieder mit alberner  Beharrlichkeit  behauptet
eine   eigensinnige   Stimme  in  meinem  Innern   -   unermìdlich  wie  ein
Fensterladen,  den  der  Wind in regelm¤Ÿigen  Zwischenr¤umen an  die  Mauer
schlagen l¤Ÿt: es sei das ganz anders, das sei gar nicht der Stein, der  wie
Fett aussehe.
     Und es ist von der Stimme nicht loszukommen.
     Wenn ich hundertmal einwende, alles das sei doch ganz nebens¤chlich, so
schweigt  sie  wohl eine kleine Weile, wacht aber dann unvermerkt wieder auf
und beginnt  hartn¤ckig von neuem: gut, gut, schon  recht, es ist  aber doch
nicht der Stein, der wie ein Stìck Fett aussieht. -
     Langsam beginnt sich meiner ein unertr¤gliches Gefìhl von Hilflosigkeit
zu bem¤chtigen.
     Wie es weiter gekommen ist, weiŸ  ich  nicht. Habe ich freiwillig jeden
Widerstand aufgegeben, oder haben sie mich  ìberw¤ltigt und geknebelt, meine
Gedanken?
     Ich weiŸ nur, mein Kærper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind
losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden. -
     Wer ist  jetzt  "ich", will ich plætzlich fragen;  da besinne ich mich,
daŸ  ich doch  kein  Organ mehr besitze, mit dem ich Fragen stellen  kænnte;
dann fìrchte ich, die dumme Stimme werde  wieder aufwachen und von neuem das
endlose Verhær ìber den Stein und das Fett beginnen.
     Und so wende ich mich ab.
        Tag
     Da  stand ich  plætzlich in  einem dìsteren  Hofe  und  sah durch einen
rætlichen Torbogen  gegenìber - jenseits  der  engen,  schmutzigen  StraŸe -
einen jìdischen Trædler an einem Gewælbe lehnen, das an den Mauerr¤ndern mit
altem Eisengerìmpel, zerbrochenen  Werkzeugen,  verrosteten  Steigbìgeln und
Schlittschuhen und vielerlei anderen abgestorbenen Sachen behangen war.
     Und  dieses  Bild trug  das qu¤lend Eintænige  an sich,  das  alle jene
Eindrìcke  kennzeichnet,  die  tagt¤glich so und so oft  wie  Hausierer  die
Schwelle unserer Wahrnehmung  ìberschreiten, und rief in mir weder Neugierde
noch œberraschung hervor.
     Ich wurde mir bewuŸt, daŸ ich schon seit langer Zeit in dieser Umgebung
zu Hause war.
     Auch  diese Empfindung hinterlieŸ mir trotz ihres  Gegensatzes zu  dem,
was ich doch  vor  kurzem  noch wahrgenommen und  wie ich  hierher  gelangt,
keinerlei tieferen Eindruck. - -
     Ich muŸ einmal von einem sonderbaren Vergleich zwischen einem Stein und
einem  Stìck Fett gehært  oder gelesen haben, dr¤ngte sich mir plætzlich der
Einfall auf, als  ich die ausgetretenen  Stufen zu  meiner Kammer emporstieg
und mir ìber  das  speckige Aussehen  der  Steinschwellen flìchtige Gedanken
machte.
     Da hærte ich Schritte die oberen Treppen ìber mir vorauslaufen, und als
ich zu meiner  Tìr  kam, sah  ich,  daŸ  es die  vierzehnj¤hrige, rothaarige
Rosina des Trædlers Aaron Wassertrum gewesen war.
     Ich muŸte dicht an ihr vorbei,  und sie stand mit dem Rìcken gegen  das
Stiegengel¤nder und bog sich lìstern zurìck.
     Ihre  schmutzigen H¤nde hatte sie um die Eisenstange gelegt, - zum Halt
-  und ich sah, wie ihre nackten Unterarme bleich aus dem trìben  Halbdunkel
hervorleuchteten.
     Ich wich ihren Blicken aus.
     Mich ekelte  vor ihrem  zudringlichen  L¤cheln  und  diesem  w¤chsernen
Schaukelpferdgesicht.
     Sie  muŸ  schwammiges,  weiŸes Fleisch haben  wie der Axolotl, den  ich
vorhin im Salamanderk¤fig bei dem Vogelh¤ndler gesehen habe, fìhlte ich.
     Die Wimpern Rothaariger sind mir widerw¤rtig wie die eines Kaninchens.
     Und ich sperrte auf und schlug rasch die Tìr hinter mir zu. - -
     Von meinem  Fenster  aus  konnte ich den Trædler Aaron  Wassertrum  vor
seinem Gewælbe stehen sehen.
     Er lehnte  am  Eingang  der  dunklen  Wælbung  und  zwickte  mit  einer
BeiŸzange an seinen Fingern¤geln herum.
     War  die  rothaarige Rosina  seine Tochter  oder seine Nichte? Er hatte
keine „hnlichkeit mit ihr.
     Unter  den Judengesichtern,  die ich Tag  fìr  Tag  in der HahnpaŸgasse
auftauchen sehe,  kann ich  deutlich verschiedene St¤mme unterscheiden,  die
sich  so  wenig  durch  die  nahe Verwandtschaft  der  einzelnen  Individuen
verwischen lassen, wie sich æl und Wasser vermengen wird. Da darf man  nicht
sagen: die dort sind Brìder oder Vater und Sohn.
     Der gehært zu  jenem Stamm und dieser  zu einem andern,  das ist alles,
was sich aus den Gesichtszìgen lesen l¤Ÿt.
     Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem Trædler ¤hnlich s¤he!
     Diese St¤mme hegen  einen heimlichen Ekel und  Abscheu voreinander, der
sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft  durchbricht,  - aber  sie
verstehen  ihn  geheimzuhalten vor der AuŸenwelt, wie  man  ein gef¤hrliches
Geheimnis hìtet.
     Kein  einziges l¤Ÿt ihn  durchblicken,  und  in dieser  œbereinstimmung
gleichen  sie haŸerfìllten Blinden, die  sich  an ein schmutzgetr¤nktes Seil
klammern: der eine mit beiden F¤usten, ein anderer nur widerwillig mit einem
Finger, alle aber von abergl¤ubischer Furcht besessen, daŸ sie dem Untergang
verfallen mìssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von  den
ìbrigen trennen.
     Rosina ist von jenem Stamme, dessen  rothaariger Typus noch abstoŸender
ist, als der der andern. Dessen M¤nner engbrìstig sind und lange Hìhnerh¤lse
haben mit vorstehendem Adamsapfel.
     Alles scheint an ihnen sommersprossig, und ihr  ganzes Leben leiden sie
unter  brìnstigen Qualen,  diese M¤nner, - und k¤mpfen  heimlich  gegen ihre
Gelìste  einen  ununterbrochenen,  erfolglosen  Kampf,  von   immerw¤hrender
widerlicher Angst um ihre Gesundheit gefoltert.
     Ich   war   mir   nicht   klar,   wieso   ich   Rosina   ìberhaupt   in
verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Trædler Wassertrum bringen konnte.
     Nie habe  ich sie doch in der N¤he des Alten gesehen  oder bemerkt, daŸ
sie jemals einander etwas zugerufen h¤tten.
     Auch  war sie  fast  immer in unserem  Hofe  oder drìckte sich  in  den
dunklen Winkeln und G¤ngen unseres Hauses umher.
     Sicherlich  halten sie alle  meine Mitbewohner fìr  eine nahe Verwandte
oder zumindest Schutzbefohlene des Trædlers, und doch bin ich ìberzeugt, daŸ
kein einziger einen Grund fìr solche Vermutungen anzugeben vermæchte.
     Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreiŸen und sah von  dem offenen
Fenster meiner Stube hinab auf die HahnpaŸgasse.
     Als  habe  Aaron Wassertrum meinen Blick  gefìhlt, wandte er  plætzlich
sein Gesicht zu mir empor.
     Sein  starres, gr¤Ÿliches  Gesicht  mit  den runden Fischaugen  und der
klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist.
     Wie eine menschliche Spinne kam er  mir  vor, die die feinste Berìhrung
ihres Netzes spìrt, so teilnahmslos sie sich auch stellt.
     Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben?
     Ich wuŸte es nicht.
     An  den  Mauerr¤ndern seines Gewælbes h¤ngen unver¤ndert  Tag fìr  Tag,
jahraus jahrein dieselben toten wertlosen Dinge.
     Mit geschlossenen  Augen  h¤tte  ich  sie hinzeichnen kænnen:  hier die
verbogene  Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt,
mit  den  so  sonderbar  zusammengestellten  Soldaten.  Dann  eine  Girlande
verrosteter  Sporen  an  einem  schimmligen  Lederriemen  und  anderes  halb
vermodertes Gerìmpel.
     Und  vorne  auf  dem  Boden,  dicht nebeneinander  geschichtet, so  daŸ
niemand  die  Schwelle  des Gewælbes ìberschreiten kann,  eine Reihe  runder
eiserner Herdplatten. -
     Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier
und da einmal ein Vorìbergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen
oder andern, geriet der Trædler in heftige Erregung.
     In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte
empor  und  sprudelte  gereizt   irgend  etwas  Unverst¤ndliches  in   einem
gurgelnden, stolpernden BaŸ hervor, daŸ dem K¤ufer die Lust weiter zu fragen
verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte.
     Der Blick  des  Aaron  Wassertrum war  blitzschnell  von  meinen  Augen
abgeglitten und  ruhte jetzt mit  gespanntem Interesse an den kahlen Mauern,
die vom Nebenhause an mein Fenster stoŸen.
     Was konnte er dort nur sehen?
     Das Haus steht doch mit dem Rìcken  gegen  die  HahnpaŸgasse, und seine
Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die StraŸe gekehrt.
     Zuf¤llig schienen die R¤ume, die nebenan in derselben Stockhæhe wie die
meinigen liegen - ich  glaube, sie gehæren zu  einem winkligen Atelier -  in
diesem  Moment betreten  worden zu sein,  denn  durch  die Mauern hærte  ich
plætzlich eine m¤nnliche und eine weibliche Stimme miteinander reden.
     Unmæglich konnte das aber der Trædler von unten aus wahrgenommen haben!
- -
     Vor  meiner  Tìr bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch
Rosina,  die drauŸen im  Dunkeln steht in begehrlichem Warten,  daŸ ich  sie
doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle.
     Und  unten, ein halbes  Stockwerk  tiefer,  lauert  der blatternarbige,
halbwìchsige Loisa  auf  den Stiegen mit  angehaltenem Atem, ob  ich die Tìr
æffnen  werde, und  ich  spìre  færmlich den  Hauch seines Hasses und  seine
sch¤umende Eifersucht bis herauf zu mir.
     Er fìrchtet sich n¤her zu  kommen und von Rosina bemerkt zu werden.  Er
weiŸ  sich von ihr  abh¤ngig  wie  ein hungriger Wolf  von seinem W¤rter und
mæchte doch am liebsten  aufspringen und besinnungslos seiner Wut  die Zìgel
schieŸen lassen! - - -
     Ich  setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten  und
Stichel hervor.
     Aber ich konnte  nichts fertigbringen und  meine  Hand war  nicht ruhig
genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern.
     Das  trìbe, dìstere Leben, das an diesem Hause  h¤ngt, l¤Ÿt mein  Gemìt
nicht stillwerden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf.
     Loisa  und sein Zwillingsbruder Jaromir  sind wohl kaum ein  Jahr ¤lter
als Rosina.
     An ihren Vater, der Hostienb¤cker  gewesen,  konnte  ich mich kaum mehr
erinnern, und jetzt sorgt fìr sie, glaube ich, ein altes Weib.
     Ich  wuŸte nur nicht, welche es  war unter den vielen, die versteckt im
Hause wohnen wie Kræten in ihrem Schlupfwinkel.
     Sie  sorgt  fìr  die  beiden  Jungen,  das  heiŸt:  sie  gew¤hrt  ihnen
Unterkunft; dafìr mìssen sie ihr  abliefern,  was  sie gelegentlich  stehlen
oder erbetteln. -
     Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich  konnte  es mir nicht denken,
denn erst sp¤t abends kommt die Alte heim.
     Leichenw¤scherin soll sie sein.
     Loisa, Jaromir und  Rosina  sah ich, als  sie  noch Kinder  waren,  oft
harmlos im Hof zu dritt spielen.
     Die Zeit aber ist lang vorbei.
     Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen Judenm¤del her.
     Zuweilen sucht er sie lange  umsonst, und  wenn er  sie nirgends finden
kann,  dann schleicht  er  sich  vor  meine Tìr  und  wartet  mit verzerrtem
Gesicht, daŸ sie heimlich hierher komme.
     Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste drauŸen in
dem winkligen Gange lauern,  den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend
vorgebeugt.
     Manchmal bricht dann durch die Stille plætzlich ein wilder L¤rm.
     Jaromir,  der  taubstumm   ist,   und   dessen   ganzes   Denken   eine
ununterbrochene wahnsinnige Gier nach  Rosina erfìllt,  irrt wie  ein wildes
Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes heulendes Gebell,  das er, vor
Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstæŸt, klingt so schauerlich, daŸ
einem das Blut in den Adern stockt.
     Er sucht die beiden, die er stets  beieinander vermutet -  irgendwo  in
einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel  versteckt - in blinder Raserei,
immer  von dem  Gedanken gepeitscht,  seinem  Bruder  auf den Fersen sein zu
mìssen, daŸ nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nicht wisse.
     Und gerade  diese unaufhærliche Qual  des Krìppels ist, ahnte  ich, das
Reizmittel,  das  Rosina  antreibt,  sich  stets  von neuem mit  dem  andern
einzulassen.
     Wird  ihre  Neigung oder Bereitwilligkeit  schw¤cher,  so ersinnt Loisa
immer  wieder  besondere  ScheuŸlichkeiten, um Rosinas  Gier  von  neuem  zu
entfachen.
     Da lassen sie sich scheinbar oder wirklich von dem Taubstummen ertappen
und locken den Rasenden heimtìckisch hinter sich her in dunkle G¤nge, wo sie
aus  rostigen FaŸreifen, die in die Hæhe  schnellen, wenn man auf sie tritt,
und eisernen Rechen  - mit den Spitzen nach oben  gekehrt - bæsartige Fallen
errichtet haben, in die er stìrzen muŸ und sich blutig f¤llt.
     Von  Zeit  zu  Zeit  denkt  sich  Rosina, um  die Folter  aufs ¤uŸerste
anzuspannen, auf eigene Faust etwas Hællisches aus.
     Dann ¤ndert sie mit einem Schlage  ihr Benehmen zu Jaromir und tut, als
f¤nde sie plætzlich Gefallen an ihm.
     Mit ihrer ewig l¤chelnden Miene teilt sie dem Krìppel hastig Dinge mit,
die ihn  in eine fast irrsinnige  Erregung  versetzen, und sie hat sich dazu
eine   geheimnisvoll   scheinende,  nur   halbverst¤ndliche   Zeichensprache
ersonnen,  die  den Taubstummen rettungslos  in ein unentwirrbares Netz  von
UngewiŸheit und verzehrenden Hoffnungen verstricken muŸ. -
     Einmal  sah ich ihn im  Hofe  vor  ihr stehen,  und sie  sprach mit  so
heftigen Lippenbewegungen und Gestikulationen  auf ihn ein, daŸ ich glaubte,
jeden Augenblick wìrde er in wilder Aufregung zusammenbrechen.
     Der SchweiŸ lief  ihm  ìbers Gesicht vor ìbermenschlicher  Anstrengung,
den Sinn der absichtlich so unklaren, hastigen Mitteilungen zu erfassen.
     Und den ganzen folgenden Tag lauerte er dann fiebernd in  Erwartung auf
den finsteren Stiegen eines  halb versunkenen Hauses, das in der Fortsetzung
der engen, schmutzigen HahnpaŸgasse liegt, - bis er die Zeit vers¤umt hatte,
sich an den Ecken ein paar Kreuzer zu erbetteln.
     Und als er sp¤t  abends halbtot vor Hunger und Aufregung  heim  wollte,
hatte ihn die Pflegemutter l¤ngst ausgesperrt. - - -
      Ein fræhliches Frauenlachen drang aus dem anstoŸenden Atelier durch die
Mauern herìber zu mir.
     Ein Lachen! - In diesen H¤usern ein fræhliches Lachen?  Im ganzen Getto
wohnt niemand, der fræhlich lachen kænnte.
     Da fiel mir ein, daŸ mir vor einigen Tagen  der alte Marionettenspieler
Zwakh  anvertraute, ein junger,  vornehmer Herr h¤tte ihm  das Atelier teuer
abgemietet  - offenbar,  um  mit der  Erw¤hlten  seines  Herzens unbelauscht
zusammenkommen zu kænnen.
     Nach  und  nach, jede Nacht, mìŸten nun,  damit niemand im Hause  etwas
merke,  die  kostbaren  Mæbel des neuen  Mieters  heimlich  Stìck  fìr Stìck
hinaufgeschafft werden.
     Der gutmìtige Alte hatte sich vor Vergnìgen die H¤nde gerieben,  als er
es  mir erz¤hlte,  und sich kindlich  gefreut,  wie  er  alles so  geschickt
angefangen habe:  keiner der  Mitbewohner kænne auch nur eine Ahnung von dem
romantischen Liebespaar haben.
     Und von drei H¤usern aus  sei es mæglich, unauff¤llig in das Atelier zu
gelangen. - Sogar durch eine Falltìre g¤be es einen Zugang!
     Ja, wenn man die eiserne  Tìr des Bodenraumes aufklinke, - und das  sei
von  drìben aus sehr  leicht, - kænne man  an  meiner Kammer, vorbei zu  den
Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang benìtzen ...
     Wieder  klingt  das  fræhliche  Lachen  herìber und  l¤Ÿt  in  mir  die
undeutliche Erinnerung an  eine luxuriæse Wohnung und an eine adlige Familie
auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren Altertìmern kleine
Ausbesserungen vorzunehmen. -
     Plætzlich  hære  ich   nebenan  einen  gellenden  Schrei.   Ich  horche
erschreckt.
     Die eiserne Bodentìr  klirrt heftig, und  im n¤chsten Augenblick stìrzt
eine Dame in mein Zimmer.
     Mit aufgelæstem Haar, weiŸ wie  die Wand,  einen  goldenen  Brokatstoff
ìber die bloŸen Schultern geworfen.
     "Meister  Pernath,  verbergen Sie mich, - um  Gottes Christi willen!  -
fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!"
     Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine Tìr abermals aufgerissen und
sofort wieder zugeschlagen. -
     Eine Sekunde lang hatte  das Gesicht des Trædlers Aaron  Wassertrum wie
eine scheuŸliche Maske hereingegrinst. -
     Ein fræhliches Frauenlachen drang aus dem anstoŸenden Atelier durch die
Mauern herìber zu mir.
     Ein Lachen! - In diesen H¤usern ein fræhliches Lachen?  Im ganzen Getto
wohnt niemand, der fræhlich lachen kænnte.
     Da fiel mir ein, daŸ mir vor einigen Tagen  der alte Marionettenspieler
Zwakh  anvertraute, ein junger,  vornehmer Herr h¤tte ihm  das Atelier teuer
abgemietet  - offenbar,  um  mit der  Erw¤hlten  seines  Herzens unbelauscht
zusammenkommen zu kænnen.
     Nach  und  nach, jede Nacht, mìŸten nun,  damit niemand im Hause  etwas
merke,  die  kostbaren  Mæbel des neuen  Mieters  heimlich  Stìck  fìr Stìck
hinaufgeschafft werden.
     Der gutmìtige Alte hatte sich vor Vergnìgen die H¤nde gerieben,  als er
es  mir erz¤hlte,  und sich kindlich  gefreut,  wie  er  alles so  geschickt
angefangen habe:  keiner der  Mitbewohner kænne auch nur eine Ahnung von dem
romantischen Liebespaar haben.
     Und von drei H¤usern aus  sei es mæglich, unauff¤llig in das Atelier zu
gelangen. - Sogar durch eine Falltìre g¤be es einen Zugang!
     Ja, wenn man die eiserne  Tìr des Bodenraumes aufklinke, - und das  sei
von  drìben aus sehr  leicht, - kænne man  an  meiner Kammer, vorbei zu  den
Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang benìtzen ...
     Wieder  klingt  das  fræhliche  Lachen  herìber und  l¤Ÿt  in  mir  die
undeutliche Erinnerung an  eine luxuriæse Wohnung und an eine adlige Familie
auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren Altertìmern kleine
Ausbesserungen vorzunehmen. -
     Plætzlich  hære  ich   nebenan  einen  gellenden  Schrei.   Ich  horche
erschreckt.
     Die eiserne Bodentìr  klirrt heftig, und  im n¤chsten Augenblick stìrzt
eine Dame in mein Zimmer.
     Mit aufgelæstem Haar, weiŸ wie  die Wand,  einen  goldenen  Brokatstoff
ìber die bloŸen Schultern geworfen.
     "Meister  Pernath,  verbergen Sie mich, - um  Gottes Christi willen!  -
fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!"
     Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine Tìr abermals aufgerissen und
sofort wieder zugeschlagen. -
     Eine Sekunde lang hatte  das Gesicht des Trædlers Aaron  Wassertrum wie
eine scheuŸliche Maske hereingegrinst. -
      Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor  mir auf,  und  im  Schein des
Mondlichtes erkenne ich wiederum das  FuŸende meines Bettes. Noch liegt  der
Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel und der Name  Pernath steht
in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung.
     Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? - Athanasius Pernath?
     Ich glaube, ich glaube vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo
meinen  Hut verwechselt, und ich wunderte  mich damals, daŸ  er mir so genau
passe, wo ich doch eine hæchst eigentìmliche Kopfform habe.
     Und ich sah  in den fremden  Hut hinein -  damals und - - ja,  ja, dort
hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weiŸen Futter:
     ATHANASIUS PERNATH.
     Ich hatte mich  vor dem Hut  gescheut und gefìrchtet,  ich  wuŸte nicht
warum.
     Da f¤hrt plætzlich  die  Stimme, die ich vergessen hatte, und die immer
von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie  Fett  ausgesehen habe, auf
mich los, gleich einem Pfeil.
     Schnell male ich mir  das  scharfe, sìŸlich grinsende  Profil der roten
Rosina aus, und es  gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der
sich sogleich in der Finsternis verliert.
     Ja,  das  Gesicht  der  Rosina!  Das  ist  doch  noch st¤rker  als  die
stumpfsinnige  plappernde  Stimme;  und gar,  wo ich jetzt gleich  wieder in
meinem Zimmer in  der HahnpaŸgasse geborgen  sein werde, kann ich ganz ruhig
sein.
        I
     Wenn  ich  mich  nicht get¤uscht habe in der Empfindung, daŸ  jemand in
einem gewissen,  gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt,
in der Absicht, mich zu  besuchen, so  muŸ er jetzt ungef¤hr auf dem letzten
Stiegenabsatz stehen.
     Jetzt  biegt er um  die Ecke,  wo  der Archivar Schemajah Hillel  seine
Wohnung  hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen  auf den Flur des
oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist.
     Nun tastet er sich an der  Wand entlang,  und jetzt, gerade jetzt,  muŸ
er, mìhsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem Tìrschild lesen.
     Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und  blickte zum
Eingang.
     Da æffnete sich die Tìre, und er trat ein.
     Nur wenige Schritte  machte er  auf mich  zu und nahm weder den Hut ab,
noch sagte er ein Wort der BegrìŸung.
     So benimmt er sich, wenn  er zu Hause ist, fìhlte ich,  und ich fand es
ganz selbstverst¤ndlich, daŸ er so und nicht anders handelte.
     Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus.
     Dann bl¤tterte er lange drin herum.
     Der Umschlag des  Buches war  aus Metall, und die Vertiefungen  in Form
von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgefìllt.
     Endlich  hatte  er  die Stelle  gefunden,  die er  suchte, und  deutete
darauf.
     Das Kapitel hieŸ "Ibbur", "die Seelenschw¤ngerung", entzifferte ich.
     Das groŸe, in Gold und Rot ausgefìhrte Initial "I" nahm fast die H¤lfte
der  ganzen Seite ein,  die ich  unwillkìrlich  ìberflog, und  war am  Rande
verletzt.
     Ich sollte es ausbessern.
     Das Initial war nicht  auf das Pergament geklebt, wie ich es  bisher in
alten  Bìchern gesehen,  schien  vielmehr aus zwei  Platten dìnnen Goldes zu
bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelætet waren und mit den Enden um die
R¤nder des Pergaments griffen.
     Also muŸte,  wo der Buchstabe stand, ein Loch in  das Blatt geschnitten
sein?
     Wenn  das der Fall war, muŸte  auf der n¤chsten Seite  das "I" verkehrt
stehen?
     Ich bl¤tterte um und fand meine Annahme best¤tigt.
     Unwillkìrlich las ich auch diese Seite durch und die gegenìberliegende.
     Und ich las weiter und weiter.
     Das Buch sprach  zu mir, wie  der Traum  spricht,  klarer  nur und viel
deutlicher. Und es rìhrte mein Herz an wie eine Frage.
     Worte stræmten aus einem unsichtbaren  Munde, wurden lebendig und kamen
auf mich zu. Sie  drehten sich und  wandten sich vor mir wie  buntgekleidete
Sklavinnen,  sanken dann in den  Boden  oder verschwanden  wie  schillernder
Dunst in  der  Luft und gaben der n¤chsten  Raum.  Jede  hoffte eine  kleine
Weile, daŸ  ich sie  erw¤hlen  wìrde  und  auf  den  Anblick  der  Kommenden
verzichten.
     Manche  waren unter  ihnen, die gingen  prunkend einher  wie Pfauen, in
schimmernden Gew¤ndern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen.
     Manche  wie  Kæniginnen,  doch gealtert  und  verlebt,  die  Augenlider
gef¤rbt, -  mit  dirnenhaftem Zug um den Mund  und die Runzeln mit h¤Ÿlicher
Schminke verdeckt.
     Ich sah an ihnen vorbei und  nach den  kommenden, und mein  Blick glitt
ìber  lange   Zìge  grauer  Gestalten  mit  Gesichtern,  so  gewæhnlich  und
ausdrucksarm, daŸ es unmæglich schien, sie dem Ged¤chtnis einzupr¤gen.
     Dann  brachten  sie  ein  Weib  geschleppt, das war  splitternackt  und
riesenhaft wie ein ErzkoloŸ.
     Eine Sekunde blieb das Weib  vor mir stehen und beugte  sich  nieder zu
mir.
     Ihre Wimpern waren  so lang wie  mein  ganzer Kærper,  und sie  deutete
stumm auf den Puls ihrer linken Hand.
     Der  schlug wie ein  Erdbeben, und ich fìhlte, es war  das Leben  einer
ganzen Welt in ihr.
     Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran.
     Ein Mann und  ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen,
und immer n¤her brauste der Zug.
     Jetzt hærte  ich den hallenden Gesang der Verzìckten dicht vor mir, und
meine Augen suchten das verschlungene Paar.
     Das aber hatte sich verwandelt  in  eine einzige Gestalt und  saŸ, halb
m¤nnlich,  halb  weiblich,  -  ein  Hermaphrodit  -  auf  einem  Throne  von
Perlmutter.
     Und die Krone des Hermaphroditen  endete in einem Brett aus rotem Holz;
darein hatte der Wurm der Zerstærung geheimnisvolle Runen genagt.
     In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner,
blinder Schafe: die  Futtertiere,  die der  gigantische  Zwitter  in  seinem
Gefolge fìhrte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten.
     Zuweilen waren unter  den  Gestalten,  die  aus  dem unsichtbaren Munde
stræmten, etliche, die kamen aus Gr¤bern, - Tìcher vor dem Gesicht.
     Und blieben sie vor mir stehen, lieŸen sie plætzlich ihre Hìllen fallen
und  starrten  mit  Raubtieraugen hungrig  auf mein Herz,  daŸ  ein  eisiger
Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zurìckstaute  wie ein Strom, in
den  Felsblæcke vom Himmel herniedergefallen  sind - plætzlich und mitten in
sein Bette. -
     Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte
es ab, und sie trug einen Mantel aus flieŸenden Tr¤nen. -
     Maskenzìge tanzten vorìber, lachten und kìmmerten sich nicht um mich.
     Nur ein Pierrot  sieht sich  nachdenklich um nach mir und kehrt zurìck.
Pflanzt sich vor mich hin  und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein
Spiegel.
     Er schneidet  so  seltsame  Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald
zægernd,   bald  blitzschnell,  daŸ  sich  meiner  ein  gespenstiger   Trieb
bem¤chtigt ihn nachzuahmen, mit den  Augen zu zwinkern,  mit den  Achseln zu
zucken und die Mundwinkel zu verziehen.
     Da stoŸen ihn  ungeduldig  nachdr¤ngende Gestalten  zur Seite, die alle
vor meine Blicke wollen.
     Doch keines der Wesen hat Bestand.
     Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen
Tæne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Mund entstræmen.
     Das war kein Buch mehr, das zu  mir sprach.  Das war  eine Stimme. Eine
Stimme, die etwas von mir wollte, was  ich nicht begriff; wie  sehr ich mich
auch abmìhte. Die mich qu¤lte mit brennenden, unverst¤ndlichen Fragen.
     Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und
ohne Widerhall.
     Jeder Laut, der in  der Welt der Gegenwart erklingt,  hat  viele Echos,
wie jegliches Ding einen groŸen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch
diese  Stimme  hatte  keine Echos mehr,  - lange, lange schon sind  sie wohl
verweht und verklungen. - - -
     Und bis zu Ende  hatte ich das  Buch gelesen  und  hielt es noch in den
H¤nden,  da war mir, als h¤tte ich suchend in  meinem Gehirn  gebl¤ttert und
nicht in einem Buche! - -
     Alles, was  mir  die  Stimme gesagt, hatte ich, seit  ich lebte, in mir
getragen, nur  verdeckt war es gewesen und  vergessen  und  hatte  sich  vor
meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag. -
     Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor  mir auf,  und  im  Schein des
Mondlichtes erkenne ich wiederum das  FuŸende meines Bettes. Noch liegt  der
Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel und der Name  Pernath steht
in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung.
     Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? - Athanasius Pernath?
     Ich glaube, ich glaube vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo
meinen  Hut verwechselt, und ich wunderte  mich damals, daŸ  er mir so genau
passe, wo ich doch eine hæchst eigentìmliche Kopfform habe.
     Und ich sah  in den fremden  Hut hinein -  damals und - - ja,  ja, dort
hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weiŸen Futter:
     ATHANASIUS PERNATH.
     Ich hatte mich  vor dem Hut  gescheut und gefìrchtet,  ich  wuŸte nicht
warum.
     Da f¤hrt plætzlich  die  Stimme, die ich vergessen hatte, und die immer
von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie  Fett  ausgesehen habe, auf
mich los, gleich einem Pfeil.
     Schnell male ich mir  das  scharfe, sìŸlich grinsende  Profil der roten
Rosina aus, und es  gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der
sich sogleich in der Finsternis verliert.
     Ja,  das  Gesicht  der  Rosina!  Das  ist  doch  noch st¤rker  als  die
stumpfsinnige  plappernde  Stimme;  und gar,  wo ich jetzt gleich  wieder in
meinem Zimmer in  der HahnpaŸgasse geborgen  sein werde, kann ich ganz ruhig
sein.
        I
     Wenn  ich  mich  nicht get¤uscht habe in der Empfindung, daŸ  jemand in
einem gewissen,  gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt,
in der Absicht, mich zu  besuchen, so  muŸ er jetzt ungef¤hr auf dem letzten
Stiegenabsatz stehen.
     Jetzt  biegt er um  die Ecke,  wo  der Archivar Schemajah Hillel  seine
Wohnung  hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen  auf den Flur des
oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist.
     Nun tastet er sich an der  Wand entlang,  und jetzt, gerade jetzt,  muŸ
er, mìhsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem Tìrschild lesen.
     Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und  blickte zum
Eingang.
     Da æffnete sich die Tìre, und er trat ein.
     Nur wenige Schritte  machte er  auf mich  zu und nahm weder den Hut ab,
noch sagte er ein Wort der BegrìŸung.
     So benimmt er sich, wenn  er zu Hause ist, fìhlte ich,  und ich fand es
ganz selbstverst¤ndlich, daŸ er so und nicht anders handelte.
     Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus.
     Dann bl¤tterte er lange drin herum.
     Der Umschlag des  Buches war  aus Metall, und die Vertiefungen  in Form
von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgefìllt.
     Endlich  hatte  er  die Stelle  gefunden,  die er  suchte, und  deutete
darauf.
     Das Kapitel hieŸ "Ibbur", "die Seelenschw¤ngerung", entzifferte ich.
     Das groŸe, in Gold und Rot ausgefìhrte Initial "I" nahm fast die H¤lfte
der  ganzen Seite ein,  die ich  unwillkìrlich  ìberflog, und  war am  Rande
verletzt.
     Ich sollte es ausbessern.
     Das Initial war nicht  auf das Pergament geklebt, wie ich es  bisher in
alten  Bìchern gesehen,  schien  vielmehr aus zwei  Platten dìnnen Goldes zu
bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelætet waren und mit den Enden um die
R¤nder des Pergaments griffen.
     Also muŸte,  wo der Buchstabe stand, ein Loch in  das Blatt geschnitten
sein?
     Wenn  das der Fall war, muŸte  auf der n¤chsten Seite  das "I" verkehrt
stehen?
     Ich bl¤tterte um und fand meine Annahme best¤tigt.
     Unwillkìrlich las ich auch diese Seite durch und die gegenìberliegende.
     Und ich las weiter und weiter.
     Das Buch sprach  zu mir, wie  der Traum  spricht,  klarer  nur und viel
deutlicher. Und es rìhrte mein Herz an wie eine Frage.
     Worte stræmten aus einem unsichtbaren  Munde, wurden lebendig und kamen
auf mich zu. Sie  drehten sich und  wandten sich vor mir wie  buntgekleidete
Sklavinnen,  sanken dann in den  Boden  oder verschwanden  wie  schillernder
Dunst in  der  Luft und gaben der n¤chsten  Raum.  Jede  hoffte eine  kleine
Weile, daŸ  ich sie  erw¤hlen  wìrde  und  auf  den  Anblick  der  Kommenden
verzichten.
     Manche  waren unter  ihnen, die gingen  prunkend einher  wie Pfauen, in
schimmernden Gew¤ndern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen.
     Manche  wie  Kæniginnen,  doch gealtert  und  verlebt,  die  Augenlider
gef¤rbt, -  mit  dirnenhaftem Zug um den Mund  und die Runzeln mit h¤Ÿlicher
Schminke verdeckt.
     Ich sah an ihnen vorbei und  nach den  kommenden, und mein  Blick glitt
ìber  lange   Zìge  grauer  Gestalten  mit  Gesichtern,  so  gewæhnlich  und
ausdrucksarm, daŸ es unmæglich schien, sie dem Ged¤chtnis einzupr¤gen.
     Dann  brachten  sie  ein  Weib  geschleppt, das war  splitternackt  und
riesenhaft wie ein ErzkoloŸ.
     Eine Sekunde blieb das Weib  vor mir stehen und beugte  sich  nieder zu
mir.
     Ihre Wimpern waren  so lang wie  mein  ganzer Kærper,  und sie  deutete
stumm auf den Puls ihrer linken Hand.
     Der  schlug wie ein  Erdbeben, und ich fìhlte, es war  das Leben  einer
ganzen Welt in ihr.
     Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran.
     Ein Mann und  ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen,
und immer n¤her brauste der Zug.
     Jetzt hærte  ich den hallenden Gesang der Verzìckten dicht vor mir, und
meine Augen suchten das verschlungene Paar.
     Das aber hatte sich verwandelt  in  eine einzige Gestalt und  saŸ, halb
m¤nnlich,  halb  weiblich,  -  ein  Hermaphrodit  -  auf  einem  Throne  von
Perlmutter.
     Und die Krone des Hermaphroditen  endete in einem Brett aus rotem Holz;
darein hatte der Wurm der Zerstærung geheimnisvolle Runen genagt.
     In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner,
blinder Schafe: die  Futtertiere,  die der  gigantische  Zwitter  in  seinem
Gefolge fìhrte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten.
     Zuweilen waren unter  den  Gestalten,  die  aus  dem unsichtbaren Munde
stræmten, etliche, die kamen aus Gr¤bern, - Tìcher vor dem Gesicht.
     Und blieben sie vor mir stehen, lieŸen sie plætzlich ihre Hìllen fallen
und  starrten  mit  Raubtieraugen hungrig  auf mein Herz,  daŸ  ein  eisiger
Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zurìckstaute  wie ein Strom, in
den  Felsblæcke vom Himmel herniedergefallen  sind - plætzlich und mitten in
sein Bette. -
     Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte
es ab, und sie trug einen Mantel aus flieŸenden Tr¤nen. -
     Maskenzìge tanzten vorìber, lachten und kìmmerten sich nicht um mich.
     Nur ein Pierrot  sieht sich  nachdenklich um nach mir und kehrt zurìck.
Pflanzt sich vor mich hin  und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein
Spiegel.
     Er schneidet  so  seltsame  Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald
zægernd,   bald  blitzschnell,  daŸ  sich  meiner  ein  gespenstiger   Trieb
bem¤chtigt ihn nachzuahmen, mit den  Augen zu zwinkern,  mit den  Achseln zu
zucken und die Mundwinkel zu verziehen.
     Da stoŸen ihn  ungeduldig  nachdr¤ngende Gestalten  zur Seite, die alle
vor meine Blicke wollen.
     Doch keines der Wesen hat Bestand.
     Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen
Tæne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Mund entstræmen.
     Das war kein Buch mehr, das zu  mir sprach.  Das war  eine Stimme. Eine
Stimme, die etwas von mir wollte, was  ich nicht begriff; wie  sehr ich mich
auch abmìhte. Die mich qu¤lte mit brennenden, unverst¤ndlichen Fragen.
     Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und
ohne Widerhall.
     Jeder Laut, der in  der Welt der Gegenwart erklingt,  hat  viele Echos,
wie jegliches Ding einen groŸen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch
diese  Stimme  hatte  keine Echos mehr,  - lange, lange schon sind  sie wohl
verweht und verklungen. - - -
     Und bis zu Ende  hatte ich das  Buch gelesen  und  hielt es noch in den
H¤nden,  da war mir, als h¤tte ich suchend in  meinem Gehirn  gebl¤ttert und
nicht in einem Buche! - -
     Alles, was  mir  die  Stimme gesagt, hatte ich, seit  ich lebte, in mir
getragen, nur  verdeckt war es gewesen und  vergessen  und  hatte  sich  vor
meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag. -
      Ich blickte auf.
     Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte?
     Fortgegangen!?
     Wird er es holen, wenn es fertig ist?
     Oder sollte ich es ihm bringen? -
     Aber ich konnte mich nicht erinnern, daŸ er gesagt h¤tte, wo er wohne.
     Ich wollte mir seine  Erscheinung  ins Ged¤chtnis zurìckrufen,  doch es
miŸlang.
     Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? - Und welche
Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt?
     Nichts, gar nichts  mehr konnte ich mir vorstellen. -  Alle Bilder, die
ich  mir von  ihm  schuf,  zerrannen haltlos, noch  ehe ich  sie  im  Geiste
zusammenzusetzen vermochte.
     Ich  schloŸ die  Augen  und  preŸte die Hand auf die  Lider,  um  einen
winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen.
     Nichts, nichts.
     Ich stellte  mich hin,  mitten ins Zimmer, und blickte auf die Tìr, wie
ich es getan - vorhin, als er gekommen war,  und malte mir aus:  jetzt biegt
er um  die Ecke,  jetzt schreitet er ìber den Ziegelsteinboden, liest  jetzt
drauŸen mein Tìrschild "Athanasius Pernath" und jetzt tritt er herein.
     Vergebens.
     Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen,
wollte in mir erwachen.
     Ich  sah das Buch auf dem Tische liegen und wìnschte mir im Geiste  die
Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte.
     Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblæŸt gewesen,
ob jung  oder runzlig,  mit Ringen  geschmìckt oder nicht,  konnte  ich mich
entsinnen.
     Da kam mir ein seltsamer Einfall.
     Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf.
     Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den
Gang  und die  Treppen  hinab. Dann  kam ich  langsam wieder  zurìck in mein
Zimmer.
     Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als  ich die
Tìr æffnete, da sah  ich, daŸ meine Kammer voll  D¤mmerung lag.  War es denn
nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging?
     Wie lange muŸte ich  da gegrìbelt haben,  daŸ ich  nicht bemerkte,  wie
sp¤t es ist!
     Und  ich versuchte den Unbekannten  nachzuahmen in Gang und  Mienen und
konnte mich an sie doch gar nicht erinnern. -
     Wie  sollte es  mir  auch  glìcken, ihn  nachzuahmen, wenn  ich  keinen
Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte.
     Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte.
     Meine Haut, meine  Muskeln, mein Kærper erinnerten sich plætzlich, ohne
es dem Gehirn zu  verraten. Sie machten Bewegungen,  die ich  nicht wìnschte
und nicht beabsichtigte.
     Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehærten!
     Mit einem  Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als  ich
ein paar Schritte im Zimmer machte.
     Das ist  der  Gang  eines  Menschen, der  best¤ndig  im  Begriffe  ist,
vornìber zu fallen, sagte ich mir.
     Ja, ja, ja, so war sein Gang!
     Ganz deutlich wuŸte ich: so ist er.
     Ich   trug   ein   fremdes,  bartloses   Gesicht   mit  hervorstehenden
Backenknochen und schaute aus schr¤gstehenden Augen.
     Ich fìhlte es und konnte mich doch nicht sehen.
     Das ist nicht mein  Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es
betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich  in die
Tasche und holte ein Buch hervor.
     Ganz so, wie er es vorhin getan hatte. -
     Da plætzlich sitze ich wieder ohne  Hut, ohne Mantel, am Tische und bin
ich. Ich, ich.
     Athanasius Pernath.
     Grausen   und  Entsetzen   schìttelten  mich,  mein  Herz   raste   zum
Zerspringen, und ich fìhlte: gespenstische Finger, die soeben noch in meinem
Gehirn herumgetastet, haben von mir abgelassen.
     Noch spìrte ich im Hinterkopf die kalten Spuren ihrer Berìhrung. -
     Nun  wuŸte ich, wie der  Fremde war, und  ich  h¤tte  ihn wieder in mir
fìhlen kænnen, - jeden Augenblick -  wenn ich  nur gewollt h¤tte;  aber sein
Bild  mir vorzustellen, daŸ  ich  es vor mir sehen  wìrde Auge in Auge - das
vermochte ich noch immer nicht und werde es auch nie kænnen.
     Es ist  wie ein Negativ, eine unsichtbare Hohlform, erkannte ich, deren
Linien ich nicht erfassen kann - in die ich selber hineinschlìpfen muŸ, wenn
ich mir ihrer Gestalt und ihres Ausdrucks im eigenen Ich  bewuŸt werden will
- -
     In der Schublade meines Tisches stand eine eiserne Kassette; - in diese
wollte  ich  das  Buch sperren und erst,  wenn  der  Zustand  der  geistigen
Krankheit  von mir gewichen sein wìrde, wollte ich es wieder hervorholen und
an die Ausbesserung des zerbrochenen Initialen "I" gehen.
     Und ich nahm das Buch vom Tisch.
     Da war mir, als h¤tte ich es gar nicht angefaŸt; ich griff die Kassette
an: dasselbe  Gefìhl. Als mìŸte das Tastempfinden  eine lange, lange Strecke
voll tiefer Dunkelheit durchlaufen, ehe es in meinem BewuŸtsein mìndete, als
seien  die  Dinge  durch eine jahresgroŸe  Zeitschicht  von mir entfernt und
gehærten einer Vergangenheit an, die l¤ngst an mir vorìbergezogen!
     Ich blickte auf.
     Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte?
     Fortgegangen!?
     Wird er es holen, wenn es fertig ist?
     Oder sollte ich es ihm bringen? -
     Aber ich konnte mich nicht erinnern, daŸ er gesagt h¤tte, wo er wohne.
     Ich wollte mir seine  Erscheinung  ins Ged¤chtnis zurìckrufen,  doch es
miŸlang.
     Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? - Und welche
Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt?
     Nichts, gar nichts  mehr konnte ich mir vorstellen. -  Alle Bilder, die
ich  mir von  ihm  schuf,  zerrannen haltlos, noch  ehe ich  sie  im  Geiste
zusammenzusetzen vermochte.
     Ich  schloŸ die  Augen  und  preŸte die Hand auf die  Lider,  um  einen
winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen.
     Nichts, nichts.
     Ich stellte  mich hin,  mitten ins Zimmer, und blickte auf die Tìr, wie
ich es getan - vorhin, als er gekommen war,  und malte mir aus:  jetzt biegt
er um  die Ecke,  jetzt schreitet er ìber den Ziegelsteinboden, liest  jetzt
drauŸen mein Tìrschild "Athanasius Pernath" und jetzt tritt er herein.
     Vergebens.
     Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen,
wollte in mir erwachen.
     Ich  sah das Buch auf dem Tische liegen und wìnschte mir im Geiste  die
Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte.
     Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblæŸt gewesen,
ob jung  oder runzlig,  mit Ringen  geschmìckt oder nicht,  konnte  ich mich
entsinnen.
     Da kam mir ein seltsamer Einfall.
     Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf.
     Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den
Gang  und die  Treppen  hinab. Dann  kam ich  langsam wieder  zurìck in mein
Zimmer.
     Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als  ich die
Tìr æffnete, da sah  ich, daŸ meine Kammer voll  D¤mmerung lag.  War es denn
nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging?
     Wie lange muŸte ich  da gegrìbelt haben,  daŸ ich  nicht bemerkte,  wie
sp¤t es ist!
     Und  ich versuchte den Unbekannten  nachzuahmen in Gang und  Mienen und
konnte mich an sie doch gar nicht erinnern. -
     Wie  sollte es  mir  auch  glìcken, ihn  nachzuahmen, wenn  ich  keinen
Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte.
     Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte.
     Meine Haut, meine  Muskeln, mein Kærper erinnerten sich plætzlich, ohne
es dem Gehirn zu  verraten. Sie machten Bewegungen,  die ich  nicht wìnschte
und nicht beabsichtigte.
     Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehærten!
     Mit einem  Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als  ich
ein paar Schritte im Zimmer machte.
     Das ist  der  Gang  eines  Menschen, der  best¤ndig  im  Begriffe  ist,
vornìber zu fallen, sagte ich mir.
     Ja, ja, ja, so war sein Gang!
     Ganz deutlich wuŸte ich: so ist er.
     Ich   trug   ein   fremdes,  bartloses   Gesicht   mit  hervorstehenden
Backenknochen und schaute aus schr¤gstehenden Augen.
     Ich fìhlte es und konnte mich doch nicht sehen.
     Das ist nicht mein  Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es
betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich  in die
Tasche und holte ein Buch hervor.
     Ganz so, wie er es vorhin getan hatte. -
     Da plætzlich sitze ich wieder ohne  Hut, ohne Mantel, am Tische und bin
ich. Ich, ich.
     Athanasius Pernath.
     Grausen   und  Entsetzen   schìttelten  mich,  mein  Herz   raste   zum
Zerspringen, und ich fìhlte: gespenstische Finger, die soeben noch in meinem
Gehirn herumgetastet, haben von mir abgelassen.
     Noch spìrte ich im Hinterkopf die kalten Spuren ihrer Berìhrung. -
     Nun  wuŸte ich, wie der  Fremde war, und  ich  h¤tte  ihn wieder in mir
fìhlen kænnen, - jeden Augenblick -  wenn ich  nur gewollt h¤tte;  aber sein
Bild  mir vorzustellen, daŸ  ich  es vor mir sehen  wìrde Auge in Auge - das
vermochte ich noch immer nicht und werde es auch nie kænnen.
     Es ist  wie ein Negativ, eine unsichtbare Hohlform, erkannte ich, deren
Linien ich nicht erfassen kann - in die ich selber hineinschlìpfen muŸ, wenn
ich mir ihrer Gestalt und ihres Ausdrucks im eigenen Ich  bewuŸt werden will
- -
     In der Schublade meines Tisches stand eine eiserne Kassette; - in diese
wollte  ich  das  Buch sperren und erst,  wenn  der  Zustand  der  geistigen
Krankheit  von mir gewichen sein wìrde, wollte ich es wieder hervorholen und
an die Ausbesserung des zerbrochenen Initialen "I" gehen.
     Und ich nahm das Buch vom Tisch.
     Da war mir, als h¤tte ich es gar nicht angefaŸt; ich griff die Kassette
an: dasselbe  Gefìhl. Als mìŸte das Tastempfinden  eine lange, lange Strecke
voll tiefer Dunkelheit durchlaufen, ehe es in meinem BewuŸtsein mìndete, als
seien  die  Dinge  durch eine jahresgroŸe  Zeitschicht  von mir entfernt und
gehærten einer Vergangenheit an, die l¤ngst an mir vorìbergezogen!
      Die Stimme,  die nach mir suchend in der Finsternis kreist, um mich mit
dem fettigen Stein zu qu¤len,  ist  an mir vorbeigekommen und hat mich nicht
gesehen. Und ich weiŸ, daŸ sie  aus dem Reiche des Schlafes stammt. Aber was
ich erlebt, das war  wirkliches Leben, -  darum konnte sie mich  nicht sehen
und sucht vergeblich nach mir, fìhle ich.
        Prag
     Neben  mir  stand der  Student Charousek,  den  Kragen  seines  dìnnen,
fadenscheinigen œberziehers aufgeschlagen, und ich  hærte, wie ihm vor K¤lte
die Z¤hne aufeinanderschlugen.
     Er kann sich  den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen,  sagte
ich mir, und ich forderte ihn auf, mit hinìber in meine Wohnung zu kommen.
     Er aber lehnte ab.
     "Ich danke Ihnen, Meister Pernath," murmelte er fræstelnd, "leider habe
ich nicht mehr so viel Zeit ìbrig;  - ich muŸ  eilends in die Stadt. -  Auch
wìrden wir bis auf die Haut naŸ, wenn wir jetzt auf die Gasse treten wollten
- schon  nach wenigen  Schritten!  - -  Der Platzregen will nicht  schw¤cher
werden!"
     Die  Wasserschauer  fegten  ìber  die  D¤cher hin  und  liefen  an  den
Gesichtern der H¤user herunter wie ein Tr¤nenstrom.
     Wenn ich  den Kopf ein wenig vorbog, konnte  ich da  drìben im  vierten
Stock  mein  Fenster  sehen, das, vom Regen  ìberrieselt,  aussah, als seien
seine  Scheiben  aufgeweicht, -  undurchsichtig  und  hæckerig  geworden wie
Hausenblase.
     Ein  gelber  Schmutzbach floŸ die Gasse herab, und  der Torbogen fìllte
sich mit  Vorìbergehenden,  die alle  das Nachlassen  des Unwetters abwarten
wollten.
     "Dort schwimmt ein  Brautbukett", sagte plætzlich Charousek und deutete
auf einen StrauŸ aus welken Myrten, der in dem Schmutzwasser vorbeigetrieben
kam.
     Darìber lachte jemand hinter uns laut auf.
     Als ich  mich umdrehte, sah ich, daŸ es  ein alter, vornehm gekleideter
Herr mit weiŸem Haar und einem aufgedunsenen,  krætenartigen Gesicht gewesen
war.
     Charousek  blickte  ebenfalls einen Augenblick zurìck und brummte etwas
vor sich hin.
     Unangenehmes ging von dem Alten aus; - ich wandte  meine Aufmerksamkeit
von ihm ab und musterte  die miŸfarbigen H¤user, die da vor meinen Augen wie
verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinander hockten.
     Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen!
     Ohne  œberlegung hingebaut standen  sie  da,  wie Unkraut, das aus  dem
Boden dringt.
     An  eine   niedrige,  gelbe  Steinmauer,  den  einzigen  standhaltenden
œberrest  eines frìheren, langgestreckten  Geb¤udes, hat man sie angelehnt -
vor zwei,  drei  Jahrhunderten, wie es  eben  kam,  ohne  Rìcksicht  auf die
ìbrigen   zu   nehmen.   Dort   ein   halbes,   schiefwinkliges   Haus   mit
zurìckspringender Stirn; - ein andres daneben: vorstehend wie ein Eckzahn.
     Unter dem trìben Himmel sahen sie aus, als l¤gen sie im Schlaf, und man
spìlte nichts von dem tìckischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen
ausstrahlt,  wenn  der Nebel der  Herbstabende in den  Gassen liegt und  ihr
leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft.
     In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck  in
mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des
Nachts  und im frìhesten Morgengrauen  fìr  sie  g¤be,  wo  sie  erregt eine
lautlose,  geheimnisvolle  Beratung  pflegen.  Und  manchmal  f¤hrt  da  ein
schwaches Beben durch  ihre Mauern, das sich  nicht erkl¤ren l¤Ÿt, Ger¤usche
laufen ìber  ihre D¤cher  und fallen  in den Regenrinnen  nieder, - und  wir
nehmen  sie mit stumpfen  Sinnen  achtlos hin,  ohne nach ihrer  Ursache  zu
forschen.
     Oft tr¤umte mir, ich h¤tte diese  H¤user  belauscht in ihrem spukhaften
Treiben  und  mit angstvollem  Staunen  erfahren,  daŸ  sie die  heimlichen,
eigentlichen Herren der Gasse seien, sich ihres Lebens und Fìhlens ent¤uŸern
und es wieder an sich ziehen kænnen,  - es  tagsìber den Bewohnern, die hier
hausen,  borgen,  um  es  in   kommender  Nacht   mit  Wucherzinsen   wieder
zurìckzufordern.
     Und lasse ich die seltsamen Menschen, die  in ihnen wohnen wie Schemen,
wie Wesen - nicht von Mìttern geboren, - die in ihrem Denken und Tun wie aus
Stìcken wahllos zusammengefìgt scheinen, im Geiste an mir vorìberziehen,  so
bin ich mehr denn  je  geneigt zu glauben, daŸ solche Tr¤ume  in sich dunkle
Wahrheiten bergen, die  mir im Wachsein nur noch wie Eindrìcke  von farbigen
M¤rchen in der Seele fortglimmen.
     Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem
kìnstlichen   Menschen,   wieder   auf,  den   einst  hier  im   Getto   ein
kabbalakundiger  Rabbiner  aus   dem  Elemente  formte  und  ihn   zu  einem
gedankenlosen  automatischen  Dasein  berief,  indem  er  ihm ein  magisches
Zahlenwort hinter die Z¤hne schob.
     Und wie jener Golem zu einem Lehmbild  in derselben Sekunde  erstarrte,
in der die geheime  Silbe des  Lebens  aus seinem  Munde  genommen ward,  so
mìŸten auch, dìnkt mich,  alle  diese Menschen entseelt  in einem Augenblick
zusammenfallen,    læschte    man   irgendeinen    winzigen   Begriff,   ein
nebens¤chliches Streben, vielleicht eine zwecklose Gewohnheit bei dem einen,
bei einem andern gar nur ein dumpfes Warten auf etwas g¤nzlich Unbestimmtes,
Haltloses - in ihrem Hirn aus.
     Was  ist dabei fìr  ein immerw¤hrendes, schreckhaftes  Lauern in diesen
Geschæpfen!
     Niemals  sieht  man sie arbeiten, diese  Menschen, und dennoch sind sie
frìh beim ersten Leuchten  des Morgens wach und warten mit angehaltenem Atem
- wie auf ein Opfer, das doch nie kommt.
     Und hat  es wirklich  einmal den Anschein,  als  tr¤te jemand in  ihren
Bereich, irgendein Wehrloser, an dem sie sich bereichern kænnten, dann f¤llt
plætzlich eine l¤hmende  Angst  ìber sie  her,  scheucht  sie in ihre Winkel
zurìck und l¤Ÿt sie von jeglichem Vorhaben zitternd abstehen.
     Niemand scheint schwach genug, daŸ ihnen noch  so viel Mut bliebe, sich
seiner zu bem¤chtigen.
     "Entartete,  zahnlose  Raubtiere,  von  denen die Kraft und  die  Waffe
genommen ist", sagte Charousek zægernd und sah mich an. -
     Wie konnte er wissen, woran ich dachte? -
     So  stark  facht man zuweilen seine Gedanken an, daŸ sie imstande sind,
auf  das  Gehirn  des  Nebenstehenden ìberzuspringen wie  sprìhende  Funken,
fìhlte ich.
     "- - - wovon sie nur leben mægen?" sagte ich nach einer Weile.
     "Leben? Wovon? Mancher unter ihnen ist ein Million¤r!"
     Ich blickte Charousek an. Was konnte er damit meinen!
     Der Student aber schwieg und sah nach den Wolken.
     Fìr  einen   Augenblick  hatte  das  Stimmengemurmel  in  dem  Torbogen
gestockt, und man hærte bloŸ das Zischen des Regens.
     Was er nur damit sagen will: "Mancher unter ihnen ist ein Million¤r!?"
     Wieder war es, als h¤tte Charousek meine Gedanken erraten. Er wies nach
dem Trædlerladen neben uns, an dem das Wasser den Rost des Eisengerìmpels in
flieŸenden, braunroten Pfìtzen vorbeispìlte.
     "Aaron  Wassertrum! Er zum  Beispiel ist  Million¤r, - fast ein Drittel
der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!"
     Mir blieb  færmlich der  Atem im Mund  stecken. "Aaron Wassertrum!  Der
Trædler Aaron Wassertrum Million¤r?!"
     "Oh, ich kenne ihn genau", fuhr Charousek verbissen fort, und als h¤tte
er nur darauf gewartet, daŸ ich ihn frage. "Ich kannte auch seinen Sohn, den
Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm  gehært? Von Dr. Wassory, dem - berìhmten
- Augenarzt?  -  Vor einem Jahr noch hat  die ganze Stadt begeistert von ihm
gesprochen,  - von dem groŸen - -  Gelehrten.  Niemand wuŸte damals,  daŸ er
seinen  Namen  abgelegt und  frìher Wassertrum geheiŸen. -  Er spielte  sich
gerne auf d
     Die Stimme,  die nach mir suchend in der Finsternis kreist, um mich mit
dem fettigen Stein zu qu¤len,  ist  an mir vorbeigekommen und hat mich nicht
gesehen. Und ich weiŸ, daŸ sie  aus dem Reiche des Schlafes stammt. Aber was
ich erlebt, das war  wirkliches Leben, -  darum konnte sie mich  nicht sehen
und sucht vergeblich nach mir, fìhle ich.
        Prag
     Neben  mir  stand der  Student Charousek,  den  Kragen  seines  dìnnen,
fadenscheinigen œberziehers aufgeschlagen, und ich  hærte, wie ihm vor K¤lte
die Z¤hne aufeinanderschlugen.
     Er kann sich  den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen,  sagte
ich mir, und ich forderte ihn auf, mit hinìber in meine Wohnung zu kommen.
     Er aber lehnte ab.
     "Ich danke Ihnen, Meister Pernath," murmelte er fræstelnd, "leider habe
ich nicht mehr so viel Zeit ìbrig;  - ich muŸ  eilends in die Stadt. -  Auch
wìrden wir bis auf die Haut naŸ, wenn wir jetzt auf die Gasse treten wollten
- schon  nach wenigen  Schritten!  - -  Der Platzregen will nicht  schw¤cher
werden!"
     Die  Wasserschauer  fegten  ìber  die  D¤cher hin  und  liefen  an  den
Gesichtern der H¤user herunter wie ein Tr¤nenstrom.
     Wenn ich  den Kopf ein wenig vorbog, konnte  ich da  drìben im  vierten
Stock  mein  Fenster  sehen, das, vom Regen  ìberrieselt,  aussah, als seien
seine  Scheiben  aufgeweicht, -  undurchsichtig  und  hæckerig  geworden wie
Hausenblase.
     Ein  gelber  Schmutzbach floŸ die Gasse herab, und  der Torbogen fìllte
sich mit  Vorìbergehenden,  die alle  das Nachlassen  des Unwetters abwarten
wollten.
     "Dort schwimmt ein  Brautbukett", sagte plætzlich Charousek und deutete
auf einen StrauŸ aus welken Myrten, der in dem Schmutzwasser vorbeigetrieben
kam.
     Darìber lachte jemand hinter uns laut auf.
     Als ich  mich umdrehte, sah ich, daŸ es  ein alter, vornehm gekleideter
Herr mit weiŸem Haar und einem aufgedunsenen,  krætenartigen Gesicht gewesen
war.
     Charousek  blickte  ebenfalls einen Augenblick zurìck und brummte etwas
vor sich hin.
     Unangenehmes ging von dem Alten aus; - ich wandte  meine Aufmerksamkeit
von ihm ab und musterte  die miŸfarbigen H¤user, die da vor meinen Augen wie
verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinander hockten.
     Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen!
     Ohne  œberlegung hingebaut standen  sie  da,  wie Unkraut, das aus  dem
Boden dringt.
     An  eine   niedrige,  gelbe  Steinmauer,  den  einzigen  standhaltenden
œberrest  eines frìheren, langgestreckten  Geb¤udes, hat man sie angelehnt -
vor zwei,  drei  Jahrhunderten, wie es  eben  kam,  ohne  Rìcksicht  auf die
ìbrigen   zu   nehmen.   Dort   ein   halbes,   schiefwinkliges   Haus   mit
zurìckspringender Stirn; - ein andres daneben: vorstehend wie ein Eckzahn.
     Unter dem trìben Himmel sahen sie aus, als l¤gen sie im Schlaf, und man
spìlte nichts von dem tìckischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen
ausstrahlt,  wenn  der Nebel der  Herbstabende in den  Gassen liegt und  ihr
leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft.
     In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck  in
mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des
Nachts  und im frìhesten Morgengrauen  fìr  sie  g¤be,  wo  sie  erregt eine
lautlose,  geheimnisvolle  Beratung  pflegen.  Und  manchmal  f¤hrt  da  ein
schwaches Beben durch  ihre Mauern, das sich  nicht erkl¤ren l¤Ÿt, Ger¤usche
laufen ìber  ihre D¤cher  und fallen  in den Regenrinnen  nieder, - und  wir
nehmen  sie mit stumpfen  Sinnen  achtlos hin,  ohne nach ihrer  Ursache  zu
forschen.
     Oft tr¤umte mir, ich h¤tte diese  H¤user  belauscht in ihrem spukhaften
Treiben  und  mit angstvollem  Staunen  erfahren,  daŸ  sie die  heimlichen,
eigentlichen Herren der Gasse seien, sich ihres Lebens und Fìhlens ent¤uŸern
und es wieder an sich ziehen kænnen,  - es  tagsìber den Bewohnern, die hier
hausen,  borgen,  um  es  in   kommender  Nacht   mit  Wucherzinsen   wieder
zurìckzufordern.
     Und lasse ich die seltsamen Menschen, die  in ihnen wohnen wie Schemen,
wie Wesen - nicht von Mìttern geboren, - die in ihrem Denken und Tun wie aus
Stìcken wahllos zusammengefìgt scheinen, im Geiste an mir vorìberziehen,  so
bin ich mehr denn  je  geneigt zu glauben, daŸ solche Tr¤ume  in sich dunkle
Wahrheiten bergen, die  mir im Wachsein nur noch wie Eindrìcke  von farbigen
M¤rchen in der Seele fortglimmen.
     Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem
kìnstlichen   Menschen,   wieder   auf,  den   einst  hier  im   Getto   ein
kabbalakundiger  Rabbiner  aus   dem  Elemente  formte  und  ihn   zu  einem
gedankenlosen  automatischen  Dasein  berief,  indem  er  ihm ein  magisches
Zahlenwort hinter die Z¤hne schob.
     Und wie jener Golem zu einem Lehmbild  in derselben Sekunde  erstarrte,
in der die geheime  Silbe des  Lebens  aus seinem  Munde  genommen ward,  so
mìŸten auch, dìnkt mich,  alle  diese Menschen entseelt  in einem Augenblick
zusammenfallen,    læschte    man   irgendeinen    winzigen   Begriff,   ein
nebens¤chliches Streben, vielleicht eine zwecklose Gewohnheit bei dem einen,
bei einem andern gar nur ein dumpfes Warten auf etwas g¤nzlich Unbestimmtes,
Haltloses - in ihrem Hirn aus.
     Was  ist dabei fìr  ein immerw¤hrendes, schreckhaftes  Lauern in diesen
Geschæpfen!
     Niemals  sieht  man sie arbeiten, diese  Menschen, und dennoch sind sie
frìh beim ersten Leuchten  des Morgens wach und warten mit angehaltenem Atem
- wie auf ein Opfer, das doch nie kommt.
     Und hat  es wirklich  einmal den Anschein,  als  tr¤te jemand in  ihren
Bereich, irgendein Wehrloser, an dem sie sich bereichern kænnten, dann f¤llt
plætzlich eine l¤hmende  Angst  ìber sie  her,  scheucht  sie in ihre Winkel
zurìck und l¤Ÿt sie von jeglichem Vorhaben zitternd abstehen.
     Niemand scheint schwach genug, daŸ ihnen noch  so viel Mut bliebe, sich
seiner zu bem¤chtigen.
     "Entartete,  zahnlose  Raubtiere,  von  denen die Kraft und  die  Waffe
genommen ist", sagte Charousek zægernd und sah mich an. -
     Wie konnte er wissen, woran ich dachte? -
     So  stark  facht man zuweilen seine Gedanken an, daŸ sie imstande sind,
auf  das  Gehirn  des  Nebenstehenden ìberzuspringen wie  sprìhende  Funken,
fìhlte ich.
     "- - - wovon sie nur leben mægen?" sagte ich nach einer Weile.
     "Leben? Wovon? Mancher unter ihnen ist ein Million¤r!"
     Ich blickte Charousek an. Was konnte er damit meinen!
     Der Student aber schwieg und sah nach den Wolken.
     Fìr  einen   Augenblick  hatte  das  Stimmengemurmel  in  dem  Torbogen
gestockt, und man hærte bloŸ das Zischen des Regens.
     Was er nur damit sagen will: "Mancher unter ihnen ist ein Million¤r!?"
     Wieder war es, als h¤tte Charousek meine Gedanken erraten. Er wies nach
dem Trædlerladen neben uns, an dem das Wasser den Rost des Eisengerìmpels in
flieŸenden, braunroten Pfìtzen vorbeispìlte.
     "Aaron  Wassertrum! Er zum  Beispiel ist  Million¤r, - fast ein Drittel
der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!"
     Mir blieb  færmlich der  Atem im Mund  stecken. "Aaron Wassertrum!  Der
Trædler Aaron Wassertrum Million¤r?!"
     "Oh, ich kenne ihn genau", fuhr Charousek verbissen fort, und als h¤tte
er nur darauf gewartet, daŸ ich ihn frage. "Ich kannte auch seinen Sohn, den
Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm  gehært? Von Dr. Wassory, dem - berìhmten
- Augenarzt?  -  Vor einem Jahr noch hat  die ganze Stadt begeistert von ihm
gesprochen,  - von dem groŸen - -  Gelehrten.  Niemand wuŸte damals,  daŸ er
seinen  Namen  abgelegt und  frìher Wassertrum geheiŸen. -  Er spielte  sich
gerne auf d