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     Als Gregor Samsa eines  Morgens aus unruhigen  Traumen erwachte,
fand er sich in seinem Bett zu  einem ungeheueren Ungeziefer  verwandelt. Er
lag  auf seinem panzerartig harten Racken und sah, wenn  er den  Kopf
ein  wenig hob, seinen  gewalbten,  braunen, von bogenfarmigen
Versteifungen geteilten Bauch, auf  dessen  Hahe  sich die Bettdecke,
zum ganzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine
vielen,   im   Vergleich   zu   seinem   sonstigen  Umfang   klaglich
dannen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.
     "Was ist mit mir geschehen?" dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer,
ein  richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag  ruhig zwischen den
vier  wohlbekannten  Wanden.  aber dem  Tisch,  auf  dem  eine
auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet war -- Samsa
war  Reisender --, hing das Bild, das  er vor kurzem aus einer illustrierten
Zeitschrift ausgeschnitten und  in einem habschen, vergoldeten Rahmen
untergebracht hatte. Es stellte eine Dame  dar, die, mit einem  Pelzhut  und
einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, in
dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob.
     Gregors  Blick  richtete  sich dann zum  Fenster, und das  trabe
Wetter -- man harte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen  --
machte ihn ganz melancholisch. "Wie ware es, wenn ich  noch ein wenig
weiterschliefe und  alle  Narrheiten  vergaße", dachte er, aber
das war ganzlich undurchfahrbar, denn  er war  gewahnt,
auf  der  rechten   Seite   zu   schlafen,  konnte  sich  aber   in   seinem
gegenwartigen Zustand  nicht in diese Lage bringen. Mit welcher Kraft
er  sich auch auf die  rechte Seite warf, immer wieder schaukelte er in  die
Rackenlage   zurack.   Er   versuchte   es   wohl  hundertmal,
schloß   die  Augen,  um   die  zappelnden   Beine   nicht   sehen  zu
massen, und ließ erst ab,  als er  in der  Seite einen noch nie
gefahlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fahlen begann.
     "Ach Gott", dachte er, "was far  einen anstrengenden  Beruf habe
ich gewahlt! Tagaus,  tagein auf der Reise. Die geschaftlichen
Aufregungen    sind    viel   graßer   als    im   eigentlichen
Geschaft  zu  Hause, und außerdem ist mir  noch diese Plage des
Reisens   auferlegt,   die   Sorgen   um   die   Zuganschlasse,   das
unregelmaßige,  schlechte  Essen,  ein  immer  wechselnder, nie
andauernder,  nie herzlich werdender menschlicher  Verkehr. Der Teufel  soll
das  alles holen!" Er fahlte ein leichtes Jucken oben auf  dem Bauch;
schob  sich auf dem Racken  langsam naher zum  Bettpfosten, um
den Kopf besser heben  zu kannen; fand die  juckende Stelle,  die mit
lauter  kleinen weißen Panktchen besetzt  war, die er  nicht zu
beurteilen verstand;  und wollte mit einem Bein die Stelle betasten,  zog es
aber  gleich  zurack,  denn  bei  der Berahrung  umwehten  ihn
Kalteschauer.
     Er glitt  wieder  in  seine  frahere  Lage zurack.  "Dies
frahzeitige    Aufstehen",    dachte    er,    "macht   einen    ganz
bladsinnig. Der Mensch muß seinen Schlaf haben. Andere Reisende
leben wie Haremsfrauen. Wenn ich zum  Beispiel im Laufe des  Vormittags  ins
Gasthaus   zurackgehe,    um   die   erlangten   Auftrage   zu
aberschreiben, sitzen diese Herren erst beim Frahstack.
Das  sollte ich  bei meinem Chef versuchen; ich warde auf  der Stelle
hinausfliegen.  Wer  weiß  abrigens,  ob  das  nicht  sehr  gut
far  mich  ware. Wenn  ich  mich  nicht  wegen  meiner  Eltern
zurackhielte,  ich  hatte  langst gekandigt, ich
ware vor den  Chef hingetreten und hatte ihm meine Meinung von
Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult hatte er fallen massen!
Es  ist auch  eine sonderbare Art, sich auf das Pult zu setzen und  von  der
Hahe herab mit dem Angestellten  zu reden, der  aberdies wegen
der  Schwerharigkeit des  Chefs ganz nahe herantreten muß. Nun,
die Hoffnung ist noch nicht ganzlich aufgegeben; habe ich  einmal das
Geld  beisammen,  um  die  Schuld  der  Eltern  an   ihn  abzuzahlen  --  es
darfte noch fanf  bis  sechs Jahre dauern --,  mache  ich  die
Sache unbedingt. Dann wird der große Schnitt gemacht. Vorlaufig
allerdings   muß  ich  aufstehen,  denn  mein   Zug   fahrt  um
fanf."
     Und er  sah zur  Weckuhr hinaber,  die  auf  dem  Kasten tickte.
"Himmlischer  Vater!" dachte  er.  Es war halb  sieben Uhr,  und die  Zeiger
gingen  ruhig  vorwarts,  es  war  sogar  halb   voraber,   es
naherte  sich  schon   drei   Viertel.   Sollte   der  Wecker   nicht
gelautet  haben? Man sah  vom  Bett aus, daß  er  auf vier  Uhr
richtig eingestellt war; gewiß hatte er auch gelautet. Ja, aber
war es maglich, dieses mabelerschatternde Lauten
ruhig  zu  verschlafen?  Nun, ruhig  hatte  er  ja  nicht  geschlafen,  aber
wahrscheinlich  desto   fester.  Was   aber   sollte  er   jetzt  tun?   Der
nachste Zug ging um sieben  Uhr;  um den einzuholen,  hatte er
sich  unsinnig beeilen massen,  und  die  Kollektion  war noch  nicht
eingepackt, und er selbst fahlte sich durchaus nicht besonders frisch
und  beweglich. Und selbst wenn er den Zug  einholte,  ein  Donnerwetter des
Chefs war  nicht  zu vermeiden,  denn der Geschaftsdiener  hatte beim
Fanfuhrzug  gewartet  und  die  Meldung von seiner  Versaumnis
langst erstattet. Er war eine Kreatur des Chefs, ohne Rackgrat
und Verstand.  Wie  nun,  wenn er sich krank  meldete?  Das ware aber
außerst   peinlich  und  verdachtig,  denn   Gregor  war
wahrend seines fanfjahrigen Dienstes noch nicht  einmal
krank gewesen. Gewiß warde der  Chef mit  dem Krankenkassenarzt
kommen,  warde den Eltern  wegen des  faulen  Sohnes  Vorwarfe
machen und alle Einwande durch  den Hinweis auf den Krankenkassenarzt
abschneiden,  far den es ja  aberhaupt  nur ganz gesunde, aber
arbeitsscheue Menschen gibt. Und hatte er abrigens  in  diesem
Falle  so  ganz   unrecht?  Gregor  fahlte  sich  tatsachlich,
abgesehen     von    einer     nach    dem    langen     Schlaf     wirklich
aberflassigen  Schlafrigkeit, ganz wohl und hatte sogar
einen besonders kraftigen Hunger.
     Als er dies alles  in graßter  Eile aberlegte, ohne
sich  entschließen zu kannen,  das Bett zu  verlassen -- gerade
schlug der Wecker  drei  Viertel sieben --,  klopfte  es  vorsichtig an  die
Tar am  Kopfende  seines  Bettes. "Gregor", rief  es --  es  war  die
Mutter-,  "es ist  drei Viertel  sieben.  Wolltest du nicht wegfahren?"  Die
sanfte   Stimme!   Gregor   erschrak,  als   er  seine   antwortende  Stimme
harte,  die wohl  unverkennbar seine frahere war,  in die sich
aber, wie von unten  her, ein nicht zu unterdrackendes, schmerzliches
Piepsen  mischte, das die Worte farmlich nur  im ersten Augenblick in
ihrer   Deutlichkeit   beließ,   um  sie   im   Nachklang  derart   zu
zerstaren,   daß   man   nicht   wußte,   ob  man   recht
gehart  hatte.  Gregor hatte ausfahrlich antworten  und  alles
erklaren   wollen,    beschrankte   sich   aber   bei   diesen
Umstanden darauf,  zu sagen: "Ja,  ja,  danke Mutter, ich stehe schon
auf." Infolge  der  Holztar  war  die  Veranderung  in Gregors
Stimme  draußen wohl  nicht zu merken, denn die  Mutter beruhigte sich
mit  dieser Erklarung und  schlarfte  davon.  Aber  durch  das
kleine   Gesprach  waren  die   anderen   Familienmitglieder   darauf
aufmerksam geworden, daß Gregor wider Erwarten noch zu Hause  war, und
schon klopfte an der einen Seitentar der Vater, schwach, aber mit der
Faust.  "Gregor,  Gregor", rief er, "was ist denn?"  Und nach  einer kleinen
Weile mahnte  er  nochmals mit tieferer  Stimme: "Gregor!  Gregor!"  An  der
anderen Seitentar  aber klagte leise die Schwester:  "Gregor? Ist dir
nicht wohl? Brauchst  du etwas?" Nach  beiden Seiten hin antwortete  Gregor:
"Bin  schon fertig",  bemahte sich,  durch  die  sorgfaltigste
Aussprache  und durch Einschaltung von langen Pausen  zwischen den einzelnen
Worten  seiner Stimme alles Auffallende zu  nehmen. Der Vater kehrte auch zu
seinem    Frahstack   zurack,   die    Schwester   aber
flasterte: "Gregor, mach auf, ich beschware dich." Gregor aber
dachte  gar nicht  daran  aufzumachen,  sondern lobte  die  vom  Reisen  her
abernommene  Vorsicht, auch zu Hause alle Taren wahrend
der Nacht zu versperren.
     Zunachst wollte  er  ruhig und ungestart aufstehen,  sich
anziehen und vor allem frahstacken,  und dann erst das Weitere
aberlegen, denn, das merkte er wohl, im  Bett warde er mit dem
Nachdenken zu keinem  vernanftigen  Ende kommen. Er  erinnerte  sich,
schon  afters  im Bett  irgendeinen  vielleicht  durch  ungeschicktes
Liegen erzeugten, leichten Schmerz  empfunden  zu haben,  der sich dann beim
Aufstehen als  reine Einbildung herausstellte, und er war gespannt, wie sich
seine     heutigen     Vorstellungen    allmahlich    auflasen
warden. Daß  die Veranderung der  Stimme nichts  anderes
war  als   der  Vorbote  Einer  tachtigen   Verkahlung,  einer
Berufskrankheit der Reisenden, daran zweifelte er nicht im geringsten.
     Die Decke abzuwerfen war  ganz einfach;  er brauchte sich nur ein wenig
aufzublasen und sie fiel  von  selbst.  Aber weiterhin wurde  es  schwierig,
besonders  weil  er  so  ungemein  breit  war.  Er  hatte   Arme  und
Hande gebraucht, um sich aufzurichten, statt dessen aber hatte er nur
die  vielen  Beinchen,  die ununterbrochen in  der  verschiedensten Bewegung
waren und die er aberdies  nicht beherrschen  konnte. Wollte er eines
einmal einknicken, so war  es  das  erste,  daß er  sich streckte; und
gelang  es  ihm  endlich,  mit diesem Bein das  auszufahren,  was  er
wollte,  so  arbeiteten  inzwischen  alle   anderen,  wie  freigelassen,  in
hachster,  schmerzlicher   Aufregung.  "Nur   sich   nicht  im   Bett
unnatz aufhalten", sagte sich Gregor.
     Zuerst wollte  er  mit dem unteren Teil  seines Karpers  aus dem
Bett hinauskommen,  aber  dieser  untere Teil, den er  abrigens  noch
nicht gesehen hatte und von dem er sich auch keine rechte Vorstellung machen
konnte, erwies sich  als zu schwer beweglich; es ging so langsam; und als er
schließlich,   fast  wild  geworden,   mit   gesammelter  Kraft,  ohne
Racksicht  sich  vorwartsstieß,  hatte  er die  Richtung
falsch gewahlt, schlug an den unteren Bettpfosten heftig  an, und der
brennende Schmerz, den er empfand, belehrte ihn, daß gerade der untere
Teil seines Karpers augenblicklich vielleicht der empfindlichste war.
     Er versuchte es  daher,  zuerst  den  Oberkarper aus dem Bett zu
bekommen, und drehte vorsichtig den Kopf dem Bettrand  zu.  Dies gelang auch
leicht,  und trotz  ihrer  Breite  und Schwere  folgte schließlich die
Karpermasse langsam der  Wendung  des Kopfes. Aber  als er  den  Kopf
endlich außerhalb des Bettes in der freien Luft hielt, bekam er Angst,
weiter   auf   diese   Weise   vorzuracken,   denn   wenn   er   sich
schließlich  so fallen  ließ,  mußte geradezu  ein  Wunder
geschehen, wenn  der  Kopf nicht verletzt  werden  sollte. Und die Besinnung
durfte er gerade jetzt um  keinen  Preis verlieren; lieber wollte er im Bett
bleiben.
     Aber als  er  wieder nach gleicher Mahe aufseufzend so dalag wie
fraher, und wieder  seine Beinchen womaglich noch arger
gegeneinander kampfen sah und keine Maglichkeit fand, in diese
Willkar Ruhe und Ordnung zu bringen, sagte er sich  wieder, daß
er  unmaglich im  Bett  bleiben kanne  und  daß  es  das
Vernanftigste  sei,  alles zu  opfern,  wenn  auch nur  die  kleinste
Hoffnung bestande,  sich dadurch vom Bett zu  befreien.  Gleichzeitig
aber vergaß er nicht, sich  zwischendurch daran zu erinnern, daß
viel  besser   als  verzweifelte  Entschlasse   ruhige  und  ruhigste
aberlegung  sei.  In  solchen  Augenblicken  richtete  er  die  Augen
maglichst scharf auf das Fenster, aber leider war aus dem Anblick des
Morgennebels,   der  sogar   die   andere   Seite   der  engen  Straße
verhallte,  wenig Zuversicht  und Munterkeit zu holen. "Schon  sieben
Uhr", sagte er sich beim neuerlichen Schlagen des Weckers, "schon sieben Uhr
und noch immer  ein solcher Nebel."  Und ein Weilchen lang  lag er ruhig mit
schwachem Atem, als erwarte er vielleicht von der valligen Stille die
Wiederkehr      der      wirklichen     und      selbstverstandlichen
Verhaltnisse.
     Dann aber  sagte  er  sich: "Ehe es ein  Viertel  acht  schlagt,
muß ich  unbedingt  das  Bett vollstandig  verlassen haben.  Im
abrigen wird auch bis dahin jemand aus dem Geschaft kommen, um
nach   mir  zu  fragen,  denn  das   Geschaft  wird  vor  sieben  Uhr
geaffnet." Und er machte sich nun daran, den  Karper in seiner
ganzen Lange vollstandig gleichmaßig aus dem Bett
hinauszuschaukeln.  Wenn  er  sich auf  diese  Weise  aus  dem  Bett  fallen
ließ,  blieb  der  Kopf,  den   er  beim  Fall  scharf  heben  wollte,
voraussichtlich  unverletzt.  Der  Racken  schien hart  zu  sein; dem
warde  wohl bei  dem  Fall  auf  den  Teppich  nichts geschehen.  Das
graßte Bedenken machte ihm die Racksicht auf den  lauten
Krach, den es  geben maßte und der wahrscheinlich  hinter allen
Taren wenn nicht Schrecken, so doch Besorgnisse erregen warde.
Das mußte aber gewagt werden.
     Als  Gregor schon zur Halfte aus  dem Bette ragte  --  die  neue
Methode  war  mehr  ein Spiel als  eine Anstrengung,  er brauchte  immer nur
ruckweise zu schaukeln --, fiel ihm ein, wie einfach alles ware, wenn
man ihm zu Hilfe kame. Zwei starke Leute -- er dachte an seinen Vater
und    das   Dienstmadchen   --    hatten   vollstandig
genagt; sie hatten ihre Arme nur unter seinen gewalbten
Racken schieben,  ihn  so  aus dem Bett  schalen, sich mit der
Last  niederbeugen und  dann  bloß  vorsichtig  dulden  massen,
daß er  den aberschwung auf dem Fußboden vollzog, wo dann
die  Beinchen  hoffentlich  einen  Sinn bekommen  warden.  Nun,  ganz
abgesehen davon, daß die Taren versperrt waren, hatte er
wirklich  um  Hilfe  rufen  sollen?  Trotz  aller Not konnte er  bei  diesem
Gedanken ein Lacheln nicht unterdracken.
     Schon war er so weit, daß  er bei starkerem Schaukeln kaum
das  Gleichgewicht noch  erhielt,  und  sehr bald  mußte er  sich  nun
endgaltig entscheiden, denn es war in fanf Minuten ein Viertel
acht, als  es an  der Wohnungstar lautete. "Das ist jemand aus
dem Geschaft", sagte er sich und erstarrte fast, wahrend seine
Beinchen nur desto eiliger tanzten. Einen Augenblick blieb alles still. "Sie
affnen nicht", sagte sich Gregor, befangen in irgendeiner  unsinnigen
Hoffnung. Aber dann ging natarlich wie immer das Dienstmadchen
festen Schrittes zur Tar und affnete. Gregor brauchte  nur das
erste Grußwort  des Besuchers  zu haren und wußte  schon,
wer  es war -- der Prokurist selbst. Warum war nur Gregor  dazu  verurteilt,
bei einer Firma zu dienen, wo man bei der kleinsten Versaumnis gleich
den graßten Verdacht faßte? Waren  denn alle Angestellten
samt und sonders Lumpen, gab es denn  unter ihnen  keinen treuen,  ergebenen
Menschen,  der,  wenn  er auch nur ein  paar  Morgenstunden  far  das
Geschaft   nicht   ausgenatzt   hatte,   vor   Gewissensbissen
narrisch  wurde  und  geradezu  nicht   imstande  war,  das  Bett  zu
verlassen? Genagte es wirklich nicht, einen  Lehrjungen nachfragen zu
lassen  --  wenn   aberhaupt  diese  Fragerei  natig  war  --,
mußte  da  der Prokurist  selbst kommen,  und  mußte dadurch der
ganzen  unschuldigen  Familie  gezeigt werden,  daß  die  Untersuchung
dieser verdachtigen  Angelegenheit  nur dem Verstand des  Prokuristen
anvertraut werden  konnte? Und mehr  infolge  der Erregung, in welche Gregor
durch diese  aberlegungen versetzt wurde, als infolge eines richtigen
Entschlusses,  schwang  er sich mit aller Macht aus  dem Bett. Es gab  einen
lauten Schlag, aber ein eigentlicher Krach war es nicht. Ein wenig wurde der
Fall durch  den  Teppich  abgeschwacht,  auch  war der  Racken
elastischer,  als  Gregor  gedacht   hatte,  daher  kam  der  nicht  gar  so
auffallende dumpfe  Klang.  Nur  den Kopf hatte  er nicht  vorsichtig  genug
gehalten und ihn angeschlagen; er drehte ihn und rieb ihn an dem Teppich vor
arger und Schmerz.
     "Da drin ist etwas gefallen", sagte der Prokurist im Nebenzimmer links.
Gregor suchte sich vorzustellen, ob nicht auch einmal dem  Prokuristen etwas
ahnliches    passieren    kannte,    wie   heute   ihm,    die
Maglichkeit dessen mußte man  doch eigentlich zugeben. Aber wie
zur rohen Antwort auf diese Frage machte  jetzt der Prokurist im Nebenzimmer
ein paar  bestimmte Schritte  und ließ seine Lackstiefel knarren.  Aus
dem  Nebenzimmer  rechts  flasterte   die  Schwester,  um  Gregor  zu
verstandigen: "Gregor, der Prokurist ist da." "Ich weiß", sagte
Gregor vor sich  hin; aber so laut, daß es die  Schwester hatte
haren kannen, wagte er die Stimme nicht zu erheben.
     "Gregor",  sagte nun der  Vater aus  dem Nebenzimmer  links, "der  Herr
Prokurist  ist   gekommen  und  erkundigt  sich,  warum  du  nicht  mit  dem
Frahzug weggefahren bist. Wir wissen nicht, was wir ihm sagen sollen.
abrigens will er auch mit dir persanlich sprechen.  Also bitte
mach die Tar  auf. Er wird  die Unordnung im  Zimmer zu entschuldigen
schon die Gate haben." "Guten Morgen, Herr Samsa", rief der Prokurist
freundlich  dazwischen.  "Ihm  ist  nicht   wohl",   sagte  die  Mutter  zum
Prokuristen, wahrend  der  Vater noch  an der Tar redete, "ihm
ist  nicht  wohl,  glauben  Sie nur, Herr Prokurist.  Wie  warde denn
Gregor sonst einen Zug versaumen! Der Junge hat ja nichts im Kopf als
das  Geschaft. Ich argere mich schon fast, daß er abends
niemals ausgeht; jetzt war er doch acht Tage in  der Stadt, aber jeden Abend
war er zu  Hause. Da  sitzt er bei uns am Tisch und liest still die  Zeitung
oder  studiert Fahrplane.  Es  ist schon eine Zerstreuung  far
ihn, wenn er  sich mit Laubsagearbeiten beschaftigt. Da hat er
zum  Beispiel  im  Laufe  von  zwei,  drei  Abenden   einen  kleinen  Rahmen
geschnitzt; Sie werden  staunen,  wie habsch  er ist; er hangt
drin im  Zimmer; Sie werden ihn gleich sehen, bis Gregor aufmacht.  Ich  bin
abrigens glacklich, daß Sie da sind, Herr Prokurist; wir
allein   hatten  Gregor  nicht  dazu   gebracht,  die  Tar  zu
affnen; er ist so hartnackig; und bestimmt ist ihm nicht wohl,
trotzdem er es am  Morgen  geleugnet hat." "Ich komme  gleich", sagte Gregor
langsam und bedachtig und rahrte sich nicht, um kein  Wort der
Gesprache zu verlieren. "Anders, gnadige Frau, kann ich es mir
auch nicht erklaren", sagte der Prokurist, "hoffentlich ist es nichts
Ernstes.  Wenn  ich   auch  andererseits   sagen  muß,  daß  wir
Geschaftsleute -- wie man  will,  leider oder glacklicherweise
--   ein    leichtes   Unwohlsein   sehr   oft   aus   geschaftlichen
Racksichten einfach aberwinden massen."  "Also kann der
Herr  Prokurist schon  zu  dir hinein?" fragte  der  ungeduldige  Vater  und
klopfte  wiederum  an  die Tar.  "Nein", sagte Gregor. Im Nebenzimmer
links  trat eine peinliche  Stille ein,  im Nebenzimmer  rechts  begann  die
Schwester zu schluchzen.
     Warum ging denn die  Schwester nicht zu den anderen? Sie war wohl  erst
jetzt aus  dem  Bett aufgestanden und  hatte  noch gar nicht angefangen sich
anzuziehen.  Und  warum  weinte  sie denn? Weil  er  nicht  aufstand und den
Prokuristen  nicht  hereinließ, weil er in Gefahr  war,  den Posten zu
verlieren,  und  weil dann der  Chef  die  Eltern mit den  alten Forderungen
wieder  verfolgen  warde?  Das   waren  doch  vorlaufig   wohl
unnatige Sorgen. Noch war Gregor hier  und dachte nicht im geringsten
daran, seine  Familie  zu verlassen.  Augenblicklich lag er wohl da auf  dem
Teppich, und niemand,  der seinen Zustand gekannt hatte, hatte
im Ernst von ihm  verlangt, daß  er den Prokuristen  hereinlasse. Aber
wegen   dieser   kleinen  Unhaflichkeit,  far   die  sich   ja
spater  leicht eine  passende  Ausrede  finden  warde,  konnte
Gregor  doch  nicht  gut  sofort weggeschickt werden. Und Gregor schien  es,
daß es  viel vernanftiger  ware,  ihn jetzt  in  Ruhe zu
lassen, statt ihn mit  Weinen und Zureden zu staren. Aber es war eben
die Ungewißheit,  welche die anderen bedrangte und ihr Benehmen
entschuldigte.
     "Herr Samsa",  rief nun  der  Prokurist mit erhobener Stimme, "was  ist
denn los? Sie verbarrikadieren sich da in Ihrem Zimmer, antworten bloß
mit Ja  und Nein, machen Ihren  Eltern schwere,  unnatige Sorgen  und
versaumen    --    dies     nur    nebenbei    erwahnt    Ihre
geschaftlichen Pflichten in einer eigentlich unerharten Weise.
Ich spreche hier im Namen Ihrer  Eltern  und Ihres Chefs  und bitte Sie ganz
ernsthaft um eine augenblickliche,  deutliche Erklarung. Ich  staune,
ich staune. Ich glaubte Sie als einen ruhigen,  vernanftigen Menschen
zu kennen,  und  nun  scheinen Sie platzlich anfangen  zu wollen, mit
sonderbaren  Launen   zu  paradieren.  Der  Chef  deutete  mir   zwar  heute
frah   eine   magliche   Erklarung    far   Ihre
Versaumnis an -- sie betraf das Ihnen seit kurzem anvertraute Inkasso
--,  aber  ich  legte  wahrhaftig  fast  mein  Ehrenwort  dafar  ein,
daß diese Erklarung nicht zutreffen kanne. Nun aber sehe
ich hier Ihren  unbegreiflichen Starrsinn  und verliere  ganz  und  gar jede
Lust,  mich auch nur  im  geringsten far Sie  einzusetzen.  Und  Ihre
Stellung ist durchaus nicht die  festeste. Ich hatte urspranglich die
Absicht,  Ihnen  das alles unter  vier Augen zu sagen, aber da Sie mich hier
nutzlos meine Zeit versaumen  lassen, weiß ich  nicht, warum es
nicht  auch Ihre Herren Eltern  erfahren  sollen.  Ihre  Leistungen  in  der
letzten  Zeit  waren  also  sehr  unbefriedigend;  es  ist  zwar  nicht  die
Jahreszeit,  um  besondere Geschafte zu machen, das erkennen wir  an;
aber   eine  Jahreszeit,  um  keine  Geschafte  zu  machen,  gibt  es
aberhaupt  nicht,  Herr  Samsa,  darf  es  nicht geben."  "Aber  Herr
Prokurist", rief Gregor außer sich und  vergaß in  der Aufregung
alles  andere,  "ich  mache ja  sofort,  augenblicklich  auf.  Ein  leichtes
Unwohlsein,  ein Schwindelanfall,  haben  mich  verhindert aufzustehen.  Ich
liege noch jetzt im Bett.  Jetzt bin ich aber schon wieder ganz frisch. Eben
steige ich  aus dem Bett. Nur einen kleinen Augenblick Geduld!  Es geht noch
nicht so gut, wie ich dachte. Es ist mir aber schon wohl. Wie das  nur einen
Menschen so aberfallen  kann!  Noch gestern abend  war mir ganz  gut,
meine Eltern wissen es ja, oder  besser,  schon gestern abend hatte ich eine
kleine Vorahnung. Man hatte es mir  ansehen massen. Warum habe
ich es  nur im Geschaft nicht  gemeldet! Aber  man denkt  eben immer,
daß man die Krankheit ohne Zuhausebleiben aberstehen wird. Herr
Prokurist! Schonen Sie  meine  Eltern! Far  alle die Vorwarfe,
die Sie mir jetzt machen, ist ja  kein Grund; man hat mir ja davon auch kein
Wort  gesagt. Sie  haben vielleicht die  letzten  Auftrage,  die  ich
geschickt  habe, nicht  gelesen.  abrigens, noch mit  dem  Achtuhrzug
fahre ich auf die Reise, die paar Stunden Ruhe haben mich gekraftigt.
Halten Sie  sich  nur nicht auf, Herr  Prokurist; ich bin  gleich selbst  im
Geschaft, und haben  Sie die Gate, das  zu  sagen und mich dem
Herrn Chef zu empfehlen!"
     Und  wahrend  Gregor dies  alles hastig ausstieß und  kaum
wußte, was er  sprach, hatte er sich leicht, wohl infolge der  im Bett
bereits erlangten abung,  dem  Kasten  genahert und  versuchte
nun, an ihm sich aufzurichten. Er wollte tatsachlich  die  Tar
aufmachen,  tatsachlich  sich sehen lassen  und  mit  dem Prokuristen
sprechen; er  war begierig zu erfahren, was die  anderen, die  jetzt so nach
ihm  verlangten,  bei seinem Anblick sagen warden.  Warden sie
erschrecken, dann  hatte  Gregor keine  Verantwortung mehr  und konnte ruhig
sein.  Warden  sie  aber  alles ruhig  hinnehmen,  dann hatte auch er
keinen Grund sich aufzuregen, und konnte, wenn er sich beeilte,  um acht Uhr
tatsachlich auf dem Bahnhof sein. Zuerst glitt er nun einige Male von
dem glatten Kasten ab, aber endlich gab er  sich  einen  letzten Schwung und
stand aufrecht da; auf die Schmerzen im Unterleib achtete er gar nicht mehr,
so   sehr   sie  auch   brannten.   Nun   ließ  er   sich   gegen  die
Rackenlehne  eines  nahen Stuhles  fallen, an deren Randern er
sich mit seinen Beinchen festhielt.  Damit hatte er aber auch die Herrschaft
aber sich erlangt und  verstummte, denn nun konnte er den Prokuristen
anharen.
     "Haben Sie auch nur  ein  Wort verstanden?"  fragte der  Prokurist  die
Eltern,  "er macht sich  doch wohl nicht  einen Narren aus uns?" "Um  Gottes
willen", rief die Mutter schon unter Weinen, "er ist vielleicht schwerkrank,
und  wir  qualen ihn.  Grete! Grete!" schrie sie dann. "Mutter?" rief
die  Schwester von  der anderen Seite.  Sie verstandigten sich  durch
Gregors  Zimmer. "Du mußt augenblicklich  zum Arzt. Gregor ist  krank.
Rasch um  den Arzt.  Hast du Gregor jetzt reden haren?" "Das war eine
Tierstimme",  sagte  der  Prokurist,  auffallend  leise gegenaber dem
Schreien der Mutter. "Anna! Anna!" rief der Vater durch das Vorzimmer in die
Kache  und klatschte  in  die Hande,  "sofort  einen Schlosser
holen!"  Und   schon  liefen   die  zwei   Madchen  mit   rauschenden
Racken  durch das Vorzimmer --  wie  hatte sich die Schwester denn so
schnell  angezogen?   --   und   rissen  die  Wohnungstare  auf.  Man
harte gar nicht die Tare zuschlagen; sie hatten sie wohl offen
gelassen,  wie  es  in Wohnungen zu sein pflegt,  in denen  ein großes
Unglack geschehen ist.
     Gregor war  aber viel  ruhiger  geworden. Man  verstand zwar also seine
Worte nicht mehr,  trotzdem  sie ihm genug  klar,  klarer als fraher,
vorgekommen  waren, vielleicht infolge der  Gewahnung des Ohres. Aber
immerhin glaubte  man nun schon daran, daß  es  mit ihm nicht ganz  in
Ordnung  war, und  war bereit, ihm zu helfen. Die Zuversicht und Sicherheit,
mit welchen die ersten  Anordnungen getroffen  worden waren, taten ihm wohl.
Er  fahlte  sich  wieder  einbezogen  in den menschlichen  Kreis  und
erhoffte von beiden,  vom Arzt und  vom Schlosser, ohne sie eigentlich genau
zu   scheiden,  großartige  und  aberraschende  Leistungen.  Um
far  die  sich  nahernden  entscheidenden  Besprechungen  eine
maglichst  klare  Stimme  zu  bekommen,  hustete  er  ein  wenig  ab,
allerdings   bemaht,   dies   ganz   gedampft   zu   tun,   da
maglicherweise   auch  schon   dieses   Gerausch  anders   als
menschlicher  Husten klang, was  er  selbst zu entscheiden  sich nicht  mehr
getraute. Im Nebenzimmer war  es inzwischen ganz  still geworden. Vielleicht
saßen  die  Eltern  mit  dem  Prokuristen  beim Tisch und  tuschelten,
vielleicht lehnten alle an der Tare und horchten.
     Gregor schob sich langsam mit dem Sessel zur Tar hin, ließ
ihn dort los, warf sich gegen die Tar, hielt sich  an ihr aufrecht --
die Ballen seiner Beinchen hatten  ein wenig Klebstoff- und ruhte  sich dort
einen  Augenblick lang von der Anstrengung  aus. Dann  aber machte  er  sich
daran,  mit dem Mund  den  Schlassel  im Schloß  umzudrehen. Es
schien leider, daß er  keine eigentlichen Zahne hatte, -- womit
sollte er gleich den Schlassel fassen? -- aber dafar waren die
Kiefer freilich sehr  stark; mit  ihrer Hilfe brachte er auch  wirklich  den
Schlassel  in Bewegung  und achtete  nicht darauf,  daß er sich
zweifellos   irgendeinen    Schaden   zufagte,   denn   eine   braune
Flassigkeit  kam  ihm   aus  dem  Mund,  floß  aber  den
Schlassel  und tropfte auf den Boden. "Haren Sie  nur",  sagte
der Prokurist im  Nebenzimmer, "er dreht den Schlassel  um." Das  war
far Gregor eine große Aufmunterung; aber alle hatten ihm
zurufen   sollen,  auch  der  Vater  und   die  Mutter:  "Frisch,   Gregor",
hatten sie rufen sollen, "immer nur  heran, fest an das  Schloß
heran!" Und in  der Vorstellung, daß alle  seine Bemahungen mit
Spannung verfolgten,  verbiß  er  sich  mit allem,  was  er  an  Kraft
aufbringen konnte,  besinnungslos  in  den  Schlassel.  Je  nach  dem
Fortschreiten  der   Drehung   des   Schlassels   umtanzte   er   das
Schloß;  hielt sich jetzt nur noch mit dem Munde aufrecht, und je nach
Bedarf  hing er sich  an den  Schlassel oder drackte  ihn dann
wieder  nieder mit der ganzen Last seines  Karpers. Der hellere Klang
des   endlich    zurackschnappenden    Schlosses    erweckte   Gregor
farmlich. Aufatmend sagte er sich: "Ich habe also den Schlosser nicht
gebraucht",  und   legte  den  Kopf  auf  die  Klinke,  um  die  Tare
ganzlich zu affnen.
     Da  er die  Tare auf diese Weise  affnen mußte, war
sie eigentlich schon recht weit geaffnet, und er selbst noch nicht zu
sehen. Er mußte sich erst langsam um den einen Tarflagel
herumdrehen, und zwar sehr vorsichtig, wenn er nicht gerade vor dem Eintritt
ins Zimmer plump auf den  Racken fallen wollte. Er war noch mit jener
schwierigen Bewegung beschaftigt und hatte nicht Zeit, auf anderes zu
achten,  da  harte   er   schon  den  Prokuristen  ein  lautes  "Oh!"
ausstoßen -- es klang, wie wenn der Wind saust  -- und  nun sah er ihn
auch, wie er, der der Nachste an der  Tare war, die Hand gegen
den offenen Mund drackte und langsam zurackwich, als vertreibe
ihn  eine  unsichtbare,  gleichmaßig  fortwirkende  Kraft.  Die
Mutter -- sie  stand hier trotz  der Anwesenheit des Prokuristen mit von der
Nacht her  noch  aufgelasten, hoch sich straubenden  Haaren --
sah  zuerst  mit  gefalteten  Handen den  Vater  an,  ging dann  zwei
Schritte zu  Gregor  hin  und fiel inmitten  ihrer rings  um sie herum  sich
ausbreitenden Racke  nieder, das Gesicht  ganz  unauffindbar zu ihrer
Brust gesenkt. Der Vater ballte mit  feindseligem Ausdruck  die  Faust,  als
wolle  er Gregor in  sein  Zimmer zurackstoßen,  sah  sich dann
unsicher im Wohnzimmer um,  beschattete dann mit den Handen die Augen
und weinte, daß sich seine machtige Brust schattelte.
     Gregor trat  nun gar nicht in das Zimmer, sondern lehnte sich von innen
an  den festgeriegelten Tarflagel, so daß sein  Leib nur
zur Halfte  und daraber der  seitlich  geneigte Kopf zu  sehen
war,  mit dem er zu  den anderen hinaberlugte. Es war inzwischen viel
heller   geworden;  klar  stand  auf  der  anderen   Straßenseite  ein
Ausschnitt des gegenaberliegenden, endlosen, grauschwarzen  Hauses --
es  war  ein  Krankenhaus  --  mit  seinen  hart  die Front  durchbrechenden
regelmaßigen Fenstern; der Regen fiel noch nieder, aber nur mit
großen,  einzeln sichtbaren und farmlich auch  einzelnweise auf
die  Erde hinuntergeworfenen  Tropfen.  Das Frahstacksgeschirr
stand in aberreicher Zahl auf dem Tisch,  denn far  den  Vater
war das Frahstack  die wichtigste  Mahlzeit des  Tages, die er
bei der Lektare verschiedener Zeitungen stundenlang hinzog. Gerade an
der gegenaberliegenden Wand hing eine Photographie Gregors aus seiner
Militarzeit,  die ihn als Leutnant  darstellte,  wie er, die Hand  am
Degen, sorglos lachelnd, Respekt far seine Haltung und Uniform
verlangte. Die Tar zum Vorzimmer war geaffnet, und man sah, da
auch die  Wohnungstar offen war, auf den Vorplatz  der Wohnung hinaus
und auf den Beginn der abwarts fahrenden Treppe.
     "Nun", sagte Gregor und war sich dessen wohl bewußt, daß er
der  einzige  war, der  die Ruhe  bewahrt  hatte,  "ich  werde  mich  gleich
anziehen, die Kollektion zusammenpacken und wegfahren.  Wollt ihr, wollt ihr
mich wegfahren  lassen?  Nun,  Herr  Prokurist,  Sie  sehen,  ich  bin nicht
starrkapfig und ich arbeite  gern, das Reisen ist beschwerlich,  aber
ich  kannte ohne das Reisen  nicht leben. Wohin gehen  Sie denn, Herr
Prokurist?  Ins  Geschaft?  Ja?   Werden  Sie  alles  wahrheitsgetreu
berichten? Man kann im Augenblick unfahig sein zu arbeiten, aber dann
ist gerade der richtige Zeitpunkt, sich an die fraheren Leistungen zu
erinnern und zu bedenken, daß man spater, nach Beseitigung  des
Hindernisses, gewiß  desto fleißiger  und  gesammelter  arbeiten
wird. Ich bin ja dem Herrn  Chef so  sehr  verpflichtet, das wissen Sie doch
recht  gut.  Andererseits  habe  ich  die  Sorge  um  meine Eltern  und  die
Schwester.  Ich  bin  in  der  Klemme,  ich  werde  mich  aber  auch  wieder
herausarbeiten. Machen Sie  es mir aber nicht schwieriger, als es schon ist.
Halten  Sie im Geschaft  meine Partei! Man liebt den Reisenden nicht,
ich weiß. Man denkt, er verdient ein Heidengeld und fahrt dabei
ein schanes Leben.  Man hat eben keine besondere Veranlassung, dieses
Vorurteil besser zu durchdenken.  Sie  aber, Herr Prokurist,  Sie haben eine
besseren  aberblick  aber   die  Verhaltnisse  als  das
sonstige Personal,  ja sogar,  ganz  im  Vertrauen  gesagt,  einen  besseren
aberblick  als  der Herr Chef selbst, der  in seiner  Eigenschaft als
Unternehmer  sich  in  seinem Urteil  leicht zuungunsten  eines Angestellten
beirren  laßt.  Sie  wissen  auch   sehr  wohl,  daß  der
Reisende, der fast das ganze Jahr außerhalb des Geschaftes ist,
so leicht ein Opfer von Klatschereien, Zufalligkeiten  und grundlosen
Beschwerden werden  kann, gegen die sich zu wehren ihm ganz unmaglich
ist,  da er von  ihnen meistens gar nichts erfahrt und nur dann, wenn
er erschapft eine Reise beendet hat, zu Hause die schlimmen, auf ihre
Ursachen  hin nicht mehr  zu  durchschauenden Folgen  am  eigenen  Leibe  zu
sparen  bekommt. Herr Prokurist, gehen  Sie nicht weg,  ohne  mir ein
Wort gesagt  zu haben, das mir zeigt, daß Sie  mir wenigstens zu einem
kleinen Teil recht geben!"
     Aber der Prokurist  hatte  sich schon  bei  den ersten  Worten  Gregors
abgewendet,  und  nur aber die  zuckende Schulter hinweg sah  er  mit
aufgeworfenen Lippen  nach Gregor zurack. Und wahrend  Gregors
Rede  stand er keinen Augenblick still, sondern verzog sich, ohne Gregor aus
den Augen zu  lassen, gegen die Tar, aber ganz allmahlich, als
bestehe  ein  geheimes  Verbot, das  Zimmer  zu  verlassen.  Schon war er im
Vorzimmer,  und  nach  der  platzlichen  Bewegung,  mit  der  er  zum
letztenmal den Fuß  aus dem Wohnzimmer zog,  hatte  man glauben
kannen,  er  habe sich soeben die Sohle  verbrannt. Im Vorzimmer aber
streckte er die rechte Hand weit von sich zur Treppe hin, als warte dort auf
ihn eine geradezu aberirdische Erlasung.
     Gregor sah ein, daß er  den Prokuristen  in  dieser  Stimmung auf
keinen  Fall  weggehen lassen darfe,  wenn dadurch seine Stellung  im
Geschaft  nicht  aufs  außerste  gefahrdet werden
sollte. Die Eltern verstanden das alles nicht so gut; sie hatten sich in den
langen Jahren  die  aberzeugung gebildet, daß Gregor in  diesem
Geschaft   far   sein   Leben   versorgt   war,   und   hatten
außerdem jetzt  mit  den  augenblicklichen  Sorgen  so  viel  zu  tun,
daß ihnen jede  Voraussicht abhanden gekommen  war. Aber  Gregor hatte
diese   Voraussicht.   Der   Prokurist   mußte   gehalten,   beruhigt,
aberzeugt und schließlich gewonnen werden;  die Zukunft Gregors
und seiner  Familie hing doch davon ab!  Ware doch die Schwester hier
gewesen! Sie war klug;  sie hatte schon  geweint, als Gregor noch ruhig  auf
dem Racken  lag. Und gewiß  hatte der  Prokurist, dieser
Damenfreund,  sich   von   ihr   lenken   lassen;   sie   hatte   die
Wohnungstar  zugemacht und ihm im Vorzimmer den Schrecken ausgeredet.
Aber die Schwester war eben nicht da, Gregor selbst mußte handeln. Und
ohne   daran   zu   denken,   daß   er   seine    gegenwartigen
Fahigkeiten, sich zu bewegen, noch gar nicht kannte, ohne  auch daran
zu denken, daß seine Rede maglicher -- ja wahrscheinlicherweise
wieder    nicht    verstanden    worden   war,    verließ    er    den
Tarflagel; schob  sich durch  die  affnung;  wollte zum
Prokuristen  hingehen,  der sich  schon am  Gelander  des  Vorplatzes
lacherlicherweise  mit  beiden  Handen  festhielt;  fiel  aber
sofort, nach einem  Halt suchend, mit einem kleinen Schrei auf  seine vielen
Beinchen nieder.
     Kaum war das geschehen, fahlte er zum erstenmal an diesem Morgen
ein karperliches Wohlbehagen; die Beinchen  hatten festen Boden unter
sich;  sie gehorchten vollkommen, wie er zu seiner  Freude merkte;  strebten
sogar danach, ihn  fortzutragen, wohin er wollte;  und schon glaubte er, die
endgaltige  Besserung alles Leidens stehe unmittelbar bevor. Aber  im
gleichen Augenblick,  als er da  schaukelnd vor  verhaltener  Bewegung,  gar
nicht weit von  seiner Mutter entfernt,  ihr gerade gegenaber auf dem
Boden lag, sprang  diese,  die doch so  ganz  in  sich versunken schien, mit
einem  Male  in die  Hahe,  die  Arme weit  ausgestreckt, die  Finger
gespreizt, rief: "Hilfe, um Gottes willen, Hilfe!",  hielt den Kopf geneigt,
als wolle  sie Gregor besser sehen, lief  aber, im Widerspruch dazu, sinnlos
zurack; hatte vergessen,  daß hinter  ihr  der  gedeckte  Tisch
stand;  setzte sich, als  sie bei ihm angekommen war,  wie in Zerstreutheit,
eilig auf ihn; und schien gar nicht zu merken,  daß neben  ihr aus der
umgeworfenen großen Kanne der Kaffee  in vollem Strome auf den Teppich
sich ergoß.
     "Mutter,  Mutter",  sagte  Gregor  leise und sah  zu  ihr  hinauf.  Der
Prokurist war  ihm far einen  Augenblick  ganz aus dem Sinn gekommen;
dagegen  konnte  er  sich nicht  versagen, im  Anblick des  fließenden
Kaffees  mehrmals mit  den  Kiefern ins  Leere  zu schnappen. daraber
schrie die  Mutter neuerdings  auf,  flachtete vom Tisch und fiel dem
ihr entgegeneilenden Vater in die  Arme. Aber  Gregor hatte jetzt keine Zeit
far  seine  Eltern; der Prokurist war schon auf  der Treppe; das Kinn
auf dem Gelander, sah er noch zum letzten  Male zurack. Gregor
nahm einen Anlauf, um  ihn maglichst sicher einzuholen; der Prokurist
mußte etwas  ahnen,  denn er  machte einen  Sprung aber mehrere
Stufen und verschwand; "Hu!"  aber  schrie er noch,  es klang  durchs  ganze
Treppenhaus. Leider schien nun auch diese Flucht des Prokuristen den  Vater,
der bisher  verhaltnismaßig  gefaßt  gewesen  war,
vallig zu verwirren,  denn statt selbst dem  Prokuristen nachzulaufen
oder wenigstens Gregor in der Verfolgung nicht zu hindern, packte er mit der
Rechten  den Stock des Prokuristen, den dieser mit Hut und aberzieher
auf  einem Sessel  zurackgelassen hatte,  holte mit der  Linken  eine
große     Zeitung    vom     Tisch    und     machte    sich     unter
Faßestampfen  daran, Gregor durch Schwenken des Stockes und der
Zeitung  in  sein  Zimmer zurackzutreiben. Kein  Bitten Gregors half,
kein Bitten wurde auch verstanden, er mochte den Kopf noch so dematig
drehen, der Vater stampfte nur  starker  mit  den Faßen.
draben  hatte die Mutter trotz des kahlen Wetters  ein Fenster
aufgerissen,   und  hinausgelehnt   drackte   sie  ihr  Gesicht  weit
außerhalb  des  Fensters  in  ihre Hande.  Zwischen  Gasse  und
Treppenhaus  entstand eine starke Zugluft, die Fenstervorhange flogen
auf, die Zeitungen auf dem Tische rauschten, einzelne  Blatter wehten
aber  den  Boden  hin.  Unerbittlich  drangte  der  Vater  und
stieß Zischlaute aus, wie  ein Wilder. Nun hatte aber Gregor  noch gar
keine abung im  Rackwartsgehen,  es ging  wirklich sehr
langsam.  Wenn  sich  Gregor  nur hatte  umdrehen  darfen,  er
ware gleich in seinem Zimmer gewesen, aber er farchtete  sich,
den  Vater durch die  zeitraubende Umdrehung ungeduldig zu machen, und jeden
Augenblick  drohte  ihm   doch  von  dem  Stock   in  des  Vaters  Hand  der
tadliche Schlag auf den Racken oder auf den Kopf. Endlich aber
blieb Gregor doch nichts anderes abrig, denn er merkte mit Entsetzen,
daß  er  im  Rackwartsgehen  nicht  einmal die  Richtung
einzuhalten  verstand;  und   so  begann   er,  unter  unaufharlichen
angstlichen    Seitenblicken    nach    dem    Vater,    sich    nach
Maglichkeit  rasch,  in  Wirklichkeit  aber  doch  nur  sehr  langsam
umzudrehen.  Vielleicht  merkte  der  Vater  seinen  guten  Willen, denn  er
starte  ihn hierbei nicht,  sondern dirigierte sogar hie und  da  die
Drehbewegung von der  Ferne mit  der Spitze  seines  Stockes. Wenn nur nicht
dieses unertragliche Zischen des  Vaters gewesen ware!  Gregor
verlor daraber ganz den Kopf. Er war schon fast  ganz  umgedreht, als
er sich, immer  auf dieses Zischen horchend, sogar irrte und sich wieder ein
Stack  zurackdrehte.  Als er aber endlich glacklich mit
dem Kopf  vor der  Taraffnung  war, zeigte  es sich, daß
sein  Karper zu  breit war, um ohne weiteres durchzukommen. Dem Vater
fiel  es  natarlich in  seiner gegenwartigen  Verfassung  auch
nicht   entfernt  ein,   etwa   den   anderen   Tarflagel   zu
affnen,  um  far  Gregor einen  genagenden Durchgang zu
schaffen. Seine  fixe  Idee  war  bloß, daß Gregor  so rasch als
maglich in sein Zimmer masse. Niemals hatte er auch die
umstandlichen Vorbereitungen gestattet,  die Gregor brauchte, um sich
aufzurichten und vielleicht auf  diese Weise durch die Tar zu kommen.
Vielmehr trieb  er, als gabe  es  kein Hindernis, Gregor jetzt  unter
besonderem Larm  vorwarts;  es  klang  schon hinter Gregor gar
nicht  mehr wie  die  Stimme bloß  eines einzigen Vaters;  nun gab  es
wirklich keinen Spaß mehr, und Gregor  drangte sich -- geschehe
was  wolle --  in die  Tar. Die eine Seite seines Karpers  hob
sich, er lag schief in  der Taraffnung, seine  eine Flanke war
ganz    wundgerieben,    an    der    weißen     Tar    blieben
haßliche  Flecken,  bald steckte er fest und hatte  sich
allein nicht mehr rahren  kannen, die  Beinchen  auf der einen
Seite  hingen  zitternd  oben  in  der  Luft,  die  auf  der  anderen  waren
schmerzhaft zu Boden  gedrackt  -- da gab ihm  der  Vater von  hinten
einen  jetzt  wahrhaftig erlasenden  starken Stoß, und er flog,
heftig  blutend,  weit in sein Zimmer hinein. Die  Tar wurde noch mit
dem Stock zugeschlagen, dann war es endlich still.



     Erst in der Abenddammerung erwachte  Gregor aus  seinem schweren
ohnmachtsahnlichen Schlaf.  Er  ware  gewiß  nicht  viel
spater auch ohne Starung  erwacht, denn  er fahlte sich
genagend  ausgeruht  und  ausgeschlafen,  doch  schien  es  ihm,  als
hatte  ihn  ein   flachtiger   Schritt  und  ein  vorsichtiges
Schließen der zum  Vorzimmer fahrenden Tar  geweckt. Der
Schein der  elektrischen Straßenlampen lag bleich hier und  da auf der
Zimmerdecke und auf  den haheren  Teilen der Mabel, aber unten
bei Gregor  war  es finster.  Langsam  schob er sich,  noch ungeschickt  mit
seinen Fahlern tastend, die er erst jetzt schatzen lernte, zur
Tare  hin, um nachzusehen, was dort geschehen war. Seine  linke Seite
schien eine  einzige  lange, unangenehm spannende Narbe,  und er mußte
auf   seinen   zwei   Beinreihen  regelrecht   hinken.   Ein   Beinchen  war
abrigens  im Laufe der vormittagigen  Vorfalle schwer verletzt
worden -- es war fast ein Wunder, daß nur eines verletzt worden war --
und schleppte leblos nach.
     Erst  bei der Tar merkte er, was ihn dorthin eigentlich  gelockt
hatte;  es war der  Geruch von etwas Eßbarem gewesen.  Denn dort stand
ein  Napf  mit   saßer  Milch  gefallt,  in  der  kleine
Schnitten  von  Weißbrot schwammen.  Fast hatte er  vor  Freude
gelacht, denn er hatte  noch graßeren Hunger als am Morgen, und
gleich tauchte er seinen  Kopf fast bis aber die  Augen  in die Milch
hinein. Aber bald  zog er ihn enttauscht wieder  zurack; nicht
nur,  daß   ihm   das   Essen   wegen  seiner   heiklen  linken  Seite
Schwierigkeiten  machte  --  und  er  konnte  nur  essen,   wenn  der  ganze
Karper schnaufend mitarbeitete  --,  so schmeckte ihm aberdies
die  Milch,  die   sonst  sein  Lieblingsgetrank  war,  und  die  ihm
gewiß  die  Schwester  deshalb hereingestellt hatte,  gar nicht, ja er
wandte sich  fast  mit  Widerwillen  von  dem  Napf  ab  und  kroch  in  die
Zimmermitte zurack.
     Im Wohnzimmer  war, wie Gregor durch die Tarspalte sah, das  Gas
angezandet,  aber  wahrend sonst zu dieser Tageszeit der Vater
seine nachmittags  erscheinende Zeitung  der  Mutter und manchmal  auch  der
Schwester  mit erhobener Stimme vorzulesen pflegte, harte  man  jetzt
keinen Laut. Nun, vielleicht war dieses  Vorlesen, von dem ihm die Schwester
immer erzahlte und schrieb, in der  letzten Zeit aberhaupt aus
der  abung gekommen. Aber  auch ringsherum war es  so still, trotzdem
doch  gewiß die  Wohnung nicht  leer war.  "Was far ein stilles
Leben die  Familie doch fahrte", sagte sich Gregor und fahlte,
wahrend  er  starr vor sich ins Dunkle sah,  einen großen Stolz
daraber, daß er seinen Eltern  und seiner Schwester ein solches
Leben in einer so  schanen Wohnung  hatte  verschaffen kannen.
Wie aber, wenn jetzt alle Ruhe, aller Wohlstand, alle Zufriedenheit ein Ende
mit Schrecken nehmen sollten? Um sich nicht in solche Gedanken zu verlieren,
setzte sich Gregor lieber in Bewegung und kroch im Zimmer auf und ab.
     Einmal wahrend des langen Abends wurde die eine Seitentar
und einmal die andere bis zu  einer kleinen Spalte geaffnet und rasch
wieder geschlossen;  jemand hatte  wohl das Bedarfnis hereinzukommen,
aber  auch wieder zu viele Bedenken.  Gregor machte  nun unmittelbar bei der
Wohnzimmertar halt, entschlossen, den  zagernden Besucher doch
irgendwie hereinzubringen oder doch wenigstens zu erfahren, wer es sei; aber
nun  wurde die  Tar  nicht  mehr  geaffnet und  Gregor wartete
vergebens. Frah, als die Taren versperrt waren, hatten alle zu
ihm hereinkommen wollen, jetzt, da  er  die  eine Tar geaffnet
hatte und  die  anderen  offenbar  wahrend des Tages  geaffnet
worden waren, kam keiner  mehr,  und die Schlassel  steckten nun auch
von außen.
     Spat  erst   in  der   Nacht   wurde  das  Licht  im  Wohnzimmer
ausgelascht, und  nun  war leicht festzustellen, daß die Eltern
und  die  Schwester  so  lange  wachgeblieben  waren,  denn  wie  man  genau
haren   konnte,   entfernten   sich   jetzt   alle   drei   auf   den
Fußspitzen.  Nun kam gewiß bis zum Morgen niemand mehr zu Gregor
herein;   er  hatte   also   eine  lange   Zeit,   um  ungestart   zu
aberlegen, wie er  sein Leben jetzt  neu ordnen sollte. Aber das hohe
freie  Zimmer,  in  dem  er gezwungen war, flach auf  dem  Boden zu  liegen,
angstigte ihn, ohne daß  er  die Ursache  herausfinden  konnte,
denn  es war ja sein seit fanf Jahren von ihm bewohntes Zimmer -- und
mit einer  halb unbewußten Wendung und nicht ohne  eine  leichte Scham
eilte  er  unter das  Kanapee, wo er sich, trotzdem  sein Racken  ein
wenig gedrackt wurde  und trotzdem  er  den Kopf nicht  mehr  erheben
konnte,  gleich sehr  behaglich  fahlte  und nur bedauerte, daß
sein Karper zu breit war,  um  vollstandig  unter dem  Kanapee
untergebracht zu werden.
     Dort blieb er  die  ganze Nacht, die er zum Teil im Halbschlaf, aus dem
ihn der Hunger  immer  wieder  aufschreckte,  verbrachte,  zum Teil  aber in
Sorgen  und  undeutlichen  Hoffnungen,  die  aber  alle  zu   dem   Schlusse
fahrten, daß er sich vorlaufig ruhig verhalten und durch
Geduld  und  graßte   Racksichtnahme  der   Familie  die
Unannehmlichkeiten ertraglich  machen masse,  die  er  ihr  in
seinem gegenwartigen Zustand nun einmal zu verursachen gezwungen war.
     Schon  am  frahen Morgen, es war  fast  noch Nacht, hatte Gregor
Gelegenheit,  die  Kraft seiner  eben  gefaßten  Entschlasse zu
prafen,  denn  vom Vorzimmer  her affnete die Schwester,  fast
vallig angezogen,  die Tar und  sah  mit  Spannung herein. Sie
fand ihn nicht gleich, aber als sie  ihn unter dem Kanapee bemerkte -- Gott,
er   mußte  doch  irgendwo  sein,  er  hatte  doch   nicht  wegfliegen
kannen --, erschrak sie so sehr, daß sie, ohne sich beherrschen
zu kannen, die Tar von außen wieder zuschlug.  Aber  als
bereue sie ihr Benehmen, affnete sie die Tar sofort wieder und
trat, als sei sie bei  einem Schwerkranken  oder gar bei einem  Fremden, auf
den Fußspitzen herein. Gregor hatte den Kopf bis  knapp zum Rande  des
Kanapees  vorgeschoben   und   beobachtete  sie.  Ob   sie   wohl   bemerken
warde,  daß   er  die  Milch  stehengelassen  hatte,  und  zwar
keineswegs aus Mangel an Hunger, und ob sie eine andere Speise hereinbringen
warde, die ihm besser entsprach? Tate sie es nicht von selbst,
er wollte lieber verhungern,  als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem  es
ihn eigentlich ungeheuer drangte, unterm Kanapee vorzuschießen,
sich  der Schwester zu Faßen zu  werfen und sie um irgend etwas
Gutes  zum  Essen  zu  bitten.  Aber  die   Schwester  bemerkte  sofort  mit
Verwunderung  den noch vollen Napf, aus  dem  nur ein wenig Milch ringsherum
verschattet  war,  sie  hob  ihn  gleich  auf,  zwar  nicht  mit  den
bloßen  Handen, sondern mit einem Fetzen,  und trug ihn hinaus.
Gregor  war  außerst  neugierig, was sie  zum  Ersatze  bringen
warde,   und   er    machte   sich   die   verschiedensten   Gedanken
daraber. Niemals aber  hatte er erraten kannen, was die
Schwester  in ihrer  Gate wirklich  tat. Sie brachte  ihm,  um seinen
Geschmack  zu  prafen, eine  ganze  Auswahl,  alles auf  einer  alten
Zeitung ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes Gemase; Knochen vom
Nachtmahl her, die von festgewordener weißer Soße umgeben waren;
ein  paar Rosinen und  Mandeln; ein Kase, den Gregor  vor zwei  Tagen
far ungenießbar erklart  hatte; ein  trockenes Brot, ein
mit Butter beschmiertes Brot und ein  mit Butter beschmiertes und gesalzenes
Brot. Außerdem stellte sie  zu  dem allen  noch den wahrscheinlich ein
far  allemal far Gregor  bestimmten  Napf,  in den sie  Wasser
gegossen  hatte. Und aus Zart Gefahl, da  sie  wußte, daß
Gregor  vor ihr nicht  essen  warde, entfernte  sie sich eiligst  und
drehte sogar den Schlassel um, damit nur Gregor  merken kanne,
daß er es sich so behaglich machen darfe, wie er wolle. Gregors
Beinchen schwirrten,  als es jetzt zum Essen ging. Seine Wunden mußten
abrigens auch schon vollstandig geheilt sein, er fahlte
keine  Behinderung mehr, er staunte daraber und dachte daran, wie  er
vor mehr  als  einem Monat sich mit  dem  Messer  ganz wenig  in den  Finger
geschnitten, und wie ihm diese Wunde noch  vorgestern genug weh getan hatte.
"Sollte  ich  jetzt weniger Feingefahl  haben?" dachte er  und saugte
schon gierig  an  dem Kase,  zu dem es ihn vor allen  anderen Speisen
sofort und nachdracklich  gezogen hatte. Rasch hintereinander und mit
vor Befriedigung tranenden Augen  verzehrte er den  Kase,  das
Gemase  und  die  Soße; die frischen Speisen dagegen schmeckten
ihm nicht, er konnte nicht einmal ihren Geruch vertragen und schleppte sogar
die Sachen,  die er  essen  wollte, ein Stackchen weiter weg.  Er war
schon langst mit allem fertig und lag nur noch faul auf  der gleichen
Stelle, als die Schwester zum Zeichen, daß er sich zurackziehen
solle, langsam den Schlassel  umdrehte. Das schreckte ihn sofort auf,
trotzdem er schon fast  schlummerte, und er eilte wieder unter  das Kanapee.
Aber es kostete ihn große Selbstaberwindung, auch nur die kurze
Zeit, wahrend  welcher die Schwester im Zimmer war, unter dem Kanapee
zu bleiben, denn von dem  reichlichen Essen hatte sich  sein Leib ein  wenig
gerundet  und  er  konnte  dort  in  der  Enge  kaum  atmen.  Unter  kleinen
Erstickungsanfallen sah er  mit etwas hervorgequollenen Augen zu, wie
die    nichtsahnende   Schwester   mit   einem    Besen   nicht    nur   die
aberbleibsel zusammenkehrte, sondern selbst die  von Gregor gar nicht
berahrten   Speisen,  als  seien  also  auch   diese  nicht  mehr  zu
gebrauchen, und wie sie alles hastig in einen Kabel schattete,
den sie mit einem Holzdeckel schloß, worauf sie alles hinaustrug. Kaum
hatte sie sich umgedreht, zog sich schon Gregor unter dem Kanapee hervor und
streckte und blahte sich.
     Auf diese Weise bekam nun Gregor taglich sein  Essen,  einmal am
Morgen,  wenn die Eltern und das  Dienstmadchen  noch schliefen,  das
zweite Mal nach dem allgemeinen Mittagessen, denn dann schliefen die  Eltern
gleichfalls noch  ein Weilchen,  und das  Dienstmadchen wurde von der
Schwester  mit irgendeiner Besorgung weggeschickt. Gewiß  wollten auch
sie nicht, daß Gregor verhungere, aber vielleicht hatten sie es
nicht   ertragen   kannen,   von   seinem   Essen  mehr   als   durch
Harensagen zu erfahren, vielleicht wollte die  Schwester  ihnen  auch
eine    maglicherweise    nur    kleine   Trauer    ersparen,    denn
tatsachlich litten sie ja gerade genug.
     Mit welchen Ausreden  man  an jenem  ersten Vormittag  den Arzt und den
Schlosser  wieder aus der Wohnung geschafft  hatte, konnte  Gregor gar nicht
erfahren, denn da er nicht verstanden  wurde, dachte niemand daran, auch die
Schwester nicht, daß  er  die anderen verstehen  kanne, und  so
mußte  er  sich,  wenn  die Schwester  in  seinem  Zimmer  war,  damit
begnagen, nur hier und  da ihre  Seufzer  und Anrufe der Heiligen  zu
haren.  Erst   spater,  als  sie   sich  ein  wenig  an  alles
gewahnt  hatte  --  von vollstandiger Gewahnung  konnte
natarlich  niemals die Rede sein  --, erhaschte  Gregor manchmal eine
Bemerkung, die freundlich gemeint war oder so gedeutet werden konnte. "Heute
hat  es ihm  aber  geschmeckt", sagte  sie,  wenn  Gregor  unter  dem  Essen
tachtig  aufgeraumt hatte, wahrend sie im gegenteiligen
Fall, der sich  allmahlich  immer  haufiger wiederholte,  fast
traurig zu sagen pflegte: "Nun ist wieder alles stehen geblieben."
     Wahrend aber Gregor unmittelbar keine Neuigkeit erfahren konnte,
erhorchte er  manches aus den  Nebenzimmern, und  wo er  nur einmal  Stimmen
harte,   lief   er  gleich  zu   der   betreffenden   Tar  und
drackte  sich mit ganzem  Leib an sie. Besonders in  der ersten: Zeit
gab es kein Gesprach, das nicht irgendwie, wenn auch nur im geheimen,
von ihm handelte.  Zwei  Tage  lang  waren bei allen  Mahlzeiten  Beratungen
daraber zu haren, wie  man  sich  jetzt  verhalten solle; aber
auch zwischen den Mahlzeiten sprach man  aber das gleiche Thema, denn
immer  waren  zumindest zwei  Familienmitglieder zu Hause,  da  wohl niemand
allein zu  Hause  bleiben wollte und man die  Wohnung doch  auf  kennen Fall
ganzlich verlassen konnte. Auch hatte das Dienstmadchen gleich
am ersten  Tag --  es  war  nicht ganz klar,  was  und  wieviel sie  von dem
Vorgefallenen  wußte  --  kniefallig die  Mutter  gebeten,  sie
sofort   zu   entlassen,  und  als   sie  sich  eine   Viertelstunde  danach
verabschiedete,  dankte sie far die Entlassung  unter  Tranen,
wie far die graßte Wohltat,  die man ihr erwiesen hatte,
und   gab,   ohne   daß    man   es    von   ihr   verlangte,    einen
farchterlichen  Schwur  ab,  niemandem  auch  nur  das  Geringste  zu
verraten.
     Nun  mußte  die Schwester im  Verein mit der Mutter auch  kochen;
allerdings machte das nicht viel Mahe, denn man aß fast nichts.
Immer  wieder harte  Gregor, wie der eine  den anderen vergebens  zum
Essen aufforderte und keine andere  Antwort  bekam,  als: "Danke,  ich  habe
genug"  oder etwas ahnliches. Getrunken wurde vielleicht auch nichts.
afters  fragte  die Schwester den Vater, ob er Bier haben  wolle, und
herzlich  erbot sie sich, es  selbst zu holen, und  als  der  Vater schwieg,
sagte  sie,  um  ihm  jedes Bedenken  zu nehmen, sie  kanne auch  die
Hausmeisterin  darum schicken,  aber dann sagte der Vater  schließlich
ein großes "Nein", und es wurde nicht mehr davon gesprochen.
     Schon   im  Laufe   des   ersten  Tages  legte  der  Vater  die  ganzen
Vermagensverhaltnisse  und  Aussichten sowohl der  Mutter, als
auch der  Schwester dar. Hie  und da stand er vom  Tische  auf und holte aus
seiner  kleinen  Wertheimkassa,  die  er  aus  dem  vor  fanf  Jahren
erfolgten Zusammenbruch seines Geschaftes gerettet hatte, irgendeinen
Beleg  oder irgendein Vormerkbuch. Man harte, wie er das komplizierte
Schloß   aufsperrte   und   nach   Entnahme   des   Gesuchten   wieder
verschloß. Diese  Erklarungen des  Vaters  waren  zum  Teil das
erste  Erfreuliche,  was  Gregor seit seiner Gefangenschaft  zu haren
bekam.   Er  war  der  Meinung  gewesen,  daß  dem  Vater  von   jenem
Geschaft her nicht das Geringste abriggeblieben war, zumindest
hatte ihm der Vater nichts Gegenteiliges gesagt, und Gregor allerdings hatte
ihn auch nicht  darum gefragt. Gregors  Sorge war  damals nur gewesen, alles
daranzusetzen, um  die Familie das geschaftliche  Unglack, das
alle   in  eine   vollstandige   Hoffnungslosigkeit  gebracht  hatte,
maglichst rasch vergessen zu lassen. Und  so hatte er damals mit ganz
besonderem Feuer zu arbeiten  angefangen und war fast aber Nacht  aus
einem  kleinen  Kommis  ein  Reisender  geworden, der natarlich  ganz
andere   Maglichkeiten   des   Geldverdienens   hatte,   und   dessen
Arbeitserfolge sich  sofort in Form  der Provision  zu Bargeld verwandelten,
das  der erstaunten  und beglackten  Familie zu  Hause auf den  Tisch
gelegt werden konnte.  Es waren schane  Zeiten gewesen,  und  niemals
nachher hatten sie sich, wenigstens in diesem  Glanze, wiederholt,  trotzdem
Gregor  spater so  viel Geld  verdiente, daß er den Aufwand der
ganzen Familie  zu tragen imstande war  und  auch  trug. Man hatte sich eben
daran gewahnt, sowohl die Familie als auch  Gregor, man nahm das Geld
dankbar an, er lieferte es gern ab, aber  eine besondere Warme wollte
sich  nicht  mehr ergeben.  Nur die Schwester  war  Gregor  doch  noch  nahe
geblieben,  und  es  war  sein  geheimer Plan, sie, die zum  Unterschied von
Gregor Musik  sehr liebte  und  rahrend Violine zu spielen  verstand,
nachstes Jahr, ohne Racksicht auf die großen Kosten, die
das   verursachen  mußte,   und  die   man  schon  auf  andere   Weise
hereinbringen   warde,   auf   das   Konservatorium   zu    schicken.
afters  wahrend  der  kurzen Aufenthalte  Gregors in der Stadt
wurde  in  den   Gesprachen  mit  der  Schwester  das  Konservatorium
erwahnt,  aber  immer   nur   als  schaner  Traum,  an  dessen
Verwirklichung  nicht zu denken  war,  und die  Eltern  harten  nicht
einmal diese unschuldigen Erwahnungen gern;  aber  Gregor dachte sehr
bestimmt  daran  und  beabsichtigte,  es  am  Weihnachtsabend  feierlich  zu
erklaren.
     Solche in seinem  gegenwartigen  Zustand ganz nutzlose  Gedanken
gingen  ihm  durch  den  Kopf,   wahrend  er  dort  aufrecht  an  der
Tare   klebte  und  horchte.  Manchmal  konnte   er  vor  allgemeiner
Madigkeit gar  nicht  mehr  zuharen  und ließ  den  Kopf
nachlassig  gegen  die  Tar  schlagen, hielt ihn  aber  sofort
wieder fest, denn selbst das kleine Gerausch, das er damit verursacht
hatte, war nebenan gehart  worden und  hatte  alle verstummen lassen.
"Was  er nur wieder treibt", sagte der Vater nach einer  Weile, offenbar zur
Tare   hingewendet,   und   dann   erst   wurde   das   unterbrochene
Gesprach allmahlich wieder aufgenommen.
     Gregor erfuhr nun zur Genage  -- denn der  Vater pflegte sich in
seinen  Erklarungen  afters  zu wiederholen,  teils,  weil  er
selbst sich  mit  diesen Dingen schon lange nicht  beschaftigt hatte,
teils  auch,  weil die Mutter nicht alles gleich beim erstenmal verstand --,
daß   trotz   allen  Unglacks   ein  allerdings  ganz   kleines
Vermagen  aus  der  alten  Zeit  noch vorhanden war,  das  die  nicht
angerahrten  Zinsen in der  Zwischenzeit ein  wenig hatten  anwachsen
lassen. Außerdem aber war das Geld, das Gregor allmonatlich nach Hause
gebracht  hatte -- er  selbst  hatte  nur ein paar  Gulden  far  sich
behalten --, nicht vollstandig aufgebraucht worden und  hatte sich zu
einem kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter seiner Tare, nickte
eifrig,  erfreut aber  diese unerwartete  Vorsicht  und  Sparsamkeit.
Eigentlich  hatte   er  ja  mit  diesen  aberschassigen
Geldern die Schuld des  Vaters  gegenaber dem Chef weiter  abgetragen
haben  kannen, und jener Tag,  an dem  er diesen Posten  hatte
loswerden kannen, ware weit  naher gewesen, aber  jetzt
war es zweifellos besser so, wie es der Vater eingerichtet hatte.
     Nun genagte dieses  Geld aber ganz und gar nicht, um die Familie
etwa von den Zinsen leben zu  lassen;  es genagte vielleicht, um  die
Familie ein, hachstens  zwei Jahre zu erhalten, mehr war es nicht. Es
war  also bloß eine Summe, die man eigentlich  nicht angreifen durfte,
und  die far den Notfall zurackgelegt werden mußte;  das
Geld zum Leben aber mußte man  verdienen. Nun war aber  der Vater  ein
zwar  gesunder,  aber  alter  Mann,  der  schon  fanf  Jahre   nichts
gearbeitet hatte und sich jedenfalls nicht viel zutrauen durfte; er hatte in
diesen fanf Jahren, welche die ersten Ferien seines mahevollen
und doch erfolglosen Lebens waren, viel Fett angesetzt und war dadurch recht
schwerfallig geworden. Und die alte Mutter sollte nun vielleicht Geld
verdienen, die an Asthma  litt, der eine  Wanderung  durch die Wohnung schon
Anstrengung verursachte, und  die  jeden zweiten Tag in Atembeschwerden  auf
dem  Sofa beim  offenen Fenster verbrachte? Und die  Schwester  sollte  Geld
verdienen, die noch  ein Kind war  mit ihren siebzehn  Jahren, und  der ihre
bisherige  Lebensweise  so  sehr zu  gannen war, die daraus bestanden
hatte,  sich   nett  zu  kleiden,  lange  zu  schlafen,  in  der  Wirtschaft
mitzuhelfen, an ein paar bescheidenen Vergnagungen sich zu beteiligen
und vor allem Violine zu spielen? Wenn die Rede auf diese  Notwendigkeit des
Geldverdienens kam, ließ zuerst immer  Gregor die  Tare los und
warf sich auf das  neben der Tar befindliche kahle  Ledersofa,
denn ihm war ganz heiß vor Beschamung und Trauer.
     Oft lag er  dort die  ganzen langen Nachte aber,  schlief
keinen  Augenblick  und scharrte  nur stundenlang  auf  dem  Leder. Oder  er
scheute  nicht die Mahe, einen  Sessel zum  Fenster zu schieben, dann
die  Fensterbrastung hinaufzukriechen und,  in  den  Sessel gestemmt,
sich ans Fenster zu lehnen, offenbar  nur in irgendeiner  Erinnerung  an das
Befreiende,  das  fraher far  ihn darin gelegen  war,  aus dem
Fenster zu schauen. Denn tatsachlich sah er von Tag zu  Tag  die auch
nur    ein     wenig    entfernten    Dinge    immer    undeutlicher;    das
gegenaberliegende  Krankenhaus,   dessen  nur  allzu  haufigen
Anblick er fraher  verflucht hatte, bekam er  aberhaupt  nicht
mehr  zu  Gesicht,  und  wenn  er  nicht  genau  gewußt  hatte,
daß  er  in   der   stillen,  aber  vallig   stadtischen
Charlottenstraße  wohnte,  hatte er  glauben kannen, von
seinem Fenster  aus in  eine Einade zu  schauen, in welcher der graue
Himmel und  die graue Erde ununterscheidbar  sich  vereinigten. Nur  zweimal
hatte die  aufmerksame Schwester sehen massen,  daß  der Sessel
beim  Fenster  stand,  als  sie  schon  jedesmal,  nachdem  sie  das  Zimmer
aufgeraumt  hatte, den Sessel wieder genau zum  Fenster  hinschob, ja
sogar von nun ab den inneren Fensterflagel offen ließ.
     Hatte Gregor nur mit der Schwester sprechen und  ihr  far
alles danken  kannen, was  sie far ihn machen mußte,  er
hatte ihre Dienste leichter  ertragen; so aber litt er darunter.  Die
Schwester suchte  freilich die Peinlichkeit des Ganzen  maglichst  zu
verwischen, und je langere Zeit verging, desto besser  gelang  es ihr
natarlich auch, aber auch Gregor durchschaute mit der Zeit alles viel
genauer.  Schon ihr  Eintritt  war far ihn schrecklich.  Kaum war sie
eingetreten,  lief  sie,  ohne  sich  Zeit  zu  nehmen,  die Tare  zu
schließen,  so  sehr sie sonst darauf  achtete, jedem  den Anblick von
Gregors Zimmer zu  ersparen, geradewegs zum Fenster und  riß  es,  als
ersticke sie fast, mit hastigen  Handen auf, blieb auch, selbst  wenn
es noch  so kalt war, ein Weilchen beim Fenster und atmete  tief. Mit diesem
Laufen und Larmen  erschreckte sie Gregor taglich zweimal; die
ganze  Zeit aber  zitterte er unter dem Kanapee und  wußte doch
sehr gut, daß sie ihn  gewiß gerne damit verschont hatte,
wenn es ihr nur maglich gewesen ware, sich in einem Zimmer, in
dem sich Gregor befand, bei geschlossenem Fenster aufzuhalten.
     Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors Verwandlung vergangen,
und es war  doch  schon far die Schwester kein besonderer Grund mehr,
aber  Gregors  Aussehen in  Erstaunen zu geraten, kam  sie  ein wenig
fraher als  sonst und traf Gregor noch an, wie er, unbeweglich und so
recht zum Erschrecken aufgestellt, aus  dem Fenster  schaute. Es ware
far  Gregor nicht  unerwartet  gewesen, wenn  sie  nicht  eingetreten
ware, da er  sie durch seine Stellung verhinderte, sofort das Fenster
zu  affnen,  aber sie  trat  nicht  nur nicht  ein,  sie  fuhr  sogar
zurack  und  schloß  die Tar; ein  Fremder  hatte
geradezu  denken  kannen,  Gregor  habe ihr aufgelauert und habe  sie
beißen  wollen.  Gregor  versteckte sich natarlich sofort unter
dem Kanapee, aber  er mußte bis zum Mittag warten,  ehe die  Schwester
wiederkam, und  sie  schien viel unruhiger  als  sonst.  Er erkannte daraus,
daß ihr sein Anblick noch  immer  unertraglich war und ihr auch
weiterhin unertraglich bleiben masse,  und daß  sie sich
wohl  sehr  aberwinden mußte,  vor  dem  Anblick  auch  nur der
kleinen Partie seines Karpers nicht davonzulaufen,  mit der er  unter
dem Kanapee hervorragte.  Um  ihr auch diesen  Anblick  zu ersparen, trug er
eines Tages auf seinem  Racken --  er brauchte  zu dieser Arbeit vier
Stunden -- das Leintuch auf das Kanapee  und  ordnete  es  in  einer solchen
Weise an, daß  er nun ganzlich verdeckt  war, und daß die
Schwester,  selbst wenn  sie sich  backte, ihn  nicht  sehen  konnte.
Ware dieses Leintuch ihrer Meinung nach  nicht natig  gewesen,
dann hatte sie es ja entfernen kannen, denn daß es nicht
zum  Vergnagen Gregors  geharen konnte, sich so  ganz  und gar
abzusperren, war doch klar genug, aber  sie ließ das  Leintuch, so wie
es  war, und Gregor glaubte sogar einen dankbaren Blick erhascht  zu  haben,
als er einmal mit dem Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig laftete,
um nachzusehen, wie die Schwester die neue Einrichtung aufnahm.
     In  den ersten vierzehn  Tagen konnten es die Eltern nicht  aber
sich  bringen, zu ihm hereinzukommen, und  er  harte oft, wie sie die
jetzige Arbeit der Schwester  vallig  anerkannten, wahrend sie
sich bisher haufig aber die Schwester geargert  hatten,
weil sie  ihnen als ein etwas nutzloses  Madchen erschienen  war. Nun
aber warteten oft beide,  der  Vater und  die  Mutter,  vor  Gregors Zimmer,
wahrend  die  Schwester  dort  aufraumte,  und  kaum  war  sie
herausgekommen,  mußte  sie ganz genau erzahlen, wie  es in dem
Zimmer  aussah,  was  Gregor  gegessen hatte, wie er  sich diesmal  benommen
hatte, und  ob vielleicht eine kleine  Besserung zu bemerken war. Die Mutter
abrigens   wollte   verhaltnismaßig  bald  Gregor
besuchen,  aber  der  Vater  und  die  Schwester   hielten  sie  zuerst  mit
Vernunftgranden   zurack,   denen   Gregor   sehr   aufmerksam
zuharte,  und  die er vollstandig billigte. Spater aber
mußte man sie mit Gewalt zurackhalten, und wenn sie  dann rief:
"Laßt mich doch zu  Gregor, er ist ja mein  unglacklicher Sohn!
Begreift ihr es  denn nicht,  daß ich zu  ihm muß?", dann dachte
Gregor,  daß  es  vielleicht  doch  gut  ware, wenn  die Mutter
hereinkame, nicht jeden  Tag natarlich, aber vielleicht einmal
in der Woche;  sie  verstand doch alles  viel  besser als die Schwester, die
trotz all ihrem Mute doch nur ein Kind war und im letzten Grunde  vielleicht
nur aus  kindlichem  Leichtsinn eine  so  schwere Aufgabe  abernommen
hatte.
     Der Wunsch Gregors, die Mutter zu sehen, ging bald in Erfallung.
Wahrend des Tages wollte Gregor schon  aus Racksicht auf seine
Eltern sich  nicht beim Fenster zeigen, kriechen konnte er aber auf den paar
Quadratmetern  des Fußbodens auch nicht viel, das ruhige Liegen ertrug
er schon  wahrend der Nacht schwer, das Essen  machte ihm bald  nicht
mehr das  geringste Vergnagen,  und  so nahm er  zur  Zerstreuung die
Gewohnheit  an,  kreuz  und quer  aber  Wande und  Plafond  zu
kriechen. Besonders oben auf der Decke hing er gern; es war ganz anders, als
das Liegen auf dem Fußboden; man atmete freier; ein leichtes Schwingen
ging   durch   den   Karper;  und  in  der   fast  glacklichen
Zerstreutheit,  in  der  sich Gregor dort oben befand,  konnte es geschehen,
daß er zu  seiner  eigenen aberraschung  sich losließ und
auf  den  Boden  klatschte.  Aber  nun   hatte  er  natarlich  seinen
Karper   ganz   anders   in   der   Gewalt  als   fraher   und
beschadigte sich selbst bei  einem so  großen Falle nicht.  Die
Schwester nun bemerkte  sofort die neue Unterhaltung,  die Gregor far
sich gefunden hatte -- er hinterließ ja auch beim  Kriechen hie und da
Spuren seines Klebstoffes --, und da setzte sie  es sich in den Kopf, Gregor
das Kriechen in graßtem Ausmaße zu ermaglichen und
die  Mabel, die es verhinderten, also  vor allem den  Kasten und  den
Schreibtisch, wegzuschaffen. Nun war sie aber nicht imstande, dies allein zu
tun; den Vater wagte sie nicht um  Hilfe zu bitten; das Dienstmadchen
hatte  ihr   ganz  gewiß  nicht  geholfen,  denn  dieses   etwa
sechzehnjahrige Madchen harrte zwar tapfer seit Entlassung der
fraheren  Kachin aus,  hatte aber  um die Verganstigung
gebeten,   die   Kache   unaufharlich   versperrt  halten   zu
darfen und nur auf besonderen  Anruf affnen  zu massen;
so blieb der  Schwester also nichts abrig, als einmal  in Abwesenheit
des Vaters die Mutter  zu holen. Mit Ausrufen erregter Freude kam die Mutter
auch heran, verstummte aber an der Tar vor Gregors Zimmer. Zuerst sah
natarlich die Schwester nach, ob alles im Zimmer in Ordnung war; dann
erst    ließ    sie   die   Mutter    eintreten.   Gregor   hatte   in
graßter  Eile  das  Leintuch  noch  tiefer  und mehr in  Falten
gezogen, das  Ganze sah wirklich nur wie ein zufallig aber das
Kanapee geworfenes Leintuch  aus. Gregor unterließ auch diesmal, unter
dem Leintuch  zu spionieren; er verzichtete darauf, die Mutter schon diesmal
zu sehen, und war nur  froh, daß sie nun doch gekommen war. "Komm nur,
man  sieht  ihn nicht",  sagte die Schwester, und offenbar fahrte sie
die  Mutter  an der  Hand. Gregor harte nun, wie  die  zwei schwachen
Frauen den immerhin schweren alten  Kasten von seinem  Platz rackten,
und wie die Schwester immerfort  den graßten  Teil  der  Arbeit
far   sich  beanspruchte,  ohne  auf  die  Warnungen  der  Mutter  zu
haren,     welche     farchtete,    daß     sie     sich
aberanstrengen  werde.  Es  dauerte  sehr   lange.  Wohl  nach  schon
viertelstandiger Arbeit sagte  die Mutter, man solle den  Kasten doch
lieber hier  lassen,  denn erstens sei er  zu schwer, sie  warden vor
Ankunft des  Vaters nicht fertig werden und mit dem Kasten in der Mitte  des
Zimmers Gregor  jeden Weg  verrammeln,  zweitens aber sei es doch  gar nicht
sicher, daß Gregor mit  der Entfernung der  Mabel ein  Gefallen
geschehe. Ihr  scheine das Gegenteil der Fall  zu sein;  ihr bedracke
der  Anblick der leeren Wand geradezu das  Herz; und warum solle nicht  auch
Gregor  diese  Empfindung  haben,  da  er  doch  an  die  Zimmermabel
langst gewahnt sei und sich deshalb im leeren Zimmer verlassen
fahlen  werde. "Und ist es  dann nicht  so",  schloß die Mutter
ganz leise, wie  sie aberhaupt  fast flasterte, als wolle  sie
vermeiden, daß Gregor, dessen genauen Aufenthalt sie ja  nicht kannte,
auch nur den Klang der Stimme hare, denn daß er die Worte nicht
verstand, davon war  sie aberzeugt, "und ist es nicht so, als ob  wir
durch die Entfernung der Mabel zeigten, daß  wir jede  Hoffnung
auf  Besserung   aufgeben   und   ihn   racksichtslos   sich   selbst
aberlassen?  Ich glaube,  es  ware das  beste,  wir suchen das
Zimmer genau in dem Zustand zu erhalten, in  dem es fraher war, damit
Gregor, wenn er  wieder zu uns zurackkommt,  alles unverandert
findet und um so leichter die Zwischenzeit vergessen kann."
     Beim Anharen dieser Worte  der Mutter erkannte Gregor, daß
der Mangel jeder  unmittelbaren menschlichen Ansprache,  verbunden  mit  dem
einfarmigen Leben inmitten der Familie, im Laufe  dieser zwei  Monate
seinen Verstand hatte verwirren massen, denn anders konnte er es sich
nicht  erklaren,  daß  er  ernsthaft  danach   hatte  verlangen
kannen,  daß  sein Zimmer  ausgeleert  warde.  Hatte  er
wirklich  Lust,  das  warme,  mit  ererbten  Mabeln  gematlich
ausgestattete Zimmer in eine  Hahle verwandeln zu  lassen, in der  er
dann  freilich nach  allen Richtungen ungestart warde kriechen
kannen, jedoch auch unter gleichzeitigem schnellen, ganzlichen
Vergessen seiner menschlichen Vergangenheit? War er  doch  jetzt schon  nahe
daran, zu vergessen, und nur die seit langem nicht geharte Stimme der
Mutter hatte  ihn aufgerattelt. Nichts sollte  entfernt werden; alles
mußte bleiben;  die  guten  Einwirkungen  der Mabel  auf seinen
Zustand konnte er nicht entbehren; und wenn die  Mabel ihn hinderten,
das sinnlose Herumkriechen zu betreiben, so war es kein Schaden, sondern ein
großer Vorteil.
     Aber  die  Schwester  war  leider  anderer  Meinung;  sie  hatte  sich,
allerdings nicht ganz unberechtigt,  angewahnt, bei  Besprechung  der
Angelegenheiten     Gregors     als     besonders     Sachverstandige
gegenaber den Eltern aufzutreten, und  so war auch  jetzt der Rat der
Mutter far die Schwester Grund genug, auf  der Entfernung  nicht  nur
des Kastens und des Schreibtisches, an die  sie zuerst allein gedacht hatte,
sondern auf  der Entfernung samtlicher Mabel, mit Ausnahme des
unentbehrlichen  Kanapees, zu  bestehen. Es  war natarlich nicht  nur
kindlicher  Trotz  und das in  der  letzten  Zeit  so unerwartet und  schwer
erworbene Selbstvertrauen, das sie  zu dieser Forderung bestimmte; sie hatte
doch  auch  tatsachlich  beobachtet,  daß Gregor viel  Raum zum
Kriechen  brauchte, dagegen die Mabel, soweit man sehen konnte, nicht
im   geringsten   benatzte.  Vielleicht   aber   spielte   auch   der
schwarmerische  Sinn  der  Madchen ihres Alters mit,  der  bei
jeder Gelegenheit  seine Befriedigung sucht, und durch den  Grete jetzt sich
dazu verlocken  ließ, die Lage Gregors noch schreckenerregender machen
zu  wollen,  um  dann  noch  mehr als  bis jetzt far ihn  leisten  zu
kannen. Denn  in  einen  Raum, in  dem Gregor  ganz allein die leeren
Wande  beherrschte,  warde  wohl  ein Mensch außer Grete
jemals einzutreten sich getrauen.
     Und so ließ sie sich von ihrem Entschlusse durch die Mutter nicht
abbringen, die auch in diesem Zimmer vor lauter Unruhe unsicher schien, bald
verstummte und der  Schwester nach  Kraften  beim Hinausschaffen  des
Kastens half. Nun, den Kasten  konnte Gregor im Notfall noch entbehren, aber
schon der Schreibtisch mußte bleiben. Und kaum hatten  die Frauen  mit
dem  Kasten, an  den  sie  sich achzend drackten,  das  Zimmer
verlassen, als Gregor den  Kopf unter dem Kanapee hervorstieß,  um  zu
sehen,   wie   er   vorsichtig  und  maglichst  racksichtsvoll
eingreifen  kannte. Aber zum Unglack war es gerade die Mutter,
welche  zuerst zurackkehrte, wahrend Grete  im Nebenzimmer den
Kasten  umfangen  hielt  und  ihn allein  hin  und  her  schwang,  ohne  ihn
natarlich von  der Stelle  zu bringen.  Die Mutter  aber  war Gregors
Anblick   nicht   gewahnt,   er   hatte   sie   krank   machen
kannen,     und      so      eilte     Gregor     erschrocken      im
Rackwartslauf  bis an das andere Ende des Kanapees, konnte  es
aber nicht  mehr verhindern,  daß das Leintuch vorne  ein  wenig  sich
bewegte.  Das  genagte,  um  die Mutter  aufmerksam  zu  machen.  Sie
stockte, stand einen Augenblick still und ging dann zu Grete zurack.
     Trotzdem  sich  Gregor   immer   wieder   sagte,  daß  ja  nichts
Außergewahnliches geschehe, sondern  nur  ein paar Mabel
umgestellt  warden,  wirkte  doch,  wie   er  sich  bald  eingestehen
mußte, dieses Hin- und Hergehen der  Frauen, ihre  kleinen Zurufe, das
Kratzen  der  Mabel  auf dem Boden, wie  ein  großer, von allen
Seiten genahrter Trubel auf ihn, und er mußte sich,  so fest er
Kopf und Beine  an  sich zog und den  Leib bis  an den Boden drackte,
unweigerlich sagen, daß  er das Ganze nicht lange aushalten werde. Sie
raumten ihm sein Zimmer aus; nahmen ihm alles, was ihm lieb war;  den
Kasten, in  dem die Laubsage und andere  Werkzeuge  lagen, hatten sie
schon hinausgetragen;  lockerten jetzt den schon im Boden fest eingegrabenen
Schreibtisch,      an     dem     er     als      Handelsakademiker,     als
Bargerschaler, ja  sogar  schon als  Volksschaler seine
Aufgaben geschrieben  hatte,  --  da hatte er  wirklich keine Zeit mehr, die
guten  Absichten  zu  prafen,  welche die zwei  Frauen hatten,  deren
Existenz    er   abrigens    fast    vergessen   hatte,    denn   vor
Erschapfung arbeiteten sie schon stumm, und man  harte nur das
schwere Tappen ihrer Faße.
     Und so brach er  denn hervor -- die  Frauen statzten sich gerade
im  Nebenzimmer  an  den  Schreibtisch, um  ein  wenig  zu verschnaufen  --,
wechselte viermal  die Richtung des  Laufes,  er wußte wirklich nicht,
was er zuerst retten sollte, da sah er an der im abrigen schon leeren
Wand   auffallend  das  Bild  der  in   lauter   Pelzwerk  gekleideten  Dame
hangen, kroch eilends hinauf und preßte sich  an  das Glas, das
ihn festhielt und seinem heißen Bauch wohltat. Dieses Bild wenigstens,
das  Gregor  jetzt  ganz  verdeckte,  warde  nun gewiß  niemand
wegnehmen. Er verdrehte den Kopf nach der Tar des Wohnzimmers, um die
Frauen bei ihrer Rackkehr zu beobachten.
     Sie hatten sich nicht viel Ruhe gegannt  und kamen schon wieder;
Grete hatte den Arm um die Mutter gelegt und trug sie fast. "Also was nehmen
wir jetzt?" sagte Grete und sah sich um. Da  kreuzten  sich ihre  Blicke mit
denen Gregors an der Wand. Wohl nur infolge der Gegenwart der Mutter behielt
sie ihre Fassung, beugte ihr Gesicht zur  Mutter,  um diese vom Herumschauen
abzuhalten, und  sagte,  allerdings  zitternd und  unaberlegt: "Komm,
wollen  wir   nicht   lieber  auf  einen  Augenblick  noch   ins  Wohnzimmer
zurackgehen?"  Die Absicht  Gretes  war far  Gregor  klar, sie
wollte  die  Mutter  in  Sicherheit  bringen  und  dann  ihn  von  der  Wand
hinunterjagen.  Nun,  sie konnte es  ja immerhin versuchen! Er saß auf
seinem Bild und gab es nicht  her. Lieber warde er Grete ins  Gesicht
springen.
     Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht beunruhigt, sie trat zur
Seite, erblickte den riesigen braunen Fleck auf der geblamten Tapete,
rief, ehe ihr eigentlich zum Bewußtsein kam, daß das Gregor war,
was sie  sah, mit schreiender, rauher Stimme: "Ach Gott, ach Gott!" und fiel
mit  ausgebreiteten Armen, als gebe  sie alles auf, aber das  Kanapee
hin  und  rahrte  sich nicht.  "Du, Gregor!"  rief die  Schwester mit
erhobener  Faust und  eindringlichen Blicken. Es  waren seit der Verwandlung
die ersten Worte, die sie unmittelbar an ihn gerichtet hatte.  Sie lief  ins
Nebenzimmer, um irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter aus ihrer
Ohnmacht wecken kannte; Gregor  wollte auch helfen -- zur Rettung des
Bildes war noch Zeit-; er klebte aber fest an  dem Glas und mußte sich
mit  Gewalt  losreißen;   er  lief  dann  auch  ins  Nebenzimmer,  als
kanne er der Schwester irgendeinen Rat geben,  wie in fraherer
Zeit; mußte dann aber untatig hinter ihr stehen; wahrend
sie in verschiedenen Flaschchen kramte, erschreckte sie noch, als sie
sich  umdrehte; eine Flasche  fiel auf den Boden und  zerbrach; ein Splitter
verletzte Gregor im Gesicht,  irgendeine atzende Medizin umfloß
ihn;  Grete  nahm  nun,   ohne   sich  langer   aufzuhalten,   soviel
Flaschchen,  als sie  nur halten  konnte, und  rannte  mit  ihnen zur
Mutter hinein; die Tar schlug  sie  mit dem Fuße zu. Gregor war
nun von der Mutter abgeschlossen, die durch seine Schuld vielleicht dem Tode
nahe war;  die  Tar durfte  er nicht  affnen,  wollte  er  die
Schwester, die bei der Mutter bleiben mußte,  nicht verjagen; er hatte
jetzt  nichts zu  tun, als  zu  warten;  und von  Selbstvorwarfen und
Besorgnis bedrangt, begann  er zu  kriechen,  aberkroch alles,
Wande,  Mabel  und  Zimmerdecke und  fiel  endlich  in  seiner
Verzweiflung, als  sich  das  ganze  Zimmer schon um  ihn zu  drehen anfing,
mitten auf den großen Tisch.
     Es verging  eine kleine Weile,  Gregor lag matt  da, ringsherum war  es
still,  vielleicht  war das ein gutes  Zeichen.  Da lautete  es.  Das
Madchen war natarlich  in ihrer Kache  eingesperrt  und
Grete mußte daher  affnen gehen. Der  Vater war gekommen.  "Was
ist  geschehen?"  waren  seine ersten  Worte; Gretes Aussehen hatte ihm wohl
alles verraten. Grete antwortete mit dumpfer Stimme, offenbar drackte
sie ihr Gesicht an das Vaters Brust: "Die Mutter war ohnmachtig, aber
es  geht  ihr  schon  besser.  Gregor ist  ausgebrochen." "Ich  habe  es  ja
erwartet",  sagte  der  Vater, "ich habe es euch ja  immer gesagt, aber  ihr
Frauen wollt  nicht  haren." Gregor  war es klar, daß der Vater
Gretes allzu kurze  Mitteilung schlecht gedeutet hatte und annahm, daß
Gregor sich  irgendeine  Gewalttat  habe  zuschulden kommen  lassen. Deshalb
mußte  Gregor den  Vater jetzt zu besanftigen  suchen, denn ihn
aufzuklaren  hatte er  weder  Zeit  noch  Maglichkeit.  Und so
flachtete er sich  zur Tar  seines Zimmers  und drackte
sich an sie, damit der Vater  beim  Eintritt vom Vorzimmer her gleich  sehen
kanne, daß Gregor die beste Absicht habe, sofort in sein Zimmer
zurackzukehren,   und  daß   es  nicht  natig  sei,  ihn
zurackzutreiben,   sondern  daß  man  nur   die  Tar  zu
affnen brauche, und gleich werde er verschwinden.
     Aber  der  Vater  war  nicht  in  der  Stimmung,  solche  Feinheiten zu
bemerken; "Ah!"  rief  er  gleich beim  Eintritt in einem  Tone,  als sei er
gleichzeitig  watend und froh. Gregor zog den Kopf von der Tar
zurack  und  hob ihn gegen den  Vater. So hatte  er  sich  den  Vater
wirklich nicht vorgestellt, wie er jetzt dastand; allerdings hatte er in der
letzten Zeit aber  dem neuartigen Herumkriechen versaumt, sich
so wie fraher um die Vorgange in der abrigen Wohnung zu
kammern,   und  hatte  eigentlich  darauf   gefaßt  sein
massen, veranderte Verhaltnisse anzutreffen.  Trotzdem,
trotzdem,  war das noch der Vater? Der gleiche Mann, der made im Bett
vergraben  lag,  wenn  fraher  Gregor zu einer  Geschaftsreise
ausgerackt  war; der ihn  an  Abenden der  Heimkehr im  Schlafrock im
Lehnstuhl  empfangen hatte;  gar  nicht  recht  imstande  war,  aufzustehen,
sondern zum Zeichen der Freude nur die Arme  gehoben hatte, und  der bei den
seltenen gemeinsamen Spaziergangen an ein paar Sonntagen  im Jahr und
an den hachsten Feiertagen zwischen Gregor und der Mutter, die  schon
an und far sich langsam gingen, immer noch  ein wenig  langsamer,  in
seinen   alten  Mantel   eingepackt,  mit   stets   vorsichtig  aufgesetztem
Krackstock sich vorwarts arbeitete  und,  wenn er etwas  sagen
wollte, fast immer stillstand und seine Begleitung um sich  versammelte? Nun
aber  war  er  recht gut aufgerichtet;  in  eine straffe blaue  Uniform  mit
Goldknapfen  gekleidet,  wie  sie  Diener  der Bankinstitute  tragen;
aber dem  hohen  steifen  Kragen des  Rockes  entwickelte  sich  sein
starkes  Doppelkinn;  unter den  buschigen Augenbrauen  drang der  Blick der
schwarzen  Augen  frisch   und  aufmerksam  hervor;   das  sonst   zerzauste
weiße Haar war  zu einer  peinlich genauen, leuchtenden Scheitelfrisur
niedergekammt. Er warf seine Matze, auf der ein Goldmonogramm,
wahrscheinlich das einer Bank, angebracht war, aber  das ganze Zimmer
im Bogen auf das Kanapee hin und ging, die Enden seines langen Uniformrockes
zurackgeschlagen,   die   Hande   in   den  Hosentaschen,  mit
verbissenem Gesicht auf Gregor zu. Er wußte wohl selbst nicht, was  er
vorhatte;  immerhin hob er die  Faße  ungewahnlich hoch,
und   Gregor  staunte   aber   die  Riesengraße   seiner
Stiefelsohlen. Doch hielt  er sich dabei nicht  auf, er wußte  ja noch
vom  ersten  Tage  seines   neuen  Lebens  her,   daß  der  Vater  ihm
gegenaber  nur die  graßte Strenge far angebracht
ansah.  Und so  lief er vor dem  Vater her,  stockte, wenn der  Vater stehen
blieb,  und  eilte schon  wieder vorwarts,  wenn  sich der  Vater nur
rahrte. So  machten  sie  mehrmals  die Runde  um  das  Zimmer,  ohne
daß sich  etwas Entscheidendes ereignete, ja ohne daß das  Ganze
infolge  seines  langsamen  Tempos  den  Anschein  einer  Verfolgung  gehabt
hatte.   Deshalb   blieb   auch   Gregor  vorlaufig  auf   dem
Fußboden,  zumal  er  farchtete, der  Vater kannte  eine
Flucht  auf die Wande oder den Plafond far  besondere  Bosheit
halten. Allerdings mußte sich Gregor sagen, daß er  sogar dieses
Laufen nicht lange  aushalten  warde;  denn wahrend der  Vater
einen   Schritt   machte,   mußte  er  eine   Unzahl  von   Bewegungen
ausfahren. Atemnot begann sich schon  bemerkbar  zu machen, wie er ja
auch  in  seiner  fraheren  Zeit keine ganz  vertrauenswardige
Lunge besessen hatte.  Als  er nun so dahintorkelte,  um  alle Krafte
far  den  Lauf  zu sammeln,  kaum  die  Augen  offenhielt; in  seiner
Stumpfheit  an eine  andere Rettung als  durch Laufen gar nicht  dachte; und
fast schon vergessen hatte, daß ihm die Wande  freistanden, die
hier allerdings mit sorgfaltig geschnitzten Mabeln voll Zacken
und Spitzen verstellt waren -- da flog knapp neben ihm, leicht geschleudert,
irgend etwas  nieder und rollte  vor ihm her. Es war ein Apfel;  gleich flog
ihm ein  zweiter nach; Gregor  blieb vor Schrecken stehen;  ein Weiterlaufen
war nutzlos, denn der  Vater  hatte  sich entschlossen, ihn zu bombardieren.
Aus der Obstschale auf der Kredenz hatte er sich die Taschen  gefallt
und  warf  nun,  ohne  vorlaufig  scharf  zu zielen, Apfel far
Apfel.  Diese  kleinen  roten  apfel rollten wie elektrisiert auf dem
Boden  herum  und  stießen aneinander.  Ein schwach  geworfener  Apfel
streifte Gregors  Racken, glitt aber  unschadlich ab.  Ein ihm
sofort nachfliegender drang dagegen farmlich in Gregors Racken
ein;   Gregor   wollte   sich   weiterschleppen,   als    kanne   der
aberraschende unglaubliche Schmerz mit dem Ortswechsel vergehen; doch
fahlte   er   sich   wie    festgenagelt   und   streckte   sich   in
vollstandiger Verwirrung aller Sinne. Nur  mit dem letzten  Blick sah
er noch, wie die  Tar seines Zimmers  aufgerissen  wurde, und vor der
schreienden Schwester die Mutter  hervoreilte, im Hemd, denn  die  Schwester
hatte sie  entkleidet, um  ihr in der Ohnmacht Atemfreiheit  zu verschaffen,
wie  dann die  Mutter  auf  den  Vater  zulief  und  ihr  auf  dem  Weg  die
aufgebundenen Racke einer  nach dem anderen zu Boden glitten, und wie
sie stolpernd  aber  die Racke auf  den Vater eindrang und ihn
umarmend, in  ganzlicher Vereinigung  mit ihm  --  nun versagte  aber
Gregors Sehkraft  schon --  die  Hande  an des  Vaters  Hinterkopf um
Schonung von Gregors Leben bat.



     Die schwere Verwundung Gregors, an  der er aber einen Monat litt
--  der  Apfel  blieb, da  ihn niemand  zu entfernen  wagte, als  sichtbares
Andenken im Fleische  sitzen --, schien selbst  den Vater daran  erinnert zu
haben,  daß  Gregor trotz  seiner gegenwartigen  traurigen  und
ekelhaften Gestalt ein Familienmitglied war, das man  nicht wie  einen Feind
behandeln   durfte,   sondern   demgegenaber   es   das   Gebot   der
Familienpflicht  war,  den Widerwillen  hinunterzuschlucken  und  zu dulden,
nichts als zu dulden.
     Und  wenn  nun  auch   Gregor  durch  seine  Wunde   an   Beweglichkeit
wahrscheinlich  far  immer verloren  hatte und  vorlaufig  zur
Durchquerung  seines  Zimmers wie ein  alter  Invalide  lange, lange Minuten
brauchte -- an das Kriechen in  der Hahe war  nicht  zu denken --, so
bekam er  far  diese Verschlimmerung  seines Zustandes  einen  seiner
Meinung nach vollstandig genagenden Ersatz  dadurch, daß
immer  gegen  Abend  die  Wohnzimmertar, die er schon  ein  bis  zwei
Stunden  vorher  scharf  zu  beobachten pflegte, geaffnet  wurde,  so
daß  er,  im  Dunkel   seines  Zimmers  liegend,  vom  Wohnzimmer  aus
unsichtbar, die ganze Familie beim beleuchteten Tische sehen und ihre Reden,
gewissermaßen   mit   allgemeiner  Erlaubnis,  also  ganz  anders  als
fraher, anharen durfte.
     Freilich  waren  es   nicht   mehr  die  lebhaften  Unterhaltungen  der
fraheren Zeiten,  an die Gregor in den kleinen Hotelzimmern stets mit
einigem  Verlangen gedacht hatte, wenn  er  sich made  in das feuchte
Bettzeug hatte werfen massen. Es ging jetzt meist nur  sehr still zu.
Der Vater schlief bald nach dem Nachtessen in seinem Sessel  ein; die Mutter
und Schwester ermahnten einander  zur Stille; die  Mutter nahte, weit
unter   das   Licht   vorgebeugt,   feine   Wasche   far   ein
Modengeschaft;    die    Schwester,    die    eine    Stellung    als
Verkauferin  angenommen  hatte,  lernte  am  Abend  Stenographie  und
Franzasisch, um vielleicht spater einmal einen besseren Posten
zu erreichen. Manchmal  wachte der Vater  auf, und als  wisse er  gar nicht,
daß er geschlafen habe, sagte er zur Mutter: "Wie lange du heute schon
wieder  nahst!" und schlief sofort  wieder ein, wahrend Mutter
und Schwester einander made zulachelten.
     Mit einer Art Eigensinn  weigerte sich  der Vater, auch zu Hause  seine
Dieneruniform  abzulegen;  und  wahrend  der  Schlafrock  nutzlos  am
Kleiderhaken  hing, schlummerte  der Vater vollstandig  angezogen auf
seinem Platz, als sei er immer zu seinem Dienste bereit und warte  auch hier
auf  die Stimme des  Vorgesetzten. Infolgedessen verlor  die gleich  anfangs
nicht  neue  Uniform  trotz  aller  Sorgfalt  von Mutter  und  Schwester  an
Reinlichkeit,  und Gregor sah  oft ganze  Abende lang auf dieses aber
und  aber  fleckige,  mit  seinen stets  geputzten Goldknapfen
leuchtende Kleid, in dem der alte Mann hachst unbequem und doch ruhig
schlief.
     Sobald die Uhr zehn schlug, suchte die Mutter durch leise Zusprache den
Vater zu wecken und dann zu  aberreden, ins  Bett zu gehen, denn hier
war es doch  kein richtiger Schlaf, und diesen hatte der Vater, der um sechs
Uhr seinen Dienst antreten  mußte, außerst  natig.
Aber  in  dem Eigensinn,  der ihn, seitdem er Diener  war, ergriffen  hatte,
bestand er immer darauf, noch langer bei  Tisch  zu bleiben, trotzdem
er regelmaßig einschlief, und war dann aberdies nur  mit
der graßten Mahe zu bewegen, den  Sessel mit dem Bett zu
vertauschen. Da mochten Mutter und Schwester mit kleinen Ermahnungen noch so
sehr auf ihn eindringen, viertelstundenlang schattelte er langsam den
Kopf, hielt die Augen geschlossen und stand nicht auf. Die Mutter zupfte ihn
am   armel,  sagte  ihm  Schmeichelworte  ins   Ohr,  die   Schwester
verließ ihre Aufgabe, um der Mutter zu helfen, aber beim Vater verfing
das nicht.  Er versank nur noch tiefer in seinen  Sessel. Erst  als ihn  die
Frauen  unter  den  Achseln  faßten,  schlug  er  die  Augen  auf, sah
abwechselnd die Mutter  und die Schwester  an und pflegte zu sagen: "Das ist
ein  Leben. Das ist  die Ruhe meiner alten Tage." Und auf die beiden  Frauen
gestatzt, erhob er sich,  umstandlich,  als sei  er far
sich selbst die graßte Last, ließ sich von den Frauen bis
zur   Tare   fahren,  winkte  ihnen   dort  ab  und  ging  nun
selbstandig weiter, wahrend die Mutter ihr Nahzeug, die
Schwester ihre Feder eiligst hinwarfen, um  hinter dem  Vater  zu laufen und
ihm weiter behilflich zu sein.
     Wer   hatte  in  dieser  abgearbeiteten  und  abermadeten
Familie  Zeit,  sich   um  Gregor  mehr  zu  kammern,  als  unbedingt
natig  war? Der  Haushalt wurde immer mehr  eingeschrankt; das
Dienstmadchen  wurde  nun  doch   entlassen;  eine  riesige  knochige
Bedienerin mit weißem, den Kopf umflatterdem  Haar kam des Morgens und
des Abends,  um die  schwerste Arbeit zu leisten;  alles andere besorgte die
Mutter neben ihrer vielen  Naharbeit.  Es  geschah  sogar,  daß
verschiedene Familienschmuckstacke,  welche fraher  die Mutter
und  die  Schwester   aberglacklich   bei  Unterhaltungen  und
Feierlichkeiten  getragen hatten, verkauft  wurden, wie  Gregor am Abend aus
der    allgemeinen   Besprechung   der   erzielten    Preise   erfuhr.   Die
graßte Klage war aber stets, daß man diese far die
gegenwartigen  Verhaltnisse  allzu  große Wohnung  nicht
verlassen   konnte,   da   es  nicht  auszudenken   war,   wie  man   Gregor
abersiedeln sollte.  Aber Gregor sah wohl ein, daß es nicht nur
die  Racksicht  auf   ihn   war,  welche   eine   abersiedlung
verhinderte, denn ihn hatte man doch in einer passenden Kiste mit ein
paar Luftlachern leicht transportieren kannen; was die Familie
hauptsachlich  vom   Wohnungswechsel   abhielt,  war   vielmehr   die
vallige Hoffnungslosigkeit und  der Gedanke  daran, daß sie mit
einem Unglack geschlagen war, wie niemand sonst im ganzen Verwandten-
und Bekanntenkreis. Was die Welt von armen Leuten verlangt, erfallten
sie bis zum außersten,  der Vater holte den kleinen Bankbeamten
das   Frahstack,  die   Mutter  opferte  sich  far  die
Wasche fremder Leute, die Schwester  lief  nach dem Befehl der Kunden
hinter dem  Pulte hin  und her, aber  weiter  reichten die Krafte der
Familie schon nicht. Und die Wunde im Racken fing  Gregor  wie neu zu
schmerzen  an, wenn  Mutter  und  Schwester, nachdem  sie den Vater zu  Bett
gebracht hatten,  nun  zurackkehrten, die  Arbeit liegenließen,
nahe zusammenrackten, schon  Wange  an Wange saßen; wenn  jetzt
die Mutter, auf Gregors Zimmer  zeigend, sagte: "Mach'  dort die  Tar
zu, Grete", und wenn nun Gregor wieder im Dunkel war, wahrend nebenan
die  Frauen ihre Tranen  vermischten  oder gar  tranenlos  den
Tisch anstarrten.
     Die Nachte  und  Tage verbrachte Gregor fast  ganz  ohne Schlaf.
Manchmal  dachte er daran, beim nachsten affnen der Tar
die Angelegenheiten der Familie ganz so wie fraher wieder in die Hand
zu  nehmen; in seinen Gedanken erschienen wieder nach langer  Zeit  der Chef
und   der   Prokurist,    die   Kommis   und   die    Lehrjungen,   der   so
begriffsstatzige  Hausknecht,   zwei,   drei  Freunde   aus   anderen
Geschaften, ein Stubenmadchen aus  einem Hotel in der Provinz,
eine  liebe,  flachtige  Erinnerung,  eine  Kassiererin   aus   einem
Hutgeschaft, um die er sich ernsthaft, aber zu langsam beworben hatte
-- sie alle erschienen untermischt mit Fremden  oder schon Vergessenen, aber
statt  ihm  und  seiner   Familie  zu  helfen,  waren  sie   samtlich
unzuganglich, und  er war froh, wenn sie verschwanden. Dann  aber war
er  wieder  gar nicht  in  der  Laune,  sich  um  seine  Familie zu  sorgen,
bloß  Wut  aber die schlechte Wartung erfallte ihn,  und
trotzdem  er  sich  nichts  vorstellen  konnte,  worauf  er  Appetit  gehabt
hatte, machte  er doch  Plane,  wie  er  in  die  Speisekammer
gelangen  kannte, um dort zu nehmen,  was ihm,  auch  wenn  er keinen
Hunger hatte, immerhin gebahrte. Ohne jetzt mehr  nachzudenken, womit
man  Gregor  einen  besonderen  Gefallen  machen  kannte,  schob  die
Schwester eiligst, ehe sie morgens und mittags ins Geschaft lief, mit
dem Fuß  irgendeine beliebige Speise  in Gregors Zimmer hinein, um sie
am  Abend,  gleichgaltig  dagegen,  ob  die   Speise  vielleicht  nur
verkostet   oder   --   der   haufigste   Fall   --   ganzlich
unberahrt war, mit einem  Schwenken  des  Besens hinauszukehren.  Das
Aufraumen des Zimmers, das sie nun immer abends besorgte, konnte  gar
nicht mehr schneller getan sein. Schmutzstreifen zogen sich die Wande
entlang, hie  und da lagen Knauel von  Staub und Unrat. In der ersten
Zeit  stellte  sich  Gregor  bei  der  Ankunft  der Schwester  in  derartige
besonders   bezeichnende   Winkel,   um    ihr    durch    diese    Stellung
gewissermaßen  einen Vorwurf zu  machen.  Aber  er  hatte  wohl
wochenlang  dort  bleiben kannen, ohne daß sich  die  Schwester
gebessert  hatte; sie sah ja  den Schmutz  genau so  wie er, aber sie
hatte sich eben  entschlossen, ihn zu  lassen. Dabei wachte sie mit einer an
ihr ganz  neuen  Empfindlichkeit,  die  aberhaupt  die  ganze Familie
ergriffen hatte, daraber, daß das Aufraumen  von Gregors
Zimmer  ihr vorbehalten blieb. Einmal hatte die Mutter Gregors Zimmer  einer
großen  Reinigung unterzogen,  die  ihr  nur  nach  Verbrauch  einiger
Kabel  Wasser  gelungen  war  die  viele Feuchtigkeit  krankte
allerdings Gregor auch und er lag breit, verbittert  und unbeweglich auf dem
Kanapee --, aber die Strafe blieb far die Mutter nicht aus. Denn kaum
hatte  am  Abend die Schwester  die  Veranderung  in  Gregors  Zimmer
bemerkt, als  sie,  aufs hachste beleidigt, ins Wohnzimmer  lief und,
trotz der  beschwarend erhobenen Hande  der  Mutter,  in einen
Weinkrampf  ausbrach, dem die Eltern  -- der Vater war  natarlich aus
seinem  Sessel  aufgeschreckt worden -- zuerst erstaunt und hilflos zusahen;
bis auch sie  sich zu rahren anfingen;  der Vater  rechts  der Mutter
Vorwarfe machte, daß sie Gregors Zimmer nicht der Schwester zur
Reinigung aberließ; links dagegen  die  Schwester anschrie, sie
werde niemals mehr Gregors Zimmer reinigen darfen; wahrend die
Mutter den Vater,  der sich vor Erregung nicht mehr kannte, ins Schlafzimmer
zu  schleppen suchte; die Schwester, von Schluchzen  geschattelt, mit
ihren kleinen Fausten  den Tisch bearbeitete; und Gregor laut vor Wut
daraber  zischte,  daß  es  keinem einfiel,  die  Tar zu
schließen und ihm diesen Anblick und Larm zu ersparen.
     Aber   selbst  wenn   die   Schwester,   erschapft   von   ihrer
Berufsarbeit,  dessen  aberdrassig  geworden  war,  far
Gregor, wie  fraher, zu  sorgen, so hatte noch keineswegs  die
Mutter  far sie eintreten massen und Gregor  hatte doch
nicht vernachlassigt werden brauchen. Denn nun war die Bedienerin da.
Diese  alte  Witwe, die  in  ihrem  langen Leben  mit  Hilfe  ihres  starken
Knochenbaues das argste aberstanden haben mochte, hatte keinen
eigentlichen Abscheu vor Gregor. Ohne irgendwie neugierig zu sein, hatte sie
zufallig einmal die  Tar von Gregors Zimmer aufgemacht und war
im  Anblick Gregors, der, ganzlich  aberrascht,  trotzdem  ihn
niemand jagte, hin und her zu laufen begann, die Hande im Schoß
gefaltet staunend stehengeblieben. Seitdem versaumte sie nicht, stets
flachtig morgens und abends die Tar ein wenig zu affnen
und zu Gregor hineinzuschauen. Anfangs rief sie ihn auch zu sich herbei, mit
Worten, die sie wahrscheinlich  far freundlich hielt,  wie "Komm  mal
heraber,   alter  Mistkafer!"   oder  "Seht   mal  den   alten
Mistkafer!" Auf  solche  Ansprachen  antwortete  Gregor  mit  nichts,
sondern blieb unbeweglich auf seinem Platz, als sei die Tar gar nicht
geaffnet worden. Hatte  man doch dieser  Bedienerin, statt sie
nach  ihrer Laune ihn  nutzlos  staren zu lassen, lieber  den  Befehl
gegeben, sein Zimmer taglich  zu  reinigen! Einmal  am  frahen
Morgen  --  ein heftiger Regen,  vielleicht schon ein  Zeichen des kommenden
Frahjahrs, schlug an die Scheiben  -- war Gregor, als die  Bedienerin
mit ihren Redensarten wieder begann, derartig verbittert, daß  er, wie
zum  Angriff,  allerdings  langsam  und  hinfallig,  sich  gegen  sie
wendete. Die  Bedienerin aber, statt sich zu farchten, hob bloß
einen in der Nahe der Tar  befindlichen Stuhl hoch  empor, und
wie sie mit  groß  geaffnetem Munde dastand, war  ihre  Absicht
klar,  den  Mund erst zu schließen, wenn der  Sessel in ihrer Hand auf
Gregors  Racken niederschlagen warde.  "Also  weiter  geht  es
nicht?" fragte sie, als Gregor sich wieder umdrehte, und stellte  den Sessel
ruhig in die Ecke zurack.
     Gregor  aß nun fast gar nichts mehr. Nur  wenn er zufallig
an der vorbereiteten  Speise  voraberkam,  nahm  er  zum  Spiel einen
Bissen in  den Mund,  hielt ihn dort  stundenlang  und  spie  ihn dann meist
wieder  aus.  Zuerst dachte er, es  sei  die Trauer aber  den Zustand
seines   Zimmers,  die   ihn   vom  Essen   abhalte,  aber  gerade  mit  den
Veranderungen des Zimmers sahnte er  sich  sehr bald aus.  Man
hatte sich  angewahnt,  Dinge, die  man anderswo  nicht  unterbringen
konnte,  in  dieses Zimmer hineinzustellen,  und  solcher  Dinge gab es  nun
viele,  da man ein  Zimmer der Wohnung an drei Zimmerherren vermietet hatte.
Diese ernsten Herren -- alle drei hatten Vollbarte, wie Gregor einmal
durch  eine Tarspalte feststellte, waren peinlich auf Ordnung,  nicht
nur  in  ihrem Zimmer,  sondern,  da sie  sich nun einmal  hier  eingemietet
hatten, in  der ganzen Wirtschaft,  also  insbesondere in  der Kache,
bedacht.  Unnatzen  oder  gar  schmutzigen Kram ertrugen  sie  nicht.
aberdies  hatten  sie  zum  graßten  Teil  ihre  eigenen
Einrichtungsstacke mitgebracht.  Aus diesem Grunde waren  viele Dinge
aberflassig geworden, die zwar nicht verkauflich waren,
die man aber auch  nicht  wegwerfen wollte. Alle diese wanderten  in Gregors
Zimmer.   Ebenso  auch   die  Aschenkiste   und  die  Abfallkiste   aus  der
Kache.  Was  nur  im  Augenblick  unbrauchbar  war,  schleuderte  die
Bedienerin, die es immer sehr eilig hatte, einfach in Gregors Zimmer; Gregor
sah glacklicherweise  meist nur  den  betreffenden Gegenstand und die
Hand, die ihn hielt. Die Bedienerin hatte  vielleicht die  Absicht, bei Zeit
und  Gelegenheit die Dinge wieder zu  holen oder alle insgesamt mit einemmal
hinauszuwerfen,  tatsachlich aber blieben sie dort liegen,  wohin sie
durch  den  ersten  Wurf gekommen waren, wenn  nicht  Gregor sich  durch das
Rumpelzeug  wand und es  in Bewegung  brachte, zuerst  gezwungen,  weil kein
sonstiger Platz  zum Kriechen frei  war, spater aber  mit  wachsendem
Vergnagen,   obwohl   er  nach  solchen   Wanderungen,   zum  Sterben
made und traurig, wieder stundenlang sich nicht rahrte.
     Da  die  Zimmerherren  manchmal  auch   ihr  Abendessen  zu   Hause  im
gemeinsamen Wohnzimmer einnahmen, blieb die Wohnzimmertar an  manchen
Abenden  geschlossen,  aber  Gregor   verzichtete  ganz   leicht   auf   das
affnen der Tar, hatte er doch schon  manche Abende,  an  denen
sie  geaffnet  war,  nicht   ausgenatzt,  sondern   war,  ohne
daß  es  die  Familie  merkte, im  dunkelsten  Winkel  seines  Zimmers
gelegen. Einmal aber hatte die Bedienerin die Tar zum  Wohnzimmer ein
wenig offen gelassen; und sie blieb so  offen,  auch als die Zimmerherren am
Abend eintraten und Licht gemacht wurde. Sie setzten sich oben an den Tisch,
wo in  fraheren  Zeiten  der Vater, die  Mutter  und  Gregor gegessen
hatten, entfalteten die Servietten und  nahmen Messer und Gabel in die Hand.
Sofort  erschien in der  Tar  die  Mutter  mit einer  Schassel
Fleisch  und  knapp  hinter  ihr  die  Schwester  mit  einer Schassel
hochgeschichteter  Kartoffeln. Das  Essen  dampfte  mit starkem  Rauch.  Die
Zimmerherren   beugten  sich   aber   die   vor   sie   hingestellten
Schasseln, als wollten  sie  sie  vor  dem  Essen prafen,  und
tatsachlich zerschnitt  der, welcher in  der Mitte  saß und den
anderen zwei als Autoritat zu gelten schien, ein Stack Fleisch
noch auf der  Schassel, offenbar um festzustellen, ob es marbe
genug sei und ob es nicht  etwa  in die Kache  zurackgeschickt
werden  solle. Er war  befriedigt,  und Mutter  und Schwester, die  gespannt
zugesehen hatten, begannen aufatmend zu lacheln.
     Die Familie  selbst  aß  in der  Kache. Trotzdem  kam  der
Vater, ehe  er in die Kache ging, in  dieses Zimmer herein und machte
mit einer einzigen Verbeugung, die Kappe in der Hand, einen Rundgang  um den
Tisch. Die Zimmerherren erhoben sich samtlich und murmelten etwas  in
ihre  Barte.  Als sie dann allein waren, aßen  sie  fast  unter
vollkommenem Stillschweigen.  Sonderbar schien es Gregor, daß  man aus
allen mannigfachen Gerauschen  des Essens  immer wieder ihre kauenden
Zahne herausharte, als ob  damit Gregor gezeigt werden sollte,
daß man Zahne brauche, um zu essen, und daß man  auch mit
den schansten zahnlosen Kiefern nichts  ausrichten kanne. "Ich
habe ja Appetit", sagte sich Gregor sorgenvoll, "aber nicht auf diese Dinge.
Wie sich diese Zimmerherren nahren, und ich komme um!"
     Gerade an diesem  Abend -- Gregor  erinnerte sich nicht, wahrend
der ganzen Zeit die Violine gehart zu haben -- ertante sie von
der Kache her. Die  Zimmerherren  hatten schon ihr Nachtmahl beendet,
der mittlere hatte eine Zeitung hervorgezogen, den zwei anderen je ein Blatt
gegeben, und  nun  lasen  sie  zurackgelehnt  und rauchten.  Als  die
Violine  zu spielen begann,  wurden  sie aufmerksam, erhoben sich und gingen
auf   den   Fußspitzen   zur    Vorzimmertar,   in   der    sie
aneinandergedrangt   stehenblieben.  Man  mußte   sie  von  der
Kache aus  gehart haben, denn der Vater rief: "Ist den  Herren
das  Spiel  vielleicht unangenehm? Es kann sofort  eingestellt  werden." "Im
Gegenteil",   sagte   der    mittlere   der   Herren,   "machte   das
Fraulein nicht zu uns hereinkommen und hier im Zimmer  spielen, wo es
doch viel bequemer und gematlicher  ist?"  "O bitte", rief der Vater,
als sei er der Violinspieler. Die Herren traten ins Zimmer zurack und
warteten. Bald kam der Vater mit dem Notenpult, die Mutter mit den Noten und
die  Schwester  mit  der  Violine. Die  Schwester bereitete  alles ruhig zum
Spiele vor, die Eltern die niemals fraher Zimmer vermietet hatten und
deshalb  die Haflichkeit gegen die  Zimmerherren  abertrieben,
wagten gar  nicht, sich auf ihre  eigenen Sessel zu setzen; der Vater lehnte
an  der   Tar,  die  rechte  Hand  zwischen  zwei  Knapfe  des
geschlossenen Livreerockes gesteckt; die Mutter aber erhielt von einem Herrn
einen  Sessel angeboten  und  saß, da  sie den Sessel dort ließ,
wohin ihn der Herr zufallig gestellt hatte, abseits in einem Winkel.
     Die Schwester begann zu spielen; Vater und Mutter verfolgten, jeder von
seiner  Seite, aufmerksam die  Bewegungen ihrer  Hande. Gregor hatte,
von dem Spiele angezogen, sich ein wenig weiter vorgewagt und war schon  mit
dem Kopf  im Wohnzimmer. Er wunderte sich  kaum daraber, daß er
in letzter Zeit so wenig Racksicht auf die andern nahm; fraher
war diese Racksichtnahme sein Stolz  gewesen. Und  dabei hatte
er  gerade jetzt mehr  Grund  gehabt,  sich zu verstecken, denn  infolge des
Staubes,  der  in  seinem  Zimmer aberall lag  und bei der  kleinsten
Bewegung umherflog,  war  auch  er  ganz  staubbedeckt; Faden, Haare,
Speiseaberreste schleppte  er  auf  seinem Racken und  an  den
Seiten mit sich herum; seine Gleichgaltigkeit gegen alles war viel zu
groß, als daß er sich, wie fraher mehrmals wahrend
des  Tages,  auf   den  Racken  gelegt  und  am   Teppich  gescheuert
hatte.  Und  trotz  dieses  Zustandes  hatte  er  keine  Scheu,   ein
Stack    auf   dem   makellosen   Fußboden   des    Wohnzimmers
vorzuracken.
     Allerdings   achtete   auch   niemand   auf   ihn.   Die   Familie  war
ganzlich  vom  Violinspiel  in  Anspruch  genommen;  die Zimmerherren
dagegen, die zunachst,  die Hande in den Hosentaschen, viel zu
nahe  hinter  dem  Notenpult  der  Schwester  sich  aufgestellt  hatten,  so
daß sie  alle  in  die  Noten  hatten sehen kannen,  was
sicher  die  Schwester  staren  mußte,  zogen sich  bald  unter
halblauten   Gesprachen   mit  gesenkten  Kapfen  zum  Fenster
zurack, wo sie,  vom Vater besorgt beobachtet, auch blieben. Es hatte
nun wirklich den  aberdeutlichen  Anschein,  als waren sie  in
ihrer  Annahme,  ein   schanes  oder  unterhaltendes  Violinspiel  zu
haren, enttauscht, hatten die ganze Vorfahrung satt und
ließen   sich   nur   aus  Haflichkeit  noch  in   ihrer   Ruhe
staren. Besonders die  Art, wie sie alle aus Nase und Mund den  Rauch
ihrer  Zigarren  in die  Hahe  bliesen,  ließ  auf  große
Nervositat  schließen.   Und  doch  spielte  die  Schwester  so
schan. Ihr Gesicht war zur Seite geneigt, prafend und  traurig
folgten  ihre Blicke den  Notenzeilen. Gregor kroch  noch  ein  Stack
vorwarts   und    hielt    den    Kopf   eng   an   den   Boden,   um
maglicherweise ihren Blicken  begegnen  zu kannen. War er  ein
Tier, da ihn  Musik so ergriff? Ihm war,  als zeige sich  ihm der Weg zu der
ersehnten  unbekannten  Nahrung.  Er  war  entschlossen,  bis  zur Schwester
vorzudringen, sie  am  Rock  zu  zupfen  und  ihr  dadurch  anzudeuten,  sie
mage  doch  mit  ihrer  Violine  in sein Zimmer kommen,  denn niemand
lohnte hier das Spiel so, wie er es lohnen wollte.  Er wollte sie nicht mehr
aus  seinem  Zimmer  lassen,  wenigstens  nicht,  solange  er  lebte;  seine
Schreckgestalt  sollte ihm zum erstenmal  natzlich werden;  an  allen
Taren seines  Zimmers  wollte er gleichzeitig sein und den Angreifern
entgegenfauchen;  die  Schwester  aber   sollte  nicht  gezwungen,   sondern
freiwillig bei ihm bleiben; sie sollte neben ihm auf dem Kanapee sitzen, das
Ohr  zu ihm herunterneigen, und er wollte ihr dann anvertrauen, daß er
die feste Absicht gehabt  habe, sie auf das Konservatorium zu schicken,  und
daß  er  dies,  wenn  nicht  das  Unglack  dazwischen  gekommen
ware,  vergangene Weihnachten --  Weihnachten  war  doch  wohl  schon
voraber?  --  allen  gesagt hatte,  ohne sich  um irgendwelche
Widerreden zu kammern. Nach dieser  Erklarung warde die
Schwester  in  Tranen  der  Rahrung   ausbrechen,  und  Gregor
warde sich bis zu  ihrer Achsel erheben und ihren Hals kassen,
den  sie, seitdem sie ins  Geschaft ging, frei  ohne Band oder Kragen
trug.
     "Herr Samsa!" rief der mittlere Herr dem  Vater zu und zeigte, ohne ein
weiteres  Wort  zu  verlieren,  mit dem Zeigefinger  auf  den  langsam  sich
vorwartsbewegenden  Gregor.  Die  Violine  verstummte,  der  mittlere
Zimmerherr lachelte erst einmal kopfschattelnd seinen Freunden
zu und  sah  dann  wieder  auf Gregor  hin. Der Vater  schien es  far
natiger   zu  halten,  statt   Gregor   zu  vertreiben,  vorerst  die
Zimmerherren zu beruhigen,  trotzdem  diese gar nicht  aufgeregt  waren  und
Gregor sie mehr als das Violinspiel zu unterhalten schien. Er eilte zu ihnen
und suchte sie mit ausgebreiteten Armen in ihr Zimmer zu  drangen und
gleichzeitig  mit  seinem  Karper ihnen  den Ausblick auf  Gregor  zu
nehmen.  Sie  wurden  nun  tatsachlich  ein  wenig  base,  man
wußte  nicht  mehr,  ob  aber  das  Benehmen  des  Vaters  oder
aber die ihnen jetzt aufgehende Erkenntnis, ohne es zu wissen,  einen
solchen Zimmernachbar wie Gregor besessen zu haben. Sie verlangten vom Vater
Erklarungen, hoben ihrerseits  die Arme,  zupften  unruhig  an  ihren
Barten  und  wichen  nur  langsam  gegen  ihr  Zimmer  zurack.
Inzwischen  hatte die  Schwester  die  Verlorenheit,  in die  sie  nach  dem
platzlich abgebrochenen Spiel verfallen war, aberwunden, hatte
sich,  nachdem  sie  eine  Zeitlang  in  den lassig  hangenden
Handen Violine und Bogen gehalten und weiter, als spiele sie noch, in
die Noten gesehen hatte, mit einem Male aufgerafft, hatte das Instrument auf
den  Schoß  der  Mutter  gelegt, die  in  Atembeschwerden  mit  heftig
arbeitenden  Lungen  noch  auf  ihrem  Sessel  saß,  und  war  in  das
Nebenzimmer gelaufen, dem sich die Zimmerherren unter dem Drangen des
Vaters   schon   schneller   naherten.   Man   sah,  wie   unter  den
geabten Handen  der  Schwester die Decken und  Polster in  den
Betten in  die Hahe flogen und sich ordneten. Noch ehe die Herren das
Zimmer  erreicht   hatten,   war  sie   mit   dem   Aufbetten   fertig   und
schlapfte  heraus.  Der Vater  schien  wieder  von  seinem  Eigensinn
derartig ergriffen, daß er jeden Respekt vergaß,  den er  seinen
Mietern immerhin schuldete.  Er  drangte nur und  drangte, bis
schon in der Tar des Zimmers der mittlere der Herren donnernd mit dem
Fuß  aufstampfte  und dadurch  den  Vater  zum  Stehen  brachte.  "Ich
erklare  hiermit", sagte er, hob die Hand und suchte  mit den Blicken
auch die Mutter und  die Schwester, "daß ich mit Racksicht  auf
die    in    dieser   Wohnung    und   Familie   herrschenden    widerlichen
Verhaltnisse"  -- hierbei spie er kurz entschlossen auf den Boden  --
"mein Zimmer augenblicklich kandige. Ich werde natarlich  auch
far  die  Tage,  die  ich  hier  gewohnt  habe, nicht  das  geringste
bezahlen, dagegen werde ich es mir  noch aberlegen, ob ich  nicht mit
irgendwelchen  --  glauben Sie  mir  --  sehr  leicht zu begrandenden
Forderungen  gegen  Sie auftreten werde." Er schwieg und sah gerade vor sich
hin,  als  erwarte  er  etwas.  Tatsachlich  fielen sofort seine zwei
Freunde  mit  den  Worten ein: "Auch  wir  kandigen  augenblicklich."
Darauf faßte er die Tarklinke und  schloß mit einem Krach
die Tar.
     Das  Vater  wankte  mit  tastenden Handen  zu seinem Sessel  und
ließ  sich in  ihn fallen;  es sah aus, als strecke er  sich zu seinem
gewahnlichen Abendschlafchen,  aber  das starke  Nicken seines
wie haltlosen Kopfes zeigte, daß er ganz und gar nicht schlief. Gregor
war die ganze Zeit still auf dem Platz gelegen, auf dem ihn die Zimmerherren
ertappt  hatten.  Die Enttauschung  aber  das  Mißlingen
seines Planes, vielleicht aber  auch die durch das viele Hungern verursachte
Schwache  machten  es  ihm  unmaglich,  sich  zu  bewegen.  Er
farchtete  mit  einer  gewissen  Bestimmtheit  schon  far  den
nachsten   Augenblick   einen   allgemeinen   aber  ihn   sich
entladenden  Zusammensturz und  wartete. Nicht einmal  die Violine schreckte
ihn auf, die,  unter  den  zitternden  Fingern  der  Mutter hervor, ihr  vom
Schoße fiel und einen hallenden Ton von sich gab.
     "Liebe Eltern",  sagte die Schwester und  schlug zur Einleitung mit der
Hand auf den Tisch,  "so geht es nicht weiter. Wenn ihr das vielleicht nicht
einsehen, ich sehe es ein. Ich will vor diesem Untier nicht den Namen meines
Bruders aussprechen, und sage daher bloß: wir massen versuchen,
es  loszuwerden.  Wir  haben  das  Menschenmagliche  versucht, es  zu
pflegen  und  zu dulden,  ich  glaube,  es kann  uns niemand  den geringsten
Vorwurf machen."
     "Sie  hat tausendmal  recht",  sagte  der  Vater  far sich.  Die
Mutter,  die  noch  immer  nicht  genug  Atem  finden  konnte,  fing in  die
vorgehaltene  Hand mit einem irrsinnigen Ausdruck der Augen  dumpf zu husten
an.
     Die  Schwester  eilte zur Mutter und  hielt ihr  die Stirn.  Der  Vater
schien  durch die Worte der  Schwester auf bestimmtere Gedanken gebracht  zu
sein,  hatte sich aufrecht  gesetzt, spielte mit  seiner  Dienermatze
zwischen den Tellern, die  noch  vom  Nachtmahl der Zimmerherren her auf dem
Tische lagen, und sah bisweilen auf den stillen Gregor hin.
     "Wir massen es loszuwerden versuchen", sagte  die Schwester  nun
ausschließlich zum Vater, denn die Mutter harte in ihrem Husten
nichts, "es bringt euch noch beide um, ich sehe es kommen. Wenn man schon so
schwer arbeiten muß, wie wir alle, kann man  nicht noch zu Hause diese
ewige Qualerei ertragen. Ich kann  es auch nicht mehr." Und sie brach
so heftig in Weinen  aus,  daß ihre Tranen auf das  Gesicht der
Mutter  niederflossen,  von dem  sie  sie  mit  mechanischen  Handbewegungen
wischte.
     "Kind",    sagte    der   Vater   mitleidig   und   mit    auffallendem
Verstandnis, "was sollen wir aber tun?"
     Die Schwester zuckte nur die Achseln zum Zeichen  der Ratlosigkeit, die
sie nun  wahrend  des Weinens im  Gegensatz zu  ihrer fraheren
Sicherheit ergriffen hatte.
     "Wenn  er uns  verstande",  sagte  der  Vater halb  fragend; die
Schwester  schattelte  aus  dem Weinen  heraus  heftig  die Hand  zum
Zeichen, daß daran nicht zu denken sei.
     "Wenn er  uns verstande", wiederholte  der Vater und  nahm durch
Schließen der  Augen  die aberzeugung  der  Schwester  von  der
Unmaglichkeit  dessen in  sich auf, "dann ware vielleicht  ein
abereinkommen mit ihm maglich. Aber so-"
     "Weg muß er", rief  die Schwester, "das  ist  das einzige Mittel,
Vater. Du mußt bloß den  Gedanken loszuwerden  suchen, daß
es  Gregor ist.  Daß wir  es solange  geglaubt  haben,  ist  ja  unser
eigentliches  Unglack.  Aber  wie kann  es denn  Gregor sein? Wenn es
Gregor ware, er hatte  langst eingesehen, daß ein
Zusammenleben von Menschen mit einem solchen Tier nicht  maglich ist,
und  ware freiwillig  fortgegangen.  Wir  hatten  dann  keinen
Bruder, aber kannten weiter leben und  sein Andenken in Ehren halten.
So aber verfolgt uns dieses Tier,  vertreibt die Zimmerherren, will offenbar
die ganze Wohnung einnehmen und uns auf der Gasse abernachten lassen.
Sieh  nur, Vater",  schrie sie platzlich auf, "er  fangt schon
wieder    an!"   Und    in    einem   far    Gregor   ganzlich
unverstandlichen  Schrecken  verließ  die  Schwester  sogar die
Mutter, stieß sich farmlich von ihrem Sessel ab, als wollte sie
lieber die  Mutter  opfern,  als  in Gregors Nahe  bleiben, und eilte
hinter  den Vater,  der, lediglich durch ihr  Benehmen erregt, auch aufstand
und die Arme wie zum Schutze der Schwester vor ihr halb erhob.
     Aber Gregor fiel es doch gar  nicht ein, irgend jemandem und gar seiner
Schwester  Angst  machen zu  wollen. Er  hatte bloß  angefangen,  sich
umzudrehen, um in  sein  Zimmer  zurackzuwandern,  und das  nahm sich
allerdings auffallend aus, da er infolge seines leidenden  Zustandes bei den
schwierigen  Umdrehungen  mit seinem  Kopfe  nachhelfen  mußte, den er
hierbei  viele Male hob und  gegen den Boden schlug. Er  hielt inne und  sah
sich  um. Seine gute Absicht schien  erkannt worden zu sein; es war nur  ein
augenblicklicher  Schrecken gewesen.  Nun  sahen  ihn  alle  schweigend  und
traurig    an.   Die    Mutter    lag,    die   Beine    ausgestreckt    und
aneinandergedrackt,  in  ihrem  Sessel,  die  Augen  fielen  ihr  vor
Ermattung  fast zu;  der Vater und die Schwester  saßen nebeneinander,
die Schwester hatte ihre Hand um des Vaters Hals gelegt.
     "Nun darf ich mich schon vielleicht umdrehen", dachte Gregor und begann
seine   Arbeit  wieder.  Er  konnte  das  Schnaufen  der  Anstrengung  nicht
unterdracken  und   mußte   auch  hie  und   da  ausruhen.   Im
abrigen drangte ihn  auch  niemand,  es war  alles  ihm selbst
aberlassen.  Als er die Umdrehung vollendet hatte, fing er sofort an,
geradeaus  zurackzuwandern.  Er staunte  aber  die große
Entfernung, die ihn von seinem Zimmer trennte, und begriff gar nicht, wie er
bei seiner Schwache vor kurzer Zeit den gleichen Weg, fast ohne es zu
merken,  zurackgelegt  hatte.  Immerfort  nur  auf  rasches  Kriechen
bedacht,  achtete  er  kaum darauf, daß kein Wort, kein  Ausruf seiner
Familie ihn starte. Erst als  er schon in der Tar war, wendete
er den Kopf, nicht vollstandig, denn er  fahlte den Hals steif
werden,  immerhin  sah   er   noch,   daß   sich   hinter  ihm  nichts
verandert hatte,  nur  die Schwester  war aufgestanden.  Sein letzter
Blick streifte die Mutter, die nun vallig eingeschlafen war. Kaum war
er innerhalb seines Zimmers, wurde die Tar eiligst zugedrackt,
festgeriegelt und versperrt. aber  den platzlichen Larm
hinter  sich erschrak Gregor so, daß ihm  die Beinchen einknickten. Es
war die  Schwester, die  sich so  beeilt hatte.  Aufrecht war  sie schon  da
gestanden   und  hatte   gewartet,  leichtfaßig  war  sie  dann
vorwartsgesprungen, Gregor hatte sie gar  nicht kommen  haren,
und  ein  "Endlich!"  rief  sie  den  Eltern   zu,  wahrend  sie  den
Schlassel im Schloß  umdrehte.  "Und jetzt?" fragte sich Gregor
und sah sich im Dunkeln um. Er machte bald die Entdeckung, daß er sich
nun  aberhaupt  nicht  mehr rahren konnte.  Er  wunderte  sich
daraber nicht,  eher  kam es ihm unnatarlich vor, daß er
sich  bis jetzt tatsachlich mit diesen  dannen Beinchen  hatte
fortbewegen   kannen.   Im   abrigen   fahlte  er  sich
verhaltnismaßig behaglich.  Er  hatte  zwar Schmerzen im
ganzen   Leib,  aber  ihm  war,  als   warden  sie  allmahlich
schwacher  und  schwacher  und warden schließlich
ganz  vergehen.  Den  verfaulten  Apfel  in  seinem  Racken  und  die
entzandete  Umgebung,  die  ganz  von  weichem Staub  bedeckt  waren,
sparte er schon kaum. An  seine Familie  dachte er mit Rahrung
und  Liebe   zurack.  Seine  Meinung   daraber,  daß  er
verschwinden masse,  war  womaglich noch entschiedener als die
seiner Schwester. In diesem Zustand leeren und friedlichen Nachdenkens blieb
er,  bis  die  Turmuhr  die  dritte  Morgenstunde  schlug.  Den  Anfang  des
allgemeinen Hellerwerdens draußen  vor dem  Fenster  erlebte  er noch.
Dann  sank sein Kopf  ohne  seinen  Willen ganzlich  nieder,  und aus
seinen Nastern stramte sein letzter Atem schwach hervor.
     Als am frahen Morgen die Bedienerin kam -- vor  lauter Kraft und
Eile schlug sie, wie oft man sie auch schon gebeten hatte, das zu vermeiden,
alle  Taren derartig  zu,  daß in der ganzen  Wohnung von ihrem
Kommen an kein ruhiger Schlaf mehr maglich war --, fand sie bei ihrem
gewahnlichen  kurzen Besuch  an Gregor  zuerst nichts Besonderes. Sie
dachte, er  liege absichtlich  so unbeweglich da und spiele den Beleidigten;
sie traute ihm allen  maglichen Verstand zu. Weil sie zufallig
den langen Besen  in  der  Hand  hielt,  suchte sie  mit  ihm Gregor von der
Tar aus  zu kitzeln.  Als sich auch da kein  Erfolg zeigte, wurde sie
argerlich  und  stieß ein wenig  in Gregor hinein, und erst als
sie  ihn ohne jeden Widerstand von seinem Platze geschoben hatte,  wurde sie
aufmerksam.  Als  sie  bald  den wahren  Sachverhalt  erkannte,  machte  sie
große Augen, pfiff  vor sich hin,  hielt  sich aber  nicht  lange auf,
sondern riß die Tar des Schlafzimmers  auf und  rief mit lauter
Stimme in das  Dunkel hinein: "Sehen Sie  nur  mal an,  es ist  krepiert; da
liegt es, ganz und gar krepiert!"
     Das  Ehepaar Samsa saß im Ehebett aufrecht  da und  hatte zu tun,
den Schrecken aber die Bedienerin zu verwinden, ehe es dazu kam, ihre
Meldung aufzulassen. Dann aber stiegen Herr und Frau Samsa, jeder auf seiner
Seite,  eiligst aus dem  Bett, Herr Samsa  warf die Decke aber  seine
Schultern, Frau Samsa  kam nur im Nachthemd hervor; so traten sie in Gregors
Zimmer.  Inzwischen  hatte  sich   auch  die   Tar  des   Wohnzimmers
geaffnet, in dem Grete seit dem Einzug  der Zimmerherren schlief; sie
war vallig angezogen, als hatte sie gar nicht geschlafen, auch
ihr bleiches Gesicht schien das zu beweisen. "Tot?" sagte Frau Samsa und sah
fragend zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch alles selbst prafen und
sogar ohne Prafung erkennen konnte. "Das  will ich meinen", sagte die
Bedienerin und stieß  zum Beweis Gregors Leiche mit dem Besen noch ein
großes Stack seitwarts. Frau Samsa machte eine Bewegung,
als wolle sie den Besen zurackhalten, tat es aber nicht. "Nun", sagte
Herr  Samsa, "jetzt kannen wir  Gott danken."  Er bekreuzte sich, und
die drei Frauen folgten seinem Beispiel. Grete, die kein Auge von der Leiche
wendete, sagte: "Seht nur, wie mager  er war. Er  hat ja auch schon so lange
Zeit  nichts  gegessen.  So  wie  die  Speisen  hereinkamen, sind sie wieder
hinausgekommen."     Tatsachlich     war    Gregors     Karper
vollstandig  flach und  trocken, man  erkannte  das  eigentlich  erst
jetzt,  da er nicht  mehr von den Beinchen gehoben war und auch sonst nichts
den Blick ablenkte.
     "Komm, Grete, auf ein Weilchen zu  uns  herein",  sagte  Frau Samsa mit
einem wehmatigen Lacheln,  und Grete ging, nicht ohne nach der
Leiche  zurackzusehen,  hinter den Eltern  in  das Schlafzimmer.  Die
Bedienerin schloß  die Tar und  affnete  ganzlich
das Fenster.  Trotz  des frahen Morgens war der frischen  Luft  schon
etwas Lauigkeit beigemischt. Es war eben schon Ende Marz.
     Aus  ihrem Zimmer traten die drei Zimmerherren und  sahen sich erstaunt
nach ihrem Frahstack um;  man hatte sie vergessen. "Wo ist das
Frahstack?" fragte der mittlere der Herren marrisch die
Bedienerin. Diese aber legte  den Finger an  den Mund und winkte dann hastig
und schweigend den  Herren  zu, sie machten in Gregors Zimmer kommen.
Sie kamen auch und standen dann, die Hande in den Taschen ihrer etwas
abgenatzten Rackchen, in  dem nun schon  ganz hellen Zimmer um
Gregors Leiche herum.
     Da affnete sich die Tar des Schlafzimmers, und Herr Samsa
erschien  in  seiner  Livree,  an einem  Arm  seine Frau,  am anderen  seine
Tochter. Alle waren  ein wenig verweint; Grete drackte  bisweilen ihr
Gesicht an den Arm des Vaters.
     "Verlassen  Sie sofort meine Wohnung!"  sagte Herr Samsa und zeigte auf
die Tar, ohne die Frauen  von sich zu lassen. "Wie  meinen  Sie das?"
sagte  der mittlere  der Herren  etwas bestarzt  und  lachelte
saßlich. Die  zwei anderen  hielten  die Hande  auf  dem
Racken  und  rieben sie ununterbrochen aneinander,  wie  in freudiger
Erwartung   eines   großen   Streites,   der   aber   far   sie
ganstig ausfallen  mußte. "Ich meine  es genau so,  wie ich  es
sage",  antwortete  Herr  Samsa und  ging  in  einer Linie  mit seinen  zwei
Begleiterinnen auf den Zimmerherrn zu. Dieser stand zuerst  still da und sah
zu  Boden,  als ob  sich  die Dinge  in seinem Kopf  zu einer neuen  Ordnung
zusammenstellten. "Dann gehen  wir  also", sagte er  dann  und  sah zu Herrn
Samsa    auf,    als   verlange   er    in   einer    platzlich   ihn
aberkommenden Demut sogar far diesen Entschluß eine neue
Genehmigung. Herr Samsa nickte ihm bloß mehrmals kurz mit großen
Augen  zu. Daraufhin  ging  der Herr  tatsachlich sofort  mit  langen
Schritten ins Vorzimmer; seine beiden Freunde hatten schon ein Weilchen lang
mit  ganz ruhigen  Handen  aufgehorcht und  hapften  ihm jetzt
geradezu  nach,  wie  in  Angst, Herr  Samsa  kannte  vor  ihnen  ins
Vorzimmer   eintreten   und   die   Verbindung   mit   ihrem   Fahrer
staren.   Im   Vorzimmer   nahmen   alle  drei  die  Hate  vom
Kleiderrechen,  zogen   ihre  Stacke  aus  dem  Stockbehalter,
verbeugten sich stumm  und verließen die  Wohnung. In  einem, wie sich
zeigte, ganzlich unbegrandeten Mißtrauen trat Herr Samsa
mit den zwei Frauen auf den Vorplatz hinaus; an das Gelander gelehnt,
sahen sie  zu,  wie  die drei Herren zwar  langsam, aber standig  die
lange Treppe hinunterstiegen, in jedem Stockwerk in einer bestimmten Biegung
des  Treppenhauses  verschwanden  und  nach  ein  paar  Augenblicken  wieder
hervorkamen; je  tiefer sie  gelangten, desto mehr verlor sich das Interesse
der  Familie  Samsa far  sie,  und als ihnen  entgegen und dann  hoch
aber sie hinweg ein Fleischergeselle mit  der Trage auf  dem Kopf  in
stolzer Haltung heraufstieg,  verließ bald  Herr Samsa  mit den Frauen
das Gelander, und  alle kehrten, wie  erleichtert,  in  ihre  Wohnung
zurack.
     Sie  beschlossen, den heutigen Tag zum  Ausruhen und  Spazierengehen zu
verwenden; sie  hatten diese Arbeitsunterbrechung nicht  nur  verdient,  sie
brauchten  sie sogar unbedingt.  Und  so  setzten  sie  sich zum  Tisch  und
schrieben  drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa  an  seine Direktion, Frau
Samsa an ihren Auftraggeber und Grete an ihren Prinzipal. Wahrend des
Schreibens kam  die Bedienerin herein, um zu sagen,  daß sie fortgehe,
denn ihre Morgenarbeit  war  beendet. Die drei  Schreibenden  nickten zuerst
bloß, ohne aufzuschauen, erst als die Bedienerin sich immer noch nicht
entfernen  wollte, sah  man argerlich auf. "Nun?" fragte  Herr Samsa.
Die Bedienerin stand  lachelnd in  der  Tar, als habe  sie der
Familie ein großes Glack zu melden, werde es aber nur dann tun,
wenn  sie  grandlich  ausgefragt werde.  Die  fast  aufrechte  kleine
Straußfeder  auf ihrem Hut,  aber  die sich  Herr  Samsa  schon
wahrend ihrer ganzen Dienstzeit argerte, schwankte leicht nach
allen Richtungen.  "Also was wollen Sie eigentlich?" fragte  Frau Samsa, vor
welcher die  Bedienerin noch am  meisten Respekt hatte. "Ja", antwortete die
Bedienerin  und konnte vor  freundlichem  Lachen  nicht gleich  weiterreden,
"also  daraber,  wie das Zeug  von  nebenan weggeschafft werden soll,
massen Sie sich keine Sorgen machen.  Es ist  schon in Ordnung." Frau
Samsa  und  Grete beugten sich  zu  ihren Briefen  nieder,  als  wollten sie
weiterschreiben; Herr Samsa,  welcher merkte, daß  die Bedienerin  nun
alles  ausfahrlich zu  beschreiben anfangen wollte,  wehrte dies  mit
ausgestreckter  Hand  entschieden  ab.  Da  sie  aber  nicht erzahlen
durfte,  erinnerte sie  sich an die große Eile, die  sie  hatte,  rief
offenbar  beleidigt: "Adjes allseits", drehte sich wild um und verließ
unter farchterlichem Tarezuschlagen die Wohnung.
     "Abends wird  sie  entlassen", sagte Herr Samsa, bekam aber  weder  von
seiner Frau noch von seiner Tochter eine Antwort, denn die Bedienerin schien
ihre kaum gewonnene Ruhe wieder  gestart zu haben. Sie erhoben  sich,
gingen  zum  Fenster und blieben dort, sich  umschlungen haltend. Herr Samsa
drehte sich in seinem  Sessel nach  ihnen um und  beobachtete  sie still ein
Weilchen.  Dann rief er: "Also kommt  doch her. Laßt schon endlich die
alten Sachen. Und nehmt  auch ein  wenig Racksicht  auf mich." Gleich
folgten  ihm die  Frauen, eilten zu  ihm, liebkosten ihn und beendeten rasch
ihre Briefe.
     Dann verließen alle drei  gemeinschaftlich  die Wohnung,  was sie
schon seit  Monaten  nicht getan hatten, und fuhren mit der Elektrischen ins
Freie vor die Stadt. Der Wagen, in dem sie allein saßen, war ganz  von
warmer  Sonne  durchschienen.   Sie  besprachen,  bequem  auf  ihren  Sitzen
zurackgelehnt,  die Aussichten far  die Zukunft,  und es  fand
sich, daß diese bei naherer Betrachtung durchaus nicht schlecht
waren, denn  aller  drei  Anstellungen  waren,  woraber sie  einander
eigentlich noch gar  nicht ausgefragt hatten, aberaus  ganstig
und    besonders    far    spater     vielversprechend.    Die
graßte augenblickliche  Besserung  der  Lage  mußte  sich
natarlich leicht durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie wollten nun
eine kleinere  und billigere,  aber  besser  gelegene  und  aberhaupt
praktischere Wohnung nehmen, als es die jetzige, noch von Gregor ausgesuchte
war.  Wahrend  sie sich so unterhielten, fiel es Herrn und Frau Samsa
im  Anblick ihrer immer lebhafter werdenden Tochter  fast gleichzeitig  ein,
wie  sie  in der  letzten  Zeit trotz  aller  Plage, die ihre Wangen  bleich
gemacht hatte, zu  einem  schanen und  appigen  Madchen
aufgeblaht war. Stiller werdend und fast  unbewußt durch Blicke
sich  verstandigend,  dachten sie  daran, daß  es nun Zeit sein
werde, auch einen braven Mann far sie zu suchen. Und es war ihnen wie
eine Bestatigung ihrer neuen  traume  und guten Absichten, als
am Ziele ihrer  Fahrt  die  Tochter als erste  sich  erhob und  ihren jungen
Karper dehnte.


Last-modified: Sun, 23 Oct 2005 19:14:39 GMT
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