ng seines
Gewehrs geht hin und her.
"Da brauchst du uber deine Sache kein Wort mehr zu verlieren", nickt
Albert.
Ich begreife mich jetzt auch selbst nicht mehr.
"Es war nur, weil ich so lange mit ihm zusammen liegen.mußte",
sage ich. Krieg ist Krieg schließlich.
Oellrichs Gewehr knallt kurz und trocken.
10
Wir haben einen guten Posten erwischt. Mit acht Mann mussen wir ein
Dorf bewachen, das geruumt worden ist, weil es zu stark beschossen wird.
Hauptsuchlich sollen wir auf das Proviantamt achten, das noch nicht
leer ist. Verpflegung mussen wir uns aus den Bestunden selbst besorgen.
Dafur sind wir die richtigen Leute - Kat, Albert, Muller, Tjaden, Leer,
Detering, unsere ganze Gruppe ist da. Allerdings, Haie ist tot. Aber das ist
noch ein muchtiges Gluck, denn alle anderen Gruppen haben mehr Verluste als
unsere gehabt.
Als Unterstand wuhlen wir einen betonierten Keller, zu dem von
außen eine Treppe hinunterfuhrt. Der Eingang ist noch durch eine
besondere Betonmauer geschutzt.
Jetzt entfalten wir eine große Tutigkeit. Es ist wieder eine
Gelegenheit, nicht nur die Beine, sondern auch die Seele zu strecken. Und
solche Gelegenheiten nehmen wir wahr; denn unsere Lage ist zu verzweifelt,
um lange sentimental sein zu kunnen. Das ist nur muglich, solange es noch
nicht ganz schlimm ist. Uns jedoch bleibt nichts anderes, als sachlich zu
sein. So sachlich, daß mir manchmal graut, wenn einen Augenblick ein
Gedanke aus der fruheren Zeit, vor dem Kriege, sich in meinen Kopf verirrt.
Er bleibt auch nicht lange.
Wir mussen unsere Lage so leicht nehmen wie muglich. Deshalb nutzen wir
jede Gelegenheit dazu, und unmittelbar, hart, ohne ubergang steht neben dem
Grauen der Bludsinn. Wir kunnen gar nicht anders, wir sturzen uns hinein.
Auch jetzt geht es mit Feuereifer daran, ein Idyll zu schaffen, ein Idyll
des Fressens und Schlafens naturlich. Die Bude wird zunuchst einmal mit
Matratzen belegt, die wir aus den Huusern heranschleppen. Ein
Soldatenhintern sitzt gern auch mal weich. Nur in der Mitte des Raumes
bleibt der Boden frei. Dann besorgen wir uns Decken und Federbetten,
prachtvolle weiche Dinger. Von allem ist im Dorf ja genugend vorhanden.
Albert und ich finden ein zerlegbares Mahagonibett mit einem Himmel aus
blauer Seide und Spitzenuberwurf. Wir schwitzen wie die Affen beim
Transport, aber so was kann man sich doch nicht entgehen lassen, zumal es in
ein paar Tagen doch sicher zerschossen wird.
Kat und ich machen einen kleinen Patrouillengang durch die Huuser. Nach
kurzer Zeit haben wir ein Dutzend Eier und zwei Pfund ziemlich frische
Butter gefaßt. Plutzlich kracht es in einem Salon, und ein eiserner
Ofen saust durch die Wand, an uns vorbei, einen Meter neben uns wieder durch
die Wand. Zwei Lucher. Er kommt aus dem Hause gegenuber, in das eine Granate
gehauen ist. "Schwein gehabt", grinst Kat, und wir suchen weiter. Mit einem
Male spitzen wir die Ohren und machen lange Beine. Gleich darauf stehen wir
wie verzaubert: In einem kleinen Stall tummeln sich zwei lebende Ferkel. Wir
reiben uns die Augen und sehen vorsichtig wieder hin: sie sind tatsuchlich
noch immer da. Wir fassen sie an - kein Zweifel, es sind zwei wirkliche
junge Schweine.
Das gibt ein herrliches Essen. Etwa funfzig Schritt von unserm
Unterstand entfernt steht ein kleines Haus, das als Offiziersquartier
gedient hat In der Kuche befindet sich ein riesiger Herd mit zwei
Feuerrosten, Pfannen, Tupfen und Kesseln. Alles ist da, sogar eine Unmenge
kleingehacktes Holz steckt in einem Schuppen - das wahre Schlaraffenhaus.
Zwei Mann sind seit dem Morgen auf den Feldern und suchen Kartoffeln,
Mohrruben und junge Erbsen. Wir sind numlich uppig und pfeifen auf die
Konserven des Proviantamts, wir wollen frische Sachen haben. In der
Speisekammer liegen schon zwei Kupfe Blumenkohl. Die Ferkel sind
geschlachtet. Kat hat das erledigt. Zu dem Braten wollen wir Kartoffelpuffer
machen. Aber wir finden keine Reiben fur die Kartoffeln. Doch auch da ist
bald abgeholfen. In Blechdeckel schlagen wir mit Nugeln eine Menge Lucher,
und schon sind es Reiben. Drei Mann ziehen dicke Handschuhe an, um die
Finger beim Reiben zu schonen, zwei andere schulen Kartoffeln, und es geht
rasch vorwurts.
Kat betreut die Ferkel, die Mohrruben, die Erbsen und den Blumenkohl.
Zu dem Blumenkohl mischt er sogar eine weiße Soße zurecht. Ich
backe Puffer, immer vier zu gleicher Zeit. Nach zehn Minuten habe ich es
heraus, die Pfanne so zu schwenken, daß die auf der einen Seite
fertigen Puffer hochfliegen, sich in der Luft drehen und wieder aufgefangen
werden. Die Ferkel werden unzerschnitten gebraten. Alles steht um sie herum
wie um einen Altar.
Inzwischen ist Besuch gekommen, zwei Funker, die freigebig zum Essen
eingeladen werden. Sie sitzen im Wohnzimmer, wo ein Klavier steht. Einer
spielt, der andere singt: "An der Weser". Er singt es gefuhlvoll, aber
ziemlich suchsisch. Trotzdem ergreift es uns, wuhrend wir so am Herd all die
schunen Sachen vorbereiten.
Allmuhlich merken wir, daß wir Kattun kriegen. Die Fesselballons
haben den Rauch aus unserm Schornstein spitz bekommen, und wir werden mit
Feuer belegt. Es sind die verfluchten kleinen Spritzbiester, die so ein
kleines Loch machen und so weit und niedrig streuen. Immer nuher pfeift es
um uns herum, aber wir kunnen doch das Essen nicht im Stich lassen. Die
Bande schießt sich ein. Ein paar Splitter sausen oben durchs
Kuchenfenster. Wir sind bald mit dem Braten fertig. Doch das Pufferbacken
wird jetzt schwieriger. Die Einschluge kommen so dicht, daß oft und
ufter die Splitter gegen die Hauswand klatschen und durch die Fenster fegen.
Jedesmal, wenn ich ein Ding heranpfeifen hure, gehe ich mit der Pfanne und
den Puffern in die Knie und ducke mich hinter die Fenstermauer. Sofort
danach bin ich wieder hoch und backe weiter.
Die Sachsen huren auf zu spielen, ein Splitter ist ins Klavier
geflogen. Auch wir sind jetzt allmuhlich fertig und organisieren den
Ruckzug. Nach dem nuchsten Einschlag laufen zwei Mann mit den Gemusetupfen
los, die funfzig Meter bis zum Unterstand. Wir sehen sie verschwinden.
Der nuchste Schuß. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann
mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen
vor dem folgenden Einschlag den Unterstand.
Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzstuck: die große
Pfanne mit den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und
schon rasen sie uber die funfzig Meter freies Feld.
Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal muß ich
dabei auf den Boden - aber es sind schließlich vier Puffer mehr, und
es ist mein Lieblingsessen.
Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich
hinter die Haustur. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden
Hunden die Platte an die Brust gedruckt. Fast bin ich angelangt, da pfeift
es anschwellend, ich turme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer
klatschen gegen die Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine
Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren
und die Platte nicht umgekippt.
Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb
sieben trinken wir Kaffee - Offizierskaffee aus dem Proviantamt - und
rauchen Offizierszigarren und Zigaretten - ebenfalls aus dem Proviantamt.
Punkt halb sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir
die Gerippe der Ferkel vor die Tur. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls
aus dem gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit
Bauchbinden. Tjaden behauptet, daß nur eines fehle: Mudchen aus einem
Offizierspuff.
Sputabends huren wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang.
Wir locken sie heran und futtern sie. Daruber kommt auch uns wieder der
Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
Doch die Nacht ist buse. Wir haben zu fett gegessen. Frisches
Spanferkel wirkt angreifend auf die Durme. Es ist ein ewiges Kommen und
Gehen im Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen
Hosen draußen herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs.
Gegen vier Uhr nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und
Besuch, sitzen draußen.
Brennende Huuser stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern
heran und hauen ein. Munitionskolonnen rasen uber die Straße. An der
einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schwurm Bienen drungen
sich dort trotz aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir
lassen sie ruhig gewuhren. Wenn wir was sagen wurden, gube es huchstens eine
Tracht Prugel fur uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erkluren, daß
wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven
an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen.
Was macht es schon - in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Fur
uns selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat
sagt, sie sei gut fur einen allzu eiligen Bauch. -
Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln. Niemand
sturt uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir fuhren
ein gluckliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht,
ist uns alles egal, und wir wunschen bloß, hier das Ende des Krieges
zu erleben.
Tjaden ist derartig fein geworden, daß er die Zigarren nur halb
aufraucht. Er erklurt hochnusig, er sei es so gewohnt. Auch Kat ist sehr
aufgemuntert. Sein erster Ruf morgens ist: "Emil, bringen Sie Kaviar und
Kaffee." Es ist uberhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder hult den andern
fur seinen Burschen, siezt ihn und gibt ihm Auftruge. "Kropp, es juckt mich
unter dem Fuß, fangen Sie doch mal die Laus weg", damit streckt ihm
Leer sein Bein hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran
die Treppen hinauf. "Tjaden!" - "Was ?" - " Stehen Sie bequem, Tjaden,
ubrigens heißt es nicht: Was, sondern: Zu Befehl - also: Tjaden!"
Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu Gutz von Berlichingen, der
ihm nur so im Handgelenk sitzt.
Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzurucken. Die
Herrlichkeit ist aus. Zwei große Lastautos nehmen uns auf. Sie sind
hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser
Himmelbett mit dem blauseidenen uberwurf auf, mit Matratzen und zwei
Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt fur jeden ein Sack mit
besten Lebensmitteln. Wir fuhlen manchmal daruber hin, und die harten
Mettwurste, die Leberwurstbuchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen
unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.
Kropp und ich haben aber außerdem noch zwei rote Samtfauteuils
gerettet. Sie stehen im Bett, und wir rukeln uns darauf wie in einer
Theaterloge. uber uns bauscht sich die Seide des uberwurfs als Baldachin.
Jeder hat eine lange Zigarre im Mund. So schauen wir hoch von oben in die
Gegend.
Zwischen uns steht ein Papageienkufig, den wir fur die Katze gefunden
haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und
schnurrt.
Langsam rollen die Wagen uber die Straße. Wir singen. Hinter uns
spritzen die Granaten Fontunen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.
Einige Tage sputer rucken wir aus, um eine Ortschaft aufzuruumen.
Unterwegs begegnen uns die fliehenden Bewohner, die ausgewiesen sind. Sie
schleppen ihre Habseligkeiten in Karren, in Kinderwagen und auf dem Rucken
mit sich. Ihre Gestalten sind gebeugt, ihre Gesichter voll Kummer,
Verzweiflung, Hast und Ergebenheit. Die Kinder hungen an den Hunden der
Mutter, manchmal fuhrt auch ein ulteres Mudchen die Kleinen, die vorwurts
taumeln und immer wieder zurucksehen. Einige tragen armselige Puppen mit
sich. Alle schweigen, als sie an uns vorubergehen.
Noch sind wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf
beschießen, in dem Landsleute sind. Aber wenige Minuten sputer heult
die Luft, die Erde bebt, Schreie ertunen - eine Granate hat den hintersten
Zug zerschmettert. Wir spritzen auseinander und werfen uns hin, aber im
selben Moment fuhle ich, wie mir die Spannung entgleitet, die mich sonst
immer bei Feuer unbewußt das Richtige tun lußt, der Gedanke "Du
bist verloren" zuckt auf mit einer wurgenden, schrecklichen Angst - und im
nuchsten Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche uber mein linkes
Bein. Ich hure Albert schreien, er ist neben mir.
"Los, auf, Albert!" brulle ich, denn wir liegen ungeschutzt auf freiem
Felde.
Er taumelt hoch und luuft. Ich bleibe neben ihm. Wir mussen uber eine
Hecke; sie ist huher als wir. Kropp faßt in die Zweige, ich packe sein
Bein, er schreit auf, ich gebe ihm Schwung, er fliegt hinuber. Mit einem
Satz bin ich hinter ihm her und falle in einen Teich, der hinter der Hecke
liegt.
Wir haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber die Deckung
ist gut. Deshalb waten wir hinein bis zum Halse. Wenn es heult, gehen wir
mit dem Kopf unter Wasser.
Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben, wird es mir uber. Auch
Albert stuhnt: "Laß uns weg, ich falle sonst um und ersaufe."
"Wo hast du was gekriegt?" frage ich.
"Am Knie, glaube ich."
"Kannst du laufen?"
"Ich denke -"
"Dann los."
Wir gewinnen den Chausseegraben und rennen ihn gebuckt entlang. Das
Feuer folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf das Munitionsdepot.
Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder. Wir andern
deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein.
Albert wird langsamer. "Lauf zu, ich komme nach", sagt er und wirft
sich hin.
Ich reiße ihn am Arm auf und schuttele ihn. "Hoch, Albert, wenn
du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich stutze dich."
Endlich erreichen wir einen kleinen Unterstand. Kropp schmeißt
sich hin, und ich verbinde ihn. Der Schuß sitzt kurz uber dem Knie.
Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose ist blutig, ebenso der Arm. Albert
bindet mir seine Puckchen um die Lucher. Er kann sein Bein schon nicht mehr
bewegen, und wir wundern uns beide, wie wir es uberhaupt bis hierher
geschafft haben. Das hat nur die Angst gemacht; wir wurden fortgelaufen
sein, selbst wenn uns die Fuße weggeschossen wuren - dann eben auf
Stumpfen.
Ich kann noch etwas kriechen und rufe einen voruberfahrenden
Leiterwagen an, der uns mitnimmt. Er ist voller Verwundeter. Ein
Sanitutsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze in die Brust jagt -
Im Feldlazarett richten wir es so ein, daß wir nebeneinander zu
liegen kommen. Es gibt eine dunne Suppe, die wir gierig und veruchtlich
ausluffeln, weil wir zwar bessere Zeiten gewuhnt sind, aber doch Hunger
haben.
"Nun geht's in die Heimat, Albert", sage ich.
"Hoffentlich", antwortet er. "Wenn ich bloß wußte, was ich
habe."
Die Schmerzen werden sturker. Wie Feuer brennen die Verbunde. Wir
trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern.
"Wieviel uber dem Knie ist mein Schuß?" fragt Kropp.
"Mindestens zehn Zentimeter, Albert", antworte ich. In Wirklichkeit
sind es vielleicht drei.
"Das habe ich mir vorgenommen", sagt er nach einer Weile, "wenn sie mir
einen Knochen abnehmen, mache ich Schluß. Ich will nicht als Kruppel
durch die Welt laufen."
So liegen wir mit unsern Gedanken und warten.
Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und uberlege
rasch, was ich tun soll; denn es ist bekannt, daß die urzte in den
Feldlazaretten leicht amputieren. Bei dem großen Andrang ist das
einfacher als komplizierte Flickereien. Kemmerich fullt mir ein. Auf keinen
Fall werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten
den Schudel einschlagen muß.
Es geht gut. Der Arzt stochert in der Wunde herum, daß mir
schwarz vor Augen wird. "Stellen Sie sich nicht so an", schimpft er und
subelt weiter. Die Instrumente blitzen in dem hellen Licht wie busartige
Tiere. Die Schmerzen sind unertruglich. Zwei Krankenwurter halten meine Arme
fest, aber ich kriege einen los und will ihn gerade dem Arzt in die Brille
knallen, als er es merkt und wegspringt. "Chloroformiert den Kerl!" schreit
er wutend.
Da werde ich ruhig. "Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten,
aber chloroformieren Sie mich nicht."
"Na ja", kakelt er und nimmt seine Instrumente wiedervor. Er ist ein
blonder Bursche, huchstens dreißig Jahre alt, mit Schmissen und einer
widerlichen goldenen Brille. Ich merke daß er mich jetzt schikaniert,
er wuhlt nur so in der Wunde und schielt ab und zu uber seine Gluser zu mir
hin. Meine Hunde quetschen sich um die Griffe, eher verrecke ich, als
daß er einen Mucks von mir hurt.
Er hat einen Splitter herausgeangelt und wirft ihn mir zu. Scheinbar
ist er befriedigt von meinem Verhalten, denn er schient mich jetzt
sorgfultig und sagt: "Morgen geht's ab nach Hause." Dann werde ich
eingegipst. Als ich wieder mit Kropp zusammen bin, erzuhle ich ihm,
daß also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird.
"Wir mussen mit dem Sanitutsfeldwebel sprechen, damit wir beieinander
bleiben, Albert."
Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner
Zigarren mit Bauchbinden zu uberreichen. Er schnuppert daran und fragt:
"Hast du noch mehr davon?"
"Noch eine gute Handvoll", sage ich, "und mein Kamerad", ich zeige auf
Kropp, "ebenfalls. Die muchten wir Ihnen gern morgen zusammen aus dem
Fenster des Lazarettzuges uberreichen."
Er kapiert naturlich, schnuppert noch einmal und sagt: "Gemacht."
Wir kunnen keine Minute nachts schlafen. In unserm Saal sterben sieben
Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Chorule, ehe
er zu rucheln beginnt. Ein anderer ist vorher aus dem Bett ans Fenster
gekrochen. Er liegt davor, als hutte er zum letztenmal hinaussehen wollen.
Unsere Bahren stehen auf dem Bahnhof. Wir warten auf den Zug. Es
regnet, und der Bahnhof hat kein Dach. Die Decken sind dunn. Wir warten
schon zwei Stunden.
Der Feldwebel betreut uns wie eine Mutter. Obschon mir sehr schlecht
ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den Gedanken. So nebenbei lasse ich
die Puckchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschuß ab. Dafur deckt
der Feldwebel uns eine Zeltbahn uber.
"Mensch, Albert", erinnere ich mich, "unser Himmelbett und die Katze -"
"Und die Klubsessel", fugt er hinzu.
Ja, die Klubsessel aus rotem Plusch. Wir hatten wie Fursten abends
darauf gesessen und uns vorgenommen, sie sputer stundenweise abzuvermieten.
Pro Stunde eine Zigarette. Es wure ein sorgenloses Leben und ein Geschuft
geworden.
"Albert", fullt mir ein, "und unsere Freßsucke."
Wir werden schwermutig. Die Sachen hutten wir gebrauchen kunnen. Wenn
der Zug einen Tag sputer fuhre, hutte Kat uns sicher gefunden und uns den
Kram gebracht.
Ein verfluchtes Schicksal. Wir haben Mehlsuppe im Magen, dunnes
Lazarettfutter, und in unseren Sucken ist Schweinebraten als Konserve. Aber
wir sind so schwach, daß wir uns nicht weiter daruber aufregen kunnen.
Die Bahren sind klatschnaß, als der Zug morgens einluuft. Der
Feldwebel sorgt dafur, daß wir in denselben Wagen kommen. Eine Menge
Rote-Kreuz-Schwestern sind da. Kropp wird nach unten gepackt. Ich werde
angehoben und soll in das Bett uber ihm.
"Um Gottes willen", entfuhrt es mir plutzlich.
"Was ist denn?" fragt die Schwester.
Ich werfe noch einen Blick auf das Bett. Es ist mit schneeweißem
Leinen bezogen, unvorstellbar sauberem Leinen, das sogar noch die
Pluttkniffe hat. Mein Hemd dagegen ist sechs Wochen lang nicht gewaschen
worden und sehr dreckig.
"Kunnen Sie nicht allein hineinkriechen?" fragt die Schwester besorgt.
"Das schon", sagte ich schwitzend, "aber tun Sie doch erst das Bettzeug
weg."
"Warum denn?"
Ich komme mir wie ein Schwein vor. Da soll ich mich hineinlegen? - "Es
wird ja -" Ich zugere.
"Ein bißchen schmutzig?" fragt sie ermunternd. "Das schadet
nichts, dann waschen wir es eben nachher wieder."
"Nee, das nicht -", sage ich aufgeregt. Diesem Ansturm der Kultur bin
ich nicht gewachsen.
"Dafur, daß Sie draußen im Graben gelegen haben, werden wir
wohl noch ein Bettlaken waschen kunnen", fuhrt sie fort.
Ich sehe sie an, sie sieht knusprig und jung aus, blank gewaschen und
fein, wie alles hier, man begreift nicht, daß es nicht nur fur
Offiziere ist, und fuhlt sich unheimlich und sogar irgendwie bedroht.
Das Weib ist trotzdem ein Folterknecht, es zwingt mich, alles zu sagen.
"Es ist nur -", ich halte ein, sie muß doch verstehen, was ich meine.
"Was denn noch?"
"Wegen der Luuse", brulle ich schließlich heraus.
Sie lacht. "Die mussen auch mal gute Tage haben."
Nun kann es mir ja gleich sein. Ich krabbele ins Bett und decke mich
zu.
Eine Hand fingert uber die Decke. Der Feldwebel. Er zieht mit den
Zigarren ab.
Nach einer Stunde merken wir, daß wir fahren.
Nachts erwache ich. Auch Kropp ruhrt sich. Der Zug rollt leise uber die
Schienen. Es ist alles noch unbegreiflich: ein Bett, ein Zug, nach Hause.
Ich flustere: "Albert!"
"Ja -"
"Weißt du, wo hier die Latrine ist?"
"Ich glaube, druben rechts die Tur."
"Ich werde mal sehen." Es ist dunkel, ich taste nach dem Bettrand und
will vorsichtig hinuntergleiten. Aber mein Fuß findet keinen Halt, ich
gerate ins Rutschen, das Gipsbein ist keine Hilfe, und mit einem Krach liege
ich auf dem Boden.
"Verflucht", sage ich.
"Hast du dich gestoßen?" fragt Kropp.
"Das kunntest du doch wohl gehurt haben", knurre ich, "mein Schudel -"
Hinten im Wagen uffnet sich die Tur. Die Schwester kommt mit Licht und
sieht mich.
"Er ist aus dem Bett gefallen"
Sie fuhlt mir den Puls und faßt meine Stirn an. "Sie haben aber
kein Fieber."
"Nein -", gebe ich zu.
"Haben Sie denn getruumt?" fragt sie.
"So ungefuhr", weiche ich aus. Jetzt geht die Fragerei wieder los. Sie
sieht mich mit ihren blanken Augen an, sauber und wunderbar ist sie, um so
weniger kann ich ihr sagen, was ich will.
Ich werde wieder nach oben gehoben. Das kann ja gut werden. Wenn sie
fort ist, muß ich sofort wieder versuchen, hinunterzusteigen. Wure sie
eine alte Frau, so ginge es eher, ihr Bescheid zu sagen, aber sie ist ja
ganz jung, huchstens funfundzwanzig Jahre, es ist nichts zu machen, ich kann
es ihr nicht sagen.
Da kommt Albert mir zu Hilfe, er geniert sich nicht, er ist es ja auch
schließlich nicht, den die Sache angeht. Er ruft die Schwester an. Sie
dreht sich um. "Schwester, er wollte -", aber auch Albert weiß nicht
mehr, wie er sich tadellos und anstundig ausdrucken soll. Unter uns
draußen ist das mit einem einzigen Wort gesagt, aber hier, einer
solchen Dame gegenuber - Mit einem Male jedoch fullt ihm die Schulzeit ein,
und er vollendet fließend: "Er muchte mal hinaus, Schwester."
"Ach so", sagt die Schwester. "Dazu braucht er doch nicht mit seinem
Gipsverband aus dem Bett zu klettern. Was wollen Sie denn haben?" wendet sie
sich an mich.
Ich bin tudlich erschrocken uber diese neue Wendung, denn ich habe
keine Ahnung, wie man die Dinge fachmunnisch benennt. Die Schwester kommt
mir zu Hilfe. "Klein oder groß?" Diese Blamage! Ich schwitze wie ein
Affe und sage verlegen: "Na, also nur klein -"
Immerhin, wenigstens noch etwas Gluck.
Ich erhalte eine Flasche. Nach einigen Stunden bin ich nicht mehr der
einzige, und morgens haben wir uns gewuhnt und verlangen ohne Beschumung,
was wir brauchen.
Der Zug fuhrt langsam. Manchmal hult er, und die Toten werden
ausgeladen. Er hult oft.
Albert hat Fieber. Mir geht es leidlich, ich habe Schmerzen, aber
schlimmer ist es, daß wahrscheinlich unter dem Gipsverband noch Luuse
sitzen. Es juckt furchterlich, und ich kann mich nicht kratzen.
Wir schlummern durch die Tage. Die Landschaft geht still durch die
Fenster. In der dritten Nacht sind wir in Herbesthal. Ich hure von der
Schwester, daß Albert an der nuchsten Station ausgeladen werden soll,
wegen seines Fiebers. "Wie weit fuhrt der Zug?" frage ich.
"Bis Kuln."
"Albert, wirbleiben zusammen", sage ich, "paß auf." Beim nuchsten
Rundgang der Schwester halte ich die Luft an und presse den Atem in den
Kopf. Er schwillt und wird rot. Sie bleibt stehen. "Haben Sie Schmerzen?"
"Ja", stuhne ich, "mit einem Male."
Sie gibt mir ein Thermometer und geht weiter. Ich mußte nicht bei
Kat in der Lehre gewesen sein, um nicht Bescheid zu wissen. Diese
Soldatenthermometer sind nicht fur erfahrenes Militur berechnet. Es handelt
sich nur darum, das Quecksilber hochzutreiben, dann bleibt es in der dunnen
Ruhre stehen und sinkt nicht wieder.
Ich stecke das Thermometer unter den Arm, schrug nach unten, und knipse
mit dem Zeigefinger stundig dagegen. Darauf schuttele ich es nach oben.
Damit erreiche ich 37,9 Grad. Das genugt aber nicht. Ein Streichholz
vorsichtig nahe darangehalten ergibt 38,7 Grad.
Als die Schwester zuruckkommt, puste ich mich auf, atme leicht
stoßweise, glotze sie mit etwas stieren Augen an, bewege mich unruhig
und flustere: "Ich kann es nicht mehr aushalten -"
Sie notiert mich auf einem Zettel. Ich weiß genau, daß ohne
Not mein Gipsverband nicht geuffnet wird.
Albert und ich werden zusammen ausgeladen.
Wir liegen in einem katholischen Hospital, im gleichen Zimmer. Das ist
ein großes Gluck, denn die katholischen Krankenhuuser sind bekannt fur
gute Behandlung und gutes Essen. Das Lazarett ist voll belegt worden aus
unserm Zug, es sind viele schwere Fulle dabei. Wir kommen heute noch nicht
zur Untersuchung, da zu wenig Arzte da sind. Auf dem Korridor fahren
unablussig die flachen Wagen mit den Gummirudern vorbei, und immer liegt
jemand lang darauf. Eine verfluchte Lage - so langgestreckt - nur gut, wenn
man schluft.
Die Nacht ist sehr unruhig. Keiner kann schlafen. Gegen Morgen duseln
wir etwas ein. Ich erwache, als es hell wird. Die Tur steht offen, und vom
Korridor hure ich Stimmen. Auch die andern wachen auf. Einer, der schon ein
paar Tage da ist, erklurt uns die Sache: "Hier oben wird jeden Morgen auf
dem Korridor gebetet von den Schwestern. Sie nennen das Morgenandacht. Damit
ihr euren Teil abkriegt, machen sie die Turen auf."
Das ist sicher gut gemeint, aber uns tun die Knochen und die Schudel
weh.
"So ein Unsinn", sage ich, "wenn man gerade eingeschlafen ist."
"Hier oben liegen die leichteren Fulle, da machen sie es so", antwortet
er.
Alben stuhnt. Ich werde wutend und rufe: "Ruhe da draußen."
Nach einer Minute erscheint eine Schwester. Sie sieht in ihrer
weiß und schwarzen Tracht aus wie ein hubscher Kaffeewurmer. "Machen
Sie doch die Tur zu, Schwester", sagt jemand.
"Es wird gebetet, deshalb ist die Tur offen", erwidert sie.
"Wir muchten aber noch schlafen -"
"Beten ist besser als schlafen." Sie steht da und luchelt unschuldig.
"Es ist auch schon sieben Uhr."
Albert stuhnt wieder. "Tur zu!" schnauze ich.
Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen. "Es
wird doch auf fur Sie mitgebetet."
"Einerlei! Tur zu!"
Sie verschwindet und lußt die Tur offen. Die Litanei ertunt
wieder. Ich bin wild und sage: "Ich zuhle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin
nicht aufhurt, fliegt was."
"Von mir auch", erklurt ein anderer.
Ich zuhle bis funf. Dann nehme ich eine Flasche, ziele und werfe sie
durch die Tur auf den Korridor. Sie zerspringt in tausend Splitter. Das
Beten hurt auf. Ein Schwurm Schwestern erscheint und schimpft maßvoll.
"Tur zu!" schreien wir.
Sie verziehen sich. Die Kleine von vorhin ist die letzte. "Heiden",
zwitschert sie, macht aber doch die Tur zu. Wir haben gesiegt.
Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er verspricht uns
Festung und noch mehr. Nun ist ein Lazarettinspektor, genau wie ein
Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und Achselstucke
trugt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem
Rekruten fur voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon
passieren -
"Wer hat die Flasche geworfen?" fragt er.
Bevor ich uberlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand: "Ich!"
Ein Mann mit struppigem Bart richtet sich auf. Alles ist gespannt,
weshalb er sich meldet.
"Sie?"
"Jawohl. Ich war erregt daruber, daß wir unnutig geweckt wurden,
und verlor die Besinnung, so daß ich nicht wußte, was ich tat."
Er redet wie ein Buch.
"Wie heißen Sie?"
"Ersatz-Reservist Josef Hamacher."
Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig. "Weshalb hast du dich denn
bloß gemeldet? Du warst es ja gar nicht!"
Er grinst. "Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein."
Das versteht naturlich jeder. Wer einen Jagdschein hat, kann machen,
was er will.
"Ja", erzuhlt er, "ich habe einen Kopfschuß gehabt, und daraufist
mir ein Attest ausgestellt worden, daß ich zeitweise
unzurechnungsfuhig bin. Seitdem bin ich fein heraus. Man darf mich nicht
reizen. Mir passiert also nichts. Der unten wird sich schun urgern. Und
gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie
morgen wieder die Tur aufmachen, schmeißen wir wieder."
Wir sind heilfroh. Mit Josef Hamacher in der Mitte jetzt alles
riskieren.
Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen. Die Verbunde
sind verklebt. Wir brullen wie Stiere.
Es liegen acht Mann auf unserer Stube. Die schwerste Verletzung hat
Peter, ein schwarzer Krauskopf - einen komplizierten Lungenschuß.
Franz Wuchter neben ihm hat einen zerschossenen Arm, der anfangs nicht
schlimm aussieht. Aber in der dritten Nacht ruft er uns an, wir sollten
klingeln, er glaube, er blute durch.
Ich klingele kruftig. Die Nachtschwester kommt nicht. Wir haben sie
abends ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verbunde und
deshalb Schmerzen hatten. Der eine wollte das Bein so gelegt haben, der
andere so, der dritte verlangte Wasser, dem vierten sollte sie das
Kopfkissen aufschutteln; - die dicke Alte hatte buse gebrummt zuletzt und
die Turen geschlagen. Jetzt vermutet sie wohl wieder so etwas, denn sie
kommt nicht.
Wir warten. Dann sagt Franz: "Klingle noch mal."
Ich tue es. Sie lußt sich immer noch nicht sehen. Auf unserem
Flugel ist nachts nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht hat sie
gerade in andern Zimmern zu tun. "Bist du sicher, Franz, daß du
blutest?" frage ich. "Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf."
"Es ist naß. Kann keiner Licht machen?"
Auch das geht nicht. Der Schalter ist an der Tur, und niemand kann
aufstehen. Ich halte den Daumen auf der Klingel, bis er gefuhllos wird.
Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben ja sehr viel Arbeit und
sind alle uberanstrengt, schon tagsuber. Dazu das stundige Beten.
"Sollen wir Flaschen schmeißen?" fragt Josef Hamacher mit dem
Jagdschein.
"Das hurt sie noch weniger als das Klingeln."
Endlich geht die Tur auf. Muffelig erscheint die Alte. Als sie die
Geschichte bei Franz bemerkt, wird sie eilig und ruft: "Weshalb hat denn
keiner Bescheid gesagt?"
"Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner."
Er hat stark geblutet und wird verbunden. Morgens sehen wir sein
Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am
Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt ufter eine Schwester.
Manchmal sind es auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz. Sie sind
gutmutig, aber mitunter etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft
weh und sind dann so erschrocken, daß sie einem noch mehr weh tun.
Die Nonnen sind zuverlussiger. Sie wissen, wie sie anfassen mussen,
aber wir muchten gern, daß sie etwas lustiger wuren. Einige allerdings
haben Humor, sie sind großartig. Wer wurde Schwester Libertine nicht
jeden Gefallen tun, dieser wunderbaren Schwester, die im ganzen Flugel
Stimmung verbreitet, wenn sie nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind
noch mehrere da. Wir wurden fur sie durchs Feuer gehen. Man kann sich
wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von
den Nonnen. Wenn man dagegen an die Garnisonlazarette denkt, in denen man
mit angelegter Hand im Bett liegen muß, kann einem die Angst kommen.
Franz Wuchter kommt nicht wieder zu Kruften. Eines Tages wird er
abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid: "Den sehen wir
nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht."
"Was fur ein Totenzimmer?" fragt Kropp.
"Na, ins Sterbezimmer -"
"Was ist denn das?"
"Das kleine Zimmer an der Ecke des Flugels. Wer kurz vor dem Abkratzen
ist, wird dahin gebracht. Es sind zwei Betten darin. uberall heißt es
nur das Sterbezimmer."
"Aber warum machen sie das?"
"Sie haben dann nicht so viel Arbeit nachher. Es ist auch bequemer,
weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt. Vielleicht tun sie es auch,
damit keiner in den Sulen stirbt, wegen der andern. Sie kunnen ja auch
besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt."
"Aber er selber?"
Josef zuckt die Achseln. "Gewuhnlich merkt er ja nicht mehr viel
davon."
"Weiß es denn jeder?"
"Wer lunger hier ist, weiß es naturlich."
Nachmittags wird das Bett von Franz Wuchter neu belegt. Nach ein paar
Tagen holen sie auch den neuen wieder ab. Josef macht eine bezeichnende
Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen.
Manchmal sitzen Angehurige an den Betten und weinen oder sprechen leise
und verlegen. Eine alte Frau will gar nicht fort, aber sie kann die Nacht
uber ja nicht dableiben. Am andern Morgen kommt sie schon ganz fruh, aber
doch nicht fruh genug; denn als sie an das Bett geht, liegt schon jemand
anders drin. Sie muß zur Totenhalle. Die upfel, die sie noch bei sich
hat, gibt sie uns.
Auch dem kleinen Peter geht es schlechter. Seine Fiebertafel sieht buse
aus, und eines Tages steht neben seinem Bett der flache Wagen. "Wohin?"
fragt er.
"Zum Verbandssaal."
Er wird hinauf gehoben. Aber die Schwester macht den Fehler, seinen
Waffenrock vom Haken zu nehmen und ihn ebenfalls auf den Wagen zu legen,
damit sie nicht zweimal zu gehen braucht. Peter weiß sofort Bescheid
und will sich vom Wagen rollen. "Ich bleibe hier!"
Sie drucken ihn nieder. Er schreit leise mit seiner zerschossenen
Lunge: "Ich will nicht ins Sterbezimmer."
"Wir gehen ja zum Verbandssaal."
"Wozu braucht ihr dann meinen Waffenrock?" Er kann nicht mehr sprechen.
Heiser, aufgeregt, flustert er: "Hierbleiben!"
Sie antworten nicht und fahren ihn hinaus. Vor der Tur versucht er sich
aufzurichten. Sein schwarzer Krauskopf bebt, die Augen sind voll Trunen.
"Ich komme wieder! Ich komme wieder!" ruft er.
Die Tur schließt sich. Wir sind alle erregt; aber wir schweigen.
Endlich sagt Josef: "Hat schon mancher gesagt. Wenn man erst drin ist, hult
man doch nicht durch."
Ich werde operiert und kotze zwei Tage lang. Meine Knochen wollen nicht
zusammenwachsen, sagt der Schreiber des Arztes. Bei einem andern sind sie
falsch angewachsen; dem werden sie wieder gebrochen. Es ist schon ein Elend.
Unter unserm Zuwachs sind zwei junge Soldaten mit Plattfußen. Bei
der Visite entdeckt der Chefarzt sie und bleibt freudig stehen. "Das werden
wir wegkriegen", erzuhlt er, "da machen wir eine kleine Operation, und schon
haben Sie gesunde Fuße. Schreiben Sie auf, Schwester."
Als er fort ist, warnt Josef, der alles weiß: "Laßt euch ja
nicht operieren ! Das ist numlich ein wissenschaftlicher Fimmel vom Alten.
Er ist ganz wild auf jeden, den er dafur zu fassen bekommt. Er operiert euch
die Plattfuße, und ihr habt nachher tatsuchlich auch keine mehr; dafur
habt ihr Klumpfuße und mußt euer Leben lang an Stucken laufen."
"Was soll man denn da machen?" fragt der eine.
"Nein sagen! Ihr seid hier, um eure Schusse zu kurieren, nicht eure
Plattfuße! Habt ihr im Felde keine gehabt ? Na, da seht ihr! Jetzt
kunnt ihr noch laufen, aber wenn der Alte euch erst unter dem Messer gehabt
hat, seid ihr Kruppel. Er braucht Versuchskarnickel, fur ihn ist der Krieg
eine großartige Zeit deshal