en weitabgewandten Mann der Wissenschaft hinaus, und wenn einmal
auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt so mit halben
Worten hin, daYA sein Vater noch aus dem Getto stamme, - sich aus den
niedrigsten Anfdngen heraus unter Kummer aller Art und unsdglichen Sorgen
empor ans Licht habe arbeiten m'ssen.
Ja! Unter Kummer und Sorgen!
Unter wessen Kummer und unsdglichen Sorgen aber und mit welchen
Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt!
Ich aber weiYA, was es mit dem Getto f'r eine Bewandtnis hat!" Charousek
faYAte meinen Arm und sch'ttelte ihn heftig.
"Meister Pernath, ich bin so arm, daYA ich es selbst kaum mehr begreife;
ich muYA halbnackt gehen wie ein Vagabund, sehen Sie her, und ich bin doch
Student der Medizin, - bin doch ein gebildeter Mensch!"
Er riYA seinen Xberzieher auf und ich sah zu meinem Entsetzen, daYA er
weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel 'ber der nackten Haut trug.
"Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmdchtigen,
angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte, - und noch heute ahnt keiner, daYA
ich, ich der eigentliche Urheber war.
Man meint in der Stadt, ein gewisser Dr. Savioli sei es gewesen, der
seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben
hat. - Dr. Savioli war nichts als mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein
habe den Plan erdacht und das Material zusammengetragen, habe die Beweise
geliefert und leise und unmerklich Stein um Stein in dem Gebdude Dr.
Wassorys gelockert, bis der Zustand erreicht war, wo kein Geld der Erde,
keine List des Gettos mehr vermocht hdtten, den Zusammenbruch, zu dem es nur
noch eines unmerklichen AnstoYAes bedurfte, abzuwenden.
Wissen Sie, so - so wie man Schach spielt.
Gerade so wie man Schach spielt.
Und niemand weiYA, daYA ich es war!
Den Trcdler Aaron Wassertrum, den ldYAt wohl manchmal eine furchtbare
Ahnung nicht schlafen, daYA einer, den er nicht kennt, der immer in seiner
Ndhe ist und den er doch nicht fassen kann, - ein anderer als Dr. Savioli -
die Hand im Spiele gehabt haben m'sse.
Wiewohl Wassertrum einer von jenen ist, deren Augen durch Mauern zu
schauen vermcgen, so faYAt er es doch nicht, daYA es Gehirne gibt, die
auszurechnen imstande sind, wie man mit langen, unsichtbaren, vergifteten
Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen
vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen."
Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild.
"Aaron Wassertrum wird es bald erfahren; genau an dem Tage, an dem er
Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage!
Auch diese Schachpartie habe ich ausgerechnet bis zum letzten Zug. -
Diesmal wird es ein Kcnigsldufergambit sein. Da gibt es keinen einzigen Zug
bis zum bittern Ende, gegen den ich nicht eine verderbliche Entgegnung
w'YAte.
Wer sich mit mir in ein solches Kcnigsldufergambit einldYAt, der hdngt
in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen Fdden, -
an Fdden, die ich zupfe, - hcren Sie wohl, die ich zupfe, und mit dessen
freiem Willen ist's dahin."
Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht.
"Was haben Ihnen Wassertrum und sein Sohn denn getan, daYA Sie so voll
HaYA sind?"
Charousek wehrte heftig ab:
"Lassen wir das - fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen
hat! - Oder w'nschen Sie, daYA wir ein andres Mal dar'ber sprechen? - Der
Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?"
Er senkte seine Stimme, wie jemand, der plctzlich ganz ruhig wird. Ich
sch'ttelte den Kopf.
"Haben Sie jemals gehcrt, wie man heutzutage den gr'nen Star heilt? -
Nicht? - So muYA ich Ihnen das deutlich machen, damit Sie alles genau
verstehen, Meister Pernath!
Hcren Sie zu: Der ›gr'ne Star‹ also ist eine bcsartige Erkrankung des
Augeninnern, die mit Erblinden endet, und es gibt nur ein Mittel, dem
Fortschreiten des Xbels Einhalt zu tun, ndmlich die sogenannte Iridektomie,
die darin besteht, daYA man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilfcrmiges
St'ckchen herauszwickt.
Die unvermeidlichen Folgen davon sind wohl greuliche
Blendungserscheinungen, die f'rs ganze Leben bleiben; der ProzeYA des
Erblindens jedoch ist meistens aufgehalten.
Mit der Diagnose des gr'nen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis.
Es gibt ndmlich Zeiten, besonders bei Beginn der Krankheit, wo die
deutlichsten Symptome scheinbar ganz zur'cktreten, und in solchen Fdllen
darf ein Arzt, obwohl er keine Spur einer Krankheit finden kann, dennoch
niemals mit Bestimmtheit sagen, daYA sein Vorgdnger, der andrer Meinung
gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben m'sse.
Hat aber einmal die erwdhnte Iridektomie, die sich nat'rlich genauso an
einem gesunden Auge wie an einem kranken ausf'hren ldYAt, stattgefunden, so
kann man unmcglich mehr feststellen, ob fr'her wirklich gr'ner Star
vorgelegen hat oder nicht.
Und auf diese und noch andere Umstdnde hatte Dr. Wassory einen
scheuYAlichen Plan aufgebaut.
Unzdhlige Male - besonders an Frauen - konstatierte er gr'nen Star, wo
harmlose Sehstcrungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm
keine M'he machte und viel Geld eintrug.
Da endlich hatte er vollkommen Wehrlose in der Hand; da gehcrte zum
Auspl'ndern auch keine Spur von Mut mehr!
Sehen Sie, Meister Pernath, da war das degenerierte Raubtier in jene
Lebensbedingungen versetzt, wo es auch ohne Waffe und Kraft seine Opfer
zerfleischen konnte.
Ohne etwas aufs Spiel zu setzen! - Begreifen Sie?! Ohne das geringste
wagen zu m'ssen!
Durch eine Menge fauler Vercffentlichungen in Fachbldttern hatte sich
Dr. Wassory in den Ruf eines hervorragenden Spezialisten zu setzen
verstanden und sogar seinen Kollegen, die viel zu arglos und anstdndig
waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewuYAt.
Ein Strom von Patienten, die alle bei ihm Hilfe suchten, war die
nat'rliche Folge.
Kam nun jemand mit geringf'gigen Sehstcrungen zu ihm und lieYA sich
untersuchen, so ging Dr. Wassory sofort mit t'ckischer PlanmdYAigkeit zu
Werke.
Zuerst stellte er das 'bliche Krankenverhcr an, notierte aber geschickt
immer nur, um f'r alle Fdlle gedeckt zu sein, jene Antworten, die eine
Deutung auf gr'nen Star zulieYAen.
Und vorsichtig sondierte er, ob nicht schon eine fr'here Diagnose
vorldge.
Gesprdchsweise lieYA er einflieYAen, daYA ein dringender Ruf aus dem
Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher MaYAnahmen an ihn ergangen sei
und er daher schon morgen verreisen m'sse. -
Bei der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die er sodann
vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie mcglich.
Alles mit Vorbedacht! Alles mit Vorbedacht!
Wenn das Verhcr vor'ber und die 'bliche bange Frage des Patienten, ob
Grund zur Bef'rchtung vorhanden sei, erfolgt war, da tat Wassory seinen
ersten Schachzug.
Er setzte sich dem Kranken gegen'ber, lieYA eine Minute verstreichen und
sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz:
"Erblindung beider Augen ist bereits in der allerndchsten Zeit wohl
unvermeidlich!"
Die Szene, die naturgemdYA folgte, war entsetzlich.
Oft fielen die Leute in Ohnmacht, weinten und schrien und warfen sich
in wilder Verzweiflung zu Boden.
Das Augenlicht verlieren, heiYAt alles verlieren.
Und wenn der wiederum 'bliche Moment eintrat, wo das arme Opfer die
Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob es denn auf Gottes Erde gar
keine Hilfe mehr gdbe, da tat die Bestie den zweiten Schachzug und
verwandelte sich selbst in jenen - Gott, der helfen konnte!
Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! -
Schleunigste Operation, sagte Dr. Wassory dann nachdenklich, sei das
einzige, was vielleicht Rettung bringen kcnne, und mit einer wilden,
gierigen Eitelkeit, die plctzlich 'ber ihn kam, erging er sich mit einem
Redeschwall in weitschweifigem Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle
mit dem vorliegenden eine ungemein groYAe Dhnlichkeit gehabt hdtten, - wie
unzdhlige Kranke ihm allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten und
dergleichen mehr.
Er schwelgte fcrmlich in dem Gef'hl, f'r eine Art hcheren Wesens
gehalten zu werden, in dessen Hdnde das Wohl und Wehe seines Mitmenschen
gelegt ist.
Das hilflose Opfer aber saYA, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen
vor ihm, AngstschweiYA auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede
zu fallen, aus Furcht: ihn - den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte -
zu erz'rnen.
Und mit den Worten, daYA er zur Operation leider erst in einigen Monaten
schreiten kcnne, wenn er von seiner Reise wieder zur'ck sei, schloYA Dr.
Wassory seine Rede.
Hoffentlich - man solle in solchen Fdllen immer das Beste hoffen - sei
es dann nicht zu spdt, sagte er.
Nat'rlich sprangen dann die Kranken entsetzt auf, erkldrten, daYA sie
unter gar keinen Umstdnden auch nur einen Tag ldnger warten wollten, und
baten flehentlich um Rat, wer von den andern Augendrzten in der Stadt sonst
wohl als Operateur in Betracht kommen kcnnte.
Da war der Augenblick gekommen, wo Dr. Wassory den entscheidenden
Schlag f'hrte.
Er ging in tiefem Nachdenken auf und ab, legte seine Stirn in Falten
des Grams und lispelte schlieYAlich bek'mmert, ein Eingriff seitens eines
andern Arztes bedinge leider eine abermalige Bespiegelung des Auges mit
elektrischem Licht, und das m'sse - der Patient wisse ja selbst, wie
schmerzhaft es sei - wegen der blendenden Strahlen geradezu verhdngnisvoll
wirken.
Ein andrer Arzt also, ganz abgesehen davon, daYA so manchem von ihnen
gerade in der Iridektomie die nctige Xbung fehle - d'rfe, eben weil er
wiederum von neuem untersuchen m'sse, gar nicht vor Ablauf ldngerer Zeit,
bis sich die Sehnerven wieder erholt hdtten, zu einem chirurgischen Eingriff
schreiten."
Charousek ballte die Fduste.
"Das nennen wir in der Schachsprache ›Zugzwang‹, lieber Meister
Pernath! - - Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, - ein erzwungener Zug
nach dem andern.
Halb wahnsinnig vor Verzweiflung beschwor nun der Patient den Dr.
Wassory, er mcge doch Erbarmen haben, einen Tag nur seine Abreise
verschieben und die Operation selber vornehmen. - Es handle sich doch um
mehr als um schnellen Tod, die grauenhafte, folternde Angst, jeden
Augenblick erblinden zu m'ssen, sei ja das Schrecklichste, was es geben
kcnne.
Und je mehr das Scheusal sich strdubte und jammerte: ein Aufschub
seiner Reise kcnne ihm unabsehbaren Schaden bringen, desto hchere Summen
boten freiwillig die Kranken.
Schien schlieYAlich die Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er nach und
f'gte bereits am selben Tage, ehe noch ein Zufall seinen Plan aufdecken
konnte, den Bedauernswerten an beiden gesunden Augen jenen unheilbaren
Schaden zu, jenes immerwdhrende Gef'hl des Geblendetseins, das das Leben zu
stetiger Qual gestalten muYAte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein f'r
allemal verwischte.
Durch solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht
nur seinen Ruhm und seinen Ruf als unvergleichlicher Arzt, dem es noch
jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, - es befriedigte
gleichzeitig seine maYAlose Geldgier und frcnte seiner Eitelkeit, wenn die
ahnungslosen, an Kcrper und Vermcgen geschddigten Opfer zu ihm wie zu einem
Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.
Nur ein Mensch, der mit allen Fasern im Getto und seinen zahllosen,
unscheinbaren, jedoch un'berwindlichen Hilfsquellen wurzelte und von
Kindheit an gelernt hat, auf der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden
Menschen in der Stadt kannte und bis ins kleinste seine Beziehungen und
Vermcgensverhdltnisse erriet und durchschaute, - nur ein solcher -
"Halbhellseher" mcchte man es beinahe nennen, - konnte jahrelang derartige
ScheuYAlichkeiten ver'ben.
Und wdre ich nicht gewesen, bis heute triebe er sein Handwerk noch,
w'rde es bis ins hohe Alter weiterbetrieben haben, um schlieYAlich als
ehrw'rdiger Patriarch im Kreise seiner Lieben, angetan mit hohen Ehren,
k'nftigen Geschlechtern ein leuchtendes Vorbild, seinen Lebensabend zu
genieYAen, bis - bis endlich auch 'ber ihn das groYAe Verrecken hinweggezogen
wdre.
Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener
Atmosphdre hcllischer List gesdttigt, und so vermochte ich ihn zu Fall zu
bringen, - so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, - wie aus
heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.
Dr. Savioli, ein junger deutscher Arzt, hat das Verdienst der
Entlarvung, - ihn schob ich vor und hdufte Beweis auf Beweis, bis der Tag
anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.
Da beging die Bestie Selbstmord! - Gesegnet sei die Stunde!
Als hdtte mein Doppelgdnger neben ihm gestanden und ihm die Hand
gef'hrt, nahm er sich das Leben mit jener Phiole Amylnitrit, die ich
absichtlich in seinem Ordinationszimmer bei der Gelegenheit hatte
stehenlassen, als ich selbst ihn einmal verleitet, auch an mir die falsche
Diagnose des gr'nen Stars zu stellen, - absichtlich und mit dem gl'henden
Wunsche, daYA es dieses Amylnitrit sein mcchte, das ihm den letzten StoYA
geben sollte.
Der Gehirnschlag hdtte ihn getroffen, hieYA es in der Stadt.
Amylnitrit tctet, eingeatmet, wie Gehirnschlag. Aber lange konnte das
Ger'cht nicht aufrechterhalten werden."
Charousek starrte plctzlich geistesabwesend, als habe er sich in ein
tiefes Problem verloren, vor sich hin, dann zuckte er mit der Achsel nach
der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trcdlerladen lag.
"Jetzt ist er allein," murmelte er, "ganz allein mit seiner Gier und -
und - und mit der Wachspuppe!"
Mir schlug das Herz bis zum Hals.
Ich sah Charousek voll Entsetzen an.
War er wahnsinnig? Es muYAten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge
erfinden lieYAen.
GewiYA, gewiYA! Er hat alles erfunden, getrdumt!
Es kann nicht wahr sein, was er da 'ber den Augenarzt Grauenhaftes
erzdhlt hat. Er ist schwinds'chtig, und die Fieber des Todes kreisen in
seinem Hirn.
Und ich wollte ihn mit ein paar scherzenden Worten beruhigen, seine
Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.
Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung
das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein
Zimmer mit runden Fischaugen durch die aufgerissene T'r hereingeschaut
hatte.
Dr. Savioli! Dr. Savioli! - ja, ja, so war auch der Name des jungen
Mannes gewesen, den mir der Marionettenspieler Zwakh fl'sternd anvertraut
als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.
Dr. Savioli! - Wie ein Schrei tauchte es in meinem Innern auf. Eine
Reihe nebelhafter Bilder zuckte durch meinen Geist, jagte sich mit
schreckhaften Vermutungen, die auf mich einst'rmten.
Ich wollte Charousek fragen, ihm voll Angst rasch alles erzdhlen, was
ich damals erlebt, da sah ich, daYA ein heftiger Hustenanfall sich seiner
bemdchtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie
er sich m'hsam mit den Hdnden an der Mauer st'tzend in den Regen
hinaustappte und mir einen fl'chtigen GruYA zunickte.
Ja, ja, er hat recht, er sprach nicht im Fieber, - f'hlte ich, - das
unfaYAbare Gespenst des Verbrechens ist es, das durch diese Gassen schleicht
Tag und Nacht und sich zu verkcrpern sucht.
Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. Plctzlich schldgt es sich
nieder in einer Menschenseele, - wir ahnen es nicht, - da, dort, und ehe wir
es fassen kcnnen, ist es gestaltlos geworden und alles ldngst vor'ber.
Und nur noch dunkle Worte 'ber irgendein entsetzliches Geschehnis
kommen an uns heran.
Mit einem Schlage begriff ich diese rdtselhaften Geschcpfe, die rings
um mich wohnten, in ihrem innersten Wesen: sie treiben willenlos durchs
Dasein von einem unsichtbaren magnetischen Strom belebt - - so, wie vorhin
das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vor'berschwamm.
Mir war, als starrten die Hduser alle mit t'ckischen Gesichtern voll
namenloser Bosheit auf mich her'ber, - die Tore: aufgerissene schwarze
Mduler, aus denen die Zungen ausgefault waren, - Rachen, die jeden
Augenblick einen gellenden Schrei ausstoYAen konnten, so gellend und
haYAerf'llt, daYA es uns bis ins Innerste erschrecken m'YAte.
Was hatte zum SchluYA noch der Student 'ber den Trcdler gesagt? - Ich
fl'sterte mir seine Worte vor: - Aaron Wassertrum sei jetzt allein mit
seiner Gier und - - seiner Wachspuppe.
Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?
Es muYA ein Gleichnis gewesen sein, beschwichtigte ich mich, - eines
jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen zu 'berfallen pflegt, die
man nicht versteht, und die einen, wenn sie spdter unerwartet sichtbar
werden, so tieferschrecken kcnnen wie die Dinge von ungewohnter Form, auf
die plctzlich ein greller Lichtstreif fdllt.
Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck,
den mir Charouseks Erzdhlung verursacht hatte, abzusch'tteln.
Ich sah die Leute genauer an, die mit mir in dem Hausflur warteten:
Neben mir stand jetzt der dicke Alte. Derselbe, der vorhin so widerlich
gelacht hatte.
Er hatte einen schwarzen Gehrock an und Handschuhe und starrte mit
vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegen'ber.
Sein glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Z'gen zuckte vor
Erregung.
Unwillk'rlich folgte ich seinen Blicken und bemerkte, daYA sie wie
gebannt an der rothaarigen Rosina hingen, die dr'ben jenseits der Gasse
stand, ihr immerwdhrendes Ldcheln um die Lippen.
Der Alte war bem'ht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, daYA sie es wohl
wuYAte, aber sich benahm, als verst'nde sie nicht.
Endlich hielt es der Alte nicht ldnger aus, watete auf den FuYAspitzen
hin'ber und h'pfte mit ldcherlicher Elastizitdt wie ein groYAer schwarzer
Gummiball 'ber die Pf'tzen.
Man schien ihn zu kennen, denn ich hcrte allerhand Glossen fallen, die
darauf hinzielten. Ein Strolch hinter mir, ein rotes, gestricktes Tuch um
den Hals, mit blauer Militdrm'tze, die Virginia hinter dem Ohr, machte mit
grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand.
Ich begriff nur, daYA sie den Alten in der Judenstadt den "Freimaurer"
nannten und in ihrer Sprache mit diesem Spitznamen jemand bezeichnen
wollten, der sich an halbw'chsigen Mddchen zu vergehen pflegt, aber durch
intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. - - -
Dann waren das Gesicht Rosinas und der Alte dr'ben im Dunkel des
Hausflures verschwunden.
Punsch
Wir hatten das Fenster gecffnet, um den Tabakrauch aus meinem kleinen
Zimmer strcmen zu lassen.
Der kalte Nachtwind blies herein und wehte an die zottigen Mdntel, die
an der T're hingen, daYA sie leise hin und her schwankten.
"Prokops w'rdige Haupteszierde mcchte am liebsten davonfliegen", sagte
Zwakh und deutete auf des Musikers groYAen Schlapphut, der die breite Krempe
bewegte wie schwarze Fl'gel.
Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern.
"Er will," sagte er, "er will wahrscheinlich - - -"
"Er will zum ›Loisitschek‹ zur Tanzmusik", nahm ihm Vrieslander das
Wort vorweg.
Prokop lachte und schlug mit der Hand den Takt zu den Kldngen, die die
d'nne Winterluft her 'ber die Ddcher trug.
Dann nahm er meine alte, zerbrochene Gitarre von der Wand, tat, als
zupfe er die zerbrochenen Saiten und sang mit kreischendem Falsett und
gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied:
"An Bein-del von Ei-sen
recht alt
"An Stran-zen net gar
a so kalt
"Messinung, a' Rducherl
und Rohn
"und immerrr nurr putz-en - - -
"Wie groYAartig er mit einem Mal die Gaunersprache beherrscht!" und
Vrieslander lachte laut auf und brummte mit:
"Und stok-en sich Aufzug
und Pfiff
"Und schmallern an eisernes
G's'ff.
"Juch, -
"Und Handschuhkren, Harom net san - -
"Dieses kuriose Lied schnarrt jeden Abend beim ›Loisitschek‹ der
meschuggene Nephtali Schaffranek mit dem gr'nen Augenschirm, und ein
geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grclt den Text dazu", erkldrte
mir Zwakh. "Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen, Meister
Pernath. Spdter vielleicht, wenn wir mit dem Punsch zu Ende sind, - was
meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?"
"Ja, ja, kommen Sie nachher mit uns", sagte Prokop und klinkte das
Fenster zu, - "man muYA so etwas gesehen haben."
Dann tranken wir den heiYAen Punsch und hingen unsern Gedanken nach.
Vrieslander schnitzte an einer Marionette.
"Sie haben uns fcrmlich von der AuYAenwelt abgeschnitten, Josua,"
unterbrach Zwakh die Stille, "seit Sie das Fenster geschlossen haben, hat
niemand mehr ein Wort gesprochen."
"Ich dachte nur dar'ber nach, als vorhin die Mdntel so flogen, wie
seltsam es ist, wenn der Wind leblose Dinge bewegt," antwortete Prokop
schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: "Es sieht gar
so wunderlich aus, wenn Gegenstdnde plctzlich zu flattern anheben, die sonst
immer tot daliegen. Nicht? - Ich sah einmal auf einem menschenleeren Platz
zu, wie groYAe Papierfetzen, - ohne daYA ich vom Winde etwas sp'rte, denn ich
stand durch ein Haus gedeckt, - in toller Wut im Kreise herumjagten und
einander verfolgten, als hdtten sie sich den Tod geschworen. Einen
Augenblick spdter schienen sie sich beruhigt zu haben, aber plctzlich kam
wieder eine wahnwitzige Erbitterung 'ber sie, und in sinnlosem Grimm rasten
sie umher, drdngten sich in einen Winkel zusammen, um von neuem besessen
auseinander zu stieben und schlieYAlich hinter einer Ecke zu verschwinden.
Nur eine dicke Zeitung konnte nicht mitkommen; sie blieb auf dem
Pflaster liegen und klappte haYAerf'llt auf und zu, als sei ihr der Atem
ausgegangen und als schnappe sie nach Luft.
Ein dunkler Verdacht stieg damals in mir auf: was, wenn am Ende wir
Lebewesen auch so etwas Dhnliches wdren wie solche Papierfetzen? - Ob nicht
vielleicht ein unsichtbarer, unbegreiflicher "Wind" auch uns hin und her
treibt und unsre Handlungen bestimmt, wdhrend wir in unserer Einfalt glauben
unter eigenem, freiem Willen zu stehen?
Wie, wenn das Leben in uns nichts anderes wdre als ein rdtselhafter
Wirbelwind? Jener Wind, von dem die Bibel sagt: WeiYAt du, von wannen er
kommt und wohin er geht? - - - Trdumen wir nicht auch zuweilen, wir griffen
in tiefes Wasser und fingen silberne Fische, und nichts anderes ist
geschehen, als daYA ein kalter Luftzug unsere Hdnde traf?"
"Prokop, Sie sprechen in Worten wie Pernath, was ist's mit Ihnen?"
sagte Zwakh und sah den Musiker miYAtrauisch an.
"Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erzdhlt wurde, - schade, daYA
Sie so spdt kamen und sie nicht mit anhcrten, - hat ihn so nachdenklich
gestimmt", meinte Vrieslander.
"Eine Geschichte von einem Buche?"
"Eigentlich von einem Menschen, der ein Buch brachte und seltsam
aussah. - Pernath weiYA nicht, wie er heiYAt, wo er wohnt, was er wollte, und
obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen sein soll, lasse es sich doch
nicht recht schildern."
Zwakh horchte auf.
*"Das ist sehr merkw'rdig," sagte er nach einer Pause, "war der Fremde
vielleicht bartlos, und hatte er schrdgstehende Augen?"
"Ich glaube," antwortete ich, "das heiYAt, ich - ich - weiYA es ganz
bestimmt. Kennen Sie ihn denn?"
Der Marionettenspieler sch'ttelte den Kopf. "Er erinnerte mich nur an
den ›Golem‹."
Der Maler Vrieslander lieYA sein Schnitzmesser sinken:
"Golem? - Ich habe schon so viel davon reden hcren. Wissen Sie etwas
'ber den Golem, Zwakh?"
"Wer kann sagen, daYA er 'ber den Golem etwas wisse?", antwortete Zwakh
und zuckte die Achseln. "Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines
Tages in den Gassen ein Ereignis vollzieht, das ihn plctzlich wieder
aufleben ldYAt. Und eine Zeitlang spricht dann jeder von ihm, und die
Ger'chte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so 'bertrieben und aufgebauscht,
daYA sie schlieYAlich an der eigenen Unglaubw'rdigkeit zugrunde gehen. Der
Ursprung der Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zur'ck, sagt
man. Nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner da
einen k'nstlichen Menschen - den sogenannten Golem - verfertigt haben, damit
er ihm als Diener helfe die Glocken in der Synagoge lduten, und allerhand
grobe Arbeit tue.
Es sei aber doch kein richtiger Mensch daraus geworden und nur ein
dumpfes, halbbewuYAtes Vegetieren habe ihn belebt. Wie es heiYAt, auch das nur
tags'ber und kraft des Einflusses eines magischen Zettels, der ihm hinter
den Zdhnen stak und die freien siderischen Krdfte des Weltalls herabzog.
Und als eines Abends vor dem Nachtgebet der Rabbiner das Siegel aus dem
Munde des Golem zu nehmen versdumt, da wdre dieser in Tobsucht verfallen, in
der Dunkelheit durch die Gassen gerast und hdtte zerschlagen, was ihm in den
Weg gekommen.
Bis der Rabbi sich ihm entgegengeworfen und den Zettel vernichtet habe.
Und da sei das Geschcpf leblos niedergest'rzt. Nichts blieb von ihm
'brig als die zwerghafte Lehmfigur, die heute noch dr'ben in der
Altneusynagoge gezeigt wird."
"Derselbe Rabbiner soll einmal auch zum Kaiser auf die Burg berufen
worden sein und die Schemen der Toten beschworen und sichtbar gemacht
haben," warf Prokop ein, "moderne Forscher behaupten, er habe sich dazu
einer Laterna magica bedient."
"Jawohl, keine Erkldrung ist abgeschmackt genug, daYA sie bei den
Heutigen nicht Beifall fdnde," fuhr Zwakh unbeirrt fort. - "Eine Laterna
magica!! Als ob Kaiser Rudolf, der sein ganzes Leben solchen Dingen
nachging, einen so plumpen Schwindel nicht auf den ersten Blick hdtte
durchschauen m'ssen!
Ich kann freilich nicht wissen, worauf sich die Golemsage zur'ckf'hren
ldYAt, daYA aber irgend etwas, was nicht sterben kann, in diesem Stadtviertel
sein Wesen treibt und damit zusammenhdngt, dessen bin ich sicher. Von
Geschlecht zu Geschlecht haben meine Vorfahren hier gewohnt, und niemand
kann wohl auf mehr erlebte und ererbte Erinnerungen an das periodische
Auftauchen des Golem zur'ckblicken als gerade ich!"
Zwakh hatte plctzlich aufgehcrt zu reden, und man f'hlte mit ihm, wie
seine Gedanken in vergangene Zeiten zur'ckwanderten.
Wie er, den Kopf aufgest'tzt, dort am Tische saYA und beim Scheine der
Lampe seine roten, jugendlichen Bdckchen fremdartig von dem weiYAen Haar
abstachen, verglich ich unwillk'rlich im Geiste seine Z'ge mit den
maskenhaften Gesichtern seiner Marionetten, die er mir so oft gezeigt.
Seltsam, wie dhnlich ihnen der alte Mann doch sah!
Derselbe Ausdruck und derselbe Gesichtsschnitt!
Manche Dinge der Erde kcnnen nicht loskommen voneinander, f'hlte ich,
und wie ich Zwakhs einfaches Schicksal an mir vor'berziehen lieYA, da schien
es mir mit einemmal gespenstisch und ungeheuerlich, daYA ein Mensch wie er,
obschon er eine bessere Erziehung als seine Vorfahren genossen hatte und
Schauspieler hdtte werden sollen, plctzlich wieder zu dem schdbigen
Marionettenkasten zur'ckkehren konnte, um nun abermals auf die Jahrmdrkte zu
ziehen und dieselben Puppen, die schon seiner Vorvdter k'mmerliches
Erwerbsmittel gewesen, von neuem ihre ungelenken Verbeugungen machen und
schldfrigen Erlebnisse vorf'hren zu lassen.
Er vermag es nicht, sich von ihnen zu trennen, begriff ich; sie leben
mit von seinem Leben, und als er fern von ihnen war, da haben sie sich in
Gedanken verwandelt, haben in seinem Hirn gewohnt und ihn rast- und ruhelos
gemacht, bis er wieder heimkehrte. Darum hdlt er sie jetzt so liebevoll und
kleidet sie stolz in Flitter.
"Zwakh, wollen Sie uns nicht weitererzdhlen?" forderte Prokop den Alten
auf und sah fragend nach Vrieslander und mir hin, ob auch wir gleichen
Wunsches seien.
"Ich weiYA nicht, wo ich anfangen soll," meinte der Alte zcgernd, "die
Geschichte mit dem Golem ldYAt sich schwer fassen. So wie Pernath vorhin
sagte: er wisse genau, wie jener Unbekannte ausgesehen habe, und doch kcnne
er ihn nicht schildern. Ungefdhr alle dreiunddreiYAig Jahre wiederholt sich
ein Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich
trdgt und dennoch ein Entsetzen verbreitet, f'r das weder eine Erkldrung
noch eine Rechtfertigung ausreicht:
Immer wieder begibt es sich ndmlich, daYA ein vollkommen fremder Mensch,
bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus, aus der Richtung
der Altschulgasse her, in altmodische, verschossene Kleider geh'llt,
gleichmdYAigen und eigent'mlich stolpernden Ganges, so, als wolle er jeden
Augenblick vorn'ber fallen, durch die Judenstadt schreitet und plctzlich -
unsichtbar wird.
Gewchnlich biegt er in eine Gasse und ist dann verschwunden.
Ein andermal heiYAt es, er habe auf seinem Wege einen Kreis beschrieben
und sei zu dem Punkte zur'ckgekehrt, von dem er ausgegangen: einem uralten
Hause in der Ndhe der Synagoge.
Einige Aufgeregte wiederum behaupten, sie hdtten ihn um eine Ecke auf
sich zukommen sehen. Wiewohl er ihnen aber ganz deutlich
entgegengeschritten, sei er dennoch, genau wie jemand, dessen Gestalt sich
in weiter Ferne verliert, immer kleiner und kleiner geworden und -
schlieYAlich ganz verschwunden.
Vor Sechsundsechzig Jahren nun muYA der Eindruck, den er hervorgebracht,
besonders tief gegangen sein, denn ich erinnere mich - ich war noch ein ganz
kleiner Junge -, daYA man das Gebdude in der Altschulgasse damals von oben
bis unten durchsuchte.
Es wurde auch festgestellt, daYA wirklich in diesem Hause ein Zimmer mit
Gitterfenster vorhanden ist, zu dem es keinen Zugang gibt.
Aus allen Fenstern hatte man Wdsche gehdngt, um von der Gasse aus einen
Augenschein zu gewinnen, und war auf diese Weise der Tatsache auf die Spur
gekommen.
Da es anders nicht zu erreichen gewesen, hatte sich ein Mann an einem
Strick vom Dache herabgelassen, um hineinzusehen. Kaum aber war er in die
Ndhe des Fensters gelangt, da riYA das Seil, und der Ungl'ckliche
zerschmetterte sich auf dem Pflaster den Schddel. Und als spdter der Versuch
nochmals wiederholt werden sollte, gingen die Ansichten 'ber die Lage des
Fensters derart auseinander, daYA man davon abstand.
Ich selber begegnete dem ›Golem‹ das erste Mal in meinem Leben vor
ungefdhr dreiunddreiYAig Jahren.
Er kam in einem sogenannten Durchhause auf mich zu, und wir rannten
fast aneinander.
Es ist mir heute noch unbegreiflich, was damals in mir vorgegangen sein
muYA. Man trdgt doch um Gottes willen nicht immerwdhrend, tagaus tagein die
Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen.
In jenem Augenblick aber, bestimmt - ganz bestimmt, noch ehe ich seiner
ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der Golem! Und im
selben Moment stolperte jemand aus dem Dunkel des Torflures hervor, und
jener Unbekannte ging an mir vor'ber. Eine Sekunde spdter drang eine Flut
bleicher, aufgeregter Gesichter mir entgegen, die mich mit Fragen
best'rmten, ob ich ihn gesehen hdtte.
Und als ich antwortete, da f'hlte ich, daYA sich meine Zunge wie aus
einem Krampfe lcste, von dem ich vorher nichts gesp'rt hatte.
Ich war fcrmlich 'berrascht, daYA ich mich bewegen konnte, und deutlich
kam mir zum BewuYAtsein, daYA ich mich, wenn auch nur den Bruchteil eines
Herzschlags lang - in einer Art Starrkrampf befunden haben muYAte.
Xber all das habe ich oft und lange nachgedacht, und mich d'nkt, ich
komme der Wahrheit am ndchsten, wenn ich sage: Immer einmal in der Zeit
eines Menschenalters geht blitzschnell eine geistige Epidemie durch die
Judenstadt, befdllt die Seelen der Lebenden zu irgendeinem Zweck, der uns
verh'llt bleibt, und ldYAt wie eine Luftspiegelung die Umrisse eines
charakteristischen Wesens erstehen, das vielleicht vorjahrhunderten hier
gelebt hat und nach Form und Gestaltung d'rstet.
Vielleicht ist es mitten unter uns, Stunde f'r Stunde, und wir nehmen
es nicht wahr. Hcren wir doch auch den Ton einer schwirrenden Stimmgabel
nicht, bevor sie das Holz ber'hrt und es mitschwingen macht.
Vielleicht ist es nur so etwas wie ein seelisches Kunstwerk, ohne
innewohnendes BewuYAtsein, - ein Kunstwerk, das entsteht, wie ein Kristall
nach stets sich gleichbleibendem Gesetz aus dem Gestaltlosen herauswdchst.
Wer weiYA das?
Wie in schw'len Tagen die elektrische Spannung sich bis zur
Unertrdglichkeit steigert und endlich den Blitz gebiert, kcnnte es da nicht
sein, daYA auch auf die stetige Anhdufung jener niemals wechselnden Gedanken,
die hier im Getto die Luft vergiften, eine plctzliche, ruckweise Entladung
folgen muYA? - eine seelische Explosion, die unser TraumbewuYAtsein ans
Tageslicht peitscht, um - dort den Blitz der Natur - hier ein Gespenst zu
schaffen, das in Mienen, Gang und Gehaben, in allem und jedem das Symbol der
Massenseele unfehlbar offenbaren m'YAte, wenn man die geheime Sprache der
Formen nur richtig zu deuten verst'nde?
Und wie mancherlei Erscheinungen das Einschlagen des Blitzes ank'nden,
so verraten auch hier gewisse grauenhafte Vorzeichen das drohende
Hereinbrechen jenes Phantoms ins Reich der Tat. Der abbldtternde Bewurf
einer alten Mauer nimmt eine Gestalt an, die einem schreitenden Menschen
gleicht; und in Eisblumen am Fenster bilden sich Z'ge starrer Gesichter. Der
Sand vom Dache scheint anders zu fallen als sonst und drdngt dem
argwchnischen Beobachter den Verdacht auf, eine unsichtbare Intelligenz, die
sich lichtscheu verborgen hdlt, werfe ihn herab und 'be sich in heimlichen
Versuchen, allerlei seltsame Umrisse hervorzubringen. - Ruht das Auge auf
eintcnigem Geflecht oder den Unebenheiten der Haut, bemdchtigt sich unser
die unerfreuliche Gabe, 'berall mahnende, bedeutsame Formen zu sehen, die in
unsern Trdumen ins RiesengroYAe auswachsen. Und immer zieht sich durch solche
schemenhaften Versuche der angesammelten Gedankenherden, die Wdlle der
Alltdglichkeit zu durchnagen, f'r uns wie ein roter Faden die qualvolle
GewiYAheit, daYA unser eigenstes Inneres mit Vorbedacht und gegen unsern
Willen ausgesogen wird, nur damit die Gestalt des Phantoms plastisch werden
kcnne.
Wie ich nun vorhin Pernath bestdtigen hcrte, daYA ihm ein Mensch
begegnet sei, bartlos, mit schiefgestellten Augen, da stand der "Golem" vor
mir, wie ich ihn damals gesehen.
Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir.
Und eine gewisse dumpfe Furcht, es stehe wieder etwas Unerkldrliches
nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon
einmal in meinen Kinderjahren versp'rt, als die ersten spukhaften DuYAerungen
des Golem ihre Schatten vorauswarfen.
Sechsundsechzig Jahre ist das wohl jetzt her und kn'pft sich an einen
Abend, an dem der Brdutigam meiner Schwester zu Besuch gekommen war, und in
der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte.
Es wurde damals Blei gegossen - zum Scherz - und ich stand mit offenem
Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, - in meiner wirren,
kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem
ich meinen GroYAvater oft hatte erzdhlen hcren, und bildete mir ein, jeden
Augenblick m'sse die T'r aufgehen und der Unbekannte eintreten.
Meine Schwester leerte dann den Lcffel mit dem fl'ssigen Metall in das
Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an.
Mit welken, zitternden Hdnden holte mein GroYAvater den blitzenden
Bleiklumpen heraus und hielt ihn ans Licht. Gleich darauf entstand eine
allgemeine Erregung. Man redete laut durcheinander; ich wollte mich
hinzudrdngen, aber man wehrte mich ab.
Spdter, als ich dlter geworden, erzdhlte mir mein Vater, es wdre damals
das geschmolzene Metall zu einem kleinen, ganz deutlichen Kopf erstarrt
gewesen, - glatt und rund, wie nach einer Form gegossen, und von
unheimlicher Dhnlichkeit mit den Z'gen des "Golem", daYA sich alle entsetzt
hdtten.
Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah Hillel, der die Requisiten
der Altneusynagoge in Verwahrung hat und auch die gewisse Lehmfigur aus
Kaiser Rudolfs Zeiten, dar'ber. Er hat sich mit Kabbala befaYAt und meint,
jener Erdklumpen mit den menschlichen GliedmaYAen sei vielleicht nichts
anderes als ein ehemaliges Vorzeichen, ganz so wie in meinem Fall der
bleierne Kopf. Und der Unbekannte, der da umgehe, m'sse das Phantasie- oder
Gedankenbild sein, das jener mittelalterliche Rabbiner zuerst lebendig
gedacht habe, ehe er es mit Materie bekleiden konnte, und das nun in
regelmdYAigen Zeitabschnitten, bei den gleichen astrologischen
Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden - wiederkehre, vom Triebe
nach stofflichem Leben gequdlt.
Auch Hillels verstorbene Frau hatte den "Golem" von Angesicht zu
Angesicht erblickt und ebenso wie ich gef'hlt, daYA man sich im Starrkrampf
befindet, solange das rdtselhafte Wesen in der Ndhe weilt.
Sie sagte, sie sei felsenfest 'berzeugt gewesen, daYA es damals nur ihre
eigene Seele habe sein kcnnen, die - aus dem Kcrper getreten - ihr einen
Augenblick gegen'bergestanden und mit den Z'gen eines fremden Geschcpfes ins
Gesicht gestarrt hdtte.
Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bemdchtigt, habe
sie doch keine Sekunde die GewiYAheit verlassen, daYA jener andere nur ein
St'ck ihres eignen Innern sein konnte." -
"Es ist unglaublich", murmelte Prokop in Gedanken verloren.
Auch der Maler Vrieslander schien ganz in Gr'beln versunken.
Da klopfte es an die T're und das alte Weib, das mir des Abends Wasser
bringt und was ich sonst noch nctig habe, trat ein, stellte den tcnernen
Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus.
Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber
noch lange Zeit sprach niemand ein Wort.
Als sei ein neuer EinfluYA mit der Alten zur T'r hereingeschl'pft, an
den man sich erst gewchnen muYAte.
"Ja! Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht
loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht",
sagte plctzlich Zwakh ganz unvermittelt. "Dieses erstarrte, grinsende
Ldcheln kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die GroYAmutter,
dann die Mutter! - Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe
Name Rosina; - es ist immer eine die Auferstehung der andern."
"Ist Rosina nicht die Tochter des Trcdlers Aaron Wassertrum?" fragte
ich.
"Man spricht so", meinte Zwakh, - - "Aaron Wassertrum aber hat manchen
Sohn und manche Tochter, von denen man nicht weiYA. Auch bei Rosinas Mutter
wuYAte man nicht, wer ihr Vater gewesen, - auch nicht, was aus ihr geworden
ist. - Mit f'nfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren und war seitdem nicht
mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen, soweit ich
mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde.
Wie jetzt ihre Tochter, spukte damals sie den halbw'chsigen Jungen im
Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, - ich sehe ihn cfter, - doch sein Name ist
mir entfallen. Die andern sind bald gestorben, und ich meine, sie hat sie