ren en gros und
en detail - die nötigen Hinrichtungsutensilien, soweit diese in ihre Branche
fielen, unter Anrechnung ziviler Preise einem hohen Staatsärar gegen
Quittung auszuhändigen.
Nun fügte es sich aber, daŸ der Strick riŸ und Babinski zu
lebenslänglichem Gefängnis begnadigt wurde.
Zwanzig Jahre verbüŸte der Raubmörder hinter den Mauern von Sankt
Pankraz, ohne daŸ je ein Vorwurf über seine Lippen gekommen wäre; - noch
heute ist der Beamtenstab des Institutes voll Lob über seine vorbildliche
Aufführung, ja, man gestattete ihm sogar, an den Geburtstagen unseres
Allerhöchsten Landesherrn ab und zu die Flöte zu blasen; -"
Prokop suchte sofort wieder nach seinem Hausschlüssel, aber Zwakh
wehrte ihm.
"- infolge allgemeiner Amnestie wurde dem Babinski der Rest der Strafe
nachgesehen, und er bekam die Stelle eines Pförtners im Kloster der
›Barmherzigen Schwestern‹.
Die leichte Gartenarbeit, die er nebenbei mit zu versehen hatte, ging
ihm dank der groŸen, während seines früheren Wirkungskreises erworbenen
Geschicklichkeit im Gebrauch des Spatens hurtig von der Hand, so daŸ ihm
hinlänglich MuŸe blieb, Herz und Geist an guter, sorgfältig ausgewählter
Lektüre zu läutern.
Die daraus resultierenden Folgen waren hocherfreulich.
Sooft ihn die Oberin Samstagabends ins Wirtshaus schickte, damit er
sein Gemüt ein wenig erheitere, jedesmal kam er pünktlich vor Anbruch der
Nacht nach Hause mit dem Hinweis, der Verfall der allgemeinen Moral stimme
ihn trübe und soviel lichtscheues Gesindel schlimmster Sorte mache die
LandstraŸe unsicher, daŸ es für jeden Friedliebenden ein Gebot der Klugheit
sei, rechtzeitig die Schritte heimwärts zu lenken.
Es war nun damaliger Zeit in Prag bei den Wachsziehern die Unsitte
eingerissen, kleine Figürchen feilzuhalten, die ein rotes Manterle umhängen
hatten und den Raubmörder Babinski darstellten.
Wohl in keiner der leidtragenden Familien fehlte ein solches.
Gewöhnlich aber standen sie in den Läden unter Glasstürzen, und über
nichts konnte sich Babinski so empören, als wenn er eines derartigen
Wachsbildes ansichtig wurde.
›Es ist im höchsten Grade unwürdig und zeugt von einer Gemütsroheit
sondersgleichen, einem Menschen beständig die Verfehlungen seiner Jugendzeit
vor Augen zu führen,‹ pflegte Babinski in solchen Fällen zu sagen ›und es
ist tief zu bedauern, daŸ von Seiten der Obrigkeit nichts geschieht, so
offenkundigem Unfug zu steuern.‹
Noch auf dem Totenbette äuŸerte er sich in ähnlichem Sinne.
Nicht vergebens, denn bald darauf verfügte die Behörde die Einstellung
des Handels mit den ärgerniserregenden Babinskischen Statuetten." - - -
- - - Zwakh tat einen mächtigen Schluck aus seinem Grogglas und alle
drei grinsten wie die Teufel, dann wandte er vorsichtig den Kopf nach der
farblosen Kellnerin, und ich sah, wie sie eine Träne im Auge zerdrückte.
- "Na, und Sie geben nichts zum besten, auŸer - natürlich - daŸ Sie aus
Dankbarkeit für den überstandenen KunstgenuŸ die Zeche berappen,
wertgeschätzter Kollege und Gemmenschneider?", fragte mich Vrieslander nach
einer langen Pause allgemeinen Tiefsinnes.
Ich erzählte ihnen meine Wanderung durch den Nebel.
Als ich in der Schilderung zu der Stelle kam, wo ich das weiŸe Haus
erblickt hatte, nahmen alle drei vor Spannung die Pfeifen aus den Zähnen,
und als ich schloŸ, schlug Prokop mit der Faust auf den Tisch und rief:
"Das ist doch rein - -! Alle Sagen, die es gibt, erlebt dieser Pernath
am eigenen Kadaver. - A propos, der Golem von damals - Sie wissen: die Sache
hat sich aufgeklärt."
"Wieso aufgeklärt?" fragte ich baff.
"Sie kennen doch den verrückten jüdischen Bettler ›Haschile‹? Nein? Nun
also: dieser Haschile war der Golem."
"Ein Bettler der Golem?"
"Jawohl, der Haschile war der Golem. Heute nachmittag ging das Gespenst
seelenvergnügt bei hellichtem Sonnenschein in seinem berüchtigten
altmodischen Anzug aus dem XVII. Jahrhundert durch die Salnitergasse
spazieren, und da hat es der Schinder mit einer Hundeschlinge glücklich
eingefangen."
"Was soll das heiŸen? Ich verstehe kein Wort!" fuhr ich auf.
"Ich sage Ihnen doch: der Haschile war es! Er hat die Kleider, höre
ich, vor längerer Zeit hinter einem Haustor gefunden. - œbrigens, um auf das
weiŸe Haus auf der Kleinseite zurückzukommen: die Sache ist furchtbar
interessant. Es geht nämlich eine alte Sage, daŸ dort oben in der
Alchimistengasse ein Haus steht, das nur bei Nebel sichtbar wird, und auch
da bloŸ ›Sonntagskindern‹. Man nennt es ›die Mauer zur letzten Laterne‹. Wer
bei Tag hinaufgeht, sieht dort nur einen groŸen, grauen Stein, - dahinter
stürzt es jäh ab in die Tiefe in den Hirschgraben, und Sie können von Glück
sagen, Pernath, daŸ Sie keinen Schritt weiter gemacht haben: Sie wären
unfehlbar hinuntergefallen und hätten sämtliche Knochen gebrochen.
Unter dem Stein, heiŸt es, ruht ein riesiger Schatz, und er soll von
dem Orden der ›Asiatischen Brüder‹, die angeblich Prag gegründet haben, als
Grundstein für ein Haus gelegt worden sein, das dereinst am Ende der Tage
ein Mensch bewohnen wird - besser gesagt ein Hermaphrodit - ein Geschöpf,
das sich aus Mann und Weib zusammensetzt. Und der wird das Bild eines Hasen
im Wappen tragen, - nebenbei: der Hase war das Symbol des Osiris, und daher
stammt wohl die Sitte mit dem Osterhasen.
Bis die Zeit gekommen ist, heiŸt es, hält Methusalem in eigener Person
Wache an dem Ort, damit Satan nicht den Stein beflattert und einen Sohn mit
ihm zeugt: den sogenannten Armilos. - Haben Sie noch nie von diesem Armilos
erzählen hören? - Sogar wie er aussehen würde, weiŸ man - das heiŸt, die
alten Rabbiner wissen es; - wenn er auf die Welt käme: Haare aus Gold würde
er haben, rückwärts zum Schopf gebunden, dann: zwei Scheitel, sichelförmige
Augen und Arme bis herunter zu den FüŸen."
"Dieses Ehrengigerl sollte man aufzeichnen", brummte Vrieslander und
suchte nach einem Bleistift.
"Also: Pernath, wenn Sie einmal das Glück haben sollten, ein
Hermaphrodit zu werden und en passant den vergrabenen Schatz zu finden,"
schloŸ Prokop, "dann vergessen Sie nicht, daŸ ich stets Ihr bester Freund
gewesen bin!"
- Mir war nicht zum SpaŸmachen zumute, und ich fühlte ein leises Weh im
Herzen.
Zwakh mochte es mir ansehen, wenn er auch den Grund nicht wuŸte, denn
er kam mir rasch zu Hilfe:
"Jedenfalls ist es höchst merkwürdig, fast unheimlich, daŸ Pernath
gerade eine Vision an jener Stelle hatte, die mit einer uralten Sage so eng
verknüpft ist. - Da sind Zusammenhänge, aus deren Umklammerung sich ein
Mensch anscheinend nicht befreien kann, wenn seine Seele die Fähigkeit hat,
Formen zu sehen, die dem Tastsinn vorenthalten sind. - Ich kann mir nicht
helfen: das œbersinnliche ist doch das Reizvollste! - Was meint ihr?"
Vrieslander und Prokop waren ernst geworden, und jeder von uns hielt
eine Antwort für überflüssig.
"Was meinen Sie, Eulalia?" wiederholte Zwakh, zurückgewendet, seine
Frage.
Die alte Kellnerin kratzte sich mit der Stricknadel am Kopf, seufzte,
errötete und sagte:
"Aber gähn' Sie! Sie sind mir ein Schlimmer."
"Eine verdammt gespannte Luft war heute den ganzen Tag über", fing
Vrieslander an, nachdem sich unser Heiterkeitsausbruch gelegt hatte, "nicht
einen Pinselstrich hab' ich fertiggebracht. Fortwährend hab' ich an die
Rosina denken müssen, wie sie im Frack getanzt hat."
"Ist sie wieder aufgefunden worden?", fragte ich.
"›Aufgefunden‹ ist gut. Die Sittenpolizei hat sie doch für ein längeres
Engagement gewonnen! - Vielleicht hat sie dem Herrn Kommissär - damals ›beim
Loisitschek‹, ins Auge gestochen? Jedenfalls ist sie jetzt - fieberhaft
tätig und trägt wesentlich zur Hebung des Fremdenverkehrs in der Judenstadt
bei. Ein verflucht dralles Mensch ist sie übrigens schon geworden in der
kurzen Zeit."
"Wenn man bedenkt, was ein Weib aus einem Mann machen kann bloŸ
dadurch, daŸ sie ihn verliebt sein läŸt in sich: es ist zum Staunen", warf
Zwakh hin. "Um das Geld aufzubringen, zu ihr gehen zu können, ist der arme
Bursche, der Jaromir, über Nacht Künstler geworden. Er geht in den
Wirtshäusern herum und schneidet Silhouetten für Gäste aus, die sich auf
diese Art porträtieren lassen."
Prokop, der den SchluŸ überhört hatte, schmatzte mit den Lippen:
"Wirklich? Ist sie so hübsch geworden, die Rosina? - Haben Sie ihr
schon ein KüŸchen geraubt, Vrieslander?"
Die Kellnerin sprang sofort auf und verlieŸ indigniert das Zimmer.
"Das Suppenhuhn! Die hat's wahrhaftig nötig, - Tugendanfälle! Pah!",
brummte Prokop ärgerlich hinter ihr drein.
"Was wollen Sie, sie ist doch bei der unrichtigen Stelle abgegangen.
Und auŸerdem war der Strumpf gerade fertig", beschwichtigte ihn Zwakh.
Der Wirt brachte neuen Grog und die Gespräche fingen allmählich an,
eine schwüle Richtung zu nehmen. Zu schwül, als daŸ sie mir nicht ins Blut
gegangen wären bei meiner fiebrigen Stimmung.
Ich sträubte mich dagegen, aber je mehr ich mich innerlich abschloŸ und
an Angelina zurückdachte, um so heiŸer brauste es mir in den Ohren.
Ziemlich unvermittelt verabschiedete ich mich.
Der Nebel war durchsichtiger geworden, sprühte feine Eisnadeln auf
mich, war aber immer noch so dicht, daŸ ich die StraŸentafeln nicht lesen
konnte und von meinem Heimweg um ein geringes abkam.
Ich war in eine andere Gasse geraten und wollte eben umkehren, da hörte
ich meinen Namen rufen:
"Herr Pernath! Herr Pernath!"
Ich blickte um mich, in die Höhe:
Niemand!
Ein offenes Haustor, darüber diskret eine kleine, rote Laterne, gähnte
neben mir auf, und eine helle Gestalt - schien mir - stand tief im Flur
darin.
Wieder: "Herr Pernath! Herr Pernath!" Im Flüsterton.
Ich trat erstaunt in den Gang, - da schlangen sich warme Frauenarme um
meinen Hals, und ich sah bei dem Lichtstrahl, der aus einem sich langsam
öffnenden Türspalt fiel, daŸ es Rosina war, die sich heiŸ an mich preŸte.
List
Ein grauer, blinder Tag.
Bis tief in den Morgen hinein hatte ich geschlafen, traumlos,
bewuŸtlos, wie ein Scheintoter.
Meine alte Bedienerin war ausgeblieben oder hatte vergessen
einzuheizen.
Kalte Asche lag im Ofen.
Staub auf den Möbeln.
Der FuŸboden nicht gekehrt.
Fröstelnd ging ich auf und ab.
Widerwärtiger Geruch nach ausgeatmetem Fusel lag im Zimmer. Mein
Mantel, meine Kleider stanken nach altem Tabakrauch.
Ich riŸ das Fenster auf, schloŸ es wieder: - der kalte, schmutzige
Hauch von der StraŸe war unerträglich.
Spatzen mit durchnäŸtem Gefieder hockten regungslos drauŸen auf den
Dachrinnen.
Wohin ich blickte, miŸfarbene Verdrossenheit. Alles in mir war
zerrissen, zerfetzt.
Das Sitzpolster auf dem Lehnstuhl - wie fadenscheinig es war! Die
RoŸhaare quollen hervor aus den Rändern.
Man muŸte es zum Tapezierer schicken - - ach was, sollte es so bleiben
- noch ein ödes Menschenleben hindurch, bis alles zu Gerumpel zerfiel!
Und dort, welch geschmackloser, zweckwidriger Plunder, diese
Zwirnlappen an den Fenstern!
Warum drehte ich sie nicht zu einem Strick und erhenkte mich daran?!
Dann brauchte ich diese augenverletzenden Dinge wenigstens nie mehr zu
sehen, und der ganze graue, zermürbende Jammer war vorüber - ein für
allemal.
Ja! Das war das gescheiteste! Ein Ende machen.
Heute noch.
Jetzt noch - vormittags. Gar nicht erst zum Essen gehen. - Ein
ekelhafter Gedanke, mit vollem Magen sich aus der Welt zu schaffen! In der
nassen Erde liegen und unverdaute, verfaulende Speisen in sich zu haben.
Wenn nur nie wieder die Sonne scheinen wollte und ihre freche Lüge von
der Freude des Daseins einem ins Herz funkeln.
Nein! ich lieŸ mich nicht mehr narren, wollte nicht länger der
Spielball sein eines täppischen, zwecklosen Schicksals, das mich emporhob
und dann wieder in Pfützen stieŸ, bloŸ damit ich die Vergänglichkeit alles
Irdischen einsehen sollte, etwas, was ich längst wuŸte, was jedes Kind weiŸ,
jeder Hund auf der StraŸe weiŸ.
Arme, arme Mirjam! Wenn ich ihr wenigstens helfen könnte.
Es hieŸ, einen EntschluŸ fassen, einen ernsten, unabänderlichen
BeschluŸ, bevor der verfluchte Trieb zum Dasein wieder in mir erwachen
konnte und mir neue Trugbilder vorgaukeln.
Wozu hatten sie mir denn gedient: alle diese Botschaften aus dem Reich
des Unverweslichen?
Zu nichts, zu gar, gar nichts.
Nur dazu vielleicht, daŸ ich im Kreis herumgetaumelt war und jetzt die
Erde als unmögliche Qual empfand.
Da gab es nur noch eins.
Ich rechnete im Kopf zusammen, wieviel Geld ich auf der Bank liegen
hatte.
Ja, nur so ging es. Das war noch das Einzige, Winzige, was von meinen
nichtigen Taten im Leben irgendeinen Wert haben konnte!
Alles, was ich besaŸ - die paar Edelsteine in der Schublade dazu, -
zusammenschnüren in ein Paket und es Mirjam schicken. Ein paar Jahre
wenigstens würde es die Sorge ums tägliche Leben von ihr nehmen. Und einen
Brief an Hillel schreiben, in dem ich ihm sagte, wie es um sie stand mit dem
"Wunder".
Er allein konnte ihr helfen.
Ich fühlte: ja, er würde Rat wissen für sie.
Ich suchte die Steine zusammen, steckte sie ein, sah auf die Uhr: wenn
ich jetzt auf die Bank ging - in einer Stunde konnte alles in Ordnung
gebracht sein.
Und dann noch einen StrauŸ roter Rosen kaufen für Angelina! - - - - es
schrie auf in mir vor Weh und wilder Sehnsucht. - Nur noch einen Tag, einen
einzigen Tag möchte ich leben!
Um dann abermals dieselbe würgende Verzweiflung mitmachen zu müssen?
Nein, nicht eine einzige Minute mehr warten! Es kam wie Befriedigung
über mich, daŸ ich mir nicht nachgegeben hatte.
Ich blickte umher. Blieb mir noch etwas zu tun?
Richtig: die Feile dort. Ich steckte sie in die Tasche, - wollte sie
fortwerfen irgendwo auf der Gasse, wie ich es mir neulich schon vorgenommen.
Ich haŸte die Feile! Wieviel hatte gefehlt, und ich wäre zum Mörder
geworden durch sie.
Wer kam mich denn da wieder stören?
Es war der Trödler.
"Nur en Augenblick, Herr von Pernath", bat er fassungslos, als ich ihm
bedeutete, daŸ ich keine Zeit hätte. "Nur en ganz en kurzen Augenblick. Nur
ä paar Worte."
Der SchweiŸ lief ihm übers Gesicht, und er zitterte vor Aufregung.
"Kann man hier auch ungestört mit Ihnen sprechen, Herr von Pernath? Ich
möcht' nicht, daŸ der - der Hillel wieder hereinkommt. Sperren Sie doch
lieber die Tür ab, oder geh'mer besser ins Nebenzimmer", - er zog mich in
seiner gewohnten, heftigen Art hinter sich drein.
Dann sah er sich ein paarmal scheu um und flüsterte heiser:
"Ich hab mir's überlegt, wissen Sie, - das von neilich. Es is besser
so. Es kommt nix hereaus dabei. Gut. Vorüber is vorüber."
Ich suchte in seinen Augen zu lesen.
Er hielt meinen Blick aus, krampfte aber die Hand in die Stuhllehne,
solche Anstrengung kostete es ihn.
"Das freut mich, Herr Wassertrum," sagte ich, so freundlich ich konnte,
"das Leben ist zu trüb, als daŸ man es sich gegenseitig noch mit HaŸ
verbittern sollte."
"Rein, als ob man ein gedrücktes Buch reden hört," grunzte er
erleichtert, wühlte in seinen Hosentaschen und zog wieder die goldene Uhr
mit den verbogenen Sprungdeckeln hervor, "und damit Sie sehen, ich mein's
ehrlich, müssen Sie die Kleinigkeit da von mir annehmen. Als Geschenk."
"Was fällt Ihnen denn ein," wehrte ich ab, "Sie werden doch wohl nicht
glauben -", da fiel mir ein, was Mirjam über ihn gesagt hatte, und ich
streckte ihm die Hand hin, um ihn nicht zu kränken.
Er achtete nicht darauf, wurde plötzlich weiŸ wie die Wand, lauschte
und röchelte:
"Da! Da! Hab' ich's doch gewuŸt. Schon wieder der Hillel! Er klopft."
Ich horchte, ging ins andere Zimmer zurück und zog zu seiner Beruhigung
die Verbindungstür hinter mir halb zu.
Es war diesmal nicht Hillel. Charousek trat ein, legte, wie zum
Zeichen, daŸ er wisse, wer nebenan sei, den Finger an die Lippen und
überschüttete mich in der nächsten Sekunde und ohne abzuwarten, was ich
sagen würde, mit einem Schwall von Worten:
"Oh, mein hochverehrter, liebwerter Meister Pernath, wie soll ich nur
die Worte finden, Ihnen meine Freude auszudrücken, daŸ ich Sie allein und
wohlauf zu Hause antreffe." - - - Er sprach wie ein Schauspieler, und seine
schwülstige, unnatürliche Redeweise stand in so krassem Gegensatz zu seinem
verzerrten Gesicht, daŸ ich ein tiefes Grauen vor ihm empfand.
"Niemals hätte ich, Meister, es gewagt, in dem zerlumpten Zustande zu
Ihnen zu kommen, in dem Sie mich gewiŸ schon des öfteren auf der StraŸe
erblickt haben, - doch, was sage ich: erblickt! haben Sie mir doch oft
huldreich die Hand gereicht.
DaŸ ich heute vor Sie hintreten kann mit weiŸem Kragen und in sauberem
Anzug, - wissen Sie, wem ich es verdanke? Einem der edelsten und leider -
ach - meist verkannten Menschen unserer Stadt. Rührung übermannt mich, wenn
ich seiner gedenke.
Selber in bescheidenen Verhältnissen, hat er dennoch eine offene Hand
für Arme und Bedürftige. Von jeher, wenn ich ihn traurig vor seinem Laden
stehen sah, trieb es mich aus tiefstem Herzen heraus, zu ihm zu treten und
ihm stumm die Hand zu drücken.
Vor einigen Tagen rief er mich an, als ich vorüberging, schenkte mir
Geld und versetzte mich dadurch in die Lage, mir gegen Ratenzahlung einen
Anzug kaufen zu können.
Und wissen Sie, Meister Pernath, wer mein Wohltäter war? -
Mit Stolz sage ich es, denn ich war von jeher der einzige, der geahnt
hat, welch goldenes Herz in seinem Busen schlägt: Es war - Herr Aaron
Wassertrum!" - -
- - Ich verstand natürlich, daŸ Charousek seine Komödie auf den
Trödler, der nebenan lauschte, gemünzt hatte, wenn mir auch unklar blieb,
was er damit bezweckte; keinesfalls schien mir die allzuplumpe Schmeichelei
geeignet, den miŸtrauischen Wassertrum hinters Licht zu führen. Charousek
erriet offenbar aus meiner bedenklichen Miene, was ich dachte, schüttelte
grinsend den Kopf, und auch seine nächsten Worte sollten mir wahrscheinlich
sagen, daŸ er seinen Mann genau kenne und wisse, wie dick er auftragen
dürfe.
"Jawohl! Herr - Aaron - Wassertrum! Es drückt mir fast das Herz ab, daŸ
ich ihm nicht selbst sagen kann, wie unendlich dankbar ich ihm bin, und
beschwöre Sie, Meister, verraten Sie ihm niemals, daŸ ich hier war und Ihnen
alles erzählt habe. - Ich weiŸ, die Selbstsucht der Menschen hat ihn
verbittert und tiefes, unheilbares - ach, leider nur zu gerechtfertigtes
MiŸtrauen in seine Brust gepflanzt.
Ich bin Seelenarzt, aber auch mein Gefühl sagt mir, es ist am besten:
Herr Wassertrum erfährt nie - auch aus meinem Munde nicht - wie hoch ich von
ihm denke. - Es hieŸe das: Zweifel in sein unglückliches Herz säen. Und das
sei ferne von mir. Lieber soll er mich für undankbar halten.
Meister Pernath! Ich bin selbst ein Unglücklicher und weiŸ von
Kindesbeinen an, was es heiŸt, einsam und verlassen in der Welt zu stehen!
Ich kenne nicht einmal den Namen meines Vaters. Auch mein Mütterlein habe
ich niemals von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie muŸ frühzeitig gestorben
sein -" Charouseks Stimme wurde seltsam geheimnisvoll und eindringlich, -
"und war, wie ich bestimmt glaube, eine jener tiefseelisch angelegten
Naturen, die nie sagen können, wie unendlich sie lieben, und zu denen auch
Herr Aaron Wassertrum gehört.
Ich besitze eine abgerissene Seite aus dem Tagebuch meiner Mutter - ich
trage das Blatt beständig auf der Brust - und darin steht, daŸ sie meinen
Vater, obschon er häŸlich gewesen sein soll, geliebt hat, wie wohl noch nie
ein sterbliches Weib auf Erden einen Mann geliebt hat.
Dennoch scheint sie es nie gesagt zu haben. - Vielleicht aus ähnlichen
Gründen, weshalb ich z. B. Herrn Wassertrum nicht sagen könnte - und wenn
mir das Herz darüber bräche - was ich für ihn an Dankbarkeit fühle.
Aber noch eins geht aus dem Tagebuchblatt hervor, wenn ich es auch nur
erraten kann, denn die Sätze sind fast unleserlich vor Tränenspuren: mein
Vater - sein Andenken möge vergehen im Himmel und auf Erden! - muŸ
scheuŸlich an meiner Mutter gehandelt haben."
- Charousek fiel plötzlich auf die Knie, daŸ der Boden dröhnte, und
schrie in so markerschütternden Tönen, daŸ ich nicht wuŸte, spielte er noch
immer Komödie oder war er wahnsinnig geworden:
"Du Allmächtiger, dessen Namen der Mensch nicht aussprechen soll, hier
auf meinen Knien liege ich vor Dir: verflucht, verflucht, verflucht sei mein
Vater in alle Ewigkeit!"
Er biŸ das letzte Wort förmlich entzwei und horchte eine Sekunde lang
mit aufgerissenen Augen.
Dann feixte er wie der Satan. Auch mir schien es, als hätte Wassertrum
nebenan leise gestöhnt.
"Verzeihen Sie, Meister," fuhr Charousek nach einer Pause mit mimenhaft
erstickter Stimme fort, "verzeihen Sie, daŸ es mich übermannt hat, aber es
ist mein Gebet früh und spät, der Allmächtige wolle es fügen, daŸ mein
Vater, wer immer er auch sein möge, dereinst das gräŸlichste Ende nehme, das
sich ausdenken läŸt."
Ich wollte unwillkürlich etwas erwidern, allein Charousek unterbrach
mich rasch:
"Doch jetzt, Meister Pernath, komme ich zu der Bitte, die ich Ihnen
vorzutragen habe:
Herr Wassertrum besaŸ einen Schützling, den er über die MaŸen ins Herz
geschlossen hatte, - es dürfte ein Neffe von ihm gewesen sein. Es heiŸt
sogar, es sei sein Sohn gewesen, aber ich will es nicht glauben, denn sonst
hätte er doch denselben Namen getragen, in Wirklichkeit aber hieŸ er:
Wassory, Dr. Theodor Wassory.
Die Tränen treten mir in die Augen, wenn ich ihn im Geiste vor mir
sehe. Ich war ihm aus ganzer Seele zugetan, als hätte mich ein unmittelbares
Band der Liebe und Verwandtschaft mit ihm verknüpft."
Charousek schluchzte, als könne er vor Ergriffenheit kaum
weitersprechen.
"Ach, daŸ dieser Edeling von der Erde gehen muŸte! - Ach! Ach!
Was auch der Grund gewesen sein mag, - ich habe ihn nie erfahren, - er
hat sich selbst den Tod gegeben. Und ich war unter denen, die zu Hilfe
gerufen wurden - - ach, ach, zu spät - zu spät - zu spät! Und als ich dann
allein am Totenlager stand und seine kalte, bleiche Hand mit Küssen
bedeckte, da - warum soll ich es nicht eingestehen, Meister Pernath? - es
war ja doch kein Diebstahl - da nahm ich eine Rose von der Brust der Leiche
und eignete mir das Fläschchen an, mit dessen Inhalt der Unglückliche seinem
blühenden Leben ein schnelles Ende bereitet hatte."
Charousek zog eine Medizinflasche hervor und fuhr bebend fort:
"Beides lege ich hier auf Ihren Tisch, die verdorrte Rose und die
Phiole; sie waren mir ein Andenken an meinen dahingegangenen Freund.
Wie oft in Stunden innerer Verlassenheit, wenn ich mir den Tod
herbeiwünschte in der Einsamkeit meines Herzens und der Sehnsucht nach
meiner toten Mutter, spielte ich mit diesem Fläschchen, und es gab mir einen
seligen Trost, zu wissen: ich brauchte nur die Flüssigkeit auf ein Tuch zu
gieŸen und einzuatmen und schwebte schmerzlos hinüber in die Gefilde, wo
mein lieber, guter Theodor ausruht von den Mühsalen unseres Jammertales.
Und nun bitte ich Sie, hochverehrter Meister, - und deswegen bin ich
hergekommen - nehmen Sie beides und bringen Sie es Herrn Wassertrum.
Sagen Sie, Sie hätten es von jemandem bekommen, dem Dr. Wassory
nahestand, dessen Namen Sie jedoch gelobt hätten, nie zu nennen, -
vielleicht von einer Dame.
Er wird es glauben, und es wird ihm ein Andenken sein, wie es ein
teures Andenken für mich war.
Das soll der heimliche Dank sein, den ich ihm gebe. Ich bin arm und es
ist alles, was ich habe, aber es macht mich froh, zu wissen: beides wird
jetzt ihm gehören, und dennoch ahnt er nicht, daŸ ich der Geber bin.
Es liegt darin zugleich auch für mich etwas unendlich SüŸes.
Und jetzt leben Sie wohl, teurer Meister, und seien Sie im voraus
vieltausendmal bedankt."
Er hielt meine Hand fest, zwinkerte und flüsterte mir, als ich noch
immer nicht verstand, kaum hörbar etwas zu.
"Warten Sie, Herr Charousek, ich werde Sie ein Stückchen
hinunterbegleiten", sagte ich mechanisch die Worte nach, die ich von seinen
Lippen las, und ging mit ihm hinaus.
Auf dem finsteren Treppenabsatz im ersten Stock blieben wir stehen, und
ich wollte mich von Charousek verabschieden.
"Ich kann mir denken, was Sie mit der Komödie bezweckt haben. - - Sie -
Sie wollen, daŸ sich Wassertrum mit dem Fläschchen vergiftet!" Ich sagte es
ihm ins Gesicht.
"Freilich", gab Charousek aufgeräumt zu.
"Und dazu, glauben Sie, werde ich meine Hand bieten?"
"Durchaus nicht nötig."
"Aber ich sollte Wassertrum doch die Flasche bringen, sagten Sie
vorhin!"
Charousek schüttelte den Kopf:
"Wenn Sie jetzt zurückgehen, werden Sie sehen, daŸ er sie bereits
eingesteckt hat."
"Wie können Sie das nur annehmen?", fragte ich erstaunt. "Ein Mensch
wie Wassertrum wird sich niemals umbringen, - ist viel zu feig dazu -
handelt nie nach plötzlichen Impulsen."
"Da kennen Sie das schleichende Gift der Suggestion nicht", unterbrach
mich Charousek ernst. "Hätte ich in alltäglichen Worten geredet, würden Sie
vielleicht recht behalten, aber auch den kleinsten Tonfall habe ich vorher
berechnet. Nur das widerlichste Pathos wirkt auf solche Hundsfötter! Glauben
Sie mir! Sein Mienenspiel bei jedem meiner Sätze hätte ich Ihnen hinzeichnen
können. - Kein ›Kitsch‹ wie es die Maler nennen, ist niederträchtig genug,
als daŸ er nicht der bis ins Mark verlogenen Menge Tränen entlockte - sie
ins Herz trifft! Glauben Sie denn, man hätte nicht längst sämtliche Theater
mit Feuer und Schwert ausgetilgt, wenn es anders wäre? An der
Sentimentalität erkennt man die Kanaille. Tausende armer Teufel können
verhungern, da wird nicht geweint, aber wenn ein Schminkkamel auf der Buhne,
als Bauerntrampel verkleidet, die Augen verdreht, dann heulen sie wie die
SchloŸhunde. - - Wenn Väterchen Wassertrum vielleicht auch morgen vergessen
hat, was ihm soeben noch - Herzjauche kostete: jedes meiner Worte wird
wieder in ihm lebendig werden, wenn die Stunden reifen, wo er sich selbst
unendlich bedauernswert vorkommt. - In solchen Momenten des groŸen Misereres
bedarf es bloŸ eines leisen AnstoŸes, - und für den werde ich sorgen - und
selbst die feigste Pfote greift nach dem Gift. Es muŸ nur zur Hand sein!
Theodorchen hätte wahrscheinlich auch nicht zugegrapst, wenn ich's ihm nicht
so bequem gemacht hätte."
"Charousek, Sie sind ein furchtbarer Mensch", rief ich entsetzt.
"Empfinden Sie denn gar kein - - -"
Er hielt mir schnell den Mund zu und drängte mich in eine Mauernische!
"Still! Da ist er!"
Mit taumelnden Schritten, sich an der Wand stützend, kam Wassertrum die
Stiege herunter und wankte an uns vorüber.
Charousek schüttelte mir fluchtig die Hand und schlich ihm nach. - -
Als ich in mein Zimmer zurückgekehrt war, sah ich, daŸ die Rose und das
Fläschchen verschwunden waren und an ihrer Stelle die goldene, zerbeulte Uhr
des Trödlers auf dem Tisch lag.
"Acht Tage müsse ich warten, ehe ich mein Geld bekommen könne; es sei
das die übliche Kündigungsfrist", hatte man mir auf der Bank gesagt.
Man solle den Direktor holen, denn ich sei in gröŸter Eile und gedächte
in einer Stunde abzureisen, hatte ich eine Ausrede gebraucht.
Er sei nicht zu sprechen und könne an den Gepflogenheiten der Bank auch
nichts ändern, hieŸ es, und ein Kerl mit einem Glasauge, der zugleich mit
mir an den Schalter getreten war, hatte darüber gelacht.
Acht graue, furchtbare Tage auf den Tod sollte ich also warten!
Wie ein Zeitraum ohne Ende kam es mir vor. - - -
Ich war so niedergeschlagen, daŸ ich mir gar nicht bewuŸt wurde, wie
lange ich schon vor der Türe eines Kaffeehauses auf und nieder geschritten
sein mochte.
Endlich trat ich ein, bloŸ um den widerwärtigen Kerl mit dem Glasauge
los zu werden, der mir von der Bank her nachgekommen war und sich immer in
meiner Nähe hielt und, wenn ich ihn anblickte, sofort auf dem Boden
herumsuchte, als habe er etwas verloren.
Er hatte einen hellkarierten, viel zu engen Rock an und schwarze,
speckglänzende Hosen, die ihm wie Säcke um die Beine schlotterten. Auf
seinem linken Stiefel war ein eiförmiger, gewölbter Lederfleck aufgesteppt,
daŸ es aussah, als trüge er darunter einen Siegelring auf der Zehe.
Kaum hatte ich mich niedergesetzt, kam auch er herein und lieŸ sich an
einem Nebentisch nieder.
Ich glaubte, er wolle mich anbetteln, und suchte schon nach meinem
Portemonnai, da sah ich einen groŸen Brillanten an seinen wulstigen
Metzgerfingern aufblitzen.
Stunden und Stunden saŸ ich in dem Kaffeehaus und glaubte vor innerer
Nervosität wahnsinnig werden zu müssen, - aber wohin sollte ich gehen? Nach
Hause? Herumschlendern? Eines schien mir gräŸlicher als das andere.
Die veratmete Luft, das ewige, alberne Klappen der Billardkugeln, das
trockene, unaufhörliche Gerausper eines halbblinden Zeitungstigers mir
gegenüber, ein storchbeiniger Infanteneleutnant, der abwechselnd in der Nase
bohrte oder sich mit gelben Zigarettenfingern vor einem Taschenspiegel den
Schnurrbart kämmte, ein braunsammetenes Gebrodel ekelhafter, verschwitzter,
schnatternder Italiener um den Kartentisch in der Ecke, die bald unter
gellem Gekreisch ihre Trumpfe mit dem Faustknochel hinschlugen, bald unter
Brecherscheinungen ins Zimmer spuckten. Und das alles in den Wandspiegeln
doppelt und dreifach sehen zu müssen! Es sog mir langsam das Blut aus den
Adern. -
Es wurde allmählich dunkel und ein plattfuŸiger, knieweicher Kellner
tastete mit einer Stange nach den Gaslüstern, um sich endlich kopfschüttelnd
zu überzeugen, daŸ sie nicht brennen wollten.
So oft ich das Gesicht wandte, immer begegnete ich dem schielenden
Wolfsblick des Glasäugigen, der sich dann jedesmal rasch hinter eine Zeitung
versteckte oder seinen schmutzigen Schnurrbart in die langst ausgetrunkene
Kaffeetasse tauchte.
Er hatte seinen steifen, runden Hut tief aufgestülpt, daŸ ihm die Ohren
fast waagerecht abstanden, machte aber keine Miene, aufzubrechen.
Es war nicht mehr auszuhalten.
Ich zahlte und ging.
Als ich die Glastür hinter mir zumachen wollte, nahm mir jemand die
Klinke aus der Hand - Ich drehte mich um:
Wieder der Kerl!
„rgerlich wollte ich nach links biegen, in der Richtung der Judenstadt
zu, da drängte er sich an meine Seite und hinderte mich daran.
"Da hört denn doch alles auf!" schrie ich ihn an.
"Nach rechts geht's," sagte er kurz.
"Was soll das heiŸen?"
Er fixierte mich frech:
"Sie sind der Pernath!"
"Sie wollen wahrscheinlich sagen: Herr Pernath?"
Er lachte nur hämisch:
"Alsdann keine Faxen jetz! Sie gah'n Sie mit!"
"Ja, sind Sie toll? Wer sind Sie eigentlich?", fuhr ich auf.
Er gab keine Antwort, schlug seinen Rock zurück und zeigte vorsichtig
auf einen abgeschabten Blechadler, der im Futter festgesteckt war.
Ich begriff: der Falott war Geheimpolizist und verhaftete mich.
"So sagen Sie doch, um Himmels willen, was ist denn los?"
"Sie werden sich's schonn erfahrrähn. Auf dem Däpartemänt", erwiderte
er grob. "Alla marsch jetz!"
Ich schlug ihm vor, ich wollte einen Wagen nehmen.
"Nix da!"
Wir gingen zur Polizei.
Ein Gendarm führte mich vor eine Tür.
ALOIS OTSCHIN
Polizeirat
las ich auf der Porzellantafel.
"Sie kännen sich einträtten", sagte der Gendarm.
Zwei schmierige Schreibtische mit meterhohen Aufsätzen standen einander
gegenüber.
Ein paar verkraxte Stühle dazwischen.
Das Bild des Kaisers an der Wand.
Ein Glas mit Goldfischen auf dem Fensterbrett.
Sonst nichts im Zimmer.
Ein KlumpfuŸ und daneben ein dicker Filzschuh unter zerfransten grauen
Hosen hinter dem linken Schreibpult.
Ich hörte rascheln. Jemand murmelte ein paar Worte in böhmischer
Sprache und gleich darauf tauchte der Herr Polizeirat aus dem rechten
Schreibtisch auf und trat vor mich hin.
Er war ein kleiner Mann mit grauem Spitzbart und hatte die sonderbare
Manier, bevor er anfing zu reden, die Zähne zu fletschen wie jemand, der in
grelles Sonnenlicht schaut.
Dabei kniff er die Augen hinter den Brillenglasern zusammen, was ihm
den Ausdruck furchterregender Niedertracht verlieh.
"Sie heiŸen Athanasius Pernath und sind" - er blickte auf ein Blatt
Papier, auf dem nichts stand - "Gemmenschneider."
Sofort kam Leben in den KlumpfuŸ unter dem anderen Schreibtisch: er
wetzte sich an dem Stuhlbein, und ich hörte das Rauschen einer Schreibfeder.
Ich bejahte:
"Pernath. Gemmenschneider."
"No, da sin wir ja gleich beisammen, Herr - - - Pernath, - jawohl
Pernath. Ja wohl ja." - Der Herr Polizeirat war mit einem Schlag von
erstaunlicher Liebenswürdigkeit, als hätte er die erfreulichste Nachricht
von der Welt bekommen, streckte mir beide Hände entgegen und bemühte sich in
lächerlicher Weise, die Miene eines Biedermannes aufzusetzen.
"Also, Herr Pernath, erzählen Sie mir einmal, was treiben Sie so den
ganzen Tag?"
"Ich glaube, daŸ Sie das nichts angeht, Herr Otschin", antwortete ich
kalt.
Er kniff die Augen zusammen, wartete einen Moment und fuhr blitzschnell
los:
"Seit wann hat die Gräfin ihr Verhältnis mit dem Savioli?"
Ich war auf etwas „hnliches gefaŸt gewesen und zuckte nicht mit der
Wimper.
Er suchte mich geschickt durch Kreuz- und Querfragen in Widersprüche zu
verwickeln, aber, so sehr mir auch vor Entsetzen das Herz im Halse schlug,
ich verriet mich nicht und kam immer wieder darauf zurück, daŸ ich den Namen
Savioli nie gehört hätte, mit Angelina von meinem Vater her befreundet sei,
und daŸ sie schon öfter Kameen bei mir bestellt habe.
Ich fühlte trotzdem genau, daŸ der Polizeirat mir ansah, wie ich ihn
belog, und innerlich schäumte vor Wut, nichts aus mir herausbekommen zu
können.
Er dachte eine Weile nach, dann zog er mich am Rock dicht an sich,
deutete warnend mit dem Daumen auf den linken Schreibtisch und flüsterte mir
ins Ohr:
"Athanasius! Ihr seliger Vater war mein bester Freund. Ich will Sie
retten, Athanasius! Aber Sie müssen mir alles sagen über die Gräfin. - Hören
Sie: alles."
Ich begriff nicht, was das bedeuten sollte. "Was meinen Sie damit: Sie
wollen mich retten?", fragte ich laut.
Der KlumpfuŸ stampfte ärgerlich auf den Boden. Der Polizeirat wurde
aschgrau im Gesicht vor HaŸ. Zog die Lippe empor. Wartete. - Ich wuŸte, daŸ
er gleich wieder losspringen würde; (sein Verblüffungssystem erinnerte mich
an Wassertrum) und wartete ebenfalls, - sah, daŸ ein Bocksgesicht, der
Inhaber des KlumpfuŸes, lauernd hinter dem Schreibpulte auftauchte - - dann
schrie mich der Polizeirat plötzlich gellend an:
"Mörder".
Ich war sprachlos vor Verblüffung.
MiŸmutig zog sich das Bocksgesicht wieder hinter sein Pult zurück.
Auch der Herr Polizeirat schien ziemlich betreten über meine Ruhe,
versteckte es aber geschickt, indem er einen Stuhl herbeizog und mich
aufforderte, Platz zu nehmen.
"Sie verweigern also, über die Gräfin die von mir gewünschte Auskunft
zu geben, Herr Pernath?"
"Ich kann sie nicht geben, Herr Polizeirat, wenigstens nicht in dem
Sinne, wie Sie erwarten. Erstens kenne ich niemand namens Savioli, und dann
bin ich felsenfest überzeugt, daŸ es eine Verleumdung ist, wenn man der
Gräfin nachsagt, sie hintergehe ihren Gatten."
"Sind Sie bereit, das zu beeiden?"
Mir stockte der Atem. "Ja! Jederzeit."
"Gut. Hm."
Eine längere Pause entstand, während der Polizeirat angestrengt
nachzugrübeln schien.
Als er mich wieder anblickte, lag ein komödiantenhafter Zug von
Schmerzlichkeit in seiner Fratze. Unwillkürlich muŸte ich an Charousek
denken, wie er dann mit tränenerstickter Stimme anfing:
"Mir können Sie es doch sagen, Athanasius, - mir, dem alten Freund
Ihres Vaters - mir, der Sie auf den Armen getragen hat -" ich konnte das
Lachen kaum verbeiŸen: er war höchstens zehn Jahre älter als ich - "nicht
wahr, Athanasius, es war Notwehr?"
Das Bocksgesicht erschien abermals.
"Was war Notwehr?", fragte ich verständnislos.
"Das mit dem - - - Zottmann!" schrie mir der Polizeirat einen Namen ins
Gesicht.
Das Wort traf mich wie ein Dolchstich: Zottmann! Zottmann! Die Uhr! Der
Name Zottmann stand doch in der Uhr eingraviert.
Ich fühlte, wie mir alles Blut zum Herzen strömte: Der grauenhafte
Wassertrum hatte mir die Uhr gegeben, um den Verdacht des Mordes auf mich zu
lenken.
Sofort warf der Polizeirat die Maske ab, fletschte die Zähne und kniff
die Augen zusammen:
"Sie gestehen also den Mord ein, Pernath?"
"Das ist alles ein Irrtum. Ein entsetzlicher Irrtum. Um Gottes willen
hören Sie mich an. Ich kann es Ihnen erklären, Herr Polizeirat - -!", schrie
ich.
"Werden Sie mir jetzt alles mitteilen in bezug auf die Frau Gräfin",
unterbrach er mich rasch: "ich mache Sie aufmerksam: Sie verbessern Ihre
Lage damit."
"Ich kann nicht mehr sagen, als bereits geschehen ist: die Gräfin ist
unschuldig."
Er biŸ die Zähne zusammen und wandte sich an das Bocksgesicht:
"Schreiben Sie: - Also, Pernath gesteht den Mord an dem
Versicherungsbeamten Karl Zottmann ein."
Mich packte eine besinnungslose Wut.
"Sie Polizeikanaille!" brüllte ich los, "was unterstehen Sie sich?!"
Ich suchte nach einem schweren Gegenstand.
Im nächsten Augenblick hatten mich zwei Schutzleute gepackt und mir
Handschellen angelegt.
Der Polizeirat blähte sich jetzt wie der Hahn auf dem Mist:
"Und die Uhr da?", - er hielt plötzlich die verbeulte Uhr in der Hand,
- "hat der unglückliche Zottmann noch gelebt, als Sie ihn beraubten, oder
nicht?"
Ich war wieder ganz ruhig geworden und gab mit klarer Stimme zu
Protokoll: "Die Uhr hat mir heute vormittag der Trödler Aaron Wassertrum -
geschenkt."
Ein wieherndes Gelächter brach los, und ich sah, wie der KlumpfuŸ und
der Filzpantoffel mitsammen einen Freudentanz unter dem Schreibtisch
aufführten.
Qual
Die Hände gefesselt, hinter mir ein Gendarm mit aufgepflanztem
Bajonett, muŸte ich durch die abendlich beleuchteten StraŸen gehen.
Gassenjungen zogen in Scharen johlend links und rechts mit, Weiber
rissen die Fenster auf, drohten mit Kochlöffeln herunter und schimpften
hinter mir drein.
Schon von weitem sah ich den massigen Steinwürfel des Gerichtsgebäudes
mit der Inschrift auf dem Giebel herannahen:
"Die strafende Gerechtigkeit ist die Beschirmung aller Braven."
Dann nahm mich ein riesiges Tor auf und ein Flurzimmer, in dem es nach
Küche stank.
Ein vollbärtiger Mann mit Säbel, Beamtenrock und -mütze, barfuŸ und die
Beine in langen, um die Knöchel zusammengebundenen Unterhosen, stand auf,
stellte die Kaffeemühle, die er zwischen den Knien hielt, weg und befahl
mir, mich auszuziehen.
Dann visitierte er meine Taschen, nahm alles heraus, was er darin fand,
und fragte mich, ob ich - Wanzen hätte.
Als ich verneinte, zog er mir die Ringe von den Fingern und sagte, es
sei gut, ich könnte mich wieder ankleiden.
Man führte mich mehrere Stockwerke hinauf und durch Gänge, in de