Johann Wolfgang Goethe. Egmont
Ein Trauerspiel in fö¼nf Aufzö¼gen
--------------------------------------------------------------------------------
Personen:
Margarete von Parma, Tochter Karls des Fö¼nften,
Regentin der Niederlande
Graf Egmont, Prinz von Gaure
Wilhelm von Oranien
Herzog von Alba
Ferdinand, sein natö¼rlicher Sohn
Machiavell, im Dienste der Regentin
Richard, Egmonts Geheimschreiber
Silva und Gomez, unter Alba dienend
Klö¤rchen, Egmonts Geliebte
Ihre Mutter
Brackenburg, ein Bö¼rgerssohn
Soest, Krö¤mer, Bö¼rger von Brö¼ssel
Jetter, Schneider, Bö¼rger von Brö¼ssel
Zimmermann und Seifensieder, Bö¼rger von Brö¼ssel
Buyck, Soldat unter Egmont
Ruysum, Invalide und taub
Vansen, ein Schreiber
Volk, Gefolge, Wachen usw.
--------------------------------------------------------------------------------
Erster Aufzug
ArmbrustschieöŸen
Soldaten und Bö¼rger mit Armbrö¼sten
Jetter, Bö¼rger von Brö¼ssel, Schneider, tritt vor und spannt die
Armbrust. Soest, Bö¼rger von Brö¼ssel, Krö¤mer.
Soest. Nun schieöŸt nur hin, daöŸ es alle wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht! Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht geschossen. Und so
wö¤r' ich fö¼r dies Jahr Meister.
Jetter. Meister und Kö¶nig dazu. Wer miöŸgö¶nnt's Euch? Ihr sollt
dafö¼r auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
(Buyck, ein Hollö¤nder, Soldat unter Egmont.)
Buyck. Jetter, den SchuöŸ handl' ich Euch ab, teile den Gewinst,
traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und fö¼r viele
Hö¶flichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hö¤ttet.
-
Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei. Doch,
Buyck, nur immerhin.
Buyck (schieöŸt). Nun, Pritschmeister, Reverenz! - Eins! Zwei! Drei!
Vier!
Soest. Vier Ringe? Es sei!
Alle. Vivat, Herr Kö¶nig, hoch! und abermal hoch!
Buyck. Danke, ihr Herren. Wö¤re Meister zu viel! Danke fö¼r die Ehre.
Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
(Ruysum, ein Frieslö¤nder, Invalide und taub.)
Ruysum. DaöŸ ich euch sage!
Soest. Wie ist's, Alter?
Ruysum. DaöŸ ich euch sage! - Er schieöŸt wie sein Herr, er schieöŸt
wie Egmont.
Buyck. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Bö¼chse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glö¼ck oder gute
Laune hat; nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wö¤re auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm
lernte. - Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein Kö¶nig nö¤hrt seine Leute;
und so, auf des Kö¶nigs Rechnung, Wein her!
Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daöŸ jeder -
Buyck. Ich bin fremd und Kö¶nig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
Jetter. Du bist ja ö¤rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mö¼ssen.
Ruysum. Was?
Soest (laut). Er will uns gastieren; er will nicht haben, daöŸ wir
zusammenlegen und der Kö¶nig nur das Doppelte zahlt.
Ruysum. LaöŸt ihn! doch ohne Prö¤judiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
(Sie bringen Wein.)
Alle. Ihro Majestö¤t Wohl! Hoch!
Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestö¤t.
Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
Soest. Wohl! Denn unserer spanischen Majestö¤t Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederlö¤nder von Herzen.
Ruysum. Wer?
Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kö¶nigs in Spanien.
Ruysum. Unser allergnö¤digster Kö¶nig und Herr! Gott geb' ihm langes
Leben.
Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fö¼nften, nicht lieber?
Ruysum. Gott trö¶st' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand ö¼ber den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete, so
grö¼öŸt' er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wuöŸt' er mit so guter Manier - ja, versteht mich - Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er
seinem Sohn das Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich - der ist
schon anders, der ist majestö¤tischer.
Jetter. Er lieöŸ sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und
kö¶niglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
Soest. Es ist kein Herr fö¼r uns Niederlö¤nder. Unsre Fö¼rsten mö¼ssen
froh und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
Jetter. Der Kö¶nig, denk ich, wö¤re wohl ein gnö¤diger Herr, wenn er
nur bessere Ratgeber hö¤tte.
Soest. Nein, nein! Er hat kein Gemö¼t gegen uns Niederlö¤nder, sein
Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kö¶nnen wir ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum trö¼gen
wir ihn alle auf den Hö¤nden? Weil man ihm ansieht, daöŸ er uns wohlwill;
weil ihm die Frö¶hlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dö¼rftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. LaöŸt den Grafen Egmont leben! Buyck, an Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
Ruysum. öœberwinder bei St. Quintin.
Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
Alle. Hoch!
Ruysum. St. Quintin war meine letzte Schlacht. ich konnte kaum mehr
fort, kaum die schwere Bö¼chse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen
noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
StreifschuöŸ ans rechte Bein.
Buyck. Gravelingen! Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir
allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern?
Aber ich mein, wir trafen sie! Ihre alten, handfesten Kerle hielten lange
wider, und wir drö¤ngten und schossen und hieben, daöŸ sie die Mö¤uler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen, und wir stritten lange hinö¼ber herö¼ber, Mann fö¼r Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin. Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter, von der Mö¼ndung des
Flusses, bav, bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren
Englö¤nder, die unter dem Admiral Malin von ungefö¤hr von Dö¼nkirchen her
vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick! rack! herö¼ber, hinö¼ber! Alles totgeschlagen, alles ins Wasser
gesprengt. Und die Kerle ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was
wir Hollö¤nder waren, gerad hintendrein. Uns, die wir beidlebig sind, ward
erst wohl im Wasser wie den Frö¶schen; und immer die Feinde im FluöŸ
zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot.
MuöŸte doch die welsche Majestö¤t gleich das Pfö¶tchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem groöŸen Egmont schuldig.
Alle. Hoch! dem groöŸen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal
hoch!
Jetter. Hö¤tte man uns den statt der Margrete von Parma zum Regenten
gesetzt!
Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnö¤d'ge Frau!
Alle. Sie lebe!
Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin
lebe!
Jetter. Klug ist sie, und mö¤öŸig in allem, was sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
daöŸ wir die vierzehn neuen Bischofsmö¼tzen im Lande haben. Wozu die nur
sollen? Nicht wahr, daöŸ man Fremde in die guten Stellen einschieben kann,
wo sonst ö„bte aus den Kapiteln gewö¤hlt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischö¶fen hatten wir
genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun muöŸ doch auch jeder tun,
als ob er nö¶tig wö¤re; und da setzt's allen Augenblick VerdruöŸ und
Hö¤ndel. Und je mehr ihr das Ding rö¼ttelt und schö¼ttelt, desto trö¼ber
wird's.
(Sie trinken.)
Soest. Das war nun des Kö¶nigs Wille; sie kann nichts davon- noch
dazutun.
Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind
wahrlich gar schö¶n in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiöŸ. Ich hab ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir
wollen. Das macht, daöŸ Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas nicht. - In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art; und gefö¤hrlich ist's doch immer, da lö¤öŸt man's lieber sein. Die
Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann
ist schon unglö¼cklich geworden. Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich
nicht tun darf, was ich mö¶chte, kö¶nnen sie mich doch denken und singen
lassen, was ich will.
Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muöŸ auch
beizeiten suchen, ihr die Flö¼gel zu beschneiden.
Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfö¤llt, in mein
Haus zu stö¼rmen, und ich sitz an meiner Arbeit und summe just einen
franzö¶sischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Bö¶ses; ich
summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde eingesteckt. Oder ich gehe ö¼ber Land und bleibe bei einem Haufen
Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhö¶rt, einem von denen, die aus
Deutschland gekommen sind: auf der Stelle heiöŸ ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hö¶ren?
Soest. Wackre Leute. Neulich hö¶rt' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekö¶ch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwö¼rgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hö¤tten bei der Nase
herumgefö¼hrt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung
haben kö¶nnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst und
grö¼belte so ö¼ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
Buyck. Es lö¤uft ihnen auch alles Volk nach.
Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hö¶ren kann und was Neues.
Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
Buyck. Frisch, ihr Herren! öœber dem Schwö¤tzen vergeöŸt ihr den Wein
und Oranien.
Jetter. Den nicht zu vergessen. Das ist ein rechter Wall: wenn man nur
an ihn denkt, meint man gleich, man kö¶nne sich hinter ihn verstecken und
der Teufel brö¤chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
Alle. Hoch! hoch!
Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Jetter. Krieg! Krieg! WiöŸt ihr auch, was ihr ruft? DaöŸ es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natö¼rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hö¶ren; und
nichts zu hö¶ren, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer,
wie sie ö¼ber einen Hö¼gel kamen und bei einer Mö¼hle hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drö¤ngen, und einer gewinnt,
der andere verliert, ohne daöŸ man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bö¼rger ermordet werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not
und Angst, man denkt jeden Augenblick: á»Da kommen sie! Es geht uns auch
so.á«
Soest. Drum muöŸ auch ein Bö¼rger immer in Waffen geö¼bt sein.
Jetter. Ja, es ö¼bt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hö¶r ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
Buyck. Das sollt' ich ö¼belnehmen.
Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
Jetter. Vexier' Er sich.
Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
Jetter. Halt dein Maul.
Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Kö¼che, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
(Sie lachen.)
Jetter. Du bist ein Tropf.
Buyck. Friede, ihr Herren! MuöŸ der Soldat Friede rufen? - Nun da ihr
von uns nichts hö¶ren wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine
bö¼rgerliche Gesundheit.
Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
Soest. Ordnung und Freiheit!
Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
(Sie stoöŸen an und wiederholen frö¶hlich die Worte, doch so, daöŸ
jeder ein anders ausruft und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und
fö¤llt endlich auch mit ein.)
Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
Palast der Regentin
Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten. Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
(Alle gehen ab.)
Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lö¤öŸt mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder,
diese Sorgen vor mir. Nun wird der Kö¶nig sagen, dies sei'n die Folgen
meiner Gö¼te, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden
Augenblick, das Rö¤tlichste, das Beste getan zu haben. Sollte ich frö¼her
mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschö¼tten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weiöŸ, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der öœbermut der
fremden Lehrer hat sich tö¤glich erhö¶ht; sie haben unser Heiligtum
gelö¤stert, die stumpfen Sinne des Pö¶bels zerrö¼ttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrö¼hrer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kö¶nig nicht denke, man
wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch
gelindes, dem öœbel zu steuern. O was sind wir GroöŸen auf der Woge der
Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und
nieder, hin und her.
(Machiavell tritt auf.)
Regentin. Sind die Briefe an den Kö¶nig aufgesetzt?
Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kö¶nnen.
Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfö¼hrlich genug gemacht?
Machiavell. Ausfö¼hrlich und umstö¤ndlich, wie es der Kö¶nig liebt. Ich
erzö¤hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstö¼rmerische Wut sich zeigt. Wie
eine rasende Menge, mit Stö¤ben, Beilen, Hö¤mmern, Leitern, Stricken
versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und
Klö¶ster anfallen, die Andö¤chtigen verjagen, die verschlossenen Pforten
aufbrechen, alles umkehren, die Altö¤re niederreiöŸen, die Statuen der
Heiligen zerschlagen, alle Gemö¤lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreiöŸen, zertreten. Wie sich der
Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore erö¶ffnen.
Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwö¼sten, die Bibliothek des
Bischofs verbrennen. Wie eine groöŸe Menge Volks, von gleichem Unsinn
ergriffen, sich ö¼ber Menin, Comines, Werwicq, Lille verbreitet, nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwö¶rung sich erklö¤rt und ausgefö¼hrt ist.
Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das öœbel werde nur grö¶öŸer
und grö¶öŸer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so
ö¤hnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt
Ihr doch selten meinem Rat folgen mö¶gen. Ihr sagtet oft im Scherze: á»Du
siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein: wer
handelt, muöŸ fö¼rs Nö¤chste sorgen.á« Und doch, habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzö¤hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ö¤ndern zu kö¶nnen.
Machiavell. Ein Wort fö¼r tausend: Ihr unterdrö¼ckt die neue Lehre
nicht. LaöŸt sie gelten, sondert sie von den Rechtglö¤ubigen, gebt ihnen
Kirchen, faöŸt sie in die bö¼rgerliche Ordnung, schrö¤nkt sie ein; und so
habt Ihr die Aufrö¼hrer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kö¶nne? WeiöŸt du nicht, wie er
mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste
empfiehlt? daöŸ er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht
hergestellt wissen will? Hö¤lt er nicht selbst in den Provinzen Spione, die
wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung
hinö¼berneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen
genannt, der sich in unsrer Nö¤he heimlich der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und Schö¤rfe? Und ich soll gelind sein? ich soll
Vorschlö¤ge tun, daöŸ er nachsehe, daöŸ er dulde? Wö¼rde ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
Machiavell. Ich weiöŸ wohl; der Kö¶nig befiehlt, er lö¤öŸt Euch seine
Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die Gemö¼ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr tut. Die grö¶öŸten Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren, wenn sich um uns alles ö¤ndert? Mö¶chte doch ein guter
Geist Philippen eingeben, daöŸ es einem Kö¶nige anstö¤ndiger ist, Bö¼rger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
Regentin. Solch ein Wort nie wieder. Ich weiöŸ wohl, daöŸ Politik
selten Treu und Glauben halten kann, daöŸ sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlieöŸt. In weltlichen Geschö¤ften ist
das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen wie unter
einander? Sollen wir gleichgö¼ltig gegen unsre bewö¤hrte Lehre sein, fö¼r
die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
Machiavell. Denkt nur deswegen nicht ö¼bler von mir.
Regentin. Ich kenne dich und deine Treue und weiöŸ, daöŸ einer ein
ehrlicher und verstö¤ndiger Mann sein kann, wenn er gleich den nö¤chsten
besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andere,
Machiavell, Mö¤nner, die ich schö¤tzen und tadeln muöŸ.
Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
Regentin. Ich kann es gestehen, daöŸ mir Egmont heute einen recht
innerlichen tiefen VerdruöŸ erregte.
Machiavell. Durch welches Betragen?
Regentin. Durch sein gewö¶hnliches, durch Gleichgö¼ltigkeit und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. á»Seht, was
in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der Kö¶nig sich
alles versprach?á«
Machiavell. Und was antwortete er?
Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wö¤re,
versetzte er: á»Wö¤ren nur erst die Niederlö¤nder ö¼ber ihre Verfassung
beruhigt! Das ö¼brige wö¼rde sich leicht geben.á«
Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederlö¤nder sieht, daöŸ es
mehr um seine Besitztö¼mer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu tun
ist? Haben die neuen Bischö¶fe mehr Seelen gerettet, als fette Pfrö¼nden
geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle
Statthalterschaften mit Niederlö¤ndern besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daöŸ sie die grö¶öŸte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner Art
von den Seinigen regieret werden als von Fremden, die erst im Lande sich
wieder Besitztö¼mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
MaöŸstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
Machiavell. Mit dem Herzen gewiöŸ nicht; und wollte, ich kö¶nnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
Regentin. Wenn du so willst, so tö¤t' es not, ich trö¤te ihnen meine
Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich groöŸe Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
Machiavell. Ein gefö¤hrliches Paar.
Regentin. Soll ich aufrichtig reden: ich fö¼rchte Oranien, und ich
fö¼rchte fö¼r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in
die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit grö¶öŸter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehö¶rte.
Regentin. Er trö¤gt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestö¤t
nicht ö¼ber ihm schwebte.
Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hö¤ngen an ihm.
Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand
Rechenschaft von ihm zu fordern hö¤tte. Noch trö¤gt er den Namen Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hö¶ren; als wollte er nicht vergessen,
daöŸ seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich nicht
Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum tut er das? Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
Machiavell. Ich halte ihn fö¼r einen treuen Diener des Kö¶nigs.
Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kö¶nnte er sich um die Regierung
machen; anstatt daöŸ er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsö¤glichen
VerdruöŸ gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den
Adel mehr verbunden und verknö¼pft als die gefö¤hrlichsten heimlichen
Zusammenkö¼nfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gö¤ste einen dauernden
Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschö¶pft. Wie oft setzt er
durch seine Scherzreden die Gemö¼ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der Pö¶bel ö¼ber die neuen Livreen, ö¼ber die tö¶richten Abzeichen der
Bedienten!
Machiavell. Ich bin ö¼berzeugt, es war ohne Absicht.
Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nö¼tzt sich
nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft; und wir, um nicht mö¼öŸig und
nachlö¤ssig zu scheinen, mö¼ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er
ist gefö¤hrlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwö¶rung; und ich
mö¼öŸte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daöŸ er mich nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
Regentin. Sein Gewissen hat einen gefö¤lligen Spiegel. Sein Betragen
ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der vö¶lligen
öœberzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefö¤lligkeit nicht
fö¼hlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es werde
sich schon geben.
Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glö¼ckliches
Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefö¤hrlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlö¤ndischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stö¤rken sein Vertrauen, seine Kö¼hnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkö¼rlichen Unmut des Kö¶nigs schö¼tzen. Untersuch es
genau; an dem ganzen Unglö¼ck, das Flandern trifft, ist er doch nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht
genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, daöŸ wir etwas zu schaffen
hatten. LaöŸ mich nur; was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser
Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschieöŸen; ich
weiöŸ, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien
auch?
Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die
Last der Verantwortung nahe genug zuwö¤lzen; sie sollen sich mit mir dem
öœbel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklö¤ren. Eile,
daöŸ die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann
sende schnell den bewö¤hrten Vaska nach Madrid; er ist unermö¼det und treu;
daöŸ mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daöŸ der Ruf ihn
nicht ö¼bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
Bö¼rgerhaus
Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klö¤rchen.
Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen
Liebesdienst?
Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
Klare. Grillen! kommt und haltet!
Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hö¼bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
Brackenburg. Sonst.
Klare. Wir wollen singen.
Brackenburg. Was Ihr wollt.
Klare. Nur hö¼bsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstö¼ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
Die Trommel gerö¼hret!
Das Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster gewaffnet
Dem Haufen befiehlt,
Die Lanze hoch fö¼hret,
Die Leute regieret.
Wie klopft mir das Herze!
Wie wallt mir das Blut!
O hö¤tt' ich ein Wö¤mslein
Und Hosen und Hut!
Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
Mit mutigem Schritt,
Ging' durch die Provinzen,
Ging' ö¼berall mit.
Die Feinde schon weichen,
Wir schieöŸen darein.
Welch Glö¼ck sondergleichen,
Ein Mannsbild zu sein!
(Brackenburg hat unter dem Singen Klö¤rchen oft angesehen; zuletzt
bleibt ihm die Stimme stocken, die Trö¤nen kommen ihm in die Augen, er
lö¤öŸt den Strang fallen und geht ans Fenster. Klö¤rchen singt das Lied
allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlö¼ssig wieder um und setzt sich.)
Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hö¶re marschieren.
Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht
an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tö¤gliche Wache, das sind
weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hö¶rt einmal, was es
gibt. Es muöŸ etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den
Gefallen.
Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
Klare. Ich bin neugierig; und auch, verdenkt mir's nicht, seine
Gegenwart tut mir weh. Ich weiöŸ immer nicht, wie ich mich gegen ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen, daöŸ
er es so lebendig fö¼hlt. - Kann ich's doch nicht ö¤ndern!
Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich muöŸ ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drö¼ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfaöŸt. Ich mache mir Vorwö¼rfe, daöŸ ich ihn betriege, daöŸ ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nö¤hre. Ich bin ö¼bel dran. WeiöŸ
Gott, ich betrieg ihn nicht. Ich will nicht, daöŸ er hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
Mutter. Das ist nicht gut.
Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hö¤tte ihn heiraten kö¶nnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
Mutter. Glö¼cklich wö¤rst du immer mit ihm gewesen.
Klare. Wö¤re versorgt und hö¤tte ein ruhiges Leben.
Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie
es gegangen ist, weiöŸ ich's wohl und weiöŸ es nicht. Und dann darf ich
Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja wö¤re mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht das glö¼cklichste Geschö¶pf von der Welt
sein?
Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglö¼cklich gemacht! mich unglö¼cklich gemacht.
Klare (gelassen). Ihr lieöŸet es doch im Anfange.
Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr
mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lö¤chelte,
nickte, mich grö¼öŸte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
Mutter. Mache mir noch Vorwö¼rfe.
Klare (gerö¼hrt). Wenn er nun ö¶fter die StraöŸe kam, und wir wohl
fö¼hlten, daöŸ er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht
selbst mit heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
Mutter. Dachte ich, daöŸ es so weit kommen sollte?
Klare (mit stockender Stimme und zurö¼ckgehaltenen Trö¤nen). Und wie er
uns abends, in den Mantel eingehö¼llt, bei der Lampe ö¼berraschte, wer war
geschö¤ftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
Mutter. Und konnte ich fö¼rchten, daöŸ diese unglö¼ckliche Liebe das
kluge Klö¤rchen so bald hinreiöŸen wö¼rde? Ich muöŸ es nun tragen, daöŸ
meine Tochter -
Klare (mit ausbrechenden Trö¤nen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt
Eure Freude, mich zu ö¤ngstigen.
Mutter (weinend). Weine noch gar! Mache mich noch elender durch deine
Betrö¼bnis. Ist mir's nicht Kummer genug, daöŸ meine einzige Tochter ein
verworfenes Geschö¶pf ist?
Klare (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte verworfen? -
Welche Fö¼rstin neidete nicht das arme Klö¤rchen um den Platz an seinem
Herzen! O Mutter - meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
Mutter. Man muöŸ ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so
freundlich, frei und offen.
Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der groöŸe Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbö¤rge! wie er um mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
Mutter. Kommt er wohl heute?
Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Tö¼r rauscht? - Ob ich schon weiöŸ,
daöŸ er vor Nacht nicht kommt, vermut ich ihn doch jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe. Wö¤r' ich nur ein Bube und kö¶nnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und ö¼berall hin! Kö¶nnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser
an?
Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe! - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens
war sein Name in den Liedern! das ö¼brige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals - Ich hö¤tte sie gern zurö¼ckgerufen, wenn
ich mich nicht geschö¤mt hö¤tte.
Mutter. Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrö¤tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du
den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst:
á»Graf Egmont!á« - Ich ward feuerrot.
Klare. Hö¤tt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei
Gravelingen, und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten
in der Beschreibung C. Steht da: á»Graf Egmont, dem das Pferd unter dem
Leibe totgeschossen wird.á« Mich ö¼berlief's - und hernach muöŸt' ich lachen
ö¼ber den holzgeschnitzten Egmont, der so groöŸ war als der Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir als Mö¤dchen fö¼r ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von
ihm erzö¤hlten, und von allen Grafen und Fö¼rsten - und wie mir's jetzt ist!
(Brackenburg kommt.)
Klare. Wie steht's?
Brackenburg. Man weiöŸ nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er mö¶chte sich hieher
verbreiten. Das SchloöŸ ist stark besetzt, die Bö¼rger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der
Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
Mutter. Lebt wohl.
Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter und Tochter
ab.)
Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder
fortzugehn; und da sie es dafö¼r aufnimmt und mich gehen lö¤öŸt, mö¶cht' ich
rasend werden. - Unglö¼cklicher! und dich rö¼hrt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende Tumult nicht? - und gleich ist dir Landsmann oder
Spanier, und wer regiert und wer recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: á»Brutus' Rede fö¼r
die Freiheit, zur öœbung der Redekunstá«, da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor sagte: á»Wenn's nur ordentlicher wö¤re, nur nicht alles so
ö¼bereinander gestolpert.á« - Damals kocht' es und trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des Mö¤dchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann sie mich doch nicht lieben! - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
lö¤nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte?
daöŸ sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlö¤öŸt, da sie mich zö¼chtig
immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine
Lö¼ge, eine schö¤ndliche verleumderische Lö¼ge! Klö¤rchen ist so unschuldig,
als ich unglö¼cklich bin. - Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem
Herzen gestoöŸen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
- - Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich
sterbe unter dem Getö¼mmel nur ab! Ich duld es nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein SchuöŸ fö¤llt, mir fö¤hrt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stö¼rzt' ich mich ins Wasser, ich sank - aber die geö¤ngstete Natur
war stö¤rker; ich fö¼hlte, daöŸ ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - - Kö¶nnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu
lieben schien! - Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glö¼ck?
Warum haben mir diese Hoffnungen allen GenuöŸ des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir ein Paradies von weitem zeigten? - Und jener erste KuöŸ! Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer gut und freundlich gegen mich gewesen - da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an - alle Sinnen gingen mir um, und ich fö¼hlte
ihre Lippen auf den meinigen. - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein Flö¤schchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst
aus meines Bruders Doktorkö¤stchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese TodesschweiöŸe auf einmal
verschlingen und lö¶sen.
Zweiter Aufzug
Platz in Brö¼ssel
Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der
Zunft sagt' ich, es wö¼rde schwere Hö¤ndel geben.
Jetter. Ist's denn wahr, daöŸ sie die Kirchen in Flandern geplö¼ndert
haben?
Zimmermeister. Ganz und gar zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wö¤nde haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hö¤tten eher, in
der Ordnung und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und
drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heiöŸt
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hö¤ngt doch der Hals gar nah damit zusammen.
Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lö¤rmen
anfö¤ngt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande, worauf wir uns auch berufen mö¼ssen, und bringen das Land in
Unglö¼ck.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, daöŸ die
Bilderstö¼rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrö¼hren.
Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin, so eine wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie
auöŸer Fassung. Es muöŸ sehr arg sein, daöŸ sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flö¼chten.
Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschö¼tzt uns,
und wir wollen ihr mehr verschaffen als ihre Stutzbö¤rte. Und wenn sie uns
unsere Rechte und Freiheiten aufrechterhö¤lt, so wollen wir sie auf den
Hö¤nden tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
Seifensieder. Garstige Hö¤ndel! öœble Hö¤ndel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - Hö¼tet euch, daöŸ ihr stille bleibt, daöŸ man euch nicht auch
fö¼r Aufwiegler hö¤lt.
Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
Seifensieder. Ich weiöŸ, da sind viele, die es heimlich mit den
Calvinisten halten, die auf die Bischö¶fe lö¤stern, die den Kö¶nig nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
Vansen. Gott grö¼öŸ' euch Herren! Was Neues?
Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein Patron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber,
pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins Handwerk und ist ein
Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Kö¶pfe zusammen. Es ist
immer redenswert.
Soest. Ich denk auch.
Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hö¤tte, und einer oder
der andere den Kopf dazu: wir kö¶nnten die spanischen Ketten auf einmal
sprengen.
Soest. Herre! So mö¼öŸt Ihr nicht reden. Wir haben dem Kö¶nig
geschworen.
Vansen. Und der Kö¶nig uns. Merkt das.
Jetter. Das lö¤öŸt sich hö¶ren! Sagt Eure Meinung.
Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besaöŸ Pergamente und Briefe
von uralten Stiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die
rarsten Bö¼cher. In einem stand unsere ganze Verfassung: wie uns
Niederlö¤nder zuerst einzelne Fö¼rsten regierten, alles nach hergebrachten
Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht
fö¼r ihren Fö¼rsten gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich gleich vorsahen, wenn er ö¼ber die Schnur hauen wollte. Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstö¤nde.
Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weiöŸ man lange! Ein jeder
rechtschaffene Bö¼rger ist, so viel er braucht, von der Verfassung
unterrichtet.
Jetter. LaöŸt ihn reden; man erfö¤hrt immer etwas mehr.
Soests. Er hat ganz recht.
Mehrere. Erzö¤hlt! erzö¤hlt! So was hö¶rt man nicht alle Tage.
Vansen. So seid ihr Bö¼rgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr euer Gewerb' von euern Eltern ö¼berkommen habt, so laöŸt ihr auch
das Regiment ö¼ber euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten;
und ö¼ber das Versö¤umnis haben euch die Spanier das Netz ö¼ber die Ohren
gezogen.
Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tö¤gliche Brot hat.
Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der Kö¶nig in Spanien, der die Provinzen
durch gut Glö¼ck zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen Fö¼rsten, die sie ehemals einzeln besaöŸen. Begreift
ihr das?
Jetter. Erklö¤rt's uns.
Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Mö¼öŸt ihr nicht nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher kö¤me das?
Ein Bö¼rger. Wahrlich!
Vansen. Hat der Brö¼sseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher kö¤me denn das?
Anderer Bö¼rger. Bei Gott!
Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen laöŸt, wird man's euch bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der Kö¼hne, Friedrich der Krieger, Karl der
Fö¼nfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
Soests. Ja, ja! Die alten Fö¼rsten haben's auch schon probiert.
Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren paöŸten auf. Wie sie einem Herrn
gram wurden, fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und gaben ihn nur auf die besten Bedingungen heraus. Unsere Vö¤ter
waren Leute! Die wuöŸten, was ihnen nö¼tz war! Die wuöŸten etwas zu fassen
und festzusetzen! Rechte Mö¤nner! Dafö¼r sind aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzö¤hlt noch
was von unsern Privilegien.
Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
Soests. Sagt an.
Jetter. LaöŸt hö¶ren.
Ein Bö¼rger. Ich bitt Euch.
Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
Soests. Gut! Steht das so?
Jetter. Getreu? Ist das wahr?
Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder eignen Willen an uns beweisen, merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
Jetter. Schö¶n! Schö¶n! nicht beweisen.
Soests. Nicht merken lassen.
Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
Vansen. Mit ausdrö¼cklichen Worten.
Jetter. Schafft uns das Buch.
Ein Bö¼rger. Ja, wir mö¼ssen's haben.
Andere. Das Buch! das Buch!
Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
Ein anderer. Ihr sollt das Wort fö¼hren, Herr Doktor.
Seifensieder. O die Trö¶pfe!
Andere. Noch etwas aus dem Buche!
Seifensieder. Ich schlage ihm die Zö¤hne in den Hals, wenn er noch ein
Wort sagt.
Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne
Verwilligung des Adels und der Stö¤nde! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht verö¤ndern.
Soest. Ist das so?
Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen, von zwei-, dreihundert
Jahren her.
Bö¼rger. Und wir leiden die neuen Bischö¶fe? Der Adel muöŸ uns
schö¼tzen, wir fangen Hö¤ndel an!
Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
Vansen. Das ist eure Schuld.
Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen fö¼r unser
Bestes!
Vansen. Eure Brö¼der in Flandern haben das gute Werk angefangen.
Seifensieder. Du Hund!
(Er schlö¤gt ihn.)
Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
Ein anderer. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
(Andere mischen sich in den Streit.)
Zimmermeister. Bö¼rger, was soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bö¼rger stehn und
gaffen, Volk lö¤uft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
Zimmermeister. Gnö¤diger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bö¼rger gegen Bö¼rger! Hö¤lt sogar
die Nö¤he unsrer kö¶niglichen Regentin diesen Unsinn nicht zurö¼ck? Geht
auseinander, geht an euer Gewerbe. Es ist ein ö¼bles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
Egmont. Die sie noch mutwillig zertrö¼mmern werden - Und wer seid Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
Egmont. Eures Zeichens?
Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
Egmont. Und Ihr?
Soest. Krö¤mer.
Egmont. Ihr?
Jetter. Schneider.
Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen fö¼r meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
Jetter. Gnade, daöŸ Ihr Euch dessen erinnert.
Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und
gesprochen habe. - Was an euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das tut; ihr
seid ö¼bel genug angeschrieben. Reizt den Kö¶nig nicht mehr, er hat zuletzt
doch die Gewalt in Hö¤nden. Ein ordentlicher Bö¼rger, der sich ehrlich und
fleiöŸig nö¤hrt, hat ö¼berall so viel Freiheit, als er braucht.
Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die
Sö¶ffer, die Faulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stö¤nkern aus
Langerweile und scharren aus Hunger nach Privilegien und lö¼gen den
Neugierigen und Leichtglö¤ubigen was vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen, fangen sie Hö¤ndel an, die viel tausend Menschen unglö¼cklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Hö¤user und Kasten zu gut
verwahrt; da mö¶chten sie gern uns mit Feuerbrö¤nden davontreiben.
Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind MaöŸregeln genommen,
dem öœbel krö¤ftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht, durch Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet
nicht, daöŸ sie sich auf den StraöŸen rotten. Vernö¼nftige Leute kö¶nnen
viel tun.
(Indessen hat sich der grö¶öŸte Haufe verlaufen.)
Zimmermeister. Danken Euer Exzellenz, danken fö¼r die gute Meinung!
Alles, was an uns liegt. (Egmont ab.) Ein gnö¤diger Herr! der echte
Niederlö¤nder! Gar so nichts Spanisches.
Jetter. Hö¤tten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
Soest. Das lö¤öŸt der Kö¶nig wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
Zimmermeister. Ein schö¶ner Herr!
Jetter. Sein Hals wö¤r' ein rechtes Fressen fö¼r einen Scharfrichter.
Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
Jetter. Dumm genug, daöŸ einem so etwas einfö¤llt. - Es ist mir nun so.
Wenn ich einen schö¶nen langen Hals sehe, muöŸ ich gleich wider Willen
denken: der ist gut kö¶pfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne. Wenn die Bursche schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein ich, den sö¤h' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde froh. Jede Lustbarkeit, jeden SpaöŸ hab ich bald
vergessen; die fö¼rchterlichen Gestalten sind mir wie vor die Stirne
gebrannt.
Egmonts Wohnung
Sekretö¤r an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
Sekretö¤r. Er kommt immer nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,. die Papiere vor mir; und eben heute mö¶cht' ich gern so
zeitig fort. Es brennt mir unter den Sohlen. Ich kann vor Ungeduld kaum
bleiben. á»Sei auf die Stunde daá«, befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er nicht. Es ist so viel zu tun, ich werde vor Mitternacht nicht
fertig. Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger. Doch hielt'
ich's besser, wenn er strenge wö¤re und lieöŸe einen auch wieder zur
bestimmten Zeit. Man kö¶nnte sich einrichten. Von der Regentin ist er nun
schon zwei Stunden weg; wer weiöŸ, wen er unterwegs angefaöŸt hat.
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Wie sieht's aus?
Sekretö¤r. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrieöŸlich
Gesicht.
Sekretö¤r. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich schon lange. Hier sind
die Papiere!
Egmont. Donna Elvira wird bö¶se auf mich werden, wenn sie hö¶rt, daöŸ
ich dich abgehalten habe.
Sekretö¤r. Ihr scherzt.
Egmont. Nein, nein. Schö¤me dich nicht. Du zeigst einen guten
Geschmack. Sie ist hö¼bsch; und es ist mir ganz recht, daöŸ du auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
Sekretö¤r. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
Egmont. Da ist gut, daöŸ wir die Freude zu Hause haben und sie nicht
von auswö¤rts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
Sekretö¤r. Genug, und drei Boten warten.
Egmont. Sag an! das Nö¶tigste!
Sekretö¤r. Es ist alles nö¶tig.
Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
Sekretö¤r. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
Egmont. Er schreibt wohl noch von einzelnen Ungezogenheiten und
Tollkö¼hnheiten?
Sekretö¤r. Ja! Es kommt noch manches vor.
Egmont. Verschone mich damit.
Sekretö¤r. Noch sechs sind eingezogen worden, die bei Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hö¤ngen lassen?
Egmont. Ich bin des Hö¤ngens mö¼de. Man soll sie durchpeitschen, und
sie mö¶gen gehen.
Sekretö¤r. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
Sekretö¤r. Brink von Bredas Kompanie will heiraten. Der Hauptmann
hofft, Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt er, daöŸ, wenn wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern
einem Zigeunergeschleppe ö¤hnlich sehen wird.
Egmont. Dem mag's noch hingehen! Es ist ein schö¶ner junger Kerl; er
bat mich noch gar dringend, eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr
gestattet sein, so leid mir's tut, den armen Teufeln, die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten SpaöŸ zu versagen.
Sekretö¤r. Zwei von Euern Leuten, Seter und Hart, haben einem Mö¤del,
einer Wirtstochter, ö¼bel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
Egmont. Wenn es ein ehrlich Mö¤dchen ist, und sie haben Gewalt
gebraucht, so soll er sie drei Tage hintereinander mit Ruten streichen
lassen, und wenn sie etwas besitzen, soll er so viel davon einziehen, daöŸ
dem Mö¤dchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
Sekretö¤r. Einer von den fremden Lehrern ist heimlich durch Comines
gegangen und entdeckt worden. Er schwö¶rt, er sei im Begriff, nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
Egmont. Sie sollen ihn in der Stille an die Grenze bringen und ihm
versichern, daöŸ er das zweitemal nicht so wegkommt.
Sekretö¤r. Ein Brief von Euerm Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er kö¶nne auf die Woche die verlangte Summe schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die grö¶öŸte Konfusion gebracht.
Egmont. Das Geld muöŸ herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
Sekretö¤r. Er sagt, er werde sein mö¶glichstes tun und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
Sekretö¤r. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
Egmont. So gebe man ihm noch vierzehn Tage; und dann mag er gegen ihn
verfahren.
Sekretö¤r. Ihr tut wohl. Es ist nicht Unvermö¶gen; es ist bö¶ser Wille.
Er macht gewiöŸ Ernst, wenn er sieht, Ihr spaöŸt nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr Gnadengehalte gebt, die Gebö¼hr einen halben Monat zurö¼ckhalten; man
kö¶nne indessen Rat schaffen; sie mö¶chten sich einrichten.
Egmont. Was ist da einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nö¶tiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
Sekretö¤r. Woher befehlt Ihr denn, daöŸ er das Geld nehmen soll?
Egmont. Darauf mag er denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon
gesagt.
Sekretö¤r. Deswegen tut er die Vorschlö¤ge.
Egmont. Die taugen nicht, er soll auf was anders sinnen. Er soll
Vorschlö¤ge tun, die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld
schaffen.
Sekretö¤r. Ich habe den Brief des Grafen Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, daöŸ ich Euch daran erinnere. Der alte Herr verdient vor allen
andern eine ausfö¼hrliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. GewiöŸ,
er liebt Euch wie ein Vater.
Egmont. Ich komme nicht dazu. Und unter vielem VerhaöŸten ist mir das
Schreiben das VerhaöŸteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib in
meinem Namen. Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht dazu; und wö¼nschte
selbst, daöŸ ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes
geschrieben wö¼rde.
Sekretö¤r. Sagt mir nur ungefö¤hr Eure Meinung; ich will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daöŸ sie
vor Gericht fö¼r Eure Hand gelten kann.
Egmont. Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedö¤chtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrö¤t, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will mein Leben und mein Glö¼ck und fö¼hlt nicht,
daöŸ der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er mö¶ge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich werde mich schon
wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewiöŸ sein.
Sekretö¤r. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
Egmont. Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. DaöŸ ich frö¶hlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe, das ist mein Glö¼ck; und ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines Totengewö¶lbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart nicht einen
Blutstropfen in meinen Adern; nicht Lust, meine Schritte nach der neuen
bedö¤chtigen Hofkadenz zu mustern. Leb ich nur, um aufs Leben zu denken?
Soll ich den gegenwö¤rtigen Augenblick nicht genieöŸen, damit ich des
folgenden gewiöŸ sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
Sekretö¤r. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefö¤llig
Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfö¤ltig er ist, wie leis
er Euch berö¼hrt.
Egmont. Und doch berö¼hrt er immer diese Saite. Er weiöŸ von alters
her, wie verhaöŸt mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wö¤re und auf dem gefö¤hrlichen
Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu tö¶ten? LaöŸt jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
Sekretö¤r. Es ziemt Euch, nicht zu sorgen, aber wer Euch kennt und
liebt -
Egmont (in den Brief sehend). Da bringt er wieder die alten Mö¤rchen
auf, was wir an einem Abend in leichtem öœbermut der Geselligkeit und des
Weins getrieben und gesprochen; und was man daraus fö¼r Folgen und Beweise
durchs ganze Kö¶nigreich gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener ö„rmel sticken lassen, und
haben diese tolle Zierde nachher in ein Bö¼ndel Pfeile verwandelt; ein noch
gefö¤hrlicher Symbol fö¼r alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, daöŸ eine ganze edle Schar mit Bettelsö¤cken und
mit einem selbstgewö¤hlten Unnamen dem Kö¶nige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedö¤chtnis rief; sind schuld - was ist's nun weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen, bunten Lumpen zu
miöŸgö¶nnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme Blö¶öŸe hö¤ngen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden weckt, am
Abend uns keine Lust zu hoffen ö¼brigbleibt: ist's wohl des An- und
Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut, um das zu ö¼berlegen, was
gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese
Betrachtungen; wir wollen sie Schö¼lern und Hö¶flingen ö¼berlassen. Die
mö¶gen sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen, wohin sie
kö¶nnen, erschleichen, was sie kö¶nnen. - Kannst du von allem diesem etwas
brauchen, daöŸ deine Epistel kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten
Alten scheint alles viel zu wichtig. So drö¼ckt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stö¤rker noch einmal, wenn er sie lassen will.
Sekretö¤r. Verzeiht mir, es wird dem FuöŸgö¤nger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
Egmont. Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern
gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefaöŸt, die Zö¼gel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die
Rö¤der wegzulenken. Wohin es geht, wer weiöŸ es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
Sekretö¤r. Herr! Herr!
Egmont. Ich stehe hoch und kann und muöŸ noch hö¶her steigen; ich
fö¼hle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab ich meines Wachstums Gipfel
nicht erreicht; und steh ich droben einst, so will ich fest, nicht
ö¤ngstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind,
ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwö¤rts in die Tiefe stö¼rzen; da
lieg ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmö¤ht, mit meinen guten
Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
Sekretö¤r. O Herr! Ihr wiöŸt nicht, was fö¼r Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nö¶tigsten ist, daöŸ die Boten fortkommen, eh die Tore geschlossen werden.
Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen laöŸ bis morgen; versö¤ume
nicht, Elviren zu besuchen, und grö¼öŸe sie von mir. - Horche, wie sich die
Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich verbirgt.
(Sekretö¤r ab.)
(Oranien kommt.)
Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
Egmont. Ich fand in ihrer Art, uns aufzunehmen, nichts
AuöŸerordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
Oranien. Merktet Ihr nicht, daöŸ sie zurö¼ckhaltender war? Erst wollte
sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pö¶bels gelassen billigen;
nachher merkte sie an, was sich doch auch fö¼r ein falsches Licht darauf
werfen lasse; wich dann mit dem Gesprö¤che zu ihrem alten gewö¶hnlichen
Diskurs: daöŸ man ihre liebevolle gute Art, ihre Freundschaft zu uns
Niederlö¤ndern, nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, daöŸ nichts
einen erwö¼nschten Ausgang nehmen wolle, daöŸ sie am Ende wohl mö¼de werden,
der Kö¶nig sich zu andern MaöŸregeln entschlieöŸen mö¼sse. Habt Ihr das
gehö¶rt?
Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein
Weib, guter Oranien, und die mö¶chten immer gern, daöŸ sich alles unter ihr
sanftes Joch gelassen schmiegte, daöŸ jeder Herkules die Lö¶wenhaut ablegte
und ihren Kunkelhof vermehrte; daöŸ, weil sie friedlich gesinnt sind, die
Gö¤rung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mö¤chtige Nebenbuhler
gegeneinander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen lieöŸe und
die widrigsten Elemente sich zu ihren Fö¼öŸen in sanfter Eintracht
vereinigten. Das ist ihr Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so
hat sie keinen Weg, als launisch zu werden, sich ö¼ber Undankbarkeit,
Unweisheit zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu
drohen, und zu drohen - daöŸ sie fortgehn will.
Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daöŸ sie ihre Drohung erfö¼llt?
Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo
will sie denn hin? Hier Statthalterin, Kö¶nigin; glaubst du, daöŸ sie es
unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhö¤ltnissen
herumzuschleppen?
Oranien. Man hö¤lt sie dieser EntschlieöŸung nicht fö¤hig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr sie habt zurö¼cktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue Umstö¤nde treiben sie zu dem lang verzö¶gerten EntschluöŸ. Wenn
sie ginge? und der Kö¶nig schickte einen andern?
Egmont. Nun, der wö¼rde kommen, und wö¼rde eben auch zu tun finden. Mit
groöŸen Planen, Projekten und Gedanken wö¼rde er kommen, wie er alles
zurechtrö¼cken, unterwerfen und zusammenhalten wolle; und wö¼rde heut mit
dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun haben, ö¼bermorgen jene
Hindernis finden, einen Monat mit Entwö¼rfen, einen andern mit VerdruöŸ
ö¼ber fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen ö¼ber eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daöŸ er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag, wenn er sein Schiff in
diesem Sturme vom Felsen hö¤lt.
Oranien. Wenn man nun aber dem Kö¶nig zu einem Versuch riete?
Egmont. Der wö¤re?
Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
Egmont. Wie?
Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhö¤ltnisse am
Herzen, ich stehe immer wie ö¼ber einem Schachspiele und halte keinen Zug
des Gegners fö¼r unbedeutend; und wie mö¼öŸige Menschen mit der grö¶öŸten
Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekö¼mmern, so halt ich es fö¼r
Pflicht, fö¼r Beruf eines Fö¼rsten, die Gesinnungen, die Ratschlö¤ge aller
Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befö¼rchten. Der
Kö¶nig hat lange nach gewissen Grundsö¤tzen gehandelt; er sieht, daöŸ er
damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daöŸ er es auf einem
andern Wege versucht?
Egmont. Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muöŸ man es endlich wohl
genug haben.
Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
Egmont. Nun?
Oranien. Das Volk zu schonen und die Fö¼rsten zu verderben.
Egmont. Wie viele haben das schon lange gefö¼rchtet! Es ist keine
Sorge.
Oranien. Sonst war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
GewiöŸheit geworden.
Egmont. Und hat der Kö¶nig treuere Diener als uns?
Oranien. Wir dienen ihm auf unsere Art; und unter einander kö¶nnen wir
gestehen, daöŸ wir des Kö¶nigs Rechte und die unsrigen wohl abzuwö¤gen
wissen.
Egmont. Wer tut's nicht? Wir sind ihm untertan und gewö¤rtig in dem,
was ihm zukommt.
Oranien. Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit
nennte, was wir heiöŸen: auf unsre Rechte halten?
Egmont. Wir werden uns verteidigen kö¶nnen. Er rufe die Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
Oranien. Und was wö¤re ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
Egmont. Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Rö¤ten nicht zutraue.
Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und tö¶richt wö¤ren?
Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht mö¶glich. Wer sollte wagen, Hand an
uns zu legen? - Uns gefangenzunehmen, wö¤r' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch
aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht ö¼bers Land brö¤chte,
wö¼rde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie?
Richten und verdammen kann nicht der Kö¶nig allein; und wollten sie
meuchelmö¶rderisch an unser Leben? - Sie kö¶nnen nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund wö¼rde in einem Augenblick das Volk vereinigen. HaöŸ und
ewige Trennung vom spanischen Namen wö¼rde sich gewaltsam erklö¤ren.
Oranien. Die Flamme wö¼tete dann ö¼ber unserm Grabe, und das Blut
unsrer Feinde flö¶sse zum leeren Sö¼hnopfer. LaöŸ uns denken, Egmont.
Egmont. Wie sollten sie aber?
Oranien. Alba ist unterwegs.
Egmont. Ich glaub's nicht.
Oranien. Ich weiöŸ es.
Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
Oranien. Um desto mehr bin ich ö¼berzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
Egmont. Aufs neue die Provinzen zu belö¤stigen? Das Volk wird hö¶chst
schwierig werden.
Oranien. Man wird sich der Hö¤upter versichern.
Egmont. Nein! Nein!
Oranien. LaöŸ uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstö¤rken; mit offner Gewalt fö¤ngt er nicht an.
Egmont. Mö¼ssen wir ihn nicht begrö¼öŸen, wenn er kommt?
Oranien. Wir zö¶gern.
Egmont. Und wenn er uns im Namen des Kö¶nigs bei seiner Ankunft
fordert?
Oranien. Suchen wir Ausflö¼chte.
Egmont. Und wenn er dringt?
Oranien. Entschuldigen wir uns.
Egmont. Und wenn er drauf besteht?
Oranien. Kommen wir um so weniger.
Egmont. Und der Krieg ist erklö¤rt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laöŸ dich nicht durch Klugheit verfö¼hren; ich weiöŸ, daöŸ Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
Oranien. Ich hab ihn bedacht.
Egmont. Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist; an dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwö¼stet hat. Dein Weigern ist das
Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede
Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand
gehascht hat. Was wir lange mö¼hselig gestillt haben, wirst du mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an die Stö¤dte, die
Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke die
Verwö¼stung, den Mord! - Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen
Kameraden neben sich hinfallen; aber den FluöŸ herunter werden dir die
Leichen der Bö¼rger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, daöŸ du
mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weiöŸt, wessen Sache du verteidigst,
da die zugrunde gehen, fö¼r deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und wie
wird dir's sein, wenn du dir still sagen muöŸt: á»Fö¼r meine Sicherheit
ergriff ich sie.á«
Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns
fö¼r Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns fö¼r Tausende zu
schonen.
Egmont. Wer sich schont, muöŸ sich selbst verdö¤chtig werden.
Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rö¼ckwö¤rts gehen.
Egmont. Das öœbel, das du fö¼rchtest, wird gewiöŸ durch deine Tat.
Oranien. Es ist klug und kö¼hn, dem unvermeidlichen öœbel
entgegenzugehn.
Egmont. Bei so groöŸer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in
Anschlag.
Oranien. Wir haben nicht fö¼r den leisesten FuöŸtritt Platz mehr; der
Abgrund liegt hart vor uns.
Egmont. Ist des Kö¶nigs Gunst ein so schmaler Grund?
Oranien. So schmal nicht, aber schlö¼pfrig.
Egmont. Bei Gott! man tut ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, daöŸ man
unwö¼rdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fö¤hig.
Oranien. Die Kö¶nige tun nichts Niedriges.
Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
Oranien. Eben diese Kenntnis rö¤t uns, eine gefö¤hrliche Probe nicht
abzuwarten.
Egmont. Keine Probe ist gefö¤hrlich, zu der man Mut hat.
Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
Egmont. Ich muöŸ mit meinen Augen sehen.
Oranien. O sö¤hst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht daöŸ der
Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal
verschlingt. Vielleicht zö¶gert er, um seinen Anschlag sicherer
auszufö¼hren; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell! Rette! rette dich! - Leb wohl! - LaöŸ
deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was fö¼r Macht die Regentin behö¤lt, wie deine Freunde
gefaöŸt sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
Egmont. Was willst du?
Oranien (ihn bei der Hand fassend). LaöŸ dich ö¼berreden! Geh mit!
Egmont. Wie? Trö¤nen, Oranien?
Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch mö¤nnlich.
Egmont. Du wö¤hnst mich verloren?
Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
Egmont (allein). DaöŸ andrer Menschen Gedanken solchen EinfluöŸ auf uns
haben! Mir wö¤r' es nie eingekommen; und dieser Mann trö¤gt seine
Sorglichkeit in mich herö¼ber. - Weg! - Das ist ein fremder Tropfen in
meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
Dritter Aufzug
Palast der Regentin
Margarete von Parma.
Margarete. Ich hö¤tte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mö¼he und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man tue das Mö¶glichste; und der
von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mö¶gliche. - O
die Kö¶nige! - Ich hö¤tte nicht geglaubt, daöŸ es mich so verdrieöŸen
kö¶nnte. Es ist so schö¶n zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weiöŸ nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
(Machiavell erscheint im Grunde.)
Regentin. Tretet nö¤her, Machiavell. Ich denke hier ö¼ber den Brief
meines Bruders.
Machiavell. Ich darf wissen, was er enthö¤lt?
Regentin. So viel zö¤rtliche Aufmerksamkeit fö¼r mich als Sorgfalt fö¼r
seine Staaten. Er rö¼hmt die Standhaftigkeit, den FleiöŸ und die Treue,
womit ich bisher fö¼r die Rechte seiner Majestö¤t in diesen Landen gewacht
habe. Er bedauert mich, daöŸ mir das unbö¤ndige Volk so viel zu schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen ö¼berzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens so auöŸerordentlich zufrieden, daöŸ ich fast
sagen muöŸ, der Brief ist fö¼r einen Kö¶nig zu schö¶n geschrieben, fö¼r
einen Bruder gewiöŸ.
Machiavell. Es ist nicht das erstemal, daöŸ er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
Regentin. Aber das erstemal, daöŸ es rednerische Figur ist.
Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
Regentin. Ihr werdet. - Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne
Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine ö¼ble Figur
spielen! Wir hö¤tten, sagt er, unrecht getan, auf die Klagen der Einwohner
unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er, die
dem Bö¼rger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, groöŸe
Sprö¼nge zu machen.
Machiavell. Es wö¼rde die Gemö¼ter ö¤uöŸerst aufbringen.
Regentin. Der Kö¶nig meint aber, hö¶rst du? - Er meint, daöŸ ein
tö¼chtiger General, so einer, der gar keine Rö¤son annimmt, gar bald mit
Volk und Adel, Bö¼rgern und Bauern fertig werden kö¶nne; - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
Machiavell. Alba?
Regentin. Du wunderst dich?
Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
Regentin. Der Kö¶nig fragt nicht; er schickt.
Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten
haben.
Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
Machiavell. Ich mö¶cht' Euch nicht vorgreifen.
Regentin. Und ich mö¶chte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als daöŸ
er fö¶rmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretö¤r aufsetzt.
Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie mö¶chten's gern
gesö¤ubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O mir ist's, als
wenn ich den Kö¶nig und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sö¤he.
Machiavell. So lebhaft?
Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so erfahren und mö¤öŸig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen lö¤öŸt, der gerade Alonzo, der fleiöŸige Freneda, der
feste Las Vargas, und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei
mö¤chtig wird. Da sitzt aber der hohlö¤ugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zö¤hnen von Weibergö¼te,
unzeitigem Nachgeben und daöŸ Frauen wohl von zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und solche Spö¤öŸe,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhö¶ren mö¼ssen.
Machiavell. Ihr habt zu dem Gemö¤lde einen guten Farbentopf gewö¤hlt.
Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus
der ich allenfalls malen kö¶nnte, ist kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie Albas Gesichtsfarbe und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist bei
ihm gleich ein Gotteslö¤sterer, ein Majestö¤tsschö¤nder: denn aus diesem
Kapitel kann man sie alle sogleich rö¤dern, pfö¤hlen, vierteilen und
verbrennen. - Das Gute, was ich hier getan habe, sieht gewiöŸ in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hö¤ngt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird dem
Kö¶nige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkö¼hnheit, daöŸ er
sich vorstellt, sie frö¤öŸen sich hier einander auf, wenn eine flö¼chtig
vorö¼bergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da faöŸt er einen recht herzlichen HaöŸ auf die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wö¤hnt, so bö¤ndige man Menschen.
Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich bin in
Staatsgeschö¤ften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen
verdrö¤ngt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen. - Erst wird er eine
Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich
greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine
geheime Instruktion vorschö¼tzen; wenn ich sie sehen will, wird er mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was anders enthö¤lt; und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er, was ich fö¼rchte, getan, und was
ich wö¼nsche, weit abwö¤rts gelenkt haben.
Machiavell. Ich wollt', ich kö¶nnt' Euch widersprechen.
Regentin. Was ich mit unsö¤glicher Geduld beruhigte, wird er durch
Hö¤rte und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und ö¼berdies noch seine Schuld zu tragen haben.
Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
Regentin. So viel Gewalt hab ich ö¼ber mich, um stille zu sein. LaöŸ
ihn kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich
verdrö¤ngt.
Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's
hergebracht hat, daöŸ jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand
liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste
gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz
behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt und
genieöŸt.
Klö¤rchens Wohnung
Klö¤rchen. Mutter.
Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab ich nie gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
Klö¤rchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen
summend).
Glö¼cklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tö¤test, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
Klö¤rchen (singt).
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrö¼bt -
Glö¼cklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. LaöŸ das Heiopopeia.
Klö¤rchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein krö¤ftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein groöŸes Kind damit schlafen gewiegt.
Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergö¤öŸest du
nur nicht alles ö¼ber das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glö¼cklich machen.
Klö¤rchen. Er?
Mutter. O ja! es kommt eine Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus und
ö¼berhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schö¶ne Liebe, alles hat
sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo
unterkriechen kann.
Klö¤rchen (schaudert, schweigt und fö¤hrt auf). Mutter, laöŸt die Zeit
kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn wir mö¼ssen - dann - wollen wir uns gebö¤rden, wie wir kö¶nnen -
Egmont, ich dich entbehren! - (In Trö¤nen.) Nein, es ist nicht mö¶glich,
nicht mö¶glich.
Egmont (in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrö¼ckt).
Klö¤rchen!
Klö¤rchen (tut einen Schrei, fö¤hrt zurö¼ck). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Sö¼öŸer!
Kommst du? bist du da!
Egmont. Guten Abend, Mutter.
Mutter. Gott grö¼öŸ' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daöŸ Ihr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet
und gesungen.
Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hö¤tten.
Klö¤rchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
Mutter. Schmal genug.
Klö¤rchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen groöŸen Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
Egmont. Meinst du?
Klö¤rchen (stampft mit dem FuöŸe und kehrt sich unwillig um).
Egmont. Wie ist dir?
Klö¤rchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen KuöŸ
angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein
Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
Egmont. Zuzeiten, Liebchen, zuzeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer
steht und dem Feinde etwas ablisten mö¶chte, da nimmt er sich zusammen,
faöŸt sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein
Liebhaber -
Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich
muöŸ in die Kö¼che; Klö¤rchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr mö¼öŸt
fö¼rliebnehmen.
Egmont. Euer guter Wille ist die beste Wö¼rze. (Mutter ab.)
Klö¤rchen. Und was wö¤re denn meine Liebe?
Egmont. So viel du willst.
Klö¤rchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
Egmont. Zuvö¶rderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem
prö¤chtigen Kleide da.)
Klö¤rchen. O je!
Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
Klö¤rchen. LaöŸt! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurö¼ck.) Wie
prö¤chtig! Da darf ich Euch nicht anrö¼hren.
Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu
kommen.
Klö¤rchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
Egmont. Da siehst du's nun.
Klö¤rchen. Das hat dir der Kaiser umgehö¤ngt?
Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trö¤gt, die
edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter ö¼ber meine
Handlungen als den GroöŸmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
Klö¤rchen. O du dö¼rftest die ganze Welt ö¼ber dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weiöŸ nicht, wo man anfangen soll.
Egmont. Sieh dich nur satt.
Klö¤rchen. Und das Goldne Vlies! Ihr erzö¤hltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles GroöŸen und Kostbaren, was man mit Mö¼h und
FleiöŸ verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
Egmont. Was willst du sagen?
Klö¤rchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
Egmont. Wieso?
Klö¤rchen. Ich habe sie nicht mit Mö¼h und FleiöŸ erworben, nicht
verdient.
Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich
nicht darum bewirbst - und die Leute erhalten sie auch meist allein, die
nicht darnach jagen.
Klö¤rchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze
Anmerkung ö¼ber dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
Egmont. Hö¤tt' ich nur etwas fö¼r sie getan! kö¶nnt' ich etwas fö¼r sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
Klö¤rchen. Du warst gewiöŸ heute bei der Regentin?
Egmont. Ich war bei ihr.
Klö¤rchen. Bist du gut mit ihr?
Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und
dienstlich.
Klö¤rchen. Und im Herzen?
Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das tut
nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sö¤he
tief genug, wenn sie auch nicht argwö¶hnisch wö¤re. Ich mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht, und ich
keine habe.
Klö¤rchen. So gar keine?
Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den Fö¤ssern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere
Unterhaltung fö¼r sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, daöŸ er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht sie immer nach
seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohl
richten mö¶chte.
Klö¤rchen. Verstellt sie sich?
Egmont. Regentin, und du fragst?
Klö¤rchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
Egmont. Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten
erreichen will.
Klö¤rchen. Ich kö¶nnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen mö¤nnlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Nö¤hterinnen und
Kö¶chinnen. Sie ist groöŸ, herzhaft, entschlossen.
Egmont. Ja, wenn's nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein
wenig aus der Fassung.
Klö¤rchen. Wieso?
Egmont. Sie hat auch ein Bö¤rtchen auf der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
Klö¤rchen. Eine majestö¤tische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu
treten.
Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wö¤re auch nicht Furcht,
nur jungfrö¤uliche Scham.
Klö¤rchen (schlö¤gt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
Egmont. Ich verstehe dich! liebes Mö¤dchen! du darfst die Augen
aufschlagen. (Er kö¼öŸt ihre Augen.)
Klö¤rchen. LaöŸ mich schweigen! LaöŸ mich dich halten. LaöŸ mich dir in
die Augen sehen; alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und
Kummer. (Sie umarmt ihn und sieht ihn an.) Sag mir! Sage! ich begreife
nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? der groöŸe Egmont, der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hö¤ngen?
Egmont. Nein, Klö¤rchen, das bin ich nicht.
Klö¤rchen. Wie?
Egmont. Siehst du, Klö¤rchen! - LaöŸ mich sitzen! (Er setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel, legt ihr Arme auf seinen SchoöŸ und sieht
ihn an.) Jener Egmont ist ein verdrieöŸlicher, steifer, kalter Egmont, der
an sich halten, bald dieses bald jenes Gesicht machen muöŸ; geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute fö¼r froh und frö¶hlich halten;
geliebt von einem Volke, das nicht weiöŸ, was es will; geehrt und in die
Hö¶he getragen von einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht ö¼berlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm auf alle Weise beikommen mö¶chten; arbeitend und sich bemö¼hend, oft
ohne Zweck meist ohne Lohn - O laöŸ mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, Klö¤rchen, der ist ruhig, offen, glö¼cklich,
geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit
voller Liebe und Zutrauen an das seine drö¼ckt. (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
Klö¤rchen. So laöŸ mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
Vierter Aufzug
StraöŸe
Jetter. Zimmermeister.
Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
Zimmermeister. Nichts, als daöŸ uns von Neuem zu reden verboten ist.
Jetter. Wie?
Zimmermeister. Tretet hier ans Haus an. Hö¼tet Euch! Der Herzog von
Alba hat gleich bei seiner Ankunft einen Befehl ausgehen lassen, dadurch
zwei oder drei, die auf der StraöŸe zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklö¤rt sind.
Jetter. O weh!
Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
Jetter. O unsre Freiheit!
Zimmermeister. Und bei Todesstrafe soll niemand die Handlungen der
Regierung miöŸbilligen.
Jetter. O unsre Kö¶pfe!
Zimmermeister. Und mit groöŸem Versprechen werden Vö¤ter, Mö¼tter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
Jetter. Gehn wir nach Hause.
Zimmermeister. Und den Folgsamen ist versprochen, daöŸ sie weder an
Leibe, noch Ehre, noch Vermö¶gen einige Krö¤nkung erdulden sollen.
Jetter. Wie gnö¤dig! War mir's doch gleich weh, wie der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wö¤re der Himmel mit einem schwarzen
Flor ö¼berzogen und hinge so tief herunter, daöŸ man sich bö¼cken mö¼sse, um
nicht dran zu stoöŸen.
Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
Jetter. Pfui! Es schnö¼rt einem das Herz ein, wenn man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel ihrer sind. Und wenn sie auf der Schildwache stehen und du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und sieht so steif und mö¼rrisch aus, daöŸ du auf allen Ecken einen
Zuchtmeister zu sehen glaubst. Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch ein lustig Volk; sie nahmen sich was heraus, standen mit
ausgegrö¤tschten Beinen da, hatten den Hut ö¼berm Ohr, lebten und lieöŸen
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
Zimmermeister. Wenn so einer ruft. á»Halt!á« und anschlö¤gt, meinst du,
man hielte?
Jetter. Ich wö¤re gleich des Todes.
Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Freunde! Genossen!
Zimmermeister. Still! LaöŸt uns gehen.
Soest. WiöŸt ihr?
Jetter. Nur zu viel!
Soest. Die Regentin ist weg.
Jetter. Nun gnad' uns Gott!
Zimmermeister. Die hielt uns noch.
Soest. Auf einmal und in der Stille. Sie konnte sich mit dem Herzog
nicht vertragen; sie lieöŸ dem Adel melden, sie komme wieder. Niemand
glaubt's.
Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, daöŸ er uns diese neue GeiöŸel
ö¼ber den Hals gelassen hat. Sie hö¤tten es abwenden kö¶nnen. Unsre
Privilegien sind hin.
Jetter. Um Gottes willen nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
Soest. Oranien ist auch weg.
Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
Soest. Graf Egmont ist noch da.
Jetter. Gott sei Dank! Stö¤rken ihn alle Heiligen, daöŸ er sein Bestes
tut; der ist allein was vermö¶gend.
(Vansen tritt auf.)
Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fö¼rbaöŸ.
Vansen. Ihr seid nicht hö¶flich.
Zimmermeister. Es ist gar keine Zeit zu Komplimenten. Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
Vansen. Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schlö¤ge
was gegeben hö¤tte, wö¤re sein Tage nichts aus mir geworden.
Jetter. Es kann ernstlicher werden.
Vansen. Ihr spö¼rt von dem Gewitter, das aufsteigt, eine erbö¤rmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
Zimmermeister. Deine Glieder werden sich bald woanders eine Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
Vansen. Armselige Mö¤use, die gleich verzweifeln, wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein biöŸchen anders; aber wir treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
Vansen. Gevatter Tropf! LaöŸ du den Herzog nur gewö¤hren. Der alte
Kater sieht aus, als wenn er Teufel statt Mö¤use gefressen hö¤tte und
kö¶nnte sie nun nicht verdauen. LaöŸt ihn nur erst; er muöŸ auch essen,
trinken, schlafen wie andere Menschen. Es ist mir nicht bange, wenn wir
unsere Zeit recht nehmen. Im Anfange geht's rasch; nachher wird er auch
finden, daöŸ in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mö¤uschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
Zimmermeister. Was so einem Menschen alles durchgeht! Wenn ich in
meinem Leben so etwas gesagt hö¤tte, hielt' ich mich keine Minute fö¼r
sicher.
Vansen. Seid nur ruhig! Gott im Himmel erfö¤hrt nichts von euch
Wö¼rmern, geschweige der Regent.
Jetter. Lö¤stermaul!
Vansen. Ich weiöŸ andere, denen es besser wö¤re, sie hö¤tten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
Jetter. Egmont! Was soll der fö¼rchten?
Vansen. Ich bin ein armer Teufel und kö¶nnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch kö¶nnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen Jahres geben, wenn er meinen Kopf auf eine Viertelstunde
hö¤tte.
Jetter. Du denkst dich was Rechts. Egmonts Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
Vansen. Redt Ihr! Aber nicht feiner. Die Herren betriegen sich am
ersten. Er sollte nicht trauen.
Jetter. Was er schwö¤tzt! So ein Herr!
Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
Jetter. Ungewaschen Maul!
Vansen. Dem wollt' ich Eure Courage nur eine Stunde in die Glieder
wö¼nschen, daöŸ sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte und juckte,
bis er aus der Stadt mö¼öŸte.
Jetter. Ihr redet recht unverstö¤ndig; er ist so sicher wie der Stern
am Himmel.
Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
Vansen. Wer will? Willst du's etwa hindern? Willst du einen Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
Jetter. Ah!
Vansen. Wollt ihr eure Rippen fö¼r ihn wagen?
Soest. Eh!
Vansen (sie nachö¤ffend). Ih! Oh! Uh! Verwundert euch durchs ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
Jetter. Ich erschrecke ö¼ber Eure Unverschö¤mtheit. So ein edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befö¼rchten haben?
Vansen. Der Schelm sitzt ö¼berall im Vorteil. Auf dem
Armensö¼nderstö¼hlchen hat er den Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten mit Lust zum Verbrecher. Ich habe so ein Protokoll
abzuschreiben gehabt, wo der Kommissarius schwer Lob und Geld vom Hofe
erhielt, weil er einen ehrlichen Teufel, an den man wollte, zum Schelmen
verhö¶rt hatte.
Zimmermeister. Das ist wieder frisch gelogen. Was wollen sie denn
heraus verhö¶ren, wenn einer unschuldig ist?
Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhö¶ren ist, da verhö¶rt man
hinein. Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine Unschuld, wie sie's
heiöŸen, und sagt alles geradezu, was ein Verstö¤ndiger verbö¤rge. Dann
macht der Inquisitor aus den Antworten wieder Fragen und paöŸt ja auf, wo
irgendein Widersprö¼chelchen erscheinen will; da knö¼pft er seinen Strick
an, und lö¤öŸt sich der dumme Teufel betreten, daöŸ er hier etwas zu viel,
dort etwas zu wenig gesagt oder wohl gar aus Gott weiöŸ was fö¼r einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch wohl irgend an einem Ende sich
hat schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich versichre
euch, mit mehr Sorgfalt suchen die Bettelweiber nicht die Lumpen aus dem
Kehricht, als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrö¼ckten, verdrö¼ckten, geschlossenen, bekannten, geleugneten Anzeigen
und Umstö¤nden sich endlich einen strohlumpenen Vogelscheu
zusammenkö¼nstelt, um wenigstens seinen Inquisiten in effigie hö¤ngen zu
kö¶nnen. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hö¤ngen
sehen.
Jetter. Der hat eine gelö¤ufige Zunge.
Zimmermeister. Mit Fliegen mag das angehen. Die Wespen lachen Eures
Gespinstes.
Vansen. Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange Herzog hat euch so
ein rein Ansehn von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbö¤uchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfö¼öŸigen, schmalleibigen, die vom FraöŸe
nicht feist wird und recht dö¼nne Fö¤den zieht, aber desto zö¤here.
Jetter. Egmont ist Ritter des Goldnen Vlieses; wer darf Hand an ihn
legen? Nur von seinesgleichen kann er gerichtet werden, nur vom gesamten
Orden. Dein loses Maul, dein bö¶ses Gewissen verfö¼hren dich zu solchem
Geschwö¤tz.
Vansen. Will ich ihm darum ö¼bel? Mir kann's recht sein. Es ist ein
trefflicher Herr. Ein paar meiner guten Freunde, die anderwö¤rts schon
wö¤ren gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schlö¤ge verabschiedet.
Nun geht! Geht! Ich rat es euch selbst. Dort seh ich wieder eine Runde
antreten; die sehen nicht aus, als wenn sie so bald Brö¼derschaft mit uns
trinken wö¼rden. Wir wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich hab ein
paar Nichten und einen Gevatter Schenkwirt; wenn sie von denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wö¶lfe.
Der Culenburgische Palast
Wohnung des Herzogs von Alba
Silva und Gomez begegnen einander.
Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
Gomez. Pö¼nktlich. Alle tö¤gliche Runden sind beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plö¤tzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe;
sie gehen indes, wie gewö¶hnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten.
Keiner weiöŸ von dem andern; jeder glaubt, der Befehl gehe ihn allein an,
und in einem Augenblick kann alsdann der Kordon gezogen und alle Zugö¤nge
zum Palast kö¶nnen besetzt sein. WeiöŸt du die Ursache dieses Befehls?
Silva. Ich bin gewohnt, blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht
sich's leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daöŸ er recht
befohlen hat?
Gomez. Gut! Gut! Auch scheint es mir kein Wunder, daöŸ du so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein muöŸt. Mir
kommt es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwö¤tzen und
Rö¤sonieren angewö¶hnt. Ihr schweigt alle und laöŸt es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir einem ehrnen Turm ohne Pforte, wozu die Besatzung
Flö¼gel hö¤tte. Neulich hö¶rt' ich ihn bei Tafel von einem frohen
freundlichen Menschen sagen: er sei wie eine schlechte Schenke mit einem
ausgesteckten Branntweinzeichen, um Mö¼öŸiggö¤nger, Bettler und Diebe
hereinzulocken.
Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergefö¼hrt?
Gomez. Dagegen ist nichts zu sagen. GewiöŸ! Wer Zeuge seiner Klugheit
war, wie er die Armee aus Italien hierher brachte, der hat etwas gesehen.
Wie er sich durch Freund und Feind, durch die Franzosen, Kö¶niglichen und
Ketzer, durch die Schweizer und Verbundnen gleichsam durchschmiegte, die
strengste Mannszucht hielt und einen Zug, den man so gefö¤hrlich achtete,
leicht und ohne AnstoöŸ zu leiten wuöŸte! - Wir haben was gesehen, was
lernen kö¶nnen.
Silva. Auch hier! Ist nicht alles still und ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wö¤re?
Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
Silva. In den Provinzen ist es viel ruhiger geworden; und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Kö¶nigs gewinnen.
Silva. Und uns bleibt nichts angelegener, als uns die seinige zu
erhalten. Wenn der Kö¶nig hieherkommt, bleibt gewiöŸ der Herzog und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
Gomez. Glaubst du, daöŸ der Kö¶nig kommt?
Silva. Es werden so viele Anstalten gemacht, daöŸ es hö¶chst
wahrscheinlich ist.
Gomez. Mich ö¼berreden sie nicht.
Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Kö¶nigs Absicht ja
nicht sein sollte zu kommen, so ist sie's doch wenigstens gewiöŸ, daöŸ man
es glauben soll.
(Ferdinand, Albas natö¼rlicher Sohn.)
Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
Silva. Wir warten auf ihn.
Ferdinand. Die Fö¼rsten werden bald hier sein.
Gomez. Kommen sie heute?
Ferdinand. Oranien und Egmont.
Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
Silva. So behalt es fö¼r dich.
(Herzog von Alba. - Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zurö¼ck.)
Alba. Gomez.
Gomez (tritt vor). Herr!
Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
Gomez. Aufs genaueste. Die tö¤glichen Runden -
Alba. Genug. Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie zusammenziehen, die Zugö¤nge nach dem Palast besetzen
sollst. Das ö¼brige weiöŸt du.
Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
Alba. Silva!
Silva. Hier bin ich.
Alba. Alles, was ich von jeher an dir geschö¤tzt habe, Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausfö¼hren, das zeige heut.
Silva. Ich danke Euch, daöŸ Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen, daöŸ
ich der alte bin.
Alba. Sobald die Fö¼rsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich,
Egmonts Geheimschreiber gefangenzunehmen. Du hast alle Anstalten gemacht,
die ö¼brigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
Silva. Vertraue auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pö¼nktlich und schrecklich treffen.
Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva. Alle; den Egmont vor andern. Er ist der einzige, der, seit du
hier bist, sein Betragen nicht geö¤ndert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere, ladet Gö¤ste, ist immer lustig und unterhaltend bei Tafel,
wö¼rfelt, schieöŸt und schleicht nachts zum Liebchen. Die andern haben
dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht; sie bleiben bei
sich; vor ihrer Tö¼re sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wö¤re.
Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
Silva. Ich stelle sie. Auf deinen Befehl ö¼berhö¤ufen wir sie mit
dienstfertigen Ehren. Ihnen graut's; politisch geben sie uns einen
ö¤ngstlichen Dank, fö¼hlen, das Rö¤tlichste sei, zu entfliehen, keiner wagt
einen Schritt, sie zaudern, kö¶nnen sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
Kö¼hnes zu tun, hö¤lt sie der Gemeingeist ab. Sie mö¶chten gern sich jedem
Verdacht entziehen und machen sich immer verdö¤chtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgefö¼hrt.
Alba. Ich freue mich nur ö¼ber das Geschehene; und auch ö¼ber das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch ö¼brig, was uns zu denken und zu sorgen
gibt. Das Glö¼ck ist eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswö¼rdige zu
adeln und wohlö¼berlegte Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fö¼rsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die StraöŸen zu
besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die ö¼brigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, daöŸ er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dö¼rfen.
(Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt.
Ich fö¼rchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die still und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der Fö¼rsten und
vieler Tausende wö¤gen. Langsam wankt das Zö¼nglein auf und ab; tief
scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
(Alba mit Ferdinand hervortretend.)
Alba. Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand. Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum
Zeitvertreib, straöŸauf, straöŸab. Eure wohlverteilten Wachen halten die
Furcht so angespannt, daöŸ sie sich nicht zu lispeln untersteht. Die Stadt
sieht einem Felde ö¤hnlich, wenn das Gewitter von weitem leuchtet; man
erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte
schlö¼pft.
Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grö¼öŸten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben muöŸte. á»LaöŸt uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!á« rief er mir entgegen. Er
werde mich noch heute wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
Alba. Er wird dich wiedersehn.
Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier kenne, gefö¤llt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig behutsam; immer erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie unbedingt in die Arme
lieferte. Zu mancher gefö¤hrlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
Alba. Ich vergebe deinem jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen,
diese unachtsame Frö¶hlichkeit. Nur vergiöŸ nicht, zu welchem Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben mö¶chte.
Ferdinand. Erinnert mich, und schont mich nicht, wo Ihr es nö¶tig
haltet.
Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
Ferdinand. Mein Vater!
Alba. Die Fö¼rsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
MiöŸtrauen, daöŸ ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
Ferdinand. Was sinnst du?
Alba. Es ist beschlossen, sie festzuhalten. - Du erstaunst! Was du zu
tun hast, hö¶re; die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine Zeit, sie auszulegen. Mit dir allein wö¼nscht' ich das
Grö¶öŸte, das Geheimste zu besprechen; ein starkes Band hö¤lt uns
zusammengefesselt; du bist mir wert und lieb; auf dich mö¶cht' ich alles
hö¤ufen. Nicht die Gewohnheit zu gehorchen allein mö¶cht' ich dir
einprö¤gen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszufö¼hren, wö¼nscht'
ich in dir fortzupflanzen; dir ein groöŸes Erbteil, dem Kö¶nige den
brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit dem Besten, was ich habe,
auszustatten, daöŸ du dich nicht schö¤men dö¼rfest, unter deine Brö¼der zu
treten.
Ferdinand. Was werd ich dir nicht fö¼r diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
Alba. Nun hö¶re, was zu tun ist. Sobald die Fö¼rsten eingetreten sind,
wird jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen, Egmonts Schreiber mit den Verdö¤chtigsten gefangenzunehmen. Du
hö¤ltst die Wache am Tore und in den Hö¶fen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese Zimmer hier neben mit den sichersten Leuten; dann warte auf
der Galerie, bis Silva wiederkommt, und bringe mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, daöŸ sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte Egmont hier, als ob ich
ihm noch was zu sagen hö¤tte. Am Ende der Galerie fordre Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefö¤hrlichsten Mann; und ich fasse
Egmont hier.
Ferdinand. Ich gehorche, mein Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste groöŸe Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
Alba. Sagt' es der Bote?
Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
Alba. Aus dir spricht mein bö¶ser Genius. (Nachdem er den Brief
gelesen, winkt er beiden, und sie ziehen sich in die Galerie zurö¼ck. Er
bleibt allein auf dem Vorderteile.) Er kommt nicht! Bis auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklö¤ren. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug zu sein! -
Es rö¼ckt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein groöŸes Werk
ist getan oder versö¤umt, unwiederbringlich versö¤umt; denn es ist weder
nachzuholen, noch zu verheimlichen. Lö¤ngst hatt' ich alles reiflich
abgewogen, und mir auch diesen Fall gedacht, mir festgesetzt, was auch in
diesem Falle zu tun sei; und jetzt, da es zu tun ist, wehr ich mir kaum,
daöŸ nicht das Fö¼r und Wider mir aufs neue durch die Seele schwankt. -
Ist's rö¤tlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und laöŸ Egmont mit den Seinigen, mit so vielen entschlö¼pfen, die nun,
vielleicht nur heute noch, in meinen Hö¤nden sind? So zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie groöŸ, wie schö¶n der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens bist du zwischen zwei öœbel gestellt; wie in
einen Lostopf greifst du in die dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch
zugerollt, dir unbewuöŸt, sei's Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie einer, der etwas hö¶rt, und tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und vor dem Geiste mit dem blanken Schwert, der an der Pforte dich
empfö¤ngt? - Steig ab! - So bist du mit dem einen FuöŸ im Grab! und so mit
beiden! - ja streichl' es nur und klopfe fö¼r seinen mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In der Verblendung,
wie hier Egmont naht, kann er dir nicht zum zweitenmal sich liefern! -
Hö¶rt!
(Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
Alba. Ihr tut, was ich befahl; ich ö¤ndre meinen Willen nicht. Ich
halte, wie es gehn will, Egmont auf, bis du mir von Silva die Nachricht
gebracht hast. Dann bleib in der Nö¤he. Auch dir raubt das Geschick das
groöŸe Verdienst, des Kö¶nigs grö¶öŸten Feind mit eigener Hand gefangen zu
haben. (Zu Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.) Geh ihm entgegen. (Alba bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Ich komme, die Befehle des Kö¶nigs zu vernehmen, zu hö¶ren,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
Alba. Er wö¼nscht vor allen Dingen Euern Rat zu hö¶ren.
Egmont. öœber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
Alba. Mir tut es leid, daöŸ er uns eben in dieser wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wö¼nscht der Kö¶nig, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr werdet krö¤ftig mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen vö¶llig und dauerhaft zu grö¼nden.
Egmont. Ihr kö¶nnt besser wissen als ich, daöŸ schon alles genug
beruhigt ist, ja, noch mehr beruhigt war, eh die Erscheinung der neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die Gemö¼ter bewegte.
Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Rö¤tlichste sei gewesen, wenn
der Kö¶nig mich gar nicht in den Fall gesetzt hö¤tte, Euch zu fragen.
Egmont. Verzeiht! Ob der Kö¶nig das Heer hö¤tte schicken sollen, ob
nicht vielmehr die Macht seiner majestö¤tischen Gegenwart allein stö¤rker
gewirkt hö¤tte, ist meine Sache nicht zu beurteilen. Das Heer ist da, er
nicht. Wir aber mö¼öŸten sehr undankbar, sehr vergessen sein, wenn wir uns
nicht erinnerten, was wir der Regentin schuldig sind. Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als tapferes Betragen die Aufrö¼hrer mit Gewalt
und Ansehn, mit öœberredung und List zur Ruhe und fö¼hrte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurö¼ck.
Alba. Ich leugne es nicht. Der Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurö¼ckgebannt. Aber hö¤ngt es nicht von eines
jeden Willkö¼r ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die Macht, sie abzuhalten? Wer bö¼rgt uns, daöŸ sie sich ferner treu
und untertö¤nig zeigen werden? Ihr guter Wille ist alles Pfand, das wir
haben.
Egmont. Und ist der gute Wille eines Volks nicht das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein Kö¶nig sicherer halten, als wenn
sie alle fö¼r einen, einer fö¼r alle stehn? Sicherer gegen innere und
ö¤uöŸere Feinde?
Alba. Wir werden uns doch nicht ö¼berreden sollen, daöŸ es jetzt hier
so steht?
Egmont. Der Kö¶nig schreibe einen Generalpardon aus, er beruhige die
Gemö¼ter; und bald wird man sehen, wie Treue und Liebe mit dem Zutrauen
wieder zurö¼ckkehrt.
Alba. Und jeder, der die Majestö¤t des Kö¶nigs, der das Heiligtum der
Religion geschö¤ndet, ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, daöŸ ungeheure Verbrechen straflos sind?
Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo GewiöŸheit ist, daöŸ die öœbel nicht wiederkehren werden? Waren Kö¶nige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine Beleidigung ihrer Wö¼rde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie nicht eben deswegen Gott gleich gehalten, der viel zu groöŸ ist, als
daöŸ an ihn jede Lö¤sterung reichen sollte?
Alba. Und eben darum soll der Kö¶nig fö¼r die Wö¼rde Gottes und der
Religion, wir sollen fö¼r das Ansehn des Kö¶nigs streiten. Was der obere
abzulehnen verschmö¤ht, ist unsere Pflicht zu rö¤chen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
Egmont. Glaubst du, daöŸ du sie alle erreichen wirst? Hö¶rt man nicht
tö¤glich, daöŸ die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande treibt? Die
Reichsten werden ihre Gö¼ter, sich, ihre Kinder und Freunde flö¼chten; der
Arme wird seine nö¼tzlichen Hö¤nde dem Nachbar zubringen.
Alba. Sie werden, wenn man sie nicht verhindern kann. Darum verlangt
der Kö¶nig Rat und Tat von jedem Fö¼rsten, Ernst von jedem Statthalter;
nicht nur Erzö¤hlung, wie es ist, was werden kö¶nnte, wenn man alles gehen
lieöŸe, wie's geht. Einem groöŸen öœbel zusehen, sich mit Hoffnung
schmeicheln, der Zeit vertrauen, etwa einmal dreinschlagen, wie im
Fastnachtsspiel, daöŸ es klatscht und man doch etwas zu tun scheint, wenn
man nichts tun mö¶chte, heiöŸt das nicht, sich verdö¤chtig machen, als sehe
man dem Aufruhr mit Vergnö¼gen zu, den man nicht erregen, wohl aber hegen
mö¶chte!
Egmont (im Begriff aufzufahren, nimmt sich zusammen und spricht nach
einer kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist offenbar, und manches
Mannes Absicht ist zu miöŸdeuten. MuöŸ man doch auch von allen Seiten
hö¶ren: es sei des Kö¶nigs Absicht weniger, die Provinzen nach einfö¶rmigen
und klaren Gesetzen zu regieren, die Majestö¤t der Religion zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer alten Rechte zu berauben, sich Meister von ihren
Besitztö¼mern zu machen, die schö¶nen Rechte des Adels einzuschrö¤nken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen mag. Die
Religion, sagt man, sei nur ein prö¤chtiger Teppich, hinter dem man jeden
gefö¤hrlichen Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf den
Knien, betet die heiligen gewirkten Zeichen an, und hinten lauscht der
Vogelsteller, der sie berö¼cken will.
Alba. Das muöŸ ich von dir hö¶ren?
Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von GroöŸen
und von Kleinen, Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet wird. Die
Niederlö¤nder fö¼rchten ein doppeltes Joch, und wer bö¼rgt ihnen fö¼r ihre
Freiheit?
Alba. Freiheit? Ein schö¶nes Wort, wer's recht verstö¤nde. Was wollen
sie fö¼r Freiheit? Was ist des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun! - und
daran wird sie der Kö¶nig nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden kö¶nnen. Wö¤re es nicht
besser, abzudanken, als ein solches Volk zu regieren? Wenn auswö¤rtige
Feinde drö¤ngen, an die kein Bö¼rger denkt, der mit dem Nö¤chsten nur
beschö¤ftigt ist, und der Kö¶nig verlangt Beistand: dann werden sie uneins
unter sich, und verschwö¶ren sich gleichsam mit ihren Feinden. Weit besser
ist's, sie einzuengen, daöŸ man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten kann. Glaube nur, ein Volk wird nicht alt, nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
Egmont. Wie selten kommt ein Kö¶nig zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an den Blicken seines Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst ö¼berlassen ist.
Egmont. Und darum niemand gern sich selbst ö¼berlassen mö¶chte. Man
tue, was man will; ich habe auf deine Frage geantwortet und wiederhole: Es
geht nicht! Es kann nicht gehen! Ich kenne meine Landsleute. Es sind
Mö¤nner, wert, Gottes Boden zu betreten; ein jeder rund fö¼r sich, ein
kleiner Kö¶nig, fest, rö¼hrig, fö¤hig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's, ihr Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und fest! Zu
drö¼cken sind sie; nicht zu unterdrö¼cken.
Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Kö¶nigs Gegenwart wiederholen?
Egmont. Desto schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser fö¼r ihn, fö¼r sein Volk, wenn er mir Mut machte, wenn er mir
Zutrauen einflö¶öŸte, noch weit mehr zu sagen.
Alba. Was nö¼tzlich ist, kann ich hö¶ren wie er.
Egmont. Ich wö¼rde ihm sagen: Leicht kann der Hirt eine ganze Herde
Schafe vor sich hintreiben, der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber dem edeln Pferde, das du reiten willst, muöŸt du seine Gedanken
ablernen, du muöŸt nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen. Darum
wö¼nscht der Bö¼rger seine alte Verfassung zu behalten, von seinen
Landsleuten regiert zu sein, weil er weiöŸ, wie er gefö¼hrt wird, weil er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verö¤ndern? und sollte nicht eben dies sein schö¶nstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser Welt? und sollte eine Staatseinrichtung bleiben
kö¶nnen? MuöŸ nicht in einer Zeitfolge jedes Verhö¤ltnis sich verö¤ndern und
eben darum eine alte Verfassung die Ursache von tausend öœbeln werden, weil
sie den gegenwö¤rtigen Zustand des Volkes nicht umfaöŸt? Ich fö¼rchte, diese
alten Rechte sind darum so angenehm, weil sie Schlupfwinkel bilden, in
welchen der Kluge, der Mö¤chtige, zum Schaden des Volks, zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
Egmont. Und diese willkö¼rlichen Verö¤nderungen, diese unbeschrö¤nkten
Eingriffe der hö¶chsten Gewalt, sind sie nicht Vorboten, daöŸ einer tun
will, was Tausende nicht tun sollen? Er will sich allein frei machen, um
jeden seiner Wö¼nsche befriedigen, jeden seiner Gedanken ausfö¼hren zu
kö¶nnen. Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen Kö¶nige, ganz vertrauten,
sagt er uns fö¼r seine Nachkommen gut? daöŸ keiner ohne Rö¼cksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von vö¶lliger Willkö¼r, wenn
er uns seine Diener, seine Nö¤chsten sendet, die ohne Kenntnis des Landes
und seiner Bedö¼rfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natö¼rlicher,
als daöŸ ein Kö¶nig durch sich zu herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am liebsten auftrö¤gt, die ihn am besten verstehen, verstehen wollen, die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
Egmont. Und ebenso natö¼rlich ist's, daöŸ der Bö¼rger von dem regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefaöŸt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
Alba. Und doch hat der Adel mit diesen seinen Brö¼dern sehr ungleich
geteilt.
Egmont. Das ist vor Jahrhunderten geschehen und wird jetzt ohne Neid
geduldet. Wö¼rden aber neue Menschen ohne Not gesendet, die sich zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sö¤he man sich einer
strengen, kö¼hnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wö¼rde eine Gö¤rung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflö¶ste.
Alba. Du sagst mir, was ich nicht hö¶ren sollte: auch ich bin fremd.
Egmont. DaöŸ ich dir's sage, zeigt dir, daöŸ ich dich nicht meine.
Alba. Und auch so wö¼nscht' ich es nicht von dir zu hö¶ren. Der Kö¶nig
sandte mich mit Hoffnung, daöŸ ich hier den Beistand des Adels finden
wö¼rde. Der Kö¶nig will seinen Willen. Der Kö¶nig hat nach tiefer
öœberlegung gesehen, was dem Volke frommt; es kann nicht bleiben und gehen
wie bisher. Des Kö¶nigs Absicht ist, sie selbst zu ihrem eignen Besten
einzuschrö¤nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muöŸ, ihnen aufzudringen, die
schö¤dlichen Bö¼rger aufzuopfern, damit die ö¼brigen Ruhe finden, des
Glö¼cks einer weisen Regierung genieöŸen kö¶nnen. Dies ist sein EntschluöŸ;
diesen dem Adel kundzumachen habe ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
Egmont. Leider rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volkes, die
allgemeine Furcht! So hat er denn beschlossen, was kein Fö¼rst beschlieöŸen
sollte. Die Kraft seines Volks, ihr Gemö¼t, den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwö¤chen, niederdrö¼cken, zerstö¶ren, um sie bequem
regieren zu kö¶nnen. Er will den innern Kern ihrer Eigenheit verderben;
gewiöŸ in der Absicht, sie glö¼cklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit sie etwas werden, ein ander Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird sie miöŸgeleitet! Nicht dem Kö¶nige widersetzt man sich; man stellt
sich nur dem Kö¶nige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglö¼cklichen Schritte macht.
Alba. Wie du gesinnt bist, scheint es ein vergeblicher Versuch, uns
vereinigen zu wollen. Du denkst gering vom Kö¶nige und verö¤chtlich von
seinen Rö¤ten, wenn du zweifelst, das alles sei nicht schon gedacht,
geprö¼ft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Fö¼r und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bö¼rgen dieser unbedingten Pflicht.
Egmont. Fordre unsre Hö¤upter, so ist es auf einmal getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich sein. Umsonst hab ich so viel gesprochen: die Luft hab
ich erschö¼ttert, weiter nichts gewonnen.
(Ferdinand kommt.)
Ferdinand. Verzeiht, daöŸ ich Euer Gesprö¤ch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen öœberbringer die Antwort dringend macht.
Alba. Erlaubt mir, daöŸ ich sehe, was er enthö¤lt. (Tritt an die
Seite.)
Ferdinand (zu Egmont). Es ist ein schö¶nes Pferd, das Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
Egmont. Es ist nicht das schlimmste. Ich hab es schon eine Weile; ich
denk es wegzugeben. Wenn es Euch gefö¤llt, so werden wir vielleicht des
Handels einig.
Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
(Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurö¼ckzieht.)
Egmont. Lebt wohl! EntlaöŸt mich: denn ich wö¼öŸte, bei Gott! nicht
mehr zu sagen.
Alba. Glö¼cklich hat dich der Zufall verhindert, deinen Sinn noch
weiter zu verraten. Unvorsichtig entwickelst du die Falten deines Herzens
und klagst dich selbst weit strenger an, als ein Widersacher gehö¤ssig tun
kö¶nnte.
Egmont. Dieser Vorwurf rö¼hrt mich nicht; ich kenne mich selbst genug
und weiöŸ, wie ich dem Kö¶nig angehö¶re; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst sich selber dienen. Ungern scheid ich aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt zu sehen, und wö¼nsche nur, daöŸ uns der Dienst des Herrn, das
Wohl des Landes bald vereinigen mö¶ge. Es wirkt vielleicht ein wiederholtes
Gesprö¤ch, die Gegenwart der ö¼brigen Fö¼rsten, die heute fehlen, in einem
glö¼cklichern Augenblick, was heut unmö¶glich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
Alba (der zugleich seinem Sohn Ferdinand ein Zeichen gibt). Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
(Die Mitteltö¼r ö¶ffnet sich: man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
Egmont (der staunend eine Weile geschwiegen). Dies war die Absicht?
Dazu hast du mich berufen? (Nach dem Degen greifend, als wenn er sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
Alba. Der Kö¶nig befiehlt's, du bist mein Gefangener.
(Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
Egmont (nach einer Stille). Der Kö¶nig? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit ö¶fter des Kö¶nigs
Sache verteidigt, als diese Brust beschö¼tzt.
(Er geht durch die Mitteltö¼r ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fö¤llt.)
Fö¼nfter Aufzug
StraöŸe
Dö¤mmerung
Klö¤rchen. Brackenburg. Bö¼rger.
Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
Klö¤rchen. Komm mit, Brackenburg! Du muöŸt die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiöŸ. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fö¼hlt,
ich schwö¶r es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von
einem kostbaren Leben abzuwenden und dem Freiesten die Freiheit
wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind! und daöŸ sein
mö¤chtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhö¤lt, wissen sie. Um
seinet- und ihretwillen mö¼ssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum
hö¶chsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mö¼he wert ist, wenn er
umkommt.
Brackenburg. Unglö¼ckliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
Klö¤rchen. Sie scheint mir nicht unö¼berwindlich. LaöŸ uns nicht lang
vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern
Mö¤nnern! Hö¶rt, Freunde! Nachbarn, hö¶rt! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
Zimmermeister. Was will das Kind? LaöŸ sie schweigen,
Klö¤rchen. Tretet nö¤her, daöŸ wir sachte reden, bis wir einig sind und
stö¤rker. Wir dö¼rfen nicht einen Augenblick versö¤umen! Die freche
Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dö¤mmerung werd ich ö¤ngstlicher.
Ich fö¼rchte diese Nacht! Kommt! wir wollen uns teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier zu Quartier rufen wir die Bö¼rger heraus. Ein jeder greife zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom
reiöŸt einen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und
ö¼berschwemmt, und sind erdrö¼ckt. Was kann uns eine Handvoll Knechte
widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt zurö¼ck, sieht sich befreit und
kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief verschuldet worden. Er
sieht vielleicht - gewiöŸ er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
Zimmermeister. Wie ist dir, Mö¤dchen?
Klö¤rchen. Kö¶nnt ihr mich miöŸverstehn? Vom Grafen sprech ich! Ich
spreche von Egmont.
Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tö¶dlich.
Klö¤rchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn
nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr trö¤umt; besinnt euch. Seht
mich nicht so starr und ö¤ngstlich an! Blickt nicht schö¼chtern hie und da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wö¼nscht. Ist meine Stimme nicht
eures Herzens eigne Stimme? Wer wö¼rfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er
sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Knie, ihn mit ernstlichem
Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: á»Egmonts Freiheit oder den Tod!á«
Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglö¼ck.
Klö¤rchen. Bleibt! Bleibt, und drö¼ckt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem ihr euch sonst so froh entgegendrö¤ngtet! - Wenn der Ruf ihn
ankö¼ndigte, wenn es hieöŸ: á»Egmont kommt! Er kommt von Gent!á« da hielten
die Bewohner der StraöŸen sich glö¼cklich, durch die er reiten muöŸte. Und
wenn ihr seine Pferde schallen hö¶rtet, warf jeder seine Arbeit hin, und
ö¼ber die bekö¼mmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure Kinder auf der Tö¼rschwelle in die Hö¶he und deutetet ihnen:
á»Sieh, das ist Egmont, der Grö¶öŸte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr
bessere Zeiten, als eure armen Vö¤ter lebten, einst zu erwarten habt.á«
LaöŸt eure Kinder nicht dereinst euch fragen: á»Wo ist er hin? Wo sind die
Zeiten hin, die ihr verspracht?á« - Und so wechseln wir Worte! sind mö¼öŸig,
verraten ihn.
Soest. Schö¤mt Euch, Brackenburg! LaöŸt sie nicht gewö¤hren! Steuert
dem Unheil!
Brackenburg. Liebes Klö¤rchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter
sagen? Vielleicht -
Klö¤rchen. Meinst du, ich sei ein Kind oder wahnsinnig? Was kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen GewiöŸheit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr sollt mich hö¶ren und ihr werdet: denn ich seh's, ihr
seid bestö¼rzt und kö¶nnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden.
LaöŸt durch die gegenwö¤rtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene
dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Kö¶nnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde geht? Mit seinem Atem flieht
der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch? Fö¼r wen ö¼bergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fö¼r euch. Die
groöŸe Seele, die euch alle trug, beschrö¤nkt ein Kerker, und Schauer
tö¼ckischen Mordes schweben um sie her. Er denkt vielleicht an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfö¼llen gewohnt war.
Zimmermeister. Gevatter, kommt.
Klö¤rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark wie ihr; doch hab ich,
was euch allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Kö¶nnt' euch mein
Atem doch entzö¼nden! kö¶nnt' ich an meinen Busen drö¼ckend euch erwö¤rmen
und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos
ein edles Heer von Kriegern wehend anfö¼hrt, so soll mein Geist um eure
Hö¤upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fö¼rchterlichen Heer vereinigen.
Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bö¼rger ab.)
Brackenburg. Klö¤rchen! siehst du nicht, wo wir sind?
Klö¤rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wö¶lben
schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie
herausgesehn, vier, fö¼nf Kö¶pfe ö¼bereinander; an diesen Tö¼ren haben sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O ich hatte sie so
lieb, wie sie ihn ehrten! Wö¤re er Tyrann gewesen, mö¶chten sie immer vor
seinem Falle seitwö¤rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hö¤nde, die ihr
an die Mö¼tzen grifft, zum Schwert kö¶nnt ihr nicht greifen - Brackenburg,
und wir? - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun sie fö¼r ihn? - List hat in der Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte SchloöŸ. Es ist nichts unmö¶glich, gib mir einen
Anschlag.
Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
Klö¤rchen. Gut.
Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laöŸ doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen. Hö¤ltst du mich fö¼r feig? Glaubst du
nicht, daöŸ ich um deinetwillen sterben kö¶nnte? Hier sind wir beide toll,
ich so gut wie du. Siehst du nicht das Unmö¶gliche? Wenn du dich faöŸtest!
Du bist auöŸer dir.
Klö¤rchen. AuöŸer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid auöŸer euch.
Da ihr laut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hö¶her
als euch allen. Jetzt schlö¤gt mir's wieder hö¶her als euch allen! Ihr
verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fö¼hlt nicht, daöŸ ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
Brackenburg. Komm nach Hause.
Klö¤rchen. Nach Hause?
Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die StraöŸen,
die du nur sonntö¤glich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche
gingst, wo du ö¼bertrieben ehrbar zö¼rntest, wenn ich mit einem freundlichen
grö¼öŸenden Wort mich zu dir gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
Klö¤rchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach
Hause! WeiöŸt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)
Gefö¤ngnis,
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
Egmont (allein). Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich
auch wie die ö¼brigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies
Haupt herunter und kö¼hltest wie ein schö¶ner Myrtenkranz der Liebe meine
Schlö¤fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge des Lebens, ruht' ich leicht
atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stö¼rme durch
Zweige und Blö¤tter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb
innerst doch der Kern des Herzens ungeregt. Was schö¼ttelt dich nun? was
erschö¼ttert den festen treuen Sinn? Ich fö¼hl's, es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer durchfö¤hrt mich. Ja, sie ö¼berwindet, die verrö¤terische Gewalt;
sie untergrö¤bt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stö¼rzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen
dir vom Haupte weggewiesen, warum vermagst du nicht die Ahnung zu
verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der Tod dir fö¼rchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den ö¼brigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist
er's nicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust wetteifernd sich
entgegensehnt; der Kerker ist's, des Grabes Vorbild, dem Helden wie dem
Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinem gepolsterten
Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fö¼rsten, was leicht zu
entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprö¤chen ö¼berlegten, und zwischen
dö¼stern Wö¤nden eines Saals die Balken der Decke mich erdrö¼ckten. Da eilt'
ich fort, sobald es mö¶glich war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehö¶ren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede nö¤chste Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle Segen der
Gestirne uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der
Berö¼hrung unsrer Mutter krö¤ftiger uns in die Hö¶he reiöŸen; wo wir die
Menschheit ganz und menschliche Begier in allen Adern fö¼hlen; wo das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu besitzen, zu erobern, durch die Seele des jungen Jö¤gers glö¼ht; wo der
Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaöŸt
und in fö¼rchterlicher Freiheit wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glö¼cks, das ich so lang
besessen; wo hat dich das Geschick verrö¤terisch hingefö¼hrt? Versagt es
dir, den nie gescheuten Tod im Angesicht der Sonne rasch zu gö¶nnen, um dir
des Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der FuöŸ. -
O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, laöŸ ab! - Seit
wann ist Egmont denn allein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hö¼lflos, nicht das Glö¼ck. Ist die Gerechtigkeit des Kö¶nigs, der
du lebenslang vertrautest, ist der Regentin Freundschaft, die fast (du
darfst es dir gestehn), fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein
glö¤nzend Feuerbild der Nacht, verschwunden? und lassen dich allein auf
dunkelm Pfad zurö¼ck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln und mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
O haltet, Mauern, die ihr mich einschlieöŸt, so vieler Geister
wohlgemeintes Drö¤ngen nicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen
sonst sich ö¼ber sie ergoöŸ, der kehre nun aus ihren Herzen in meines
wieder. O ja, sie rö¼hren sich zu Tausenden! sie kommen! stehen mir zur
Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh ich sie
nach Lanz und Schwertern greifen. Die Tore spalten sich, die Gitter
springen, die Mauer stö¼rzt von ihren Hö¤nden ein, und der Freiheit des
einbrechenden Tages steigt Egmont frö¶hlich entgegen. Wie manch bekannt
Gesicht empfö¤ngt mich jauchzend! Ach Klö¤rchen, wö¤rst du Mann; so sö¤h'
ich dich gewiöŸ auch hier zuerst und dankte dir, was einem Kö¶nige zu danken
hart ist, Freiheit.
Klö¤rchens Haus
Klö¤rchen (kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hö¶rt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster setzen, daöŸ er sieht, ich wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? Entsetzliche GewiöŸheit! -
Egmont verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der Kö¶nig verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien zaudert, und alle seine Freunde! - - Ist dies die Welt, von deren
Wankelmut, Unzuverlö¤ssigkeit ich viel gehö¶rt und nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt? - Wer wö¤re bö¶s genug, den Teuern anzufeinden? Wö¤re
Bosheit mö¤chtig genug, den allgemein Erkannten schnell zu stö¼rzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich faöŸt, die Hand aus. Du hö¼lflos und ich frei! - Hier
ist der Schlö¼ssel zu meiner Tö¼r. An meiner Willkö¼r hö¤ngt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - - O bindet mich, damit ich nicht
verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker, daöŸ ich das Haupt an
feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, trö¤ume, wie ich ihm helfen
wollte, wenn Fesseln mich nicht lö¤hmten, wie ich ihm helfen wö¼rde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewuöŸt, nicht fö¤hig, ein Glied nach seiner Hö¼lfe zu rö¼hren. Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klö¤rchen, ist wie du gefangen
und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten Krö¤fte. - Ich hö¶re
schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender guter Mann, dein
Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen ö¶ffnet dir die
nö¤chtliche Tö¼r, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
(Brackenburg tritt auf.)
Klö¤rchen. Du kommst so bleich und schö¼chtern, Brackenburg! was ist's?
Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren such ich dich auf. Die groöŸen
StraöŸen sind besetzt; durch Gö¤öŸchen und durch Winkel hab ich mich zu dir
gestohlen.
Klö¤rchen. Erzö¤hl, wie ist's?
Brackenburg (indem er sich setzt). Ach Klö¤re, laöŸ mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide herö¼ber. Ich hab ihn nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich. In Schmerzen floöŸ mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
Klö¤rchen. VergiöŸ das, Brackenburg! VergiöŸ dich selbst. Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
Brackenburg. Er ist's! ich weiöŸ es ganz genau.
Klö¤rchen. Und lebt noch?
Brackenburg. Ja, er lebt noch.
Klö¤rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht den Herrlichen! vor allen Augen verborgen flieöŸt sein Blut.
ö„ngstlich im Schlafe liegt das betö¤ubte Volk und trö¤umt von Rettung,
trö¤umt ihres ohnmö¤chtigen Wunsches Erfö¼llung; indes unwillig ö¼ber uns
sein Geist die Welt verlö¤öŸt. Er ist dahin! - Tö¤usche mich nicht! dich
nicht!
Brackenburg. Nein gewiöŸ, er lebt! - Und leider, es bereitet der
Spanier dem Volke, das er zertreten will, ein fö¼rchterliches Schauspiel,
gewaltsam jedes Herz, das nach der Freiheit sich regt, auf ewig zu
zerknirschen.
Klö¤rchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurteil aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon nö¤her und nö¤her, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon herö¼ber. Sag an.
Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald dorten fielen, daöŸ auf dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis
zubereitet werde. Ich schlich durch Seitenwege, durch bekannte Gö¤nge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte. - Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schö¤rfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes
Gerö¼st entgegen, gerö¤umig hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschö¤ftig
waren viele rings umher bemö¼ht, was noch von Holzwerk weiöŸ und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch einhö¼llend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie
zuletzt auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines
grö¤öŸlichen Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weiöŸes Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich
sah, und sah die schreckliche GewiöŸheit immer gewisser. Noch wankten
Fackeln hie und da herum; allmö¤hlich wichen sie und erloschen. Auf einmal
war die scheuöŸliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter SchoöŸ zurö¼ckgekehrt.
Klö¤rchen. Still, Brackenburg! Nun still! LaöŸ diese Hö¼lle auf meiner
Seele ruhn. Verschwunden sind die Gespenster, und du, holde Nacht, leih
deinen Mantel der Erde, die in sich gö¤rt; sie trö¤gt nicht lö¤nger die
abscheuliche Last, reiöŸt ihre tiefen Spalten grausend auf und knirscht das
Mordgerö¼st hinunter. Und irgendeinen Engel sendet der Gott, den sie zum
Zeugen ihrer Wut geschö¤ndet; vor des Boten heiliger Berö¼hrung lö¶sen sich
Riegel und Bande, und er umgieöŸt den Freund mit mildem Schimmer; er fö¼hrt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft und still. Und auch mein Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
Klö¤rchen. Leise, Lieber, daöŸ niemand erwache! daöŸ wir uns selbst
nicht wecken! Kennst du dies Flö¤schchen, Brackenburg? Ich nahm dir's
scherzend, als du mit ö¼bereiltem Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun,
mein Freund -
Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
Klö¤rchen. Du hinderst nichts. Tod ist mein Teil! und gö¶nne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest. Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte erö¶ffne, aus der kein Rö¼ckweg ist,
kö¶nnt' ich mit diesem Hö¤ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wö¤hlt' ich, seine
Stelle zu ersetzen. Es widersprach dein Herz und quö¤lte sich und mich,
verlangtest heiöŸ und immer heiöŸer, was dir nicht beschieden war. Vergib
mir und leb wohl! LaöŸ mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen in sich faöŸt. Nimm die letzte schö¶ne Blume der Scheidenden mit
treuem Herzen ab - nimm diesen KuöŸ - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
Brackenburg. So laöŸ mich mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulö¶schen.
Klö¤rchen. Bleib! du sollst leben, du kannst leben. - Steh meiner
Mutter bei, die ohne dich in Armut sich verzehren wö¼rde. Sei ihr, was ich
ihr nicht mehr sein kann; lebt zusammen und beweint mich. Beweint das
Vaterland und den, der es allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu
tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut
steht die Welt auf einmal still; es stockt ihr Kreislauf, und mein Puls
schlö¤gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
Brackenburg. O lebe du mit uns, wie wir fö¼r dich allein! Du tö¶test
uns in dir, o leb und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn, und immer achtsam soll die Liebe den schö¶nsten Trost in ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
Klö¤rchen. Leise, Brackenburg! Du fö¼hlst nicht, was du rö¼hrst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
Brackenburg. Teile mit den Lebendigen die Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurö¼ck.
Klö¤rchen. Ich hab ö¼berwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
Brackenburg. Du bist betö¤ubt; gehö¼llt in Nacht suchst du die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
Klö¤rchen. Weh! ö¼ber dich Weh! Weh! Grausam zerreiöŸest du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja, er wird grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich
ziehn und wider Willen grauen! Furchtsam schaut der Bö¼rger aus seinem
Fenster, die Nacht lö¤öŸt einen schwarzen Flecken zurö¼ck; er schaut, und
fö¼rchterlich wö¤chst im Lichte das Mordgerö¼st. Neu leidend wendet das
entweihte Gottesbild sein flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt sich
nicht hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
Trö¤ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlö¤gt.
Halt! Halt! Nun ist es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sö¤he sie sich um, und trinkt heimlich.)
Brackenburg. Klö¤re! Klö¤re!
Klö¤rchen (geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist der
Rest! Ich locke dich nicht nach. Tu, was du darfst, leb wohl. Lö¶sche diese
Lampe still und ohne Zaudern, ich geh zur Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die Tö¼r nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mö¶rder scheinen willst. (Ab.)
Brackenburg. Sie lö¤öŸt mich zum letztenmale wie immer. O kö¶nnte eine
Menschenseele fö¼hlen, wie sie ein liebend Herz zerreiöŸen kann. Sie lö¤öŸt
mich stehn, mir selber ö¼berlassen; und Tod und Leben ist mir gleich
verhaöŸt. - Allein zu sterben! - Weint, ihr Liebenden! Kein hö¤rter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie zieht mich nach und stö¶öŸt ins Leben mich
zurö¼ck. O Egmont, welch preiswö¼rdig Los fö¤llt dir! Sie geht voran; der
Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist dein, sie bringt den ganzen Himmel dir
entgegen! - Und soll ich folgen? wieder seitwö¤rts stehn? den
unauslö¶schlichen Neid in jene Wohnungen hinö¼bertragen? - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr fö¼r mich, und Hö¶ll und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wö¤re der Vernichtung Schreckenshand dem Unglö¼ckseligen will kommen!
(Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverö¤ndert. Eine
Musik, Klö¤rchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe, welche Brackenburg
auszulö¶schen vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
Gefö¤ngnis
Egmont liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlö¼sseln, und die Tö¼r tut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen folgt Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten.
Egmont fö¤hrt aus dem Schlaf auf.)
Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schö¼ttelt. Was kö¼nden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum
diesen fö¼rchterlichen Aufzug? Welchen Schreckenstraum kommt ihr der halb
erwachten Seele vorzulö¼gen?
Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukö¼ndigen.
Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
Egmont. So ziemt es euch und euerm schö¤ndlichen Beginnen! In Nacht
gebrö¼tet und in Nacht vollfö¼hrt. So mag diese freche Tat der
Ungerechtigkeit sich verbergen! - Tritt kö¼hn hervor, der du das Schwert
verhö¼llt unter dem Mantel trö¤gst; hier ist mein Haupt, das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
Silva. Du irrst! Was gerechte Richter beschlieöŸen, werden sie vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
Egmont. So ö¼bersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
Silva (nimmt einem Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und
liest's). á»Im Namen des Kö¶nigs, und kraft besonderer von Seiner Majestö¤t
uns ö¼bertragenen Gewalt, alle seine Untertanen, wes Standes sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirá« -
Egmont. Kann die der Kö¶nig ö¼bertragen?
Silva. á»Erkennen wir, nach vorgö¤ngiger genauer, gesetzlicher
Untersuchung, dich Heinrich Grafen Egmont, Prinzen von Gaure, des
Hochverrats schuldig und sprechen das Urteil: daöŸ du mit der Frö¼he des
einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf den Markt gefö¼hrt und dort, vorm
Angesicht des Volks, zur Warnung aller Verrö¤ter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest. Gegeben Brö¼ssel imá« (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, daöŸ sie der Zuhö¶rer nicht versteht.)
á»Ferdinand, Herzog von Alba,
Vorsitzer des Gerichts der Zwö¶lfe.á«
Du weiöŸt nun dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
(Silva mit dem Gefolge geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln;
das Theater ist mö¤öŸig erleuchtet.)
Egmont (hat eine Weile in sich versenkt stille gestanden und Silva,
ohne sich umzusehn, abgehen lassen. Er glaubt sich allein, und da er die
Augen aufhebt, erblickt er Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren? Willst
du noch etwa die willkommne Botschaft deinem Vater bringen, daöŸ ich
unmö¤nnlich verzweifle? Geh! Sag ihm! Sag ihm, daöŸ er weder mich noch die
Welt belö¼gt. Ihm, dem Ruhmsö¼chtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise lispeln, dann laut und lauter sagen, und wenn er einst von diesem
Gipfel herabsteigt, werden tausend Stimmen es ihm entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die Wö¼rde des Kö¶nigs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daöŸ
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man seiner bedö¼rfe. Und ich falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses,
seines kleinlichen Neides. Ja, ich weiöŸ es, und ich darf es sagen; der
Sterbende, der tö¶dlich Verwundete kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
Schon damals, als wir noch jö¼nger mit Wö¼rfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer nach dem andern, von seiner Seite zu mir herö¼bereilten, da
stand er grimmig, log Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die
ö„rgernis, mehr ö¼ber mein Glö¼ck als ö¼ber seinen Verlust. Noch erinnere
ich mich des funkelnden Blicks, der verrö¤terischen Blö¤sse, als wir an
einem ö¶ffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er forderte mich auf, und beide Nationen standen; die Spanier, die
Niederlö¤nder wetteten und wö¼nschten. Ich ö¼berwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter Freudenschrei der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun trifft mich sein GeschoöŸ. Sag ihm, daöŸ ich's weiöŸ, daöŸ ich ihn
kenne, daöŸ die Welt jede Siegszeichen verachtet, die ein kleiner Geist
erschleichend sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mö¶glich ist, von
der Sitte des Vaters zu weichen, ö¼be beizeiten die Scham, indem du dich
fö¼r den schö¤mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mö¶chtest.
Ferdinand. Ich hö¶re dich an, ohne dich zu unterbrechen! Deine
Vorwö¼rfe lasten wie Keulschlö¤ge auf einem Helm; ich fö¼hle die
Erschö¼tterung, aber ich bin bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht; fö¼hlbar ist mir allein der Schmerz, der mir den Busen zerreiöŸt.
Wehe mir! Wehe! Zu einem solchen Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rö¼hrt, was bekö¼mmert dich? Ist
es eine spö¤te Reue, daöŸ du der schö¤ndlichen Verschwö¶rung deinen Dienst
geliehen? Du bist so jung und hast ein glö¼ckliches Ansehn. Du warst so
zutraulich, so freundlich gegen mich. Solang ich dich sah, war ich mit
deinem Vater versö¶hnt. Und ebenso verstellt, verstellter als er, lockst du
mich in das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es auf
seine Gefahr tun; aber wer fö¼rchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daöŸ ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fö¼hle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, daöŸ ich erst spö¤t, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten
erfuhr, daöŸ ich als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's, welche Meinung du von mir haben magst? Du bist
verloren; und ich Unglö¼cklicher stehe nur da, um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir auf dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mö¶rdern? Sage, rede!
Fö¼r wen soll ich dich halten?
Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne dich in diesem Befehle. Du
kanntest mein Herz, meine Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer
zö¤rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich
hierher. Diesen Mann am Rande des gö¤hnenden Grabes, in der Gewalt eines
willkö¼rlichen Todes zu sehen, zwingst du mich, daöŸ ich den tiefsten
Schmerz empfinde, daöŸ ich taub gegen alles Schicksal, daöŸ ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
Ferdinand. O daöŸ ich ein Weib wö¤re! daöŸ man mir sagen kö¶nnte: was
rö¼hrt dich? was ficht dich an? Sage mir ein grö¶öŸeres, ein ungeheureres
öœbel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir danken,
ich will sagen: es war nichts.
Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
Ferdinand. LaöŸ diese Leidenschaft rasen, laöŸ mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich! Du verstehst mich nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
Egmont. Lö¶se mir das Geheimnis.
Ferdinand. Kein Geheimnis.
Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der
mir in meiner ersten Jugend gleich einem Stern des Himmels
entgegenleuchtete. Wie oft hab ich nach dir gehorcht, gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der Jö¼ngling, des Jö¼nglings der Mann. So bist du vor mir her
geschritten; immer vor, und ohne Neid sah ich dich vor, und schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und mein Herz flog dir entgegen. Dich hatt' ich mir bestimmt, und wö¤hlte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun hofft' ich erst, mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich - Das ist nun alles weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
Egmont. Mein Freund, wenn es dir wohltun kann, so nimm die
Versicherung, daöŸ im ersten Augenblick mein Gemö¼t dir entgegenkam. Und
hö¶re mich. LaöŸ uns ein ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tö¶ten?
Ferdinand. Er ist's.
Egmont. Dieses Urteil wö¤re nicht ein leeres Schreckbild mich zu
ö¤ngstigen, durch Furcht und Drohung zu strafen: mich zu erniedrigen und
dann mit kö¶niglicher Gnade mich wieder aufzuheben?
Ferdinand. Nein, ach leider nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst
mit dieser ausweichenden Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewiöŸ.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer gibt mir eine Hö¼lfe, wer einen Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
Egmont. So hö¶re mich. Wenn deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu
retten, wenn du die öœbermacht verabscheust, die mich gefesselt hö¤lt, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst gewaltig - LaöŸ uns entfliehen! Ich kenne die Wege; die Mittel
kö¶nnen dir nicht unbekannt sein. Nur diese Mauern, nur wenige Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. Lö¶se diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. GewiöŸ, der Kö¶nig dankt dir dereinst meine Rettung. Jetzt
ist er ö¼berrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und die Majestö¤t muöŸ das Geschehene billigen, wenn sie sich auch davor
entsetzet. Du denkst? O denke mir den Weg der Freiheit aus! Sprich, und
nö¤hre die Hoffnung der lebendigen Seele.
Ferdinand. Schweig! o schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine
Verzweiflung. Hier ist kein Ausweg, kein Rat, keine Flucht. - Das quö¤lt
mich, das greift und faöŸt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiöŸ, wie
jeder Kö¼hnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fö¼hle mich mit dir
und mit allen andern gefesselt. Wö¼rde ich klagen, hö¤tte ich nicht alles
versucht? Zu seinen Fö¼öŸen habe ich gelegen, geredet und gebeten. Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstö¶ren.
Egmont. Und keine Rettung?
Ferdinand. Keine!
Egmont (mit dem FuöŸe stampfend). Keine Rettung! - - Sö¼öŸes Leben!
schö¶ne freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich
scheiden! So gelassen scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter dem
Gerö¤usch der Waffen, in der Zerstreuung des Getö¼mmels gibst du mir ein
flö¼chtiges Lebewohl; du nimmst keinen eiligen Abschied, verkö¼rzest nicht
den Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine Schö¶ne, deinen Wert recht lebhaft fö¼hlen und dann
mich entschlossen losreiöŸen und sagen: Fahre hin!
Ferdinand Und ich soll daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern kö¶nnen! O welche Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flö¶sse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
Egmont. Fasse dich!
Ferdinand. Du kannst dich fassen, du kannst entsagen, den schweren
Schritt an der Hand der Notwendigkeit heldenmö¤öŸig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du ö¼berwindest dich selbst und uns; du ö¼berstehst; ich ö¼berlebe
dich und mich selbst. Bei der Freude des Mahls hab ich mein Licht, im
Getö¼mmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, trö¼b scheint
mir die Zukunft.
Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der fö¼r mich die Todesschmerzen empfindet, fö¼r mich
leidet, sieh mich in diesen Augenblicken an; du verlierst mich nicht. War
dir mein Leben ein Spiegel, in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut; an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein Gewissen mir sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich frö¼her, frö¼her, schon auf dem Sande von
Gravelingen hö¤tte endigen kö¶nnen. Ich hö¶re auf zu leben; aber ich habe
gelebt. So leb auch du, mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den Tod
nicht.
Ferdinand. Du hö¤ttest dich fö¼r uns erhalten kö¶nnen, erhalten sollen.
Du hast dich selber getö¶tet. Oft hö¶rt' ich, wenn kluge Mö¤nner ö¼ber dich
sprachen, feindselige, wohlwollende, sie stritten lang ö¼ber deinen Wert;
doch endlich vereinigten sie sich, keiner wagt' es zu leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefö¤hrlichen Weg. Wie oft wö¼nscht' ich, dich
warnen zu kö¶nnen! Hattest du denn keine Freunde?
Egmont. Ich war gewarnt.
Ferdinand. Und wie ich punktweise alle diese Beschuldigungen wieder in
der Anklage fand, und deine Antworten! Gut genug, dich zu entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
Egmont. Dies sei beiseite gelegt. Es glaubt der Mensch sein Leben zu
leiten, sich selbst zu fö¼hren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem Schicksale gezogen. LaöŸ uns darö¼ber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge fö¼r dieses Land! doch auch
dafö¼r wird gesorgt sein. Kann mein Blut fö¼r viele flieöŸen, meinem Volke
Friede bringen, so flieöŸt es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt dem Menschen, nicht mehr zu grö¼beln, wo er nicht mehr wirken soll.
Kannst du die verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das kö¶nnen? - Leb wohl!
Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
Egmont. LaöŸ meine Leute dir aufs beste empfohlen sein! Ich habe gute
Menschen zu Dienern; daöŸ sie nicht zerstreut, nicht unglö¼cklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
Ferdinand. Er ist dir vorangegangen. Sie haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
Egmont. Arme Seele! - Noch eins, und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist gewaltsam beschö¤ftigt, fordert die Natur zuletzt
doch unwiderstehlich ihre Rechte; und wie ein Kind, umwunden von der
Schlange, des erquickenden Schlafs genieöŸt, so legt der Mö¼de sich noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen
weiten Weg zu wandern hö¤tte. - Noch eins - Ich kenne ein Mö¤dchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann; ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
Egmont. Derselbe.
Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
Egmont. Er weiöŸ ihre Wohnung; laöŸ dich von ihm fö¼hren und lohn ihm
bis an sein Ende, daöŸ er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
Ferdinand. Ich gehe nicht.
Egmont (ihn nach der Tö¼r drö¤ngend). Leb wohl!
Ferdinand. O laöŸ mich noch!
Egmont. Freund, keinen Abschied.
(Er begleitet Ferdinanden bis an die Tö¼r und reiöŸt sich dort von ihm
los. Ferdinand, betö¤ubt, entfernt sich eilend.)
Egmont (allein). Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht, mir diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los und
der Schmerzen, der Furcht und jedes ö¤ngstlichen Gefö¼hls. Sanft und
dringend fordert die Natur ihren letzten Zoll. Es ist vorbei, es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiöŸ auf meinem Lager wachend
hielt, das schlö¤fert nun mit unbezwinglicher GewiöŸheit meine Sinnen ein.
(Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
Sö¼öŸer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glö¼ck ungebeten, unerfleht am
willigsten. Du lö¶sest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle
Bilder der Freude und des Schmerzes; ungehindert flieöŸt der Kreis innerer
Harmonien, und eingehö¼llt in gefö¤lligen Wahnsinn, versinken wir und hö¶ren
auf zu sein.
(Er entschlö¤ft; die Musik begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu erö¶ffnen, eine glö¤nzende Erscheinung zeigt
sich. Die Freiheit in himmlischem Gewande, von einer Klarheit umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat die Zö¼ge von Klö¤rchen und neigt sich gegen
den schlafenden Helden. Sie drö¼ckt eine bedauernde Empfindung aus, sie
scheint ihn zu beklagen. Bald faöŸt sie sich, und mit aufmunternder Gebö¤rde
zeigt sie ihm das Bö¼ndel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heiöŸt ihn
froh sein, und indem sie ihm andeutet, daöŸ sein Tod den Provinzen die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie sie sich mit dem Kranze dem Haupte nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daöŸ er mit
dem Gesicht aufwö¤rts gegen sie liegt. Sie hö¤lt den Kranz ö¼ber seinem
Haupte schwebend: man hö¶rt ganz von weitem eine kriegerische Musik von
Trommeln und Pfeifen: bei dem leisesten Laut derselben verschwindet die
Erscheinung. Der Schall wird stö¤rker. Egmont erwacht; das Gefö¤ngnis wird
vom Morgen mö¤öŸig erhellt. Seine erste Bewegung ist, nach dem Haupte zu
greifen: er steht auf und sieht sich um, indem er die Hand auf dem Haupte
behö¤lt.)
Verschwunden ist der Kranz! Du schö¶nes Bild, das Licht des Tages hat
dich verscheuchet! Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden sö¼öŸesten
Freuden meines Herzens. Die gö¶ttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie die Gestalt; das reizende Mö¤dchen kleidete sich in der Freundin
himmlisches Gewand. In einem ernsten Augenblick erscheinen sie vereinigt,
ernster als lieblich. Mit blutbefleckten Sohlen trat sie vor mir auf, die
wehenden Falten des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein Blut und vieler
Edeln Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch! Braves
Volk! Die Siegesgö¶ttin fö¼hrt dich an! Und wie das Meer durch eure Dö¤mme
bricht, so brecht, so reiöŸt den Wall der Tyrannei zusammen und schwemmt
ersö¤ufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaöŸt, weg!
(Trommeln nö¤her.)
Horch! Horch! Wie oft rief mich dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits und des Siegs! Wie munter traten die Gefö¤hrten auf
der gefö¤hrlichen, rö¼hmlichen Bahn! Auch ich schreite einem ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe fö¼r die Freiheit, fö¼r die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
(Der Hintergrund wird mit einer Reihe spanischer Soldaten besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
Ja, fö¼hrt sie nur zusammen! SchlieöŸt eure Reihen, ihr schreckt mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fö¼hlen.
(Trommeln.)
Dich schlieöŸt der Feind von allen Seiten ein! Es blinken Schwerter;
Freunde, hö¶hern Mut! Im Rö¼cken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
(Auf die Wache zeigend.)
Und diese treibt ein hohles Wort des Herrschers, nicht ihr Gemö¼t.
Schö¼tzt eure Gö¼ter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich
euch ein Beispiel gebe.
(Trommeln. Wie er auf die Wache los- und auf die Hintertö¼r zugeht,
fö¤llt der Vorhang: die Musik fö¤llt ein und schlieöŸt mit einer
Siegessymphonie das Stö¼ck.)
Last-modified: Fri, 24 Jan 2003 11:57:01 GMT