Žöåíèòå ýòîò òåêñò:


     Ein Trauerspiel in fö¼nf Aufzö¼gen

     --------------------------------------------------------------------------------

     Personen:
     Margarete von Parma, Tochter Karls des Fö¼nften,
     Regentin der Niederlande
     Graf Egmont, Prinz von Gaure
     Wilhelm von Oranien
     Herzog von Alba
     Ferdinand, sein natö¼rlicher Sohn
     Machiavell, im Dienste der Regentin
     Richard, Egmonts Geheimschreiber
     Silva und Gomez, unter Alba dienend
     Klö¤rchen, Egmonts Geliebte
     Ihre Mutter
     Brackenburg, ein Bö¼rgerssohn
     Soest, Krö¤mer, Bö¼rger von Brö¼ssel
     Jetter, Schneider, Bö¼rger von Brö¼ssel
     Zimmermann und Seifensieder, Bö¼rger von Brö¼ssel
     Buyck, Soldat unter Egmont
     Ruysum, Invalide und taub
     Vansen, ein Schreiber
     Volk, Gefolge, Wachen usw.


     --------------------------------------------------------------------------------

     Erster Aufzug
     ArmbrustschieöŸen
     Soldaten und Bö¼rger mit Armbrö¼sten
     Jetter,  Bö¼rger  von Brö¼ssel, Schneider,  tritt  vor und  spannt  die
Armbrust. Soest, Bö¼rger von Brö¼ssel, Krö¤mer.
     Soest. Nun schieöŸt nur  hin, daöŸ  es alle  wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht!  Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht  geschossen. Und so
wö¤r' ich fö¼r dies Jahr Meister.
     Jetter. Meister  und Kö¶nig  dazu.  Wer  miöŸgö¶nnt's  Euch? Ihr  sollt
dafö¼r auch  die Zeche  doppelt  bezahlen;  Ihr sollt  Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
     (Buyck, ein Hollö¤nder, Soldat unter Egmont.)
     Buyck.  Jetter,  den SchuöŸ  handl'  ich  Euch ab, teile  den  Gewinst,
traktiere  die  Herren:   ich  bin  so  schon  lange  hier  und  fö¼r  viele
Hö¶flichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hö¤ttet.
-
     Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei.  Doch,
Buyck, nur immerhin.
     Buyck (schieöŸt). Nun, Pritschmeister, Reverenz!  -  Eins! Zwei!  Drei!
Vier!
     Soest. Vier Ringe? Es sei!
     Alle. Vivat, Herr Kö¶nig, hoch! und abermal hoch!
     Buyck. Danke, ihr Herren. Wö¤re Meister zu viel! Danke fö¼r die Ehre.
     Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
     (Ruysum, ein Frieslö¤nder, Invalide und taub.)
     Ruysum. DaöŸ ich euch sage!
     Soest. Wie ist's, Alter?
     Ruysum. DaöŸ ich euch sage!  - Er  schieöŸt wie sein  Herr, er schieöŸt
wie Egmont.
     Buyck.  Gegen  ihn  bin  ich nur ein armer Schlucker.  Mit der  Bö¼chse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glö¼ck oder gute
Laune hat; nein! wie er  anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wö¤re auch ein Kerl, der bei ihm diente  und nichts von ihm
lernte.  - Nicht zu vergessen, meine  Herren! Ein Kö¶nig nö¤hrt seine Leute;
und so, auf des Kö¶nigs Rechnung, Wein her!
     Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daöŸ jeder -
     Buyck. Ich bin fremd  und  Kö¶nig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
     Jetter.  Du bist ja ö¤rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mö¼ssen.
     Ruysum. Was?
     Soest  (laut).  Er will  uns gastieren;  er will nicht haben,  daöŸ wir
zusammenlegen und der Kö¶nig nur das Doppelte zahlt.
     Ruysum. LaöŸt ihn! doch ohne  Prö¤judiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
     (Sie bringen Wein.)
     Alle. Ihro Majestö¤t Wohl! Hoch!
     Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestö¤t.
     Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
     Soest.  Wohl! Denn unserer spanischen Majestö¤t Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederlö¤nder von Herzen.
     Ruysum. Wer?
     Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kö¶nigs in Spanien.
     Ruysum. Unser allergnö¤digster Kö¶nig und Herr!  Gott  geb'  ihm langes
Leben.
     Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fö¼nften, nicht lieber?
     Ruysum. Gott trö¶st' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand ö¼ber den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch  begegnete, so
grö¼öŸt'  er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wuöŸt' er mit so guter Manier - ja, versteht  mich -  Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir  doch alle geweint, wie er
seinem Sohn  das  Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich -  der ist
schon anders, der ist majestö¤tischer.
     Jetter. Er  lieöŸ sich  nicht  sehen, da er hier war,  als in Prunk und
kö¶niglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
     Soest. Es ist kein Herr fö¼r uns  Niederlö¤nder. Unsre Fö¼rsten mö¼ssen
froh  und frei  sein  wie  wir, leben  und  leben  lassen. Wir wollen  nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
     Jetter. Der Kö¶nig, denk  ich, wö¤re  wohl ein gnö¤diger Herr, wenn  er
nur bessere Ratgeber hö¤tte.
     Soest. Nein,  nein!  Er  hat kein Gemö¼t gegen uns  Niederlö¤nder, sein
Herz ist  dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kö¶nnen  wir  ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem  Grafen Egmont so hold? Warum  trö¼gen
wir ihn alle auf den  Hö¤nden?  Weil man ihm ansieht, daöŸ er uns  wohlwill;
weil ihm die Frö¶hlichkeit, das freie Leben, die  gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts  besitzt,  das er dem Dö¼rftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. LaöŸt  den  Grafen  Egmont leben!  Buyck,  an  Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
     Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
     Ruysum. öœberwinder bei St. Quintin.
     Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
     Alle. Hoch!
     Ruysum. St. Quintin  war meine  letzte Schlacht.  ich konnte  kaum mehr
fort, kaum die schwere Bö¼chse mehr schleppen.  Hab  ich doch  den Franzosen
noch eins auf den Pelz  gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
StreifschuöŸ ans rechte Bein.
     Buyck. Gravelingen!  Freunde!  da  ging's frisch!  Den  Sieg  haben wir
allein. Brannten und  sengten die welschen Hunde nicht durch ganz  Flandern?
Aber ich mein,  wir trafen sie! Ihre alten, handfesten  Kerle  hielten lange
wider,  und  wir drö¤ngten  und schossen  und  hieben, daöŸ sie  die Mö¤uler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen,  und wir stritten lange hinö¼ber herö¼ber, Mann fö¼r Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe  mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin.  Auf einmal  kam's, wie  vom  Himmel  herunter,  von der  Mö¼ndung  des
Flusses,  bav, bau!  immer mit  Kanonen  in  die  Franzosen drein.  Es waren
Englö¤nder, die  unter dem Admiral  Malin von  ungefö¤hr von Dö¼nkirchen her
vorbeifuhren.  Zwar  viel  halfen sie  uns  nicht; sie  konnten nur mit  den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat  doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick!  rack!  herö¼ber,  hinö¼ber!  Alles  totgeschlagen, alles  ins  Wasser
gesprengt. Und die  Kerle ersoffen, wie sie das Wasser  schmeckten;  und was
wir Hollö¤nder  waren, gerad hintendrein. Uns,  die wir beidlebig sind, ward
erst  wohl  im Wasser  wie den  Frö¶schen;  und immer  die  Feinde im  FluöŸ
zusammengehauen, weggeschossen  wie  die  Enten.  Was  nun  noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und  Mistgabeln tot.
MuöŸte  doch die  welsche Majestö¤t gleich  das Pfö¶tchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem groöŸen Egmont schuldig.
     Alle. Hoch!  dem  groöŸen Egmont  hoch! und  abermal hoch! und  abermal
hoch!
     Jetter. Hö¤tte  man uns den statt  der Margrete  von Parma zum Regenten
gesetzt!
     Soest.  Nicht so!  Wahr  bleibt  wahr! Ich  lasse mir  Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnö¤d'ge Frau!
     Alle. Sie lebe!
     Soest.  Wahrlich,  treffliche  Weiber sind  in dem  Hause. Die Regentin
lebe!
     Jetter. Klug ist  sie, und mö¤öŸig in allem, was  sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den  Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
daöŸ wir  die vierzehn neuen Bischofsmö¼tzen im  Lande  haben. Wozu  die nur
sollen? Nicht wahr,  daöŸ man Fremde in die guten Stellen  einschieben kann,
wo sonst  ö„bte aus den Kapiteln gewö¤hlt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen.  Ja, es hat  sich. An drei Bischö¶fen hatten wir
genug: da ging's  ehrlich und ordentlich  zu. Nun muöŸ  doch auch jeder tun,
als  ob er  nö¶tig wö¤re;  und  da  setzt's  allen  Augenblick VerdruöŸ  und
Hö¤ndel.  Und je mehr ihr das Ding  rö¼ttelt  und schö¼ttelt,  desto trö¼ber
wird's.
     (Sie trinken.)
     Soest. Das  war  nun des Kö¶nigs  Wille;  sie  kann nichts  davon- noch
dazutun.
     Jetter. Da  sollen  wir  nun die neuen  Psalmen nicht singen. Sie  sind
wahrlich gar schö¶n in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiöŸ.  Ich hab  ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
     Buyck. Ich  wollte sie fragen!  In unsrer  Provinz  singen wir, was wir
wollen. Das macht, daöŸ Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas  nicht. - In Gent, Ypern, durch  ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat.  (Laut.)  Es  ist  ja wohl nichts  unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
     Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
     Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art;  und gefö¤hrlich  ist's  doch  immer, da lö¤öŸt man's lieber sein.  Die
Inquisitionsdiener  schleichen herum und passen  auf;  mancher ehrliche Mann
ist schon unglö¼cklich geworden.  Der  Gewissenszwang fehlte  noch!  Da  ich
nicht tun  darf,  was  ich mö¶chte, kö¶nnen sie mich doch denken und  singen
lassen, was ich will.
     Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier,  unser  Gewissen  tyrannisieren zu lassen.  Und der Adel  muöŸ auch
beizeiten suchen, ihr die Flö¼gel zu beschneiden.
     Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfö¤llt,  in mein
Haus  zu stö¼rmen, und ich  sitz  an  meiner  Arbeit  und summe  just  einen
franzö¶sischen Psalm und  denke  nichts dabei, weder Gutes noch  Bö¶ses; ich
summe ihn  aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde  eingesteckt.  Oder ich gehe ö¼ber  Land und bleibe  bei  einem Haufen
Volks stehen,  das einem  neuen Prediger  zuhö¶rt, einem von denen,  die aus
Deutschland gekommen sind: auf  der Stelle heiöŸ ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hö¶ren?
     Soest. Wackre Leute. Neulich hö¶rt' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekö¶ch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit  lateinischen Brocken  erwö¼rgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hö¤tten bei der Nase
herumgefö¼hrt,  uns in  der Dummheit erhalten, und wie wir mehr  Erleuchtung
haben kö¶nnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
     Jetter. Da  mag doch auch was  dran  sein. Ich sagt's  immer selbst und
grö¼belte so ö¼ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
     Buyck. Es lö¤uft ihnen auch alles Volk nach.
     Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hö¶ren kann und was Neues.
     Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
     Buyck.  Frisch, ihr Herren! öœber dem Schwö¤tzen vergeöŸt ihr  den Wein
und Oranien.
     Jetter. Den nicht zu vergessen. Das  ist ein rechter Wall: wenn man nur
an  ihn denkt, meint man gleich,  man kö¶nne sich  hinter ihn verstecken und
der Teufel brö¤chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
     Alle. Hoch! hoch!
     Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
     Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
     Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
     Jetter. Krieg! Krieg! WiöŸt ihr auch, was ihr ruft? DaöŸ es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natö¼rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich  nicht sagen.  Das ganze  Jahr  das  Getrommel  zu hö¶ren; und
nichts zu hö¶ren, als wie da  ein Haufen gezogen kommt und dort ein  andrer,
wie sie ö¼ber  einen Hö¼gel kamen und  bei einer Mö¼hle  hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drö¤ngen, und  einer gewinnt,
der  andere verliert, ohne daöŸ man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bö¼rger ermordet  werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen  Kindern ergeht. Das ist eine  Not
und Angst, man denkt jeden  Augenblick: á»Da kommen sie!  Es geht  uns  auch
so.á«
     Soest. Drum muöŸ auch ein Bö¼rger immer in Waffen geö¼bt sein.
     Jetter. Ja, es ö¼bt sich, wer Frau  und  Kinder hat. Und doch  hö¶r ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
     Buyck. Das sollt' ich ö¼belnehmen.
     Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir  die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
     Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
     Jetter. Vexier' Er sich.
     Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
     Jetter. Halt dein Maul.
     Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der  Kö¼che, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
     (Sie lachen.)
     Jetter. Du bist ein Tropf.
     Buyck. Friede, ihr Herren! MuöŸ der Soldat  Friede rufen?  - Nun da ihr
von uns nichts  hö¶ren  wollt, nun  bringt  auch eure Gesundheit  aus,  eine
bö¼rgerliche Gesundheit.
     Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
     Soest. Ordnung und Freiheit!
     Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
     (Sie  stoöŸen an und  wiederholen frö¶hlich  die  Worte,  doch so, daöŸ
jeder ein  anders ausruft und es eine  Art  Kanon wird. Der Alte  horcht und
fö¤llt endlich auch mit ein.)
     Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
     Palast der Regentin
     Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
     Regentin.  Ihr stellt  das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten.  Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
     (Alle gehen ab.)
     Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lö¤öŸt mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen;  immer sind diese Bilder,
diese  Sorgen  vor  mir. Nun  wird der  Kö¶nig sagen, dies sei'n  die Folgen
meiner  Gö¼te, meiner  Nachsicht;  und doch  sagt  mir mein  Gewissen  jeden
Augenblick, das Rö¤tlichste, das Beste getan  zu haben.  Sollte  ich frö¼her
mit dem  Sturme  des Grimmes diese  Flammen  anfachen und umhertreiben?  Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschö¼tten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weiöŸ, entschuldigt mich vor  mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn,  ist  es zu  leugnen? Der  öœbermut der
fremden  Lehrer  hat  sich  tö¤glich  erhö¶ht;  sie  haben  unser  Heiligtum
gelö¤stert, die stumpfen Sinne des Pö¶bels zerrö¼ttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrö¼hrer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen,  die  zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und  einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kö¶nig nicht  denke,  man
wolle  noch  mehr  verheimlichen. Ich sehe kein Mittel,  weder strenges noch
gelindes, dem öœbel zu  steuern. O was sind  wir  GroöŸen  auf der Woge  der
Menschheit? Wir  glauben sie  zu  beherrschen,  und sie treibt uns  auf  und
nieder, hin und her.
     (Machiavell tritt auf.)
     Regentin. Sind die Briefe an den Kö¶nig aufgesetzt?
     Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kö¶nnen.
     Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfö¼hrlich genug gemacht?
     Machiavell. Ausfö¼hrlich und umstö¤ndlich, wie es der Kö¶nig liebt. Ich
erzö¤hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstö¼rmerische Wut sich zeigt. Wie
eine  rasende  Menge,  mit  Stö¤ben,  Beilen,  Hö¤mmern,  Leitern,  Stricken
versehen,  von  wenig  Bewaffneten begleitet,  erst  Kapellen,  Kirchen  und
Klö¶ster  anfallen,  die  Andö¤chtigen verjagen,  die verschlossenen Pforten
aufbrechen,  alles  umkehren, die  Altö¤re  niederreiöŸen, die  Statuen  der
Heiligen zerschlagen, alle Gemö¤lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen,  zerschmettern,  zerreiöŸen, zertreten.  Wie sich der
Haufe unterwegs  vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore erö¶ffnen.
Wie  sie  den Dom mit unglaublicher Schnelle verwö¼sten, die Bibliothek  des
Bischofs  verbrennen.  Wie  eine  groöŸe Menge  Volks, von  gleichem  Unsinn
ergriffen, sich ö¼ber  Menin, Comines,  Werwicq,  Lille verbreitet,  nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwö¶rung sich erklö¤rt und ausgefö¼hrt ist.
     Regentin.  Ach, wie  ergreift mich  aufs neue  der Schmerz  bei  deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das öœbel werde nur grö¶öŸer
und grö¶öŸer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
     Machiavell.  Verzeihen  Eure  Hoheit, meine Gedanken  sehen Grillen  so
ö¤hnlich; und  wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart,  habt
Ihr doch selten  meinem  Rat  folgen mö¶gen. Ihr sagtet oft im Scherze: á»Du
siehst  zu  weit,  Machiavell!  Du  solltest  Geschichtschreiber  sein:  wer
handelt, muöŸ fö¼rs  Nö¤chste sorgen.á« Und doch,  habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzö¤hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
     Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ö¤ndern zu kö¶nnen.
     Machiavell. Ein  Wort fö¼r tausend:  Ihr  unterdrö¼ckt die  neue  Lehre
nicht. LaöŸt  sie gelten,  sondert sie von  den Rechtglö¤ubigen, gebt  ihnen
Kirchen, faöŸt  sie in  die  bö¼rgerliche Ordnung, schrö¤nkt sie ein; und so
habt Ihr  die  Aufrö¼hrer  auf einmal zur Ruhe  gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
     Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kö¶nne?  WeiöŸt du nicht, wie er
mir  in  jedem  Briefe  die  Erhaltung des  wahren Glaubens  aufs  eifrigste
empfiehlt?  daöŸ  er Ruhe  und  Einigkeit  auf  Kosten  der  Religion  nicht
hergestellt wissen will? Hö¤lt er nicht selbst in den  Provinzen Spione, die
wir  nicht   kennen,  um  zu  erfahren,  wer  sich  zu  der  neuen   Meinung
hinö¼berneigt?  Hat  er nicht  zu  unsrer Verwunderung uns  diesen und jenen
genannt,  der  sich in unsrer Nö¤he  heimlich  der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und  Schö¤rfe? Und ich soll  gelind sein? ich soll
Vorschlö¤ge tun, daöŸ er nachsehe,  daöŸ er  dulde?  Wö¼rde  ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
     Machiavell. Ich weiöŸ wohl; der Kö¶nig  befiehlt, er lö¤öŸt  Euch seine
Absichten  wissen.  Ihr sollt  Ruhe  und  Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die Gemö¼ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen  wird.  Bedenkt, was  Ihr tut. Die grö¶öŸten  Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die  Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren,  wenn sich um uns alles  ö¤ndert? Mö¶chte  doch ein guter
Geist Philippen eingeben, daöŸ  es  einem  Kö¶nige anstö¤ndiger ist, Bö¼rger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
     Regentin. Solch ein  Wort nie  wieder.  Ich  weiöŸ  wohl, daöŸ  Politik
selten Treu  und  Glauben  halten kann,  daöŸ  sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlieöŸt. In weltlichen Geschö¤ften ist
das leider  nur zu wahr; sollen wir aber  auch  mit Gott  spielen  wie unter
einander? Sollen wir gleichgö¼ltig gegen unsre  bewö¤hrte  Lehre  sein, fö¼r
die  so  viele  ihr  Leben aufgeopfert haben?  Die  sollten wir hingeben  an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
     Machiavell. Denkt nur deswegen nicht ö¼bler von mir.
     Regentin.  Ich  kenne dich  und  deine Treue und weiöŸ,  daöŸ einer ein
ehrlicher und verstö¤ndiger  Mann  sein kann,  wenn er gleich  den nö¤chsten
besten  Weg zum Heil  seiner  Seele  verfehlt  hat.  Es  sind  noch  andere,
Machiavell, Mö¤nner, die ich schö¤tzen und tadeln muöŸ.
     Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
     Regentin.  Ich  kann es gestehen,  daöŸ mir  Egmont heute  einen  recht
innerlichen tiefen VerdruöŸ erregte.
     Machiavell. Durch welches Betragen?
     Regentin.  Durch   sein  gewö¶hnliches,  durch  Gleichgö¼ltigkeit   und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus  der Kirche ging. Ich  hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte  mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. á»Seht, was
in Eurer  Provinz entsteht! Das  duldet Ihr,  Graf, von  dem der Kö¶nig sich
alles versprach?á«
     Machiavell. Und was antwortete er?
     Regentin.  Als  wenn  es  nichts,  als  wenn es eine  Nebensache wö¤re,
versetzte  er:  á»Wö¤ren nur erst  die  Niederlö¤nder ö¼ber ihre  Verfassung
beruhigt! Das ö¼brige wö¼rde sich leicht geben.á«
     Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben,  wenn der Niederlö¤nder  sieht, daöŸ es
mehr  um seine Besitztö¼mer  als um sein Wohl, um  seiner Seele Heil  zu tun
ist? Haben die  neuen  Bischö¶fe mehr  Seelen  gerettet, als fette Pfrö¼nden
geschmaust,   und   sind   es  nicht   meist   Fremde?   Noch   werden  alle
Statthalterschaften  mit Niederlö¤ndern  besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daöŸ sie die grö¶öŸte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen  Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber  nach  seiner Art
von den Seinigen regieret werden  als von Fremden,  die  erst im Lande  sich
wieder Besitztö¼mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
MaöŸstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
     Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
     Machiavell. Mit dem Herzen  gewiöŸ  nicht; und  wollte, ich kö¶nnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
     Regentin. Wenn du so willst, so tö¤t'  es not,  ich  trö¤te ihnen meine
Regentschaft  ab;  denn Egmont  und  Oranien  machten  sich groöŸe Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
     Machiavell. Ein gefö¤hrliches Paar.
     Regentin.  Soll  ich aufrichtig reden: ich  fö¼rchte  Oranien, und  ich
fö¼rchte fö¼r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen  in
die Ferne, er ist  heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit grö¶öŸter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
     Machiavell. Recht im  Gegenteil geht  Egmont einen  freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehö¶rte.
     Regentin. Er trö¤gt das Haupt so hoch, als  wenn die Hand der Majestö¤t
nicht ö¼ber ihm schwebte.
     Machiavell.  Die Augen  des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hö¤ngen an ihm.
     Regentin.  Nie  hat  er  einen  Schein   vermieden;  als  wenn  niemand
Rechenschaft von  ihm  zu fordern hö¤tte.  Noch trö¤gt er den Namen  Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen  zu hö¶ren; als wollte er nicht vergessen,
daöŸ seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt  er sich  nicht
Prinz  von Gaure, wie es  ihm zukommt? Warum tut  er das?  Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
     Machiavell. Ich halte ihn fö¼r einen treuen Diener des Kö¶nigs.
     Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kö¶nnte er sich um die Regierung
machen;  anstatt daöŸ  er  uns  schon, ohne  sich  zu  nutzen,  unsö¤glichen
VerdruöŸ gemacht hat.  Seine Gesellschaften, Gastmahle und  Gelage haben den
Adel  mehr  verbunden  und verknö¼pft  als  die  gefö¤hrlichsten  heimlichen
Zusammenkö¼nfte. Mit seinen Gesundheiten  haben die Gö¤ste  einen  dauernden
Rausch, einen  nie sich verziehenden Schwindel geschö¶pft. Wie oft setzt  er
durch seine Scherzreden die  Gemö¼ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der  Pö¶bel ö¼ber die  neuen  Livreen, ö¼ber  die tö¶richten  Abzeichen  der
Bedienten!
     Machiavell. Ich bin ö¼berzeugt, es war ohne Absicht.
     Regentin.  Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nö¼tzt  sich
nicht.  Er nimmt das Ernstliche  scherzhaft; und wir, um  nicht mö¼öŸig  und
nachlö¤ssig zu scheinen, mö¼ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So  hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden  sucht, das macht sich erst recht. Er
ist  gefö¤hrlicher als ein entschiednes Haupt  einer Verschwö¶rung;  und ich
mö¼öŸte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht  leugnen, es vergeht wenig Zeit, daöŸ er mich  nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
     Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
     Regentin. Sein Gewissen  hat  einen  gefö¤lligen Spiegel. Sein Betragen
ist  oft beleidigend. Er  sieht  oft  aus,  als  wenn  er  in der  vö¶lligen
öœberzeugung lebe, er sei Herr und  wolle es uns nur aus Gefö¤lligkeit nicht
fö¼hlen  lassen,  wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen;  es werde
sich schon geben.
     Machiavell.  Ich  bitte  Euch, legt seine  Offenheit, sein glö¼ckliches
Blut,  das  alles  Wichtige  leicht behandelt, nicht zu gefö¤hrlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
     Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche  nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlö¤ndischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stö¤rken sein Vertrauen, seine  Kö¼hnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkö¼rlichen  Unmut des Kö¶nigs  schö¼tzen. Untersuch  es
genau; an dem ganzen Unglö¼ck, das  Flandern trifft, ist er doch  nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden  Lehrern nachgesehn, hat's  so genau nicht
genommen und vielleicht  sich heimlich gefreut, daöŸ wir  etwas  zu schaffen
hatten.  LaöŸ  mich  nur;  was  ich auf  dem  Herzen habe,  soll  bei dieser
Gelegenheit  davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschieöŸen;  ich
weiöŸ, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
     Machiavell.  Habt Ihr  den Rat zusammenberufen  lassen?  Kommt  Oranien
auch?
     Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt.  Ich will ihnen die
Last der  Verantwortung nahe  genug zuwö¤lzen; sie sollen  sich  mit mir dem
öœbel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen  erklö¤ren. Eile,
daöŸ  die  Briefe fertig werden, und  bringe mir sie  zur Unterschrift. Dann
sende schnell den  bewö¤hrten Vaska nach Madrid; er ist unermö¼det und treu;
daöŸ mein Bruder  zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daöŸ der  Ruf  ihn
nicht ö¼bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
     Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
     Bö¼rgerhaus
     Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
     Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
     Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klö¤rchen.
     Klare.  Was  habt  Ihr  wieder? Warum versagt Ihr  mir  diesen  kleinen
Liebesdienst?
     Brackenburg.  Ihr bannt mich  mit  dem Zwirn  so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
     Klare. Grillen! kommt und haltet!
     Mutter  (im  Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hö¼bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
     Brackenburg. Sonst.
     Klare. Wir wollen singen.
     Brackenburg. Was Ihr wollt.
     Klare. Nur hö¼bsch munter und frisch weg! Es  ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstö¼ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
     Die Trommel gerö¼hret!
     Das Pfeifchen gespielt!
     Mein Liebster gewaffnet
     Dem Haufen befiehlt,
     Die Lanze hoch fö¼hret,
     Die Leute regieret.
     Wie klopft mir das Herze!
     Wie wallt mir das Blut!
     O hö¤tt' ich ein Wö¤mslein
     Und Hosen und Hut!
     Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
     Mit mutigem Schritt,
     Ging' durch die Provinzen,
     Ging' ö¼berall mit.
     Die Feinde schon weichen,
     Wir schieöŸen darein.
     Welch Glö¼ck sondergleichen,
     Ein Mannsbild zu sein!

     (Brackenburg  hat unter  dem  Singen Klö¤rchen  oft  angesehen; zuletzt
bleibt  ihm die  Stimme  stocken, die  Trö¤nen kommen ihm  in die  Augen, er
lö¤öŸt  den Strang fallen und geht  ans Fenster.  Klö¤rchen  singt das  Lied
allein aus, die Mutter  winkt ihr halb unwillig, sie steht auf,  geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlö¼ssig wieder um und setzt sich.)
     Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hö¶re marschieren.
     Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
     Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten?  (Sie steht auf und geht
an das Fenster  zu Brackenburg.) Das ist nicht die tö¤gliche Wache, das sind
weit  mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hö¶rt einmal, was es
gibt. Es  muöŸ etwas Besonderes sein. Geht,  guter Brackenburg, tut  mir den
Gefallen.
     Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
     Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
     Klare.  Ich  bin  neugierig;  und  auch, verdenkt  mir's  nicht,  seine
Gegenwart  tut  mir  weh. Ich  weiöŸ  immer  nicht, wie ich  mich gegen  ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's  am  Herzen, daöŸ
er es so lebendig fö¼hlt. - Kann ich's doch nicht ö¤ndern!
     Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
     Klare. Ich kann's auch  nicht lassen, ich muöŸ ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drö¼ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfaöŸt. Ich mache mir Vorwö¼rfe, daöŸ ich ihn betriege, daöŸ  ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nö¤hre. Ich bin ö¼bel dran. WeiöŸ
Gott, ich  betrieg ihn nicht.  Ich will nicht, daöŸ er  hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
     Mutter. Das ist nicht gut.
     Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hö¤tte ihn heiraten kö¶nnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
     Mutter. Glö¼cklich wö¤rst du immer mit ihm gewesen.
     Klare. Wö¤re versorgt und hö¤tte ein ruhiges Leben.
     Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
     Klare. Ich bin in einer  wunderlichen Lage.  Wenn ich so nachdenke, wie
es  gegangen ist,  weiöŸ ich's wohl und weiöŸ  es  nicht. Und dann darf  ich
Egmont nur  wieder ansehen,  wird mir alles sehr begreiflich,  ja wö¤re  mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht  das glö¼cklichste Geschö¶pf von der Welt
sein?
     Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
     Klare. Ach,  ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
     Mutter.  Man  hat  nichts als Herzensangst mit seinen Kindern.  Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge  und  Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglö¼cklich gemacht! mich unglö¼cklich gemacht.
     Klare (gelassen). Ihr lieöŸet es doch im Anfange.
     Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
     Klare. Wenn Egmont vorbeiritt  und ich ans Fenster  lief,  schaltet Ihr
mich da? Tratet  Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lö¤chelte,
nickte,  mich grö¼öŸte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
     Mutter. Mache mir noch Vorwö¼rfe.
     Klare  (gerö¼hrt). Wenn  er  nun ö¶fter die  StraöŸe kam, und wir  wohl
fö¼hlten,  daöŸ er um  meinetwillen  den  Weg machte,  bemerktet Ihr's nicht
selbst  mit heimlicher  Freude?  Rieft Ihr  mich  ab,  wenn  ich  hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
     Mutter. Dachte ich, daöŸ es so weit kommen sollte?
     Klare (mit stockender Stimme und zurö¼ckgehaltenen Trö¤nen). Und wie er
uns abends,  in den Mantel eingehö¼llt, bei  der Lampe ö¼berraschte, wer war
geschö¤ftig, ihn zu empfangen, da  ich auf meinem  Stuhl  wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
     Mutter. Und konnte ich  fö¼rchten, daöŸ diese  unglö¼ckliche  Liebe das
kluge  Klö¤rchen so  bald hinreiöŸen wö¼rde?  Ich muöŸ es  nun tragen,  daöŸ
meine Tochter -
     Klare (mit ausbrechenden Trö¤nen). Mutter! Ihr wollt's  nun!  Ihr  habt
Eure Freude, mich zu ö¤ngstigen.
     Mutter (weinend).  Weine noch gar! Mache  mich noch elender durch deine
Betrö¼bnis.  Ist  mir's  nicht Kummer genug, daöŸ meine  einzige Tochter ein
verworfenes Geschö¶pf ist?
     Klare  (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte  verworfen? -
Welche  Fö¼rstin neidete  nicht das arme  Klö¤rchen um den  Platz an  seinem
Herzen! O Mutter -  meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe  Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
     Mutter.  Man  muöŸ  ihm hold  sein!  das  ist  wahr.  Er  ist immer  so
freundlich, frei und offen.
     Klare. Es ist keine falsche Ader an  ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der groöŸe Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir  seinen Stand,  seine  Tapferkeit gerne verbö¤rge!  wie  er  um  mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
     Mutter. Kommt er wohl heute?
     Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster  gehen  sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich  horche, wenn's an der Tö¼r rauscht? - Ob ich  schon weiöŸ,
daöŸ er vor Nacht  nicht  kommt,  vermut ich ihn doch  jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe.  Wö¤r' ich nur ein Bube und kö¶nnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und ö¼berall hin! Kö¶nnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
     Mutter.  Du  warst  immer so  ein Springinsfeld;  als ein  kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du  dich nicht ein wenig  besser
an?
     Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe!  - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen  Lobliedchen  auf ihn. Wenigstens
war  sein  Name in  den  Liedern! das ö¼brige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals  - Ich hö¤tte sie  gern zurö¼ckgerufen, wenn
ich mich nicht geschö¤mt hö¤tte.
     Mutter. Nimm dich in acht! Dein  heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrö¤tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter,  wie  du
den Holzschnitt  und die  Beschreibung fandst und mit  einem  Schrei riefst:
á»Graf Egmont!á« - Ich ward feuerrot.
     Klare.  Hö¤tt'  ich  nicht  schreien  sollen? Es  war die Schlacht  bei
Gravelingen, und ich  finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche  unten
in der Beschreibung C.  Steht  da: á»Graf  Egmont, dem  das Pferd unter  dem
Leibe totgeschossen wird.á« Mich ö¼berlief's - und hernach muöŸt' ich lachen
ö¼ber  den holzgeschnitzten  Egmont,  der so  groöŸ  war  als  der  Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie  ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir  als Mö¤dchen fö¼r ein  Bild vom Grafen Egmont machte, wenn  sie von
ihm erzö¤hlten, und von allen Grafen und Fö¼rsten - und wie mir's jetzt ist!
     (Brackenburg kommt.)
     Klare. Wie steht's?
     Brackenburg. Man weiöŸ nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er  mö¶chte sich  hieher
verbreiten. Das SchloöŸ ist stark besetzt, die Bö¼rger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in  den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
     Klare.  Sieht  man Euch  morgen? Ich will mich ein  wenig anziehen. Der
Vetter  kommt,  und  ich  sehe  gar  zu  liederlich  aus.  Helft  mir  einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
     Mutter. Lebt wohl.
     Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
     Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter  und Tochter
ab.)
     Brackenburg  (allein).  Ich   hatte   mir  vorgenommen,  gerade  wieder
fortzugehn; und da sie es dafö¼r aufnimmt und mich gehen lö¤öŸt, mö¶cht' ich
rasend werden. - Unglö¼cklicher! und dich rö¼hrt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende  Tumult nicht? - und  gleich  ist  dir  Landsmann  oder
Spanier, und wer regiert und wer  recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: á»Brutus' Rede fö¼r
die Freiheit, zur öœbung der Redekunstá«, da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor  sagte: á»Wenn's nur ordentlicher wö¤re,  nur nicht  alles so
ö¼bereinander gestolpert.á«  - Damals  kocht' es und  trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des Mö¤dchens  so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann  sie mich doch nicht  lieben!  - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
lö¤nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr  sagte?
daöŸ sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlö¤öŸt,  da sie mich zö¼chtig
immer vor  Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es  ist eine
Lö¼ge, eine schö¤ndliche verleumderische Lö¼ge! Klö¤rchen ist so unschuldig,
als  ich  unglö¼cklich bin.  - Sie hat mich verworfen,  hat mich  von  ihrem
Herzen gestoöŸen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
-  - Schon  wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger  bewegt, und  ich
sterbe unter  dem Getö¼mmel  nur ab! Ich duld es  nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein SchuöŸ fö¤llt, mir fö¤hrt's durch  Mark und Bein! Ach,  es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch  mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender,  schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stö¼rzt' ich mich ins  Wasser, ich sank - aber die geö¤ngstete Natur
war stö¤rker; ich fö¼hlte, daöŸ ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - -  Kö¶nnt' ich der Zeiten vergessen, da sie  mich  liebte, mich  zu
lieben  schien!  -  Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glö¼ck?
Warum haben  mir  diese Hoffnungen allen GenuöŸ des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir  ein  Paradies von  weitem zeigten? -  Und  jener erste KuöŸ!  Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer  gut  und  freundlich  gegen mich gewesen -  da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an -  alle Sinnen gingen  mir  um, und  ich fö¼hlte
ihre Lippen auf den meinigen.  - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein Flö¤schchen aus der Tasche.) Ich will dich  nicht  umsonst
aus  meines  Bruders Doktorkö¤stchen  gestohlen  haben,  heilsames  Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese TodesschweiöŸe  auf  einmal
verschlingen und lö¶sen.
     Zweiter Aufzug
     Platz in Brö¼ssel
     Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
     Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor  acht Tagen  auf  der
Zunft sagt' ich, es wö¼rde schwere Hö¤ndel geben.
     Jetter. Ist's denn wahr, daöŸ  sie die Kirchen  in Flandern geplö¼ndert
haben?
     Zimmermeister.  Ganz und  gar zugrunde gerichtet haben  sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wö¤nde haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hö¤tten eher, in
der Ordnung und  standhaft, unsere Gerechtsame  der  Regentin  vortragen und
drauf halten sollen.  Reden wir jetzt, versammeln  wir uns jetzt,  so heiöŸt
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
     Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hö¤ngt doch der Hals gar nah damit zusammen.
     Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lö¤rmen
anfö¤ngt, unter dem  Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande,  worauf  wir uns  auch  berufen mö¼ssen, und bringen das  Land  in
Unglö¼ck.
     (Soest tritt dazu.)
     Soest.  Guten Tag,  ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr,  daöŸ  die
Bilderstö¼rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
     Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrö¼hren.
     Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin,  so eine  wackre kluge Frau sie  bleibt, diesmal  ist sie
auöŸer Fassung. Es muöŸ sehr arg sein, daöŸ sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flö¼chten.
     Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre  Gegenwart  beschö¼tzt  uns,
und wir wollen ihr mehr  verschaffen als ihre  Stutzbö¤rte. Und wenn sie uns
unsere  Rechte  und  Freiheiten aufrechterhö¤lt,  so wollen wir sie  auf den
Hö¤nden tragen.
     (Seifensieder tritt dazu.)
     Seifensieder. Garstige Hö¤ndel! öœble Hö¤ndel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - Hö¼tet euch, daöŸ ihr stille  bleibt, daöŸ man euch nicht auch
fö¼r Aufwiegler hö¤lt.
     Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
     Seifensieder.  Ich  weiöŸ,  da  sind  viele,  die es  heimlich mit  den
Calvinisten  halten,  die auf die Bischö¶fe  lö¤stern, die den Kö¶nig  nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
     (Es gesellt sich  nach  und nach allerlei Volk zu  ihnen  und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
     Vansen. Gott grö¼öŸ' euch Herren! Was Neues?
     Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
     Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
     Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein  Patron nach  dem andern  fortjagte, Schelmstreiche  halber,
pfuscht   er  jetzt  Notaren  und   Advokaten   ins  Handwerk  und  ist  ein
Branntweinzapf.
     (Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
     Vansen. Ihr seid auch  versammelt, steckt  die Kö¶pfe zusammen. Es  ist
immer redenswert.
     Soest. Ich denk auch.
     Vansen. Wenn jetzt  einer oder der  andere Herz hö¤tte, und einer  oder
der  andere  den Kopf dazu: wir  kö¶nnten die spanischen Ketten  auf  einmal
sprengen.
     Soest.  Herre!  So  mö¼öŸt  Ihr  nicht  reden.  Wir  haben  dem  Kö¶nig
geschworen.
     Vansen. Und der Kö¶nig uns. Merkt das.
     Jetter. Das lö¤öŸt sich hö¶ren! Sagt Eure Meinung.
     Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
     Vansen. Ich hatte  einen alten Patron, der besaöŸ Pergamente und Briefe
von  uralten Stiftungen,  Kontrakten und Gerechtigkeiten;  er  hielt auf die
rarsten  Bö¼cher.   In   einem  stand  unsere  ganze  Verfassung:   wie  uns
Niederlö¤nder zuerst einzelne Fö¼rsten  regierten, alles nach  hergebrachten
Rechten,  Privilegien und  Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren  alle Ehrfurcht
fö¼r ihren Fö¼rsten  gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich  gleich vorsahen,  wenn er ö¼ber die Schnur hauen  wollte.  Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz,  so  klein sie  war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstö¤nde.
     Zimmermeister.  Haltet Euer  Maul!  das  weiöŸ  man  lange!  Ein  jeder
rechtschaffene  Bö¼rger  ist,  so   viel  er  braucht,  von  der  Verfassung
unterrichtet.
     Jetter. LaöŸt ihn reden; man erfö¤hrt immer etwas mehr.
     Soests. Er hat ganz recht.
     Mehrere. Erzö¤hlt! erzö¤hlt! So was hö¶rt man nicht alle Tage.
     Vansen. So seid ihr Bö¼rgersleute! Ihr  lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr  euer Gewerb' von euern  Eltern  ö¼berkommen habt, so laöŸt ihr auch
das Regiment ö¼ber euch  schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem  Recht eines Regenten;
und  ö¼ber das Versö¤umnis haben  euch  die Spanier das Netz ö¼ber die Ohren
gezogen.
     Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tö¤gliche Brot hat.
     Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
     Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der Kö¶nig in Spanien, der die Provinzen
durch  gut Glö¼ck zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen Fö¼rsten, die sie ehemals einzeln  besaöŸen. Begreift
ihr das?
     Jetter. Erklö¤rt's uns.
     Vansen. Es  ist so  klar  als die Sonne. Mö¼öŸt  ihr  nicht  nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher kö¤me das?
     Ein Bö¼rger. Wahrlich!
     Vansen. Hat der Brö¼sseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher kö¤me denn das?
     Anderer Bö¼rger. Bei Gott!
     Vansen. Aber,  wenn  ihr's so  fortlaufen laöŸt, wird man's  euch  bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der  Kö¼hne, Friedrich der  Krieger,  Karl der
Fö¼nfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
     Soests. Ja, ja! Die alten Fö¼rsten haben's auch schon probiert.
     Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren paöŸten  auf. Wie  sie einem Herrn
gram wurden, fingen  sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und  gaben  ihn  nur auf  die  besten Bedingungen heraus. Unsere Vö¤ter
waren Leute! Die wuöŸten, was ihnen  nö¼tz  war! Die wuöŸten etwas zu fassen
und festzusetzen! Rechte Mö¤nner! Dafö¼r  sind  aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
     Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
     Das Volk. Von unsern Freiheiten,  von unsern Privilegien! Erzö¤hlt noch
was von unsern Privilegien.
     Vansen. Wir  Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
     Soests. Sagt an.
     Jetter. LaöŸt hö¶ren.
     Ein Bö¼rger. Ich bitt Euch.
     Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
     Soests. Gut! Steht das so?
     Jetter. Getreu? Ist das wahr?
     Vansen.  Wie  ich euch  sage.  Er  ist  uns verpflichtet, wie  wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder  eignen  Willen an uns  beweisen,  merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
     Jetter. Schö¶n! Schö¶n! nicht beweisen.
     Soests. Nicht merken lassen.
     Ein anderer.  Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der  Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
     Vansen. Mit ausdrö¼cklichen Worten.
     Jetter. Schafft uns das Buch.
     Ein Bö¼rger. Ja, wir mö¼ssen's haben.
     Andere. Das Buch! das Buch!
     Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
     Ein anderer. Ihr sollt das Wort fö¼hren, Herr Doktor.
     Seifensieder. O die Trö¶pfe!
     Andere. Noch etwas aus dem Buche!
     Seifensieder. Ich schlage ihm die Zö¤hne in den Hals, wenn er  noch ein
Wort sagt.
     Das Volk. Wir  wollen sehen, wer  ihm  etwas  tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
     Vansen.  Mancherlei,  und  sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den  geistlichen Stand  nicht  verbessern oder  mehren,  ohne
Verwilligung des Adels und der Stö¤nde! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht verö¤ndern.
     Soest. Ist das so?
     Vansen.  Ich  will's  euch  geschrieben zeigen, von zwei-,  dreihundert
Jahren her.
     Bö¼rger.  Und  wir  leiden  die  neuen  Bischö¶fe?  Der Adel  muöŸ  uns
schö¼tzen, wir fangen Hö¤ndel an!
     Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
     Vansen. Das ist eure Schuld.
     Das Volk.  Wir  haben noch  Egmont! noch Oranien! Die sorgen fö¼r unser
Bestes!
     Vansen. Eure Brö¼der in Flandern haben das gute Werk angefangen.
     Seifensieder. Du Hund!
     (Er schlö¤gt ihn.)
     Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
     Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
     Ein anderer. Den Gelahrten?
     (Sie fallen den Seifensieder an.)
     Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
     (Andere mischen sich in den Streit.)
     Zimmermeister. Bö¼rger, was soll das?
     (Buben pfeifen, werfen mit Steinen,  hetzen Hunde an, Bö¼rger stehn und
gaffen,  Volk lö¤uft zu,  andere  gehn  gelassen auf und ab, andere  treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
     Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
     (Egmont tritt auf mit Begleitung.)
     Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
     Zimmermeister.  Gnö¤diger Herr,  Ihr kommt wie ein  Engel des  Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
     Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bö¼rger gegen Bö¼rger! Hö¤lt sogar
die Nö¤he unsrer kö¶niglichen Regentin diesen  Unsinn  nicht  zurö¼ck?  Geht
auseinander, geht  an euer Gewerbe.  Es ist ein  ö¼bles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
     (Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
     Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
     Egmont. Die sie noch mutwillig zertrö¼mmern werden - Und wer seid  Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
     Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
     Egmont. Eures Zeichens?
     Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
     Egmont. Und Ihr?
     Soest. Krö¤mer.
     Egmont. Ihr?
     Jetter. Schneider.
     Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen fö¼r meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
     Jetter. Gnade, daöŸ Ihr Euch dessen erinnert.
     Egmont.  Ich  vergesse  niemanden  leicht,  den  ich einmal gesehen und
gesprochen  habe. - Was  an euch ist, Ruhe zu erhalten,  Leute, das tut; ihr
seid ö¼bel genug angeschrieben.  Reizt den Kö¶nig nicht mehr, er hat zuletzt
doch die  Gewalt in Hö¤nden. Ein ordentlicher Bö¼rger, der  sich ehrlich und
fleiöŸig nö¤hrt, hat ö¼berall so viel Freiheit, als er braucht.
     Zimmermeister.  Ach  wohl! das ist eben  unsre  Not! Die Tagdiebe,  die
Sö¶ffer,  die  Faulenzer,  mit  Euer   Gnaden  Verlaub,  die  stö¤nkern  aus
Langerweile  und  scharren  aus  Hunger  nach  Privilegien  und  lö¼gen  den
Neugierigen und Leichtglö¤ubigen was  vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen,  fangen sie  Hö¤ndel  an, die  viel tausend  Menschen  unglö¼cklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Hö¤user und Kasten zu gut
verwahrt; da mö¶chten sie gern uns mit Feuerbrö¤nden davontreiben.
     Egmont. Allen Beistand  sollt ihr finden; es sind MaöŸregeln  genommen,
dem öœbel krö¤ftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht,  durch  Aufruhr  befestige man Privilegien.  Bleibt zu  Hause; leidet
nicht, daöŸ sie  sich auf  den  StraöŸen rotten. Vernö¼nftige  Leute kö¶nnen
viel tun.
     (Indessen hat sich der grö¶öŸte Haufe verlaufen.)
     Zimmermeister. Danken  Euer Exzellenz,  danken fö¼r  die gute  Meinung!
Alles,  was  an  uns  liegt.  (Egmont ab.)  Ein  gnö¤diger  Herr! der  echte
Niederlö¤nder! Gar so nichts Spanisches.
     Jetter. Hö¤tten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
     Soest. Das lö¤öŸt  der Kö¶nig wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
     Jetter.  Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
     Zimmermeister. Ein schö¶ner Herr!
     Jetter. Sein Hals wö¤r' ein rechtes Fressen fö¼r einen Scharfrichter.
     Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
     Jetter. Dumm genug, daöŸ einem so etwas einfö¤llt. - Es ist mir nun so.
Wenn  ich einen  schö¶nen langen Hals  sehe,  muöŸ  ich gleich wider  Willen
denken: der ist  gut  kö¶pfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne.  Wenn die Bursche  schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich  fallen  sie mir zu  Dutzenden  ein, die  ich habe  mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst,  mein  ich,  den  sö¤h' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde  froh. Jede Lustbarkeit, jeden SpaöŸ hab ich bald
vergessen;  die  fö¼rchterlichen  Gestalten  sind  mir  wie  vor die  Stirne
gebrannt.
     Egmonts Wohnung
     Sekretö¤r an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
     Sekretö¤r. Er kommt immer nicht! und  ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,.  die Papiere vor mir; und eben heute mö¶cht' ich gern so
zeitig  fort.  Es brennt  mir unter den Sohlen. Ich  kann vor  Ungeduld kaum
bleiben. á»Sei auf die Stunde daá«,  befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er  nicht. Es  ist so viel zu  tun,  ich  werde vor  Mitternacht nicht
fertig. Freilich  sieht er einem  auch einmal durch die Finger.  Doch hielt'
ich's  besser,  wenn  er  strenge  wö¤re  und  lieöŸe einen auch  wieder zur
bestimmten  Zeit. Man kö¶nnte sich einrichten. Von der  Regentin ist er  nun
schon zwei Stunden weg; wer weiöŸ, wen er unterwegs angefaöŸt hat.
     (Egmont tritt auf.)
     Egmont. Wie sieht's aus?
     Sekretö¤r. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
     Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrieöŸlich
Gesicht.
     Sekretö¤r. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich  schon lange. Hier  sind
die Papiere!
     Egmont. Donna Elvira wird bö¶se auf  mich werden, wenn sie  hö¶rt, daöŸ
ich dich abgehalten habe.
     Sekretö¤r. Ihr scherzt.
     Egmont.  Nein,  nein.  Schö¤me  dich  nicht.  Du   zeigst  einen  guten
Geschmack. Sie  ist hö¼bsch; und es  ist  mir ganz  recht,  daöŸ du  auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
     Sekretö¤r. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
     Egmont.  Da ist gut, daöŸ wir die  Freude zu Hause haben  und sie nicht
von auswö¤rts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
     Sekretö¤r. Genug, und drei Boten warten.
     Egmont. Sag an! das Nö¶tigste!
     Sekretö¤r. Es ist alles nö¶tig.
     Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
     Sekretö¤r. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
     Egmont.  Er  schreibt  wohl  noch  von  einzelnen  Ungezogenheiten  und
Tollkö¼hnheiten?
     Sekretö¤r. Ja! Es kommt noch manches vor.
     Egmont. Verschone mich damit.
     Sekretö¤r. Noch  sechs  sind  eingezogen  worden,  die bei  Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hö¤ngen lassen?
     Egmont. Ich bin des Hö¤ngens  mö¼de. Man  soll  sie durchpeitschen, und
sie mö¶gen gehen.
     Sekretö¤r. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
     Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
     Sekretö¤r. Brink  von  Bredas  Kompanie  will  heiraten.  Der Hauptmann
hofft,  Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt  er,  daöŸ, wenn wir  ausziehen, es keinem Soldatenmarsch,  sondern
einem Zigeunergeschleppe ö¤hnlich sehen wird.
     Egmont. Dem mag's noch hingehen!  Es ist  ein schö¶ner junger Kerl;  er
bat mich  noch gar  dringend,  eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem  mehr
gestattet sein,  so leid mir's tut, den armen Teufeln,  die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten SpaöŸ zu versagen.
     Sekretö¤r. Zwei von  Euern Leuten, Seter und Hart, haben  einem Mö¤del,
einer  Wirtstochter,  ö¼bel mitgespielt. Sie kriegten  sie allein,  und  die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
     Egmont. Wenn  es  ein  ehrlich  Mö¤dchen  ist,  und  sie  haben  Gewalt
gebraucht,  so  soll  er sie drei Tage  hintereinander mit  Ruten  streichen
lassen, und wenn  sie etwas besitzen, soll er so  viel davon einziehen, daöŸ
dem Mö¤dchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
     Sekretö¤r. Einer  von den  fremden  Lehrern ist heimlich durch  Comines
gegangen  und  entdeckt  worden.  Er  schwö¶rt,  er  sei  im  Begriff,  nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
     Egmont. Sie sollen ihn in der  Stille  an  die Grenze  bringen  und ihm
versichern, daöŸ er das zweitemal nicht so wegkommt.
     Sekretö¤r. Ein  Brief von Euerm  Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er kö¶nne  auf die Woche die verlangte Summe  schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die grö¶öŸte Konfusion gebracht.
     Egmont. Das Geld muöŸ herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
     Sekretö¤r. Er  sagt, er werde  sein mö¶glichstes tun  und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
     Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
     Sekretö¤r. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
     Egmont. So gebe man  ihm noch vierzehn Tage; und dann mag  er gegen ihn
verfahren.
     Sekretö¤r. Ihr tut wohl. Es ist nicht Unvermö¶gen; es ist bö¶ser Wille.
Er macht  gewiöŸ  Ernst, wenn  er sieht, Ihr spaöŸt nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr  Gnadengehalte gebt, die Gebö¼hr einen halben Monat  zurö¼ckhalten;  man
kö¶nne indessen Rat schaffen; sie mö¶chten sich einrichten.
     Egmont. Was  ist da einzurichten? Die Leute brauchen  das Geld nö¶tiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
     Sekretö¤r. Woher befehlt Ihr denn, daöŸ er das Geld nehmen soll?
     Egmont.  Darauf  mag  er  denken; es  ist  ihm im vorigen Briefe  schon
gesagt.
     Sekretö¤r. Deswegen tut er die Vorschlö¤ge.
     Egmont.  Die  taugen nicht,  er  soll auf was  anders  sinnen. Er  soll
Vorschlö¤ge  tun,  die  annehmlich  sind, und  vor  allem soll er  das  Geld
schaffen.
     Sekretö¤r.  Ich  habe den Brief  des Grafen  Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, daöŸ ich Euch daran  erinnere.  Der alte  Herr verdient vor  allen
andern eine ausfö¼hrliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. GewiöŸ,
er liebt Euch wie ein Vater.
     Egmont. Ich  komme nicht dazu. Und unter vielem  VerhaöŸten ist mir das
Schreiben das VerhaöŸteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib  in
meinem  Namen.  Ich erwarte  Oranien. Ich  komme  nicht dazu; und  wö¼nschte
selbst,  daöŸ  ihm   auf  seine  Bedenklichkeiten  was   recht  Beruhigendes
geschrieben wö¼rde.
     Sekretö¤r.  Sagt mir nur ungefö¤hr Eure Meinung;  ich  will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daöŸ sie
vor Gericht fö¼r Eure Hand gelten kann.
     Egmont.  Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner  Jugend auch  wohl so bedö¤chtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrö¤t, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will  mein Leben und mein Glö¼ck und  fö¼hlt nicht,
daöŸ der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er  mö¶ge unbesorgt sein;  ich handle, wie  ich soll,  ich  werde mich schon
wahren:  sein Ansehn bei Hofe  soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewiöŸ sein.
     Sekretö¤r. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
     Egmont. Was soll  ich mehr  sagen?  Willst  du mehr  Worte  machen,  so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. DaöŸ  ich frö¶hlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe,  das ist mein Glö¼ck; und  ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines Totengewö¶lbes. Ich habe  nun zu der spanischen  Lebensart nicht einen
Blutstropfen  in  meinen  Adern;  nicht Lust,  meine Schritte nach der neuen
bedö¤chtigen Hofkadenz  zu mustern.  Leb ich  nur, um aufs Leben  zu denken?
Soll  ich  den gegenwö¤rtigen  Augenblick  nicht  genieöŸen, damit  ich  des
folgenden gewiöŸ sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
     Sekretö¤r. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja  sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefö¤llig
Wort, das den edeln Freund  beruhige. Seht, wie sorgfö¤ltig er ist, wie leis
er Euch berö¼hrt.
     Egmont. Und doch berö¼hrt  er  immer diese  Saite. Er  weiöŸ von alters
her,  wie  verhaöŸt mir  diese Ermahnungen sind; sie  machen  nur irre,  sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wö¤re und auf dem gefö¤hrlichen
Gipfel  eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich,  mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu tö¶ten? LaöŸt jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
     Sekretö¤r. Es  ziemt Euch, nicht  zu  sorgen, aber  wer Euch  kennt und
liebt -
     Egmont  (in den  Brief sehend). Da bringt er wieder  die alten Mö¤rchen
auf, was  wir an einem Abend in leichtem  öœbermut der  Geselligkeit und des
Weins  getrieben und gesprochen; und was man  daraus fö¼r Folgen und Beweise
durchs ganze Kö¶nigreich  gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir  haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf  unsrer  Diener  ö„rmel sticken lassen, und
haben  diese tolle Zierde nachher in ein Bö¼ndel Pfeile verwandelt; ein noch
gefö¤hrlicher Symbol fö¼r alle, die deuten wollen,  wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, daöŸ  eine ganze edle Schar mit Bettelsö¤cken  und
mit einem selbstgewö¤hlten Unnamen dem  Kö¶nige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedö¤chtnis  rief;  sind schuld  -  was ist's nun  weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich  Hochverrat? Sind  uns die  kurzen, bunten Lumpen  zu
miöŸgö¶nnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme Blö¶öŸe hö¤ngen mag? Wenn ihr das  Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was  ist denn dran? Wenn  uns der Morgen  nicht  zu neuen  Freuden weckt, am
Abend  uns  keine Lust  zu hoffen  ö¼brigbleibt:  ist's  wohl  des  An-  und
Ausziehens  wert? Scheint mir  die Sonne  heut,  um  das zu  ö¼berlegen, was
gestern war? und um zu  raten,  zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist,  das  Schicksal  eines  kommenden  Tages? Schenke  mir  diese
Betrachtungen;  wir wollen  sie  Schö¼lern  und Hö¶flingen ö¼berlassen.  Die
mö¶gen sinnen  und  aussinnen, wandeln und schleichen,  gelangen, wohin  sie
kö¶nnen, erschleichen, was sie kö¶nnen. -  Kannst du von allem  diesem etwas
brauchen, daöŸ deine  Epistel kein Buch wird, so ist mir's  recht. Dem guten
Alten scheint  alles  viel zu wichtig. So drö¼ckt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stö¤rker noch einmal, wenn er sie lassen will.
     Sekretö¤r. Verzeiht  mir, es wird dem FuöŸgö¤nger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
     Egmont.  Kind!  Kind!  nicht  weiter!  Wie  von  unsichtbaren  Geistern
gepeitscht, gehen  die Sonnenpferde  der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen  durch;  und  uns  bleibt  nichts,  als,  mutig  gefaöŸt,  die  Zö¼gel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze  da, die
Rö¤der wegzulenken. Wohin es geht, wer weiöŸ es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
     Sekretö¤r. Herr! Herr!
     Egmont.  Ich  stehe  hoch  und  kann und  muöŸ noch hö¶her steigen; ich
fö¼hle mir Hoffnung, Mut  und  Kraft.  Noch hab ich  meines Wachstums Gipfel
nicht  erreicht;  und steh  ich  droben  einst,  so  will  ich  fest,  nicht
ö¤ngstlich stehn. Soll ich fallen, so  mag ein Donnerschlag,  ein Sturmwind,
ja ein selbst  verfehlter  Schritt mich abwö¤rts in  die  Tiefe stö¼rzen; da
lieg ich  mit viel Tausenden.  Ich habe nie  verschmö¤ht, mit  meinen  guten
Kriegsgesellen um  kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
     Sekretö¤r.  O Herr! Ihr wiöŸt  nicht, was fö¼r  Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
     Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nö¶tigsten  ist, daöŸ die Boten fortkommen, eh die Tore  geschlossen werden.
Das  andere  hat  Zeit. Den Brief an  den Grafen laöŸ  bis morgen; versö¤ume
nicht, Elviren zu besuchen, und grö¼öŸe sie von mir. -  Horche, wie sich die
Regentin  befindet;  sie soll nicht  wohl sein,  ob  sie's gleich  verbirgt.
(Sekretö¤r ab.)
     (Oranien kommt.)
     Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
     Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
     Egmont.   Ich   fand   in    ihrer   Art,   uns   aufzunehmen,   nichts
AuöŸerordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
     Oranien. Merktet Ihr nicht, daöŸ sie zurö¼ckhaltender war?  Erst wollte
sie  unser  Betragen bei  dem  neuen  Aufruhr des Pö¶bels gelassen billigen;
nachher  merkte sie  an, was sich doch  auch fö¼r  ein falsches Licht darauf
werfen lasse;  wich dann  mit dem  Gesprö¤che zu ihrem  alten  gewö¶hnlichen
Diskurs:  daöŸ  man  ihre liebevolle  gute  Art,  ihre  Freundschaft zu  uns
Niederlö¤ndern, nie  genug erkannt, zu  leicht behandelt  habe, daöŸ  nichts
einen erwö¼nschten Ausgang nehmen wolle, daöŸ sie am Ende wohl mö¼de werden,
der  Kö¶nig sich  zu  andern MaöŸregeln entschlieöŸen  mö¼sse. Habt Ihr  das
gehö¶rt?
     Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist  ein
Weib, guter  Oranien, und die mö¶chten immer gern, daöŸ sich alles unter ihr
sanftes Joch  gelassen schmiegte, daöŸ jeder Herkules die Lö¶wenhaut ablegte
und  ihren Kunkelhof vermehrte;  daöŸ, weil sie friedlich gesinnt  sind, die
Gö¤rung,  die  ein  Volk  ergreift, der  Sturm,  den  mö¤chtige  Nebenbuhler
gegeneinander erregen,  sich  durch  ein freundlich Wort beilegen lieöŸe und
die  widrigsten  Elemente  sich  zu  ihren  Fö¼öŸen   in  sanfter  Eintracht
vereinigten. Das ist  ihr Fall;  und da sie es  dahin nicht bringen kann, so
hat  sie  keinen  Weg,  als  launisch zu werden,  sich ö¼ber  Undankbarkeit,
Unweisheit zu  beklagen,  mit  schrecklichen Aussichten  in  die Zukunft  zu
drohen, und zu drohen - daöŸ sie fortgehn will.
     Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daöŸ sie ihre Drohung erfö¼llt?
     Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie  schon reisefertig gesehn!  Wo
will  sie  denn  hin? Hier Statthalterin, Kö¶nigin; glaubst du, daöŸ sie  es
unterhalten wird, am Hofe ihres  Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach  Italien   zu  gehen   und   sich   in   alten   Familienverhö¤ltnissen
herumzuschleppen?
     Oranien. Man hö¤lt sie dieser EntschlieöŸung nicht fö¤hig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr  sie habt zurö¼cktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue Umstö¤nde treiben sie zu  dem  lang verzö¶gerten EntschluöŸ.  Wenn
sie ginge? und der Kö¶nig schickte einen andern?
     Egmont. Nun, der wö¼rde kommen, und wö¼rde eben auch zu tun finden. Mit
groöŸen  Planen,  Projekten und  Gedanken  wö¼rde  er kommen,  wie  er alles
zurechtrö¼cken,  unterwerfen und  zusammenhalten wolle;  und wö¼rde heut mit
dieser  Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun  haben, ö¼bermorgen jene
Hindernis  finden,  einen  Monat mit  Entwö¼rfen, einen andern  mit VerdruöŸ
ö¼ber fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen ö¼ber eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die  Zeit vergehn, der  Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daöŸ er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu  durchsegeln, Gott danken mag,  wenn er sein Schiff  in
diesem Sturme vom Felsen hö¤lt.
     Oranien. Wenn man nun aber dem Kö¶nig zu einem Versuch riete?
     Egmont. Der wö¤re?
     Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
     Egmont. Wie?
     Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhö¤ltnisse am
Herzen,  ich stehe immer wie ö¼ber einem Schachspiele und halte  keinen  Zug
des Gegners fö¼r unbedeutend; und  wie  mö¼öŸige Menschen mit  der grö¶öŸten
Sorgfalt  sich um die Geheimnisse  der Natur bekö¼mmern, so halt ich es fö¼r
Pflicht,  fö¼r Beruf eines  Fö¼rsten, die Gesinnungen, die Ratschlö¤ge aller
Parteien  zu kennen. Ich  habe Ursach', einen  Ausbruch zu befö¼rchten.  Der
Kö¶nig  hat  lange nach  gewissen Grundsö¤tzen gehandelt;  er sieht, daöŸ er
damit nicht auskommt; was  ist wahrscheinlicher, als daöŸ er  es  auf  einem
andern Wege versucht?
     Egmont.  Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muöŸ  man  es  endlich  wohl
genug haben.
     Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
     Egmont. Nun?
     Oranien. Das Volk zu schonen und die Fö¼rsten zu verderben.
     Egmont.  Wie  viele  haben das  schon lange gefö¼rchtet!  Es  ist keine
Sorge.
     Oranien. Sonst war's  Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
GewiöŸheit geworden.
     Egmont. Und hat der Kö¶nig treuere Diener als uns?
     Oranien. Wir dienen ihm auf  unsere Art; und unter einander kö¶nnen wir
gestehen,  daöŸ wir  des Kö¶nigs  Rechte  und  die  unsrigen wohl abzuwö¤gen
wissen.
     Egmont. Wer tut's  nicht?  Wir sind ihm  untertan und gewö¤rtig in dem,
was ihm zukommt.
     Oranien.  Wenn  er sich nun  aber  mehr  zuschriebe  und  Treulosigkeit
nennte, was wir heiöŸen: auf unsre Rechte halten?
     Egmont.  Wir werden  uns verteidigen  kö¶nnen. Er  rufe die  Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
     Oranien. Und was wö¤re ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
     Egmont.  Eine  Ungerechtigkeit, der sich Philipp  nie  schuldig  machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Rö¤ten nicht zutraue.
     Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und tö¶richt wö¤ren?
     Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht mö¶glich. Wer sollte wagen, Hand an
uns  zu  legen? - Uns  gefangenzunehmen, wö¤r' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen.  Nein,  sie  wagen nicht,  das  Panier  der  Tyrannei  so  hoch
aufzustecken.  Der  Windhauch,  der  diese  Nachricht ö¼bers  Land brö¤chte,
wö¼rde  ein  ungeheures Feuer  zusammentreiben.  Und  wohinaus  wollten sie?
Richten  und  verdammen  kann nicht  der  Kö¶nig  allein;  und  wollten  sie
meuchelmö¶rderisch  an  unser  Leben?   -  Sie  kö¶nnen  nicht  wollen.  Ein
schrecklicher Bund wö¼rde in einem Augenblick das Volk vereinigen.  HaöŸ und
ewige Trennung vom spanischen Namen wö¼rde sich gewaltsam erklö¤ren.
     Oranien.  Die  Flamme wö¼tete  dann ö¼ber  unserm  Grabe, und das  Blut
unsrer Feinde flö¶sse zum leeren Sö¼hnopfer. LaöŸ uns denken, Egmont.
     Egmont. Wie sollten sie aber?
     Oranien. Alba ist unterwegs.
     Egmont. Ich glaub's nicht.
     Oranien. Ich weiöŸ es.
     Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
     Oranien. Um  desto mehr bin ich ö¼berzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
     Egmont.  Aufs neue  die Provinzen zu belö¤stigen? Das Volk wird hö¶chst
schwierig werden.
     Oranien. Man wird sich der Hö¤upter versichern.
     Egmont. Nein! Nein!
     Oranien.  LaöŸ  uns gehen, jeder  in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstö¤rken; mit offner Gewalt fö¤ngt er nicht an.
     Egmont. Mö¼ssen wir ihn nicht begrö¼öŸen, wenn er kommt?
     Oranien. Wir zö¶gern.
     Egmont. Und  wenn  er  uns  im Namen  des  Kö¶nigs bei  seiner  Ankunft
fordert?
     Oranien. Suchen wir Ausflö¼chte.
     Egmont. Und wenn er dringt?
     Oranien. Entschuldigen wir uns.
     Egmont. Und wenn er drauf besteht?
     Oranien. Kommen wir um so weniger.
     Egmont. Und der Krieg ist erklö¤rt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laöŸ dich nicht durch Klugheit verfö¼hren; ich weiöŸ, daöŸ Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
     Oranien. Ich hab ihn bedacht.
     Egmont.  Bedenke,  wenn du dich  irrst,  woran du schuld  bist; an  dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwö¼stet hat. Dein Weigern ist das
Signal,  das  die  Provinzen  mit  einmal  zu  den  Waffen  ruft,  das  jede
Grausamkeit rechtfertigt,  wozu Spanien  von  jeher  nur  gern  den  Vorwand
gehascht hat.  Was wir  lange mö¼hselig  gestillt haben, wirst du  mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk  an  die  Stö¤dte,  die
Edeln, das Volk, an  die Handlung, den Feldbau,  die Gewerbe! und  denke die
Verwö¼stung,  den Mord! -  Ruhig sieht  der  Soldat  wohl  im  Felde  seinen
Kameraden  neben  sich  hinfallen; aber  den  FluöŸ herunter werden dir  die
Leichen  der Bö¼rger, der Kinder, der  Jungfrauen entgegenschwimmen, daöŸ du
mit Entsetzen  dastehst und nicht mehr weiöŸt, wessen Sache du  verteidigst,
da die zugrunde gehen, fö¼r deren Freiheit du die Waffen  ergriffst. Und wie
wird  dir's sein, wenn  du  dir still sagen  muöŸt:  á»Fö¼r meine Sicherheit
ergriff ich sie.á«
     Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es  sich,  uns
fö¼r  Tausende hinzugeben,  so  ziemt es sich auch,  uns  fö¼r  Tausende  zu
schonen.
     Egmont. Wer sich schont, muöŸ sich selbst verdö¤chtig werden.
     Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rö¼ckwö¤rts gehen.
     Egmont. Das öœbel, das du fö¼rchtest, wird gewiöŸ durch deine Tat.
     Oranien.   Es   ist   klug   und  kö¼hn,  dem   unvermeidlichen   öœbel
entgegenzugehn.
     Egmont.  Bei  so  groöŸer  Gefahr  kommt  die  leichteste  Hoffnung  in
Anschlag.
     Oranien.  Wir haben nicht fö¼r den leisesten FuöŸtritt Platz mehr;  der
Abgrund liegt hart vor uns.
     Egmont. Ist des Kö¶nigs Gunst ein so schmaler Grund?
     Oranien. So schmal nicht, aber schlö¼pfrig.
     Egmont. Bei Gott! man  tut ihm  Unrecht. Ich mag nicht leiden, daöŸ man
unwö¼rdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fö¤hig.
     Oranien. Die Kö¶nige tun nichts Niedriges.
     Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
     Oranien.  Eben diese Kenntnis  rö¤t uns, eine gefö¤hrliche  Probe nicht
abzuwarten.
     Egmont. Keine Probe ist gefö¤hrlich, zu der man Mut hat.
     Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
     Egmont. Ich muöŸ mit meinen Augen sehen.
     Oranien. O sö¤hst du diesmal nur mit den  meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du  Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei  dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern.  Vielleicht daöŸ der
Drache  nichts  zu  fangen  glaubt,  wenn  er uns  nicht  beide  auf  einmal
verschlingt.   Vielleicht   zö¶gert  er,   um   seinen   Anschlag   sicherer
auszufö¼hren;  und  vielleicht  siehest  du indes die Sache  in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell!  Rette! rette dich! - Leb  wohl! - LaöŸ
deiner Aufmerksamkeit nichts  entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was fö¼r Macht die Regentin behö¤lt, wie deine Freunde
gefaöŸt sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
     Egmont. Was willst du?
     Oranien (ihn bei der Hand fassend). LaöŸ dich ö¼berreden! Geh mit!
     Egmont. Wie? Trö¤nen, Oranien?
     Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch mö¤nnlich.
     Egmont. Du wö¤hnst mich verloren?
     Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
     Egmont (allein). DaöŸ andrer Menschen Gedanken solchen EinfluöŸ auf uns
haben!  Mir  wö¤r'  es  nie  eingekommen;   und  dieser  Mann  trö¤gt  seine
Sorglichkeit  in mich  herö¼ber.  - Weg!  - Das ist ein fremder  Tropfen  in
meinem  Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
     Dritter Aufzug
     Palast der Regentin
     Margarete von Parma.
     Margarete. Ich hö¤tte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mö¼he  und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer,  man tue das Mö¶glichste;  und der
von weitem zusieht und  befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mö¶gliche. - O
die  Kö¶nige!  - Ich hö¤tte nicht  geglaubt, daöŸ  es  mich  so  verdrieöŸen
kö¶nnte. Es ist so schö¶n zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weiöŸ nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
     (Machiavell erscheint im Grunde.)
     Regentin. Tretet  nö¤her,  Machiavell. Ich denke hier  ö¼ber den  Brief
meines Bruders.
     Machiavell. Ich darf wissen, was er enthö¤lt?
     Regentin. So viel zö¤rtliche Aufmerksamkeit fö¼r mich als Sorgfalt fö¼r
seine Staaten. Er  rö¼hmt die Standhaftigkeit,  den FleiöŸ  und  die  Treue,
womit ich  bisher fö¼r die Rechte seiner Majestö¤t in diesen Landen  gewacht
habe. Er bedauert  mich, daöŸ mir  das unbö¤ndige Volk  so viel zu  schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen  ö¼berzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens  so auöŸerordentlich zufrieden, daöŸ ich  fast
sagen muöŸ,  der  Brief ist fö¼r einen  Kö¶nig  zu  schö¶n geschrieben, fö¼r
einen Bruder gewiöŸ.
     Machiavell.  Es  ist  nicht  das erstemal, daöŸ  er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
     Regentin. Aber das erstemal, daöŸ es rednerische Figur ist.
     Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
     Regentin.  Ihr  werdet.  - Denn er meint,  nach diesem  Eingange:  ohne
Mannschaft, ohne  eine  kleine Armee werde  ich immer hier eine ö¼ble  Figur
spielen! Wir hö¤tten,  sagt er, unrecht getan,  auf die Klagen der Einwohner
unsre  Soldaten  aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er,  die
dem Bö¼rger auf dem Nacken lastet,  verbiete  ihm durch ihre Schwere, groöŸe
Sprö¼nge zu machen.
     Machiavell. Es wö¼rde die Gemö¼ter ö¤uöŸerst aufbringen.
     Regentin.  Der  Kö¶nig  meint aber,  hö¶rst  du?  - Er meint, daöŸ  ein
tö¼chtiger  General, so  einer, der gar keine  Rö¤son  annimmt, gar bald mit
Volk  und Adel,  Bö¼rgern  und  Bauern fertig werden  kö¶nne;  - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
     Machiavell. Alba?
     Regentin. Du wunderst dich?
     Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
     Regentin. Der Kö¶nig fragt nicht; er schickt.
     Machiavell. So  werdet Ihr einen  erfahrnen  Krieger  in Euren Diensten
haben.
     Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
     Machiavell. Ich mö¶cht' Euch nicht vorgreifen.
     Regentin. Und ich mö¶chte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder  sagte, wie er's denkt, als daöŸ
er fö¶rmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretö¤r aufsetzt.
     Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
     Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie mö¶chten's gern
gesö¤ubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in  der Hand kommt.  O mir ist's, als
wenn ich den Kö¶nig und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sö¤he.
     Machiavell. So lebhaft?
     Regentin.  Es  fehlt  kein  Zug.  Es  sind gute  Menschen  drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so  erfahren und  mö¤öŸig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen lö¤öŸt,  der gerade  Alonzo, der  fleiöŸige Freneda,  der
feste Las  Vargas, und  noch  einige,  die  mitgehen,  wenn  die gute Partei
mö¤chtig wird. Da sitzt aber der hohlö¤ugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen  den  Zö¤hnen  von  Weibergö¼te,
unzeitigem Nachgeben  und  daöŸ Frauen  wohl  von  zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst  aber schlechte Stallmeister sind, und solche Spö¤öŸe,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhö¶ren mö¼ssen.
     Machiavell. Ihr habt zu dem Gemö¤lde einen guten Farbentopf gewö¤hlt.
     Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In  meiner  ganzen Schattierung, aus
der  ich  allenfalls malen kö¶nnte, ist  kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie  Albas Gesichtsfarbe und  als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist  bei
ihm gleich  ein  Gotteslö¤sterer,  ein  Majestö¤tsschö¤nder: denn aus diesem
Kapitel  kann  man  sie  alle  sogleich rö¤dern,  pfö¤hlen,  vierteilen  und
verbrennen. - Das Gute, was  ich hier getan habe, sieht  gewiöŸ in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hö¤ngt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist;  und es wird  dem
Kö¶nige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkö¼hnheit,  daöŸ  er
sich vorstellt,  sie  frö¤öŸen sich  hier einander auf, wenn eine  flö¼chtig
vorö¼bergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da faöŸt er einen recht herzlichen HaöŸ auf  die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich,  ja wie Tiere  und  Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wö¤hnt, so bö¤ndige man Menschen.
     Machiavell. Ihr scheint mir zu  heftig, Ihr  nehmt  die  Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
     Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich  bin in
Staatsgeschö¤ften  alt  genug  geworden,   um   zu  wissen,  wie  man  einen
verdrö¤ngt,  ohne  ihm  seine Bestallung  zu nehmen.  -  Erst wird  er  eine
Instruktion bringen, die  wird unbestimmt  und schief sein; er  wird um sich
greifen, denn er hat  die Gewalt; und  wenn  ich mich beklage, wird  er eine
geheime  Instruktion  vorschö¼tzen;  wenn ich sie sehen  will, wird er  mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was  anders enthö¤lt; und wenn ich mich  da nicht  beruhige, gar nicht  mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er,  was ich fö¼rchte, getan, und was
ich wö¼nsche, weit abwö¤rts gelenkt haben.
     Machiavell. Ich wollt', ich kö¶nnt' Euch widersprechen.
     Regentin.  Was  ich mit  unsö¤glicher Geduld beruhigte,  wird er  durch
Hö¤rte und  Grausamkeiten wieder aufhetzen;  ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und ö¼berdies noch seine Schuld zu tragen haben.
     Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
     Regentin. So viel Gewalt hab  ich  ö¼ber mich, um stille zu  sein. LaöŸ
ihn kommen;  ich  werde  ihm mit der  besten Art Platz machen, eh'  er  mich
verdrö¤ngt.
     Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
     Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist,  wer's
hergebracht hat, daöŸ jeden  Tag das Schicksal von Tausenden  in seiner Hand
liegt, steigt  vom Throne wie ins Grab. Aber besser  so, als einem Gespenste
gleich  unter  den  Lebenden  bleiben  und  mit  hohlem  Ansehn einen  Platz
behaupten wollen, den ihm  ein  anderer  abgeerbt hat  und  nun  besitzt und
genieöŸt.

     Klö¤rchens Wohnung
     Klö¤rchen. Mutter.
     Mutter.  So  eine  Liebe  wie Brackenburgs  hab  ich  nie  gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
     Klö¤rchen (geht in der Stube auf und ab, ein  Lied zwischen den  Lippen
summend).
     Glö¼cklich allein
     Ist die Seele, die liebt.

     Mutter.  Er vermutet deinen Umgang mit  Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tö¤test, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
     Klö¤rchen (singt).
     Freudvoll
     Und leidvoll,
     Gedankenvoll sein,
     Langen
     Und bangen
     In schwebender Pein,
     Himmelhoch jauchzend,
     Zum Tode betrö¼bt -
     Glö¼cklich allein
     Ist die Seele, die liebt.

     Mutter. LaöŸ das Heiopopeia.
     Klö¤rchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein krö¤ftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein groöŸes Kind damit schlafen gewiegt.
     Mutter. Du hast  doch  nichts im  Kopfe als deine Liebe. Vergö¤öŸest du
nur nicht alles ö¼ber das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glö¼cklich machen.
     Klö¤rchen. Er?
     Mutter. O ja! es kommt eine  Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus  und
ö¼berhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schö¶ne  Liebe,  alles hat
sein  Ende;  und es  kommt eine Zeit, wo man  Gott dankt, wenn man  irgendwo
unterkriechen kann.
     Klö¤rchen (schaudert, schweigt und fö¤hrt auf). Mutter, laöŸt  die Zeit
kommen  wie den Tod. Dran  vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn  wir mö¼ssen  -  dann  - wollen wir  uns  gebö¤rden, wie wir kö¶nnen  -
Egmont,  ich  dich  entbehren! - (In Trö¤nen.) Nein, es ist nicht  mö¶glich,
nicht mö¶glich.
     Egmont  (in  einem  Reitermantel,  den  Hut  ins   Gesicht  gedrö¼ckt).
Klö¤rchen!
     Klö¤rchen (tut einen Schrei, fö¤hrt zurö¼ck). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und  ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Sö¼öŸer!
Kommst du? bist du da!
     Egmont. Guten Abend, Mutter.
     Mutter. Gott grö¼öŸ' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daöŸ Ihr so  lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch  geredet
und gesungen.
     Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
     Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hö¤tten.
     Klö¤rchen.  Freilich!  Seid  nur ruhig, Mutter;  ich habe  schon  alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
     Mutter. Schmal genug.
     Klö¤rchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab  ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen groöŸen  Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
     Egmont. Meinst du?
     Klö¤rchen (stampft mit dem FuöŸe und kehrt sich unwillig um).
     Egmont. Wie ist dir?
     Klö¤rchen.  Wie seid Ihr heute so kalt!  Ihr habt  mir noch keinen KuöŸ
angeboten.  Warum  habt  Ihr  die  Arme  in  den  Mantel  gewickelt wie  ein
Wochenkind? Ziemt  keinem Soldaten noch  Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
     Egmont. Zuzeiten,  Liebchen,  zuzeiten.  Wenn der  Soldat auf der Lauer
steht  und  dem  Feinde etwas ablisten mö¶chte, da  nimmt er  sich zusammen,
faöŸt  sich selbst in seine Arme und  kaut  seinen  Anschlag reif.  Und  ein
Liebhaber -
     Mutter. Wollt  Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen?  Ich
muöŸ in die Kö¼che; Klö¤rchen denkt  an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr mö¼öŸt
fö¼rliebnehmen.
     Egmont. Euer guter Wille ist die beste Wö¼rze. (Mutter ab.)
     Klö¤rchen. Und was wö¤re denn meine Liebe?
     Egmont. So viel du willst.
     Klö¤rchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
     Egmont. Zuvö¶rderst also. (Er wirft den  Mantel  ab  und steht in einem
prö¤chtigen Kleide da.)
     Klö¤rchen. O je!
     Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
     Klö¤rchen.  LaöŸt!  Ihr  verderbt  Euch.   (Sie  tritt  zurö¼ck.)   Wie
prö¤chtig! Da darf ich Euch nicht anrö¼hren.
     Egmont. Bist  du  zufrieden?  Ich  versprach  dir, einmal  spanisch  zu
kommen.
     Klö¤rchen.  Ich bat  Euch zeither  nicht  mehr  drum;  ich dachte,  Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
     Egmont. Da siehst du's nun.
     Klö¤rchen. Das hat dir der Kaiser umgehö¤ngt?
     Egmont. Ja,  Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trö¤gt, die
edelsten  Freiheiten.  Ich  erkenne auf  Erden  keinen  Richter ö¼ber  meine
Handlungen als den GroöŸmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
     Klö¤rchen. O du dö¼rftest die  ganze Welt  ö¼ber dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich,  und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weiöŸ nicht, wo man anfangen soll.
     Egmont. Sieh dich nur satt.
     Klö¤rchen. Und  das Goldne Vlies! Ihr erzö¤hltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles GroöŸen und Kostbaren, was man mit Mö¼h und
FleiöŸ verdient und erwirbt. Es ist sehr  kostbar  - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
     Egmont. Was willst du sagen?
     Klö¤rchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
     Egmont. Wieso?
     Klö¤rchen. Ich  habe  sie nicht mit  Mö¼h  und  FleiöŸ erworben,  nicht
verdient.
     Egmont. In  der  Liebe ist es anders. Du verdienst  sie, weil  du  dich
nicht  darum bewirbst - und die Leute  erhalten sie auch  meist  allein, die
nicht darnach jagen.
     Klö¤rchen.  Hast du das  von  dir  abgenommen?  Hast  du  diese  stolze
Anmerkung ö¼ber dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
     Egmont. Hö¤tt' ich nur etwas fö¼r sie getan! kö¶nnt' ich etwas fö¼r sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
     Klö¤rchen. Du warst gewiöŸ heute bei der Regentin?
     Egmont. Ich war bei ihr.
     Klö¤rchen. Bist du gut mit ihr?
     Egmont.  Es  sieht einmal so  aus.  Wir sind  einander  freundlich  und
dienstlich.
     Klö¤rchen. Und im Herzen?
     Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat  seine eignen  Absichten. Das  tut
nichts zur Sache. Sie ist eine  treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sö¤he
tief genug, wenn sie  auch  nicht argwö¶hnisch wö¤re. Ich  mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse  sucht,  und ich
keine habe.
     Klö¤rchen. So gar keine?
     Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den  Fö¤ssern  an   mit  der  Zeit.  Oranien  ist  doch  noch  eine  bessere
Unterhaltung fö¼r sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, daöŸ er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht  sie immer nach
seiner  Stirne, was  er  wohl denken, auf seine Schritte, wohin  er sie wohl
richten mö¶chte.
     Klö¤rchen. Verstellt sie sich?
     Egmont. Regentin, und du fragst?
     Klö¤rchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
     Egmont.  Nicht mehr und nicht  weniger als  jeder, der  seine Absichten
erreichen will.
     Klö¤rchen. Ich kö¶nnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen mö¤nnlichen Geist,  sie  ist ein  ander  Weib als wir Nö¤hterinnen und
Kö¶chinnen. Sie ist groöŸ, herzhaft, entschlossen.
     Egmont. Ja,  wenn's nicht  gar zu bunt geht.  Diesmal ist sie doch  ein
wenig aus der Fassung.
     Klö¤rchen. Wieso?
     Egmont. Sie  hat  auch  ein Bö¤rtchen  auf  der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
     Klö¤rchen.  Eine  majestö¤tische Frau!  Ich scheute mich,  vor  sie  zu
treten.
     Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wö¤re  auch nicht Furcht,
nur jungfrö¤uliche Scham.
     Klö¤rchen (schlö¤gt  die Augen nieder,  nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
     Egmont.  Ich  verstehe  dich!  liebes  Mö¤dchen!  du  darfst  die Augen
aufschlagen. (Er kö¼öŸt ihre Augen.)
     Klö¤rchen. LaöŸ mich schweigen! LaöŸ mich dich halten. LaöŸ mich dir in
die  Augen  sehen;  alles  drin  finden,  Trost und Hoffnung und  Freude und
Kummer.  (Sie  umarmt  ihn und sieht ihn an.)  Sag  mir! Sage!  ich begreife
nicht!  bist  du Egmont?  der  Graf Egmont? der groöŸe  Egmont,  der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hö¤ngen?
     Egmont. Nein, Klö¤rchen, das bin ich nicht.
     Klö¤rchen. Wie?
     Egmont. Siehst du,  Klö¤rchen! - LaöŸ mich sitzen! (Er  setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel,  legt ihr Arme auf  seinen SchoöŸ und sieht
ihn an.) Jener Egmont  ist ein verdrieöŸlicher, steifer, kalter Egmont,  der
an sich  halten,  bald  dieses bald  jenes  Gesicht  machen  muöŸ;  geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute fö¼r froh und frö¶hlich halten;
geliebt von einem Volke, das nicht  weiöŸ, was es  will;  geehrt und in  die
Hö¶he  getragen von einer Menge,  mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht ö¼berlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm  auf alle Weise  beikommen mö¶chten; arbeitend  und  sich bemö¼hend, oft
ohne Zweck  meist ohne Lohn -  O laöŸ mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, Klö¤rchen, der ist ruhig, offen, glö¼cklich,
geliebt und gekannt von dem  besten Herzen,  das auch er ganz  kennt und mit
voller  Liebe  und Zutrauen  an das seine drö¼ckt.  (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
     Klö¤rchen. So laöŸ mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
     Vierter Aufzug
     StraöŸe
     Jetter. Zimmermeister.
     Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
     Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
     Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
     Zimmermeister. Nichts, als daöŸ uns von Neuem zu reden verboten ist.
     Jetter. Wie?
     Zimmermeister.  Tretet hier ans  Haus an. Hö¼tet  Euch!  Der Herzog von
Alba hat gleich  bei  seiner Ankunft einen  Befehl ausgehen lassen,  dadurch
zwei oder drei, die auf der StraöŸe  zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklö¤rt sind.
     Jetter. O weh!
     Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
     Jetter. O unsre Freiheit!
     Zimmermeister. Und  bei  Todesstrafe  soll niemand die  Handlungen  der
Regierung miöŸbilligen.
     Jetter. O unsre Kö¶pfe!
     Zimmermeister.  Und  mit  groöŸem Versprechen  werden  Vö¤ter, Mö¼tter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
     Jetter. Gehn wir nach Hause.
     Zimmermeister.  Und den Folgsamen  ist versprochen, daöŸ  sie weder  an
Leibe, noch Ehre, noch Vermö¶gen einige Krö¤nkung erdulden sollen.
     Jetter. Wie gnö¤dig!  War mir's doch gleich weh, wie  der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wö¤re der Himmel mit einem schwarzen
Flor ö¼berzogen und hinge so tief herunter, daöŸ man sich bö¼cken mö¼sse, um
nicht dran zu stoöŸen.
     Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
     Jetter. Pfui! Es schnö¼rt einem das Herz ein, wenn  man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren  sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel  ihrer  sind. Und wenn sie auf  der Schildwache stehen und  du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und  sieht so  steif  und  mö¼rrisch  aus,  daöŸ du  auf allen  Ecken  einen
Zuchtmeister  zu sehen glaubst.  Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch  ein  lustig  Volk;  sie  nahmen  sich  was  heraus,  standen  mit
ausgegrö¤tschten  Beinen da, hatten  den Hut ö¼berm Ohr, lebten  und lieöŸen
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
     Zimmermeister. Wenn so einer ruft. á»Halt!á« und anschlö¤gt, meinst du,
man hielte?
     Jetter. Ich wö¤re gleich des Todes.
     Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
     Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
     (Soest tritt dazu.)
     Soest. Freunde! Genossen!
     Zimmermeister. Still! LaöŸt uns gehen.
     Soest. WiöŸt ihr?
     Jetter. Nur zu viel!
     Soest. Die Regentin ist weg.
     Jetter. Nun gnad' uns Gott!
     Zimmermeister. Die hielt uns noch.
     Soest. Auf  einmal und in der Stille.  Sie  konnte sich mit dem  Herzog
nicht  vertragen;  sie  lieöŸ  dem Adel melden,  sie  komme wieder.  Niemand
glaubt's.
     Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, daöŸ  er uns diese neue GeiöŸel
ö¼ber den  Hals  gelassen  hat.  Sie  hö¤tten  es  abwenden  kö¶nnen.  Unsre
Privilegien sind hin.
     Jetter. Um Gottes willen  nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
     Soest. Oranien ist auch weg.
     Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
     Soest. Graf Egmont ist noch da.
     Jetter. Gott sei Dank! Stö¤rken ihn alle Heiligen, daöŸ er sein  Bestes
tut; der ist allein was vermö¶gend.
     (Vansen tritt auf.)
     Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
     Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fö¼rbaöŸ.
     Vansen. Ihr seid nicht hö¶flich.
     Zimmermeister.  Es ist gar keine  Zeit zu Komplimenten.  Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
     Vansen.  Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schlö¤ge
was gegeben hö¤tte, wö¤re sein Tage nichts aus mir geworden.
     Jetter. Es kann ernstlicher werden.
     Vansen. Ihr spö¼rt  von dem Gewitter, das aufsteigt, eine  erbö¤rmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
     Zimmermeister. Deine Glieder  werden  sich  bald woanders  eine  Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
     Vansen.  Armselige Mö¤use,  die  gleich verzweifeln,  wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein biöŸchen  anders; aber wir  treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
     Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
     Vansen.  Gevatter  Tropf! LaöŸ  du den Herzog  nur gewö¤hren.  Der alte
Kater sieht aus,  als wenn er  Teufel  statt  Mö¤use  gefressen  hö¤tte  und
kö¶nnte sie nun nicht  verdauen. LaöŸt  ihn  nur  erst; er  muöŸ auch essen,
trinken, schlafen  wie andere Menschen.  Es ist  mir nicht  bange,  wenn wir
unsere  Zeit  recht nehmen. Im  Anfange  geht's rasch; nachher wird  er auch
finden, daöŸ in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben  ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mö¤uschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
     Zimmermeister. Was  so  einem  Menschen  alles  durchgeht!  Wenn ich in
meinem Leben  so etwas  gesagt  hö¤tte,  hielt'  ich mich  keine Minute fö¼r
sicher.
     Vansen.  Seid  nur  ruhig!  Gott im Himmel  erfö¤hrt  nichts  von  euch
Wö¼rmern, geschweige der Regent.
     Jetter. Lö¤stermaul!
     Vansen.  Ich weiöŸ  andere, denen  es  besser wö¤re,  sie hö¤tten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
     Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
     Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
     Jetter. Egmont! Was soll der fö¼rchten?
     Vansen. Ich  bin ein armer Teufel und kö¶nnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch kö¶nnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen  Jahres geben,  wenn er  meinen  Kopf  auf  eine  Viertelstunde
hö¤tte.
     Jetter. Du  denkst  dich was Rechts. Egmonts  Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
     Vansen. Redt  Ihr! Aber  nicht feiner.  Die  Herren betriegen  sich  am
ersten. Er sollte nicht trauen.
     Jetter. Was er schwö¤tzt! So ein Herr!
     Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
     Jetter. Ungewaschen Maul!
     Vansen. Dem  wollt'  ich Eure  Courage  nur  eine Stunde in die Glieder
wö¼nschen, daöŸ sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte  und juckte,
bis er aus der Stadt mö¼öŸte.
     Jetter. Ihr redet recht unverstö¤ndig; er  ist so  sicher wie der Stern
am Himmel.
     Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
     Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
     Vansen. Wer will? Willst  du's  etwa  hindern? Willst du einen  Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
     Jetter. Ah!
     Vansen. Wollt ihr eure Rippen fö¼r ihn wagen?
     Soest. Eh!
     Vansen  (sie nachö¤ffend). Ih! Oh! Uh!  Verwundert  euch  durchs  ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
     Jetter.  Ich  erschrecke  ö¼ber  Eure Unverschö¤mtheit.  So ein  edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befö¼rchten haben?
     Vansen.   Der   Schelm    sitzt   ö¼berall   im    Vorteil.   Auf   dem
Armensö¼nderstö¼hlchen  hat er den  Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten  mit Lust zum Verbrecher. Ich habe  so ein Protokoll
abzuschreiben  gehabt, wo  der  Kommissarius  schwer Lob  und  Geld vom Hofe
erhielt, weil  er  einen ehrlichen Teufel,  an den man wollte, zum  Schelmen
verhö¶rt hatte.
     Zimmermeister.  Das  ist  wieder frisch  gelogen. Was wollen  sie  denn
heraus verhö¶ren, wenn einer unschuldig ist?
     Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhö¶ren ist, da verhö¶rt man
hinein.  Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt  man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine  Unschuld,  wie sie's
heiöŸen,  und  sagt  alles geradezu, was  ein  Verstö¤ndiger verbö¤rge. Dann
macht der Inquisitor  aus den Antworten wieder Fragen und paöŸt ja  auf,  wo
irgendein  Widersprö¼chelchen erscheinen will; da knö¼pft  er seinen  Strick
an, und lö¤öŸt sich der dumme Teufel betreten, daöŸ  er  hier etwas zu viel,
dort etwas  zu wenig gesagt  oder wohl gar aus  Gott  weiöŸ  was  fö¼r einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch  wohl irgend an  einem Ende sich
hat  schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich  versichre
euch, mit mehr Sorgfalt  suchen die  Bettelweiber nicht die  Lumpen  aus dem
Kehricht,  als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrö¼ckten,  verdrö¼ckten, geschlossenen, bekannten,  geleugneten  Anzeigen
und    Umstö¤nden    sich    endlich    einen    strohlumpenen    Vogelscheu
zusammenkö¼nstelt,  um wenigstens seinen  Inquisiten  in  effigie hö¤ngen zu
kö¶nnen. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hö¤ngen
sehen.
     Jetter. Der hat eine gelö¤ufige Zunge.
     Zimmermeister.  Mit Fliegen  mag das angehen. Die Wespen  lachen  Eures
Gespinstes.
     Vansen.  Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange  Herzog hat euch  so
ein rein Ansehn  von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbö¤uchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfö¼öŸigen, schmalleibigen, die vom FraöŸe
nicht feist wird und recht dö¼nne Fö¤den zieht, aber desto zö¤here.
     Jetter. Egmont ist Ritter des  Goldnen  Vlieses; wer darf Hand  an  ihn
legen?  Nur von seinesgleichen kann  er gerichtet  werden, nur vom  gesamten
Orden.  Dein loses Maul, dein  bö¶ses Gewissen  verfö¼hren  dich  zu solchem
Geschwö¤tz.
     Vansen. Will ich  ihm  darum  ö¼bel? Mir kann's recht sein. Es ist  ein
trefflicher  Herr.  Ein  paar  meiner  guten  Freunde, die anderwö¤rts schon
wö¤ren gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schlö¤ge verabschiedet.
Nun  geht! Geht!  Ich rat  es euch  selbst. Dort  seh ich wieder eine  Runde
antreten; die sehen  nicht aus, als  wenn sie so bald Brö¼derschaft mit  uns
trinken wö¼rden. Wir  wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich  hab ein
paar Nichten  und einen Gevatter Schenkwirt;  wenn  sie  von  denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wö¶lfe.
     Der Culenburgische Palast
     Wohnung des Herzogs von Alba
     Silva und Gomez begegnen einander.
     Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
     Gomez. Pö¼nktlich. Alle tö¤gliche Runden sind  beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plö¤tzen einzutreffen, die ich ihnen  bezeichnet habe;
sie gehen indes,  wie gewö¶hnlich, durch die Stadt, um Ordnung  zu erhalten.
Keiner weiöŸ von dem andern;  jeder glaubt, der Befehl gehe  ihn allein  an,
und  in  einem Augenblick kann alsdann  der Kordon gezogen und alle Zugö¤nge
zum Palast kö¶nnen besetzt sein. WeiöŸt du die Ursache dieses Befehls?
     Silva.  Ich bin  gewohnt,  blindlings zu  gehorchen.  Und  wem gehorcht
sich's  leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daöŸ er recht
befohlen hat?
     Gomez.  Gut!  Gut!  Auch  scheint  es  mir  kein  Wunder,  daöŸ  du  so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein muöŸt.  Mir
kommt  es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwö¤tzen und
Rö¤sonieren angewö¶hnt. Ihr  schweigt alle und laöŸt  es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir  einem ehrnen  Turm  ohne Pforte, wozu die  Besatzung
Flö¼gel  hö¤tte.  Neulich  hö¶rt'  ich  ihn   bei  Tafel  von  einem  frohen
freundlichen Menschen sagen: er  sei wie eine  schlechte  Schenke  mit einem
ausgesteckten  Branntweinzeichen,   um  Mö¼öŸiggö¤nger,  Bettler  und  Diebe
hereinzulocken.
     Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergefö¼hrt?
     Gomez. Dagegen ist nichts  zu sagen.  GewiöŸ! Wer Zeuge seiner Klugheit
war,  wie er die Armee aus  Italien hierher brachte, der hat etwas  gesehen.
Wie er  sich durch Freund  und Feind, durch die  Franzosen, Kö¶niglichen und
Ketzer, durch  die Schweizer  und Verbundnen gleichsam  durchschmiegte,  die
strengste  Mannszucht hielt  und  einen Zug, den man so gefö¤hrlich achtete,
leicht  und  ohne AnstoöŸ zu leiten wuöŸte!  -  Wir haben  was gesehen,  was
lernen kö¶nnen.
     Silva.  Auch  hier!  Ist  nicht  alles still  und  ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wö¤re?
     Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
     Silva. In den  Provinzen ist es  viel  ruhiger geworden;  und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
     Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Kö¶nigs gewinnen.
     Silva. Und  uns  bleibt  nichts  angelegener, als uns  die  seinige  zu
erhalten. Wenn der Kö¶nig hieherkommt,  bleibt gewiöŸ der Herzog  und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
     Gomez. Glaubst du, daöŸ der Kö¶nig kommt?
     Silva.  Es  werden   so  viele  Anstalten  gemacht,   daöŸ  es  hö¶chst
wahrscheinlich ist.
     Gomez. Mich ö¼berreden sie nicht.
     Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Kö¶nigs Absicht ja
nicht  sein sollte zu kommen,  so ist sie's doch wenigstens gewiöŸ, daöŸ man
es glauben soll.
     (Ferdinand, Albas natö¼rlicher Sohn.)
     Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
     Silva. Wir warten auf ihn.
     Ferdinand. Die Fö¼rsten werden bald hier sein.
     Gomez. Kommen sie heute?
     Ferdinand. Oranien und Egmont.
     Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
     Silva. So behalt es fö¼r dich.
     (Herzog  von Alba. -  Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zurö¼ck.)
     Alba. Gomez.
     Gomez (tritt vor). Herr!
     Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
     Gomez. Aufs genaueste. Die tö¤glichen Runden -
     Alba.  Genug.  Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie  zusammenziehen, die Zugö¤nge  nach  dem  Palast besetzen
sollst. Das ö¼brige weiöŸt du.
     Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
     Alba. Silva!
     Silva. Hier bin ich.
     Alba.   Alles,  was  ich  von  jeher  an  dir  geschö¤tzt   habe,  Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausfö¼hren, das zeige heut.
     Silva.  Ich  danke Euch, daöŸ Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen,  daöŸ
ich der alte bin.
     Alba.  Sobald die Fö¼rsten bei mir eingetreten sind, dann eile  gleich,
Egmonts  Geheimschreiber  gefangenzunehmen. Du hast  alle Anstalten gemacht,
die ö¼brigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
     Silva.  Vertraue  auf   uns.  Ihr   Schicksal  wird   sie,   wie   eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pö¼nktlich und schrecklich treffen.
     Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
     Silva. Alle; den  Egmont vor andern. Er  ist der einzige, der, seit  du
hier bist, sein Betragen nicht geö¤ndert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere,  ladet Gö¤ste,  ist immer  lustig und  unterhaltend bei  Tafel,
wö¼rfelt,  schieöŸt und  schleicht  nachts  zum  Liebchen.  Die andern haben
dagegen eine merkliche  Pause in ihrer  Lebensart  gemacht; sie  bleiben bei
sich; vor ihrer Tö¼re sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wö¤re.
     Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
     Silva.  Ich stelle sie.  Auf  deinen  Befehl ö¼berhö¤ufen  wir sie  mit
dienstfertigen  Ehren.   Ihnen  graut's;  politisch  geben  sie   uns  einen
ö¤ngstlichen Dank, fö¼hlen, das Rö¤tlichste sei, zu entfliehen, keiner  wagt
einen Schritt, sie zaudern, kö¶nnen sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
Kö¼hnes zu tun,  hö¤lt sie der Gemeingeist ab.  Sie mö¶chten gern sich jedem
Verdacht  entziehen  und machen sich  immer verdö¤chtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgefö¼hrt.
     Alba. Ich freue mich nur ö¼ber das Geschehene; und auch ö¼ber das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch  ö¼brig, was  uns  zu denken und zu sorgen
gibt. Das  Glö¼ck ist  eigensinnig, oft das  Gemeine,  das Nichtswö¼rdige zu
adeln  und  wohlö¼berlegte  Taten mit  einem  gemeinen  Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fö¼rsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die StraöŸen zu
besetzen,   und   eile  selbst,   Egmonts   Schreiber   und   die   ö¼brigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, daöŸ er mir in den Rat die Nachricht bringe.
     Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dö¼rfen.
     (Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
     Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber  meine Hoffnung  schwankt.
Ich  fö¼rchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die  still  und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der  Fö¼rsten und
vieler  Tausende wö¤gen.  Langsam  wankt  das  Zö¼nglein  auf  und  ab; tief
scheinen  die  Richter zu sinnen; zuletzt sinkt  diese  Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
     (Alba mit Ferdinand hervortretend.)
     Alba. Wie fandst du die Stadt?
     Ferdinand.  Es  hat  sich  alles  gegeben.   Ich  ritt,   als  wie  zum
Zeitvertreib,  straöŸauf,  straöŸab.  Eure wohlverteilten  Wachen halten die
Furcht so angespannt, daöŸ sie  sich nicht zu lispeln untersteht.  Die Stadt
sieht  einem  Felde  ö¤hnlich, wenn  das  Gewitter  von weitem leuchtet; man
erblickt  keinen  Vogel, kein Tier, als  das  eilend nach  einem  Schutzorte
schlö¼pft.
     Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
     Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grö¼öŸten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben  muöŸte. á»LaöŸt uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!á«  rief er mir entgegen. Er
werde mich  noch heute  wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
     Alba. Er wird dich wiedersehn.
     Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier  kenne, gefö¤llt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
     Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig  behutsam;  immer  erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie  unbedingt in  die Arme
lieferte. Zu mancher gefö¤hrlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
     Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
     Alba. Ich  vergebe deinem jungen  Blute dies leichtsinnige  Wohlwollen,
diese  unachtsame  Frö¶hlichkeit. Nur  vergiöŸ  nicht, zu welchem  Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben mö¶chte.
     Ferdinand.  Erinnert  mich, und  schont mich nicht,  wo Ihr  es  nö¶tig
haltet.
     Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
     Ferdinand. Mein Vater!
     Alba. Die Fö¼rsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
MiöŸtrauen, daöŸ ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
     Ferdinand. Was sinnst du?
     Alba. Es ist beschlossen, sie  festzuhalten. - Du erstaunst! Was du  zu
tun hast, hö¶re;  die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine  Zeit,  sie  auszulegen.  Mit  dir  allein  wö¼nscht'  ich  das
Grö¶öŸte,  das   Geheimste  zu   besprechen;  ein  starkes  Band  hö¤lt  uns
zusammengefesselt; du bist mir  wert und  lieb; auf dich  mö¶cht' ich  alles
hö¤ufen.  Nicht  die  Gewohnheit  zu   gehorchen  allein   mö¶cht'  ich  dir
einprö¤gen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszufö¼hren, wö¼nscht'
ich  in dir  fortzupflanzen;  dir  ein  groöŸes  Erbteil,  dem  Kö¶nige  den
brauchbarsten Diener zu  hinterlassen; dich mit dem  Besten,  was  ich habe,
auszustatten, daöŸ du dich nicht  schö¤men dö¼rfest, unter  deine Brö¼der zu
treten.
     Ferdinand. Was werd ich dir nicht fö¼r diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
     Alba. Nun hö¶re, was zu tun ist. Sobald die  Fö¼rsten eingetreten sind,
wird  jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen,  Egmonts  Schreiber  mit  den  Verdö¤chtigsten  gefangenzunehmen.  Du
hö¤ltst  die  Wache am Tore und in  den  Hö¶fen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese  Zimmer hier neben mit den sichersten  Leuten;  dann warte auf
der  Galerie, bis  Silva  wiederkommt, und bringe  mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, daöŸ sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte  Egmont hier, als ob  ich
ihm noch was zu  sagen hö¤tte. Am  Ende der Galerie  fordre  Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefö¤hrlichsten  Mann; und ich fasse
Egmont hier.
     Ferdinand. Ich gehorche, mein  Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
     Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste groöŸe Tag, den du erlebst.
     (Silva tritt herein.)
     Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
     Alba. Sagt' es der Bote?
     Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
     Alba. Aus  dir spricht  mein  bö¶ser  Genius.  (Nachdem  er  den  Brief
gelesen, winkt er beiden,  und sie ziehen  sich  in die  Galerie zurö¼ck. Er
bleibt  allein  auf dem  Vorderteile.)  Er kommt nicht! Bis  auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklö¤ren. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug  zu sein! -
Es rö¼ckt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein  groöŸes Werk
ist getan oder  versö¤umt, unwiederbringlich versö¤umt;  denn  es ist  weder
nachzuholen,  noch  zu  verheimlichen.  Lö¤ngst  hatt'  ich  alles  reiflich
abgewogen, und mir auch  diesen Fall  gedacht, mir festgesetzt, was  auch in
diesem Falle zu tun  sei; und jetzt, da  es  zu  tun ist, wehr ich mir kaum,
daöŸ nicht  das Fö¼r und Wider  mir  aufs  neue durch die Seele  schwankt. -
Ist's rö¤tlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und laöŸ  Egmont mit den Seinigen,  mit  so  vielen  entschlö¼pfen, die nun,
vielleicht  nur  heute noch,  in  meinen  Hö¤nden  sind? So  zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie groöŸ, wie schö¶n der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens  bist du zwischen zwei  öœbel  gestellt; wie  in
einen Lostopf greifst  du in die  dunkle Zukunft; was du  fassest,  ist noch
zugerollt,  dir  unbewuöŸt, sei's Treffer oder  Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie  einer, der etwas hö¶rt, und tritt  ans  Fenster.)  Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd  so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und  vor  dem  Geiste  mit  dem  blanken  Schwert,  der an  der Pforte  dich
empfö¤ngt? - Steig ab! - So  bist du mit dem einen FuöŸ im Grab!  und so mit
beiden!  - ja streichl'  es nur  und klopfe fö¼r  seinen  mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In  der Verblendung,
wie hier Egmont naht,  kann  er  dir  nicht zum  zweitenmal sich  liefern! -
Hö¶rt!
     (Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
     Alba. Ihr tut, was  ich  befahl; ich  ö¤ndre  meinen Willen  nicht. Ich
halte,  wie es gehn  will,  Egmont auf,  bis du mir  von Silva die Nachricht
gebracht  hast. Dann bleib  in  der  Nö¤he. Auch dir raubt  das Geschick das
groöŸe Verdienst, des  Kö¶nigs grö¶öŸten Feind mit  eigener Hand gefangen zu
haben.  (Zu  Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.)  Geh ihm  entgegen. (Alba  bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
     (Egmont tritt auf.)
     Egmont.  Ich komme, die  Befehle des Kö¶nigs zu  vernehmen, zu  hö¶ren,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
     Alba. Er wö¼nscht vor allen Dingen Euern Rat zu hö¶ren.
     Egmont. öœber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
     Alba. Mir tut  es  leid,  daöŸ er uns  eben in dieser  wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wö¼nscht der Kö¶nig, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr  werdet krö¤ftig  mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen vö¶llig und dauerhaft zu grö¼nden.
     Egmont.  Ihr  kö¶nnt besser  wissen  als  ich,  daöŸ schon alles  genug
beruhigt  ist, ja, noch  mehr beruhigt war,  eh  die  Erscheinung der  neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die Gemö¼ter bewegte.
     Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Rö¤tlichste sei gewesen, wenn
der Kö¶nig mich gar nicht in den Fall gesetzt hö¤tte, Euch zu fragen.
     Egmont. Verzeiht! Ob der Kö¶nig  das  Heer hö¤tte schicken  sollen,  ob
nicht vielmehr  die  Macht seiner majestö¤tischen Gegenwart allein  stö¤rker
gewirkt hö¤tte, ist meine Sache nicht  zu beurteilen.  Das Heer ist  da,  er
nicht. Wir aber mö¼öŸten sehr undankbar, sehr  vergessen sein, wenn  wir uns
nicht  erinnerten,  was wir der Regentin  schuldig  sind.  Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als  tapferes Betragen die Aufrö¼hrer mit Gewalt
und Ansehn, mit öœberredung und List zur Ruhe und  fö¼hrte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurö¼ck.
     Alba. Ich leugne es  nicht. Der  Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurö¼ckgebannt. Aber hö¤ngt  es nicht von eines
jeden Willkö¼r ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die  Macht, sie abzuhalten? Wer bö¼rgt uns, daöŸ sie sich ferner treu
und untertö¤nig  zeigen  werden? Ihr  guter Wille  ist alles Pfand,  das wir
haben.
     Egmont. Und  ist der gute  Wille  eines Volks nicht  das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein Kö¶nig sicherer halten, als wenn
sie alle  fö¼r einen,  einer fö¼r  alle  stehn?  Sicherer gegen  innere  und
ö¤uöŸere Feinde?
     Alba. Wir werden uns doch  nicht ö¼berreden sollen, daöŸ  es jetzt hier
so steht?
     Egmont.  Der Kö¶nig  schreibe einen Generalpardon  aus, er beruhige die
Gemö¼ter;  und  bald wird  man sehen,  wie Treue und Liebe mit  dem Zutrauen
wieder zurö¼ckkehrt.
     Alba. Und jeder, der die Majestö¤t  des Kö¶nigs, der das  Heiligtum der
Religion  geschö¤ndet,  ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, daöŸ ungeheure Verbrechen straflos sind?
     Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der  Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo GewiöŸheit ist, daöŸ die öœbel  nicht wiederkehren werden?  Waren Kö¶nige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht  von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine  Beleidigung ihrer Wö¼rde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie  nicht eben deswegen  Gott gleich gehalten, der viel  zu  groöŸ ist, als
daöŸ an ihn jede Lö¤sterung reichen sollte?
     Alba.  Und eben darum soll der Kö¶nig  fö¼r die Wö¼rde  Gottes  und der
Religion,  wir sollen fö¼r das  Ansehn des Kö¶nigs streiten. Was  der  obere
abzulehnen verschmö¤ht, ist unsere Pflicht zu rö¤chen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
     Egmont. Glaubst du, daöŸ  du sie alle erreichen  wirst? Hö¶rt man nicht
tö¤glich, daöŸ die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande  treibt? Die
Reichsten werden ihre  Gö¼ter, sich, ihre  Kinder und Freunde flö¼chten; der
Arme wird seine nö¼tzlichen Hö¤nde dem Nachbar zubringen.
     Alba. Sie werden, wenn  man  sie nicht  verhindern kann. Darum verlangt
der Kö¶nig  Rat und Tat  von jedem Fö¼rsten,  Ernst  von  jedem Statthalter;
nicht  nur Erzö¤hlung, wie es ist, was  werden kö¶nnte, wenn man alles gehen
lieöŸe,  wie's  geht.  Einem  groöŸen  öœbel  zusehen,  sich  mit   Hoffnung
schmeicheln,  der  Zeit  vertrauen,  etwa   einmal  dreinschlagen,  wie   im
Fastnachtsspiel, daöŸ  es klatscht und man doch etwas zu  tun  scheint, wenn
man nichts tun mö¶chte,  heiöŸt das nicht, sich verdö¤chtig machen, als sehe
man  dem Aufruhr mit Vergnö¼gen  zu, den  man nicht erregen, wohl aber hegen
mö¶chte!
     Egmont (im Begriff  aufzufahren,  nimmt sich  zusammen und spricht nach
einer  kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist  offenbar, und manches
Mannes  Absicht  ist  zu miöŸdeuten. MuöŸ  man  doch auch  von  allen Seiten
hö¶ren: es sei des Kö¶nigs Absicht weniger, die Provinzen nach  einfö¶rmigen
und  klaren Gesetzen zu regieren, die Majestö¤t der Religion  zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie  unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer  alten Rechte zu berauben, sich Meister  von ihren
Besitztö¼mern  zu machen, die  schö¶nen Rechte des Adels einzuschrö¤nken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen  mag. Die
Religion,  sagt man, sei nur  ein prö¤chtiger Teppich, hinter  dem man jeden
gefö¤hrlichen  Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf  den
Knien, betet  die  heiligen gewirkten  Zeichen an, und  hinten  lauscht  der
Vogelsteller, der sie berö¼cken will.
     Alba. Das muöŸ ich von dir hö¶ren?
     Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von GroöŸen
und  von  Kleinen,  Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet  wird.  Die
Niederlö¤nder fö¼rchten ein doppeltes Joch, und wer bö¼rgt ihnen  fö¼r  ihre
Freiheit?
     Alba. Freiheit? Ein schö¶nes Wort, wer's recht  verstö¤nde. Was  wollen
sie  fö¼r Freiheit?  Was ist  des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun!  - und
daran wird sie  der Kö¶nig nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden kö¶nnen.  Wö¤re es nicht
besser,  abzudanken,  als  ein solches  Volk zu  regieren?  Wenn auswö¤rtige
Feinde  drö¤ngen,  an die  kein Bö¼rger  denkt,  der  mit dem Nö¤chsten  nur
beschö¤ftigt ist, und der Kö¶nig  verlangt  Beistand: dann werden sie uneins
unter sich,  und verschwö¶ren sich gleichsam mit  ihren Feinden. Weit besser
ist's,  sie einzuengen, daöŸ  man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten  kann. Glaube nur, ein  Volk wird nicht  alt,  nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
     Egmont. Wie selten kommt  ein Kö¶nig zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an  den Blicken  seines  Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
     Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst ö¼berlassen ist.
     Egmont. Und  darum niemand gern sich  selbst ö¼berlassen  mö¶chte.  Man
tue, was man will; ich habe auf  deine Frage geantwortet  und wiederhole: Es
geht  nicht!  Es  kann nicht  gehen! Ich  kenne  meine  Landsleute.  Es sind
Mö¤nner, wert,  Gottes Boden  zu  betreten;  ein jeder rund fö¼r  sich,  ein
kleiner Kö¶nig, fest, rö¼hrig, fö¤hig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's,  ihr  Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und  fest! Zu
drö¼cken sind sie; nicht zu unterdrö¼cken.
     Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Kö¶nigs Gegenwart wiederholen?
     Egmont.  Desto  schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser  fö¼r  ihn,  fö¼r  sein Volk,  wenn  er  mir Mut  machte, wenn er mir
Zutrauen einflö¶öŸte, noch weit mehr zu sagen.
     Alba. Was nö¼tzlich ist, kann ich hö¶ren wie er.
     Egmont. Ich  wö¼rde ihm sagen:  Leicht  kann der Hirt eine  ganze Herde
Schafe  vor sich  hintreiben,  der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber  dem  edeln  Pferde,  das  du  reiten willst,  muöŸt du  seine Gedanken
ablernen, du  muöŸt nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen.  Darum
wö¼nscht  der  Bö¼rger  seine  alte  Verfassung  zu  behalten,   von  seinen
Landsleuten regiert zu sein,  weil er weiöŸ, wie er  gefö¼hrt wird, weil  er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
     Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verö¤ndern?  und sollte nicht eben  dies sein  schö¶nstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser  Welt? und  sollte  eine  Staatseinrichtung  bleiben
kö¶nnen? MuöŸ nicht in einer Zeitfolge jedes Verhö¤ltnis sich verö¤ndern und
eben darum eine alte Verfassung die  Ursache von tausend öœbeln werden, weil
sie den gegenwö¤rtigen Zustand des Volkes nicht umfaöŸt? Ich fö¼rchte, diese
alten  Rechte sind darum  so  angenehm, weil  sie  Schlupfwinkel  bilden, in
welchen  der Kluge,  der  Mö¤chtige, zum Schaden des Volks,  zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
     Egmont. Und diese willkö¼rlichen  Verö¤nderungen, diese unbeschrö¤nkten
Eingriffe der hö¶chsten Gewalt, sind  sie  nicht Vorboten,  daöŸ  einer  tun
will,  was Tausende nicht tun sollen? Er  will sich  allein frei machen,  um
jeden  seiner  Wö¼nsche  befriedigen,  jeden seiner Gedanken  ausfö¼hren  zu
kö¶nnen.  Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen Kö¶nige, ganz vertrauten,
sagt er  uns fö¼r seine  Nachkommen gut? daöŸ  keiner  ohne Rö¼cksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von vö¶lliger Willkö¼r, wenn
er uns seine  Diener, seine Nö¤chsten  sendet, die ohne Kenntnis  des Landes
und seiner Bedö¼rfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
     Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natö¼rlicher,
als daöŸ ein Kö¶nig durch sich zu  herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am  liebsten auftrö¤gt, die  ihn am besten verstehen, verstehen wollen,  die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
     Egmont. Und ebenso natö¼rlich ist's, daöŸ der Bö¼rger von  dem  regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefaöŸt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
     Alba.  Und  doch hat der Adel mit diesen seinen  Brö¼dern sehr ungleich
geteilt.
     Egmont.  Das ist vor Jahrhunderten geschehen und  wird jetzt  ohne Neid
geduldet.  Wö¼rden  aber  neue  Menschen ohne  Not gesendet,  die  sich  zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sö¤he man sich einer
strengen, kö¼hnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wö¼rde eine  Gö¤rung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflö¶ste.
     Alba. Du sagst mir, was ich nicht hö¶ren sollte: auch ich bin fremd.
     Egmont. DaöŸ ich dir's sage, zeigt dir, daöŸ ich dich nicht meine.
     Alba. Und auch so wö¼nscht' ich es nicht  von dir zu hö¶ren. Der Kö¶nig
sandte  mich  mit Hoffnung,  daöŸ  ich hier  den  Beistand  des Adels finden
wö¼rde.  Der  Kö¶nig  will  seinen  Willen.  Der  Kö¶nig   hat  nach  tiefer
öœberlegung gesehen, was  dem Volke frommt; es kann nicht bleiben  und gehen
wie bisher. Des Kö¶nigs Absicht  ist, sie  selbst  zu  ihrem  eignen  Besten
einzuschrö¤nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muöŸ, ihnen aufzudringen, die
schö¤dlichen  Bö¼rger  aufzuopfern,  damit  die  ö¼brigen  Ruhe  finden, des
Glö¼cks einer weisen Regierung genieöŸen kö¶nnen. Dies ist sein  EntschluöŸ;
diesen dem Adel kundzumachen habe  ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
     Egmont. Leider  rechtfertigen  deine Worte  die Furcht des Volkes,  die
allgemeine Furcht! So hat er  denn beschlossen, was kein Fö¼rst beschlieöŸen
sollte. Die  Kraft  seines Volks, ihr Gemö¼t,  den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwö¤chen, niederdrö¼cken, zerstö¶ren, um  sie bequem
regieren zu  kö¶nnen. Er will  den  innern  Kern ihrer  Eigenheit verderben;
gewiöŸ  in  der Absicht, sie glö¼cklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit  sie  etwas werden, ein ander  Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird  sie miöŸgeleitet! Nicht  dem Kö¶nige widersetzt  man sich; man  stellt
sich nur dem Kö¶nige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglö¼cklichen Schritte macht.
     Alba.  Wie du gesinnt bist,  scheint es ein vergeblicher  Versuch,  uns
vereinigen  zu wollen. Du denkst  gering vom  Kö¶nige  und verö¤chtlich  von
seinen  Rö¤ten,  wenn  du zweifelst,  das  alles  sei  nicht  schon gedacht,
geprö¼ft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Fö¼r und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich  von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bö¼rgen dieser unbedingten Pflicht.
     Egmont. Fordre unsre Hö¤upter, so ist es auf einmal  getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich  sein. Umsonst hab ich  so viel gesprochen: die Luft  hab
ich erschö¼ttert, weiter nichts gewonnen.
     (Ferdinand kommt.)
     Ferdinand.  Verzeiht, daöŸ ich Euer Gesprö¤ch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen öœberbringer die Antwort dringend macht.
     Alba. Erlaubt mir,  daöŸ ich  sehe,  was  er  enthö¤lt. (Tritt  an  die
Seite.)
     Ferdinand  (zu  Egmont).  Es  ist  ein schö¶nes Pferd,  das  Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
     Egmont. Es ist nicht  das schlimmste. Ich hab es schon  eine Weile; ich
denk es  wegzugeben.  Wenn es Euch  gefö¤llt, so  werden  wir vielleicht des
Handels einig.
     Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
     (Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurö¼ckzieht.)
     Egmont.  Lebt wohl! EntlaöŸt  mich: denn  ich wö¼öŸte, bei  Gott! nicht
mehr zu sagen.
     Alba.  Glö¼cklich  hat  dich der Zufall verhindert,  deinen  Sinn  noch
weiter zu  verraten. Unvorsichtig entwickelst  du die Falten  deines Herzens
und klagst  dich selbst weit  strenger an, als ein Widersacher gehö¤ssig tun
kö¶nnte.
     Egmont.  Dieser Vorwurf rö¼hrt mich nicht; ich kenne  mich selbst genug
und weiöŸ,  wie ich dem Kö¶nig angehö¶re; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst  sich selber dienen.  Ungern scheid ich  aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt  zu sehen, und wö¼nsche nur, daöŸ  uns der Dienst des  Herrn,  das
Wohl des Landes bald vereinigen mö¶ge. Es wirkt  vielleicht ein wiederholtes
Gesprö¤ch, die Gegenwart der ö¼brigen Fö¼rsten, die heute  fehlen,  in einem
glö¼cklichern Augenblick, was  heut  unmö¶glich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
     Alba  (der zugleich  seinem  Sohn Ferdinand  ein Zeichen  gibt).  Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
     (Die Mitteltö¼r ö¶ffnet sich:  man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
     Egmont  (der  staunend  eine Weile geschwiegen).  Dies war die Absicht?
Dazu  hast du  mich  berufen? (Nach  dem Degen  greifend,  als wenn er  sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
     Alba. Der Kö¶nig befiehlt's, du bist mein Gefangener.
     (Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
     Egmont (nach einer Stille). Der Kö¶nig? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit  ö¶fter des Kö¶nigs
Sache verteidigt, als diese Brust beschö¼tzt.
     (Er geht durch  die Mitteltö¼r ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fö¤llt.)
     Fö¼nfter Aufzug
     StraöŸe
     Dö¤mmerung
     Klö¤rchen. Brackenburg. Bö¼rger.
     Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
     Klö¤rchen. Komm mit,  Brackenburg! Du muöŸt  die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiöŸ. Denn was  gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fö¼hlt,
ich schwö¶r es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr  von
einem  kostbaren   Leben  abzuwenden  und   dem   Freiesten   die   Freiheit
wiederzugeben.  Komm! Es fehlt  nur an der Stimme, die sie zusammenruft.  In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch,  was sie ihm schuldig sind! und daöŸ sein
mö¤chtiger  Arm allein  von  ihnen  das  Verderben  abhö¤lt, wissen sie.  Um
seinet- und  ihretwillen mö¼ssen  sie alles wagen.  Und  was wagen wir?  Zum
hö¶chsten  unser Leben,  das zu erhalten nicht  der Mö¼he wert  ist, wenn er
umkommt.
     Brackenburg. Unglö¼ckliche! du  siehst nicht  die  Gewalt, die  uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
     Klö¤rchen. Sie scheint  mir nicht unö¼berwindlich. LaöŸ uns  nicht lang
vergebliche  Worte wechseln.  Hier  kommen von den alten, redlichen, wackern
Mö¤nnern! Hö¶rt, Freunde! Nachbarn, hö¶rt! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
     Zimmermeister. Was will das Kind? LaöŸ sie schweigen,
     Klö¤rchen. Tretet nö¤her, daöŸ wir sachte reden, bis wir einig sind und
stö¤rker.  Wir   dö¼rfen  nicht  einen  Augenblick  versö¤umen!  Die  freche
Tyrannei, die  es wagt,  ihn  zu  fesseln, zuckt  schon  den  Dolch,  ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dö¤mmerung werd ich ö¤ngstlicher.
Ich fö¼rchte diese Nacht! Kommt! wir wollen  uns  teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier  zu Quartier rufen wir die Bö¼rger heraus. Ein jeder greife  zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und  unser Strom
reiöŸt einen  jeden  mit sich  fort.  Die  Feinde  sehen  sich  umringt  und
ö¼berschwemmt,  und sind  erdrö¼ckt.  Was kann  uns  eine  Handvoll  Knechte
widerstehen? Und er in  unsrer Mitte kehrt zurö¼ck,  sieht  sich befreit und
kann uns  einmal danken, uns, die  wir ihm  so tief  verschuldet worden.  Er
sieht vielleicht - gewiöŸ er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
     Zimmermeister. Wie ist dir, Mö¤dchen?
     Klö¤rchen.  Kö¶nnt ihr mich  miöŸverstehn? Vom Grafen  sprech  ich! Ich
spreche von Egmont.
     Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tö¶dlich.
     Klö¤rchen.  Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen  Namen?  Wer  nennt  ihn
nicht bei  jeder  Gelegenheit?  Wo  steht er  nicht  geschrieben?  In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen  Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn,  ihr  trö¤umt; besinnt  euch.  Seht
mich nicht so starr und ö¤ngstlich an!  Blickt nicht schö¼chtern hie und  da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wö¼nscht. Ist meine Stimme nicht
eures  Herzens eigne Stimme? Wer wö¼rfe sich in dieser  bangen Nacht, eh' er
sein  unruhvolles Bette  besteigt, nicht auf  die Knie, ihn mit  ernstlichem
Gebet  vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: á»Egmonts Freiheit oder den Tod!á«
     Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglö¼ck.
     Klö¤rchen. Bleibt! Bleibt, und drö¼ckt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem   ihr  euch  sonst  so  froh  entgegendrö¤ngtet!  -  Wenn  der  Ruf  ihn
ankö¼ndigte, wenn es hieöŸ: á»Egmont kommt! Er kommt von Gent!á« da  hielten
die Bewohner der StraöŸen sich glö¼cklich, durch  die er reiten muöŸte.  Und
wenn  ihr  seine  Pferde schallen hö¶rtet, warf jeder seine Arbeit hin,  und
ö¼ber die  bekö¼mmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure  Kinder auf der Tö¼rschwelle  in die Hö¶he und deutetet ihnen:
á»Sieh,  das ist Egmont, der Grö¶öŸte  da! Er ist's! Er  ist's,  von dem ihr
bessere Zeiten, als eure  armen  Vö¤ter  lebten, einst  zu  erwarten habt.á«
LaöŸt eure Kinder nicht dereinst euch  fragen: á»Wo ist er hin? Wo sind  die
Zeiten hin, die ihr verspracht?á« - Und so wechseln wir Worte! sind mö¼öŸig,
verraten ihn.
     Soest. Schö¤mt Euch,  Brackenburg!  LaöŸt  sie nicht gewö¤hren! Steuert
dem Unheil!
     Brackenburg. Liebes Klö¤rchen! wir wollen  gehen! Was wird  die  Mutter
sagen? Vielleicht -
     Klö¤rchen.  Meinst  du, ich sei  ein  Kind  oder wahnsinnig?  Was  kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen GewiöŸheit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr  sollt mich hö¶ren und ihr werdet:  denn ich seh's,  ihr
seid bestö¼rzt und  kö¶nnt  euch selbst in euerm  Busen nicht  wiederfinden.
LaöŸt durch die  gegenwö¤rtige  Gefahr nur  einen  Blick  in  das Vergangene
dringen, das kurz  Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Kö¶nnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde  geht? Mit seinem  Atem  flieht
der letzte Hauch der  Freiheit.  Was war er euch? Fö¼r wen  ö¼bergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fö¼r euch. Die
groöŸe  Seele,  die  euch alle trug,  beschrö¤nkt  ein  Kerker, und  Schauer
tö¼ckischen  Mordes  schweben  um sie her.  Er denkt vielleicht  an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfö¼llen gewohnt war.
     Zimmermeister. Gevatter, kommt.
     Klö¤rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht  Mark wie ihr; doch  hab ich,
was euch  allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Kö¶nnt' euch mein
Atem doch entzö¼nden!  kö¶nnt' ich an meinen Busen drö¼ckend euch  erwö¤rmen
und  beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos
ein edles Heer  von  Kriegern wehend  anfö¼hrt,  so soll mein Geist um  eure
Hö¤upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fö¼rchterlichen Heer vereinigen.
     Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bö¼rger ab.)
     Brackenburg. Klö¤rchen! siehst du nicht, wo wir sind?
     Klö¤rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft  sich herrlicher zu wö¶lben
schien,  wenn  der  Edle unter ihm herging.  Aus diesen  Fenstern  haben sie
herausgesehn, vier, fö¼nf Kö¶pfe ö¼bereinander;  an diesen Tö¼ren haben  sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die  Memmen herabsah. O ich  hatte sie so
lieb, wie sie ihn  ehrten! Wö¤re er Tyrann gewesen, mö¶chten  sie immer  vor
seinem Falle  seitwö¤rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hö¤nde, die ihr
an die Mö¼tzen grifft,  zum Schwert kö¶nnt ihr nicht  greifen - Brackenburg,
und wir?  - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun  sie fö¼r ihn? - List hat in der  Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte SchloöŸ. Es ist nichts  unmö¶glich, gib mir einen
Anschlag.
     Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
     Klö¤rchen. Gut.
     Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laöŸ doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen.  Hö¤ltst du mich  fö¼r  feig? Glaubst du
nicht, daöŸ ich um  deinetwillen sterben kö¶nnte? Hier sind wir beide  toll,
ich so gut wie  du.  Siehst du nicht das Unmö¶gliche? Wenn du dich faöŸtest!
Du bist auöŸer dir.
     Klö¤rchen.  AuöŸer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid auöŸer euch.
Da  ihr  laut den  Helden verehrtet,  ihn  Freund und  Schutz  und  Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn  er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hö¶her
als euch  allen.  Jetzt schlö¤gt  mir's  wieder hö¶her als  euch allen!  Ihr
verbergt  euch,  da es not ist,  verleugnet  ihn und fö¼hlt nicht, daöŸ  ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
     Brackenburg. Komm nach Hause.
     Klö¤rchen. Nach Hause?
     Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh  dich  um! Dies  sind die StraöŸen,
die du nur  sonntö¤glich  betratst,  durch  die du sittsam  nach  der Kirche
gingst, wo du ö¼bertrieben ehrbar zö¼rntest, wenn ich mit einem freundlichen
grö¼öŸenden  Wort mich  zu dir  gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
     Klö¤rchen.  Nach  Hause! Ja, ich besinne mich. Komm,  Brackenburg, nach
Hause! WeiöŸt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)

     Gefö¤ngnis,
     durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
     Egmont (allein). Alter Freund!  immer getreuer Schlaf, fliehst  du mich
auch wie die ö¼brigen Freunde?  Wie willig senktest  du dich auf mein freies
Haupt  herunter und  kö¼hltest wie ein schö¶ner Myrtenkranz der  Liebe meine
Schlö¤fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge  des  Lebens,  ruht' ich  leicht
atmend,  wie ein aufquellender Knabe,  in  deinen  Armen. Wenn Stö¼rme durch
Zweige und  Blö¤tter sausten, Ast und  Wipfel sich knirrend  bewegten, blieb
innerst  doch der Kern des Herzens ungeregt.  Was schö¼ttelt  dich nun?  was
erschö¼ttert  den festen  treuen  Sinn?  Ich  fö¼hl's,  es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer  durchfö¤hrt  mich.  Ja, sie ö¼berwindet, die verrö¤terische Gewalt;
sie  untergrö¤bt den festen hohen Stamm,  und  eh' die  Rinde dorrt, stö¼rzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
     Warum  denn jetzt, der du so  oft gewalt'ge Sorgen  gleich Seifenblasen
dir  vom  Haupte   weggewiesen,  warum  vermagst  du  nicht  die  Ahnung  zu
verscheuchen, die tausendfach in  dir  sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der  Tod dir fö¼rchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den ö¼brigen  Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen  lebtest? - Auch ist
er's  nicht,  der  rasche  Feind, dem  die  gesunde Brust  wetteifernd  sich
entgegensehnt; der Kerker  ist's, des  Grabes Vorbild,  dem  Helden wie  dem
Feigen  widerlich.  Unleidlich  ward  mir's  schon  auf meinem  gepolsterten
Stuhle,  wenn  in  stattlicher  Versammlung  die  Fö¼rsten,  was  leicht  zu
entscheiden  war, mit wiederkehrenden Gesprö¤chen ö¼berlegten, und  zwischen
dö¼stern Wö¤nden eines Saals die Balken der Decke mich erdrö¼ckten. Da eilt'
ich fort, sobald es mö¶glich  war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehö¶ren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede nö¤chste  Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle  Segen der
Gestirne  uns  umwittern;  wo  wir,  dem erdgebornen Riesen gleich,  von der
Berö¼hrung unsrer Mutter  krö¤ftiger  uns in die Hö¶he reiöŸen;  wo  wir die
Menschheit ganz  und  menschliche Begier  in allen  Adern  fö¼hlen;  wo  das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu  besitzen, zu erobern, durch  die Seele des jungen Jö¤gers glö¼ht; wo der
Soldat sein angebornes Recht  auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaöŸt
und  in  fö¼rchterlicher Freiheit wie  ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
     Du bist  nur  Bild,  Erinnerungstraum  des Glö¼cks,  das  ich  so  lang
besessen; wo  hat dich das  Geschick  verrö¤terisch hingefö¼hrt? Versagt  es
dir, den nie gescheuten Tod im  Angesicht der Sonne rasch zu gö¶nnen, um dir
des  Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten?  Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das  Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der FuöŸ. -
     O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den  Mord beginnst, laöŸ ab! - Seit
wann  ist Egmont denn allein, so ganz allein in  dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hö¼lflos, nicht das Glö¼ck. Ist die Gerechtigkeit des  Kö¶nigs,  der
du  lebenslang  vertrautest, ist der  Regentin Freundschaft,  die  fast  (du
darfst es  dir  gestehn), fast Liebe  war, sind  sie  auf  einmal,  wie  ein
glö¤nzend  Feuerbild  der  Nacht, verschwunden? und lassen  dich allein  auf
dunkelm Pfad zurö¼ck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln  und  mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
     O  haltet,  Mauern,  die  ihr  mich  einschlieöŸt,  so  vieler  Geister
wohlgemeintes Drö¤ngen nicht  von mir ab;  und welcher Mut  aus meinen Augen
sonst sich  ö¼ber sie  ergoöŸ,  der kehre  nun aus  ihren  Herzen in  meines
wieder. O ja,  sie rö¼hren sich zu Tausenden!  sie  kommen!  stehen  mir zur
Seite! Ihr  frommer  Wunsch eilt dringend zu dem  Himmel, er  bittet  um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder,  so seh ich sie
nach  Lanz und  Schwertern  greifen.  Die  Tore  spalten  sich,  die  Gitter
springen, die Mauer  stö¼rzt von ihren Hö¤nden  ein, und  der  Freiheit  des
einbrechenden  Tages  steigt Egmont  frö¶hlich  entgegen.  Wie manch bekannt
Gesicht  empfö¤ngt mich jauchzend! Ach  Klö¤rchen, wö¤rst du Mann; so  sö¤h'
ich dich gewiöŸ auch hier zuerst und dankte dir, was einem Kö¶nige zu danken
hart ist, Freiheit.

     Klö¤rchens Haus
     Klö¤rchen (kommt  mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas  auf den Tisch und tritt ans Fenster).  Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hö¶rt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster  setzen, daöŸ er sieht, ich  wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat  mir  Nachricht versprochen.  Nachricht?  Entsetzliche GewiöŸheit!  -
Egmont verurteilt!  - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der Kö¶nig  verdammt ihn?  oder der  Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien  zaudert, und alle seine Freunde!  - - Ist  dies die Welt, von deren
Wankelmut,  Unzuverlö¤ssigkeit  ich viel gehö¶rt und  nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt?  - Wer wö¤re bö¶s  genug, den Teuern  anzufeinden?  Wö¤re
Bosheit  mö¤chtig genug,  den allgemein  Erkannten schnell zu stö¼rzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor  Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich faöŸt, die Hand aus. Du hö¼lflos und ich frei! - Hier
ist der Schlö¼ssel zu meiner  Tö¼r. An meiner Willkö¼r hö¤ngt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts!  - - O bindet mich, damit  ich nicht
verzweifle; und  werft  mich in den  tiefsten Kerker, daöŸ ich  das Haupt an
feuchte Mauern schlage,  nach  Freiheit winsle, trö¤ume, wie ich  ihm helfen
wollte, wenn  Fesseln mich  nicht lö¤hmten, wie ich ihm helfen wö¼rde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewuöŸt, nicht fö¤hig, ein Glied nach seiner Hö¼lfe zu rö¼hren.  Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen,  dein Klö¤rchen, ist  wie du gefangen
und regt  getrennt  im  Todeskrampfe  nur die letzten Krö¤fte.  -  Ich hö¶re
schleichen, husten -  Brackenburg -  er  ist's!  - Elender guter Mann,  dein
Schicksal  bleibt  sich  immer  gleich;  dein   Liebchen  ö¶ffnet   dir  die
nö¤chtliche Tö¼r, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
     (Brackenburg tritt auf.)
     Klö¤rchen. Du kommst so bleich und schö¼chtern, Brackenburg! was ist's?
     Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren  such ich  dich auf. Die groöŸen
StraöŸen sind besetzt; durch Gö¤öŸchen und durch Winkel hab  ich mich zu dir
gestohlen.
     Klö¤rchen. Erzö¤hl, wie ist's?
     Brackenburg (indem er sich setzt). Ach  Klö¤re,  laöŸ  mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide  herö¼ber. Ich hab  ihn  nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich.  In Schmerzen floöŸ  mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
     Klö¤rchen. VergiöŸ das,  Brackenburg! VergiöŸ dich  selbst.  Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
     Brackenburg. Er ist's! ich weiöŸ es ganz genau.
     Klö¤rchen. Und lebt noch?
     Brackenburg. Ja, er lebt noch.
     Klö¤rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht   den  Herrlichen!  vor  allen  Augen  verborgen  flieöŸt  sein  Blut.
ö„ngstlich im  Schlafe  liegt das  betö¤ubte Volk und  trö¤umt  von Rettung,
trö¤umt  ihres ohnmö¤chtigen  Wunsches Erfö¼llung; indes unwillig ö¼ber  uns
sein  Geist die Welt verlö¤öŸt. Er ist  dahin! -  Tö¤usche mich nicht!  dich
nicht!
     Brackenburg.  Nein  gewiöŸ, er  lebt!  -  Und  leider,  es bereitet der
Spanier  dem Volke, das er  zertreten  will, ein fö¼rchterliches Schauspiel,
gewaltsam  jedes  Herz,  das  nach  der  Freiheit sich  regt,  auf  ewig  zu
zerknirschen.
     Klö¤rchen. Fahre  fort und sprich gelassen auch  mein Todesurteil  aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon nö¤her  und nö¤her, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon herö¼ber. Sag an.
     Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald  dorten  fielen,  daöŸ auf  dem  Markte  geheimnisvoll  ein  Schrecknis
zubereitet werde.  Ich schlich durch Seitenwege, durch  bekannte Gö¤nge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte.  -  Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schö¤rfte  mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein  schwarzes
Gerö¼st  entgegen, gerö¤umig  hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschö¤ftig
waren  viele rings umher bemö¼ht, was  noch von Holzwerk  weiöŸ und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch  einhö¼llend zu verkleiden. Die Treppen  deckten sie
zuletzt  auch  schwarz,  ich  sah es wohl.  Sie  schienen  die  Weihe  eines
grö¤öŸlichen Opfers  vorbereitend zu begehn. Ein weiöŸes Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt.  Ich
sah,  und  sah  die  schreckliche GewiöŸheit  immer  gewisser. Noch  wankten
Fackeln  hie und da herum; allmö¤hlich wichen sie  und erloschen. Auf einmal
war die scheuöŸliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter SchoöŸ zurö¼ckgekehrt.
     Klö¤rchen. Still, Brackenburg! Nun  still! LaöŸ diese Hö¼lle auf meiner
Seele  ruhn.  Verschwunden sind  die Gespenster,  und du,  holde Nacht, leih
deinen  Mantel der  Erde,  die in sich  gö¤rt; sie trö¤gt  nicht lö¤nger die
abscheuliche Last, reiöŸt ihre tiefen  Spalten grausend auf und knirscht das
Mordgerö¼st hinunter.  Und  irgendeinen Engel sendet der Gott, den  sie  zum
Zeugen ihrer Wut geschö¤ndet; vor  des Boten heiliger Berö¼hrung lö¶sen sich
Riegel und  Bande, und er umgieöŸt den Freund mit mildem Schimmer; er fö¼hrt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft  und  still. Und  auch mein  Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
     Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
     Klö¤rchen.  Leise,  Lieber, daöŸ niemand erwache! daöŸ  wir  uns selbst
nicht wecken!  Kennst  du dies  Flö¤schchen,  Brackenburg?  Ich  nahm  dir's
scherzend, als du mit ö¼bereiltem Tod  oft  ungeduldig drohtest. - Und  nun,
mein Freund -
     Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
     Klö¤rchen.  Du hinderst nichts. Tod ist  mein Teil! und  gö¶nne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest.  Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte erö¶ffne, aus der kein Rö¼ckweg ist,
kö¶nnt' ich mit diesem Hö¤ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wö¤hlt' ich, seine
Stelle  zu  ersetzen.  Es widersprach dein  Herz und quö¤lte sich und  mich,
verlangtest heiöŸ und immer heiöŸer, was dir  nicht  beschieden war.  Vergib
mir und leb wohl! LaöŸ  mich  dich  Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen  in  sich faöŸt. Nimm die  letzte  schö¶ne  Blume der  Scheidenden mit
treuem  Herzen ab - nimm diesen KuöŸ - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
     Brackenburg. So laöŸ mich mit dir sterben! Teile!  Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulö¶schen.
     Klö¤rchen.  Bleib!  du  sollst leben, du kannst  leben. -  Steh  meiner
Mutter bei, die ohne dich  in Armut sich verzehren wö¼rde.  Sei ihr, was ich
ihr  nicht  mehr  sein kann;  lebt  zusammen  und beweint  mich. Beweint das
Vaterland  und  den,  der es  allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der  Rache selbst vermag ihn nicht  zu
tilgen.  Lebt, ihr Armen, die Zeit  noch hin, die keine Zeit mehr  ist. Heut
steht die Welt  auf einmal  still; es  stockt ihr  Kreislauf, und  mein Puls
schlö¤gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
     Brackenburg. O  lebe du  mit  uns, wie wir fö¼r dich allein! Du tö¶test
uns in dir, o leb  und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn,  und  immer  achtsam  soll die Liebe den schö¶nsten  Trost  in  ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
     Klö¤rchen.  Leise, Brackenburg!  Du fö¼hlst nicht,  was  du rö¼hrst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
     Brackenburg. Teile  mit  den Lebendigen die  Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurö¼ck.
     Klö¤rchen. Ich hab ö¼berwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
     Brackenburg.  Du bist betö¤ubt; gehö¼llt in Nacht suchst du  die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
     Klö¤rchen. Weh! ö¼ber dich Weh! Weh! Grausam zerreiöŸest du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja,  er wird grauen, der Tag! vergebens alle  Nebel um sich
ziehn  und  wider Willen  grauen! Furchtsam schaut  der Bö¼rger  aus  seinem
Fenster, die Nacht  lö¤öŸt einen schwarzen Flecken  zurö¼ck;  er schaut, und
fö¼rchterlich  wö¤chst im  Lichte  das  Mordgerö¼st. Neu  leidend wendet das
entweihte Gottesbild  sein flehend  Auge zum Vater  auf. Die Sonne wagt sich
nicht  hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
Trö¤ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine  Stunde nach der andern schlö¤gt.
Halt! Halt! Nun ist  es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das  Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sö¤he sie sich um, und trinkt heimlich.)
     Brackenburg. Klö¤re! Klö¤re!
     Klö¤rchen (geht nach  dem Tisch und trinkt das  Wasser).  Hier ist  der
Rest! Ich locke dich nicht nach.  Tu, was du darfst, leb wohl. Lö¶sche diese
Lampe still und ohne  Zaudern, ich geh zur  Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die  Tö¼r nach  dir  zu. Still! Wecke  meine Mutter  nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mö¶rder scheinen willst. (Ab.)
     Brackenburg. Sie lö¤öŸt mich  zum letztenmale wie immer. O kö¶nnte eine
Menschenseele fö¼hlen, wie sie ein liebend Herz  zerreiöŸen kann. Sie lö¤öŸt
mich  stehn, mir  selber  ö¼berlassen;  und  Tod und  Leben  ist mir  gleich
verhaöŸt.  -  Allein  zu  sterben!  - Weint,  ihr  Liebenden!  Kein  hö¤rter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie  zieht  mich nach und stö¶öŸt  ins  Leben mich
zurö¼ck. O  Egmont,  welch preiswö¼rdig Los fö¤llt dir! Sie geht  voran; der
Kranz  des Siegs aus ihrer Hand  ist dein, sie bringt den ganzen  Himmel dir
entgegen!   -   Und   soll   ich   folgen?  wieder  seitwö¤rts  stehn?   den
unauslö¶schlichen  Neid  in jene  Wohnungen hinö¼bertragen?  - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr  fö¼r mich, und Hö¶ll  und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wö¤re der Vernichtung Schreckenshand dem Unglö¼ckseligen will kommen!
     (Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverö¤ndert. Eine
Musik,  Klö¤rchens Tod bezeichnend, beginnt;  die Lampe,  welche Brackenburg
auszulö¶schen  vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
     Gefö¤ngnis
     Egmont  liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlö¼sseln, und  die Tö¼r  tut sich  auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen  folgt Ferdinand, Albas  Sohn, und  Silva,  begleitet von Gewaffneten.
Egmont fö¤hrt aus dem Schlaf auf.)
     Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schö¼ttelt. Was  kö¼nden  eure  trotzigen,  unsichern  Blicke mir  an? Warum
diesen fö¼rchterlichen Aufzug?  Welchen Schreckenstraum kommt ihr  der  halb
erwachten Seele vorzulö¼gen?
     Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukö¼ndigen.
     Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
     Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
     Egmont. So  ziemt es euch und  euerm  schö¤ndlichen  Beginnen! In Nacht
gebrö¼tet   und  in  Nacht  vollfö¼hrt.  So   mag   diese  freche   Tat  der
Ungerechtigkeit  sich verbergen!  - Tritt kö¼hn  hervor, der du  das Schwert
verhö¼llt unter dem  Mantel trö¤gst; hier ist mein Haupt,  das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
     Silva.  Du irrst! Was gerechte Richter beschlieöŸen,  werden  sie  vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
     Egmont. So ö¼bersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
     Silva  (nimmt  einem Dabeistehenden  das  Urteil  ab,  entfaltet's  und
liest's).  á»Im Namen des Kö¶nigs, und kraft besonderer von Seiner Majestö¤t
uns  ö¼bertragenen  Gewalt, alle seine  Untertanen, wes  Standes  sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirá« -
     Egmont. Kann die der Kö¶nig ö¼bertragen?
     Silva.   á»Erkennen  wir,   nach  vorgö¤ngiger  genauer,   gesetzlicher
Untersuchung,  dich   Heinrich  Grafen   Egmont,  Prinzen  von   Gaure,  des
Hochverrats  schuldig und sprechen das  Urteil:  daöŸ du  mit der Frö¼he des
einbrechenden  Morgens aus dem Kerker  auf den Markt gefö¼hrt und dort, vorm
Angesicht des Volks,  zur Warnung aller Verrö¤ter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest.  Gegeben Brö¼ssel imá« (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, daöŸ sie der Zuhö¶rer nicht versteht.)
     á»Ferdinand, Herzog von Alba,
     Vorsitzer des Gerichts der Zwö¶lfe.á«
     Du weiöŸt nun  dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
     (Silva mit dem Gefolge geht ab. Es  bleibt Ferdinand und  zwei Fackeln;
das Theater ist mö¤öŸig erleuchtet.)
     Egmont (hat  eine Weile in  sich versenkt  stille gestanden und  Silva,
ohne sich umzusehn,  abgehen lassen.  Er glaubt sich  allein, und da  er die
Augen aufhebt,  erblickt er Albas Sohn).  Du stehst  und bleibst? Willst  du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart  vermehren? Willst
du  noch  etwa  die  willkommne Botschaft  deinem Vater  bringen,  daöŸ  ich
unmö¤nnlich verzweifle? Geh! Sag  ihm! Sag ihm,  daöŸ er weder mich noch die
Welt belö¼gt. Ihm, dem Ruhmsö¼chtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise  lispeln, dann  laut  und lauter  sagen, und wenn er einst  von diesem
Gipfel herabsteigt, werden  tausend Stimmen es ihm  entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die Wö¼rde des  Kö¶nigs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daöŸ
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man  seiner bedö¼rfe. Und  ich  falle,  ein  Opfer seines  niedrigen Hasses,
seines kleinlichen  Neides.  Ja, ich weiöŸ  es,  und ich darf es  sagen; der
Sterbende, der tö¶dlich Verwundete  kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
     Schon damals, als wir noch jö¼nger mit Wö¼rfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer  nach dem  andern, von seiner  Seite zu mir herö¼bereilten, da
stand  er  grimmig,  log  Gelassenheit,  und  innerlich  verzehrte  ihn  die
ö„rgernis, mehr  ö¼ber  mein Glö¼ck als ö¼ber seinen  Verlust. Noch erinnere
ich  mich  des  funkelnden  Blicks, der verrö¤terischen Blö¤sse, als  wir an
einem ö¶ffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er  forderte  mich  auf,  und  beide  Nationen  standen;  die  Spanier,  die
Niederlö¤nder wetteten und wö¼nschten. Ich ö¼berwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter  Freudenschrei  der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun  trifft  mich  sein  GeschoöŸ. Sag  ihm, daöŸ ich's  weiöŸ, daöŸ ich ihn
kenne,  daöŸ die  Welt jede Siegszeichen  verachtet,  die ein kleiner  Geist
erschleichend  sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mö¶glich  ist,  von
der Sitte des Vaters  zu  weichen,  ö¼be beizeiten die Scham, indem  du dich
fö¼r den schö¤mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mö¶chtest.
     Ferdinand.  Ich  hö¶re  dich  an,  ohne  dich  zu  unterbrechen!  Deine
Vorwö¼rfe   lasten  wie  Keulschlö¤ge  auf  einem  Helm;   ich  fö¼hle   die
Erschö¼tterung, aber ich bin  bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht;  fö¼hlbar  ist mir allein der Schmerz, der mir  den  Busen zerreiöŸt.
Wehe mir! Wehe!  Zu  einem solchen Anblick bin ich  aufgewachsen,  zu  einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
     Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rö¼hrt,  was bekö¼mmert dich? Ist
es eine spö¤te  Reue,  daöŸ du der schö¤ndlichen Verschwö¶rung deinen Dienst
geliehen?  Du bist  so jung und  hast ein glö¼ckliches Ansehn. Du  warst  so
zutraulich, so  freundlich gegen  mich.  Solang  ich dich  sah, war ich  mit
deinem Vater versö¶hnt. Und ebenso verstellt, verstellter als  er, lockst du
mich in  das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer  ihm traut,  mag er  es auf
seine Gefahr tun;  aber  wer fö¼rchtete Gefahr, dir zu vertrauen?  Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daöŸ ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
     Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fö¼hle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, daöŸ ich  erst spö¤t,  erst  ganz  zuletzt des  Vaters Absichten
erfuhr,  daöŸ ich  als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's,  welche Meinung du  von mir  haben magst? Du  bist
verloren;  und ich Unglö¼cklicher  stehe nur da,  um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
     Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir  auf  dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten,  meines  fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mö¶rdern? Sage, rede!
Fö¼r wen soll ich dich halten?
     Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne  dich  in diesem Befehle. Du
kanntest  mein  Herz,  meine Gesinnung,  die du  so  oft  als Erbteil  einer
zö¤rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich  zu  bilden,  sandtest du mich
hierher.  Diesen Mann  am Rande  des gö¤hnenden Grabes, in der  Gewalt eines
willkö¼rlichen  Todes  zu  sehen, zwingst  du mich,  daöŸ  ich  den tiefsten
Schmerz  empfinde,  daöŸ   ich  taub   gegen   alles   Schicksal,  daöŸ  ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
     Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
     Ferdinand. O daöŸ ich ein  Weib wö¤re! daöŸ man mir sagen  kö¶nnte: was
rö¼hrt dich? was  ficht dich an? Sage  mir ein grö¶öŸeres, ein  ungeheureres
öœbel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir  danken,
ich will sagen: es war nichts.
     Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
     Ferdinand. LaöŸ diese Leidenschaft rasen, laöŸ mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen,  wenn  alles in  mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich!  Du verstehst mich  nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
     Egmont. Lö¶se mir das Geheimnis.
     Ferdinand. Kein Geheimnis.
     Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
     Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir  nicht fremd. Dein Name war's,  der
mir   in   meiner   ersten   Jugend   gleich   einem   Stern   des   Himmels
entgegenleuchtete. Wie  oft  hab ich nach dir gehorcht,  gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der Jö¼ngling, des Jö¼nglings der Mann. So bist du vor mir  her
geschritten; immer vor,  und  ohne  Neid  sah ich dich vor, und  schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und  mein Herz flog dir  entgegen. Dich hatt'  ich mir bestimmt, und wö¤hlte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun  hofft' ich erst,  mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich -  Das ist nun alles  weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
     Egmont.  Mein  Freund,  wenn   es   dir  wohltun  kann,  so  nimm   die
Versicherung,  daöŸ im ersten  Augenblick mein  Gemö¼t dir  entgegenkam. Und
hö¶re mich. LaöŸ uns ein  ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tö¶ten?
     Ferdinand. Er ist's.
     Egmont.  Dieses  Urteil  wö¤re  nicht  ein leeres Schreckbild  mich  zu
ö¤ngstigen,  durch Furcht  und Drohung zu strafen:  mich zu  erniedrigen und
dann mit kö¶niglicher Gnade mich wieder aufzuheben?
     Ferdinand. Nein, ach  leider nein! Anfangs schmeichelte ich  mir selbst
mit  dieser  ausweichenden  Hoffnung;  und  schon da  empfand ich  Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es  wirklich, ist gewiöŸ.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer  gibt mir eine Hö¼lfe, wer einen  Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
     Egmont. So hö¶re  mich. Wenn deine Seele  so  gewaltsam dringt, mich zu
retten,  wenn du die öœbermacht verabscheust,  die mich  gefesselt hö¤lt, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst  gewaltig  - LaöŸ uns entfliehen!  Ich  kenne  die  Wege; die  Mittel
kö¶nnen  dir nicht  unbekannt sein. Nur  diese  Mauern,  nur  wenige  Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. Lö¶se  diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. GewiöŸ, der  Kö¶nig dankt dir  dereinst meine Rettung.  Jetzt
ist er ö¼berrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und  die Majestö¤t  muöŸ das Geschehene billigen,  wenn sie  sich auch davor
entsetzet. Du denkst?  O denke  mir den Weg der  Freiheit  aus! Sprich,  und
nö¤hre die Hoffnung der lebendigen Seele.
     Ferdinand. Schweig!  o  schweige! Du vermehrst mit  jedem  Worte  meine
Verzweiflung. Hier  ist  kein Ausweg,  kein Rat, keine Flucht. - Das  quö¤lt
mich, das greift und faöŸt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz  zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiöŸ,  wie
jeder Kö¼hnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fö¼hle mich  mit dir
und mit allen andern  gefesselt.  Wö¼rde ich klagen, hö¤tte ich  nicht alles
versucht? Zu  seinen  Fö¼öŸen  habe ich  gelegen, geredet  und  gebeten.  Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstö¶ren.
     Egmont. Und keine Rettung?
     Ferdinand. Keine!
     Egmont  (mit  dem FuöŸe stampfend).  Keine Rettung! - - Sö¼öŸes  Leben!
schö¶ne freundliche Gewohnheit  des  Daseins  und Wirkens! von dir  soll ich
scheiden! So gelassen  scheiden!  Nicht im  Tumulte der Schlacht,  unter dem
Gerö¤usch der  Waffen,  in der Zerstreuung  des Getö¼mmels  gibst du mir ein
flö¼chtiges Lebewohl; du nimmst  keinen eiligen Abschied, verkö¼rzest  nicht
den  Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine Schö¶ne,  deinen Wert recht lebhaft  fö¼hlen und  dann
mich entschlossen losreiöŸen und sagen: Fahre hin!
     Ferdinand Und ich soll daneben  stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern kö¶nnen!  O  welche Stimme reichte zur Klage!  Welches  Herz flö¶sse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
     Egmont. Fasse dich!
     Ferdinand. Du  kannst  dich  fassen,  du kannst entsagen,  den schweren
Schritt an der  Hand der Notwendigkeit heldenmö¤öŸig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du ö¼berwindest dich selbst und uns; du ö¼berstehst; ich ö¼berlebe
dich  und mich selbst. Bei der  Freude des  Mahls  hab  ich  mein  Licht, im
Getö¼mmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, trö¼b scheint
mir die Zukunft.
     Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der fö¼r  mich die Todesschmerzen empfindet, fö¼r mich
leidet,  sieh mich in  diesen Augenblicken an;  du verlierst mich nicht. War
dir mein  Leben ein Spiegel,  in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen  sind nicht nur zusammen, wenn  sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut;  an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein  Gewissen mir  sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich frö¼her, frö¼her, schon auf dem Sande von
Gravelingen hö¤tte  endigen kö¶nnen.  Ich hö¶re auf zu leben; aber ich  habe
gelebt. So leb auch du,  mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den  Tod
nicht.
     Ferdinand. Du hö¤ttest dich fö¼r uns erhalten kö¶nnen, erhalten sollen.
Du hast dich selber getö¶tet. Oft hö¶rt' ich, wenn  kluge Mö¤nner ö¼ber dich
sprachen, feindselige, wohlwollende,  sie  stritten lang ö¼ber deinen  Wert;
doch  endlich  vereinigten sie  sich,  keiner  wagt'  es  zu  leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefö¤hrlichen Weg. Wie oft wö¼nscht' ich, dich
warnen zu kö¶nnen! Hattest du denn keine Freunde?
     Egmont. Ich war gewarnt.
     Ferdinand. Und wie ich punktweise alle  diese Beschuldigungen wieder in
der  Anklage fand, und  deine Antworten! Gut genug, dich  zu  entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
     Egmont. Dies sei beiseite gelegt.  Es  glaubt der Mensch sein Leben  zu
leiten, sich selbst zu fö¼hren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem  Schicksale  gezogen. LaöŸ uns darö¼ber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge  fö¼r dieses  Land! doch auch
dafö¼r  wird gesorgt sein. Kann mein Blut fö¼r  viele flieöŸen, meinem Volke
Friede bringen, so flieöŸt es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt  dem Menschen, nicht mehr  zu grö¼beln, wo er  nicht mehr wirken soll.
Kannst  du die  verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das kö¶nnen? - Leb wohl!
     Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
     Egmont. LaöŸ meine Leute dir aufs  beste empfohlen sein!  Ich habe gute
Menschen zu Dienern; daöŸ  sie  nicht zerstreut,  nicht unglö¼cklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
     Ferdinand.  Er ist  dir vorangegangen. Sie  haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
     Egmont.  Arme  Seele!  -  Noch eins,  und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist  gewaltsam beschö¤ftigt, fordert die Natur  zuletzt
doch  unwiderstehlich  ihre Rechte;  und  wie  ein  Kind,  umwunden von  der
Schlange, des erquickenden Schlafs genieöŸt,  so  legt der  Mö¼de sich  noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder  und  ruht tief aus,  als ob er einen
weiten Weg zu wandern hö¤tte. - Noch eins - Ich kenne ein Mö¤dchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie  mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann;  ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
     Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
     Egmont. Derselbe.
     Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
     Egmont. Er weiöŸ  ihre Wohnung; laöŸ dich von ihm fö¼hren  und lohn ihm
bis an sein Ende, daöŸ er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
     Ferdinand. Ich gehe nicht.
     Egmont (ihn nach der Tö¼r drö¤ngend). Leb wohl!
     Ferdinand. O laöŸ mich noch!
     Egmont. Freund, keinen Abschied.
     (Er begleitet Ferdinanden bis an die  Tö¼r und reiöŸt sich dort von ihm
los. Ferdinand, betö¤ubt, entfernt sich eilend.)
     Egmont  (allein). Feindseliger  Mann!  Du  glaubtest  nicht, mir  diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los  und
der  Schmerzen,  der  Furcht  und  jedes  ö¤ngstlichen  Gefö¼hls.  Sanft und
dringend fordert  die  Natur  ihren  letzten  Zoll. Es  ist  vorbei,  es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiöŸ auf meinem Lager wachend
hielt, das schlö¤fert nun mit unbezwinglicher GewiöŸheit meine Sinnen ein.
     (Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
     Sö¼öŸer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glö¼ck ungebeten, unerfleht am
willigsten.  Du lö¶sest die Knoten der  strengen Gedanken, vermischest  alle
Bilder der Freude und des  Schmerzes;  ungehindert flieöŸt der Kreis innerer
Harmonien, und eingehö¼llt in gefö¤lligen Wahnsinn, versinken wir und hö¶ren
auf zu sein.
     (Er entschlö¤ft;  die Musik  begleitet  seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu erö¶ffnen, eine glö¤nzende Erscheinung zeigt
sich.  Die Freiheit in himmlischem  Gewande, von  einer Klarheit  umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat  die Zö¼ge von Klö¤rchen und neigt sich  gegen
den  schlafenden Helden. Sie drö¼ckt  eine  bedauernde  Empfindung aus,  sie
scheint ihn zu beklagen. Bald faöŸt sie sich, und mit aufmunternder Gebö¤rde
zeigt sie ihm das Bö¼ndel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heiöŸt ihn
froh sein, und indem  sie ihm  andeutet, daöŸ  sein  Tod den  Provinzen  die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und  reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie  sie sich  mit  dem Kranze dem Haupte  nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie  einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daöŸ er mit
dem Gesicht  aufwö¤rts gegen sie  liegt. Sie  hö¤lt den  Kranz ö¼ber  seinem
Haupte  schwebend:  man hö¶rt ganz von  weitem eine  kriegerische Musik  von
Trommeln und  Pfeifen: bei dem  leisesten  Laut derselben  verschwindet  die
Erscheinung. Der Schall wird  stö¤rker. Egmont erwacht; das Gefö¤ngnis  wird
vom Morgen mö¤öŸig erhellt.  Seine erste  Bewegung ist,  nach dem Haupte  zu
greifen: er steht  auf und  sieht sich  um, indem er die Hand auf dem Haupte
behö¤lt.)
     Verschwunden ist  der Kranz! Du schö¶nes Bild, das Licht  des Tages hat
dich verscheuchet!  Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden sö¼öŸesten
Freuden meines Herzens. Die gö¶ttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie  die  Gestalt; das  reizende  Mö¤dchen  kleidete sich  in  der  Freundin
himmlisches  Gewand. In einem ernsten  Augenblick erscheinen sie  vereinigt,
ernster  als lieblich.  Mit blutbefleckten Sohlen  trat sie vor mir auf, die
wehenden  Falten  des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein  Blut und vieler
Edeln  Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch!  Braves
Volk! Die Siegesgö¶ttin fö¼hrt dich an!  Und wie das Meer durch  eure Dö¤mme
bricht, so brecht,  so reiöŸt den Wall  der  Tyrannei  zusammen und schwemmt
ersö¤ufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaöŸt, weg!
     (Trommeln nö¤her.)
     Horch!  Horch! Wie oft rief mich  dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits  und des  Siegs! Wie munter  traten die Gefö¤hrten auf
der  gefö¤hrlichen, rö¼hmlichen  Bahn! Auch ich schreite  einem  ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe fö¼r die  Freiheit, fö¼r die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
     (Der  Hintergrund wird  mit einer Reihe  spanischer  Soldaten  besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
     Ja, fö¼hrt sie  nur zusammen! SchlieöŸt eure Reihen, ihr schreckt  mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fö¼hlen.
     (Trommeln.)
     Dich schlieöŸt der Feind  von  allen Seiten ein! Es blinken  Schwerter;
Freunde, hö¶hern Mut! Im Rö¼cken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
     (Auf die Wache zeigend.)
     Und  diese treibt  ein  hohles  Wort des Herrschers, nicht ihr  Gemö¼t.
Schö¼tzt eure Gö¼ter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig,  wie ich
euch ein Beispiel gebe.
     (Trommeln.  Wie  er auf  die Wache los- und auf  die Hintertö¼r zugeht,
fö¤llt  der   Vorhang:  die   Musik  fö¤llt  ein  und  schlieöŸt  mit  einer
Siegessymphonie das Stö¼ck.)

Last-modified: Fri, 24 Jan 2003 11:57:01 GMT
Žöåíèòå ýòîò òåêñò: