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     Gustav Majrink. Golem. Na nemeckom yazyke).
     Data sozdanie proizvedeniya: 1915 g.
     Pechatnyj istochnik: Gustav Meyrink. Der Golem, Leipzig, 1916
     OCR, Spellcheck: Serge Winitzki
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         Leipzig
         Kurt Wolff Verlag
         1916
         Vierter Abdruck. Dezember 1915
         Copyright 1915 by Kurt Wolff Verlag Leipzig
         Kapitelverzeichnis
     Schlaf
     Tag
     I
     Prag
     Punsch
     Nacht
     Wach
     Schnee
     Spuk
     Licht
     Not
     Angst
     Trieb
     Weib
     List
     Qual
     Mai
     Mond
     Frei
     SchluYA
         Schlaf
     Das Mondlicht  fdllt  auf das  FuYAende meines Bettes und liegt dort wie
ein groYAer, heller, flacher Stein.
     Wenn der  Vollmond in seiner Gestalt  zu schrumpfen  beginnt  und seine
rechte Seite  fdngt an  zu verfallen,  -  wie  ein  Gesicht,  das dem  Alter
entgegengeht,  zuerst  an  einer  Wange  Falten  zeigt und abmagert,  - dann
bemdchtigt  sich meiner um solche  Zeit des  Nachts  eine  tr'be,  qualvolle
Unruhe.
     Ich schlafe nicht und wache nicht, und im  Halbtraum vermischt  sich in
meiner   Seele  Erlebtes  mit   Gelesenem   und  Gehcrtem,  wie  Strcme  von
verschiedener Farbe und Klarheit zusammenflieYAen.
     Ich  hatte  'ber  das Leben  des  Buddha  Gotama gelesen, ehe ich  mich
niedergelegt, und in tausend Spielarten zog der Satz immer wieder  von vorne
beginnend durch meinen Sinn:
     "Eine Krdhe flog zu einem Stein hin, der wie ein St'ck Fett aussah, und
dachte: vielleicht ist  hier etwas Wohlschmeckendes. Da nun die  Krdhe  dort
nichts  Wohlschmeckendes  fand, flog sie fort. Wie die Krdhe,  die sich  dem
Stein gendhert, so verlassen wir - wir, die Versucher, - den Asketen Gotama,
da wir den Gefallen an ihm verloren haben."
     Und  das Bild von dem Stein, der  aussah wie ein St'ck Fett, wdchst ins
Ungeheuerliche in meinem Hirn:
     Ich schreite durch ein ausgetrocknetes FluYAbett  und hebe glatte Kiesel
auf.
     Graublaue mit eingesprengtem glitzerndem Staub, 'ber die ich nachgr'ble
und nachgr'ble  und doch mit  ihnen nichts anzufangen weiYA, -  dann schwarze
mit  schwefelgelben Flecken wie  die steingewordenen Versuche  eines Kindes,
plumpe, gesprenkelte Molche nachzubilden.
     Und  ich will sie weit  von mir werfen, diese Kiesel, doch immer fallen
sie mir  aus der Hand, und ich kann sie aus dem Bereich  meiner Augen  nicht
bannen.
     Alle jene Steine, die je in meinem  Leben eine Rolle  gespielt, tauchen
auf rings um mich her.
     Manche  qudlen sich  schwerfdllig  ab,  sich  aus dem  Sande  ans Licht
emporzuarbeiten  -  wie groYAe  schieferfarbene Taschenkrebse, wenn  die Flut
zur'ckkommt, - und als wollten sie alles daransetzen, meine Blicke auf  sich
zu lenken, um mir Dinge von unendlicher Wichtigkeit zu sagen.
     Andere - erschcpft - fallen kraftlos zur'ck in ihre Lccher und geben es
auf, je zu Worte zu kommen.
     Zuweilen  fahre ich empor aus dem Ddmmer  dieser halben Trdume und sehe
f'r einen  Augenblick  wiederum  den Mondschein  auf dem gebauschten FuYAende
meiner Decke liegen wie  einen  groYAen, hellen, flachen  Stein, um blind von
neuem hinter meinem schwindenden BewuYAtsein  herzutappen, ruhelos nach jenem
Stein suchend,  der mich qudlt - der  irgendwo verborgen  im  Schutte meiner
Erinnerung liegen muYA und aussieht wie ein St'ck Fett.
     Eine Regenrchre muYA einst neben ihm auf  der  Erde gem'ndet haben, male
ich mir aus - stumpfwinklig abgebogen, die Rdnder von Rost zerfressen, - und
trotzig  will  ich  mir  im  Geiste  ein  solches Bild  erzwingen, um  meine
aufgescheuchten Gedanken zu bel'gen und in Schlaf zu lullen.
     Es gelingt mir nicht.
     Immer  wieder und immer  wieder mit alberner  Beharrlichkeit  behauptet
eine   eigensinnige   Stimme  in  meinem  Innern   -   unerm'dlich  wie  ein
Fensterladen,  den  der  Wind in regelmdYAigen  Zwischenrdumen an  die  Mauer
schlagen ldYAt: es sei das ganz anders, das sei gar nicht der Stein, der  wie
Fett aussehe.
     Und es ist von der Stimme nicht loszukommen.
     Wenn ich hundertmal einwende, alles das sei doch ganz nebensdchlich, so
schweigt  sie  wohl eine kleine Weile, wacht aber dann unvermerkt wieder auf
und beginnt  hartndckig von neuem: gut, gut, schon  recht, es ist  aber doch
nicht der Stein, der wie ein St'ck Fett aussieht. -
     Langsam beginnt sich meiner ein unertrdgliches Gef'hl von Hilflosigkeit
zu bemdchtigen.
     Wie es weiter gekommen ist, weiYA  ich  nicht. Habe ich freiwillig jeden
Widerstand aufgegeben, oder haben sie mich  'berwdltigt und geknebelt, meine
Gedanken?
     Ich weiYA nur, mein Kcrper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind
losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden. -
     Wer ist  jetzt  "ich", will ich plctzlich fragen;  da besinne ich mich,
daYA  ich doch  kein  Organ mehr besitze, mit dem ich Fragen stellen  kcnnte;
dann f'rchte ich, die dumme Stimme werde  wieder aufwachen und von neuem das
endlose Verhcr 'ber den Stein und das Fett beginnen.
     Und so wende ich mich ab.

     Da  stand ich  plctzlich in  einem d'steren  Hofe  und  sah durch einen
rctlichen Torbogen  gegen'ber - jenseits  der  engen,  schmutzigen  StraYAe -
einen j'dischen Trcdler an einem Gewclbe lehnen, das an den Mauerrdndern mit
altem Eisenger'mpel, zerbrochenen  Werkzeugen,  verrosteten  Steigb'geln und
Schlittschuhen und vielerlei anderen abgestorbenen Sachen behangen war.
     Und  dieses  Bild trug  das qudlend Eintcnige  an sich,  das  alle jene
Eindr'cke  kennzeichnet,  die  tagtdglich so und so oft  wie  Hausierer  die
Schwelle unserer Wahrnehmung  'berschreiten, und rief in mir weder Neugierde
noch Xberraschung hervor.
     Ich wurde mir bewuYAt, daYA ich schon seit langer Zeit in dieser Umgebung
zu Hause war.
     Auch  diese Empfindung hinterlieYA mir trotz ihres  Gegensatzes zu  dem,
was ich doch  vor  kurzem  noch wahrgenommen und  wie ich  hierher  gelangt,
keinerlei tieferen Eindruck. - -
     Ich muYA einmal von einem sonderbaren Vergleich zwischen einem Stein und
einem  St'ck Fett gehcrt  oder gelesen haben, drdngte sich mir plctzlich der
Einfall auf, als  ich die ausgetretenen  Stufen zu  meiner Kammer emporstieg
und mir 'ber  das  speckige Aussehen  der  Steinschwellen fl'chtige Gedanken
machte.
     Da hcrte ich Schritte die oberen Treppen 'ber mir vorauslaufen, und als
ich zu meiner  T'r  kam, sah  ich,  daYA  es die  vierzehnjdhrige, rothaarige
Rosina des Trcdlers Aaron Wassertrum gewesen war.
     Ich muYAte dicht an ihr vorbei,  und sie stand mit dem R'cken gegen  das
Stiegengeldnder und bog sich l'stern zur'ck.
     Ihre  schmutzigen Hdnde hatte sie um die Eisenstange gelegt, - zum Halt
-  und ich sah, wie ihre nackten Unterarme bleich aus dem tr'ben  Halbdunkel
hervorleuchteten.
     Ich wich ihren Blicken aus.
     Mich ekelte  vor ihrem  zudringlichen  Ldcheln  und  diesem  wdchsernen
Schaukelpferdgesicht.
     Sie  muYA  schwammiges,  weiYAes Fleisch haben  wie der Axolotl, den  ich
vorhin im Salamanderkdfig bei dem Vogelhdndler gesehen habe, f'hlte ich.
     Die Wimpern Rothaariger sind mir widerwdrtig wie die eines Kaninchens.
     Und ich sperrte auf und schlug rasch die T'r hinter mir zu. - -
     Von meinem  Fenster  aus  konnte ich den Trcdler Aaron  Wassertrum  vor
seinem Gewclbe stehen sehen.
     Er lehnte  am  Eingang  der  dunklen  Wclbung  und  zwickte  mit  einer
BeiYAzange an seinen Fingerndgeln herum.
     War  die  rothaarige Rosina  seine Tochter  oder seine Nichte? Er hatte
keine Dhnlichkeit mit ihr.
     Unter  den Judengesichtern,  die ich Tag  f'r  Tag  in der HahnpaYAgasse
auftauchen sehe,  kann ich  deutlich verschiedene Stdmme unterscheiden,  die
sich  so  wenig  durch  die  nahe Verwandtschaft  der  einzelnen  Individuen
verwischen lassen, wie sich cl und Wasser vermengen wird. Da darf man  nicht
sagen: die dort sind Br'der oder Vater und Sohn.
     Der gehcrt zu  jenem Stamm und dieser  zu einem andern,  das ist alles,
was sich aus den Gesichtsz'gen lesen ldYAt.
     Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem Trcdler dhnlich sdhe!
     Diese Stdmme hegen  einen heimlichen Ekel und  Abscheu voreinander, der
sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft  durchbricht,  - aber  sie
verstehen  ihn  geheimzuhalten vor der AuYAenwelt, wie  man  ein gefdhrliches
Geheimnis h'tet.
     Kein  einziges ldYAt ihn  durchblicken,  und  in dieser  Xbereinstimmung
gleichen  sie haYAerf'llten Blinden, die  sich  an ein schmutzgetrdnktes Seil
klammern: der eine mit beiden Fdusten, ein anderer nur widerwillig mit einem
Finger, alle aber von abergldubischer Furcht besessen, daYA sie dem Untergang
verfallen m'ssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von  den
'brigen trennen.
     Rosina ist von jenem Stamme, dessen  rothaariger Typus noch abstoYAender
ist, als der der andern. Dessen Mdnner engbr'stig sind und lange H'hnerhdlse
haben mit vorstehendem Adamsapfel.
     Alles scheint an ihnen sommersprossig, und ihr  ganzes Leben leiden sie
unter  br'nstigen Qualen,  diese Mdnner, - und kdmpfen  heimlich  gegen ihre
Gel'ste  einen  ununterbrochenen,  erfolglosen  Kampf,  von   immerwdhrender
widerlicher Angst um ihre Gesundheit gefoltert.
     Ich   war   mir   nicht   klar,   wieso   ich   Rosina   'berhaupt   in
verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Trcdler Wassertrum bringen konnte.
     Nie habe  ich sie doch in der Ndhe des Alten gesehen  oder bemerkt, daYA
sie jemals einander etwas zugerufen hdtten.
     Auch  war sie  fast  immer in unserem  Hofe  oder dr'ckte sich  in  den
dunklen Winkeln und Gdngen unseres Hauses umher.
     Sicherlich  halten sie alle  meine Mitbewohner f'r  eine nahe Verwandte
oder zumindest Schutzbefohlene des Trcdlers, und doch bin ich 'berzeugt, daYA
kein einziger einen Grund f'r solche Vermutungen anzugeben vermcchte.
     Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreiYAen und sah von  dem offenen
Fenster meiner Stube hinab auf die HahnpaYAgasse.
     Als  habe  Aaron Wassertrum meinen Blick  gef'hlt, wandte er  plctzlich
sein Gesicht zu mir empor.
     Sein  starres, grdYAliches  Gesicht  mit  den runden Fischaugen  und der
klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist.
     Wie eine menschliche Spinne kam er  mir  vor, die die feinste Ber'hrung
ihres Netzes sp'rt, so teilnahmslos sie sich auch stellt.
     Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben?
     Ich wuYAte es nicht.
     An  den  Mauerrdndern seines Gewclbes hdngen unverdndert  Tag f'r  Tag,
jahraus jahrein dieselben toten wertlosen Dinge.
     Mit geschlossenen  Augen  hdtte  ich  sie hinzeichnen kcnnen:  hier die
verbogene  Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt,
mit  den  so  sonderbar  zusammengestellten  Soldaten.  Dann  eine  Girlande
verrosteter  Sporen  an  einem  schimmligen  Lederriemen  und  anderes  halb
vermodertes Ger'mpel.
     Und  vorne  auf  dem  Boden,  dicht nebeneinander  geschichtet, so  daYA
niemand  die  Schwelle  des Gewclbes 'berschreiten kann,  eine Reihe  runder
eiserner Herdplatten. -
     Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier
und da einmal ein Vor'bergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen
oder andern, geriet der Trcdler in heftige Erregung.
     In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte
empor  und  sprudelte  gereizt   irgend  etwas  Unverstdndliches  in   einem
gurgelnden, stolpernden BaYA hervor, daYA dem Kdufer die Lust weiter zu fragen
verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte.
     Der Blick  des  Aaron  Wassertrum war  blitzschnell  von  meinen  Augen
abgeglitten und  ruhte jetzt mit  gespanntem Interesse an den kahlen Mauern,
die vom Nebenhause an mein Fenster stoYAen.
     Was konnte er dort nur sehen?
     Das Haus steht doch mit dem R'cken  gegen  die  HahnpaYAgasse, und seine
Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die StraYAe gekehrt.
     Zufdllig schienen die Rdume, die nebenan in derselben Stockhche wie die
meinigen liegen - ich  glaube, sie gehcren zu  einem winkligen Atelier -  in
diesem  Moment betreten  worden zu sein,  denn  durch  die Mauern hcrte  ich
plctzlich eine mdnnliche und eine weibliche Stimme miteinander reden.
     Unmcglich konnte das aber der Trcdler von unten aus wahrgenommen haben!
- -
     Vor  meiner  T'r bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch
Rosina,  die drauYAen im  Dunkeln steht in begehrlichem Warten,  daYA ich  sie
doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle.
     Und  unten, ein halbes  Stockwerk  tiefer,  lauert  der blatternarbige,
halbw'chsige Loisa  auf  den Stiegen mit  angehaltenem Atem, ob  ich die T'r
cffnen  werde, und  ich  sp're  fcrmlich den  Hauch seines Hasses und  seine
schdumende Eifersucht bis herauf zu mir.
     Er f'rchtet sich ndher zu  kommen und von Rosina bemerkt zu werden.  Er
weiYA  sich von ihr  abhdngig  wie  ein hungriger Wolf  von seinem Wdrter und
mcchte doch am liebsten  aufspringen und besinnungslos seiner Wut  die Z'gel
schieYAen lassen! - - -
     Ich  setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten  und
Stichel hervor.
     Aber ich konnte  nichts fertigbringen und  meine  Hand war  nicht ruhig
genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern.
     Das  tr'be, d'stere Leben, das an diesem Hause  hdngt, ldYAt mein  Gem't
nicht stillwerden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf.
     Loisa  und sein Zwillingsbruder Jaromir  sind wohl kaum ein  Jahr dlter
als Rosina.
     An ihren Vater, der Hostienbdcker  gewesen,  konnte  ich mich kaum mehr
erinnern, und jetzt sorgt f'r sie, glaube ich, ein altes Weib.
     Ich  wuYAte nur nicht, welche es  war unter den vielen, die versteckt im
Hause wohnen wie Krcten in ihrem Schlupfwinkel.
     Sie  sorgt  f'r  die  beiden  Jungen,  das  heiYAt:  sie  gewdhrt  ihnen
Unterkunft; daf'r m'ssen sie ihr  abliefern,  was  sie gelegentlich  stehlen
oder erbetteln. -
     Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich  konnte  es mir nicht denken,
denn erst spdt abends kommt die Alte heim.
     Leichenwdscherin soll sie sein.
     Loisa, Jaromir und  Rosina  sah ich, als  sie  noch Kinder  waren,  oft
harmlos im Hof zu dritt spielen.
     Die Zeit aber ist lang vorbei.
     Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen Judenmddel her.
     Zuweilen sucht er sie lange  umsonst, und  wenn er  sie nirgends finden
kann,  dann schleicht  er  sich  vor  meine T'r  und  wartet  mit verzerrtem
Gesicht, daYA sie heimlich hierher komme.
     Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste drauYAen in
dem winkligen Gange lauern,  den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend
vorgebeugt.
     Manchmal bricht dann durch die Stille plctzlich ein wilder Ldrm.
     Jaromir,  der  taubstumm   ist,   und   dessen   ganzes   Denken   eine
ununterbrochene wahnsinnige Gier nach  Rosina erf'llt,  irrt wie  ein wildes
Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes heulendes Gebell,  das er, vor
Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstcYAt, klingt so schauerlich, daYA
einem das Blut in den Adern stockt.
     Er sucht die beiden, die er stets  beieinander vermutet -  irgendwo  in
einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel  versteckt - in blinder Raserei,
immer  von dem  Gedanken gepeitscht,  seinem  Bruder  auf den Fersen sein zu
m'ssen, daYA nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nicht wisse.
     Und gerade  diese unaufhcrliche Qual  des Kr'ppels ist, ahnte  ich, das
Reizmittel,  das  Rosina  antreibt,  sich  stets  von neuem mit  dem  andern
einzulassen.
     Wird  ihre  Neigung oder Bereitwilligkeit  schwdcher,  so ersinnt Loisa
immer  wieder  besondere  ScheuYAlichkeiten, um Rosinas  Gier  von  neuem  zu
entfachen.
     Da lassen sie sich scheinbar oder wirklich von dem Taubstummen ertappen
und locken den Rasenden heimt'ckisch hinter sich her in dunkle Gdnge, wo sie
aus  rostigen FaYAreifen, die in die Hche  schnellen, wenn man auf sie tritt,
und eisernen Rechen  - mit den Spitzen nach oben  gekehrt - bcsartige Fallen
errichtet haben, in die er st'rzen muYA und sich blutig fdllt.
     Von  Zeit  zu  Zeit  denkt  sich  Rosina, um  die Folter  aufs duYAerste
anzuspannen, auf eigene Faust etwas Hcllisches aus.
     Dann dndert sie mit einem Schlage  ihr Benehmen zu Jaromir und tut, als
fdnde sie plctzlich Gefallen an ihm.
     Mit ihrer ewig ldchelnden Miene teilt sie dem Kr'ppel hastig Dinge mit,
die ihn  in eine fast irrsinnige  Erregung  versetzen, und sie hat sich dazu
eine   geheimnisvoll   scheinende,  nur   halbverstdndliche   Zeichensprache
ersonnen,  die  den Taubstummen rettungslos  in ein unentwirrbares Netz  von
UngewiYAheit und verzehrenden Hoffnungen verstricken muYA. -
     Einmal  sah ich ihn im  Hofe  vor  ihr stehen,  und sie  sprach mit  so
heftigen Lippenbewegungen und Gestikulationen  auf ihn ein, daYA ich glaubte,
jeden Augenblick w'rde er in wilder Aufregung zusammenbrechen.
     Der SchweiYA lief  ihm  'bers Gesicht vor 'bermenschlicher  Anstrengung,
den Sinn der absichtlich so unklaren, hastigen Mitteilungen zu erfassen.
     Und den ganzen folgenden Tag lauerte er dann fiebernd in  Erwartung auf
den finsteren Stiegen eines  halb versunkenen Hauses, das in der Fortsetzung
der engen, schmutzigen HahnpaYAgasse liegt, - bis er die Zeit versdumt hatte,
sich an den Ecken ein paar Kreuzer zu erbetteln.
     Und als er spdt  abends halbtot vor Hunger und Aufregung  heim  wollte,
hatte ihn die Pflegemutter ldngst ausgesperrt. - - -
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     Ein frchliches Frauenlachen drang aus dem anstoYAenden Atelier durch die
Mauern her'ber zu mir.
     Ein Lachen! - In diesen Hdusern ein frchliches Lachen?  Im ganzen Getto
wohnt niemand, der frchlich lachen kcnnte.
     Da fiel mir ein, daYA mir vor einigen Tagen  der alte Marionettenspieler
Zwakh  anvertraute, ein junger,  vornehmer Herr hdtte ihm  das Atelier teuer
abgemietet  - offenbar,  um  mit der  Erwdhlten  seines  Herzens unbelauscht
zusammenkommen zu kcnnen.
     Nach  und  nach, jede Nacht, m'YAten nun,  damit niemand im Hause  etwas
merke,  die  kostbaren  Mcbel des neuen  Mieters  heimlich  St'ck  f'r St'ck
hinaufgeschafft werden.
     Der gutm'tige Alte hatte sich vor Vergn'gen die Hdnde gerieben,  als er
es  mir erzdhlte,  und sich kindlich  gefreut,  wie  er  alles so  geschickt
angefangen habe:  keiner der  Mitbewohner kcnne auch nur eine Ahnung von dem
romantischen Liebespaar haben.
     Und von drei Hdusern aus  sei es mcglich, unauffdllig in das Atelier zu
gelangen. - Sogar durch eine Fallt're gdbe es einen Zugang!
     Ja, wenn man die eiserne  T'r des Bodenraumes aufklinke, - und das  sei
von  dr'ben aus sehr  leicht, - kcnne man  an  meiner Kammer, vorbei zu  den
Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang ben'tzen ...
     Wieder  klingt  das  frchliche  Lachen  her'ber und  ldYAt  in  mir  die
undeutliche Erinnerung an  eine luxuricse Wohnung und an eine adlige Familie
auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren Altert'mern kleine
Ausbesserungen vorzunehmen. -
     Plctzlich  hcre  ich   nebenan  einen  gellenden  Schrei.   Ich  horche
erschreckt.
     Die eiserne Bodent'r  klirrt heftig, und  im ndchsten Augenblick st'rzt
eine Dame in mein Zimmer.
     Mit aufgelcstem Haar, weiYA wie  die Wand,  einen  goldenen  Brokatstoff
'ber die bloYAen Schultern geworfen.
     "Meister  Pernath,  verbergen Sie mich, - um  Gottes Christi willen!  -
fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!"
     Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine T'r abermals aufgerissen und
sofort wieder zugeschlagen. -
     Eine Sekunde lang hatte  das Gesicht des Trcdlers Aaron  Wassertrum wie
eine scheuYAliche Maske hereingegrinst. -
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     Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor  mir auf,  und  im  Schein des
Mondlichtes erkenne ich wiederum das  FuYAende meines Bettes. Noch liegt  der
Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel und der Name  Pernath steht
in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung.
     Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? - Athanasius Pernath?
     Ich glaube, ich glaube vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo
meinen  Hut verwechselt, und ich wunderte  mich damals, daYA  er mir so genau
passe, wo ich doch eine hcchst eigent'mliche Kopfform habe.
     Und ich sah  in den fremden  Hut hinein -  damals und - - ja,  ja, dort
hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weiYAen Futter:
     ATHANASIUS PERNATH.
     Ich hatte mich  vor dem Hut  gescheut und gef'rchtet,  ich  wuYAte nicht
warum.
     Da fdhrt plctzlich  die  Stimme, die ich vergessen hatte, und die immer
von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie  Fett  ausgesehen habe, auf
mich los, gleich einem Pfeil.
     Schnell male ich mir  das  scharfe, s'YAlich grinsende  Profil der roten
Rosina aus, und es  gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der
sich sogleich in der Finsternis verliert.
     Ja,  das  Gesicht  der  Rosina!  Das  ist  doch  noch stdrker  als  die
stumpfsinnige  plappernde  Stimme;  und gar,  wo ich jetzt gleich  wieder in
meinem Zimmer in  der HahnpaYAgasse geborgen  sein werde, kann ich ganz ruhig
sein.

     Wenn  ich  mich  nicht getduscht habe in der Empfindung, daYA  jemand in
einem gewissen,  gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt,
in der Absicht, mich zu  besuchen, so  muYA er jetzt ungefdhr auf dem letzten
Stiegenabsatz stehen.
     Jetzt  biegt er um  die Ecke,  wo  der Archivar Schemajah Hillel  seine
Wohnung  hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen  auf den Flur des
oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist.
     Nun tastet er sich an der  Wand entlang,  und jetzt, gerade jetzt,  muYA
er, m'hsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem T'rschild lesen.
     Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und  blickte zum
Eingang.
     Da cffnete sich die T're, und er trat ein.
     Nur wenige Schritte  machte er  auf mich  zu und nahm weder den Hut ab,
noch sagte er ein Wort der Begr'YAung.
     So benimmt er sich, wenn  er zu Hause ist, f'hlte ich,  und ich fand es
ganz selbstverstdndlich, daYA er so und nicht anders handelte.
     Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus.
     Dann bldtterte er lange drin herum.
     Der Umschlag des  Buches war  aus Metall, und die Vertiefungen  in Form
von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgef'llt.
     Endlich  hatte  er  die Stelle  gefunden,  die er  suchte, und  deutete
darauf.
     Das Kapitel hieYA "Ibbur", "die Seelenschwdngerung", entzifferte ich.
     Das groYAe, in Gold und Rot ausgef'hrte Initial "I" nahm fast die Hdlfte
der  ganzen Seite ein,  die ich  unwillk'rlich  'berflog, und  war am  Rande
verletzt.
     Ich sollte es ausbessern.
     Das Initial war nicht  auf das Pergament geklebt, wie ich es  bisher in
alten  B'chern gesehen,  schien  vielmehr aus zwei  Platten d'nnen Goldes zu
bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelctet waren und mit den Enden um die
Rdnder des Pergaments griffen.
     Also muYAte,  wo der Buchstabe stand, ein Loch in  das Blatt geschnitten
sein?
     Wenn  das der Fall war, muYAte  auf der ndchsten Seite  das "I" verkehrt
stehen?
     Ich bldtterte um und fand meine Annahme bestdtigt.
     Unwillk'rlich las ich auch diese Seite durch und die gegen'berliegende.
     Und ich las weiter und weiter.
     Das Buch sprach  zu mir, wie  der Traum  spricht,  klarer  nur und viel
deutlicher. Und es r'hrte mein Herz an wie eine Frage.
     Worte strcmten aus einem unsichtbaren  Munde, wurden lebendig und kamen
auf mich zu. Sie  drehten sich und  wandten sich vor mir wie  buntgekleidete
Sklavinnen,  sanken dann in den  Boden  oder verschwanden  wie  schillernder
Dunst in  der  Luft und gaben der ndchsten  Raum.  Jede  hoffte eine  kleine
Weile, daYA  ich sie  erwdhlen  w'rde  und  auf  den  Anblick  der  Kommenden
verzichten.
     Manche  waren unter  ihnen, die gingen  prunkend einher  wie Pfauen, in
schimmernden Gewdndern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen.
     Manche  wie  Kcniginnen,  doch gealtert  und  verlebt,  die  Augenlider
gefdrbt, -  mit  dirnenhaftem Zug um den Mund  und die Runzeln mit hdYAlicher
Schminke verdeckt.
     Ich sah an ihnen vorbei und  nach den  kommenden, und mein  Blick glitt
'ber  lange   Z'ge  grauer  Gestalten  mit  Gesichtern,  so  gewchnlich  und
ausdrucksarm, daYA es unmcglich schien, sie dem Geddchtnis einzuprdgen.
     Dann  brachten  sie  ein  Weib  geschleppt, das war  splitternackt  und
riesenhaft wie ein ErzkoloYA.
     Eine Sekunde blieb das Weib  vor mir stehen und beugte  sich  nieder zu
mir.
     Ihre Wimpern waren  so lang wie  mein  ganzer Kcrper,  und sie  deutete
stumm auf den Puls ihrer linken Hand.
     Der  schlug wie ein  Erdbeben, und ich f'hlte, es war  das Leben  einer
ganzen Welt in ihr.
     Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran.
     Ein Mann und  ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen,
und immer ndher brauste der Zug.
     Jetzt hcrte  ich den hallenden Gesang der Verz'ckten dicht vor mir, und
meine Augen suchten das verschlungene Paar.
     Das aber hatte sich verwandelt  in  eine einzige Gestalt und  saYA, halb
mdnnlich,  halb  weiblich,  -  ein  Hermaphrodit  -  auf  einem  Throne  von
Perlmutter.
     Und die Krone des Hermaphroditen  endete in einem Brett aus rotem Holz;
darein hatte der Wurm der Zerstcrung geheimnisvolle Runen genagt.
     In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner,
blinder Schafe: die  Futtertiere,  die der  gigantische  Zwitter  in  seinem
Gefolge f'hrte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten.
     Zuweilen waren unter  den  Gestalten,  die  aus  dem unsichtbaren Munde
strcmten, etliche, die kamen aus Grdbern, - T'cher vor dem Gesicht.
     Und blieben sie vor mir stehen, lieYAen sie plctzlich ihre H'llen fallen
und  starrten  mit  Raubtieraugen hungrig  auf mein Herz,  daYA  ein  eisiger
Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zur'ckstaute  wie ein Strom, in
den  Felsblccke vom Himmel herniedergefallen  sind - plctzlich und mitten in
sein Bette. -
     Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte
es ab, und sie trug einen Mantel aus flieYAenden Trdnen. -
     Maskenz'ge tanzten vor'ber, lachten und k'mmerten sich nicht um mich.
     Nur ein Pierrot  sieht sich  nachdenklich um nach mir und kehrt zur'ck.
Pflanzt sich vor mich hin  und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein
Spiegel.
     Er schneidet  so  seltsame  Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald
zcgernd,   bald  blitzschnell,  daYA  sich  meiner  ein  gespenstiger   Trieb
bemdchtigt ihn nachzuahmen, mit den  Augen zu zwinkern,  mit den  Achseln zu
zucken und die Mundwinkel zu verziehen.
     Da stoYAen ihn  ungeduldig  nachdrdngende Gestalten  zur Seite, die alle
vor meine Blicke wollen.
     Doch keines der Wesen hat Bestand.
     Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen
Tcne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Mund entstrcmen.
     Das war kein Buch mehr, das zu  mir sprach.  Das war  eine Stimme. Eine
Stimme, die etwas von mir wollte, was  ich nicht begriff; wie  sehr ich mich
auch abm'hte. Die mich qudlte mit brennenden, unverstdndlichen Fragen.
     Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und
ohne Widerhall.
     Jeder Laut, der in  der Welt der Gegenwart erklingt,  hat  viele Echos,
wie jegliches Ding einen groYAen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch
diese  Stimme  hatte  keine Echos mehr,  - lange, lange schon sind  sie wohl
verweht und verklungen. - - -
     Und bis zu Ende  hatte ich das  Buch gelesen  und  hielt es noch in den
Hdnden,  da war mir, als hdtte ich suchend in  meinem Gehirn  gebldttert und
nicht in einem Buche! - -
     Alles, was  mir  die  Stimme gesagt, hatte ich, seit  ich lebte, in mir
getragen, nur  verdeckt war es gewesen und  vergessen  und  hatte  sich  vor
meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag. -
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     Ich blickte auf.
     Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte?
     Fortgegangen!?
     Wird er es holen, wenn es fertig ist?
     Oder sollte ich es ihm bringen? -
     Aber ich konnte mich nicht erinnern, daYA er gesagt hdtte, wo er wohne.
     Ich wollte mir seine  Erscheinung  ins Geddchtnis zur'ckrufen,  doch es
miYAlang.
     Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? - Und welche
Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt?
     Nichts, gar nichts  mehr konnte ich mir vorstellen. -  Alle Bilder, die
ich  mir von  ihm  schuf,  zerrannen haltlos, noch  ehe ich  sie  im  Geiste
zusammenzusetzen vermochte.
     Ich  schloYA die  Augen  und  preYAte die Hand auf die  Lider,  um  einen
winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen.
     Nichts, nichts.
     Ich stellte  mich hin,  mitten ins Zimmer, und blickte auf die T'r, wie
ich es getan - vorhin, als er gekommen war,  und malte mir aus:  jetzt biegt
er um  die Ecke,  jetzt schreitet er 'ber den Ziegelsteinboden, liest  jetzt
drauYAen mein T'rschild "Athanasius Pernath" und jetzt tritt er herein.
     Vergebens.
     Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen,
wollte in mir erwachen.
     Ich  sah das Buch auf dem Tische liegen und w'nschte mir im Geiste  die
Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte.
     Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblcYAt gewesen,
ob jung  oder runzlig,  mit Ringen  geschm'ckt oder nicht,  konnte  ich mich
entsinnen.
     Da kam mir ein seltsamer Einfall.
     Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf.
     Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den
Gang  und die  Treppen  hinab. Dann  kam ich  langsam wieder  zur'ck in mein
Zimmer.
     Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als  ich die
T'r cffnete, da sah  ich, daYA meine Kammer voll  Ddmmerung lag.  War es denn
nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging?
     Wie lange muYAte ich  da gegr'belt haben,  daYA ich  nicht bemerkte,  wie
spdt es ist!
     Und  ich versuchte den Unbekannten  nachzuahmen in Gang und  Mienen und
konnte mich an sie doch gar nicht erinnern. -
     Wie  sollte es  mir  auch  gl'cken, ihn  nachzuahmen, wenn  ich  keinen
Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte.
     Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte.
     Meine Haut, meine  Muskeln, mein Kcrper erinnerten sich plctzlich, ohne
es dem Gehirn zu  verraten. Sie machten Bewegungen,  die ich  nicht w'nschte
und nicht beabsichtigte.
     Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehcrten!
     Mit einem  Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als  ich
ein paar Schritte im Zimmer machte.
     Das ist  der  Gang  eines  Menschen, der  bestdndig  im  Begriffe  ist,
vorn'ber zu fallen, sagte ich mir.
     Ja, ja, ja, so war sein Gang!
     Ganz deutlich wuYAte ich: so ist er.
     Ich   trug   ein   fremdes,  bartloses   Gesicht   mit  hervorstehenden
Backenknochen und schaute aus schrdgstehenden Augen.
     Ich f'hlte es und konnte mich doch nicht sehen.
     Das ist nicht mein  Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es
betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich  in die
Tasche und holte ein Buch hervor.
     Ganz so, wie er es vorhin getan hatte. -
     Da plctzlich sitze ich wieder ohne  Hut, ohne Mantel, am Tische und bin
ich. Ich, ich.
     Athanasius Pernath.
     Grausen   und  Entsetzen   sch'ttelten  mich,  mein  Herz   raste   zum
Zerspringen, und ich f'hlte: gespenstische Finger, die soeben noch in meinem
Gehirn herumgetastet, haben von mir abgelassen.
     Noch sp'rte ich im Hinterkopf die kalten Spuren ihrer Ber'hrung. -
     Nun  wuYAte ich, wie der  Fremde war, und  ich  hdtte  ihn wieder in mir
f'hlen kcnnen, - jeden Augenblick -  wenn ich  nur gewollt hdtte;  aber sein
Bild  mir vorzustellen, daYA  ich  es vor mir sehen  w'rde Auge in Auge - das
vermochte ich noch immer nicht und werde es auch nie kcnnen.
     Es ist  wie ein Negativ, eine unsichtbare Hohlform, erkannte ich, deren
Linien ich nicht erfassen kann - in die ich selber hineinschl'pfen muYA, wenn
ich mir ihrer Gestalt und ihres Ausdrucks im eigenen Ich  bewuYAt werden will
- -
     In der Schublade meines Tisches stand eine eiserne Kassette; - in diese
wollte  ich  das  Buch sperren und erst,  wenn  der  Zustand  der  geistigen
Krankheit  von mir gewichen sein w'rde, wollte ich es wieder hervorholen und
an die Ausbesserung des zerbrochenen Initialen "I" gehen.
     Und ich nahm das Buch vom Tisch.
     Da war mir, als hdtte ich es gar nicht angefaYAt; ich griff die Kassette
an: dasselbe  Gef'hl. Als m'YAte das Tastempfinden  eine lange, lange Strecke
voll tiefer Dunkelheit durchlaufen, ehe es in meinem BewuYAtsein m'ndete, als
seien  die  Dinge  durch eine jahresgroYAe  Zeitschicht  von mir entfernt und
gehcrten einer Vergangenheit an, die ldngst an mir vor'bergezogen!
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     Die Stimme,  die nach mir suchend in der Finsternis kreist, um mich mit
dem fettigen Stein zu qudlen,  ist  an mir vorbeigekommen und hat mich nicht
gesehen. Und ich weiYA, daYA sie  aus dem Reiche des Schlafes stammt. Aber was
ich erlebt, das war  wirkliches Leben, -  darum konnte sie mich  nicht sehen
und sucht vergeblich nach mir, f'hle ich.

     Neben  mir  stand der  Student Charousek,  den  Kragen  seines  d'nnen,
fadenscheinigen Xberziehers aufgeschlagen, und ich  hcrte, wie ihm vor Kdlte
die Zdhne aufeinanderschlugen.
     Er kann sich  den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen,  sagte
ich mir, und ich forderte ihn auf, mit hin'ber in meine Wohnung zu kommen.
     Er aber lehnte ab.
     "Ich danke Ihnen, Meister Pernath," murmelte er frcstelnd, "leider habe
ich nicht mehr so viel Zeit 'brig;  - ich muYA  eilends in die Stadt. -  Auch
w'rden wir bis auf die Haut naYA, wenn wir jetzt auf die Gasse treten wollten
- schon  nach wenigen  Schritten!  - -  Der Platzregen will nicht  schwdcher
werden!"
     Die  Wasserschauer  fegten  'ber  die  Ddcher hin  und  liefen  an  den
Gesichtern der Hduser herunter wie ein Trdnenstrom.
     Wenn ich  den Kopf ein wenig vorbog, konnte  ich da  dr'ben im  vierten
Stock  mein  Fenster  sehen, das, vom Regen  'berrieselt,  aussah, als seien
seine  Scheiben  aufgeweicht, -  undurchsichtig  und  hcckerig  geworden wie
Hausenblase.
     Ein  gelber  Schmutzbach floYA die Gasse herab, und  der Torbogen f'llte
sich mit  Vor'bergehenden,  die alle  das Nachlassen  des Unwetters abwarten
wollten.
     "Dort schwimmt ein  Brautbukett", sagte plctzlich Charousek und deutete
auf einen StrauYA aus welken Myrten, der in dem Schmutzwasser vorbeigetrieben
kam.
     Dar'ber lachte jemand hinter uns laut auf.
     Als ich  mich umdrehte, sah ich, daYA es  ein alter, vornehm gekleideter
Herr mit weiYAem Haar und einem aufgedunsenen,  krctenartigen Gesicht gewesen
war.
     Charousek  blickte  ebenfalls einen Augenblick zur'ck und brummte etwas
vor sich hin.
     Unangenehmes ging von dem Alten aus; - ich wandte  meine Aufmerksamkeit
von ihm ab und musterte  die miYAfarbigen Hduser, die da vor meinen Augen wie
verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinander hockten.
     Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen!
     Ohne  Xberlegung hingebaut standen  sie  da,  wie Unkraut, das aus  dem
Boden dringt.
     An  eine   niedrige,  gelbe  Steinmauer,  den  einzigen  standhaltenden
Xberrest  eines fr'heren, langgestreckten  Gebdudes, hat man sie angelehnt -
vor zwei,  drei  Jahrhunderten, wie es  eben  kam,  ohne  R'cksicht  auf die
'brigen   zu   nehmen.   Dort   ein   halbes,   schiefwinkliges   Haus   mit
zur'ckspringender Stirn; - ein andres daneben: vorstehend wie ein Eckzahn.
     Unter dem tr'ben Himmel sahen sie aus, als ldgen sie im Schlaf, und man
sp'lte nichts von dem t'ckischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen
ausstrahlt,  wenn  der Nebel der  Herbstabende in den  Gassen liegt und  ihr
leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft.
     In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck  in
mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des
Nachts  und im fr'hesten Morgengrauen  f'r  sie  gdbe,  wo  sie  erregt eine
lautlose,  geheimnisvolle  Beratung  pflegen.  Und  manchmal  fdhrt  da  ein
schwaches Beben durch  ihre Mauern, das sich  nicht erkldren ldYAt, Gerdusche
laufen 'ber  ihre Ddcher  und fallen  in den Regenrinnen  nieder, - und  wir
nehmen  sie mit stumpfen  Sinnen  achtlos hin,  ohne nach ihrer  Ursache  zu
forschen.
     Oft trdumte mir, ich hdtte diese  Hduser  belauscht in ihrem spukhaften
Treiben  und  mit angstvollem  Staunen  erfahren,  daYA  sie die  heimlichen,
eigentlichen Herren der Gasse seien, sich ihres Lebens und F'hlens entduYAern
und es wieder an sich ziehen kcnnen,  - es  tags'ber den Bewohnern, die hier
hausen,  borgen,  um  es  in   kommender  Nacht   mit  Wucherzinsen   wieder
zur'ckzufordern.
     Und lasse ich die seltsamen Menschen, die  in ihnen wohnen wie Schemen,
wie Wesen - nicht von M'ttern geboren, - die in ihrem Denken und Tun wie aus
St'cken wahllos zusammengef'gt scheinen, im Geiste an mir vor'berziehen,  so
bin ich mehr denn  je  geneigt zu glauben, daYA solche Trdume  in sich dunkle
Wahrheiten bergen, die  mir im Wachsein nur noch wie Eindr'cke  von farbigen
Mdrchen in der Seele fortglimmen.
     Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem
k'nstlichen   Menschen,   wieder   auf,  den   einst  hier  im   Getto   ein
kabbalakundiger  Rabbiner  aus   dem  Elemente  formte  und  ihn   zu  einem
gedankenlosen  automatischen  Dasein  berief,  indem  er  ihm ein  magisches
Zahlenwort hinter die Zdhne schob.
     Und wie jener Golem zu einem Lehmbild  in derselben Sekunde  erstarrte,
in der die geheime  Silbe des  Lebens  aus seinem  Munde  genommen ward,  so
m'YAten auch, d'nkt mich,  alle  diese Menschen entseelt  in einem Augenblick
zusammenfallen,    lcschte    man   irgendeinen    winzigen   Begriff,   ein
nebensdchliches Streben, vielleicht eine zwecklose Gewohnheit bei dem einen,
bei einem andern gar nur ein dumpfes Warten auf etwas gdnzlich Unbestimmtes,
Haltloses - in ihrem Hirn aus.
     Was  ist dabei f'r  ein immerwdhrendes, schreckhaftes  Lauern in diesen
Geschcpfen!
     Niemals  sieht  man sie arbeiten, diese  Menschen, und dennoch sind sie
fr'h beim ersten Leuchten  des Morgens wach und warten mit angehaltenem Atem
- wie auf ein Opfer, das doch nie kommt.
     Und hat  es wirklich  einmal den Anschein,  als  trdte jemand in  ihren
Bereich, irgendein Wehrloser, an dem sie sich bereichern kcnnten, dann fdllt
plctzlich eine ldhmende  Angst  'ber sie  her,  scheucht  sie in ihre Winkel
zur'ck und ldYAt sie von jeglichem Vorhaben zitternd abstehen.
     Niemand scheint schwach genug, daYA ihnen noch  so viel Mut bliebe, sich
seiner zu bemdchtigen.
     "Entartete,  zahnlose  Raubtiere,  von  denen die Kraft und  die  Waffe
genommen ist", sagte Charousek zcgernd und sah mich an. -
     Wie konnte er wissen, woran ich dachte? -
     So  stark  facht man zuweilen seine Gedanken an, daYA sie imstande sind,
auf  das  Gehirn  des  Nebenstehenden 'berzuspringen wie  spr'hende  Funken,
f'hlte ich.
     "- - - wovon sie nur leben mcgen?" sagte ich nach einer Weile.
     "Leben? Wovon? Mancher unter ihnen ist ein Milliondr!"
     Ich blickte Charousek an. Was konnte er damit meinen!
     Der Student aber schwieg und sah nach den Wolken.
     F'r  einen   Augenblick  hatte  das  Stimmengemurmel  in  dem  Torbogen
gestockt, und man hcrte bloYA das Zischen des Regens.
     Was er nur damit sagen will: "Mancher unter ihnen ist ein Milliondr!?"
     Wieder war es, als hdtte Charousek meine Gedanken erraten. Er wies nach
dem Trcdlerladen neben uns, an dem das Wasser den Rost des Eisenger'mpels in
flieYAenden, braunroten Pf'tzen vorbeisp'lte.
     "Aaron  Wassertrum! Er zum  Beispiel ist  Milliondr, - fast ein Drittel
der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!"
     Mir blieb  fcrmlich der  Atem im Mund  stecken. "Aaron Wassertrum!  Der
Trcdler Aaron Wassertrum Milliondr?!"
     "Oh, ich kenne ihn genau", fuhr Charousek verbissen fort, und als hdtte
er nur darauf gewartet, daYA ich ihn frage. "Ich kannte auch seinen Sohn, den
Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm  gehcrt? Von Dr. Wassory, dem - ber'hmten
- Augenarzt?  -  Vor einem Jahr noch hat  die ganze Stadt begeistert von ihm
gesprochen,  - von dem groYAen - -  Gelehrten.  Niemand wuYAte damals,  daYA er
seinen  Namen  abgelegt und  fr'her Wassertrum geheiYAen. -  Er spielte  sich
gerne auf den weitabgewandten Mann der Wissenschaft  hinaus, und wenn einmal
auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt  so  mit halben
Worten hin,  daYA  sein  Vater  noch aus dem  Getto  stamme,  - sich aus  den
niedrigsten Anfdngen  heraus unter  Kummer aller  Art und unsdglichen Sorgen
empor ans Licht habe arbeiten m'ssen.
     Ja! Unter Kummer und Sorgen!
     Unter  wessen  Kummer  und  unsdglichen  Sorgen  aber  und mit  welchen
Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt!
     Ich aber weiYA, was es mit dem Getto f'r eine Bewandtnis hat!" Charousek
faYAte meinen Arm und sch'ttelte ihn heftig.
     "Meister Pernath, ich bin so arm, daYA ich es selbst kaum mehr begreife;
ich  muYA halbnackt gehen wie ein Vagabund,  sehen Sie  her, und ich bin doch
Student der Medizin, - bin doch ein gebildeter Mensch!"
     Er riYA seinen  Xberzieher  auf und ich sah zu meinem Entsetzen, daYA  er
weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel 'ber der nackten Haut trug.
     "Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmdchtigen,
angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte,  - und noch heute  ahnt keiner, daYA
ich, ich der eigentliche Urheber war.
     Man meint in  der  Stadt, ein gewisser  Dr. Savioli sei es gewesen, der
seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben
hat. - Dr. Savioli war nichts als  mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein
habe den Plan  erdacht  und das Material  zusammengetragen, habe die Beweise
geliefert und  leise  und unmerklich  Stein  um  Stein  in dem  Gebdude  Dr.
Wassorys  gelockert, bis  der Zustand erreicht war, wo kein Geld  der  Erde,
keine List des Gettos mehr vermocht hdtten, den Zusammenbruch, zu dem es nur
noch eines unmerklichen AnstoYAes bedurfte, abzuwenden.
     Wissen Sie, so - so wie man Schach spielt.
     Gerade so wie man Schach spielt.
     Und niemand weiYA, daYA ich es war!
     Den  Trcdler Aaron Wassertrum, den ldYAt wohl manchmal  eine  furchtbare
Ahnung nicht schlafen, daYA  einer,  den er  nicht kennt, der immer in seiner
Ndhe ist  und den er doch nicht fassen kann, - ein anderer als Dr. Savioli -
die Hand im Spiele gehabt haben m'sse.
     Wiewohl  Wassertrum einer von  jenen ist, deren  Augen  durch Mauern zu
schauen  vermcgen, so  faYAt  er  es  doch nicht,  daYA  es Gehirne  gibt, die
auszurechnen imstande sind,  wie man mit  langen, unsichtbaren,  vergifteten
Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen
vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen."
     Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild.
     "Aaron Wassertrum wird es  bald  erfahren; genau an dem Tage, an dem er
Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage!
     Auch  diese Schachpartie  habe ich ausgerechnet  bis zum letzten Zug. -
Diesmal wird es ein Kcnigsldufergambit sein.  Da gibt es keinen einzigen Zug
bis  zum  bittern  Ende,  gegen den ich  nicht eine  verderbliche Entgegnung
w'YAte.
     Wer sich mit mir in ein solches Kcnigsldufergambit einldYAt,  der  hdngt
in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen Fdden, -
an Fdden,  die ich zupfe, - hcren Sie  wohl,  die ich zupfe,  und mit dessen
freiem Willen ist's dahin."
     Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht.
     "Was haben Ihnen  Wassertrum  und sein Sohn denn getan, daYA Sie so voll
HaYA sind?"
     Charousek wehrte heftig ab:
     "Lassen wir das - fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen
hat! -  Oder w'nschen  Sie, daYA  wir ein andres  Mal dar'ber sprechen? - Der
Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?"
     Er senkte seine Stimme, wie jemand,  der plctzlich ganz ruhig wird. Ich
sch'ttelte den Kopf.
     "Haben  Sie jemals  gehcrt, wie man heutzutage den gr'nen Star heilt? -
Nicht?  - So muYA  ich  Ihnen  das  deutlich  machen, damit  Sie alles  genau
verstehen, Meister Pernath!
     Hcren  Sie zu: Der ›gr'ne Star‹  also ist eine bcsartige Erkrankung des
Augeninnern,  die  mit  Erblinden  endet,  und  es gibt nur ein  Mittel, dem
Fortschreiten des Xbels Einhalt  zu tun, ndmlich die sogenannte Iridektomie,
die darin besteht, daYA man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilfcrmiges
St'ckchen herauszwickt.
     Die    unvermeidlichen    Folgen    davon    sind    wohl     greuliche
Blendungserscheinungen,  die  f'rs  ganze  Leben  bleiben;  der  ProzeYA  des
Erblindens jedoch ist meistens aufgehalten.
     Mit der Diagnose des gr'nen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis.
     Es gibt  ndmlich Zeiten,  besonders bei Beginn  der  Krankheit, wo  die
deutlichsten  Symptome  scheinbar ganz zur'cktreten, und  in  solchen Fdllen
darf  ein Arzt, obwohl er keine Spur einer  Krankheit  finden  kann, dennoch
niemals  mit Bestimmtheit  sagen, daYA  sein Vorgdnger,  der  andrer  Meinung
gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben m'sse.
     Hat aber einmal die erwdhnte Iridektomie, die sich nat'rlich genauso an
einem gesunden Auge wie an  einem  kranken ausf'hren ldYAt, stattgefunden, so
kann  man  unmcglich  mehr  feststellen,  ob  fr'her  wirklich  gr'ner  Star
vorgelegen hat oder nicht.
     Und  auf  diese  und  noch  andere  Umstdnde  hatte Dr.  Wassory  einen
scheuYAlichen Plan aufgebaut.
     Unzdhlige Male - besonders an  Frauen - konstatierte er gr'nen Star, wo
harmlose Sehstcrungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm
keine M'he machte und viel Geld eintrug.
     Da endlich  hatte er vollkommen Wehrlose in der  Hand; da  gehcrte  zum
Auspl'ndern auch keine Spur von Mut mehr!
     Sehen Sie, Meister Pernath,  da  war das degenerierte  Raubtier in jene
Lebensbedingungen  versetzt,  wo es auch  ohne Waffe  und Kraft  seine Opfer
zerfleischen konnte.
     Ohne etwas aufs Spiel  zu setzen! - Begreifen Sie?! Ohne das  geringste
wagen zu m'ssen!
     Durch eine Menge fauler  Vercffentlichungen  in Fachbldttern hatte sich
Dr.  Wassory  in  den  Ruf  eines  hervorragenden  Spezialisten  zu   setzen
verstanden und  sogar  seinen  Kollegen,  die  viel zu arglos und  anstdndig
waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewuYAt.
     Ein  Strom  von  Patienten,  die  alle bei ihm  Hilfe  suchten, war die
nat'rliche Folge.
     Kam  nun  jemand mit geringf'gigen Sehstcrungen  zu ihm und  lieYA  sich
untersuchen, so ging  Dr.  Wassory  sofort mit  t'ckischer PlanmdYAigkeit  zu
Werke.
     Zuerst stellte er das 'bliche Krankenverhcr an, notierte aber geschickt
immer nur, um f'r  alle  Fdlle gedeckt  zu  sein, jene  Antworten, die  eine
Deutung auf gr'nen Star zulieYAen.
     Und  vorsichtig  sondierte er, ob  nicht  schon  eine fr'here  Diagnose
vorldge.
     Gesprdchsweise  lieYA er  einflieYAen, daYA  ein  dringender  Ruf aus  dem
Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher MaYAnahmen an ihn  ergangen  sei
und er daher schon morgen verreisen m'sse. -
     Bei  der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die  er sodann
vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie mcglich.
     Alles mit Vorbedacht! Alles mit Vorbedacht!
     Wenn das Verhcr  vor'ber und die  'bliche bange Frage des Patienten, ob
Grund  zur Bef'rchtung vorhanden  sei,  erfolgt war,  da tat  Wassory seinen
ersten Schachzug.
     Er setzte sich dem Kranken gegen'ber, lieYA eine Minute verstreichen und
sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz:
     "Erblindung  beider Augen  ist bereits in  der allerndchsten Zeit  wohl
unvermeidlich!"
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     Die Szene, die naturgemdYA folgte, war entsetzlich.
     Oft fielen  die Leute in Ohnmacht, weinten und  schrien und warfen sich
in wilder Verzweiflung zu Boden.
     Das Augenlicht verlieren, heiYAt alles verlieren.
     Und  wenn der wiederum 'bliche  Moment eintrat,  wo  das arme Opfer die
Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob  es  denn auf Gottes  Erde  gar
keine  Hilfe  mehr  gdbe,  da  tat  die  Bestie den  zweiten  Schachzug  und
verwandelte sich selbst in jenen - Gott, der helfen konnte!
     Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! -
     Schleunigste  Operation,  sagte Dr. Wassory dann  nachdenklich, sei das
einzige,  was vielleicht  Rettung  bringen  kcnne,  und  mit  einer  wilden,
gierigen Eitelkeit, die plctzlich  'ber ihn  kam,  erging er  sich mit einem
Redeschwall  in  weitschweifigem  Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle
mit dem  vorliegenden eine ungemein groYAe  Dhnlichkeit  gehabt hdtten, - wie
unzdhlige  Kranke  ihm  allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten  und
dergleichen mehr.
     Er  schwelgte fcrmlich  in  dem  Gef'hl,  f'r  eine  Art hcheren Wesens
gehalten  zu werden,  in dessen Hdnde das Wohl  und Wehe seines  Mitmenschen
gelegt ist.
     Das hilflose Opfer aber saYA, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen
vor ihm, AngstschweiYA auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede
zu  fallen, aus Furcht: ihn -  den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte -
zu erz'rnen.
     Und mit den Worten, daYA er zur Operation leider erst in einigen Monaten
schreiten  kcnne, wenn er  von seiner  Reise wieder  zur'ck sei, schloYA  Dr.
Wassory seine Rede.
     Hoffentlich - man solle in solchen Fdllen immer das Beste hoffen  - sei
es dann nicht zu spdt, sagte er.
     Nat'rlich  sprangen dann die  Kranken entsetzt auf, erkldrten,  daYA sie
unter gar  keinen Umstdnden  auch  nur einen Tag ldnger warten  wollten, und
baten flehentlich  um Rat, wer von den andern Augendrzten in der Stadt sonst
wohl als Operateur in Betracht kommen kcnnte.
     Da war  der Augenblick  gekommen,  wo  Dr. Wassory  den  entscheidenden
Schlag f'hrte.
     Er ging in tiefem Nachdenken auf und  ab, legte  seine  Stirn in Falten
des  Grams  und  lispelte schlieYAlich bek'mmert,  ein Eingriff seitens eines
andern Arztes bedinge  leider  eine  abermalige  Bespiegelung des Auges  mit
elektrischem Licht,  und  das  m'sse  - der  Patient  wisse  ja  selbst, wie
schmerzhaft es sei -  wegen der blendenden Strahlen geradezu  verhdngnisvoll
wirken.
     Ein  andrer  Arzt also, ganz abgesehen davon, daYA  so manchem von ihnen
gerade  in der  Iridektomie die  nctige  Xbung  fehle -  d'rfe, eben weil er
wiederum von neuem  untersuchen m'sse,  gar nicht vor Ablauf  ldngerer Zeit,
bis sich die Sehnerven wieder erholt hdtten, zu einem chirurgischen Eingriff
schreiten."
     Charousek ballte die Fduste.
     "Das  nennen  wir  in  der  Schachsprache  ›Zugzwang‹,  lieber  Meister
Pernath! - - Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, - ein erzwungener Zug
nach dem andern.
     Halb  wahnsinnig  vor Verzweiflung  beschwor  nun der  Patient den  Dr.
Wassory,  er  mcge  doch  Erbarmen  haben,  einen  Tag  nur   seine  Abreise
verschieben und die  Operation selber  vornehmen.  - Es  handle sich doch um
mehr  als  um  schnellen   Tod,  die  grauenhafte,  folternde  Angst,  jeden
Augenblick erblinden zu  m'ssen,  sei  ja  das  Schrecklichste, was es geben
kcnne.
     Und  je  mehr  das  Scheusal sich strdubte und jammerte:  ein  Aufschub
seiner Reise kcnne  ihm unabsehbaren  Schaden bringen,  desto  hchere Summen
boten freiwillig die Kranken.
     Schien schlieYAlich  die  Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er  nach und
f'gte bereits am selben Tage,  ehe noch ein  Zufall  seinen  Plan  aufdecken
konnte,  den  Bedauernswerten  an beiden gesunden  Augen  jenen  unheilbaren
Schaden  zu, jenes immerwdhrende Gef'hl des Geblendetseins, das das Leben zu
stetiger Qual gestalten muYAte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein f'r
allemal verwischte.
     Durch  solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht
nur seinen Ruhm  und seinen Ruf  als  unvergleichlicher  Arzt,  dem es  noch
jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, - es befriedigte
gleichzeitig seine maYAlose  Geldgier und frcnte  seiner Eitelkeit, wenn  die
ahnungslosen, an Kcrper  und Vermcgen geschddigten Opfer zu ihm wie zu einem
Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.
     Nur  ein Mensch, der  mit  allen  Fasern im Getto und seinen zahllosen,
unscheinbaren,  jedoch   un'berwindlichen  Hilfsquellen   wurzelte  und  von
Kindheit an gelernt hat, auf  der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden
Menschen in  der Stadt kannte  und  bis  ins kleinste  seine Beziehungen und
Vermcgensverhdltnisse   erriet  und  durchschaute,  -  nur   ein  solcher  -
"Halbhellseher" mcchte man es beinahe  nennen, - konnte jahrelang  derartige
ScheuYAlichkeiten ver'ben.
     Und  wdre  ich nicht  gewesen, bis heute triebe  er sein Handwerk noch,
w'rde es  bis  ins  hohe  Alter  weiterbetrieben haben, um  schlieYAlich  als
ehrw'rdiger  Patriarch im  Kreise seiner  Lieben, angetan  mit hohen  Ehren,
k'nftigen  Geschlechtern  ein  leuchtendes  Vorbild,  seinen  Lebensabend zu
genieYAen, bis  - bis endlich auch 'ber ihn das groYAe Verrecken hinweggezogen
wdre.
     Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener
Atmosphdre hcllischer List gesdttigt,  und so vermochte  ich ihn  zu Fall zu
bringen, - so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, - wie aus
heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.
     Dr.  Savioli,  ein  junger  deutscher  Arzt,   hat  das  Verdienst  der
Entlarvung, -  ihn  schob ich vor  und hdufte Beweis auf Beweis, bis der Tag
anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.
     Da beging die Bestie Selbstmord! - Gesegnet sei die Stunde!
     Als  hdtte  mein  Doppelgdnger  neben  ihm  gestanden und ihm  die Hand
gef'hrt, nahm  er  sich  das  Leben  mit  jener Phiole  Amylnitrit, die  ich
absichtlich  in  seinem   Ordinationszimmer   bei   der   Gelegenheit  hatte
stehenlassen, als ich selbst ihn einmal  verleitet, auch an mir  die falsche
Diagnose des gr'nen Stars  zu stellen, - absichtlich und  mit dem  gl'henden
Wunsche, daYA es  dieses  Amylnitrit sein mcchte,  das  ihm  den letzten StoYA
geben sollte.
     Der Gehirnschlag hdtte ihn getroffen, hieYA es in der Stadt.
     Amylnitrit tctet, eingeatmet, wie Gehirnschlag.  Aber  lange konnte das
Ger'cht nicht aufrechterhalten werden."
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     Charousek  starrte plctzlich geistesabwesend, als habe er  sich in  ein
tiefes  Problem verloren,  vor sich hin, dann  zuckte er mit der Achsel nach
der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trcdlerladen lag.
     "Jetzt ist er allein,"  murmelte er, "ganz allein mit seiner Gier und -
und - und mit der Wachspuppe!"
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     Mir schlug das Herz bis zum Hals.
     Ich sah Charousek voll Entsetzen an.
     War er wahnsinnig? Es muYAten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge
erfinden lieYAen.
     GewiYA, gewiYA! Er hat alles erfunden, getrdumt!
     Es  kann nicht wahr  sein,  was  er da  'ber den Augenarzt Grauenhaftes
erzdhlt  hat.  Er  ist schwinds'chtig, und die Fieber  des Todes  kreisen in
seinem Hirn.
     Und  ich  wollte ihn mit ein paar scherzenden  Worten beruhigen,  seine
Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.
     Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung
das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein
Zimmer  mit  runden  Fischaugen  durch  die aufgerissene T'r  hereingeschaut
hatte.
     Dr.  Savioli!  Dr.  Savioli! - ja, ja, so war auch  der Name des jungen
Mannes gewesen, den mir  der Marionettenspieler  Zwakh  fl'sternd anvertraut
als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.
     Dr. Savioli! -  Wie  ein Schrei tauchte es in meinem  Innern auf.  Eine
Reihe  nebelhafter   Bilder  zuckte  durch  meinen  Geist,  jagte  sich  mit
schreckhaften Vermutungen, die auf mich einst'rmten.
     Ich wollte Charousek fragen,  ihm  voll Angst rasch alles erzdhlen, was
ich  damals  erlebt, da sah ich, daYA ein heftiger  Hustenanfall  sich seiner
bemdchtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie
er  sich  m'hsam  mit  den  Hdnden  an  der  Mauer  st'tzend  in  den  Regen
hinaustappte und mir einen fl'chtigen GruYA zunickte.
     Ja,  ja,  er hat  recht, er sprach nicht im Fieber, - f'hlte ich, - das
unfaYAbare Gespenst des Verbrechens ist  es, das durch diese Gassen schleicht
Tag und Nacht und sich zu verkcrpern sucht.
     Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. Plctzlich schldgt es sich
nieder in einer Menschenseele, - wir ahnen es nicht, - da, dort, und ehe wir
es fassen kcnnen, ist es gestaltlos geworden und alles ldngst vor'ber.
     Und  nur  noch  dunkle Worte  'ber irgendein  entsetzliches  Geschehnis
kommen an uns heran.
     Mit einem  Schlage begriff ich diese  rdtselhaften Geschcpfe, die rings
um  mich  wohnten, in  ihrem innersten  Wesen: sie treiben  willenlos durchs
Dasein  von einem unsichtbaren magnetischen Strom  belebt - - so, wie vorhin
das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vor'berschwamm.
     Mir war, als  starrten die Hduser alle mit  t'ckischen  Gesichtern voll
namenloser  Bosheit  auf  mich her'ber, -  die  Tore:  aufgerissene schwarze
Mduler,  aus  denen  die  Zungen  ausgefault  waren,  -  Rachen,  die  jeden
Augenblick   einen  gellenden  Schrei  ausstoYAen  konnten,  so  gellend  und
haYAerf'llt, daYA es uns bis ins Innerste erschrecken m'YAte.
     Was hatte zum SchluYA noch  der Student  'ber den  Trcdler gesagt? - Ich
fl'sterte  mir  seine  Worte vor: -  Aaron  Wassertrum sei  jetzt allein mit
seiner Gier und - - seiner Wachspuppe.
     Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben?
     Es muYA  ein Gleichnis gewesen  sein, beschwichtigte ich  mich,  - eines
jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen  zu 'berfallen pflegt, die
man nicht versteht,  und  die einen,  wenn sie  spdter  unerwartet  sichtbar
werden, so tieferschrecken kcnnen wie die  Dinge  von ungewohnter  Form, auf
die plctzlich ein greller Lichtstreif fdllt.
     Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck,
den mir Charouseks Erzdhlung verursacht hatte, abzusch'tteln.
     Ich sah die  Leute genauer  an, die mit  mir in dem Hausflur  warteten:
Neben  mir  stand jetzt  der dicke  Alte. Derselbe, der vorhin  so widerlich
gelacht hatte.
     Er  hatte einen  schwarzen  Gehrock an  und  Handschuhe und starrte mit
vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegen'ber.
     Sein  glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen Z'gen zuckte vor
Erregung.
     Unwillk'rlich  folgte ich  seinen  Blicken und bemerkte,  daYA  sie  wie
gebannt  an der rothaarigen Rosina hingen,  die dr'ben  jenseits  der  Gasse
stand, ihr immerwdhrendes Ldcheln um die Lippen.
     Der Alte war bem'ht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, daYA sie es wohl
wuYAte, aber sich benahm, als verst'nde sie nicht.
     Endlich hielt es der Alte nicht ldnger aus, watete  auf den  FuYAspitzen
hin'ber  und h'pfte  mit ldcherlicher Elastizitdt  wie ein  groYAer schwarzer
Gummiball 'ber die Pf'tzen.
     Man schien ihn zu kennen, denn ich hcrte allerhand Glossen fallen,  die
darauf hinzielten. Ein  Strolch  hinter mir, ein rotes, gestricktes  Tuch um
den Hals, mit  blauer Militdrm'tze, die Virginia hinter dem Ohr,  machte mit
grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand.
     Ich  begriff nur, daYA sie den Alten in der  Judenstadt den "Freimaurer"
nannten  und  in  ihrer  Sprache mit  diesem  Spitznamen  jemand  bezeichnen
wollten, der sich an halbw'chsigen Mddchen  zu vergehen  pflegt, aber  durch
intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. - - -
     Dann  waren  das Gesicht  Rosinas und  der  Alte dr'ben  im  Dunkel des
Hausflures verschwunden.

     Wir  hatten das Fenster gecffnet, um den Tabakrauch aus meinem  kleinen
Zimmer strcmen zu lassen.
     Der kalte Nachtwind blies herein und  wehte an die zottigen Mdntel, die
an der T're hingen, daYA sie leise hin und her schwankten.
     "Prokops w'rdige Haupteszierde mcchte am liebsten  davonfliegen", sagte
Zwakh und deutete auf des Musikers  groYAen Schlapphut, der die breite Krempe
bewegte wie schwarze Fl'gel.
     Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern.
     "Er will," sagte er, "er will wahrscheinlich - - -"
     "Er will zum  ›Loisitschek‹ zur Tanzmusik",  nahm  ihm Vrieslander  das
Wort vorweg.
     Prokop lachte und schlug mit  der Hand den Takt zu den Kldngen, die die
d'nne Winterluft her 'ber die Ddcher trug.
     Dann  nahm  er meine alte, zerbrochene  Gitarre von der Wand, tat,  als
zupfe  er  die  zerbrochenen Saiten  und sang  mit  kreischendem Falsett und
gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied:
     "An Bein-del von Ei-sen
     recht alt
     "An Stran-zen net gar
     a so kalt
     "Messinung, a' Rducherl
     und Rohn
     "und immerrr nurr putz-en - - -
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     "Wie  groYAartig er mit einem  Mal  die  Gaunersprache  beherrscht!" und
Vrieslander lachte laut auf und brummte mit:
     "Und stok-en sich Aufzug
     und Pfiff
     "Und schmallern an eisernes
     G's'ff.
     "Juch, -
     "Und Handschuhkren, Harom net san - -
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     "Dieses  kuriose  Lied  schnarrt  jeden  Abend beim  ›Loisitschek‹  der
meschuggene  Nephtali  Schaffranek  mit  dem  gr'nen  Augenschirm,  und  ein
geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grclt den  Text dazu",  erkldrte
mir Zwakh. "Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen,  Meister
Pernath. Spdter vielleicht,  wenn  wir  mit dem Punsch zu Ende  sind,  - was
meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?"
     "Ja, ja, kommen Sie nachher  mit  uns", sagte  Prokop  und  klinkte das
Fenster zu, - "man muYA so etwas gesehen haben."
     Dann tranken wir den heiYAen Punsch und hingen unsern Gedanken nach.
     Vrieslander schnitzte an einer Marionette.
     "Sie  haben  uns  fcrmlich  von  der AuYAenwelt  abgeschnitten,  Josua,"
unterbrach  Zwakh die Stille,  "seit Sie das Fenster geschlossen haben,  hat
niemand mehr ein Wort gesprochen."
     "Ich  dachte nur  dar'ber  nach, als  vorhin die  Mdntel so flogen, wie
seltsam  es  ist,  wenn der Wind  leblose  Dinge  bewegt," antwortete Prokop
schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: "Es sieht gar
so wunderlich aus, wenn Gegenstdnde plctzlich zu flattern anheben, die sonst
immer tot daliegen. Nicht? - Ich  sah einmal auf einem menschenleeren  Platz
zu, wie groYAe Papierfetzen, - ohne daYA  ich vom Winde etwas sp'rte, denn ich
stand durch  ein Haus gedeckt, - in  toller Wut  im Kreise  herumjagten  und
einander  verfolgten,  als  hdtten  sie  sich  den  Tod  geschworen.   Einen
Augenblick spdter schienen  sie sich beruhigt  zu haben, aber plctzlich  kam
wieder eine wahnwitzige Erbitterung 'ber sie, und in sinnlosem Grimm  rasten
sie umher,  drdngten  sich in einen Winkel  zusammen,  um von neuem besessen
auseinander zu stieben und schlieYAlich hinter einer Ecke zu verschwinden.
     Nur eine  dicke  Zeitung  konnte nicht mitkommen;  sie  blieb  auf  dem
Pflaster liegen und klappte haYAerf'llt  auf und  zu,  als sei  ihr  der Atem
ausgegangen und als schnappe sie nach Luft.
     Ein dunkler  Verdacht stieg damals in mir auf:  was,  wenn am  Ende wir
Lebewesen auch so etwas Dhnliches wdren wie solche Papierfetzen? -  Ob nicht
vielleicht  ein  unsichtbarer, unbegreiflicher  "Wind"  auch uns hin und her
treibt und unsre Handlungen bestimmt, wdhrend wir in unserer Einfalt glauben
unter eigenem, freiem Willen zu stehen?
     Wie,  wenn das Leben in uns nichts  anderes  wdre als  ein rdtselhafter
Wirbelwind? Jener  Wind,  von dem  die  Bibel  sagt: WeiYAt du, von wannen er
kommt und wohin er geht? - - - Trdumen wir nicht auch zuweilen, wir  griffen
in  tiefes  Wasser  und fingen  silberne  Fische,  und  nichts  anderes  ist
geschehen, als daYA ein kalter Luftzug unsere Hdnde traf?"
     "Prokop, Sie  sprechen in  Worten  wie Pernath, was ist's  mit  Ihnen?"
sagte Zwakh und sah den Musiker miYAtrauisch an.
     "Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erzdhlt wurde, - schade, daYA
Sie so  spdt kamen und  sie nicht  mit anhcrten,  - hat ihn  so nachdenklich
gestimmt", meinte Vrieslander.
     "Eine Geschichte von einem Buche?"
     "Eigentlich von  einem  Menschen,  der  ein Buch  brachte  und  seltsam
aussah. - Pernath weiYA nicht, wie er heiYAt, wo  er wohnt, was er wollte, und
obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen  sein soll,  lasse es sich doch
nicht recht schildern."
     Zwakh horchte auf.
     *"Das ist sehr merkw'rdig," sagte er  nach einer Pause, "war der Fremde
vielleicht bartlos, und hatte er schrdgstehende Augen?"
     "Ich  glaube," antwortete ich, "das heiYAt, ich -  ich  - weiYA  es  ganz
bestimmt. Kennen Sie ihn denn?"
     Der Marionettenspieler sch'ttelte  den Kopf. "Er erinnerte mich nur  an
den ›Golem‹."
     Der Maler Vrieslander lieYA sein Schnitzmesser sinken:
     "Golem? - Ich habe  schon so viel davon reden  hcren. Wissen Sie  etwas
'ber den Golem, Zwakh?"
     "Wer kann sagen, daYA  er 'ber den Golem etwas wisse?", antwortete Zwakh
und zuckte die Achseln. "Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines
Tages in  den  Gassen  ein  Ereignis  vollzieht,  das ihn  plctzlich  wieder
aufleben  ldYAt. Und  eine  Zeitlang spricht  dann  jeder  von  ihm,  und die
Ger'chte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so 'bertrieben und aufgebauscht,
daYA  sie schlieYAlich an der  eigenen Unglaubw'rdigkeit zugrunde  gehen.  Der
Ursprung der  Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zur'ck, sagt
man. Nach verlorengegangenen  Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner  da
einen k'nstlichen Menschen - den sogenannten Golem - verfertigt haben, damit
er  ihm  als Diener helfe  die Glocken in der Synagoge lduten, und allerhand
grobe Arbeit tue.
     Es  sei  aber doch kein  richtiger Mensch daraus  geworden  und nur ein
dumpfes, halbbewuYAtes Vegetieren habe ihn belebt. Wie es heiYAt, auch das nur
tags'ber und kraft des  Einflusses eines  magischen Zettels, der ihm  hinter
den Zdhnen stak und die freien siderischen Krdfte des Weltalls herabzog.
     Und als eines Abends vor dem Nachtgebet der Rabbiner das Siegel aus dem
Munde des Golem zu nehmen versdumt, da wdre dieser in Tobsucht verfallen, in
der Dunkelheit durch die Gassen gerast und hdtte zerschlagen, was ihm in den
Weg gekommen.
     Bis der Rabbi sich ihm entgegengeworfen und den Zettel vernichtet habe.
     Und da  sei das Geschcpf leblos  niedergest'rzt.  Nichts blieb  von ihm
'brig   als   die  zwerghafte  Lehmfigur,  die  heute  noch  dr'ben  in  der
Altneusynagoge gezeigt wird."
     "Derselbe  Rabbiner soll einmal  auch  zum Kaiser  auf die Burg berufen
worden  sein  und  die Schemen  der  Toten  beschworen und  sichtbar gemacht
haben,"  warf Prokop ein,  "moderne  Forscher behaupten, er habe  sich  dazu
einer Laterna magica bedient."
     "Jawohl,  keine Erkldrung ist  abgeschmackt  genug,  daYA  sie  bei  den
Heutigen  nicht Beifall fdnde,"  fuhr Zwakh  unbeirrt fort. - "Eine  Laterna
magica!!  Als  ob  Kaiser  Rudolf,  der  sein  ganzes Leben  solchen  Dingen
nachging, einen  so  plumpen  Schwindel  nicht auf  den  ersten  Blick hdtte
durchschauen m'ssen!
     Ich kann  freilich nicht wissen, worauf sich die Golemsage zur'ckf'hren
ldYAt, daYA  aber irgend etwas, was nicht sterben kann, in diesem Stadtviertel
sein  Wesen  treibt  und  damit  zusammenhdngt, dessen  bin  ich sicher. Von
Geschlecht  zu  Geschlecht haben meine Vorfahren hier  gewohnt,  und niemand
kann wohl  auf  mehr  erlebte und ererbte Erinnerungen  an  das  periodische
Auftauchen des Golem zur'ckblicken als gerade ich!"
     Zwakh hatte  plctzlich  aufgehcrt zu reden, und man f'hlte mit ihm, wie
seine Gedanken in vergangene Zeiten zur'ckwanderten.
     Wie er, den Kopf aufgest'tzt,  dort am  Tische saYA und beim Scheine der
Lampe  seine  roten, jugendlichen  Bdckchen fremdartig von  dem  weiYAen Haar
abstachen,  verglich  ich  unwillk'rlich  im  Geiste  seine  Z'ge   mit  den
maskenhaften Gesichtern seiner Marionetten, die er mir so oft gezeigt.
     Seltsam, wie dhnlich ihnen der alte Mann doch sah!
     Derselbe Ausdruck und derselbe Gesichtsschnitt!
     Manche Dinge  der Erde kcnnen nicht loskommen voneinander,  f'hlte ich,
und wie ich Zwakhs einfaches Schicksal an mir vor'berziehen lieYA,  da schien
es mir mit  einemmal gespenstisch und  ungeheuerlich, daYA ein Mensch wie er,
obschon er  eine  bessere Erziehung als seine Vorfahren  genossen hatte  und
Schauspieler  hdtte  werden   sollen,  plctzlich  wieder  zu  dem  schdbigen
Marionettenkasten zur'ckkehren konnte, um nun abermals auf die Jahrmdrkte zu
ziehen  und  dieselben  Puppen,  die   schon  seiner  Vorvdter  k'mmerliches
Erwerbsmittel gewesen, von  neuem  ihre ungelenken  Verbeugungen machen  und
schldfrigen Erlebnisse vorf'hren zu lassen.
     Er vermag es  nicht, sich von ihnen zu trennen, begriff ich;  sie leben
mit von seinem  Leben, und als  er fern von ihnen war, da haben sie  sich in
Gedanken verwandelt, haben  in seinem Hirn gewohnt und ihn rast- und ruhelos
gemacht, bis er wieder heimkehrte. Darum hdlt  er sie jetzt so liebevoll und
kleidet sie stolz in Flitter.
     "Zwakh, wollen Sie uns nicht weitererzdhlen?" forderte Prokop den Alten
auf und  sah fragend  nach Vrieslander und mir  hin, ob  auch  wir  gleichen
Wunsches seien.
     "Ich weiYA nicht, wo ich anfangen soll,"  meinte  der Alte zcgernd, "die
Geschichte mit dem  Golem  ldYAt sich schwer fassen.  So  wie Pernath  vorhin
sagte:  er wisse genau, wie jener Unbekannte ausgesehen habe, und doch kcnne
er ihn nicht  schildern. Ungefdhr alle  dreiunddreiYAig Jahre wiederholt sich
ein  Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich
trdgt  und  dennoch ein Entsetzen  verbreitet, f'r  das weder eine Erkldrung
noch eine Rechtfertigung ausreicht:
     Immer wieder begibt es sich ndmlich, daYA ein vollkommen fremder Mensch,
bartlos,  von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus,  aus der Richtung
der  Altschulgasse   her,  in  altmodische,  verschossene  Kleider  geh'llt,
gleichmdYAigen und  eigent'mlich stolpernden Ganges, so, als wolle  er  jeden
Augenblick  vorn'ber fallen, durch  die Judenstadt schreitet und plctzlich -
unsichtbar wird.
     Gewchnlich biegt er in eine Gasse und ist dann verschwunden.
     Ein andermal heiYAt es,  er habe auf seinem Wege einen Kreis beschrieben
und  sei zu dem Punkte  zur'ckgekehrt, von dem er ausgegangen: einem uralten
Hause in der Ndhe der Synagoge.
     Einige Aufgeregte wiederum behaupten, sie  hdtten  ihn um eine Ecke auf
sich    zukommen   sehen.   Wiewohl    er   ihnen   aber    ganz    deutlich
entgegengeschritten, sei er dennoch, genau wie  jemand,  dessen Gestalt sich
in  weiter  Ferne  verliert,  immer  kleiner  und  kleiner  geworden  und  -
schlieYAlich ganz verschwunden.
     Vor Sechsundsechzig Jahren nun muYA der Eindruck, den er hervorgebracht,
besonders tief gegangen sein, denn ich erinnere mich - ich war noch ein ganz
kleiner Junge -, daYA  man das Gebdude in der Altschulgasse damals  von  oben
bis unten durchsuchte.
     Es wurde auch festgestellt, daYA wirklich in diesem Hause ein Zimmer mit
Gitterfenster vorhanden ist, zu dem es keinen Zugang gibt.
     Aus allen Fenstern hatte man Wdsche gehdngt, um von der Gasse aus einen
Augenschein zu gewinnen, und war auf diese Weise der Tatsache  auf  die Spur
gekommen.
     Da es  anders nicht zu  erreichen gewesen, hatte sich ein Mann an einem
Strick vom  Dache herabgelassen,  um hineinzusehen. Kaum aber  war er in die
Ndhe  des  Fensters  gelangt,  da   riYA  das  Seil,  und   der  Ungl'ckliche
zerschmetterte sich auf dem Pflaster den Schddel. Und als spdter der Versuch
nochmals wiederholt werden sollte,  gingen die Ansichten  'ber die  Lage des
Fensters derart auseinander, daYA man davon abstand.
     Ich  selber begegnete dem  ›Golem‹ das erste  Mal  in  meinem Leben vor
ungefdhr dreiunddreiYAig Jahren.
     Er kam in einem sogenannten Durchhause  auf mich zu,  und  wir  rannten
fast aneinander.
     Es ist mir heute noch unbegreiflich, was damals in mir vorgegangen sein
muYA. Man  trdgt doch  um Gottes willen nicht immerwdhrend, tagaus tagein die
Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen.
     In jenem Augenblick aber, bestimmt - ganz bestimmt, noch ehe ich seiner
ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der  Golem! Und im
selben  Moment stolperte  jemand aus dem Dunkel  des  Torflures  hervor, und
jener  Unbekannte ging  an mir  vor'ber. Eine Sekunde spdter drang eine Flut
bleicher,  aufgeregter   Gesichter  mir  entgegen,  die   mich  mit   Fragen
best'rmten, ob ich ihn gesehen hdtte.
     Und  als ich  antwortete, da f'hlte ich, daYA sich meine  Zunge wie  aus
einem Krampfe lcste, von dem ich vorher nichts gesp'rt hatte.
     Ich war fcrmlich 'berrascht, daYA ich mich  bewegen konnte, und deutlich
kam  mir  zum BewuYAtsein, daYA ich mich,  wenn auch  nur  den Bruchteil eines
Herzschlags lang - in einer Art Starrkrampf befunden haben muYAte.
     Xber all das habe  ich oft und  lange  nachgedacht, und mich d'nkt, ich
komme  der  Wahrheit  am ndchsten,  wenn ich sage: Immer einmal  in der Zeit
eines  Menschenalters geht  blitzschnell  eine  geistige  Epidemie durch die
Judenstadt,  befdllt  die Seelen  der Lebenden zu irgendeinem Zweck, der uns
verh'llt  bleibt,  und  ldYAt  wie  eine  Luftspiegelung  die  Umrisse  eines
charakteristischen  Wesens  erstehen, das  vielleicht  vorjahrhunderten hier
gelebt hat und nach Form und Gestaltung d'rstet.
     Vielleicht ist es  mitten unter uns,  Stunde f'r Stunde, und wir nehmen
es nicht wahr.  Hcren  wir  doch  auch den Ton einer schwirrenden Stimmgabel
nicht, bevor sie das Holz ber'hrt und es mitschwingen macht.
     Vielleicht  ist  es nur so  etwas  wie  ein seelisches  Kunstwerk, ohne
innewohnendes  BewuYAtsein, - ein Kunstwerk, das entsteht,  wie  ein Kristall
nach stets sich gleichbleibendem Gesetz aus dem Gestaltlosen herauswdchst.
     Wer weiYA das?
     Wie  in   schw'len  Tagen  die  elektrische  Spannung   sich   bis  zur
Unertrdglichkeit steigert und endlich  den Blitz gebiert, kcnnte es da nicht
sein, daYA auch auf die stetige Anhdufung jener niemals wechselnden Gedanken,
die hier  im Getto die Luft  vergiften, eine plctzliche, ruckweise Entladung
folgen  muYA? -  eine  seelische Explosion,  die  unser  TraumbewuYAtsein  ans
Tageslicht peitscht, um -  dort den  Blitz  der Natur - hier ein Gespenst zu
schaffen, das in Mienen, Gang und Gehaben, in allem und jedem das Symbol der
Massenseele  unfehlbar  offenbaren  m'YAte, wenn man die geheime  Sprache der
Formen nur richtig zu deuten verst'nde?
     Und wie mancherlei  Erscheinungen das Einschlagen des Blitzes ank'nden,
so  verraten   auch  hier   gewisse   grauenhafte  Vorzeichen  das  drohende
Hereinbrechen jenes Phantoms ins  Reich der  Tat.  Der  abbldtternde  Bewurf
einer  alten  Mauer nimmt eine Gestalt an, die  einem  schreitenden Menschen
gleicht; und in Eisblumen am Fenster bilden sich Z'ge starrer Gesichter. Der
Sand  vom  Dache   scheint  anders  zu  fallen  als  sonst  und  drdngt  dem
argwchnischen Beobachter den Verdacht auf, eine unsichtbare Intelligenz, die
sich lichtscheu verborgen hdlt, werfe ihn herab  und 'be  sich in heimlichen
Versuchen,  allerlei  seltsame Umrisse hervorzubringen. - Ruht  das Auge auf
eintcnigem Geflecht oder den Unebenheiten der  Haut, bemdchtigt  sich  unser
die unerfreuliche Gabe, 'berall mahnende, bedeutsame Formen zu sehen, die in
unsern Trdumen ins RiesengroYAe auswachsen. Und immer zieht sich durch solche
schemenhaften  Versuche der  angesammelten  Gedankenherden,  die  Wdlle  der
Alltdglichkeit  zu durchnagen,  f'r uns  wie ein  roter  Faden die qualvolle
GewiYAheit, daYA  unser  eigenstes  Inneres  mit Vorbedacht  und gegen  unsern
Willen ausgesogen wird, nur damit die Gestalt des Phantoms  plastisch werden
kcnne.
     Wie  ich  nun  vorhin  Pernath  bestdtigen  hcrte, daYA  ihm  ein Mensch
begegnet sei, bartlos, mit schiefgestellten Augen, da stand der "Golem"  vor
mir, wie ich ihn damals gesehen.
     Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir.
     Und eine gewisse dumpfe Furcht, es  stehe  wieder  etwas Unerkldrliches
nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon
einmal in meinen Kinderjahren versp'rt, als die ersten spukhaften DuYAerungen
des Golem ihre Schatten vorauswarfen.
     Sechsundsechzig Jahre ist  das  wohl jetzt her und kn'pft sich an einen
Abend, an dem der Brdutigam meiner Schwester  zu Besuch gekommen war, und in
der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte.
     Es wurde damals Blei gegossen - zum Scherz - und ich stand mit  offenem
Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, - in meiner wirren,
kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem
ich  meinen GroYAvater  oft hatte erzdhlen hcren, und bildete mir ein,  jeden
Augenblick m'sse die T'r aufgehen und der Unbekannte eintreten.
     Meine  Schwester leerte dann den Lcffel mit dem fl'ssigen Metall in das
Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an.
     Mit welken,  zitternden  Hdnden  holte mein  GroYAvater  den  blitzenden
Bleiklumpen heraus  und  hielt ihn ans  Licht. Gleich  darauf entstand  eine
allgemeine  Erregung.  Man  redete  laut  durcheinander;  ich  wollte   mich
hinzudrdngen, aber man wehrte mich ab.
     Spdter, als ich dlter geworden, erzdhlte mir mein Vater, es wdre damals
das  geschmolzene  Metall zu  einem kleinen,  ganz deutlichen Kopf  erstarrt
gewesen,  -  glatt  und  rund,  wie  nach  einer  Form   gegossen,  und  von
unheimlicher Dhnlichkeit mit den  Z'gen  des "Golem", daYA sich alle entsetzt
hdtten.
     Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah  Hillel, der  die  Requisiten
der  Altneusynagoge  in  Verwahrung  hat  und auch die gewisse Lehmfigur aus
Kaiser Rudolfs  Zeiten, dar'ber.  Er hat sich mit Kabbala  befaYAt und meint,
jener  Erdklumpen  mit  den menschlichen  GliedmaYAen sei  vielleicht  nichts
anderes  als  ein  ehemaliges  Vorzeichen, ganz so wie  in  meinem Fall  der
bleierne Kopf. Und  der Unbekannte, der da umgehe, m'sse das Phantasie- oder
Gedankenbild  sein,  das  jener  mittelalterliche  Rabbiner zuerst  lebendig
gedacht  habe,  ehe er  es mit Materie  bekleiden konnte,  und  das  nun  in
regelmdYAigen    Zeitabschnitten,    bei    den    gleichen    astrologischen
Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden  - wiederkehre, vom Triebe
nach stofflichem Leben gequdlt.
     Auch Hillels  verstorbene  Frau  hatte  den "Golem"  von  Angesicht  zu
Angesicht erblickt und ebenso wie ich gef'hlt, daYA man  sich im  Starrkrampf
befindet, solange das rdtselhafte Wesen in der Ndhe weilt.
     Sie sagte, sie sei felsenfest 'berzeugt gewesen, daYA es damals nur ihre
eigene Seele habe sein kcnnen,  die  -  aus dem Kcrper  getreten - ihr einen
Augenblick gegen'bergestanden und mit den Z'gen eines fremden Geschcpfes ins
Gesicht gestarrt hdtte.
     Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bemdchtigt, habe
sie  doch keine  Sekunde die GewiYAheit verlassen, daYA jener  andere nur  ein
St'ck ihres eignen Innern sein konnte." -
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     "Es ist unglaublich", murmelte Prokop in Gedanken verloren.
     Auch der Maler Vrieslander schien ganz in Gr'beln versunken.
     Da klopfte es an die T're und das alte Weib, das mir des Abends  Wasser
bringt  und was ich sonst noch  nctig  habe,  trat ein, stellte den tcnernen
Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus.
     Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber
noch lange Zeit sprach niemand ein Wort.
     Als  sei ein neuer EinfluYA  mit der  Alten zur T'r hereingeschl'pft, an
den man sich erst gewchnen muYAte.
     "Ja!  Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht
loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht",
sagte  plctzlich  Zwakh  ganz  unvermittelt.  "Dieses  erstarrte,  grinsende
Ldcheln  kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die  GroYAmutter,
dann die Mutter! -  Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe
Name Rosina; - es ist immer eine die Auferstehung der andern."
     "Ist Rosina  nicht  die Tochter des Trcdlers Aaron Wassertrum?"  fragte
ich.
     "Man spricht so", meinte Zwakh, - - "Aaron Wassertrum aber  hat manchen
Sohn und manche Tochter, von denen man nicht  weiYA. Auch bei  Rosinas Mutter
wuYAte man nicht, wer ihr Vater gewesen, - auch  nicht, was aus ihr  geworden
ist. - Mit f'nfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren  und war seitdem nicht
mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen,  soweit ich
mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde.
     Wie jetzt  ihre Tochter, spukte damals  sie den halbw'chsigen Jungen im
Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, - ich sehe ihn cfter, - doch sein Name ist
mir entfallen.  Die andern sind bald gestorben,  und  ich meine, sie hat sie
alle fr'hzeitig  under die Erde gebracht. Ich  erinnere mich aus  jener Zeit
'berhaupt nur noch an kurze Episoden, die wie verblichene  Bilder durch mein
Geddchtnis  treiben.  So  hat  es  damals  einen  halbblcdsinnigen  Menschen
gegeben, der nachts von Schenke zu Schenke zog und den Gdsten gegen ein paar
Kreuzer Silhouetten aus schwarzem Papier schnitt. Und wenn man ihn betrunken
machte,  geriet  er  in eine unsdgliche  Traurigkeit,  und unter Trdnen  und
Schluchzen  schnitzelte  er,  ohne  aufzuhcren,  immer das  gleiche  scharfe
Mddchenprofil, bis sein ganzer Papiervorrat verbraucht war.
     Aus Zusammenhdngen zu schlieYAen, die ich  ldngst vergessen,  hatte er -
fast ein Kind noch - eine gewisse Rosina, wohl die GroYAmutter  der heutigen,
so heftig geliebt, daYA er den Verstand dar'ber verlor.
     Wenn ich die Jahre zur'ckzdhle, kann es keine andere als die GroYAmutter
der jetzigen Rosina gewesen sein." - - -
     Zwakh schwieg und lehnte sich zur'ck.
     Das  Schicksal  in diesem Haus irrt  im Kreise  umher  und  kehrt immer
wieder  zum  selben  Punkt zur'ck,  fuhr  es  mir durch  den Sinn,  und  ein
hdYAliches Bild,  das  ich  einmal  mit angesehen - eine Katze mit verletzter
Gehirnhdlfte im Kreise herumtaumelnd - trat vor mein Auge.
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     "Jetzt kommt der Kopf", hcrte ich  plctzlich den Maler Vrieslander  mit
heller Stimme sagen.
     Und er nahm einen runden Holzklotz aus  der Tasche und begann an ihm zu
schnitzen.
     Eine  schwere M'digkeit  legte sich mir 'ber die Augen, und  ich r'ckte
meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein in den Hintergrund.
     Das Wasser f'r den Punsch brodelte im Kessel, und Josua  Prokop  f'llte
wiederum die Gldser.  Leise,  ganz leise  klangen die  Kldnge der  Tanzmusik
durch  das geschlossene Fenster; - manchmal  verstummten sie  vollends, dann
wiederum wachten sie  ein wenig  auf, wie sie der Wind unterwegs verlor oder
zu uns von der Gasse emportrug.
     Ob  ich  denn nicht  anstoYAen wolle,  fragte mich  nach einer Weile der
Musiker.
     Ich aber gab  keine Antwort, - so vollkommen war mir der Wille, mich zu
bewegen, abhanden gekommen, daYA ich gar nicht auf den  Gedanken, den Mund zu
cffnen, verfiel.
     Ich  dachte  ich  schliefe, so  steinern war die innere Ruhe,  die sich
meiner  bemdchtigt hatte. Und ich muYAte hin'ber auf Vrieslanders  funkelndes
Messer blinzeln, das ruhelos  aus  dem  Holz  kleine Spdne  biYA,  -  um  die
GewiYAheit zu erlangen, daYA ich wach sei.
     In  weiter Ferne brummte Zwakhs  Stimme und  erzdhlte  wieder  allerlei
wunderliche Geschichten  'ber Marionetten  und  krause Mdrchen,  die  er f'r
seine Puppenspiele erdacht.
     Auch  von Dr. Savioli  war die  Rede und  von der vornehmen  Dame,  der
Gattin eines Adeligen, die in das versteckte Atelier heimlich zu Savioli  zu
Besuch komme.
     Und   wiederum  sah   ich  im   Geiste  Aaron   Wassertrums  hchnische,
triumphierende Miene. -
     Ob ich  Zwakh  nicht mitteilen  sollte, was sich damals ereignet hatte,
'berlegte  ich,  -  dann  hielt  ich  es nicht  der M'he  f'r  wert  und f'r
belanglos. Auch  wuYAte ich, daYA mein Wille versagen w'rde,  wollte ich jetzt
den Versuch machen zu sprechen.
     Plctzlich sahen die drei am Tisch aufmerksam zu mir her'ber, und Prokop
sagte ganz laut: "Er ist eingeschlafen", -  so laut, daYA  es fast klang, als
ob es eine Frage sein sollte.
     Sie redeten mit geddmpfter Stimme weiter, und ich erkannte, daYA sie von
mir sprachen.
     Vrieslanders  Schnitzmesser tanzte hin und her  und fing das Licht auf,
das von  der  Lampe niederfloYA, und der spiegelnde Schein brannte mir in den
Augen.
     Es fiel  ein Wort wie: "irr sein", und ich horchte auf die Rede, die in
der Runde ging.
     "Gebiete, wie  das  vom  ›Golem‹ sollte man vor Pernath  nie ber'hren,"
sagte  Josua  Prokop  vorwurfsvoll, "als  er  vorhin  von  dem  Buche  Ibbur
erzdhlte, schwiegen wir still und fragten nicht  weiter. Ich  mcchte wetten,
er hat alles nur getrdumt."
     Zwakh nickte: "Sie haben ganz  recht. Es ist, wie wenn man  mit offenem
Lichte  eine  verstaubte Kammer betreten wollte, in der morsche T'cher Decke
und Wdnde bespannen und der d'rre Zunder der Vergangenheit fuYAhoch den Boden
bedeckt; ein fl'chtiges Ber'hren nur und schon schldgt das Feuer  aus  allen
Ecken."
     "War Pernath lange im  Irrenhaus? Schade  um  ihn, er  kann  doch  erst
vierzig sein", sagte Vrieslander.
     "Ich weiYA es nicht, ich  habe auch keine  Vorstellung, woher er stammen
mag  und was  fr'her  sein Beruf gewesen  ist.  Aussehen  tut er ja wie  ein
altfranzcsischer Edelmann mit  seiner  schlanken Gestalt und dem  Spitzbart.
Vor vielen vielen Jahren  hat mich ein befreundeter alter Arzt  gebeten, ich
mcchte mich seiner ein wenig annehmen und ihm  eine kleine Wohnung  hier  in
diesen Gassen, wo sich  niemand um  ihn k'mmern und mit Fragen nach fr'heren
Zeiten beunruhigen w'rde,  aussuchen."  -  Wieder  sah Zwakh  bewegt zu  mir
her'ber. -  "Seit jener  Zeit  lebt er hier,  bessert Antiquitdten  aus  und
schneidet Gemmen und hat  sich damit einen  kleinen  Wohlstand gegr'ndet. Es
ist ein Gl'ck f'r ihn, daYA  er alles, was mit seinem Wahnsinn zusammenhdngt,
vergessen zu haben scheint. Fragen Sie ihn beileibe nur niemals nach Dingen,
die  die Vergangenheit in seiner Erinnerung wachrufen kcnnten, - wie oft hat
mir  das  der alte Arzt ans  Herz gelegt! Wissen Sie, Zwakh, sagte er immer,
wir haben so eine gewisse Methode; wir haben seine Krankheit mit vieler M'he
eingemauert,  mcchte  ich's  nennen,  -  so  wie   man  eine  Ungl'cksstdtte
einfriedet, weil sich an sie eine traurige Erinnerung kn'pft." - - -
     Die Rede  des Marionettenspielers  war  auf  mich  zugekommen  wie  ein
Schldchter auf ein wehrloses Tier und preYAte mir mit rohen, grausamen Hdnden
das Herz zusammen.
     Von  jeher hatte eine dumpfe Qual an mir genagt,  - ein Ahnen, als wdre
mir etwas  genommen  worden und als  hdtte ich  in  meinem Leben eine  lange
Strecke Wegs an einem Abgrunde hin durchschritten wie ein Schlafwandler. Und
nie war es mir gelungen, die Ursache zu ergr'nden.
     Jetzt  lag  des  Rdtsels  Lcsung  offen  vor   mir   und  brannte  mich
unertrdglich wie eine bloYAgelegte Wunde.
     Mein  krankhafter Widerwillen, der Erinnerung an verflossene Ereignisse
nachzuhdngen,  -  dann der seltsame, von  Zeit zu Zeit immer  wiederkehrende
Traum, ich  sei in  ein Haus  mit einer Flucht  mir unzugdnglicher  Gemdcher
gesperrt, - das bedngstigende  Versagen meines  Geddchtnisses in Dingen, die
meine  Jugendzeit betrafen, - alles das fand mit einem Male seine furchtbare
Erkldrung: ich war wahnsinnig gewesen und man hatte Hypnose angewandt, hatte
das  - "Zimmer" verschlossen, das die Verbindung  zu jenen Gemdchern  meines
Gehirns  bildete,  und mich zum  Heimatlosen  inmitten  des  mich umgebenden
Lebens gemacht.
     Und keine Aussicht, die verlorene Erinnerung je wieder zu gewinnen!
     Die Triebfedern meines  Denkens  und  Handelns liegen  in einem andern,
vergessenen  Dasein  verborgen, begriff  ich, -  nie w'rde ich  sie erkennen
kcnnen: eine verschnittene Pflanze bin ich, ein Reis, das  aus einer fremden
Wurzel sproYAt.  Geldnge  es mir  auch, den  Eingang  in jenes  verschlossene
"Zimmer"  zu erzwingen, m'YAte  ich  nicht  abermals den Gespenstern, die man
darein gebannt, in die Hdnde fallen?!
     Die Geschichte von dem Golem, die Zwakh  vor einer Stunde erzdhlte, zog
mir  durch  den  Sinn,  und  plctzlich  erkannte  ich  einen   riesengroYAen,
geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem sagenhaften Gemach ohne Zugang, in
dem jener Unbekannte wohnen sollte, und meinem bedeutungsvollen Traum.
     Ja!  auch  in  meinem  Falle  "w'rde der  Strick  reiYAen",  wollte  ich
versuchen, in das vergitterte Fenster meines Innern zu blicken.
     Der seltsame Zusammenhang wurde mir  immer deutlicher  und  nahm  etwas
unbeschreiblich Erschreckendes f'r mich an.
     Ich f'hlte: es  sind  da  Dinge -  unfaYAbare -  zusammengeschmiedet und
laufen  wie   blinde  Pferde,  die  nicht  wissen   wohin  der  Weg   f'hrt,
nebeneinander her.
     Auch im  Getto: ein Zimmer, ein  Raum,  dessen Eingang  niemand  finden
kann, - ein schattenhaftes Wesen, das darin wohnt und nur zuweilen durch die
Gassen tappt, um Grauen und Entsetzen unter die Menschen zu tragen! - - -
     Immer  noch schnitzte Vrieslander an dem Kopfe, und das Holz  knirschte
unter der Klinge des Messers.
     Es tat mir  fast  weh, wie ich es hcrte,  und ich sah hin, ob  es  denn
nicht bald zu Ende sei.
     Wie der Kopf sich in des  Malers Hand hin und her  wandte, war  es, als
habe er BewuYAtsein und spdhe von  Winkel zu Winkel. Dann ruhten  seine Augen
lange auf mir, befriedigt, daYA sie mich endlich gefunden.
     Auch  ich  vermochte meine  Blicke  nicht mehr abzuwenden  und  starrte
unverwandt auf das hclzerne Antlitz.
     Eine Weile schien das Messer des Malers  zcgernd etwas  zu suchen, dann
ritzte es entschlossen eine Linie  ein, und plctzlich  gewannen die Z'ge des
Holzklotzes schreckhaftes Leben.
     Ich  erkannte  das gelbe Gesicht  des Fremden, der mir damals das  Buch
gebracht.
     Dann konnte ich nichts mehr unterscheiden,  der Anblick hatte nur  eine
Sekunde gedauert, und  ich sp'rte,  daYA  mein Herz  zu schlagen aufhcrte und
dngstlich flatterte.
     Dennoch blieb ich mir - wie damals - des Gesichtes bewuYAt.
     Ich war  es selber  geworden und lag auf Vrieslanders SchoYA  und spdhte
umher.
     Meine  Augen  wanderten im  Zimmer umher, und eine fremde Hand  bewegte
meinen Schddel.
     Dann  sah ich mit einem  Male  Zwakhs aufgeregte Miene  und hcrte seine
Worte: Um Gottes willen, das ist ja der Golem!
     Und ein kurzes Ringen  entstand, und man wollte  Vrieslander mit Gewalt
das Schnitzwerk entreiYAen, doch der wehrte sich und rief lachend:
     "Was wollt ihr, es ist doch ganz  und  gar miYAlungen." Und er wand sich
los, cffnete das Fenster und warf den Kopf auf die Gasse hinunter.
     Da  schwand mein BewuYAtsein,  und ich tauchte in eine tiefe Finsternis,
die von  schimmernden  Goldfdden  durchzogen war, und als  ich,  wie es  mir
schien, nach  einer langen, langen Zeit erwachte, da erst hcrte ich das Holz
klappernd auf das Pflaster fallen. - - -
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     "Sie  haben so  fest  geschlafen, daYA Sie  nicht merkten,  wie  wir Sie
sch'ttelten,"  - sagte Josua Prokop zu mir,  "der Punsch ist  aus,  und  Sie
haben alles versdumt."
     Der heiYAe Schmerz 'ber das, was ich vorhin mitangehcrt, 'bermannte mich
wieder, und  ich  wollte aufschreien, daYA ich nicht getrdumt  habe, als  ich
ihnen von dem  Buche Ibbur  erzdhlte -  und es aus  der Kassette  nehmen und
ihnen zeigen kcnne.
     Aber  diese  Gedanken  kamen  nicht  zu  Wort und  konnten die Stimmung
allgemeinen Aufbruches, die meine Gdste ergriffen hatte, nicht durchdringen.
     Zwakh hdngte mir mit Gewalt den Mantel und und rief:
     "Kommen  Sie  nur  mit zum Loisitschek, Meister Pernath,  es  wird Ihre
Lebensgeister erfrischen."

     Willenlos hatte ich mich von Zwakh die Treppe hinunterf'hren lassen.
     Ich sp'rte  den Geruch des  Nebels, der von  der StraYAe ins Haus drang,
deutlicher und deutlicher werden. Josua Prokop und Vrieslander  waren einige
Schritte vorausgegangen,  und  man  hcrte, wie  sie  drauYAen vor dem  Torweg
mitsammen sprachen.
     "Er  muYA  rein in das  Kanalgitter  gefallen  sein.  Es  ist  doch  zum
Teufelholen."
     Wir traten hinaus auf die  Gasse, und  ich sah, wie  Prokop sich b'ckte
und die Marionette suchte.
     "Freut  mich, daYA  du  den dummen  Kopf  nicht finden kannst",  brummte
Vrieslander. Er hatte sich an die Mauer gestellt und sein Gesicht  leuchtete
grell auf und erlosch wieder in kurzen Intervallen  - wie er das Feuer eines
Streichholzes zischend in seine kurze Pfeife sog.
     Prokop machte  eine heftig abwehrende Bewegung  mit dem  Arm und beugte
sich noch tiefer hinab. Er kniete beinahe auf dem Pflaster:
     "Still doch! Hcrt ihr denn nichts?"
     Wir traten an ihn heran. Er deutete stumm auf das Kanalgitter und legte
horchend die Hand ans Ohr. Eine Weile standen  wir unbeweglich und lauschten
in den Schacht hinab.
     Nichts.
     "Was war's denn?" fl'sterte  endlich der alte  Marionettenspieler; doch
sofort packte ihn Prokop heftig beim Handgelenk.
     Einen  Augenblick  -  kaum  einen  Herzschlag  lang  -  hatte  es   mir
geschienen,  als klopfte da unten  eine Hand gegen eine Eisenplatte  -  fast
unhcrbar. Wie ich eine Sekunde spdter dar'ber nachdachte,  war alles vorbei;
nur in meiner Brust  hallte es wie ein Erinnerungsecho weiter und lcste sich
langsam in ein unbestimmtes Gef'hl des Grauens auf.
     Schritte, die die Gasse heraufkamen, verscheuchten den Eindruck.
     "Gehen wir; was stehen wir da herum!" mahnte Vrieslander.
     Wir schritten die Hduserreihe entlang.
     Prokop folgte nur widerwillig.
     "Meinen  Hals mccht  ich wetten,  da  unten  hat  jemand  geschrien  in
Todesangst."
     Niemand von uns  antwortete ihm, aber  ich f'hlte, daYA etwas wie  leise
ddmmernde Angst uns die Zunge in Fesseln hielt.
     Bald darauf standen wir vor einem rotverhdngten Schenkenfenster.

     "Heinte groYAes Konzehr"
     stand auf einem Pappendeckel geschrieben,  dessen Rand mit verblichenen
Photographien von Frauenzimmern bedeckt war.
     Ehe  noch Zwakh die Hand auf die Klinke  legen konnte, cffnete sich die
Eingangst'r nach innen, und ein vierschrctiger Kerl mit gewichstem schwarzem
Haar, ohne Kragen - eine gr'nseidene Krawatte um den bloYAen Hals geschlungen
und die Frackweste mit einem Klumpen aus Schweinszdhnen geschm'ckt - empfing
uns mit B'cklingen.
     "Jd, jd,  das sin  mir  Gdstdh.  -  -  - Pane Schaffranek,  rasch einen
Tusch!" setzte er, 'ber die Schulter  in  das  von Menschen 'berf'llte Lokal
gewendet, hastig seinem WillkommensgruYA hinzu.
     Ein klimperndes Gerdusch, wie wenn eine Ratte 'ber Klaviersaiten liefe,
war die Antwort.
     "Jd, jd, das  sin  mir  Gdstdh,  das sin  mir Gdstdh.  Da  schaut man",
murmelte der Vierschrctige immerwdhrend eifrig vor sich hin, wdhrend er  uns
aus den Mdnteln half.
     "Ja, ja, heinte ist der  ganze verehrliche Hochadel des Landes  bei mir
versammelt", beantwortete er triumphierend Vrieslanders erstaunte Miene, als
im  Hintergrund  auf  einer  Art   Estrade,  die  durch  Geldnder  und  eine
zweistufige  Treppe vom  vorderen Teil  der  Schenke getrennt war,  ein paar
vornehme junge Herren in Abendtoilette sichtbar wurden.
     Schwaden beiYAenden Tabakrauches lagerten 'ber den Tischen, hinter denen
die  langen Holzbdnke  an  den  Wdnden  vollbesetzt von zerlumpten Gestalten
waren:  Dirnen von  den Schanzen, ungekdmmt, schmutzig,  barfuYA,  die festen
Br'ste kaum verh'llt  von  miYAfarbigen Umhdnget'chern, Zuhdlter  daneben mit
blauen Militdrm'tzen und Zigaretten hinter dem Ohr, Viehhdndler mit haarigen
Fdusten  und  schwerfdlligen  Fingern,  die bei jeder Bewegung  eine  stumme
Sprache der Niedertracht redeten, vazierende Kellner  mit  frechen Augen und
blatternarbige Kommis mit karierten Hosen.
     "Ich  stell'  ich  Ihnen  spanische  Plente  umadum,  damit  Sie  schcn
ungestcrt sein", krdchzte die  feiste  Stimme des  Vierschrctigen,  und eine
Rollwand,  beklebt mit kleinen, tanzenden Chinesen, schob  sich langsam  vor
den Ecktisch, an den wir uns gesetzt hatten.
     Schnarrende  Kldnge einer Harfe  machten  das  Stimmengewirr  im Zimmer
verlcschen.
     Eine Sekunde eine rhythmische Pause.
     Totenstille, als hielte alles den Atem an.
     Mit erschreckender  Deutlichkeit hcrte man plctzlich  wie  die eisernen
Gasstdbe fauchend die flachen herzfcrmigen Flammen aus ihren  M'ndern in die
Luft bliesen  -  - dann  fiel die Musik 'ber das Gerdusch her und verschlang
es.
     Als  wdren  sie  soeben erst  entstanden,  tauchten  da  zwei  seltsame
Gestalten aus dem Tabakqualm vor meinem Blick empor.
     Mit  langem,  wallendem,   weiYAen  Prophetenbart,  ein  schwarzseidenes
Kdppchen -  wie  es  die  alten  j'dischen  Familienvdter tragen  - auf  dem
Kahlkopf, die  blinden Augen  milchbldulich und  gldsern - starr  zur  Decke
gerichtet  -  saYA dort  ein Greis, bewegte lautlos die  Lippen  und fuhr mit
d'rren Fingern wie mit Geierkrallen in die Saiten einer Harfe. Neben ihm  in
speckgldnzendem,  schwarzen Taffetkleid,  Jettschmuck und  Jettkreuz an Hals
und  Armen  -  ein  Sinnbild  erheuchelter  B'rgermoral  -  ein  schwammiges
Weibsbild, die Ziehharmonika auf dem SchoYA.
     Ein wildes Gestolper von  Kldngen  drdngte  sich aus  den Instrumenten,
dann sank die Melodie ermattet zur bloYAen Begleitung herab.
     Der Greis hatte ein paarmal in die Luft gebissen und riYA den  Mund weit
auf, daYA man die  schwarzen Zahnstumpen sehen konnte. Langsam aus der  Brust
herauf rang  sich ihm, von seltsamen hebrdischen Rcchellauten begleitet, ein
wilder BaYA:
     "Roo - n - te, blau - we Stern - -"
     "Rititit" (schrillte das Weibsbild  dazwischen und schnappte sofort die
keifigen Lippen zusammen, als habe sie schon zuviel gesagt)
     "Roonte blaue Steern
     Hcrndlach ess i' ach geern";
     "Rititit"
     "Rotboart, Grienboart
     allerlaj Stern" - -
     "Rititit, rititit."
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     Die Paare traten zum Tanze an.
     "Es  ist  das Lied vom  ›chomezigen Borchu‹", erkldrte uns ldchelnd der
Marionettenspieler und schlug leise mit dem Zinnlcffel, der sonderbarerweise
mit einer Kette am  Tisch befestigt war, den Takt. "Vor wohl  hundert Jahren
oder mehr noch hatten  zwei Bdckergesellen, Rotbart  und Gr'nbart, am  Abend
des ›Schabbes Hagodel‹ das  Brot  - Sterne und  Hcrnchen - vergiftet, um ein
ausgiebiges Sterben in der Judenstadt hervorzurufen; aber  der ›Meschores‹ -
der  Gemeindediener  - war  infolge gcttlicher Erleuchtung noch  rechtzeitig
draufgekommen und konnte die beiden Verbrecher der Stadtpolizei 'berliefern.
Zur Erinnerung an die wundersame Errettung aus Todesgefahr dichteten  damals
die ›Landonim‹ und ›Bocherlech‹ jenes seltsame Lied, das wir  hier jetzt als
Bordellquadrille hcren."
     "Rititit - Rititit"
     "Roote blaue  Steern - - - -" immer hohler und fanatischer erscholl das
Gebell des Greises.
     Plctzlich  wurde  die  Melodie  konfuser und  ging  allmdhlich  in  den
Rhythmus  des bchmischen  "Schlapak"  -  eines schleifenden  Schiebetanzes -
'ber, bei dem die Paare die schwitzigen Wangen innig aneinander preYAten.
     "So  recht. Bravo.  Dh da! fang,  hep,  hep!" rief von der Estrade  ein
schlanker,  junger Kavalier im Frack, das  Monokel im  Auge, dem Harfenisten
zu, griff in die Westentasche und warf ein Silberst'ck  in  der Richtung. Es
erreichte  sein Ziel  nicht:  ich sah  noch,  wie  es  'ber  das  Tanzgew'hl
hinblitzte; da war es plctzlich verschwunden. Ein Strolch - sein Gesicht kam
mir  so bekannt vor; ich glaube, es muYA  derselbe  gewesen sein, der neulich
bei dem  RegenguYA neben  Charousek gestanden - hatte seine  Hand  hinter dem
Busentuch  seiner  Tdnzerin,  wo  er  sie  bisher  hartndckig ruhen  gehabt,
hervorgezogen - ein Griff in die Luft mit affenhafter  Geschwindigkeit, ohne
auch nur  einen Takt der  Musik auszulassen, und die M'nze  war  geschnappt.
Nicht ein Muskel zuckte im Gesicht des Burschen auf, nur zwei, drei Paare in
der Ndhe grinsten leise.
     "Wahrscheinlich einer vom ›Bataillon‹,  nach  der  Geschicklichkeit  zu
schlieYAen", sagte Zwakh lachend.
     "Meister Pernath hat sicherlich noch nie etwas vom ›Bataillon‹ gehcrt",
fiel   Vrieslander   auffallend  rasch   ein  und   zwinkerte  heimlich  dem
Marionettenspieler  zu, daYA  ich es nicht sehen sollte. - Ich  verstand  gar
wohl: es war wie vorhin, oben auf meinem Zimmer. Sie hielten mich f'r krank.
Wollten mich aufheitern. Und Zwakh sollte etwas erzdhlen. Irgend etwas.
     Wie mich der gute Alte so mitleidig ansah, stieg es mir heiYA vom Herzen
in die Augen. Wenn er w'YAte, wie weh mir sein Mitleid tat!
     Ich 'berhcrte die ersten  Worte, mit denen der Marionettenspieler seine
Worte einleitete, -  ich weiYA nur, mir  war, als  verblute  ich langsam. Mir
wurde immer kdlter und starrer, wie vorhin, als  ich  als hclzernes  Gesicht
auf Vrieslanders SchoYA gelegen hatte. Dann war ich plctzlich mitten  drin in
der  Erzdhlung, die mich fremdartig  umfing, -  einh'llte, wie ein  lebloses
St'ck aus einem Lesebuch.
     Zwakh begann:
     "Die Erzdhlung vom Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und seinem Bataillon.
     - - - No, was soll ich  Ihnen sagen: Das Gesicht hatte er voller Warzen
und krumme Beine wie ein Dachshund. Schon als J'ngling  kannte er nichts als
Studium.  Trockenes,  entnervendes  Studium.  Von  dem,  was  er sich  durch
Stundengeben m'hsam erwarb, muYAte er noch seine  kranke Mutter erhalten. Wie
gr'ne  Wiesen aussehen und Hecken und H'gel  voll Blumen und  Wdlder, erfuhr
er, glaube ich, nur  aus B'chern. Und  wie wenig von  Sonnenschein  in Prags
schwarze Gassen fdllt, wissen Sie ja selbst.
     Sein  Doktorat  hatte er mit  Auszeichnung gemacht; das war  eigentlich
selbstverstdndlich.
     Nun, und  mit  der  Zeit  wurde er  ein  ber'hmter Rechtsgelehrter.  So
ber'hmt, daYA alle Leute - Richter und alte Advokaten - zu ihm fragen  kamen,
wenn sie irgend  etwas nicht wuYAten. Dabei lebte er drmlich wie  ein Bettler
in einer Dachkammer, deren Fenster hinaus auf den Teinhof schaute.
     So  vergingen  Jahre um Jahre und Dr. Hulberts  Ruf als  Leuchte seiner
Wissenschaft wurde  allmdhlich Sprichwort im ganzen Lande. DaYA ein  Mann wie
er weichen Herzensempfindungen zugdnglich sein konnte, zumal sein Haar schon
anfing  weiYA  zu werden und sich niemand erinnerte, ihn je von etwas anderem
als von Jurisprudenz sprechen gehort  zu haben, hatte  wohl keiner geglaubt.
Doch  gerade  in  solchen  verschlossenen  Herzen  gl'ht  die  Sehnsucht  am
heiYAesten.
     An dem Tage, als Dr. Hulbert das Ziel erreichte, das ihm wohl schon als
Hcchstes seit seiner Studentenzeit vorgeschwebt  hatte:  - als ndmlich Seine
Majestdt  der Kaiser  von  Wien aus  ihn  zum Rector  magnificus an  unserer
Universitdt  ernannte,  da  ging es von Mund zu Mund, er habe sich mit einem
jungen, bildschcnen Frdulein aus zwar armer, aber adliger Familie verlobt.
     Und wirklich schien von da  an das Gluck bei  Dr. Hulbert eingezogen zu
sein. Wenn auch  seine  Ehe kinderlos blieb,  so  trug  er doch seine  junge
Gattin auf Hdnden,  und jeden  Wunsch zu erf'llen, den er ihr nur irgend von
den Augen abzulesen vermochte, war seine hcchste Freude.
     In seinem  Gluck vergaYA er jedoch keineswegs, wie  es wohl  so  mancher
andere getan  hatte,  seine  leidenden  Mitmenschen.  "Mir  hat  Gott  meine
Sehnsucht  gestillt,"  soll  er  einmal gesagt  haben,  -  "er  hat  mir ein
Traumgesicht  zur  Wahrheit  werden  lassen,  das  wie  ein  Glanz  vor  mir
hergegangen ist seit Kindheit an: er hat mir  das lieblichste Wesen zu eigen
gegeben, das die Erde  tragt. Und so will ich, daYA  ein  Schimmer von diesem
Gluck, soweit es in meiner Macht steht, auch auf andere fallt." - - -
     Und so kam es, daYA er sich bei Gelegenheit eines armen Studenten annahm
wie seines eigenen  Sohnes. Vermutlich in der Erwdgung,  wie wohl ihm selbst
ein solch gutes Werk getan hatte, wdre es ihm am  eigenen Leib  und Leben in
den Tagen  seiner  kummervollen Jugendzeit passiert. Wie  aber nun auf Erden
manche Tat, die dem Menschen gut und  edel  scheint, Folgen nach  sich zieht
gleich   der   einer  fluchw'rdigen,  weil  wir  wohl  doch  nicht   richtig
unterscheiden kcnnen zwischen dem,  was giftigen Samen in sich tragt und was
heilsamen, so  begab es sich auch hier, daYA aus  Dr. Hulberts mitleidsvollem
Werk das bitterste Leid f'r ihn selbst sproYA.
     Die  junge  Frau  entbrannte  gar  bald  in  heimlicher  Liebe  zu  dem
Studenten, und ein  erbarmungsloses  Schicksal wollte,  daYA sie  der  Rektor
gerade  in dem Augenblicke, als  er  unerwartet  nach Hause  kam, um sie zum
Zeichen  seiner Liebe  mit  einem  StrauYA  Rosen  als  Geburtstagsprdsent zu
'berraschen, in  den Armen  dessen antraf,  auf den  er Wohltat 'ber Wohltat
gehduft hatte.
     Man  sagt,  daYA  die  blaue  Muttergottesblume  f'r  immer  ihre  Farbe
verlieren kann, wenn  der  fahle, schweflige Schein  eines Blitzes,  der ein
Hagelwetter verk'ndet, plctzlich auf sie fdllt; gewiYA ist, daYA die Seele des
alten Mannes f'r  immer  erblindete an dem Tage, wo sein  Gluck  in Scherben
ging.  Am  selben  Abend  noch saYA er,  er, der bis dahin nicht  gewuYAt, was
UnmdYAigkeit  ist, hier beim "Loisitschek" - fast  bewuYAtlos vom  Fusel - bis
zum Morgengrauen. Und der "Loisitschek" wurde seine Heimstdtte f'r  den Rest
seines zerstcrten Lebens. Im Sommer schlief er irgendwo auf dem Schutt eines
Neubaus, im Winter hier auf den hclzernen Bdnken.
     Den Titel  eines Professors  und  Doktors beider  Rechte belieYA man ihm
stillschweigend. Niemand hatte das Herz dazu, gegen ihn, den einst ber'hmten
Gelehrten, den Vorwurf zu erheben, daYA man Drgernis ndhme an seinem Wandel.
     Allmdhlich  sammelte sich  um ihn, was an  lichtscheuem Gesindel in der
Judenstadt sein  Wesen  trieb,  und so kam es zur  Gr'ndung jener  seltsamen
Gemeinschaft, die man noch heutigentags "das Bataillon" nennt.
     Dr.  Hulberts umfassende  Gesetzeskenntnis wurde das Bollwerk  f'r alle
die,  denen  die  Polizei  zu scharf  auf  die  Finger  sah.  War  irgendein
entlassener  Strdfling  daran  zu  verhungern,   schickte  ihn  Dr.  Hulbert
splitternackt  hinaus  auf  den  Altstadter  Ring  - und  das  Amt  auf  der
sogenannten "Fischbanka" sah sich genctigt, einen Anzug beizustellen. Sollte
eine unterstandslose  Dirne aus  der Stadt gewiesen werden, so heiratete sie
schnell einen Strolch, der bezirkszustdndig war, und wurde dadurch ansdssig.
     Hundert solcher  Auswege wuYAte Dr. Hulbert, und seinem  Rate  gegen'ber
stand  die Polizei  machtlos da.  - Was diese AusgestoYAenen der menschlichen
Gesellschaft "verdienten", 'bergaben sie getreulich  auf Heller  und Kreuzer
der gemeinsamen  Kassa, aus der der nctige Lebensunterhalt bestritten wurde.
Niemals  lieYA sich  auch nur einer  die geringste  Unehrlichkeit  zuschulden
kommen.  Mag  sein,  daYA angesichts dieser eisernen  Disziplin der Name "das
Bataillon" entstand.
     P'nktlich am ersten Dezember, wo sich der Tag des Ungl'cks  jdhrte, das
den alten Mann betroffen hatte, fand jedesmal nachts beim "Loisitschek" eine
seltsame  Feier statt.  Kopf  an Kopf  gedrdngt  standen sie hier:  Bettler,
Vagabunden,  Zuhdlter und Dirnen, Trunkenbolde und  Lumpensammler,  und eine
lautlose Stille herrschte wie beim  Gottesdienst. -  Und dann erzdhlte ihnen
Dr.  Hulbert dort von der Ecke  aus,  wo jetzt die beiden Musikanten sitzen,
gerade   unter  dem   Krcnungsbilde  Seiner  Majestdt   des  Kaisers,  seine
Lebensgeschichte:  - wie er sich emporgerungen, den Doktortitel erworben und
spdter Rektor magnificus geworden war. Wenn er zu der Stelle kam, wo er  mit
dem Busch Rosen in der Hand  ins Zimmer seiner jungen Frau trat, - zur Feier
ihres Geburtstages und zugleich zum Geddchtnis jener Stunde,  da er dereinst
um sie anhalten  gekommen und sie  seine  liebe  Braut geworden  war,  -  da
versagte ihm jedesmal  die Stimme, und weinend  sank  er am Tisch  zusammen.
Dann  geschah es wohl zuweilen, daYA  irgendein liederliches Frauenzimmer ihm
verschdmt und heimlich,  damit es  keiner sehen sollte, eine halbwelke Blume
in die Hand legte.
     Von  den Zuhcrern r'hrte  sich dann  noch lange Zeit keiner. Zum Weinen
sind diese  Menschen  zu hart, aber an  ihren Kleidern blickten sie herunter
und drehten unsicher die Finger.
     Eines  Morgens fand man Dr. Hulbert  tot auf  einer Bank  unten  an der
Moldau. Er wird, denke ich, erfroren sein.
     Sein Leichenbegdngnis  sehe  ich noch heute vor  mir.  Das  "Bataillon"
hatte sich fast zerfleischt, um alles so prunkvoll wie mcglich zu gestalten.
     Voran ging der Pedell der  Universitdt in  vollem  Ornat: in den Hdnden
das  purpurne Kissenpolster mit der g'ldenen  Kette  darauf  und hinter  dem
Leichenwagen   in   unabsehbarer   Reihe  -   -  das   "Bataillon"   barfuYA,
schmutzstarrend, zerlumpt  und zerfetzt. Einer  von ihnen hatte sein Letztes
verkauft  und  ging  daher:  Leib,  Beine  und  Arme  mit  Lagen  aus  altem
Zeitungspapier umwickelt und umbunden.
     So erwiesen sie ihm die letzte Ehre.
     Auf seinem  Grabe, drauYAen im Friedhof, steht ein  weiYAer Stein, darein
sind drei Figuren gemeiYAelt: Der Heiland gekreuzigt  zwischen  zwei Rdubern.
Von unbekannter Hand  gestiftet. Man  munkelt, Dr.  Hulberts  Frau habe  das
Denkmal errichtet. - - -
     Im Testament des toten Rechtsgelehrten aber war  ein Legat  vorgesehen,
danach bekommt jeder vom "Bataillon" mittags "beim Loisitschek" umsonst eine
Suppe; zu diesem  Zwecke hdngen  hier am Tisch die Lcffel an den Ketten, und
die ausgehchlten Mulden in der Tischplatte sind die Teller.  Um 12 Uhr kommt
die  Kellnerin  und spritzt  mit einer groYAen, blechernen  Spritze die Br'he
hinein und, wenn sich einer  nicht  ausweisen kann  als "vom Bataillon",  so
zieht sie die Suppe mit der Spritze wieder zur'ck.
     Von diesem Tisch aus machte die Gepflogenheit  als Witz die Runde durch
die ganze Welt."
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     Der Eindruck eines Tumultes im Lokal weckte mich aus  meiner Lethargie.
Die letzten Sdtze, die Zwakh gesprochen, wehten 'ber mein BewuYAtsein hinweg.
Ich sah  noch, wie  er seine Hdnde  bewegte, um  das Vor- und Zur'ckschieben
eines Spritzenkolbens klarzumachen,  dann jagten die Bilder, die  sich rings
um  uns   abrollten,  so  rasch   und   automatenhaft  und  dennoch  mit  so
gespenstischer Deutlichkeit an meinem Auge vor'ber, daYA ich in Momenten ganz
mich selbst vergaYA und mir wie ein Rad vorkam in einem lebendigen Uhrwerk.
     Das Zimmer  war  ein  einziges  Menschengew'hl geworden.  Oben  auf der
Estrade: dutzende Herren in  schwarzen Frdcken. WeiYAe Manschetten, blitzende
Ringe. Eine  Dragoneruniform  mit Rittmeisterschn'ren.  Im  Hintergrund  ein
Damenhut mit lachsfarbigen StrauYAenfedern.
     Durch  die  Stdbe  des Geldnders  stierte das verzerrte  Gesicht Loisas
hinauf. Ich sah: er  konnte sich kaum aufrecht halten. Auch Jaromir  war  da
und  schaute unverwandt hinauf, mit dem R'cken  dicht,  ganz dicht,  an  der
Seitenwand, als presse ihn eine unsichtbare Hand dagegen.
     Die Gestalten hielten  plctzlich im  Tanzen inne:  der Wirt muYAte ihnen
etwas zugerufen  haben, was  sie erschreckt hatte.  Die  Musik spielte noch,
aber leise; sie traute  sich nicht mehr recht. Sie  zitterte; man f'hlte  es
deutlich. Und doch lag der Ausdruck  hdmischer  wilder Freude in dem Gesicht
des Wirtes.
     - - - - In der Eingangst'r steht mit einem Mal der  Polizeikommissdr in
Uniform.  Er hatte die  Arme ausgebreitet, um niemand hinauszulassen. Hinter
ihm ein Kriminalschutzmann.
     "Wird also doch hier getanzt? Trotz Verbotes?  Ich sperre die Spelunke.
Sie kommen mit, Wirt! Und was hier ist, marsch auf die Wachstube!"
     Es klingt wie Kommandos.
     Der Vierschrctige gibt keine Antwort, aber das hdmische Grinsen  bleibt
in seinen Z'gen.
     BloYA starrer ist es geworden.
     Die Harmonika hat sich verschluckt und pfeift nur noch.
     Auch die Harfe zieht den Schwanz ein.
     Die Gesichter  sind  plctzlich  alle im Profil  zu  sehen: sie  glotzen
erwartungsvoll hinauf auf die Estrade.
     Und da kommt eine  vornehme  schwarze Gestalt gelassen  die paar Stufen
herab und geht langsam auf den Kommissdr zu.
     Die   Augen   des   Kriminalschutzmannes    hdngen   gebannt   an   den
heranschlendernden schwarzen Lackschuhen.
     Der Kavalier ist  einen Schritt vor dem Polizeibeamten stehen geblieben
und  ldYAt  den  Blick gelangweilt ihm  von Kopf  bis zu den F'YAen und wieder
zur'ck schweifen.
     Die  andern jungen Adligen oben  auf der Estrade  haben  sich 'ber  das
Geldnder  gebeugt  und  verbeiYAen  das   Lachen  hinter  ihren  grauseidenen
Taschent'chern.
     Der  Dragonerrittmeister klemmt ein Goldst'ck ins Auge und spuckt einem
Mddchen, das unter ihm lehnt, seinen Zigarettenstummel ins Haar.
     Der Polizeikommissdr hat sich  verfdrbt und  starrt in der Verlegenheit
immerwdhrend auf die Perle in der Hemdbrust des Aristokraten.
     Er  kann  den gleichg'ltigen, glanzlosen  Blick  dieses glattrasierten,
unbeweglichen Gesichtes mit der Hakennase nicht ertragen.
     Er bringt ihn aus der Ruhe. Schmettert ihn nieder.
     Die Totenstille im Lokal wird immer qudlender.
     "So  sehen  die  Ritterstatuen aus, die  mit  gefalteten Hdnden auf den
Steinsdrgen liegen in den gotischen Kirchen", fl'stert der Maler Vrieslander
mit einem Blick auf den Kavalier.
     Da bricht der  Aristokrat endlich das  Schweigen: "Dh - Hm." -  -  - er
kopiert die Stimme des Wirtes: "Jd, jd, das sin mir Gdstdh - da schaut man."
Ein  schallendes  Gejohle  explodiert im Lokal, daYA  die Gldser klirren; die
Strolche halten sich den Bauch vor  Lachen. Eine Flasche fliegt an die  Wand
und   zerschellt.  Der  vierschrctige  Wirt   meckert  uns   erlduternd  und
ehrfurchtsvoll zu: "Seine Durchlaucht Exzellenz F'rst Ferri Athenstddt."
     Der F'rst hat dem Beamten eine Visitkarte hingehalten. Der Drmste nimmt
sie, salutiert wiederholt und schldgt die Hacken zusammen.
     Es  wird  von neuem  still,  die  Menge  lauscht  atemlos,  was  weiter
geschehen wird.
     Der Kavalier spricht wieder:
     "Die Damen und Herren, die Sie hier versammelt sehen, - dh - sind meine
lieben Gdste."  Seine Durchlaucht  deutet mit einer nachldssigen Armbewegung
auf  das  Gesindel,  "w'nschen  Sie,  Herr  Kommissdr,  -  dh  -  vielleicht
vorgestellt zu werden?"
     Der Kommissdr verneint mit erzwungenem Ldcheln, stottert verlegen etwas
von  "leidiger  Pflichterf'llung"  und  rafft sich schlieYAlich zu den Worten
auf: "Ich sehe ja, daYA es hier anstdndig zugeht."
     Das bringt Leben in den Dragonerrittmeister: er eilt in den Hintergrund
auf  den Damenhut mit der StrauYAenfeder zu und zerrt im ndchsten  Augenblick
unter dem Jubel der jungen Adligen - Rosina am Arm herunter in den Saal.
     Sie schwankt vor Trunkenheit und hdlt die Augen geschlossen. Der groYAe,
kostbare Hut sitzt ihr schief, und sie hat nichts an als lange rosa Str'mpfe
und - einen Herrenfrack auf dem bloYAen Kcrper.
     Ein Zeichen: Die Musik fallt ein wie rasend - - - "Rititit - Rititit" -
- - und schwemmt den gurgelnden Schrei fort, den der taubstumme Jaromir, als
er Rosina gesehen, an der Wand dr'ben ausgestoYAen hat. - -
     Wir wollen gehen.
     Zwakh ruft nach der Kellnerin.
     Der allgemeine Ldrm verschlingt seine Worte.
     Die Szenen vor mir werden phantastisch wie ein Opiumrausch.
     Der Rittmeister  hdlt die  halbnackte  Rosina  im Arm  und  dreht  sich
langsam mit ihr im Takt.
     Die Menge hat respektvoll Platz gemacht.
     Dann murmelt es von den Bdnken: "Der Loisitschek, der Loisitschek", die
Hdlse werden  lang und zu dem tanzenden  Paar gesellt sich ein  zweites noch
seltsameres. Ein weibisch aussehender  Bursche in  rosa  Trikots, mit langem
blondem Haar bis  zu den Schultern,  Lippen und Wangen  geschminkt wie  eine
Dirne  und  die  Augen  niedergeschlagen  in  koketter  Verwirrung,  - hdngt
schmachtend an der Brust des F'rsten Athenstddt.
     Ein s'YAlicher Walzer quillt aus der Harfe.
     Wilder Ekel vor dem Leben schn'rt mir die Kehle zusammen.
     Mein  Blick  sucht voll  Angst  die  Ture:  der  Kommissdr  steht  dort
abgewendet,   um   nichts   zu  sehen,   und   fl'stert   hastig   mit   dem
Kriminalschutzmann, der etwas einsteckt. Es klirrt wie Handschellen.
     Die  beiden  spdhen  hin'ber auf den blatternarbigen Loisa,  der  einen
Augenblick sich zu verstecken sucht und dann geldhmt - das Gesicht  kalkweiYA
und verzerrt vor Entsetzen - stehen bleibt.
     Ein Bild zuckt in der Erinnerung vor  mir auf und erlischt sofort:  Das
Bild, wie "Prokop lauscht, wie ich es  vor einer Stunde gesehen,  - 'ber das
Kanalgitter gebeugt - und ein Todesschrei gellt aus der Erde empor."
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     Ich will rufen und kann nicht. Kalte Finger greifen mir in den Mund und
biegen  mir  die  Zunge  nach  unten  gegen die Vorderzdhne, daYA es  wie ein
Klumpen meinen Gaumen erf'llt und ich kein Wort hervorbringen kann.
     Ich kann die Finger  nicht sehen,  weiYA,  daYA sie unsichtbar  sind, und
doch empfinde ich sie wie etwas Kcrperliches.
     Und  klar  steht   es  in  meinem   BewuYAtsein:  sie  gehcren  zu   der
gespenstischen Hand,  die mir  in meinem Zimmer in der HahnpaYAgasse das Buch
"Ibbur" gegeben hat.
     "Wasser, Wasser!" schreit Zwakh neben mir. Sie halten mir den  Kopf und
leuchten mir mit einer Kerze in die Pupillen.
     "In seine Wohnung schaffen, Arzt holen - der Archivar Hillel kennt sich
aus in solchen Dingen - - zu ihm bringen!" beraten sie murmelnd.
     Dann liege ich  starr wie  eine Leiche  auf einer Bahre  und Prokop und
Vrieslander tragen mich hinaus.

     Zwakh war  vor  uns  die Treppen  hinaufgelaufen,  und  ich hcrte,  wie
Mirjam, die Tochter des Archivars Hillel, ihn dngstlich ausfragte und er sie
zu beruhigen trachtete.
     Ich gab mir keine M'he hinzuhorchen, was sie  miteinander sprachen, und
erriet mehr, als ich es in Worten  verstand, daYA Zwakh erzdhlte, mir sei ein
Unfall zugestoYAen  und sie kdmen bitten, mir die erste Hilfe  zu leisten und
mich wieder zu BewuYAtsein zu bringen.
     Noch immer  konnte  ich kein Glied r'hren, und die unsichtbaren  Finger
hielten meine Zunge; aber mein Denken war fest und sicher und das Gef'hl des
Grauens hatte  von mir abgelassen.  Ich wuYAte  genau, wo ich war und was mit
mir  geschah, und empfand es nicht einmal als absonderlich, daYA man mich wie
einen  Toten  hinauftrug,  samt  der  Bahre   im  Zimmer  Schemajah  Hillels
niedersetzte und - allein lieYA.
     Eine ruhige, nat'rliche Zufriedenheit, wie man sie beim Heimkommen nach
einer langen Wanderung genieYAt, erf'llte mich.
     Es  war finster  in der  Stube, und mit verschwimmenden Umrissen  hoben
sich die Fensterrahmen in Kreuzesformen  von dem  mattleuchtenden  Dunst ab,
der von der Gasse heraufschimmerte.
     Alles  kam mir selbstverstdndlich  vor  und  ich  wunderte  mich  weder
dar'ber,  daYA  Hillel  mit  einem j'dischen  siebenflammigen  Sabbatleuchter
eintrat, noch, daYA  er mir  gelassen "guten  Abend" w'nschte  wie  jemandem,
dessen Kommen er erwartet hatte.
     Was ich  die  ganze  Zeit,  die  ich  im  Hause  wohnte,  nie als etwas
Besonderes bemerkt hatte, - trotzdem wir einander  oft drei-  bis viermal in
der Woche auf  den Stiegen begegnet waren, - fiel mir plctzlich stark an ihm
auf,  wie er so  hin  und  her  ging,  einige Gegenstdnde  auf  der  Kommode
zurechtr'ckte und schlieYAlich mit  dem  Leuchter  einen zweiten, gleichfalls
siebenflammigen anz'ndete.
     Ndmlich:  sein  EbenmaYA an Leib  und  Gliedern und der  schmale,  feine
Schnitt des Gesichtes mit dem edlen Stirnaufbau.
     Er konnte, wie ich jetzt beim Schein der Kerzen  sah,  nicht dlter sein
als ich: hcchstens 45 Jahre zdhlen.
     "Du bist um einige Minuten  fr'her  gekommen", - begann  er  nach einer
Weile  - "als anzunehmen  war, sonst  hdtte  ich  die Lichter  schon  vorher
angez'ndet." -  Er deutete  auf  die  beiden Leuchter, trat an die Bahre und
richtete seine  dunklen, tiefliegenden Augen, wie es schien, auf jemand, der
mir zu Hdupten stand oder  kniete, den ich aber  nicht  zu  sehen vermochte.
Dabei bewegte er seine Lippen und sprach lautlos einen Satz.
     Sofort  lieYAen  die  unsichtbaren  Finger  meine  Zunge   los  und  der
Starrkrampf  wich  von mir. Ich richtete mich auf und  blickte hinter  mich:
Niemand auYAer Schemajah Hillel und mir war im Zimmer.
     Sein "Du" und die Bemerkung, daYA er mich erwartet habe, hatten also mir
gegolten!?
     Viel befremdender als diese beiden Umstdnde an sich wirkte es auf mich,
daYA ich nicht imstande war, auch nur  die  geringste Verwunderung dar'ber zu
empfinden.
     Hillel erriet offenbar  meine  Gedanken, denn  er  ldchelte freundlich,
wobei er mir von der Bahre aufstehen half und mit  der Hand auf einen Sessel
wies, und sagte:
     "Es  ist  auch  nichts Wunderbares dabei.  Schreckhaft  wirken  nur die
gespenstischen Dinge - die Kischuph - auf den Menschen; das Leben kratzt und
brennt wie  ein hdrener Mantel,  aber die Sonnenstrahlen der geistigen  Welt
sind mild und erwdrmend."
     Ich schwieg, da mir nichts einfiel, was  ich ihm hdtte erwidern sollen.
Er schien auch keine Gegenrede erwartet zu  haben, setzte sich mir gegen'ber
und  fuhr  gelassen fort: "Auch ein  silberner Spiegel, hdtte er Empfindung,
litte nur Schmerzen, wenn er poliert wird. Glatt und gldnzend geworden, gibt
er alle Bilder wieder, die auf ihn fallen, ohne Leid und Erregung."
     "Wohl dem Menschen", setzte er leise hinzu, "der von sich  sagen  kann:
Ich bin geschliffen." -  Einen Augenblick versank er in Nachdenken,  und ich
hcrte ihn einen  hebrdischen Satz murmeln: "Lischuosicho  Kiwisi  Adoschem."
Dann drang seine Stimme wieder klar an mein Ohr:
     "Du bist  zu  mir  gekommen in  tiefem Schlaf  und  ich habe dich  wach
gemacht. Im Psalm David heiYAt es:
     "Da sprach ich in mir selbst: jetzt fange ich an: Die Rechte Gottes ist
es, welche diese Verdnderung gemacht hat."
     Wenn die Menschen aufstehen von ihren Lagerstdtten,  so wdhnen sie, sie
hdtten  den Schlaf abgesch'ttelt, und wissen nicht, daYA sie ihren Sinnen zum
Opfer fallen  und die Beute eines  neuen viel tieferen Schlafes  werden, als
der war, dem sie soeben entronnen  sind. Es gibt nur ein wahres Wachsein und
das  ist  das, dem Du dich jetzt  ndherst. Sprich den Menschen davon und sie
werden sagen, Du seist  krank, denn  sie kcnnen dich nicht verstehen.  Darum
ist es zwecklos und grausam, ihnen davon zu reden.
     Sie fahren dahin wie ein Strom -
     Und sind wie ein Schlaf,
     Gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird -
     Das des Abends abgehauen wird und verdorret."
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     "Wer war  der Fremde, der mich  in meiner Kammer aufgesucht hat und mir
das Buch "Ibbur" gab? Habe ich ihn im Wachen oder im Traum gesehen?", wollte
ich fragen,  doch  Hillel antwortete mir, noch ehe ich den Gedanken in Worte
fassen konnte:
     "Nimm an, der Mann, der zu Dir kam und den Du den Golem nennst, bedeute
die Erweckung des Toten durch  das  innerste  Geistesleben.  Jedes Ding  auf
Erden ist nichts als ein ewiges Symbol in Staub gekleidet!
     Wie denkst Du mit dem Auge? Jede Form, die Du siehst, denkst Du mit dem
Auge. Alles, was zur Form geronnen ist, war vorher ein Gespenst."
     Ich f'hlte, wie Begriffe, die bisher in  meinem Hirn verankert gewesen,
sich  losrissen  und  gleich  Schiffen  ohne  Steuer  hinaustrieben  in  ein
uferloses Meer.
     Ruhevoll fuhr Hillel fort:
     "Wer aufgeweckt  worden  ist,  kann nicht  mehr sterben; Schlaf und Tod
sind dasselbe."
     "- - kann nicht mehr sterben?" - Ein dumpfer Schmerz ergriff mich.
     "Zwei  Pfade  laufen nebeneinander hin:  der Weg des Lebens und der Weg
des Todes. Du hast das Buch "Ibbur" genommen und darin gelesen.  Deine Seele
ist schwanger geworden vom Geist des Lebens", hcrte ich ihn reden.
     "Hillel, Hillel, laYA  mich den Weg  gehen, den alle Menschen gehen: den
des Sterbens!", schrie alles wild in mir auf.
     Schemajah Hillels Gesicht wurde starr vor Ernst.
     "Die Menschen gehen keinen Weg,  weder den  des  Lebens,  noch  den des
Todes.  Sie treiben daher wie Spreu im Sturm. Im Talmud steht: "Ehe Gott die
Welt  schuf,  hielt er den  Wesen einen Spiegel  vor; darin  sahen  sie  die
geistigen Leiden des Daseins  und die Wonnen, die  darauf folgten. Da nahmen
die  einen die Leiden auf sich. Die  anderen aber  weigerten sich, und diese
strich Gott aus  dem Buche der Lebenden." Du aber gehst einen  Weg und  hast
ihn aus freiem Willen beschritten, - wenn Du es jetzt auch selbst nicht mehr
weiYAt: Du bist berufen  von dir selbst.  Grdm' dich  nicht: allmdhlich, wenn
das Wissen kommt,  kommt  auch die  Erinnerung. Wissen  und Erinnerung  sind
dasselbe."
     Der   freundliche,  fast  liebensw'rdige  Ton,  in  den  Hillels   Rede
ausgeklungen  war, gab  mir meine Ruhe wieder, und  ich f'hlte mich geborgen
wie ein krankes Kind, das seinen Vater bei sich weiYA.
     Ich blickte auf und sah, daYA mit einemmal  viele  Gestalten  im  Zimmer
waren und uns  im Kreis umstanden: einige in weiYAen Sterbegewdndern, wie sie
die alten Rabbiner trugen, andere mit dreieckigem Hut und Silberschnallen an
den  Schuhen - aber  Hillel fuhr  mir mit der  Hand 'ber die  Augen, und die
Stube war wieder leer.
     Dann  geleitete  er mich hinaus  zur Treppe  und gab mir eine brennende
Kerze mit, damit ich mir hinaufleuchten kcnne in mein Zimmer.
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     Ich legte  mich zu  Bett  und wollte schlafen,  aber  der Schlummer kam
nicht,  und ich  geriet stattdessen in einen  sonderbaren Zustand, der weder
Trdumen war, noch Wachen, noch Schlafen.
     Das  Licht hatte ich ausgelcscht, aber trotzdem war alles in der  Stube
so deutlich, daYA ich  jede  einzelne  Form genau unterscheiden konnte. Dabei
f'hlte  ich mich vollkommen  behaglich und frei  von der gewissen qualvollen
Unruhe, die einen foltert, wenn man sich in dhnlicher Verfassung befindet.
     Nie  vorher in  meinem Leben wdre ich imstande gewesen, so  scharf  und
prdzis zu  denken wie  eben  jetzt. Der Rhythmus der Gesundheit durchstrcmte
meine  Nerven  und ordnete meine Gedanken in Reih' und Glied wie eine Armee,
die nur auf meine Befehle wartete.
     Ich brauchte bloYA zu  rufen, und sie traten vor mich und erf'llten, was
ich w'nschte.
     Eine  Gemme,  die  ich in  den  letzten Wochen  aus  Aventurinstein  zu
schneiden versucht hatte, - ohne damit  zurechtzukommen, da sich die  vielen
zerstreuten  Flimmer in  dem  Mineral niemals  mit den  Gesichtsz'gen decken
wollten, die ich  mir vorgestellt,  - fiel mir  ein, und im  Nu sah  ich die
Lcsung vor mir und wuYAte genau, wie ich den Stichel zu  f'hren hatte, um der
Struktur der Masse gerecht zu werden.
     Ehedem  Sklave einer Horde phantastischer Eindr'cke und Traumgesichter,
von denen ich oft nicht  gewuYAt: waren es Ideen  oder Gef'hle,  sah ich mich
jetzt plctzlich als Herr und Kcnig im eigenen Reich.
     Rechenexempel, die ich fr'her  nur mit Dchzen und auf dem Papier  hdtte
bewdltigen  kcnnen,  f'gten sich  mir  mit einem  Mal im Kopf  spielend  zum
Resultat.  Alles mit Hilfe einer  neuen, in  mir erwachten Fdhigkeit, das zu
sehen  und  festzuhalten,   was   ich  gerade  brauchte:  Ziffern,   Formen,
Gegenstdnde  oder  Farben. Und  wenn es sich um  Fragen handelte,  die durch
derlei  Werkzeuge  nicht  zu  lcsen  waren:  - philosophische  Probleme  und
dhnliches  -, so  trat  an  Stelle des inneren Sehens  das Gehcr, wobei  die
Stimme Schemajah Hillels die Rolle des Sprechers 'bernahm.
     Erkenntnisse seltsamster Art wurden mir zuteil.
     Was ich tausendmal im Leben achtlos als bloYAes Wort an meinem Ohr hatte
vor'bergehen  lassen,  stand wertgetrdnkt  bis in die tiefste Faser vor mir;
was  ich  "auswendig"  gelernt,  "erfaYAte" ich  mit  einem  Schlag  als mein
"Eigen"tum. Der Wortbildung Geheimnisse, die ich nie geahnt, lagen nackt vor
mir.
     Die "hohen" Ideale  der Menschheit,  die  vordem  mit kommerzienrdtlich
biederer  Miene,  die Pathosbrust mit  Orden bekleckst, mich  von oben herab
behandelt hatten,  -  dem'tig nahmen  sie jetzt die Maske von der Fratze und
entschuldigten sich:  sie seien selber ja nur Bettler, aber immerhin Kr'cken
f'r - einen noch frecheren Schwindel.
     Trdumte ich nicht  vielleicht doch? Hatte ich etwa gar nicht mit Hillel
gesprochen?
     Ich griff nach dem Sessel neben meinem Bett.
     Richtig: dort lag die Kerze, die  mir  Schemajah  mitgegeben hatte; und
selig wie ein kleiner Junge  in der Christfestnacht, der sich 'berzeugt hat,
daYA der wundervolle Hampelmann wirklich und leibhaftig vorhanden ist, w'hlte
ich mich wieder in die Kissen.
     Und wie ein Sp'rhund drang ich weiter vor in das Dickicht der geistigen
Rdtsel, die mich rings umgaben.
     Zuerst versuchte ich zu dem Punkt in meinem Leben zur'ckzugelangen, bis
zu dem meine Erinnerung  reichte. Nur von dort aus - glaubte ich - kcnnte es
mir mcglich sein, jenen  Teil  meines Daseins zu 'berblicken, der  f'r mich,
durch eine seltsame F'gung des Schicksals in Finsternis geh'llt lag.
     Aber wie  sehr ich mich auch bem'hte, ich kam nicht weiter, als daYA ich
mich wie einst  in dem d'steren Hofe unseres Hauses stehen sah und durch den
Torbogen den Trcdlerladen des Aaron  Wassertrum unterschied - als ob ich ein
Jahrhundert lang als  Gemmenschneider  in diesem Hause  gewohnt hdtte, immer
gleich alt und ohne jemals ein Kind gewesen zu sein!
     Schon wollte ich  es als hoffnungslos aufgeben, weiter  zu  sch'rfen in
den Schdchten  der Vergangenheit,  da begriff ich  plctzlich mit leuchtender
Klarheit,  daYA  in   meiner  Erinnerung  wohl  die   breite  HeerstraYAe  der
Geschehnisse  mit dem gewissen Torbogen endete, nicht aber eine Menge winzig
schmaler FuYAsteige, die wohl  bisher den Hauptpfad stdndig begleitet hatten,
von mir jedoch nicht beachtet worden  waren. "Woher", schrie es  mir fast in
die  Ohren,  "hast du denn die  Kenntnisse, dank derer du jetzt  dein  Leben
fristest? Wer hat dich Gemmenschneiden gelehrt -  und Gravieren  und all das
andere? Lesen, schreiben,  sprechen - und essen -  und gehen,  atmen, denken
und f'hlen?"
     Sofort griff ich den Rat meines Innern  auf. Systematisch ging ich mein
Leben zur'ck.
     Ich  zwang  mich  in  verkehrter  aber ununterbrochener Reihenfolge  zu
'berlegen: was ist soeben geschehen, was war der Ausgangspunkt dazu, was lag
vor diesem und so weiter?
     Wieder  war  ich bei dem  gewissen Torbogen angelangt - - jetzt! Jetzt!
Nur ein kleiner Sprung ins Leere und der Abgrund, der mich von dem Vergessen
trennte,  muYAte 'berflogen sein - da trat ein Bild vor mich, das ich auf der
R'ckwanderung meiner Gedanken 'bersehen hatte: Schemajah Hillel fuhr mir mit
der Hand 'ber die Augen - genau wie vorhin unten in seinem Zimmer.
     Und weggewischt war alles. Sogar der Wunsch, weiter zu forschen.
     Nur eins stand fest als bleibender Gewinn:  die  Erkenntnis:  die Reihe
der Begebenheiten im Leben ist eine Sackgasse, so breit und gangbar sie auch
zu  sein  scheint.  Die  schmalen,  verborgenen  Steige sind's,  die  in die
verlorene Heimat  zur'ckf'hren: das, was mit feiner, kaum sichtbarer Schrift
in unserem Kcrper eingraviert ist, und nicht  die scheuYAliche Narbe, die die
Raspel des  duYAeren  Lebens  hinterlaYAt,  -  birgt die  Lcsung  der  letzten
Geheimnisse.
     So,  wie ich zur'ckfinden kcnnte in die Tage meiner jugend, wenn ich in
der  Fibel das Alphabet in verkehrter  Folge  vorndhme von Z bis A,  um dort
anzulangen, wo ich in der Schule  zu lernen  begonnen, -  so,  begriff  ich,
muYAte ich auch wandern kcnnen in die andere ferne Heimat, die jenseits allen
Denkens liegt.
     Eine Weltkugel an Arbeit wdlzte sich auf meine Schultern. Auch Herkules
trug eine Zeitlang das Gewclbe des  Himmels auf seinem Haupte, fiel mir ein,
und versteckte  Bedeutung  schimmerte  mir  aus  der Sage entgegen.  Und wie
Herkules wieder loskam  durch eine List, indem er den Riesen Atlas bat: "LaYA
mich  nur  einen Bausch  von Stricken  um  den Kopf binden,  damit  mir  die
entsetzliche Last nicht das Gehirn zersprengt", so gdbe es vielleicht  einen
dunklen Weg - ddmmerte mir - von dieser Klippe weg.
     Ein tiefer  Argwohn, der F'hrerschaft  meiner Gedanken weiter blind  zu
vertrauen, beschlich mich plctzlich. Ich legte mich gerade und verschloYA mit
den  Fingern Augen und Ohren, um nicht abgelenkt zu  werden durch die Sinne.
Um jeden Gedanken zu tcten.
     Doch mein Wille zerschellte an dem ehernen Gesetz: Ich konnte immer nur
einen Gedanken durch einen  anderen vertreiben,  und  starb der  eine, schon
mdstete sich der ndchste an seinem Fleische. Ich fl'chtete in den brausenden
Strom meines  Blutes, aber die Gedanken folgten mir auf dem FuYA; ich verbarg
mich  im Hdmmerwerk  meines  Herzens: nur eine kleine Weile, und sie  hatten
mich entdeckt.
     Abermals  kam  mir da  Hillels freundliche Stimme zu  Hilfe und  sagte:
"Bleib  auf  deinem  Weg  und wanke  nicht!  Der  Schl'ssel  zur  Kunst  des
Vergessens gehcrt unseren Br'dern, die den  Pfad des  Todes wandeln; du aber
bist geschwdngert vom Geiste des - Lebens."
     Das  Buch Ibbur erschien  vor mir,  und zwei Buchstaben  flammten darin
auf: der eine, der das erzene Weib  bedeutete, mit dem Pulsschlag,  mdchtig,
gleich  einem Erdbeben, - der andere in  unendlicher Ferne: der Hermaphrodit
auf dem Thron von Perlmutter, auf dem Haupte die Krone aus rotem Holz.
     Dann  fuhr  Schemajah Hillel ein drittes Mal mit der  Hand  'ber  meine
Augen, und ich schlummerte ein.

     "Mein lieber und verehrter Meister Pernath!
     Ich schreibe Ihnen diesen Brief in fliegender Eile und  hcchster Angst.
Bitte, vernichten  Sie ihn  sofort,  nachdem  Sie ihn gelesen  haben, - oder
besser noch, bringen  Sie ihn mir  samt Kuvert mit.  - Ich hdtte keine  Ruhe
sonst.
     Sagen  Sie keiner Menschenseele, daYA  ich Ihnen geschrieben habe.  Auch
nicht, wohin Sie heute gehen werden!
     Ihr ehrliches gutes Gesicht hat  mir  - "neulich" - (Sie  werden  durch
diese kurze Anspielung auf ein Ereignis,  dessen  Zeuge  Sie waren, erraten,
wer  Ihnen  diesen Brief  schreibt,  denn  ich f'rchte  mich,  meinen  Namen
darunter  zu  setzen)  -  so viel Vertrauen eingeflcYAt, und weiter,  daYA Ihr
lieber, seliger Vater mich als Kind  unterrichtet hat,  - alles das gibt mir
den Mut, mich an Sie, als vielleicht den einzigen  Menschen, der noch helfen
kann, zu wenden.
     Ich flehe Sie an, kommen  Sie  heute, abends um 5 Uhr, in die Domkirche
auf dem Hradschin."
     Eine Ihnen bekannte Dame.
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     Wohl eine  Viertelstunde  lang saYA  ich da und hielt  den  Brief in der
Hand.  Die seltsame,  weihevolle Stimmung,  die mich  von  gestern nacht her
umfangen  gehalten, war  mit  einem  Schlag  gewichen, -  weggeweht von  dem
frischen  Windhauch  eines neuen irdischen Tages.  Ein junges  Schicksal kam
ldchelnd  und verheiYAungsvoll  -  ein  Fr'hlingskind  -  auf  mich  zu.  Ein
Menschenherz suchte Hilfe bei  mir. - Bei mir! Wie sah meine Stube plctzlich
so anders aus! Der  wurmstichige, geschnitzte Schrank  blickte  so zufrieden
drein, und die vier Sessel kamen mir  vor wie  alte Leute, die um den  Tisch
herumsitzen und behaglich kichernd Tarock spielen.
     Meine  Stunden hatten einen Inhalt bekommen, einen Inhalt voll Reichtum
und Glanz.
     So sollte der morsche Baum noch Fr'chte tragen?
     Ich f'hlte,  wie  mich eine lebendige  Kraft durchrieselte,  die bisher
schlafen gelegen in  mir - verborgen  gewesen in den  Tiefen  meiner  Seele,
versch'ttet von dem Gercll, das der  Alltag hduft, wie eine Quelle losbricht
aus dem Eis, wenn der Winter zerbricht.
     Und ich wuYAte so gewiYA, wie ich den Brief  in der  Hand  hielt, daYA ich
w'rde  helfen kcnnen,  um was es auch ginge. Der Jubel in  meinem Herzen gab
mir die Sicherheit.
     Wieder und  wieder las  ich  die  Stelle: "und weiter,  daYA Ihr  lieber
seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat -  - -"; - mir  stand der  Atem
still. Klang das  nicht wie  VerheiYAung:  "Heute noch  wirst du  mit mir  im
Paradiese  sein?" Die Hand, die sich mir  hinstreckte, Hilfe suchend,  hielt
mir  das Geschenk  entgegen: die R'ckerinnerung, nach der  ich  d'rstete,  -
w'rde  mir  das Geheimnis  offenbaren, den Vorhang  heben  helfen,  der sich
hinter meiner Vergangenheit geschlossen hatte!
     "Ihr  lieber seliger Vater" -  -, wie fremdartig die Worte klangen, als
ich sie  mir  vorsagte! - Vater! - Einen Augenblick sah ich das m'de Gesicht
eines  alten  Mannes  mit  weiYAem Haar in dem Lehnstuhl  neben meiner  Truhe
auftauchen  - fremd,  ganz fremd und  doch so schauerlich bekannt; -  - dann
kamen  meine  Augen  wieder  zu  sich,  und die Hammerlaute  meines  Herzens
schlugen die greifbare Stunde der Gegenwart.
     Erschreckt fuhr ich  auf: hatte ich die Zeit vertrdumt? Ich blickte auf
die Uhr: Gott sei Lob, erst halb f'nf.
     Ich  ging  in meine  Schlafkammer nebenan,  holte Hut  und  Mantel  und
schritt die Treppen hinab.  Was k'mmerte  mich heute das Geraune der dunklen
Winkel, die  bcsartigen,  engherzigen, verdrossenen Bedenken, die  immer von
ihnen  aufstiegen:  "Wir  lassen dich nicht,  - du bist unser, - wir  wollen
nicht, daYA du dich freust - das wdre noch schcner, Freude hier im Haus!"
     Der feine, vergiftete Staub, der sich sonst aus allen diesen Gdngen und
Ecken her  um  mich gelegt  mit  w'rgenden Hdnden: heute  wich  er  vor  dem
lebendigen Hauch meines Mundes. Einen Augenblick blieb ich stehen an Hillels
T'r.
     Sollte ich eintreten?
     Eine heimliche Scheu hielt mich ab zu  klopfen. Mir war so ganz  anders
heute, - so, als d'rfe ich gar nicht hinein zu ihm. Und schon trieb mich die
Hand des Lebens vorwdrts, die Stiegen hinab. - -
     Die Gasse lag weiYA im Schnee.
     Ich  glaube, daYA viele  Leute  mich  gegr'YAt  haben; ich  erinnere mich
nicht, ob  ich ihnen gedankt. Immer  wieder f'hlte ich  an die Brust, ob ich
den Brief auch bei mir tr'ge:
     Es ging eine Wdrme von der Stelle aus. - -
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     Ich  wanderte  durch  die  Bogen  der  gequaderten Laubengdnge  auf dem
Altstddter Ring und an  dem  Erzbrunnen vorbei, dessen  barockes Gitter voll
Eiszapfen  hing, hin'ber 'ber die steinerne Br'cke mit ihren Heiligenstatuen
und dem Standbild des Johannes von Nepomuk.
     Unten schdumte der FluYA voll HaYA gegen die Fundamente.
     Halb im Traum fiel mein Blick auf den gehchlten Sandstein  der heiligen
Luitgard mit "den Qualen der Verdammten" darin: dicht lag der Schnee auf den
Lidern der B'YAenden und den Ketten an ihren betend erhobenen Hdnden.
     Torbogen nahmen mich auf und  entlieYAen mich, Paldste zogen  langsam an
mir vor'ber, mit geschnitzten, hochm'tigen  Portalen, darinnen Lcwenkcpfe in
bronzene Ringe bissen.
     Auch  hier  'berall  Schnee, Schnee. Weich, weiYA  wie  das  Fell  eines
riesigen Eisbdren.
     Hohe, stolze  Fenster,  die  Simse  beglitzert  und  vereist,  schauten
teilnahmslos zu den Wolken empor.
     Ich wunderte mich, wie der Himmel so voll ziehender Vcgel war.
     Als ich die  unzdhligen Granitstufen emporstieg zum  Hradschin, jede so
breit,  wie  wohl vier Menschenleiber lang sind, versank  Schritt um Schritt
die Stadt mit ihren Ddchern und Giebeln vor meinem Sinn. - - -
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     Schon schlich die Ddmmerung die  Hduserreihen entlang, da trat ich  auf
den einsamen Platz, aus dessen Mitte der Dom aufragt zum Thron der Engel.
     FuYAstapfen - die Rdnder mit Krusten aus Eis - f'hrten hin zum Nebentor.
     Von irgendwo  aus  einer  fernen  Wohnung klangen leise, verlorene Tcne
eines Harmoniums in  die Abendstille hinaus. Wie Trdnentropfen der Schwermut
fielen sie in die Verlassenheit.
     Ich  hcrte  hinter   mir   das  Seufzen  des  Schlagpolsters,  wie  die
Kirchent're mich  aufnahm, dann stand ich  im Dunkel, und der  goldene Altar
blinkte in starrer Ruhe her'ber zu mir durch den  gr'nen und blauen Schimmer
sterbenden  Lichtes, das  durch  die  farbigen  Fenster  auf  die  Betst'hle
niedersank. Funken spr'hten aus roten, gldsernen Ampeln.
     Welker Duft von Wachs und Weihrauch.
     Ich lehnte mich in eine  Bank.  Mein Blut ward seltsam still  in diesem
Reich der Regungslosigkeit.
     Ein  Leben  ohne  Herzschlag  erf'llte  den  Raum  -  ein   heimliches,
geduldiges Warten.
     Die silbernen Reliquienschreine lagen im ewigen Schlaf.
     Da! -  Aus weiter,  weiter  Ferne  drang  das  Gerdusch von Pferdehufen
geddmpft, kaum merklich an mein Ohr, wollte ndher kommen und verstummte.
     Ein matter Schall, wie wenn ein Wagenschlag zufdllt. - - -
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     Das  Rauschen eines seidenen Kleides war auf mich  zugekommen, und eine
zarte, schmale Damenhand hatte leicht meinen Arm ber'hrt.
     "Bitte, bitte, gehen wir doch dort  neben  den Pfeiler; es  widerstrebt
mir, hier in den  Betst'hlen von den Dingen zu sprechen, die ich Ihnen sagen
muYA."
     Die weihevollen  Bilder  ringsum zerrannen  zu n'chterner Klarheit. Der
Tag hatte mich plctzlich angefaYAt.
     "Ich  weiYA gar  nicht, wie ich Ihnen  danken soll, Meister Pernath, daYA
Sie mir zuliebe bei dem schlechten Wetter den langen Weg hier herauf gemacht
haben."
     Ich stotterte ein paar banale Worte.
     "-  -  Aber  ich  wuYAte  keinen  andern  Ort,  wo  ich   sicherer   vor
Nachforschung und Gefahr bin, als diesen. Hierher, in den Dom, ist uns gewiYA
niemand nachgegangen."
     Ich zog den Brief hervor und reichte ihn der Dame.
     Sie war fast ganz vermummt in einen kostbaren Pelz, aber schon am Klang
ihrer Stimme  hatte  ich  sie  wiedererkannt als dieselbe,  die damals  voll
Entsetzen vor  Wassertrum in mein  Zimmer in der HahnpaYAgasse fl'chtete. Ich
war auch nicht erstaunt dar'ber, denn ich hatte niemand anderen erwartet.
     Meine  Augen  hingen  an  ihrem  Gesicht,  das  in  der  Ddmmerung  der
Mauernische  wohl  noch blasser schien, als es in Wirklichkeit sein  mochte.
Ihre  Schcnheit  benahm  mir fast den  Atem, und ich stand  wie  gebannt. Am
liebsten wdre ich vor ihr niedergefallen und hdtte ihre F'YAe gek'YAt, daYA sie
es war, der ich helfen sollte, daYA sie mich dazu erwdhlt hatte.
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     "Vergessen Sie, ich  bitte Sie von Herzen darum,  -  wenigstens solange
wir hier sind - die Situation, in der Sie mich damals gesehen haben", sprach
sie  gepreYAt  weiter, "ich weiYA auch gar  nicht, wie  Sie 'ber  solche Dinge
denken - -"
     "Ich bin  ein  alter  Mann geworden, aber  kein  einziges Mal in meinem
Leben  war ich  so vermessen, daYA  ich mich Richter ged'nkt hdtte 'ber meine
Mitmenschen", war das einzige, was ich hervorbrachte.
     "Ich danke Ihnen, Meister Pernath", sagte sie warm  und  schlicht. "Und
jetzt  hcren Sie mich geduldig an, ob  Sie  mir in meiner Verzweiflung nicht
helfen oder wenigstens einen Rat geben kcnnen." - Ich f'hlte, wie eine wilde
Angst sie packte, und hcrte ihre Stimme  zittern. - "Damals - - im Atelier -
- - damals  brach  die schreckliche GewiYAheit  'ber mich  herein,  daYA jener
grauenhafte Oger mir mit  Vorbedacht  nachgesp'rt hat.  - Schon durch Monate
war mir  aufgefallen, daYA, wohin ich auch immer  ging, - ob allein, oder mit
meinem  Gatten,  oder  mit -  -  -  mit  -  mit  Dr. Savioli,  -  stets  das
entsetzliche  Verbrechergesicht  dieses   Trcdlers  irgendwo   in  der  Ndhe
auftauchte. Im Schlaf und im Wachen verfolgten mich seine schielenden Augen.
Noch  macht sich  ja  kein Zeichen  bemerkbar, was er  vorhat,  aber  um  so
qualvoller drosselt mich nachts die Angst: wann wirft er mir die Schlinge um
den Hals!
     Anfangs  wollte  mich  Dr.  Savioli  damit beruhigen,  was  denn so ein
armseliger  Trcdler  wie  dieser  Aaron  Wassertrum  'berhaupt  vermcchte  -
schlimmsten Falles kcnnte es  sich nur um eine geringf'gige Erpressung  oder
dergleichen handeln, aber jedesmal  wurden seine  Lippen weiYA, wenn der Name
Wassertrum  fiel. Ich ahne: Dr. Savioli hdlt mir  etwas  geheim, um  mich zu
beruhigen, - irgend  etwas Furchtbares, was ihn oder  mich das Leben  kosten
kann.
     Und dann  erfuhr ich, was er mir sorgsam  verheimlichen wollte: daYA ihn
der  Trcdler mehrere Male  des Nachts  in seiner Wohnung besucht hat!  - Ich
weiYA es, ich sp're es in jeder Faser meines Kcrpers: es geht etwas  vor, das
sich langsam um  uns zusammenzieht wie  die Ringe einer  Schlange. - Was hat
dieser Mcrder dort zu suchen? Warum kann Dr. Savioli ihn  nicht absch'tteln?
Nein, nein, ich sehe  das nicht  ldnger  mit an; ich muYA  etwas  tun. Irgend
etwas, ehe es mich in den Wahnsinn treibt."
     Ich wollte ihr ein paar Worte des Trostes entgegnen, aber sie lieYA mich
nicht zu Ende sprechen.
     "Und in den letzten Tagen  nahm der  Alp, der  mich zu erw'rgen  droht,
immer greifbarere  Formen an. Dr. Savioli ist plctzlich erkrankt, - ich kann
mich  nicht mehr  mit ihm verstdndigen  -  darf ihn nicht besuchen, wenn ich
nicht st'ndlich gewdrtigen soll, daYA meine Liebe zu ihm entdeckt wird -;  er
liegt in Delirien,  und das  einzige, was  ich erkunden konnte, ist,  daYA er
sich im Fieber  von einem Scheusal verfolgt wdhnt, dessen  Lippen von  einer
Hasenscharte gespalten sind: - Aaron Wassertrum!
     Ich weiYA,  wie mutig Dr. Savioli ist; um  so entsetzlicher - kcnnen Sie
sich  das  vorstellen? - wirkt es auf  mich,  ihn jetzt  geldhmt  vor  einer
Gefahr, die ich selbst nur wie die dunkle Ndhe eines grauenhaften W'rgengels
empfinde, zusammengebrochen zu sehen.
     Sie werden sagen, ich sei feige, und warum ich mich denn nicht offen zu
Dr.  Savioli bekenne,  alles  von mir w'rfe, wenn ich  ihn doch so  liebe -:
alles, Reichtum, Ehre, Ruf  und  so weiter,  aber  -" sie schrie es fcrmlich
heraus, daYA es  widerhallte von den  Chorgalerien, - "ich kann nicht!  - Ich
hab' doch mein Kind, mein liebes, blondes, kleines Mddel! Ich kann doch mein
Kind  nicht hergeben! - Glauben Sie denn, mein Mann  lieYAe es mir?!  Da, da,
nehmen Sie das, Meister  Pernath" - sie riYA im  Wahnwitz ein Tdschchen  auf,
das  vollgestopft war  mit Perlenschn'ren und Edelsteinen - "und bringen Sie
es dem Verbrecher; - ich weiYA, er ist habs'chtig - er soll sich alles holen,
was ich  besitze, aber  mein Kind soll er mir lassen. - Nicht  wahr, er wird
schweigen? - So reden Sie doch  um Jesu  Christi willen,  sagen Sie nur  ein
Wort, daYA Sie mir helfen wollen!"
     Es  gelang mir mit grcYAter M'he,  die Rasende  wenigstens  so  weit  zu
beruhigen, daYA sie sich auf eine Bank niederlieYA.
     Ich  sprach  zu   ihr,  wie  es  mir  der   Augenblick  eingab.  Wirre,
zusammenhanglose Sdtze.
     Gedanken jagten dabei  in meinem Hirn, so daYA ich selbst kaum verstand,
was mein Mund redete, - Ideen phantastischer Art, die  zusammenbrachen, kaum
daYA sie geboren waren.
     Geistesabwesend haftete  mein Blick auf einer bemalten  Mcnchsstatue in
der Wandnische. Ich redete und redete. Allmdhlich verwandelten sich die Z'ge
der   Statue,   die  Kutte   wurde   ein  fadenscheiniger   Xberzieher   mit
hochgeklapptem Kragen,  und ein jugendliches Gesicht mit  abgezehrten Wangen
und hektischen Flecken wuchs daraus empor.
     Ehe ich  die  Vision verstehen konnte, war  der  Mcnch wieder da. Meine
Pulse schlugen zu laut.
     Die ungl'ckliche  Frau  hatte sich 'ber  meine Hand gebeugt  und weinte
still.
     Ich gab ihr von der Kraft, die  in mich eingezogen war in  der  Stunde,
als  ich  den  Brief gelesen  hatte,  und  mich jetzt  abermals  'bermdchtig
erf'llte, und ich sah, wie sie langsam daran genas.
     "Ich will  Ihnen sagen,  warum  ich mich gerade  an  Sie gewendet habe,
Meister Pernath",  fing sie nach langem Schweigen leise wieder an. "Es waren
ein  paar Worte, die Sie mir einmal gesagt haben - und die ich nie vergessen
konnte die vielen Jahre hindurch - -"
     Vor vielen Jahren? Mir gerann das Blut.
     "- -  Sie  nahmen Abschied von mir - ich weiYA nicht  mehr,  weshalb und
wieso, ich war ja noch ein Kind, - und Sie sagten so  freundlich und doch so
traurig:
     ›Es  wird wohl nie die Zeit kommen, aber gedenken Sie meiner, wenn  Sie
je im Leben  nicht aus noch ein wissen.  Vielleicht gibt mir Gott der  Herr,
daYA  ich  es dann  sein  darf,  der  Ihnen  hilft.‹ -  Ich habe mich  damals
abgewendet und rasch meinen Ball  in den Springbrunnen fallen lassen,  damit
Sie meine Trdnen nicht sehen  sollten. Und dann  wollte ich Ihnen  das  rote
Korallenherz schenken, das ich  an einem Seidenband um den  Hals  trug, aber
ich schdmte mich, weil das gar so ldcherlich gewesen wdre." - - -
     Erinnerung!
     - Die Finger des Starrkrampfes tasteten nach meiner Kehle. Ein Schimmer
wie  aus  einem vergessenen,  fernen  Land  der  Sehnsucht trat  vor mich  -
unvermittelt und  schreckhaft:  Ein  kleines  Mddchen  in  weiYAem  Kleid und
ringsum  die  dunkle  Wiese  eines  SchloYAparks,  von  alten  Ulmen umsdumt.
Deutlich sah ich es wieder vor mir. - -
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     Ich muYAte mich verfdrbt  haben; ich merkte  es an der Hast, mit der sie
fortfuhr: "Ich weiYA ja, daYA Ihre Worte damals nur der Stimmung des Abschieds
entsprangen, aber  sie  waren  mir  oft ein Trost und - und ich  danke Ihnen
daf'r."
     Mit aller  Kraft biYA ich  die Zdhne zusammen  und  jagte  den heulenden
Schmerz, der mich zerfetzte, in die Brust zur'ck.
     Ich  verstand: Eine gnddige  Hand war es gewesen,  die die  Riegel  vor
meiner Erinnerung  zugeschoben hatte.  Klar stand jetzt in meinem BewuYAtsein
geschrieben, was ein kurzer  Schimmer  aus alten Tagen her'bergetragen: Eine
Liebe,  die  f'r  mein Herz  zu  stark gewesen, hatte f'r Jahre mein  Denken
zernagt, und die Nacht des Irrsinns war damals der Balsam f'r  meinen wunden
Geist geworden.
     Allmdhlich senkte sich die Ruhe des Erstorbenseins 'ber mich und k'hlte
die Trdnen hinter  meinen Augenlidern. Der Hall  von  Glocken zog ernst  und
stolz durch den Dom, und ich konnte freudig ldchelnd der in die Augen sehen,
die gekommen war, Hilfe bei mir zu suchen.
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     Wieder hcrte ich das dumpfe Fallen des Wagenschlags und das Trappen der
Hufe. - - -
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     Durch nachtblauglitzernden Schnee ging ich hinab in die Stadt.
     Die   Laternen   staunten  mich  an  mit  zwinkernden  Augen,  und  aus
geschichteten  Bergen  von Tannenbdumen raunte es von Flitter  und silbernen
N'ssen und vom kommenden Christfest.
     Auf dem Rathausplatz an der Mariensdule  murmelten bei Kerzenglanz  die
alten  Bettelweiber  mit  den  grauen  Kopft'chern  der  Muttergottes  ihren
Rosenkranz.
     Vor  dem  dunklen  Eingang  zur   Judenstadt   hockten  die  Buden  des
Weihnachtsmarktes. Mitten  darin, mit rotem Tuch bespannt, leuchtete  grell,
von   schwelenden   Fackeln   beschienen,    die    offene    B'hne    eines
Marionettentheaters.
     Zwakhs Policcinell in  Purpur und Violett, die Peitsche in der Hand und
daran  an  der  Schnur  einen  Totenschddel,  ritt  klappernd auf  hclzernem
Schimmel 'ber die Bretter.
     In  Reihen  fest  aneinander   gedrdngt  starrten  die  Kleinen  -  die
Pelzm'tzen  tief  'ber die  Ohren gezogen  -  mit offenem  Munde  hinauf und
lauschten  gebannt den  Versen  des  Prager Dichters Oskar Wiener, die  mein
Freund Zwakh da drinnen im Kasten sprach:
     "Ganz vorne schritt ein Hampelmann,
     Der Kerl war mager wie ein Dichter
     Und hatte bunte Lappen an
     Und torkelte und schnitt Gesichter." - - -
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     Ich bog in  die  Gasse  ein,  die schwarz  und  winklig  auf den  Platz
m'ndete.  Dicht, Kopf an Kopf,  stand lautlos eine Menschenmenge  da in  der
Finsternis vor einem Anschlagzettel.
     Ein Mann hatte ein Streichholz angez'ndet, und ich konnte einige Zeilen
bruchst'ckweise lesen.  Mit  dumpfen Sinnen  nahm mein  BewuYAtsein  ein paar
Worte auf:
     VermiYAt!
     1000 fl Belohnung
     Dlterer Herr... schwarz gekleidet...
     ......... Signalement:
     ... fleischiges, glattrasiertes Gesicht......
     ...... Haarfarbe: weiYA.........
     .. Polizeidirektion... Zimmer Nr....
     Wunschlos, teilnahmslos, ein lebender Leichnam, ging ich langsam hinein
in die lichtlosen Hduserreihen.
     Eine  Handvoll  winziger  Sterne glitzerte auf  dem  schmalen,  dunklen
Himmelsweg 'ber den Giebeln.
     Friedvoll  schweiften meine Gedanken  zur'ck in den  Dom, und die  Ruhe
meiner Seele wurde noch beseligender und tiefer, da drang vom Platz her'ber,
schneidend klar  -  als  st'nde  sie dicht an  meinem Ohr  - die  Stimme des
Marionettenspielers durch die Winterluft:
     "Wo ist das Herz aus rotem Stein?
     Es hing an einem Seidenbande
     Und funkelte im Fr'hrotschein." - - -

     Bis tief in die Nacht hatte ich ruhelos mein Zimmer durchmessen und mir
das Gehirn zermartert, wie ich "ihr" Hilfe bringen kcnnte.
     Oft war ich nahe daran gewesen, hinunter zu Schemajah Hillel zu  gehen,
ihm zu erzdhlen, was mir  anvertraut worden, und ihn  um Rat zu bitten. Aber
jedesmal verwarf ich den EntschluYA.
     Er stand im Geist so riesengroYA vor mir, daYA es eine Entweihung schien,
ihn mit Dingen, die das duYAere Leben betrafen,  zu  behelligen,  dann wieder
kamen  Momente,  wo mich brennende  Zweifel befielen, ob ich in Wirklichkeit
alles das erlebt hdtte, was nur eine kurze Spanne Zeit zur'cklag und doch so
seltsam verblaYAt schien, verglichen mit den lebenstrotzenden Erlebnissen des
verflossenen Tages.
     Hatte  ich  nicht  doch  getrdumt?  Durfte ich -  ein  Mensch, dem  das
Unerhcrte  geschehen war, daYA er seine Vergangenheit vergessen hatte, - auch
nur eine Sekunde lang als GewiYAheit  annehmen, wof'r als einziger Zeuge bloYA
meine Erinnerung die Hand aufhob?
     Mein  Blick  fiel auf die Kerze Hillels, die immer  noch auf dem Sessel
lag. Gott  sei  Dank,  wenigstens das eine  stand fest:  ich  war mit ihm in
perscnlicher Ber'hrung gewesen!
     Sollte  ich  nicht ohne  Besinnen  hinunterlaufen  zu  ihm,  seine Knie
umfassen und wie Mensch  zu Mensch ihm  klagen, daYA ein  unsdgliches  Weh an
meinem Herzen fraYA?
     Schon hielt ich die Klinke in der Hand, da lieYA ich wieder los; ich sah
voraus,  was kommen w'rde: Hillel w'rde mir mild 'ber die Augen fahren und -
- - nein, nein, nur das nicht! Ich  hatte kein Recht, Linderung zu begehren.
"Sie" vertraute  auf mich und  meine Hilfe, und wenn die Gefahr, in der  sie
sich f'hlte, mir in Momenten auch klein und nichtig erscheinen mochte, - sie
empfand sie sicherlich als riesengroYA!
     Hillel um Rat zu bitten, blieb morgen Zeit  - ich zwang mich, kalt  und
n'chtern  zu denken; - ihn jetzt -  mitten in der Nacht zu stcren? - es ging
nicht an. So w'rde nur ein Verr'ckter handeln.
     Ich wollte die  Lampe  anz'nden;  dann  lieYA ich  es wieder  sein:  der
Abglanz des Mondlichts fiel von den  Ddchern gegen'ber herein in mein Zimmer
und  gab mehr Helle, als  ich brauchte. Und ich f'rchtete, die Nacht  kcnnte
noch langsamer vergehen, wenn ich Licht machte.
     Es  lag  so   viel  Hoffnungslosigkeit  in  dem  Gedanken,  die   Lampe
anzuz'nden, nur  um den  Tag zu erwarten, - eine leise Angst sagte mir,  der
Morgen r'cke dadurch in unerlebbare Ferne.
     Ich  trat ans Fenster: Wie ein gespenstischer, in der Luft  schwebender
Friedhof lagen  die Reihen verschncrkelter Giebel dort oben -  Leichensteine
mit  verwitterten Jahreszahlen, get'rmt 'ber die dunklen  Modergr'fte, diese
"Wohnstdtten", darein  sich das  Gewimmel  der  Lebenden  Hchlen  und  Gdnge
genagt.
     Lange  stand  ich so und starrte hinauf, bis ich mich leise, ganz leise
zu wundern begann, warum ich denn nicht aufschrdke, wo doch ein Gerdusch von
verhaltenen Schritten durch die Mauern neben mir deutlich an mein Ohr drang.
     Ich  horchte hin:  Kein Zweifel, wieder ging da ein Mensch.  Das  kurze
Dchzen der Dielen verriet, wie seine Sohle zcgernd schlich.
     Mit einem Schlage war  ich ganz bei mir. Ich wurde fcrmlich kleiner, so
preYAte sich  alles in mir zusammen unter  dem Druck  des  Willens, zu hcren.
Jedes Zeitempfinden gerann zu Gegenwart.
     Noch  ein  rasches Knistern,  das  vor sich  selbst erschrak und hastig
abbrach.  Dann  Totenstille. Jene  lauernde,  grauenhafte  Stille,  die  ihr
eigener Verrdter ist und Minuten ins Ungeheuerliche wachsen macht.
     Regungslos stand ich, das Ohr an die Wand gedr'ckt, das drohende Gef'hl
in der Kehle, daYA dr'ben einer stand, genauso wie ich und dasselbe tat.
     Ich lauschte und lauschte:
     Nichts.
     Der Atelierraum nebenan schien wie abgestorben.
     Lautlos  -  auf  den Zehenspitzen - stahl  ich  mich an den Sessel  bei
meinem Bett, nahm Hillels Kerze und z'ndete sie an.
     Dann 'berlegte ich:  Die eiserne Speichert're drauYAen auf dem Gang, die
zum Atelier Saviolis f'hrte, ging nur von dr'ben aufzuklinken.
     Aufs  Geratewohl  ergriff ich ein hakenfcrmiges St'ck Draht,  das unter
meinen Graviersticheln auf dem Tische  lag: derlei Schlcsser springen leicht
auf. Schon beim ersten Druck auf die Riegelfeder!
     Und was w'rde dann geschehen?
     Nur  Aaron Wassertrum konnte  es sein,  der  da  nebenan spionierte,  -
vielleicht  in Kdsten w'hlte, um  neue  Waffen  und Beweise in die  Hand  zu
bekommen, legte ich mir zurecht.
     Ob es viel n'tzen w'rde, wenn ich dazwischen trat?
     Ich besann mich nicht lang:  handeln, nicht denken! Nur dies furchtbare
Warten auf den Morgen zerfetzen!
     Und schon stand ich vor der  eisernen Bodent're, dr'ckte dagegen, schob
vorsichtig  den Haken ins  SchloYA und  horchte.  Richtig:  Ein  schleifendes
Gerduch drinnen im Atelier, wie wenn jemand eine Schublade aufzieht.
     Im ndchsten Augenblick schnellte der Riegel zur'ck.
     Ich konnte das Zimmer 'berblicken und sah,  obwohl  es fast finster war
und meine Kerze mich nur blendete,  wie ein  Mann in langem schwarzem Mantel
entsetzt vor  einem Schreibtisch aufsprang, - eine Sekunde lang unschl'ssig,
wohin sich wenden, - eine Bewegung machte, als wolle er auf mich losst'rzen,
sich dann den Hut vom Kopf riYA und hastig damit sein Gesicht bedeckte.
     "Was suchen Sie hier!" wollte ich rufen, doch der Mann kam mir zuvor:
     "Pernath! Sie sind's?  Gotteswillen! Das Licht weg!" Die Stimme kam mir
bekannt vor, war aber keinesfalls die des Trcdlers Wassertrum.
     Automatisch blies ich die Kerze aus.
     Das Zimmer lag halbdunkel da  - nur von  dem schimmrigen Dunst, der aus
der Fensternische  hereindrang, matt  erhellt  - genau  wie meines, und  ich
muYAte  meine  Augen  aufs duYAerste anstrengen,  ehe ich  in dem abgezehrten,
hektischen Gesicht, das  plctzlich 'ber dem  Mantel auftauchte, die Z'ge des
Studenten Charousek erkennen konnte.
     "Der Mcnch!"  drdngte  es sich mir auf die  Zunge  und ich verstand mit
einem Mal die Vision,  die ich gestern im Dom gehabt! Charousek! Das war der
Mann, an den ich mich wenden sollte! - Und ich hcrte seine Worte wieder, die
er damals im Regen unter dem Torbogen gesagt  hatte: "Aaron Wassertrum  wird
es schon erfahren, daYA man mit vergifteten, unsichtbaren Nadeln durch Mauern
stechen kann. Genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will."
     Hatte ich an Charousek einen Bundesgenossen?  WuYAte  er ebenfalls,  was
sich zugetragen? Sein Hiersein  zu so ungewchnlicher Stunde lieYA fast darauf
schlieYAen, aber ich scheute mich, die direkte Frage an ihn zu richten.
     Er  war  ans Fenster geeilt und spdhte hinter dem Vorhang hinunter  auf
die Gasse.
     Ich erriet: er f'rchtete, Wassertrum kcnne den Lichtschein meiner Kerze
wahrgenommen haben.
     "Sie denken gewiYA,  ich  sei ein Dieb, daYA  ich nachts  hier  in  einer
fremden Wohnung herumsuche,  Meister Pernath," fing er nach langem Schweigen
mit unsicherer Stimme an, "aber ich schwcre Ihnen - -"
     Ich fiel ihm sofort in die Rede und beruhigte ihn.
     Und um ihm  zu zeigen, daYA ich keinerlei  MiYAtrauen gegen ihn hegte, in
ihm  vielmehr  einen  Bundesgenossen  sah,  erzdhlte  ich  ihm  mit  kleinen
Einschrdnkungen,  die  ich f'r  nctig hielt, welche Bewandtnis  es  mit  dem
Atelier  habe, und  daYA  ich f'rchte, eine Frau, die  mir nahestehe,  sei in
Gefahr, den erpresserischen Gel'sten des  Trcdlers  in irgendwelcher Art zum
Opfer zu fallen.
     Aus der hcflichen Weise, mit  der  er mir zuhcrte, ohne mich mit Fragen
zu  unterbrechen,  entnahm ich, daYA  er das meiste bereits wuYAte,  wenn auch
vielleicht nicht in Einzelheiten.
     "Es stimmt schon",  sagte er gr'belnd, als  ich  zu Ende  gekommen war.
"Habe ich mich also doch nicht geirrt! Der Kerl  will Savioli  an die Gurgel
fahren,  das  ist  klar,  aber offenbar hat  er  noch  nicht genug  Material
beisammen. Weshalb w'rde er sich sonst noch hier immerwdhrend  herumdr'cken!
Ich ging ndmlich gestern, sagen wir mal: ›zufdllig‹ durch die HahnpaYAgasse,"
erklarte er, als er  meine  fragende  Miene bemerkte, "da fiel  mir auf, daYA
Wassertrum erst lange - scheinbar unbefangen  - vor dem Tor unten auf und ab
schlenderte, dann aber,  als er sich unbeobachtet  glaubte,  rasch  ins Haus
bog. Ich ging  ihm sofort nach und tat so,  als wollte ich Sie besuchen, das
heiYAt,  ich klopfte  bei  Ihnen  an, und dabei 'berraschte  ich  ihn, wie er
drauYAen  an  der  eisernen  Bodent'r  mit  einem  Schl'ssel  herumhantierte.
Nat'rlich gab er es augenblicklich auf, als ich kam, und  klopfte  ebenfalls
als  Vorwand bei Ihnen an.  Sie schienen 'brigens  nicht zu Hause gewesen zu
sein, denn es cffnete niemand.
     Als ich mich dann  vorsichtig in der Judenstadt erkundigte, erfuhr ich,
daYA jemand,  der nach den Schilderungen nur Dr.  Savioli  sein konnte,  hier
heimlich  ein  Absteigequartier  besdYAe. Da Dr.  Savioli  schwerkrank liegt,
reimte ich mir das 'brige zurecht.
     Sehen Sie: und  das da habe ich  aus den Schubladen zusammengesucht, um
Wassertrum  f'r alle Fdlle zuvorzukommen", schloYA  Charousek und deutete auf
ein  Paket  Briefe  auf  dem  Schreibtisch;   "es  ist  alles,  was  ich  an
Schriftst'cken finden konnte. Hoffentlich ist  sonst nichts  mehr vorhanden.
Wenigstens habe ich in sdmtlichen Truhen und Schrdnken gestcbert, so gut das
in der Finsternis ging."
     Meine Augen  durchforschten bei seiner  Rede  das  Zimmer  und  blieben
unwillk'rlich  auf  einer Fallt're am Boden  haften. Ich entsann mich  dabei
dunkel, daYA Zwakh mir irgendwann erzdhlt hatte, ein  geheimer  Zugang  f'hre
von unten herauf ins Atelier.
     Es war eine viereckige Platte mit einem Ring daran als Griff.
     "Wo sollen wir  die  Briefe aufheben?", fing Charousek wieder an. "Sie,
Herr Pernath, und ich sind wohl die einzigen im ganzen Getto, die Wassertrum
harmlos vorkommen,  - warum gerade ich, das -  hat -  seine  - besonderen  -
Gr'nde", - (ich sah, daYA sich seine Z'ge in wildem HaYA verzerrten, wie er so
den  letzten  Satz  fcrmlich zerbiYA -) "und Sie  halt er f'r  - -" Charousek
erstickte das Wort "verr'ckt"  mit einem  raschen, erk'nstelten Husten, aber
ich erriet, was  er  hatte sagen wollen. Es tat mir  nicht weh; das  Gef'hl,
"ihr" helfen zu kcnnen, machte mich so  gl'ckselig, daYA jede Empfindlichkeit
ausgelcscht war.
     Wir  kamen schlieYAlich 'berein,  das  Paket bei mir zu verstecken,  und
gingen hin'ber in meine Kammer.
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     Charousek  war  ldngst  fort, aber  immer  noch  konnte  ich mich nicht
entschlieYAen, zu Bette  zu gehen. Eine  gewisse innere Unzufriedenheit nagte
an mir  und hielt mich davon ab. Irgend  etwas sollte  ich noch  tun, f'hlte
ich, aber was? was?
     Einen Plan f'r den Studenten entwerfen, was weiter zu geschehen hdtte?
     Das  allein konnte  es nicht sein. Charousek lieYA  den Trcdler  sowieso
nicht aus den Augen,  dar'ber bestand kein Zweifel. Ich schauderte, wenn ich
an den HaYA dachte, der aus seinen Worten geweht hatte.
     Was ihm Wassertrum wohl angetan haben mochte?
     Die  seltsame  innere Unruhe  in  mir  wuchs und brachte  mich fast zur
Verzweiflung. Ein Unsichtbares, Jenseitiges rief nach mir, und  ich verstand
nicht.
     Ich kam mir vor wie ein Gaul,  der dressiert wird,  das ReiYAen am Z'gel
sp'rt und  nicht weiYA, welches  Kunstst'ck er machen soll, den Willen seines
Herrn nicht erfaYAt.
     Hinuntergehen zu Schemajah Hillel?
     Jede Faser in mir verneinte.
     Die Vision  des Mcnchs  in der Domkirche, auf  dessen Schultern gestern
der  Kopf Charouseks aufgetaucht war als  Antwort auf eine  stumme  Bitte um
Rat, gab mir Fingerzeig genug, von nun an dumpfe Gef'hle nicht ohne weiteres
zu verachten. Geheime Krdfte keimten in mir auf  seit geraumer Zeit, das war
gewiYA:  ich  empfand es zu 'bermdchtig,  als  daYA ich auch nur  den  Versuch
gemacht hdtte, es wegzuleugnen.
     Buchstaben zu empfinden, sie nicht  nur mit  den  Augen  in  B'chern zu
lesen, - einen Dolmetsch in mir selbst aufzustellen, der mir  'bersetzt, was
die  Instinkte ohne Worte raunen, darin muYA der  Schl'ssel liegen,  sich mit
dem eigenen Innern durch klare Sprache zu verstdndigen, begriff ich.
     "Sie haben Augen und  sehen nicht; sie  haben  Ohren und  hcren nicht",
fiel mir eine Bibelstelle wie eine Erkldrung dazu ein.
     "Schl'ssel,   Schl'ssel,  Schl'ssel",  wiederholten  mechanisch   meine
Lippen, derweilen mir der Geist jene sonderbaren Ideen vorgaukelte, bemerkte
ich plctzlich.
     "Schl'ssel, Schl'ssel -  -?" Mein  Blick fiel  auf den krummen Draht in
meiner Hand, der  mir vorhin zum Cffnen der Speichert're gedient  hatte, und
eine heiYAe Neugier, wohin wohl die viereckige Fallt'r aus dem Atelier f'hren
kcnnte, peitschte mich auf.
     Und ohne zu 'berlegen, ging  ich  nochmals  hin'ber in Saviolis Atelier
und zog an dem  Griffring  der Fallt're, bis es  mir schlieYAlich gelang, die
Platte zu heben.
     Zuerst nichts als Dunkelheit.
     Dann  sah   ich:  Schmale,  steile  Stufen  liefen   hinab  in  tiefste
Finsternis.
     Ich stieg hinunter.
     Eine Zeitlang tastete ich mich mit den  Hdnden die Mauern entlang, aber
es wollte  kein  Ende nehmen:  Nischen, feucht  von  Schimmel  und Moder,  -
Windungen, Ecken und Winkel,  - Gdnge geradeaus, nach links und nach rechts,
Reste einer  alten Holzt're,  Wegteilungen und  dann wieder Stufen,  Stufen,
Stufen hinauf und hinab.
     Matter, erstickender Geruch nach Schwamm und Erde 'berall.
     Und noch immer kein Lichtstrahl. -
     Wenn ich nur Hillels Kerze mitgenommen hdtte!
     Endlich flacher, ebener Weg.
     Aus dem Knirschen unter meinen  F'YAen schloYA ich, daYA ich auf trockenem
Sand dahinschritt.
     Es konnte  nur  einer  jener zahllosen  Gdnge sein, die scheinbar  ohne
Zweck und Ziel unter dem Getto hinf'hren bis zum FluYA.
     Ich  wunderte  mich   nicht:   die   halbe   Stadt   stand   doch  seit
unvordenklichen Zeiten auf solchen unterirdischen  Lduften, und die Bewohner
Prags hatten von jeher triftigen Grund, das Tageslicht zu scheuen.
     Das Fehlen jeglichen Gerduschs  zu meinen  Hdupten sagte mir,  daYA  ich
mich immer noch in der Gegend des Judenviertels, das nachts wie ausgestorben
ist, befinden muYAte, obwohl ich schon eine Ewigkeit gewandert war. Belebtere
StraYAen oder Pldtze 'ber mir hdtten sich durch fernes Wagenrasseln verraten.
     Eine  Sekunde lang w'rgte  mich die Furcht:  was,  wenn  ich im  Kreise
herumging!? In ein Loch  st'rzte,  mich verletzte, ein  Bein brach und nicht
mehr weiter gehen konnte?!
     Was  geschah  dann mit  ihren  Briefen in  meiner  Kammer?  Sie  muYAten
unfehlbar Wassertrum in die Hdnde fallen.
     Der Gedanke  an Schemajah Hillel,  mit dem ich  vag  den Begriff  eines
Helfers und F'hrers verkn'pfte, beruhigte mich unwillk'rlich.
     Vorsichtshalber  ging  ich aber doch langsamer und tastenden  Schrittes
und hielt den Arm in die Hche, um nicht unversehens mit dem Kopf anzurennen,
falls der Gang niedriger w'rde.
     Von Zeit zu Zeit, dann immer  cfter stieYA ich oben mit der Hand an, und
endlich senkte sich das Gestein so tief herab, daYA ich mich b'cken muYAte, um
durchzukommen.
     Pctzlich fuhr ich mit dem erhobenen Arm in einen leeren Raum.
     Ich blieb stehen und starrte hinauf.
     Nach  und nach schien es mir, als falle von der Decke ein leiser,  kaum
merklicher Schimmer von Licht.
     M'ndete hier ein Schacht, vielleicht aus irgendeinem Keller herunter?
     Ich richtete mich  auf und tastete mit beiden Hdnden  in  Kopfeshche um
mich herum: die Cffnung war genau viereckig und ausgemauert.
     Allmdhlich  konnte  ich darin  als  AbschluYA die schattenhaften Umrisse
eines  wagerechten Kreuzes unterscheiden,  und endlich  gelang es mir, seine
Stdbe zu erfassen, mich daran emporzuziehen und hindurchzuzwdngen.
     Ich stand jetzt auf dem Kreuz und orientierte mich.
     Offenbar  endeten hier die  Xberbleibsel einer  eisernen  Wendeltreppe,
wenn mich das Gef'hl meiner Finger nicht tduschte?
     Lang, unsagbar lang muYAte  ich tappen, bis ich die zweite Stufe  finden
konnte, dann klomm ich empor.
     Es waren im  ganzen acht Stufen.  Eine jede fast in  Mannshche 'ber der
andern.
     Sonderbar: die Treppe stieYA oben gegen eine Art horizontalen  Getdfels,
das   aus   regelmdYAigen,   sich   schneidenden   Linien   den   Lichtschein
herabschimmern lieYA, den ich schon weiter unten im Gang bemerkt hatte!
     Ich duckte  mich, so tief ich konnte, um aus  etwas weiterer Entfernung
besser unterscheiden zu  kcnnen, wie die Linien verliefen, und sah zu meinem
Erstaunen,  daYA  sie genau  die  Form  eines Sechsecks,  wie man  es auf den
Synagogen findet, bildeten.
     Was mochte das nur sein?
     Plctzlich kam  ich  dahinter: es war  eine  Fallt'r, die  an den Kanten
Licht durchlieYA! Eine Fallt'r aus Holz in Gestalt eines Sternes.
     Ich  stemmte  mich  mit  den Schultern gegen  die  Platte, dr'ckte  sie
aufwdrts  und  stand im  ndchsten Moment  in einem Gemach, das  von  grellem
Mondschein erf'llt war.
     Es war  ziemlich  klein, vollstdndig leer bis auf einen Haufen Gerumpel
in der Ecke und hatte nur ein einziges, stark vergittertes Fenster.
     Eine T're oder sonst einen Zugang mit Ausnahme dessen, den  ich  soeben
ben'tzt,  vermochte ich nicht zu entdecken,  so  genau  ich  auch die Mauern
immer wieder von neuem absuchte.
     Die Gitterstdbe des Fensters standen zu eng, als daYA ich den Kopf hdtte
durchstecken kcnnen, so viel aber sah ich:
     Das  Zimmer befand sich ungefdhr in  der Hche eines dritten Stockwerks,
denn  die  Hduser gegen'ber  hatten nur  zwei  Etagen und  lagen  wesentlich
tiefer.
     Das eine Ufer der  StraYAe unten war f'r  mich noch knapp sichtbar, aber
infolge des blendenden Mondlichts, das mir voll ins Gesicht schien, in tiefe
Schlagschatten  getaucht,  die  es mir  unmcglich  machten, Einzelheiten  zu
unterscheiden.
     Zum  Judenviertel muYAte  die Gasse unbedingt gehcren, denn  die Fenster
dr'ben waren sdmtlich vermauert oder aus Simsen im  Bau angedeutet, und  nur
im Getto kehren die Hduser einander so seltsam den R'cken.
     Vergebens qudlte  ich  mich  ab  herauszubringen was das wohl  f'r  ein
sonderbares Bauwerk sein mochte, in dem ich mich befand.
     Sollte  es vielleicht ein aufgelassenes Seitent'rmchen der griechischen
Kirche sein? Oder gehcrte es irgendwie zur Altneusynagoge?
     Die Umgebung stimmte nicht.
     Wieder  sah  ich  mich im Zimmer  um:  nichts,  was  mir  auch nur  den
kleinsten AufschluYA  gegeben  hdtte. - Die Wdnde  und die  Decke waren kahl,
Bewurf und Kalk  ldngst abgefallen und weder  Nagellccher,  noch  Ndgel, die
verraten hdtten, daYA der Raum einst bewohnt gewesen.
     Der Boden lag fuYAhoch bedeckt mit Staub, als hdtte ihn seit Jahrzehnten
kein lebendes Wesen betreten.
     Das  Ger'mpel in der Ecke zu  durchsuchen, ekelte ich mich. Es  lag  in
tiefer Finsternis, und ich konnte nicht unterscheiden, woraus es bestand.
     Dem duYAeren Eindruck nach schienen es Lumpen zu einem Knduel geballt.
     Oder waren es ein paar alte, schwarze Handkoffer?
     Ich tastete mit dem FuYA  hin, und es gelang mir,  mit  dem Absatz einen
Teil davon in die Ndhe des Lichtstreifens zu ziehen, den der Mond quer 'bers
Zimmer  warf.  Es schien wie ein breites, dunkles Band,  das sich da langsam
aufrollte.
     Ein blitzender Punkt wie ein Auge!
     Ein Metallknopf vielleicht?
     Allmdhlich wurde  mir klar:  ein Drmel  von  sonderbarem,  altmodischem
Schnitt hing da aus dem B'ndel heraus.
     Und  eine  kleine  weiYAe  Schachtel,  oder  dergleichen  lag  darunter,
lockerte  sich  unter  meinem  FuYA  und  zerfiel  in  eine  Menge  fleckiger
Schichten.
     Ich gab ihr einen leichten StoYA: Ein Blatt flog ins Helle.
     Ein Bild?
     Ich b'ckte mich: ein Pagad!
     Was mir eine weiYAe Schachtel geschienen, war ein Tarockspiel.
     Ich hob es auf.
     Konnte es etwas  Ldcherlicheres geben: Ein Kartenspiel hier  an  diesem
gespenstischen Ort!
     Merkw'rdig, daYA ich mich zum  Ldcheln zwingen muYAte. Ein leises  Gef'hl
von Grauen beschlich mich.
     Ich  suchte  nach  einer  banalen  Erkldrung,  wie  die   Karten   wohl
hierhergekommen sein kcnnten,  und zdhlte dabei mechanisch das Spiel. Es war
vollstdndig:  78 St'ck. Aber  schon wdhrend des  Zdhlens fiel mir etwas auf:
Die Bldtter waren wie aus Eis.
     Eine  ldhmende  Kdlte  ging von  ihnen  aus,  und  wie  ich  das  Paket
geschlossen  in der  Hand hielt, konnte  ich  es  kaum  mehr  loslassen:  so
erstarrt  waren  meine  Finger.  Wieder  haschte  ich nach einer  n'chternen
Erkldrung:
     Mein  d'nner  Anzug, die  lange Wanderung ohne  Mantel  und  Hut in den
unterirdischen   Gdngen,  die  grimmige  Winternacht,  die  Steinwdnde,  der
entsetzliche Frost,  der  mit  dem Mondlicht  durchs  Fenster hereinfloYA:  -
sonderbar genug, daYA ich  erst jetzt anfing zu frieren. Die Erregung, in der
ich mich die ganze Zeit befunden, muYAte  mich dar'ber hinweggetduscht haben.
-
     Ein Schauer nach dem andern jagte mir 'ber die Haut. Schicht um Schicht
drangen sie tiefer, immer tiefer in meinen Kcrper ein.
     Ich f'hlte  mein Skelett zu  Eis werden und  wurde mir  jedes einzelnen
Knochens bewuYAt wie kalter Metallstangen, an denen mir das Fleisch festfror.
     Kein  Umherlaufen  half, kein  Stampfen  mit den  F'YAen und  nicht  das
Schlagen mit den Armen. Ich biYA die Zdhne zusammen, um ihr Klappern nicht zu
hcren.
     Das  ist der  Tod,  sagte  ich mir,  der  dir  die kalten Hdnde auf den
Scheitel legt.
     Und ich wehrte mich wie ein  Rasender gegen den  betdubenden Schlaf des
Erfrierens, der, wollig  und erstickend, mich wie mit einem Mantel einh'llen
kam.
     Die Briefe, in meiner  Kammer - ihre Briefe! br'llte es in mir auf: man
wird sie finden,  wenn ich  hier sterbe.  Und sie hofft  auf  mich! Hat ihre
Rettung in meine Hdnde gelegt! - Hilfe! - Hilfe! Hilfe! -
     Und ich schrie durch das Fenstergitter hinunter auf die  cde Gasse, daYA
es widerhallte: Hilfe, Hilfe, Hilfe!
     Warf  mich zu Boden  und sprang wieder  auf. Ich durfte nicht  sterben,
durfte  nicht! ihretwegen,  nur ihretwegen! Und wenn ich  Funken aus  meinen
Knochen schlagen sollte, um mich zu erwdrmen.
     Da fiel mein Blick  auf die Lumpen in der Ecke, und  ich st'rzte darauf
zu und zog sie mit schlotternden Hdnden 'ber meine Kleider.
     Es  war  ein  zerschlissener  Anzug   aus  dickem,  dunklem  Tuch   von
uraltmodischem, seltsamem Schnitt.
     Ein Geruch nach Moder ging von ihm aus.
     Dann kauerte  ich mich  in dem  gegen'berliegenden Mauerwinkel zusammen
und sp'rte meine  Haut langsam, langsam wdrmer  werden. Nur das schauerliche
Gef'hl des eigenen, eisigen Gerippes in mir wollte nicht weichen. Regungslos
saYA ich  da und lieYA meine Augen wandern: die Karte, die ich zuerst gesehen,
- der Pagad, - lag noch immer inmitten des Zimmers in dem Lichtstreifen.
     Unverwandt muYAte ich sie anstarren.
     Sie schien, soweit ich  auf  die  Entfernung hin  erkennen  konnte,  in
Wasserfarben ungeschickt von Kinderhand gemalt, und  stellte den hebrdischen
Buchstaben  Aleph  dar,  in Form eines  Mannes,  altfrdnkisch gekleidet, den
grauen  Spitzbart kurz geschnitten und den linken Arm  erhoben, wdhrend  der
andere abwdrts deutete.
     Hatte  das Gesicht  des  Mannes  nicht  eine  seltsame Dhnlichkeit  mit
meinem, ddmmerte mir ein Verdacht auf? - Der Bart - er paYAte so gar nicht zu
einem Pagad, - - ich kroch auf die Karte zu und warf sie  in die Ecke zu dem
Rest des Ger'mpels, um den qudlenden Anblick los zu sein.
     Dort lag sie  jetzt und schimmerte - ein grauweiYAer, unbestimmter Fleck
- zu mir her'ber aus dem Dunkel.
     Mit Gewalt zwang ich mich zu 'berlegen, was  ich  zu beginnen hdtte, um
wieder in meine Wohnung zu kommen:
     Den Morgen abwarten! Unten die Vor'bergehenden vom Fenster aus anrufen,
damit  sie  mir  von  auYAen  mit  einer  Leiter  Kerzen  oder  eine  Laterne
heraufbrdchten!  -  Ohne  Licht  die endlosen, sich  ewig  kreuzenden  Gdnge
zur'ckzufinden,  w'rde  mir  nie  gelingen,  empfand  ich   als  beklemmende
GewiYAheit. -  Oder, falls das Fenster zu hoch ldge, daYA sich jemand vom Dach
mit einem Strick - -? Gott im Himmel, wie ein Blitzstrahl durchfuhr es mich:
jetzt  wuYAte ich,  wo  ich  war:  Ein  Zimmer ohne Zugang  -  nur  mit einem
vergitterten  Fenster  - das  altert'mliche  Haus  in der Altschulgasse, das
jeder mied! - schon einmal vor vielen Jahren hatte sich ein Mensch an  einem
Strick vom Dach herabgelassen, um durchs Fenster  zu schauen, und der Strick
war gerissen und -  Ja: ich war in dem Haus, in  dem der gespenstische Golem
jedesmal verschwand!
     Ein  tiefes Grauen, gegen das ich mich vergeblich wehrte, das ich nicht
einmal mehr durch die Erinnerung an die Briefe niederkdmpfen konnte,  ldhmte
jedes Weiterdenken und mein Herz fing an, sich zu krampfen.
     Hastig sagte ich mir vor mit steifen  Lippen,  es sei nur der Wind, der
da  so  eisig  aus der Ecke  her'berwehte, sagte es mir vor,  schneller  und
schneller,  mit  pfeifendem  Atem -  es  half nicht  mehr:  dort dr'ben  der
weiYAliche  Fleck  - die Karte  - sie quoll auf zu blasigem Klumpen,  tastete
sich  hin  zum  Rande  des  Mondstreifens  und  kroch  wieder  zur'ck in die
Finsternis.  -  Tropfende  Laute - halb gedacht, geahnt, halb  wirklich - im
Raum und doch auYAerhalb um mich herum und  doch anderswo, - tief im  eigenen
Herzen und  wieder mitten  im  Zimmer -  erwachten: Gerdusche, wie wenn  ein
Zirkel fdllt und mit der Spitze im Holz stecken bleibt!
     Immer wieder: Der weiYAliche Fleck -  - - der weiYAliche Fleck - -!  Eine
Karte,  eine erbdrmliche, dumme, alberne Spielkarte ist es,  schrie  ich mir
ins Hirn hinein  - - - umsonst  - - jetzt  hat  er  sich  dennoch  - dennoch
Gestalt erzwungen - der Pagad  - und hockt in der Ecke und stiert her'ber zu
mir mit meinem eigenen Gesicht.
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     Stunden und Stunden  kauerte ich da -  unbeweglich - in  meinem Winkel,
ein frosterstarrtes Gerippe in fremden, modrigen Kleidern! -  Und er dr'ben:
ich selbst.
     Stumm und regungslos.
     So starrten wir uns in die Augen, - einer das grdYAliche Spiegelbild des
andern. - - -
     Ob  er es auch  sieht,  wie sich  die  Mondstrahlen mit schneckenhafter
Trdgheit 'ber den Boden hinsaugen und wie Zeiger eines unsichtbaren Uhrwerks
in der Unendlichkeit die Wand emporkriechen und fahler und fahler werden? -
     Ich bannte ihn  fest  mit meinem  Blick und es half ihm  nichts, daYA er
sich auflcsen wollte  in dem  Morgenddmmerschein, der ihm vom Fenster her zu
Hilfe kam.
     Ich hielt ihn fest.
     Schritt vor Schritt habe ich mit ihm gerungen  um mein Leben -  um  das
Leben, das mein ist, weil es nicht mehr mir gehcrt. - -
     Und wie er kleiner und kleiner wurde und sich bei Tagesgrauen wieder in
sein Kartenblatt verkroch, da stand ich auf, ging hin'ber zu ihm und steckte
ihn in die Tasche - den Pagad.
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     Immer noch war die Gasse unten cd und menschenleer.
     Ich  durchstcberte die Zimmerecke, die jetzt  im stumpfen  Morgenlichte
lag: Scherben, dort eine rostige Pfanne,  morsche Fetzen,  ein Flaschenhals.
Tote Dinge und doch so merkw'rdig bekannt.
     Und auch die Mauern - wie die Risse und Spr'nge dann deutlich wurden! -
wo hatte ich sie nur gesehen?
     Ich nahm das Kartenpdckchen zur  Hand - es ddmmerte mir auf: hatte  ich
die nicht einst selbst bemalt? Als Kind? Vor langer, langer Zeit?
     Es  war ein uraltes Tarockspiel.  Mit hebrdischen Zeichen. - Nummer  12
muYA der "Gehenkte" sein, 'berkam's mich wie halbe Erinnerung. - Mit dem Kopf
abwdrts? Die Arme auf dem R'cken? - Ich bldtterte nach: Da! Da war er.
     Dann wieder, halb Traum, halb GewiYAheit,  tauchte ein Bild vor mir auf:
Ein geschwdrztes Schulhaus, bucklig, schief,  ein  m'rrisches  Hexengebdude,
die linke Schulter hochgezogen, die andere mit einem Nebenhaus verwachsen. -
-  -  Wir sind  mehrere  halbw'chsige Jungen  -  ein verlassener Keller  ist
irgendwo - - -
     Dann  sah ich  an meinem  Kcrper  herab  und  wurde  wieder  irre:  Der
altmodische Anzug war mir vcllig fremd.
     Der  Ldrm  eines holpernden Karrens schreckte  mich auf,  doch  als ich
hinabblickte: Keine  Menschenseele. Nur ein Fleischerhund stand versonnen an
einem Eckstein.
     Da! Endlich! Stimmen! menschliche Stimmen!
     Zwei  alte Weiber  kamen  langsam  die  StraYAe dahergetrottet,  und ich
zwdngte den Kopf halb durch das Gitter und rief sie an.
     Mit offenem Mund glotzten sie in  die Hche und berieten  sich. Aber als
sie mich sahen, stieYAen sie ein gellendes Geschrei aus und liefen davon.
     Sie haben mich f'r den Golem gehalten, begriff ich.
     Und ich erwartete, daYA ein Zusammenlauf  von  Menschen entstehen w'rde,
denen  ich mich verstdndlich machen  kcnnte, aber wohl  eine Stunde verging,
und nur  hie  und da spdhte unten  vorsichtig ein blasses  Gesicht herauf zu
mir, um sofort in Todesschreck wieder zur'ckzufahren.
     Sollte  ich  warten, bis vielleicht nach  Stunden oder gar  erst morgen
Polizisten kamen - die Staatsfalotten, wie Zwakh sie zu nennen pflegte?
     Nein, lieber wollte ich  einen Versuch machen, die unterirdischen Gdnge
ein St'ck weit auf ihre Richtung hin zu untersuchen.
     Vielleicht fiel  jetzt bei  Tag durch Ritzen  im Gestein eine Spur  von
Licht hinab?
     Ich kletterte die Leiter  hinunter,  setzte  den Weg, den  ich  gestern
gekommen war, fort - 'ber  ganze Halden zerbrochener  Ziegelsteine und durch
versunkene Keller  - erklomm eine  Treppenruine und stand plctzlich -  -  im
Hausflur des schwarzen Schulhauses, das ich vorhin wie im Traum gesehen.
     Sofort st'rzte  eine  Flutwelle  von Erinnerungen  auf mich ein: Bdnke,
bespritzt mit Tinte von oben  bis unten, Rechenhefte, pldrrender Gesang, ein
Junge, der Maikdfer  in  der  Klasse losldYAt, Leseb'cher  mit  zerquetschten
Butterbroten darin und der  Geruch  nach Orangenschalen. Jetzt wuYAte ich mit
GewiYAheit: Ich war einst  als  Knabe hier gewesen. - Aber ich lieYA mir keine
Zeit nachzudenken und eilte heim.
     Der  erste Mensch,  der  mir in der  Salnitergasse  begegnete, war  ein
verwachsener alter  Jude  mit weiYAen  Schldfenlocken.  Kaum  hatte  er  mich
erblickt, bedeckte er sein Gesicht mit den Hdnden und heulte laut hebrdische
Gebete herunter.
     Auf  den Ldrm  hin muYAten wahrscheinlich  viele Leute  aus ihren Hchlen
gest'rzt  sein,  denn es brach ein unbeschreibliches Gezeter hinter mir los.
Ich   drehte   mich   um   und   sah   ein   wimmelndes  Heer  totenblasser,
entsetzenverzerrter Gesichter sich mir nachwdlzen.
     Erstaunt  blickte  ich  an mir  herunter und verstand: -  ich trug noch
immer  die  seltsam  mittelalterlichen Kleider  von nachts  her 'ber  meinem
Anzug, und die Leute glaubten, den "Golem" vor sich zu haben.
     Rasch lief ich um die Ecke hinter ein Haustor und riYA mir  die modrigen
Fetzen vom Leibe.
     Gleich darauf  raste die Menge mit geschwungenen Stccken und geifernden
Mdulern schreiend an mir vor'ber.

     Einigemal im Lauf des  Tages hatte ich  an  Hillels T're geklopft; - es
lieYA mir keine  Ruhe:  ich muYAte  ihn sprechen  und  fragen, was alle  diese
seltsamen Erlebnisse bedeuteten; aber immer hieYA es,  er sei  noch nicht  zu
Hause.
     Sowie  er  heimkdme  vom  j'dischen  Rathaus, wollte mich seine Tochter
sofort verstdndigen. -
     Ein sonderbares Mddchen 'brigens, diese Mirjam!
     Ein Typus, wie ich ihn noch nie gesehen.
     Eine Schcnheit, so fremdartig,  daYA man sie im ersten Moment  gar nicht
fassen kann, - eine  Schcnheit, die einen stumm macht, wenn man sie ansieht,
und  ein unerkldrliches  Gef'hl,  so etwas, wie leise Mutlosigkeit  in einem
erweckt.
     Nach Proportionsgesetzen, die seit Jahrtausenden  verlorengegangen sein
m'ssen, ist dieses Gesicht geformt, gr'belte ich mir zurecht, wie ich  es so
im Geiste wieder vor mir sah.
     Und ich dachte  nach, welchen Edelstein  ich  wdhlen  m'YAte,  um es als
Gemme festzuhalten und dabei den k'nstlerischen Ausdruck richtig  zu wahren:
Schon  an dem rein  DuYAerlichen; dem blauschwarzen Glanz des Haares und  der
Augen,  der alles 'bertraf, worauf ich auch riet, scheiterte  es. - Wie erst
die unirdische Schmalheit des Gesichtes sinn- und visionsgemdYA in eine Kamee
bannen,  ohne sich in die stumpfsinnige Dhnlichkeitsmacherei der kanonischen
"Kunst"richtung festzurennen!
     Nur durch ein  Mosaik lieYA es  sich  lcsen, erkannte ich klar, aber was
f'r Material wdhlen? Ein  Menschenleben gehcrte  dazu, das passende zusammen
zu finden. - -
     Wo nur Hillel blieb!
     Ich sehnte mich nach ihm wie nach einem lieben, alten Freunde.
     Merkw'rdig, wie er mir  in den wenigen Tagen  - und ich hatte ihn doch,
genaugenommen, nur  ein  einziges  Mal  im  Leben  gesprochen,  -  ins  Herz
gewachsen war.
     Ja,  richtig:  die  Briefe  - ihre  Briefe  - wollte  ich  doch  besser
verstecken.  Zu  meiner Beruhigung, falls ich wieder  einmal  ldnger von  zu
Hause fort sein sollte.
     Ich nahm  sie  aus  der Truhe: - in  der  Kassette w'rden  sie sicherer
aufbewahrt sein.
     Eine Photographie  glitt zwischen den Briefen heraus. Ich wollte  nicht
hinschauen, aber es war zu spdt.
     Den Brokatstoff um die bloYAen  Schultern gelegt - so wie ich  ›sie‹ das
erste  Mal gesehen, als sie in mein Zimmer fl'chtete aus Saviolis Atelier  -
blickte sie mir in die Augen.
     Ein wahnsinniger  Schmerz bohrte sich in mich ein.  Ich las die Widmung
unter dem Bilde, ohne die Worte zu erfassen, und den Namen:
     Deine Angelina.
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     Angelina!!!
     Wie ich den Namen aussprach, zerriYA der Vorhang, der meine  Jugendjahre
vor mir verbarg, von oben bis unten.
     Vor  Jammer  glaubte  ich  zusammenbrechen zu m'ssen.  Ich krallte  die
Finger in die Luft und winselte, - biYA  mich  in die Hand: -  -  nur  wieder
blind sein, Gott  im Himmel, - den Scheintot weiterleben, wie bisher, flehte
ich.
     Das Weh stieg mir in den Mund. - Quoll. -  Schmeckte seltsam s'YA, - wie
Blut. - -
     Angelina!!
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     Der  Name kreiste  in  meinen  Adern  und  wurde  -  zu  unertrdglicher
gespenstischer Liebkosung.
     Mit  einem gewaltsamen Ruck riYA ich mich zusammen und zwang  mich - mit
knirschenden Zdhnen  -  das  Bild anzustarren, bis  ich langsam Herr dar'ber
wurde!
     Herr dar'ber!
     Wie heute nacht 'ber das Kartenblatt.
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     Endlich: Schritte! Mdnnertritte.
     Er kam!
     Voll Jubel eilte ich zur T'r und riYA sie auf.
     Schemajah Hillel stand StrauYAen und hinter ihm  - ich machte mir  leise
Vorw'rfe, daYA  ich  es  als  Enttduschung empfand  - mit roten Bdckchen  und
runden Kinderaugen: der alte Zwakh.
     "Wie ich  zu meiner Freude sehe, sind  Sie  wohlauf,  Meister Pernath",
fing Hillel an.
     Ein kaltes "Sie"?
     Frost. Schneidender, ertctender Frost lag plctzlich im Zimmer.
     Betdubt,  mit halbem  Ohr,  hcrte  ich  hin,  was  Zwakh,  atemlos  vor
Aufregung, auf mich losplapperte:
     "Wissen Sie schon,  der Golem geht wieder um? Neulich erst sprachen wir
davon, wissen  Sie noch, Pernath? Die ganze Judenstadt ist  auf. Vrieslander
hat ihn selbst gesehen,  den Golem. Und wieder hat es, wie immer, mit  einem
Mord begonnen" - Ich horchte erstaunt auf: Ein Mord?
     Zwakh  sch'ttelte mich: "Ja, wissen Sie denn von  gar  nichts, Pernath?
Unten  hdngt doch  groYAmdchtig ein  Polizeiaufruf  an  den Ecken: den dicken
Zottmann,    den    ›Freimaurer‹    -    na,     ich    meine    doch    den
Lebensversicherungsdirektor Zottmann, - soll man ermordet haben. Der Loisa -
hier  im  Haus  -  ist  bereits  verhaftet. Und  die  rote  Rosina:  spurlos
verschwunden. - Der Golem - der Golem - es ist ja haarstrdubend."
     Ich gab  keine Antwort und suchte in Hillels  Augen:  warum  blickte er
mich so unverwandt an?
     Ein verhaltenes Ldcheln zuckte plctzlich um seine Mundwinkel.
     Ich verstand. Es galt mir.
     Am liebsten wdre ich ihm um den Hals gefallen vor jauchzender Freude.
     AuYAer mir in meinem Entz'cken, lief  ich planlos  im Zimmer  umher. Was
zuerst bringen? Gldser? Eine Flasche Burgunder?  (Ich hatte  doch nur eine.)
Zigarren? - Endlich fand ich Worte: "Aber warum setzt ihr euch denn nicht?!"
- Rasch schob ich meinen beiden Freunden Sessel unter. - - -
     Zwakh fing an,  sich zu drgern: "Warum  ldcheln Sie denn  immerwdhrend,
Hillel? Glauben Sie vielleicht nicht, daYA der Golem spukt? Mir scheint.  Sie
glauben 'berhaupt nicht an den Golem?"
     "Ich w'rde nicht an ihn glauben, selbst wenn ich ihn hier im Zimmer vor
mir  sdhe",  antwortete  Hillel  gelassen  mit einem Blick auf  mich. -  Ich
verstand den Doppelsinn, der aus seinen Worten klang.
     Zwakh  hielt erstaunt im Trinken inne: "Das Zeugnis von  Hunderten  von
Menschen gilt  Ihnen nichts, Hillel? -  Aber  warten Sie nur, Hillel, denken
Sie an meine Worte: Mord auf Mord wird es jetzt in der Judenstadt geben! Ich
kenne das. Der Golem zieht eine unheimliche Gefolgschaft hinter sich her."
     "Die   Hdufung  gleichartiger   Ereignisse   ist  nichts  Wunderbares",
erwiderte Hillel. Er sprach im Gehen, trat ans Fenster und blickte durch die
Scheiben hinab auf den  Trcdlerladen - "Wenn der  Tauwind weht, r'hrt sich's
in den Wurzeln. In den s'YAen wie, in den giftigen."
     Zwakh zwinkerte mir lustig zu und deutete mit dem Kopf nach Hillel.
     "Wenn der Rabbi nur reden  wollte, der kcnnte uns  Dinge  erzdhlen, daYA
einem die Haare zu Berge st'nden", warf er halblaut hin.
     Schemajah drehte sich um.
     "Ich bin nicht ›Rabbi‹, wenn ich auch  den  Titel  tragen darf. Ich bin
nur ein armseliger Archivar im j'dischen Rathaus und f'hre die Register 'ber
die Lebendigen und die Toten."
     Eine verborgene  Bedeutung lag in  seiner  Rede, f'hlte  ich. Auch  der
Marionettenspieler schien es unterbewuYAt zu empfinden, - er wurde still, und
eine Zeitlang sprach keiner von uns ein Wort.
     "Hcren Sie  mal,  Rabbi  -,  verzeihen Sie: ›Herr  Hillel‹,  wollte ich
sagen", - fing  Zwakh nach  einer Weile  wieder  an,  und seine Stimme klang
auffallend ernst, "ich wollte Sie schon lange etwas fragen. Sie brauchen mir
ja nicht drauf zu antworten, wenn Sie nicht mcgen, oder nicht d'rfen - - -"
     Schemajah trat an den  Tisch  und spielte mit  dem Weinglas -  er trank
nicht; vielleicht verbot es ihm das j'dische Ritual.
     "Fragen Sie ruhig, Herr Zwakh."
     "-  - Wissen Sie  etwas  'ber  die  j'dische Geheimlehre, die  Kabbala,
Hillel?"
     "Nur wenig."
     "Ich  habe gehcrt, es soll ein Dokument geben, aus dem man die  Kabbala
lernen kann: den ›Sohar‹ - -"
     "Ja, den Sohar - das Buch des Glanzes."
     "Sehen  Sie, da  hat man's", schimpfte  Zwakh los.  "Ist es  nicht eine
himmelschreiende  Ungerechtigkeit,  daYA  eine  Schrift,  die  angeblich  die
Schl'ssel zum Verstdndnis der Bibel und zur Gl'ckseligkeit enthdlt -"
     Hillel unterbrach ihn: "- nur einige Schl'ssel."
     "Gut,  immerhin  einige! - also, daYA diese  Schrift infolge ihres hohen
Wertes und ihrer Seltenheit wieder nur den  Reichen zugdnglich ist? In einem
einzigen Exemplar, das noch dazu im Londoner Museum steckt, wie ich mir habe
erzdhlen  lassen? Und 'berdies  chalddisch, aramdisch,  hebrdisch - oder was
weiYA ich wie - geschrieben? - Habe ich zum  Beispiel je im Leben Gelegenheit
gehabt, diese Sprachen zu lernen oder nach London zu kommen?"
     "Haben Sie denn alle Ihre W'nsche so  heiYA auf dieses  Ziel gerichtet?"
fragte Hillel mit leisem Spott.
     "Offen gestanden - nein", gab Zwakh einigermaYAen verwirrt zu.
     "Dann sollten Sie  sich nicht  beklagen",  sagte  Hillel  trocken, "wer
nicht nach  dem  Geist  schreit mit  allen Atomen seines Leibes, -  wie  ein
Erstickender nach Luft, - der kann die Geheimnisse Gottes nicht schauen."
     "Es  sollte trotzdem ein Buch geben, in  dem sdmtliche Schl'ssel zu den
Rdtseln  der anderen Welt stehen, nicht nur einige", schoYA es mir  durch den
Kopf,  und meine Hand spielte automatisch mit dem Pagad, den ich immer  noch
in der Tasche trug,  aber ehe  ich die Frage in Worte  kleiden konnte, hatte
Zwakh sie bereits ausgesprochen.
     Hillel  ldchelte wieder  sphinxhaft: "Jede  Frage, die  ein  Mensch tun
kann, ist im selben  Augenblick beantwortet, in dem er sie geistig  gestellt
hat."
     "Verstehen Sie, was er damit meint?", wandte sich Zwakh an mich.
     Ich gab keine Antwort  und hielt den  Atem an, um kein Wort von Hillels
Rede zu verlieren.
     Schemajah fuhr fort:
     "Das ganze Leben ist  nichts anderes als formgewordene Fragen,  die den
Keim  der Antwort  in  sich  tragen - und Antworten, die schwanger gehen mit
Fragen. Wer irgend etwas anderes drin sieht, ist ein Narr."
     Zwakh schlug mit der Faust auf den Tisch:
     "Jawohl:  Fragen, die jedesmal anders lauten, und  Antworten, die jeder
anders versteht."
     "Gerade darauf  kommt  es an", sagte Hillel freundlich. "Alle  Menschen
'ber einen  Lcffel  zu -  kurieren,  ist lediglich  Vorrecht der  Drzte. Der
Fragende erhdlt die  Antwort, die ihm not tut: sonst ginge nicht die Kreatur
den Weg  ihrer Sehnsucht.  Glauben Sie denn, unsere j'dischen Schriften sind
bloYA aus Willk'r nur in Konsonanten geschrieben? - Jeder hat sich selbst die
geheimen Vokale dazu zu finden, die  ihm den nur f'r  ihn  allein bestimmten
Sinn  erschlieYAen,  -  soll   nicht  das  lebendige  Wort  zum  toten  Dogma
erstarren."
     Der Marionettenspieler wehrte heftig ab:
     "Das sind Worte, Rabbi, Worte! Pagad Ultimo will ich heiYAen,  wenn  ich
daraus klug werde."
     Pagad!!  - Das  Wort  schlug  in mich ein  wie der Blitz. Ich  fiel vor
Entsetzen beinahe vom Stuhl.
     Hillel wich meinen Augen aus.
     "Pagad ultimo? Wer weiYA, ob Sie nicht wirklich so  heiYAen, Herr Zwakh!"
- schlug  Hillels Rede wie aus weiter  Ferne an  mein Ohr. "Man  soll seiner
Sache  niemals  allzu sicher sein. -  Xbrigens,  da wir  gerade  von  Karten
sprechen: Herr Zwakh, spielen Sie Tarock?"
     "Tarock? Nat'rlich. Von Kindheit an."
     "Dann wundert's mich, wieso Sie nach  einem Buche fragen kcnnen, in dem
die ganze Kabbala steht,  wo Sie es doch  selbst  Tausende Male in der  Hand
gehabt haben."
     "Ich? In der Hand gehabt? Ich?" - Zwakh griff sich an den Kopf.
     "Jawohl, Sie! Ist es  Ihnen niemals aufgefallen, daYA das Tarockspiel 22
Tr'mpfe hat,  - genausoviel, wie das hebrdische  Alphabet Buchstaben? Zeigen
unsere  bchmischen  Karten  nicht  zum  XberfluYA   noch   Bilder  dazu,  die
offenkundig Symbole sind: Der Narr, der Tod, der Teufel, das Letzte Gericht?
- Wie laut, lieber Freund,  wollen Sie eigentlich,  daYA  Ihnen das Leben die
Antworten in die Ohren schreien soll? - - Was Sie allerdings nicht zu wissen
brauchen, ist,  daYA ›Tarok‹  oder  ›Tarot‹ soviel bedeutet  wie die j'dische
›Tora‹ = das Gesetz, oder das altdgyptische ›Tarut‹ = ›die Befragte‹, und in
der  uralten Zendsprache das Wort: ›tarisk‹ = ›ich verlange die Antwort‹.  -
Aber die Gelehrten sollten es wissen,  bevor sie  die Behauptung aufstellen,
das Tarock stamme aus der Zeit Karls des Sechsten.  - Und  so, wie der Pagad
die  erste Karte im Spiel ist, so ist der Mensch  die erste Figur  in seinem
eignen Bilderbuch,  sein eigner Doppelgdnger: - -  der  hebrdische Buchstabe
Aleph, der, nach der Form des Menschen gebaut, mit der einen Hand zum Himmel
zeigt  und mit der  andern abwdrts: das heiYAt also: ›So wie es oben ist, ist
es auch unten; so wie es unten ist, ist es auch  oben.‹  -  Darum  sagte ich
vorhin: Wer weiYA, ob  Sie wirklich Zwakh heiYAen und nicht: ›Pagad‹ - berufen
Sie's nicht," - Hillel blickte mich dabei unverwandt an,  und ich ahnte, wie
sich unter seinen Worten ein Abgrund immer neuer Bedeutung auftat - "berufen
Sie's  nicht, Herr Zwakh! Man kann  da in finstere Gdnge  geraten, aus denen
noch  keiner  zur'ckfand,  der  nicht - einen  Talisman  bei sich  trug. Die
Xberlieferung erzdhlt, daYA einmal drei Mdnner hinabgestiegen seien ins Reich
der Dunkelheit, der eine wurde wahnsinnig, der zweite blind, nur der dritte,
Rabbi  ben  Akiba,  kam  heil  wieder heim  und  sagte, er  sei sich  selbst
begegnet.  Schon so mancher, werden Sie  sagen, ist sich selbst begegnet, z.
B. Goethe, gewchnlich  auf einer  Br'cke,  oder  sonst einem Steig, der  von
einem  Ufer eines  Flusses  zum  andern f'hrt, - hat sich  selbst  ins  Auge
geblickt und ist nicht  wahnsinnig geworden. Aber  dann war's  eben nur eine
Spiegelung des eigenen  BewuYAtseins und nicht der wahre Doppelgdnger:  nicht
das, was man  ›den Hauch der Knochen‹, den ›Habal Garmin‹  nennt, von dem es
heiYAt:  Wie  er  in  die  Grube fuhr, unverweslich,  im Gebein,  so wird  er
auferstehn am Tage  des Letzten Gerichts." - Hillels Blick bohrte sich immer
tiefer in  meine Augen -  "Unsere GroYAm'tter sagen von  ihm: ›er wohnt  hoch
'ber der Erde in einem Zimmer ohne T're, nur mit  einem Fenster, von dem aus
eine Verstdndigung mit den Menschen unmcglich ist. Wer ihn  zu bannen und zu
- - verfeinern  versteht, der  wird gut Freund mit sich selbst." -  - -  Was
schlieYAlich das Tarock betrifft,  so wissen Sie so gut  wie ich:  F'r  jeden
Spieler liegen die  Karten anders,  wer aber die Tr'mpfe  richtig verwendet,
der gewinnt die Partie - - -. Aber kommen Sie jetzt, Herr Zwakh! Gehen  wir,
Sie trinken sonst Meister Pernaths ganzen  Wein  aus, und es  bleibt  nichts
mehr 'brig f'r ihn selbst."

     Eine  Flockenschlacht tobte  vor meinem Fenster. Regimenterweise jagten
die  Schneesterne  -  winzige  Soldaten in  weiYAen,  zottigen  Mdntelchen  -
hintereinander  her  an  den  Scheiben vor'ber  -  minutenlang  -  immer  in
derselben  Richtung, wie  auf  gemeinsamer Flucht vor  einem  ganz besonders
bcsartigen Gegner. Dann hatten sie das Davonlaufen mit  einemmal dick  satt,
schienen  aus rdtselhaften Gr'nden einen Wutanfall  zu  bekommen und sausten
wieder  zur'ck, bis ihnen  von oben und unten neue feindliche Armeen  in die
Flanken fielen und alles in ein heilloses Gewirbel auflcsten.
     Monate schien mir zur'ckzuliegen, was  ich an Seltsamem erst vor kurzem
erlebt hatte, und wdren nicht tdglich  einigemal immer  neue krause Ger'chte
'ber den Golem zu mir  gedrungen, die alles wieder frisch  aufleben  lieYAen,
ich glaube, ich hdtte mich in Augenblicken des Zweifels verddchtigen kcnnen,
das Opfer eines seelischen Ddmmerzustandes gewesen zu sein.
     Aus den  bunten Arabesken, die die Ereignisse um mich gewoben, stach in
schreienden  Farben hervor, was mir Zwakh 'ber den noch immer unaufgekldrten
Mord an dem sogenannten "Freimaurer" erzdhlt hatte.
     Den blatternarbigen Loisa damit in Zusammenhang zu bringen, wollte  mir
nicht recht einleuchten, obwohl ich einen dunklen Verdacht nicht absch'tteln
konnte,  -  fast  unmittelbar  darauf,  als Prokop  in  jener Nacht aus  dem
Kanalgitter ein unheimliches Gerdusch  gehcrt zu haben geglaubt, hatten  wir
den Burschen beim "Loisitschek"  gesehen. Allerdings lag kein AnlaYA vor, den
Schrei unter der Erde, der 'berdies geradesogut eine Sinnestduschung gewesen
sein konnte, als Hilferuf eines Menschen zu deuten. - - -
     Das Schneegestcber  vor meinen  Augen  blendete mich  und  ich fing an,
alles in tanzenden Streifen zu sehen. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder
auf  die  Gemme vor  mir.  Das  Wachsmodell,  das  ich von  Mirjams  Gesicht
entworfen  hatte,  muYAte  sich vortrefflich  auf  den  bldulich  leuchtenden
Mondstein da 'bertragen  lassen. - Ich  freute mich: es war  ein  angenehmer
Zufall, daYA sich etwas so Geeignetes unter  meinem Mineralienvorrat gefunden
hatte.  Die tiefschwarze  Matrix  von  Hornblende gab dem  Stein  gerade das
richtige  Licht  und die Konturen paYAten  so  genau,  als habe ihn die Natur
eigens  geschaffen, ein  bleibendes  Abbild  von Mirjams  feinem  Profil  zu
werden.
     Anfangs  war meine Absicht gewesen, eine Kamee daraus zu schneiden, die
den  dgyptischen  Gott  Osiris  darstellen   sollte,  und  die   Vision  des
Hermaphroditen aus dem Buche Ibbur, die  ich  mir jederzeit mit auffallender
Deutlichkeit  ins  Geddchtnis  zur'ckrufen konnte,  regte  mich k'nstlerisch
stark  an,  aber allmdhlich entdeckte  ich nach  den ersten  Schnitten  eine
solche  Dhnlichkeit mit der Tochter Schemajah Hillels, daYA ich  meinen  Plan
umstieYA. - - -
     - Das Buch Ibbur! -
     Ersch'ttert legte ich den Stahlgriffel weg. UnfaYAbar, was in der kurzen
Spanne Zeit in mein Leben getreten war!
     Wie jemand, der sich plctzlich  in eine unabsehbare Sandw'ste  versetzt
sieht,  wurde ich mir mit einem Schlage der  tiefen, riesengroYAen Einsamkeit
bewuYAt, die mich von meinen Nebenmenschen trennte.
     Konnte ich je mit einem Freund - Hillel ausgenommen - davon reden,  was
ich erlebt?
     Wohl  war  mir in  den  stillen  Stunden  der verflossenen  Ndchte  die
Erinnerung  wiedergekehrt,  daYA mich  all meine  Jugendjahre  -  von  fr'her
Kindheit  angefangen  -  ein unsagbarer  Durst  nach  dem  Wunderbaren,  dem
jenseits aller Sterblichkeit  Liegenden, bis zur  Todespein gefoltert hatte,
aber die Erf'llung meiner Sehnsucht war wie ein Gewittersturm  gekommen  und
erdr'ckte den Jubelaufschrei meiner Seele mit ihrer Wucht.
     Ich zitterte vor dem Augenblick,  wo  ich zu mir selbst kommen  und das
Geschehene in  seiner vollen  markverbrennenden  Lebendigkeit  als Gegenwart
empfinden muYAte.
     Nur  jetzt  sollte  es  noch  nicht kommen!  Erst den  GenuYA auskosten:
Unaussprechliches an Glanz auf sich zukommen zu sehen!
     Ich  hatte es  doch in meiner Macht!  Brauchte  nur hin'ber zu gehen in
mein  Schlafzimmer und die Kassette aufzusperren, in der das Buch Ibbur, das
Geschenk der Unsichtbaren, lag!
     Wie lang war's her, da  hatte es  meine Hand ber'hrt, als ich Angelinas
Briefe dazuschloYA!
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     Dumpfes  Drchnen drauYAen, wie von Zeit zu Zeit der Wind die angehduften
Schneemassen von den Ddchern hinab vor die Hduser  warf, gefolgt von  Pausen
tiefer Stille, da die Flockendecke auf dem Pflaster jeden Laut verschlang.
     Ich wollte weiterarbeiten, - da plctzlich stahlscharfe Hufschldge unten
die Gasse entlang, daYA man's fcrmlich Funken spr'hen sah.
     Das Fenster zu cffnen und  hinauszuschauen, war unmcglich:  Muskeln aus
Eis verbanden seine Rdnder mit dem Mauerwerk, und die Scheiben waren bis zur
Hdlfte weiYA  verweht. Ich sah  nur,  daYA Charousek scheinbar  ganz friedlich
neben  dem  Trcdler  Wassertrum  stand  -  sie  muYAten soeben  ein  Gesprdch
mitsammen gef'hrt haben - sah, wie die Verbl'ffung, die sich in ihrer beider
Mienen malte, wuchs und sie sprachlos offenbar den Wagen, der meinen Blicken
entzogen war, anstarrten.
     Angelinas Gatte ist es, fuhr es mir durch den Kopf. - Sie selbst konnte
es  nicht  sein!  Mit ihrer  Equipage  hier  bei  mir vorzufahren  -  in der
HahnpaYAgasse! - vor aller Leute Augen! Es wdre hellichter Wahnsinn  gewesen.
- Aber was sollte ich zu ihrem Gatten sagen, wenn er's wdre und mich auf den
Kopf zu fragte?
     Leugnen, nat'rlich leugnen.
     Hastig legte ich  mir die Mcglichkeiten zurecht: es kann nur ihr  Gatte
sein. Er hat einen anonymen Brief bekommen, - von Wassertrum - daYA  sie hier
gewesen sei  zu  einem  Rendezvous,  und  sie  hat  eine  Ausrede gebraucht:
wahrscheinlich, daYA sie eine Gemme oder sonst etwas bei mir bestellt habe. -
- - Da! w'tendes Klopfen an meiner T'r und - Angelina stand vor mir.
     Sie konnte kein Wort hervorbringen,  aber der Ausdruck  ihres Gesichtes
verriet mir alles: sie brauchte sich nicht  mehr zu verstecken. Das Lied war
aus.
     Dennoch lehnte sich  irgend etwas in mir  auf gegen diese  Annahme. Ich
brachte es nicht fertig, zu glauben, daYA das  Gef'hl, ihr helfen zu  kcnnen,
mich belogen haben sollte.
     Ich f'hrte sie in meinen Lehnstuhl. Streichelte ihr stumm das Haar; und
sie verbarg, todm'de wie ein Kind, ihren Kopf an meiner Brust.
     Wir hcrten  das Knistern der  brennenden Scheite im Ofen und sahen, wie
der rote Schein 'ber die Dielen huschte, aufflammte und erlosch - aufflammte
und erlosch - aufflammte und erlosch - - -
     "Wo ist das Herz  aus rotem Stein - - -" klang es in meinem Innern. Ich
fuhr auf: Wo bin ich! Wie lang sitzt sie schon hier?
     Und ich  forschte sie aus, - vorsichtig,  leise, ganz  leise,  daYA  sie
nicht aufwache und ich mit der Sonde die schmerzende Wunde nicht ber'hre.
     Bruchst'ckweise erfuhr  ich, was ich zu wissen brauchte, und setzte  es
mir zusammen wie ein Mosaik:
     "Ihr Gatte weiYA - -?"
     "Nein, noch nicht; er ist verreist."
     Also um  Dr. Saviolis Leben drehte sich's; - Charousek hatte es richtig
erraten. Und weil's um Saviolis Leben ging, und nicht mehr um ihres, war sie
hier. Sie denkt nicht mehr daran, irgend etwas zu verbergen, begriff ich.
     Wassertrum war  abermals  bei  Dr.  Savioli  gewesen.  Hatte  sich  mit
Drohungen und Gewalt den Weg erzwungen bis zu seinem Krankenlager.
     Und weiter! Weiter! Was wollte er von ihm?
     Was er wollte? Sie hatte es halb erraten, halb erfahren: er wollte, daYA
- - daYA - er wollte, daYA sich Dr. Savioli - - ein Leid antue.
     Sie kenne jetzt auch  die Gr'nde von Wassertrums wildem besinnungslosem
HaYA: "Dr. Savioli habe einst  seinen Sohn, den Augenarzt Wassory, in den Tod
getrieben."
     Sofort schlug  ein Gedanke in mich  ein wie der Blitz:  hinunterlaufen,
dem Trcdler alles verraten: daYA Charousek den Schlag gef'hrt hatte - aus dem
Hinterhalt  - und nicht Savioli,  der nur das  Werkzeug war - - -.  "Verrat!
Verrat!"  heulte es mir ins Hirn, "du willst also den armen schwinds'chtigen
Charousek, der dir  helfen wollte und  ihr,  der  Rachsucht dieses  Halunken
preisgeben?" - Und es  zerriYA  mich in blutende Hdlften. -  Dann  sprach ein
Gedanke eiskalt  und gelassen die Losung aus: "Narr! Du  hast es doch in der
Hand!  Brauchst ja nur die Feile  dort auf dem Tisch  zu nehmen, hinunter zu
laufen und sie dem Trcdler durch die  Gurgel zu jagen, daYA die Spitze hinten
zum Genick herausschaut."
     Mein Herz jauchzte einen Dankesschrei zu Gott.
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     Ich forschte weiter:
     "Und Dr. Savioli?"
     Kein Zweifel,  daYA er Hand  an sich  legen  wird, wenn  sie  ihn  nicht
rettete. Die Krankenschwestern lieYAen ihn nicht  aus  den Augen,  hatten ihn
mit  Morphium betdubt,  aber  vielleicht erwacht er  plctzlich  - vielleicht
gerade  jetzt - und  - und - nein, nein, sie m'sse fort, d'rfe keine Sekunde
Zeit  mehr  versdumen,  -  sie  wolle  ihrem  Gatten  schreiben,  ihm  alles
eingestehen, - solle er ihr das Kind nehmen, aber Savioli sei gerettet, denn
sie hdtte Wassertrum damit die einzige Waffe aus der Hand geschlagen, die er
besdYAe und mit der er drohe.
     Sie wolle das Geheimnis selbst enth'llen, ehe er es verraten kcnne.
     "Das  werden  Sie nicht  tun, Angelina!" schrie ich  und dachte  an die
Feile und die Stimme versagte mir in jubelnder Freude 'ber meine Macht.
     Angelina wollte sich losreiYAen: ich hielt sie fest.
     "Nur noch eins: Xberlegen Sie, wird Ihr Gatte  denn dem Trcdler so ohne
weiteres glauben?"
     "Aber Wassertrum hat doch  Beweise, offenbar  meine  Briefe, vielleicht
auch  ein  Bild  von mir,  -  alles, was  im Schreibtisch nebenan im Atelier
versteckt war."
     Briefe? Bild?  Schreibtisch? - ich wuYAte nicht  mehr, was  ich tat: ich
riYA Angelina an meine Brust und k'YAte sie. Auf den Mund,  auf die Stirn, auf
die Augen.
     Ihr blondes Haar lag wie ein goldner Schleier vor meinem Gesicht.
     Dann  hielt  ich sie  an  ihren  schmalen Hdnden und  erzdhlte  ihr mit
fliegenden  Worten,  daYA der Todfeind  Wassertrums -  ein  armer  bchmischer
Student -  die  Briefe und  alles in Sicherheit gebracht  hdtte  und  sie in
meinem Besitz seien und fest verwahrt.
     Und sie fiel mir um den Hals und lachte und weinte in einem Atem. K'YAte
mich. Rannte zur T'r. Kehrte wieder um und k'YAte mich wieder.
     Dann war sie verschwunden.
     Ich stand  wie betdubt  und f'hlte noch immer den Atem ihres Mundes  an
meinem Gesicht.
     Ich  hcrte wie  die Wagenrdder 'ber  das  Pflaster  donnerten  und  den
rasenden Galopp der Hufe. Eine Minute spdter war alles still. Wie ein Grab.
     Auch in mir.
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     Plctzlich knarrte die  T'r  leise  hinter mir, und  Charousek stand  im
Zimmer:
     "Verzeihen  Sie,  Herr  Pernath,  ich  habe  lange geklopft,  aber  Sie
schienen es nicht zu hcren."
     Ich nickte nur stumm.
     "Hoffentlich nehmen Sie nicht an, daYA ich  mich mit Wassertrum verschnt
habe, weil  Sie mich vorhin mit ihm sprechen sahen?" - Charouseks hohnisches
Ldcheln  sagte mir,  daYA er nur einen grimmigen SpaYA  machte. -  "Sie m'ssen
ndmlich wissen: Das Gluck ist mir hold; die Kanaille da unten fdngt an, mich
in  ihr Herz zu schlieYAen,  Meister Pernath. - - Es ist eine seltsame Sache,
das mit der Stimme des Blutes", setzte er leise - halb f'r sich - hinzu.
     Ich verstand nicht, was er damit meinen konnte, und nahm an, ich  hdtte
etwas 'berhcrt. Die ausgestandene Erregung zitterte noch zu stark in mir.
     "Er wollte  mir einen Mantel  schenken", fuhr Charousek laut fort. "Ich
habe nat'rlich dankend abgelehnt. Mich brennt schon meine eigene Haut genug.
- Und dann hat er mir Geld aufgedrdngt."
     "Sie haben es angenommen?!", wollte es mir herausfahren, aber ich hielt
noch rasch meine Zunge im Zaum.
     Die Wangen des Studenten bekamen kreisrunde rote Flecken:
     "Das Geld habe ich selbstverstdndlich angenommen."
     Mir wurde ganz wirr im Kopf!
     "- an - genommen?", stammelte ich.
     "Ich  hdtte  nie  gedacht, daYA  man  auf  Erden eine  so  reine  Freude
empfinden kann!" -  Charousek hielt  einen Augenblick inne und  schnitt eine
Fratze.  -  "Ist  es  nicht  ein erhebendes  Gef'hl,  im Haushalt der  Natur
›M'tterchens  Vorsehung‹ ckonomischen Finger  allenthalben  in  Weisheit und
Umsicht walten zu sehen!?" - Er sprach  wie  ein Pastor und  klimperte dabei
mit  dem Geld in  seiner Tasche, - "wahrlich, als hehre Pflicht empfinde ich
es, den Schatz,  mir  anvertraut  von milder Hand,  auf  Heller und  Pfennig
dereinst dem edelsten aller Zwecke zuzuf'hren."
     War er betrunken? Oder wahnsinnig?
     Charousek dnderte plctzlich den Ton:
     "Es liegt eine satanische Komik darin, daYA Wassertrum sich die - Arznei
selber bezahlt. Finden Sie nicht?"
     Eine  Ahnung ddmmerte mir auf, was sich hinter Charouseks Rede verbarg,
und mir graute vor seinen fiebernden Augen.
     "Xbrigens lassen wir das jetzt, Meister Pernath. Erledigen wir erst die
laufenden Geschdfte. Vorhin, die Dame, das war ›sie‹ doch?  Was ist ihr denn
eingefallen, hier cffentlich vorzufahren?"
     Ich erzdhlte Charousek, was geschehen war.
     "Wassertrum  hat bestimmt keine Beweise  in  den Hdnden", unterbrach er
mich  freudig,  "sonst  hdtte er  nicht heute morgen  abermals  das  Atelier
durchsucht. - Merkw'rdig, daYA Sie ihn nicht gehcrt haben!? Eine volle Stunde
lang war er dr'ben."
     Ich staunte, woher er alles so genau wissen kcnne, und sagte es ihm.
     "Darf  ich?" -  als Erkldrung nahm er  sich  eine Zigarette vom  Tisch,
z'ndete sie an und  erlduterte: "Sehen Sie, wenn Sie  jetzt die  T'r cffnen,
bringt die  Zugluft, die  vom Stiegenhaus hereinweht, den Tabakrauch aus der
Richtung. Es ist das vielleicht das einzige Naturgesetz, das Herr Wassertrum
genau kennt, und f'r alle Fdlle hat  er  in der  StraYAenmauer des Ateliers -
das Haus gehcrt ihm, wie Sie wissen - eine kleine, versteckte, offene Nische
anbringen lassen:  eine Art Ventilation, und darin ein rotes Fdhnchen.  Wenn
nun jemand das Zimmer betritt oder verldYAt, das heiYAt: die Zugt'r cffnet, so
merkt es Wassertrum unten an dem heftigen Flattern des Fdhnchens. Allerdings
weiYA ich es ebenfalls," setzte  Charousek trocken hinzu, "wenn's mir drum zu
tun  ist, und kann es  von dem Kellerloch  vis-a-vis,  in dem  zu hausen ein
gnddiges  Schicksal  mir  huldreichst  gestattet,  genau  beobachten.  - Der
niedliche  Scherz  mit der  Ventilation  ist zwar  ein  Patent  des w'rdigen
Patriarchen, aber auch mir seit Jahren geldufig."
     "Was f'r einen 'bermenschlichen HaYA Sie gegen ihn haben m'ssen, daYA Sie
so  jeden  seiner  Schritte  belauern.  Und  noch dazu seit langem, wie  Sie
sagen!" warf ich ein.
     "HaYA?"  Charousek  ldchelte krampfhaft.  "HaYA? - HaYA ist kein Ausdruck.
Das Wort, das meine Gef'hle gegen ihn bezeichnen kcnnte, muYA erst geschaffen
werden. - Ich hasse, genaugenommen, auch gar nicht ihn. Ich hasse sein Blut.
Verstehen Sie das?  Ich  wittere wie  ein wildes  Tier,  wenn  auch nur  ein
Tropfen von seinem Blut in den Adern  eines Menschen flieYAt, - und" - er biYA
die Zdhne  zusammen  - "das kommt  ›zuweilen‹  vor  hier im  Getto." Unfdhig
weiter zu  sprechen vor Aufregung lief er ans Fenster  und starrte hinaus. -
Ich hcrte wie er sein Keuchen unterdr'ckte. Wir schwiegen beide eine Weile.
     "Hallo, was ist denn das?" fuhr er plctzlich auf und winkte mir hastig:
"Rasch, rasch! Haben Sie nicht einen Operngucker oder so etwas?"
     Wir spdhten vorsichtig hinter den Vorhdngen hinunter:
     Der taubstumme Jaromir stand vor dem Eingang des Trcdlerladens und bot,
soviel  wir aus  seiner  Zeichensprache  erraten konnten,  Wassertrum  einen
kleinen blitzenden Gegenstand, den er in der Hand halb verbarg, zum Kauf an.
Wassertrum  fuhr  danach wie ein  Geier und  zog sich  damit in  seine Hchle
zur'ck.
     Gleich darauf st'rzte er wieder hervor - totenblaYA - und packte Jaromir
an der Brust: Es entspann  sich ein heftiges Ringen. -  Mit einem  Mal  lieYA
Wassertrum los und schien  zu 'berlegen. Nagte w'tend  an seiner gespaltenen
Oberlippe. Warf einen gr'belnden Blick zu uns herauf und zog dann Jaromir am
Arm friedlich in seinen Laden.
     Wir warteten  wohl eine Viertelstunde  lang: sie  schienen nicht fertig
werden zu kcnnen mit ihrem Handel.
     Endlich  kam  der Taubstumme mit befriedigter Miene  wieder heraus  und
ging seines Weges.
     "Was  halten Sie davon?", fragte ich.  "Es scheint  nichts Wichtiges zu
sein?  Vermutlich hat  der arme  Bursche irgendeinen  erbettelten Gegenstand
versilbert."
     Der Student gab keine Antwort und setzte sich schweigend wieder  an den
Tisch.
     Offenbar legte auch er dem Geschehnis keine Bedeutung bei, denn er fuhr
nach einer Pause da fort, wo er stehen geblieben war:
     "Ja. Also  ich sagte,  ich  hasse  sein  Blut. - Unterbrechen Sie mich,
Meister Pernath, wenn  ich wieder heftig  werde. Ich will kalt bleiben.  Ich
darf  meine besten  Empfindungen  nicht  so vergeuden. Es packt  mich  sonst
nachher wie Ern'chterung. Ein Mensch  mit Schamgef'hl soll  in k'hlen Worten
reden, nicht mit Pathos wie eine Prostituierte oder  - oder  ein  Dichter. -
Seit  die  Welt  steht,  wdr's niemand eingefallen, vor  Leid  die ›Hdnde zu
ringen‹, wenn nicht  die Schauspieler diese  Geste als besonders ›plastisch‹
ausget'ftelt hdtten."
     Ich  begriff, daYA er mit Absicht  blind  drauflos  redete, um innerlich
Ruhe zu bekommen.
     Es  wollte ihm nicht  recht  gelingen. Nervcs lief er im Zimmer auf und
ab, faYAte alle mcglichen  Gegenstdnde an und stellte sie zerstreut zur'ck an
ihren Platz.
     Dann war er mit einem Ruck wieder mitten in seinem Thema:
     "Aus den  kleinsten unwillk'rlichen  Bewegungen eines  Menschen  verrdt
sich  mir dieses  Blut. Ich kenne  Kinder, die  ›ihm‹  dhnlich sehen und als
seine gelten, aber doch sind sie nicht vom  selben Stamme -  man  kann  mich
nicht  tduschen. Jahrelang erfuhr ich nicht, daYA Dr.  Wassory sein Sohn ist,
aber ich habe es - ich mcchte sagen - gerochen.
     Schon als  kleiner  Junge, als ich noch nicht  ahnen konnte, in welchen
Beziehungen  Wassertrum zu  mir  steht,"  - sein  Blick ruhte  eine  Sekunde
forschend auf mir, - "besaYA ich diese Gabe. Man hat mich mit F'YAen getreten,
mich geschlagen, daYA es  wohl  keine Stelle an meinem Kcrper gibt, die nicht
w'YAte, was rasender Schmerz ist, - hat mich  hungern und dursten lassen, bis
ich  halb wahnsinnig wurde und schimmlige Erde gefressen habe, aber  niemals
konnte ich  diejenigen hassen, die mich peinigten. Ich konnte einfach nicht.
Es war kein Platz mehr in mir f'r  HaYA. - Verstehen Sie?  Und doch war  mein
ganzes Wesen getrdnkt damit.
     Nie hat mir Wassertrum auch nur das geringste angetan - ich  will damit
sagen,  daYA  er  mich  jemals weder  geschlagen  oder  beworfen,  noch  auch
irgendwie  beschimpft hat,  wenn ich mich  als Gassenjunge unten herumtrieb:
ich weiYA das genau, - und doch richtete sich alles, was an Rachsucht und Wut
in mir kochte, gegen ihn. Nur gegen ihn!
     Merkw'rdig  ist,  daYA ich  ihm trotzdem nie als Kind  einen Schabernack
gespielt  habe. Wenn's  die andern taten, zog  ich mich  sofort zur'ck. Aber
stundenlang konnte ich im Torweg stehen und,  hinter  der Haust'r versteckt,
durch  die  Angelritzen  sein  Gesicht  unverwandt  anstieren,  bis mir  vor
unerkldrlichem HaYAgef'hl schwarz vor den Augen wurde.
     Damals, glaube  ich, habe ich den Grundstein zu  dem Hellsehen  gelegt,
das  sofort in  mir aufwacht,  wenn  ich  mit Wesen,  ja sogar mit Dingen in
Ber'hrung komme, die  in Verbindung mit ihm stehen. Ich muYA wohl jede seiner
Bewegungen: seine  Art, den Rock zu tragen und  wie er Sachen anfaYAt, hustet
und  trinkt,  und all das  Tausenderlei damals  unbewuYAt  auswendig  gelernt
haben, bis sich's mir  in die Seele  fraYA, daYA  ich 'berall die Spuren davon
auf den ersten Blick mit unfehlbarer Sicherheit als seine Erbst'cke erkennen
kann.
     Spdter wurde das manchmal fast zur Manie: ich warf harmlose Gegenstdnde
von mir,  bloYA  weil mich der  Gedanke qudlte, seine Hand  kcnne sie ber'hrt
haben, -  andere  wieder waren mir ans  Herz  gewachsen; ich liebte sie  wie
Freunde, die ihm Bcses w'nschten."
     Charousek  schwieg einen Moment. Ich sah, wie  er  geistesabwesend  ins
Leere blickte. Seine Finger streichelten mechanisch die Feile auf dem Tisch.
     "Als dann ein paar mitleidige Lehrer f'r  mich gesammelt hatten und ich
Philosophie und Medizin studierte - auch nebenbei selbst denken lernte -, da
kam mir langsam die Erkenntnis, was HaYA ist:
     Wir kcnnen nur  etwas so tief hassen, wie ich es tue, was ein Teil  von
uns selbst ist.
     Und wie ich  spdter  dahinter kam,  - nach und  nach  alles erfuhr: was
meine Mutter war - und - und noch sein muYA, wenn - wenn sie noch lebt, - und
daYA  mein eigener  Leib" - er wendete sich ab,  damit ich sein Gesicht nicht
sehen sollte,  - "voll  ist von seinem eklen Blut - nun ja, Pernath, - warum
sollen Sie's nicht wissen:  er ist mein Vater! - da wurde  mir  klar, wo die
Wurzel lag.  -  -  - Zuweilen  kommt's mir  sogar  wie  ein  geheimnisvoller
Zusammenhang  vor,  daYA ich  schwinds'chtig  bin und  Blut spucken muYA: mein
Kcrper  wehrt sich gegen alles, was von ›ihm‹  ist, und stcYAt es mit Abscheu
von sich.
     Oft hat mich mein HaYA bis in den Traum begleitet und zu trcsten gesucht
mit Geschichten  von allen nur erdenklichen  Foltern, die ich ›ihm‹  zuf'gen
durfte,  aber  immer  verscheuchte  ich  sie  selber,  weil  sie  den  faden
Beigeschmack des - Unbefriedigtseins in mir hinterlieYAen.
     Wenn ich 'ber mich selbst nachdenke und mich wundern muYA, daYA es so gar
niemanden und nichts auf der Welt gibt, was ich zu hassen, - ja nicht einmal
als antipathisch zu empfinden imstande wdre, auYAer ›ihn‹ und seinen Stamm, -
beschleicht  mich  oft  das  widerliche Gef'hl: ich kcnnte das sein, was man
einen ›guten Menschen‹ nennt.  Aber zum Gl'ck ist es  nicht so. - Ich  sagte
Ihnen schon: es ist kein Platz mehr in mir.
     Und  glauben  Sie  nur ja  nicht,  daYA  ein  trauriges  Schicksal  mich
verbittert hat: (Was er meiner Mutter angetan hat,  erfuhr ich 'berdies erst
in spdteren  Jahren)  - ich habe  einen Freudentag  erlebt, der weit  in den
Schatten  stellt, was sonst einem Sterblichen vergcnnt ist. Ich  weiYA nicht,
ob Sie kennen, was  innere, echte, heiYAe Frcmmigkeit ist, - ich hatte es bis
dahin auch nicht  gekannt - als  ich aber an jenem Tage, an dem Wassory sich
selbst ausgerottet hat, am Laden unten stand und sah, wie ›er‹ die Nachricht
bekam, -  sie ›stumpfsinnig‹, wie ein  Laie, der die echte  B'hne des Lebens
nicht  kennt,  hdtte  glauben  m'ssen,  - hinnahm,  wohl  eine  Stunde  lang
teilnahmslos  stehen  blieb, seine  blutrote Hasenscharte nur ein ganz klein
biYAchen hcher 'ber die Zdhne gezogen als sonst und den Blick so gewiYA - - so
-  so  -  so  eigenartig nach innen  gekehrt,  -  -  -  -  da f'hlte ich den
Weihrauchduft von den Schwingen des Erzengels. - - Kennen Sie das Gnadenbild
der schwarzen  Muttergottes in der Teinkirche? Dort warf ich mich nieder und
die Finsternis des Paradieses h'llte meine Seele ein." -
     - -  - Wie ich  Charousek so  dastehen sah,  die  groYAen, trdumerischen
Augen voll Trdnen, da fielen mir Hillels Worte ein von der Unbegreiflichkeit
des dunklen Pfades, den die Br'der des Todes gehen.
     Charousek fuhr fort:
     "Die  duYAeren  Umstande,  die meinen  HaYA ›rechtfertigen‹  oder  in den
Gehirnen  der  amtlich  besoldeten  Richter  begreiflich  erscheinen  lassen
kcnnten,  werden Sie vielleicht  gar nicht interessieren:  - Tatsachen sehen
sich an wie  Meilensteine und sind doch nur leere Eierschalen. Sie  sind das
aufdringliche Knallen der Champagnerpfropfen an den  Tafeln der Protzen, das
nur der Schwachsinnige f'r das Wesentliche eines Gelages  hdlt. - Wassertrum
hat  meine  Mutter mit  all den  infernalischen  Mitteln, die seinesgleichen
Gewohnheit sind, gezwungen, ihm zu Willen zu sein, - wenn es nicht noch viel
schlimmer  war.  Und  dann  -  -  nun  ja  - und dann  hat er sie  an  - ein
Freudenhaus verkauft, - -  - so etwas ist nicht schwer, wenn man Polizeirdte
zu  Geschdftsfreunden hat,  - aber  nicht  etwa, weil er  ihrer  'berdr'ssig
gewesen  wdre, o nein!  Ich kenne die Schlupfwinkel seines  Herzens: an  dem
Tage hat  er  sie verkauft, wo er sich voll Schrecken bewuYAt wurde, wie heiYA
er  sie  in  Wirklichkeit  liebte.  So einer  wie  er handelt  da  scheinbar
widersinnig, aber immer gleich. Das  Hamsterhafte in seinem  Wesen quietscht
auf, sowie jemand kommt und kauft ihm irgend etwas ab aus seiner Trcdlerbude
gegen noch so teures Geld: er empfindet nur den Zwang des ›Hergebenm'ssens‹.
Er mcchte den  Begriff ›haben‹  am liebsten in sich hineinfressen und kcnnte
er  sich 'berhaupt ein Ideal ausdenken, so  wdr's das, sich dereinst in  den
abstrakten Begriff ›Besitz‹ aufzulcsen. - -
     Und da  ist es damals riesengroYA in ihm gewachsen bis zu einem Berg von
Angst:  "seiner selbst nicht mehr sicher" zu sein, -  nicht: etwas an  Liebe
geben zu wollen,  sondern geben zu  m'ssen: die Gegenwart eines Unsichtbaren
in sich zu ahnen, das seinen Willen oder das, von dem er mcchte, daYA es sein
Wille sein sollte, heimlich in Fesseln schlug. - So war der Anfang. Was dann
folgte, geschah automatisch. Wie der Hecht mechanisch zubeiYAen  muYA, - ob er
will  oder  nicht   -  wenn  ein  blitzender   Gegenstand  zu  rechter  Zeit
vor'berschwimmt.
     Das Verschachern meiner Mutter ergab sich f'r Wassertrum als nat'rliche
Folge. Es befriedigte  den  Rest der in ihm schlummernden Eigenschaften: die
Gier nach  Gold und die perverse  Wonne an der Selbstqual.  - - -  Verzeihen
Sie,  Meister  Pernath," -  Charouseks  Stimme  klang plctzlich so hart  und
n'chtern, daYA  ich erschrak, - "verzeihen Sie, daYA ich so furchtbar gescheit
daherrede, aber  wenn  man  an der Universitdt  ist,  kommt einem eine Menge
vertrottelter B'cher unter die  Hdnde;  unwillk'rlich  verfdllt man dann  in
eine teppenhafte Ausdrucksweise." -
     Ich zwang mich ihm zu Gefallen zu einem Ldcheln; innerlich verstand ich
gar wohl, daYA er mit dem Weinen kdmpfte.
     Irgendwie muYA ich ihm helfen, 'berlegte ich, wenigstens seine bitterste
Not  zu lindern  versuchen, soweit  das  in  meiner Macht  steht.  Ich  nahm
unauffdllig  die Hundertguldennote,  die  ich noch zu Hause  hatte,  aus der
Kommodenschublade und steckte sie in die Tasche.
     "Wenn Sie spdter einmal in eine bessere Umgebung kommen und Ihren Beruf
als  Arzt aus'ben, wird  Frieden bei Ihnen einziehen, Herr Charousek"; sagte
ich, um dem Gesprdch eine verschnliche Richtung zu geben, - "machen Sie bald
Ihr Doktorat?"
     "Demndchst.  Ich bin  es meinen Wohltdtern  schuldig.  Zweck  hat's  ja
keinen, denn meine Tage sind gezdhlt."
     Ich  wollte den  'blichen Einwand  machen, daYA  er doch wohl zu schwarz
sehe, aber erwehrte ldchelnd ab:
     "Es  ist  das  beste  so.  Es  muYA  'berdies  kein Vergn'gen sein,  den
Heilkomcdianten  zu mimen  und  sich  zu  guterletzt  noch als  diplomierter
Brunnenvergifter  einen Adelstitel zuzuziehen. - - Andererseits",  setzte er
mit seinem galligen Humor hinzu, "wird mir leider jedes weitere segensreiche
Wirken hier im Diesseits-Getto ein f'r allemal abgeschnitten sein." Er griff
nach seinem Hut. "Jetzt  will ich aber nicht  langer stcren. Oder  wdre noch
etwas zu besprechen  in  der Angelegenheit Savioli? Ich denke nicht.  Lassen
Sie mich  jedenfalls wissen, wenn  Sie etwas  Neues erfahren. Am besten, Sie
hdngen  einen  Spiegel hier ans Fenster, als  Zeichen,  daYA ich Sie besuchen
soll. Zu  mir  in den  Keller d'rfen Sie auf  keinen Fall kommen: Wassertrum
wurde sofort Verdacht schcpfen, daYA wir  zusammenhalten. - Ich  bin 'brigens
sehr neugierig, was  er jetzt tun  wird, wo er gesehen hat, daYA die Dame  zu
Ihnen gekommen ist. Sagen Sie ganz einfach, sie hdtte Ihnen ein Schmuckst'ck
zu reparieren gebracht, und  wenn er zudringlich  wird, spielen Sie eben den
Rabiaten."
     Es  wollte  sich  keine passende  Gelegenheit  ergeben,  Charousek  die
Banknote  aufzudrdngen;  ich   nahm  daher  das  Modellierwachs  wieder  vom
Fensterbrett und sagte: "Kommen Sie, ich  begleite Sie ein St'ck die Treppen
hinunter. - Hillel erwartet mich", log ich.
     Er stutzte:
     "Sie sind mit ihm befreundet?"
     "Ein wenig.  Kennen Sie ihn? - - Oder miYAtrauen Sie ihm", -  ich  muYAte
unwillk'rlich ldcheln - "vielleicht auch?"
     "Da sei Gott vor!"
     "Warum sagen Sie das so ernst?"
     Charousek zcgerte und dachte nach:
     "Ich weiYA selbst nicht warum. Es  muYA etwas UnbewuYAtes sein: so oft ich
ihm   auf  der  StraYAe  begegne,  mcchte  ich  am  liebsten   vom   Pflaster
heruntertreten und das  Knie beugen wie vor einem Priester, der  die  Hostie
trdgt.  -  Sehen Sie, Meister  Pernath, da  haben Sie einen Menschen, der in
jedem Atom das Gegenteil von Wassertrum  ist. Er gilt z. B. bei den Christen
hier im  Viertel, die,  wie immer, so auch in diesem Fall falsch  informiert
sind, als Geizhals und heimlicher Milliondr und ist doch unsagbar arm."
     Ich fuhr entsetzt auf: "arm?"
     "Ja, womcglich  noch armer als ich. Das Wort ›nehmen‹ kennt er,  glaub'
ich, 'berhaupt nur aus B'chern; aber wenn  er  am Ersten  des Monats aus dem
›Rathaus‹ kommt, dann laufen die  j'dischen  Bettler vor ihm davon, weil sie
wissen,  er  w'rde dem  ndchsten besten  von  ihnen seinen ganzen kdrglichen
Gehalt in die Hand dr'cken und  ein paar  Tage spdter -  samt seiner Tochter
selber  verhungern. - Wenn's wahr  ist, was eine uralte talmudische  Legende
behauptet: daYA von  den zwclf j'dischen Stdmmen zehn verflucht sind und zwei
hellig,  so verkcrpert er die zwei heiligen und Wassertrum  alle zehn andern
zusammen. - Haben  Sie noch nie  bemerkt,  wie  Wassertrum  sdmtliche Farben
spielt, wenn Hillel an ihm vor'ber  geht? Interessant, sag' ich Ihnen! Sehen
Sie,  solches Blut kann sich gar nicht  vermischen; da kamen die  Kinder tot
zur  Welt. Vorausgesetzt, daYA die  M'tter nicht schon fr'her  vor  Entsetzen
st'rben.  - Hillel  ist 'brigens der  einzige, an den  sich Wassertrum nicht
herantraut; - er weicht ihm  aus wie dem Feuer. Vermutlich, weil Hillel  das
Unbegreifliche, das vollkommen Unentrdtselbare, f'r ihn bedeutet. Vielleicht
wittert er in ihm auch den Kabballsten."
     Wir gingen bereits die Stiegen hinab.
     "Glauben  Sie, daYA es heutzutage  noch Kabballsten gibt - daYA 'berhaupt
an  der Kabbala  etwas  sein konnte?",  fragte  ich, gespannt, was  er  wohl
antworten w'rde, aber er schien nicht zugehcrt zu haben.
     Ich wiederholte meine Frage.
     Hastig lenkte er ab und deutete auf eine T'r des Treppenhauses, die aus
Kistendeckeln zusammengenagelt war:
     "Sie haben da  neue Mitbewohner bekommen,  eine zwar j'dische aber arme
Familie:  den  meschuggenen  Musikanten  Nephtali  Schaffranek mit  Tochter,
Schwiegersohn und Enkelkindern. Wenn's dunkel wird und er allein ist mit den
kleinen Mddchen, kommt der Rappel 'ber ihn: dann bindet er sie an den Daumen
zusammen,  damit  sie  ihm nicht  davonlaufen,  zwdngt sie  in  einen  alten
H'hnerkdfig  und  unterweist  sie im  ›Gesang‹,  wie er  es nennt, damit sie
spdter ihren Lebensunterhalt selbst erwerben kcnnen, -  das heiYAt,  er lehrt
sie  die verr'cktesten Lieder, die es gibt, deutsche Texte, Bruchst'cke, die
er  irgendwo  aufgeschnappt  hat und im Ddmmer seines Seelenzustandes  f'r -
preuYAische Schlachthymnen oder dergleichen hdlt."
     Wirklich tcnte da  eine sonderbare Musik leise auf den Gang heraus. Ein
Fiedelbogen  kratzte f'rchterlich hoch und immerwdhrend in ein und demselben
Ton die Umrisse eines Gassenhauers, und zwei fadend'nne Kinderstimmen sangen
dazu:
     "Frau Pick,
     Frau Hock,
     Frau Kle - pe - tarsch,
     se stehen beirenond
     und schmusen allerhond - -"
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     Es  war wie  Wahnwitz und Komik zugleich,  und ich  muYAte wider  Willen
hellaut auflachen.
     "Schwiegersohn Schaffranek  -  seine  Frau verkauft  auf  dem Eiermarkt
Gurkensaft  gldschenweise an die Schuljugend - lduft den ganzen  Tag  in den
B'ros  herum",  fuhr  Charousek  grimmig  fort,  "und  erbettelt  sich  alte
Briefmarken. Die sortiert er dann,  und wenn er  welche darunter findet, die
zufdllig  nur  am Rande  gestempelt  sind, so legt  er  sie  aufeinander und
schneidet  sie  durch. Die  ungestempelten  Hdlften  klebt  er  zusammen und
verkauft sie  als neu.  Anfangs bl'hte das  Geschdft und  warf manchmal fast
einen - Gulden  im  Tag  ab, aber schlieYAlich  kamen  die  Prager  j'dischen
GroYAindustriellen  dahinter - und machen es jetzt selber.  Sie  schcpfen den
Rahm ab."
     "W'rden  Sie  Not  lindern,  Charousek,  wenn  Sie  'berfl'ssiges  Geld
hdtten?" fragte ich rasch. - Wir standen vor Hillels T'r und ich klopfte an.
     "Halten  Sie mich f'r  so gemein,  daYA Sie glauben kcnnen,  ich tdte es
nicht?", fragte er verbl'fft zur'ck.
     Mirjams Schritte  kamen ndher,  und ich  wartete,  bis  sie die  Klinke
niederdr'ckte, dann schob ich ihm rasch die Banknote in die Tasche:
     "Nein, Herr Charousek, ich halte Sie nicht daf'r, aber  mich m'YAten Sie
f'r gemein halten, wenn ich's unterlieYAe."
     Ehe er etwas  erwidern konnte, hatte  ich  ihm die Hand gesch'ttelt und
die T'r  hinter  mir zugezogen. Wdhrend mich  Mirjam begr'YAte, lauschte ich,
was er tun w'rde.
     Er  blieb  eine  Weile stehen,  dann  schluchzte er leise auf und  ging
langsam mit  suchendem Schritt die Treppe hinunter. Wie jemand, der  sich am
Geldnder halten muYA. - - -
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     Es war das erste Mal, daYA ich Hillels Zimmer besuchte.
     Es sah schmucklos aus  wie ein Gefdngnis. Der Boden peinlich sauber und
mit weiYAem Sand bestreut. Nichts an Mcbeln als zwei St'hle und ein Tisch und
eine Kommode. Ein Holzpostament je links und rechts an den Wdnden. - - -
     Mirjam saYA  mir  gegen'ber am  Fenster, und  ich  bossierte  an  meinem
Modellierwachs.
     "MuYA  man denn  ein  Gesicht vor  sich  haben,  um  die  Dhnlichkeit zu
treffen?", fragte sie sch'chtern und nur, um die Stille zu unterbrechen.
     Wir  wichen einander scheu  mit den Blicken aus. Sie wuYAte nicht, wohin
die Augen  richten in ihrer Qual und  Scham 'ber die jammervolle Stube,  und
mir brannten die Wangen von innerem Vorwurf, daYA ich mich nicht ldngst darum
gek'mmert hatte, wie sie und ihr Vater lebten.
     Aber irgend etwas muYAte ich doch antworten!
     "Nicht so sehr,  um  die Dhnlichkeit zu treffen, als um zu vergleichen,
ob man innerlich  auch richtig gesehen hat",  - ich f'hlte, noch wdhrend ich
sprach, wie grundfalsch das alles war, was ich sagte.
     Jahrelang  hatte ich  den irrigen  Grundsatz  der Maler, man  m'sse die
duYAere  Natur  studieren, um  k'nstlerisch schaffen zu  kcnnen, stumpfsinnig
nachgebetet und befolgt; erst, seit Hillel mich in jener Nacht erweckt,  war
mir  das   innere   Schauen  aufgegangen:  das   wahre  Sehenkcnnen   hinter
geschlossenen Lidern, das sofort erlischt, wenn man die Augen  aufschldgt, -
die  Gabe, die sie alle zu haben glauben und die doch unter Millionen keiner
wirklich besitzt.
     Wie konnte  ich  auch nur  von der Mcglichkeit sprechen, die unfehlbare
Richtschnur  der geistigen  Vision an  den groben  Mitteln des  Augenscheins
nachmessen zu wollen!
     Mirjam schien Dhnliches zu denken, nach dem Erstaunen in  ihren  Mienen
zu schlieYAen.
     "Sie d'rfen es nicht so wcrtlich nehmen", entschuldigte ich mich.
     Voll Aufmerksamkeit  sah sie  zu,  wie  ich mit  dem  Griffel  die Form
vertiefte.
     "Es  muYA unendlich  schwer sein,  alles  dann haargenau  auf  Stein  zu
'bertragen?"
     "Das ist nur mechanische Arbeit. So ziemlich wenigstens."

     Pause.

     "Darf ich die Gemme sehen, wenn sie fertig ist?" fragte sie.
     "Sie ist doch f'r Sie bestimmt, Mirjam."
     "Nein, nein; das geht nicht, - - das - das  -  -", -  ich sah, wie ihre
Hdnde nervcs wurden.
     "Nicht  einmal  diese  Kleinigkeit  wollen  Sie  von   mir  annehmen?",
unterbrach ich sie schnell, "ich wollte, ich d'rfte mehr f'r Sie tun."
     Hastig wandte sie das Gesicht ab.
     Was hatte ich da gesagt! Ich  muYAte sie aufs tiefste verletzt haben. Es
hatte geklungen, als wollte ich auf ihre Armut anspielen.
     Konnte ich es noch beschcnigen? Wurde es dann nicht weit schlimmer?
     Ich nahm einen Anlauf:
     "Hcren Sie mich ruhig  an, Mirjam! Ich  bitte  Sie darum. - Ich schulde
Ihrem Vater so unendlich viel, - Sie kcnnen das gar nicht ermessen - -"
     Sie sah mich unsicher an; verstand offenbar nicht.
     "-ja ja: unendlich viel. Mehr als mein Leben."
     "Weil er Ihnen damals beistand, als Sie ohnmdchtig waren? Das  war doch
selbstverstdndlich."
     Ich f'hlte:  sie  wuYAte  nicht,  welches  Band  mich  mit  ihrem  Vater
verkn'pfte. Vorsichtig  sondierte  ich,  wie weit ich  gehen durfte, ohne zu
verraten, was er ihr verschwieg.
     "Weit hcher als duYAere Hilfe, dachte ich, ist die  innere zu stellen. -
Ich meine die, die aus  dem  geistigen EinfluYA eines Menschen auf den andern
'berstrahlt. - Verstehen Sie, was ich damit sagen will,  Mirjam?  - Man kann
jemand auch seelisch heilen, nicht nur kcrperlich, Mirjam."
     "Und das hat - -?"
     "Ja, das hat Ihr Vater an mir getan!"  - ich faYAte sie  an der  Hand, -
"begreifen Sie nicht, daYA es mir da  ein Herzenswunsch sein muYA, wenn  schon
nicht ihm, so doch jemand, der ihm so nahesteht,  wie Sie, irgendeine Freude
zu bereiten? - Haben Sie nur ein ganz klein wenig Vertrauen zu mir! - Gibt's
denn gar keinen Wunsch, den ich Ihnen erf'llen kcnnte?"
     Sie  sch'ttelte  den  Kopf:  "Sie glauben, ich  f'hle  mich ungl'cklich
hier?"
     "GewiYA nicht. Aber vielleicht haben Sie  zuweilen Sorgen, die ich Ihnen
abnehmen  konnte? Sie  sind  verpflichtet - hcren Sie!  - verpflichtet, mich
daran teilnehmen zu lassen! Warum leben Sie denn beide hier in  der finstern
traurigen Gasse, wenn Sie nicht m'YAten? Sie sind noch so jung, Mirjam, und -
-"
     "Sie  leben  doch  selbst  hier,  Herr  Pernath", unterbrach  sie  mich
ldchelnd, "was fesselt Sie an das Haus?"
     Ich stutzte. - Ja.  Ja,  das  war richtig.  Warum lebte ich  eigentlich
hier? Ich konnte  es  mir  nicht  erkldren, was fesselt  dich an  das  Haus?
wiederholte ich mir geistesabwesend. Ich konnte keine  Erkldrung finden  und
vergaYA  einen  Augenblick  ganz,  wo  ich  war.  -  Dann stand ich plctzlich
entr'ckt irgendwo hoch oben - in einem  Garten - roch  den zauberhaften Duft
von bl'henden Holunderdolden, - sah herab auf die Stadt - - -
     "Habe  ich eine Wunde ber'hrt? Hab' ich Ihnen  weh getan?", kam Mirjams
Stimme von weit, weit her zu mir.
     Sie hatte sich  'ber mich gebeugt und sah mir  dngstlich forschend  ins
Gesicht.
     Ich muYAte wohl lange starr dagesessen haben, daYA sie so besorgt war.
     Eine Weile schwankte es hin und her in mir, dann brach sich's plctzlich
gewaltsam Bahn, 'berflutete mich,  und ich sch'ttete Mirjam mein ganzes Herz
aus.
     Ich erzdhlte ihr, wie  einem lieben, alten Freund,  mit  dem  man  sein
ganzes Leben beisammen war und vor dem man kein Geheimnis hat, wie's um mich
stand  und auf welche Weise ich aus einer  Erzdhlung Zwakhs  erfahren hatte,
daYA ich  in fr'heren Jahren wahnsinnig gewesen und  der  Erinnerung an meine
Vergangenheit  beraubt worden  war, - wie in letzter Zeit Bilder in mir wach
geworden,  die  in jenen Tagen  wurzeln muYAten, immer hdufiger und hdufiger,
und daYA  ich  vor dem Moment zitterte, wo mir alles offenbar werden und mich
von neuem zerreiYAen w'rde.
     Nur, was ich mit ihrem Vater  in  Zusammenhang bringen  muYAte: -  meine
Erlebnisse in den unterirdischen Gdngen und all das  'brige, verschwieg  ich
ihr.
     Sie  war  dicht zu  mir  ger'ckt  und hcrte mit  einer tiefen atemlosen
Teilnahme zu, die mir unsdglich wohl tat.
     Endlich hatte ich einen Menschen gefunden, mit dem ich mich aussprechen
konnte, wenn mir meine geistige Einsamkeit zu  schwer wurde.  - GewiYA  wohl:
Hillel war  ja noch da, aber f'r mich nur wie ein Wesen jenseits der Wolken,
das kam und verschwand wie ein Licht, an das ich nicht herankonnte, wenn ich
mich sehnte.
     Ich sagte  es ihr und sie verstand  mich. Auch sie sah ihn so, trotzdem
er ihr Vater war.
     Er hing mit unendlicher Liebe an ihr und sie an ihm - "und doch bin ich
wie  durch eine Glaswand von  ihm getrennt," vertraute sie mir an, "die  ich
nicht durchbrechen kann. Solange ich  denke, war es  so. - Wenn ich ihn  als
Kind  im  Traum an meinem  Bette  stehen sah, immer  trug er  das Gewand des
Hohenpriesters: die goldene Tafel des Moses mit den 12 Steinen darin auf der
Brust, und blaue  leuchtende Strahlen gingen von seinen Schldfen  aus. - Ich
glaube, seine Liebe ist von der Art, die 'bers Grab hinausgeht, und zu groYA,
als daYA wir sie fassen kcnnten. - Das hat auch  meine Mutter  immer  gesagt,
wenn  wir  heimlich  'ber ihn  sprachen."  -  - Sie schauderte plctzlich und
zitterte am ganzen Leib. Ich wollte aufspringen, aber sie hielt mich zur'ck:
"Seien  Sie ruhig,  es ist  nichts. BloYA  eine Erinnerung. Als  meine Mutter
starb -  nur  ich  weiYA, wie er  sie geliebt hat,  ich war  damals  noch ein
kleines Mddchen, - glaubte ich vor Schmerz ersticken zu m'ssen, und ich lief
zu ihm hin und krallte mich in seinen Rock und wollte aufschreien und konnte
doch nicht, weil alles geldhmt war in mir - und - und da - - - - mir lauft's
wieder eiskalt 'ber den R'cken, wenn ich daran denke - sah er mich  ldchelnd
an, k'YAte mich auf die Stirn und fuhr mir mit der Hand 'ber die Augen. - - -
-  Und von dem  Moment  an bis  heute  war jedes  Leid, daYA ich meine Mutter
verloren  hatte,  wie  ausgetilgt  in  mir.  Nicht  eine  Trdne  konnte  ich
vergieYAen,  als sie begraben  wurde;  ich sah die Sonne als strahlende  Hand
Gottes  am Himmel stehen und wunderte mich, warum die Menschen weinten. Mein
Vater  ging hinter  dem Sarge  her,  neben mir,  und  wenn  ich  aufblickte,
ldchelte er jedesmal leise und ich f'hlte, wie das Entsetzen durch die Menge
fuhr, als sie es sahen."
     "Und  sind Sie  gl'cklich, Mirjam? Ganz gl'cklich? Liegt nicht zugleich
etwas Furchtbares f'r Sie in dem Gedanken, ein Wesen zum Vater zu haben, das
hinausgewachsen ist 'ber alles Menschentum?", fragte ich leise.
     Mirjam sch'ttelte freudig den Kopf:
     "Ich  lebe wie in  einem seligen Schlaf dahin.  - Als Sie  mich  vorhin
fragten, Herr Pernath, ob ich nicht Sorgen hdtte und warum wir hier wohnten,
muYAte ich fast lachen. Ist denn die Natur schcn? Nun ja, die Bdume sind gr'n
und  der  Himmel  ist  blau,  aber  das  alles  kann  ich  mir  viel schcner
vorstellen, wenn ich die Augen schlieYAe. MuYA ich  denn, um sie zu sehen, auf
einer Wiese sitzen? - Und das biYAchen  Not und - und - und Hunger?  Das wird
tausendfach aufgewogen durch die Hoffnung und das Warten."
     "Das Warten?", fragte ich erstaunt.
     "Das Warten  auf ein Wunder. Kennen Sie  das  nicht? Nein? Da  sind Sie
aber ein ganz,  ganz armer Mensch.  - DaYA das so  wenige kennen?! Sehen Sie,
das  ist auch der Grund,  weshalb ich nie ausgehe und  mit niemand verkehre.
Ich hatte wohl fr'her ein paar Freundinnen - J'dinnen nat'rlich, wie ich  -,
aber wir redeten immer aneinander vorbei;  sie verstanden mich nicht und ich
sie  nicht. Wenn ich von  Wundern  sprach, glaubten  sie  anfangs, ich mache
SpaYA,  und  als sie merkten,  wie ernst  es mir war und  daYA  ich auch unter
Wundern  nicht  das  verstand,  was  die  Deutschen  mit  ihren  Brillen  so
bezeichnen: das  gesetzmdYAige Wachsen des  Grases  und dergleichen,  sondern
eher das Gegenteil, -  hdtten sie mich  am liebsten  f'r  verr'ckt gehalten,
aber dagegen stand ihnen wieder im Wege, daYA  ich  ziemlich gelenkig bin  im
Denken,  hebrdisch  und  aramdisch gelernt habe, die Targumim und Midraschim
lesen kann, und  was dergleichen  Nebensdchlichkeiten mehr sind. SchlieYAlich
fanden sie ein Wort,  das 'berhaupt nichts mehr  ausdr'ckt: sie nannten mich
›'berspannt‹.
     Wenn  ich ihnen  dann  klarmachen  wollte,  daYA  das Bedeutsame  -  das
Wesentliche  - f'r mich  in  der  Bibel und anderen  heiligen Schriften  das
Wunder und bloYA das Wunder sei und nicht Vorschriften  'ber Moral und Ethik,
die nur versteckte Wege sein kcnnen, um  zum Wunder zu gelangen, - so wuYAten
sie  nur  mit  Gemeinpldtzen  zu  erwidern,  denn sie  scheuten sich,  offen
einzugestehen, daYA  sie  aus  den Religionsschriften  nur das glaubten,  was
ebensogut  im b'rgerlichen  Gesetzbuch  stehen  kcnnte. Wenn  sie  das  Wort
›Wunder‹ nur  hcrten,  wurde ihnen schon unbehaglich. Sie verlcren den Boden
unter den F'YAen, sagten sie.
     Als ob  es etwas Herrlicheres  geben  kcnnte,  als den Boden  unter den
F'YAen zu verlieren!
     Die Welt ist  dazu da,  um von uns kaputt gedacht zu werden, hcrte  ich
einmal meinen Vater  sagen, - dann, dann erst fdngt das Leben an. - Ich weiYA
nicht, was er mit dem ›Leben‹ meinte, aber ich f'hle zuweilen, daYA ich eines
Tages so wie: ›erwachen‹ werde.  Wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, in
welchen Zustand hinein. Und Wunder m'ssen  dem vorhergehen,  denke  ich  mir
immer.
     ›Hast  du denn schon welche erlebt, daYA du fortwdhrend darauf wartest?‹
fragten  mich oft  meine  Freundinnen,  und wenn ich  verneinte, wurden  sie
plctzlich froh  und siegesgewiYA. Sagen Sie, Herr Pernath,  kcnnen Sie solche
Herzen  verstehen? DaYA ich doch Wunder erlebt habe, wenn auch nur kleine,  -
winzig  kleine  -",  -  Mirjams  Augen gldnzten,  - "wollte  ich ihnen nicht
verraten, - - -"
     Ich hcrte, wie Freudentrdnen ihre Stimme fast erstickten.
     "- aber Sie werden mich verstehen: oft,  Wochen,  ja Monate", -  Mirjam
wurde  ganz leise - "haben wir nur von  Wundern gelebt. Wenn  gar  kein Brot
mehr im Hause war, aber  auch nicht ein Bissen  mehr, dann wuYAte  ich: jetzt
ist  die Stunde da! - Und dann saYA ich hier und wartete und wartete, bis ich
vor  Herzklopfen kaum  mehr  atmen  konnte.  Und -  und  dann,  wenn's  mich
plctzlich  zog, lief ich hinunter und kreuz und quer  durch die StraYAen,  so
rasch ich konnte, um  rechtzeitig  wieder im Hause  zu sein, ehe mein  Vater
heimkam. Und - und jedesmal fand ich Geld. Einmal mehr, einmal weniger, aber
immer soviel, daYA  ich  das Nctigste  einkaufen konnte. Oft  lag ein  Gulden
mitten auf der StraYAe; ich sah ihn  von weitem blitzen  und die Leute traten
darauf,  rutschten aus dar'ber, aber keiner  bemerkte ihn. - Das machte mich
zuweilen so  'berm'tig, daYA ich  gar nicht  erst ausging, sondern nebenan in
der K'che  den Boden durchsuchte wie  ein  Kind, ob nicht Geld oder Brot vom
Himmel gefallen sei."
     - Ein  Gedanke  schoYA  mir durch  den Kopf,  und ich muYAte  aus  Freude
dar'ber ldcheln. -
     Sie sah es.
     "Lachen  Sie nicht,  Herr Pernath", flehte sie.  "Glauben  Sie mir, ich
weiYA, daYA diese Wunder wachsen werden und daYA sie eines Tages -"
     Ich beruhigte sie: "Aber  ich lache doch nicht,  Mirjam! Was denken Sie
denn! Ich bin unendlich  gl'cklich, daYA Sie nicht  sind wie  die andern, die
hinter jeder Wirkung die gewohnte Ursache  suchen und  bocken, wenn's -  wir
rufen in solchen Fallen: Gott sei Dank! - einmal anders kommt."
     Sie streckte mir die Hand hin:
     "Und nicht wahr, Sie werden nie mehr sagen, Herr Pernath, daYA Sie mir -
oder uns - helfen wollen? Jetzt, wo Sie wissen, daYA Sie mir die Mcglichkeit,
ein Wunder zu erleben, rauben w'rden, wenn Sie es tdten?"
     Ich versprach es. Aber im Herzen machte ich einen Vorbehalt.
     Da ging die T'r und Hillel trat ein.
     Mirjam  umarmte  ihn;  und  er  begr'YAte   mich.   Herzlich   und  voll
Freundschaft, aber wieder mit dem k'hlen "Sie".
     Auch schien  etwas  wie leise  M'digkeit oder  Unsicherheit auf ihm  zu
lasten. - Oder irrte ich mich?
     Vielleicht kam es nur von der Ddmmerung, die in der Stube lag.
     "Sie  sind gewiYA hier, mich um Rat zu fragen", fing  er an, als  Mirjam
uns allein gelassen hatte, "in der Sache, die die fremde Dame betrifft - -?"
     Ich wollte ihn verwundert unterbrechen, aber er fiel mir in die Rede:
     "Ich weiYA es von dem Studenten Charousek. Ich sprach ihn auf der  Gasse
an, weil  er mir merkw'rdig verdndert vorkam. Er hat  mir alles  erzdhlt. In
der Xberf'lle seines  Herzens. Auch, daYA - Sie ihm Geld geschenkt haben." Er
sah mich durchdringend an und betonte jedes seiner Worte auf hcchst seltsame
Weise, aber ich verstand nicht, was er damit wollte:
     "GewiYA, es hat dadurch ein paar Tropfen Gl'ck mehr vom  Himmel geregnet
- und - und in diesem - Fall hat's vielleicht auch nicht geschadet, aber -,"
er dachte eine Weile nach, - "aber manchmal schafft man sich und anderen nur
Leid damit. Gar so leicht ist das Helfen nicht, wie Sie denken, mein  lieber
Freund! Da wdre es  sehr, sehr einfach, die Welt zu erlcsen. -  Oder glauben
Sie nicht?"
     "Geben Sie  denn  nicht auch den Armen?  Oft alles,  was  Sie besitzen,
Hillel?", fragte ich.
     Er sch'ttelte ldchelnd den Kopf: "Mir  scheint, Sie sind 'ber Nacht ein
Talmudist geworden, daYA Sie eine  Frage wieder mit einer Frage  beantworten.
Da ist freilich schwer streiten."
     Er  hielt  inne,  als ob  ich darauf  antworten  sollte,  aber wiederum
verstand ich nicht, worauf er eigentlich wartete.
     "Xbrigens, um zu dem Thema zur'ckzukommen", fuhr er in verdndertem Tone
fort,  "ich glaube  nicht,  daYA Ihrem Sch'tzling  - ich  meine  die  Dame  -
augenblicklich  Gefahr droht. Lassen Sie die  Dinge an  sich herantreten. Es
heiYAt zwar: ›der kluge Mann baut vor‹, aber der Kl'gere, scheint mir, wartet
ab und ist auf  alles  gefaYAt.  Vielleicht  ergibt sich die Gelegenheit, daYA
Aaron Wassertrum mit mir zusammentrifft, aber das muYA dann von ihm ausgehen,
- ich tue keinen Schritt, er muYA her'berkommen. Ob zu Ihnen oder zu mir, ist
gleichg'ltig - und dann will ich mit ihm reden. An ihm  wird's sein, sich zu
entscheiden,  ob  er meinen Rat befolgen will oder nicht.  Ich wasche  meine
Hdnde in Unschuld."
     Ich versuchte  dngstlich  in  seinem  Gesicht  zu lesen.  So  kalt  und
eigent'mlich  drohend  hatte er  noch  nie  gesprochen.  Aber  hinter diesem
schwarzen, tiefliegenden Auge schlief ein Abgrund.
     "Es  ist wie  eine Glaswand  zwischen ihm und  uns", fielen mir Mirjams
Worte ein.
     Ich konnte ihm nur wortlos die Hand dr'cken und - gehen.
     Er begleitete mich bis vor die T're und, als ich  die Treppe hinaufging
und mich noch einmal umdrehte, sah ich, daYA er  stehen geblieben war und mir
freundlich nachwinkte, aber wie jemand, der noch gern etwas sagen mcchte und
nicht kann.

     Ich hatte die Absicht, mir Mantel und Stock  zu holen und in die kleine
Wirtsstube  "Zum  alten  Ungelt"  essen  zu  gehen, wo  allabendlich  Zwakh,
Vrieslander  und Prokop  bis spdt in die Nacht beisammen  saYAen und einander
verr'ckte Geschichten erzdhlten; aber  kaum betrat ich  mein Zimmer, da fiel
der Vorsatz von mir ab,  - wie wenn mir Hdnde ein Tuch oder sonst etwas, was
ich am Leibe getragen, abgerissen hdtten.
     Es lag eine  Spannung in der Luft, 'ber die ich  mir keine Rechenschaft
geben konnte, die aber trotzdem vorhanden  war wie etwas Greifbares und sich
im Verlauf  weniger Sekunden derart heftig  auf  mich 'bertrug,  daYA ich vor
Unruhe anfangs kaum wuYAte, was ich zuerst tun sollte: Licht anz'nden, hinter
mir abschlieYAen, mich niedersetzen oder auf und ab gehen.
     Hatte  sich  jemand in meiner Abwesenheit eingeschlichen und versteckt?
War's die Angst eines  Menschen  vor  dem Gesehenwerden, die mich ansteckte?
War Wassertrum vielleicht hier?
     Ich griff hinter die Gardinen, cffnete den Schrank, tat einen Blick ins
Nebenzimmer: - niemand.
     Auch die Kassette stand unverr'ckt an ihrem Platz.
     Ob es nicht am besten war, ich verbrannte die Briefe kurz entschlossen,
um ein f'r allemal die Sorge um sie los zu sein?
     Schon suchte ich nach dem Schl'ssel in meiner Westentasche - aber muYAte
es denn jetzt geschehen? Es blieb mir doch Zeit genug bis morgen fr'h.
     Erst Licht machen!
     Ich konnte die Streichhclzer nicht finden.
     War  die  T'r abgesperrt? - Ich  ging ein  paar Schritte  zur'ck. Blieb
wieder stehen.
     Warum mit einemmal die Angst?
     Ich  wollte  mir Vorw'rfe  machen,  daYA  ich  feig  sei: - die Gedanken
blieben stecken. Mitten im Satz.
     Eine wahnwitzige  Idee  'berfiel mich  plctzlich: rasch, rasch  auf den
Tisch  steigen,  einen  Sessel packen und zu mir  hinaufziehen und "dem" den
Schddel damit von oben herab einschlagen, das da auf dem Boden herumkroch, -
- wenn - wenn es in die Ndhe kam.
     "Es ist doch niemand hier," sagte ich mir laut und drgerlich vor, "hast
du dich denn je im Leben gef'rchtet?"
     Es half nichts. Die Luft, die ich einatmete, wurde d'nn und  schneidend
wie Dther.
     Wenn  ich  irgendetwas  gesehen  hdtte:  das GrdYAlichste, was man  sich
vorstellen kann, - im Nu wdre die Furcht von mir gewichen.
     Es kam nichts.
     Ich bohrte meine Augen in alle Winkel:
     Nichts.
     Xberall lauter wohlbekannte Dinge: Mcbel, Truhen,  die Lampe, das Bild,
die Wanduhr - leblose, alte, treue Freunde.
     Ich hoffte, sie w'rden sich vor meinen  Blicken verdndern und mir Grund
geben, eine Sinnestduschung als Ursache f'r das w'rgende Angstgef'hl  in mir
zu finden.
     Auch das nicht. - Sie blieben  ihrer  Form  starr getreu. Viel zu starr
f'r das herrschende Halbdunkel, als daYA es nat'rlich gewesen wdre.
     "Sie  stehen unter  demselben Zwang  wie  du  selbst", f'hlte ich. "Sie
trauen sich nicht, auch nur die leiseste Bewegung zu machen."
     Warum tickt die Wanduhr nicht? -
     Das Lauern ringsum trank jeden Laut.
     Ich r'ttelte  am Tisch und  wunderte mich,  daYA ich  das Gerdusch hcren
konnte.
     Wenn doch wenigstens der Wind ums Haus pfiffe! - Nicht einmal das! Oder
das Holz im Ofen aufknallen wollte: - das Feuer war erloschen.
     Und immerwdhrend dasselbe entsetzliche  Lauern in der Luft - pausenlos,
l'ckenlos, wie das Rinnen von Wasser.
     Dieses  vergebliche  Auf-dem-Sprung-stehen  aller  meiner  Sinne!   Ich
verzweifelte  daran, es  je 'berdauern zu kcnnen. - Der Raum voll Augen, die
ich nicht sehen, - voll von planlos wandernden Hdnden, die ich nicht greifen
konnte.
     "Es ist das Entsetzen, das  sich aus sich  selbst gebiert, die ldhmende
Schrecknis des unfaYAbaren Nicht-Etwas, das keine Form  hat und unserm Denken
die Grenzen zerfriYAt", begriff ich dumpf.
     Ich stellte mich steif hin und wartete.
     Wartete wohl eine  Viertelstunde: vielleicht  lieYA  "es" sich verleiten
und schlich von r'ckwdrts an mich heran - und ich konnte es ertappen?!
     Mit einem Ruck fuhr ich herum: wieder nichts.
     Dasselbe  markverzehrende  "Nichts", das nicht war und  doch das Zimmer
mit seinem grausigen Leben erf'llte.
     Wenn ich hinausliefe? Was hinderte mich?
     "Es  w'rde  mit  mir  gehen",   wuYAte  ich  sofort   mit  unabweisbarer
Sicherheit.  Auch, daYA es mir nichts n'tzen kcnnte, wenn ich  Licht  machte,
sah ich ein, - dennoch  suchte ich so  lange nach dem Feuerzeug, bis ich  es
gefunden hatte.
     Aber der  Kerzendocht wollte nicht brennen und kam lang aus dem Glimmen
nicht  heraus: die kleine Flamme konnte nicht leben  und  nicht sterben, und
als sie sich endlich doch ein  schwinds'chtiges Dasein erkdmpft hatte, blieb
sie glanzlos wie gelbes, schmutziges Blech. Nein, da war die Dunkelheit noch
besser.
     Ich lcschte wieder  aus und warf mich angezogen 'bers  Bett. Zdhlte die
Schldge meines Herzens: eins, zwei, drei - vier ... bis  tausend, und  immer
von neuem - Stunden,  Tage, Wochen, wie mir schien, bis meine Lippen trocken
wurden und das Haar sich mir strdubte: keine Sekunde der Erleichterung.
     Auch nicht eine einzige.
     Ich  fing an, mir Worte vorzusagen,  wie sie mir  gerade  auf die Zunge
kamen: "Prinz", "Baum", "Kind", "Buch" -  und sie krampfhaft zu wiederholen,
bis sie plctzlich als  sinnlose, schreckhafte Laute aus barbarischer Vorzeit
nackt  mir gegen'berstanden, und ich  mit aller Kraft nachdenken  muYAte,  in
ihre Bedeutung zur'ckzufinden: P-r-i-n-z? - B-u-ch?
     War  ich nicht schon wahnsinnig?  Oder  gestorben? - Ich tastete an mir
herum.
     Aufstehen!
     Mich in den Sessel setzen!
     Ich lieYA mich in den Lehnstuhl fallen.
     Wenn doch endlich der Tod kdme!
     Nur dieses blutlose, furchtbare Lauern nicht mehr f'hlen! "Ich - will -
nicht - ich will - nicht!", schrie ich. "Hcrt ihr denn nicht?!"
     Kraftlos fiel ich zur'ck.
     Konnte es nicht fassen, daYA ich immer noch lebte.
     Unfdhig, irgend etwas zu denken oder zu  tun, stierte ich geradeaus vor
mich hin.
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     "Weshalb er mir nur  die Kcrner  so  beharrlich hinreicht?", ebbte  ein
Gedanke auf mich zu, zog sich zur'ck und  kam wieder.  Zog sich zur'ck.  Kam
wieder.
     Langsam wurde mir endlich klar, daYA ein seltsames Wesen vor mir stand -
vielleicht  schon, seit ich hier  saYA, dagestanden hatte - und  mir die Hand
hinstreckte:
     Ein  graues,  breitschultriges  Geschcpf, in der GrcYAe  eines gedrungen
gewachsenen  Menschen,  auf  einen  spiralfcrmig  gedrehten Knotenstock  aus
weiYAem Holz gest'tzt.
     Wo  der Kopf hdtte  sitzen m'ssen, konnte ich nur einen Nebelballen aus
fahlem Dunst unterscheiden.
     Ein  tr'ber  Geruch nach  Sandelholz  und  nassem Schiefer ging von der
Erscheinung aus.
     Ein Gef'hl vollkommenster Wehrlosigkeit  raubte mir fast die Besinnung.
Was  ich  die ganze lange Zeit an nervenzernagender Qual mitgemacht, drdngte
sich  jetzt  zu  Todesschrecken zusammen und war  in diesem  Wesen zur  Form
geronnen.
     Mein Selbsterhaltungstrieb sagte mir, ich  w'rde wahnsinnig  werden vor
Entsetzen und  Furcht,  wenn ich  das Gesicht  des Phantoms sehen kcnnte,  -
warnte mich davor, schrie es mir in die Ohren - und doch zog es mich wie ein
Magnet, daYA ich den Blick von dem fahlen Nebelballen nicht wenden konnte und
darin forschte nach Augen, Nase und Mund.
     Aber  so sehr ich mich auch abm'hte: der Dunst blieb unbeweglich.  Wohl
gl'ckte es mir, Kcpfe aller Art auf den Rumpf zu setzen, doch jedesmal wuYAte
ich, daYA sie nur meiner Einbildungskraft entstammten.
     Sie zerrannen  auch stets - fast in derselben Sekunde, in der  ich  sie
geschaffen hatte.
     Nur  die  Form eines  dgyptischen  Ibiskopfs  blieb  noch  am  ldngsten
bestehen.
     Die Umrisse  des Phantoms  schleierten  schemenhaft in  der Dunkelheit,
zogen sich kaum  merklich  zusammen und dehnten sich  wieder aus,  wie unter
langsamen  Atemz'gen,  die  die  ganze  Gestalt   durchliefen,  die  einzige
Bewegung, die zu bemerken  war. Statt der  F'YAe ber'hrten Knochenstumpen den
Boden, von  denen  das  Fleisch -  grau  und blutleer - auf Spannenbreite zu
wulstigen Rdndern emporgezogen war.
     Regungslos hielt das Geschcpf mir seine Hand hin.
     Kleine Kcrner lagen dann. BohnengroYA, von roter Farbe und mit schwarzen
Punkten am Rande.
     Was sollte ich damit?!
     Ich f'hlte  dumpf:  eine  ungeheure  Verantwortung lag auf  mir  - eine
Verantwortung,  die weit hinausging 'ber  alles Irdische, -  wenn  ich jetzt
nicht das Richtige tat.
     Zwei  Waagschalen,   jede  belastet   mit  dem   Gewicht   des   halben
Weltgebdudes,  schweben  irgendwo im  Reich  der Ursachen, ahnte  ich -  auf
welche von beiden ich ein Stdubchen warf: die sank zu Boden.
     Das war das furchtbare Lauern ringsum!,  verstand  ich. "Keinen  Finger
r'hren!", riet mir mein Verstand, - "und wenn der Tod in alle Ewigkeit nicht
kommen sollte und mich erlcsen aus dieser Qual." -
     Auch  dann hdttest  du  deine  Wahl getroffen:  du hdttest  die  Kcrner
abgelehnt, raunte es in mir. Hier gibt's kein Zur'ck.
     Hilfesuchend blickte ich  um  mich, ob mir denn kein Zeichen wurde, was
ich tun sollte. Nichts.
     Auch in mir kein Rat, kein Einfall - alles tot, gestorben.
     Das Leben von Myriaden Menschen wiegt leicht wie  eine  Feder in diesem
furchtbaren Augenblick, erkannte ich. - -
     Es  muYAte  bereits tiefe  Nacht sein, denn ich konnte die  Wdnde meines
Zimmers nicht mehr unterscheiden.
     Nebenan im Atelier stampften  Schritte; ich hcrte, daYA jemand  Schrdnke
r'ckte,  Schubladen aufriYA und polternd  zu Boden  warf, glaubte Wassertrums
Stimme zu erkennen, wie er in seinem  rcchelnden BaYA wilde  Fluche ausstieYA;
ich horchte nicht hin. Es war mir belanglos wie das Rascheln einer  Maus.  -
Ich schloYA die Augen:
     Menschliche Antlitze  zogen in  langen Reihen an mir vor'ber. Die Lider
zugedr'ckt  - starre Totenmasken: -  mein eigenes  Geschlecht, meine eigenen
Vorfahren.
     Immer dieselbe Schddelbildung, wie auch der  Typus zu  wechseln schien,
so  stand es auf  aus  seinen Gr'ften,  -  mit glattem  gescheiteltem  Haar,
gelocktem  und  kurz   geschnittenem,  mit  Allongeper'cken  und   in  Ringe
gezwdngten Schcpfen - durch  Jahrhunderte heran, bis  die Z'ge mir bekannter
und bekannter  wurden  und in  ein letztes Gesicht  zusammenflossen:  -  das
Gesicht des Golem, mit dem die Kette meiner Ahnen abbrach.
     Dann lcste die Finsternis mein Zimmer in einen unendlichen leeren  Raum
auf, in dessen Mitte ich mich auf meinem Lehnstuhl sitzen wuYAte, vor mir der
graue Schatten wieder mit dem ausgestreckten Arm.
     Und  als  ich  die Augen aufschlug, standen  in zwei sich  schneidenden
Kreisen, die einen Achter bildeten, fremdartige Wesen um uns herum:
     Die des einen  Kreises geh'llt in Gewdnder mit violettem Schimmer,  die
des anderen mit rctlich schwarzem.  Menschen einer fremden Rasse, von hohem,
unnat'rlich schmdchtigem  Wuchs,  die Gesichter  hinter  leuchtenden T'chern
verborgen.
     Das  Herzbeben  in  meiner  Brust  sagte  mir,  daYA  der Zeitpunkt  der
Entscheidung gekommen war. Meine  Finger zuckten nach  den Kcrnern: - und da
sah ich, wie ein Zittern durch die Gestalten des rctlichen Kreises ging. -
     Sollte ich die Kcrner zur'ckweisen?: Das Zittern ergriff den bldulichen
Kreis;  -  ich  blickte  den  Mann ohne Kopf  scharf an;  er stand  da -  in
derselben Stellung: regungslos wie fr'her.
     Sogar sein Atem hatte aufgehcrt.
     Ich hob  den Arm, wuYAte  noch immer nicht,  was  ich  tun sollte, und -
schlug auf die  ausgestreckte  Hand  des  Phantoms, daYA die Kcrner  'ber den
Boden hinrollten.
     Einen  Moment,  so jdh wie  ein  elektrischer Schlag, entglitt  mir das
BewuYAtsein, und ich  glaubte in endlose Tiefen zu st'rzen,  - dann stand ich
fest auf den F'YAen.
     Das  graue  Geschcpf  war verschwunden. Ebenso die Wesen des  rctlichen
Kreises.
     Die bldulichen Gestalten hingegen  hatten einen Ring um  mich gebildet;
sie trugen eine Inschrift aus goldnen Hieroglyphen auf der Brust und hielten
stumm  - es sah aus  wie ein  Schwur  - zwischen Zeigefinger und  Daumen die
roten  Kcrner in  die  Hohe,  die  ich dem Phantom  ohne Kopf  aus  der Hand
geschlagen hatte.
     Ich  hcrte,  wie  drauYAen  Hagelschauer  gegen  die  Fenster tobten und
br'llender Donner die Luft zerriYA:
     Ein Wintergewitter in seiner ganzen  besinnungslosen Wut raste 'ber die
Stadt  hinweg.  Vom  FluYA  her  drchnten  durch  das  Heulen  des Sturms  in
rhythmischen Intervallen die  dumpfen  Kanonensch'sse,  die das  Brechen der
Eisdecke  auf  der  Moldau  verk'ndeten.  Die Stube  loderte  im  Licht  der
ununterbrochen  aufeinanderfolgenden  Blitze.  Ich  f'hlte mich plctzlich so
schwach, daYA mir die Knie zitterten und ich mich setzen muYAte.
     "Sei ruhig," sagte deutlich eine Stimme neben mir, "sei ganz  ruhig, es
ist heute die Lelschimurim: die Nacht der Besch'tzung." -
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     Allmdhlich lieYA das Unwetter nach, und der betdubende Ldrm ging 'ber in
das eintcnige Trommeln der SchloYAen auf die Dacher.
     Die Mattigkeit in meinen  Gliedern nahm derart zu, daYA ich nur mehr mit
stumpfen Sinnen und halb im Traum wahrnahm, was um mich her vorging:
     Jemand aus dem Kreis sagte die Worte:
     "Den ihr suchet, der ist nicht hier."
     Die andern erwiderten etwas in einer fremden Sprache.
     Hierauf sagte der erste wieder leise einen Satz, dann kam der Name
     "Henoch"
     vor, aber ich verstand das 'brige nicht: der Wind trug das  Stchnen der
berstenden Eisschollen zu laut vom Flusse her'ber.
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     Dann lcste sich einer aus dem Kreis, trat vor mich hin, deutete auf die
Hieroglyphen auf seiner Brust - sie  waren  dieselben Buchstaben wie die der
'brigen - und fragte mich, ob ich sie lesen kcnne.
     Und als  ich  - lallend vor M'digkeit,  -  verneinte,  streckte er  die
Handfldche  gegen mich aus, und die Schrift  erschien  leuchtend  auf meiner
Brust in Lettern, die zuerst lateinisch waren:
     CHABRAT ZEREH AUR BOCHER
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     und  sich  langsam  in die mir unbekannten verwandelten. - - - Und  ich
fiel  in einen tiefen, traumlosen  Schlaf, wie  ich ihn seit jener Nacht, in
der Hillel mir die Zunge gelcst, nicht mehr gekannt hatte.

     Wie im  Fluge  waren mir die Stunden der  letzten Tage vergangen. Kaum,
daYA ich mir Zeit zu den Mahlzeiten lieYA.
     Ein  unwiderstehlicher Drang nach duYAerer Tdtigkeit hatte mich von fr'h
bis abends an meinen Arbeitstisch gefesselt.
     Die  Gemme war fertig  geworden, und Mirjam  hatte  sich  wie  ein Kind
dar'ber gefreut.
     Auch der Buchstabe "I" in dem Buche Ibbur war ausgebessert.
     Ich lehnte mich zur'ck  und lieYA ruhevoll  all die kleinen Geschehnisse
der heutigen Stunden an mir vor'berziehen:
     Wie das alte Weib,  das mich bediente, am Morgen nach dem Ungewitter zu
mir ins Zimmer gest'rzt kam mit der Meldung, die steinerne Br'cke sei in der
Nacht eingest'rzt. -
     Seltsam:  -  Eingest'rzt! Vielleicht gerade in der Stunde,  wo ich  die
Kcrner - - - nein, nein,  nicht daran denken;  es  kcnnte einen Anstrich von
N'chternheit  bekommen,  was  damals   geschehen  war,  und  ich  hatte  mir
vorgenommen, es in meiner Brust  begraben  sein zu lassen, bis es von selbst
wieder erwachte, - nur nicht daran r'hren.
     Wie  lange war's her,  da ging  ich  noch  'ber  die  Br'cke,  sah  die
steinernen  Statuen  -  und  jetzt  lag sie,  die  Br'cke,  die Jahrhunderte
gestanden, in Tr'mmern.
     Es stimmte mich beinahe  wehm'tig, daYA ich nie  mehr meinen FuYA auf sie
setzen sollte. Wenn man sie auch wieder aufbaute, war es doch nicht mehr die
alte, geheimnisvolle, steinerne Br'cke.
     Stundenlang  hatte ich,  wdhrend ich  an  der  Gemme  schnitt,  dar'ber
nachdenken m'ssen, und so selbstverstdndlich, als hdtte ich es nie vergessen
gehabt,  war  es lebendig in mir geworden: wie  oft ich als Kind und auch in
spdtern  Jahren zu dem Bildnis der heiligen Luitgard und all den andern, die
jetzt begraben lagen in den tosenden Wassern, aufgeblickt.
     Die vielen, kleinen lieben  Dinge, die ich in  meiner Jugend mein eigen
genannt, hatte ich  wieder  gesehen im Geiste  - und meinen Vater  und meine
Mutter und die Menge Schulkameraden. Nur an das Haus, wo ich gewohnt, konnte
ich mich nicht mehr erinnern.
     Ich wuYAte, es w'rde plctzlich, eines  Tages, wenn ich  es am  wenigsten
erwartete, wieder vor mir stehen; und ich freute mich darauf.
     Die  Empfindung, daYA sich  mit einemmal alles nat'rlich und  einfach in
mir abwickelte, war so behaglich.
     Als ich vorgestern  das Buch Ibbur aus der Kassette  geholt hatte, - es
war so gar nichts Erstaunliches daran gewesen, daYA es  aussah, nun, wie eben
ein altes,  mit wertvollen Initialen  geschm'cktes Pergamentbuch  aussieht -
schien es mir ganz selbstverstdndlich.
     Ich konnte nicht begreifen, daYA es jemals gespenstisch auf mich gewirkt
hatte!
     Es war in hebrdischer  Sprache  geschrieben, vollkommen  unverstdndlich
f'r mich.
     Wann wohl der Unbekannte es wieder holen kommen wurde?
     Die Freude am Leben, die wdhrend der Arbeit heimlich in mich eingezogen
war,  erwachte  von   neuem  in   ihrer  ganzen  erquickenden   Frische  und
verscheuchte  die  Nachtgedanken, die  mich  hinterr'cks  wieder  'berfallen
wollten.
     Rasch nahm  ich  Angelinas Bild - ich  hatte die Widmung,  die darunter
stand, abgeschnitten - und k'YAte es.
     Es war das alles so tcricht  und widersinnig, aber  warum nicht  einmal
von  -  Gl'ck trdumen, die  glitzernde  Gegenwart festhalten und  sich daran
freuen, wie 'ber eine Seifenblase?
     Konnte denn nicht vielleicht  doch  in Erf'llung gehen,  was mir da die
Sehnsucht meines Herzens vorgaukelte? War  es so ganz und gar unmcglich, daYA
ich 'ber Nacht ein ber'hmter Mann wurde? Ihr ebenb'rtig, wenn auch  nicht an
Herkunft? Zumindest Dr. Savioli ebenb'rtig? Ich dachte an die Gemme Mirjams:
wenn mir noch andere so gelangen wie diese - kein Zweifei, selbst die ersten
K'nstler aller Zeiten hatten nie etwas Besseres geschaffen.
     Und nur einen Zufall angenommen: der Gatte Angelinas st'rbe plctzlich?
     Mir wurde heiYA und kalt: ein winziger Zufall -  und meine Hoffnung, die
verwegenste  Hoffnung, gewann  Gestalt. An einem d'nnen Faden, der st'ndlich
reiYAen konnte, hing das Gl'ck, das mir dann in den SchoYA fallen m'YAte.
     War  mir  denn nicht  schon tausendfach Wunderbareres geschehen? Dinge,
von denen die Menschheit gar nicht ahnte, daYA sie 'berhaupt existierten?
     War es kein Wunder, daYA binnen weniger Wochen k'nstlerische Fdhigkeiten
in mir  erwacht  waren,  die  mich  jetzt schon  weit 'ber  den Durchschnitt
erhoben?
     Und ich stand doch erst am Anfang des Weges!
     Hatte ich denn kein Anrecht auf Gl'ck?
     Ist denn Mystik gleichbedeutend mit Wunschlosigkeit?
     Ich 'bertcnte das: "Ja" in mir: -  nur noch  eine Stunde trdumen - eine
Minute - ein kurzes Menschendasein!
     Und ich trdumte mit offenen Augen:
     Die  Edelsteine auf dem Tisch wuchsen und wuchsen und umgaben mich  von
allen  Seiten mit farbigen Wasserfdllen. Bdume aus  Opal standen  in Gruppen
beisammen und strahlten die Lichtwellen des Himmels, der blau schillerte wie
der Fl'gel eines gigantischen Tropenschmetterlings, in Funkenspr'hregen 'ber
unabsehbare Wiesen voll heiYAem Sommerduft.
     Mich  d'rstete, und ich k'hlte meine Glieder in dem eisigen  Gischt der
Bdche, die 'ber Felsblccke rauschten aus schimmerndem Perlmutter.
     Schw'ler Hauch strich 'ber Hdnge, 'bersdt  mit Bl'ten und  Blumen,  und
machte  mich trunken  mit  den Ger'chen von  Jasmin, Hyazinthen,  Narzissen,
Seidelbast - - -
     Unertrdglich! Unertrdglich! Ich verlcschte das Bild. - Mich d'rstete.
     Das waren die Qualen des Paradieses.
     Ich riYA die Fenster auf und lieYA den Tauwind an meine Stirne wehen.
     Es roch nach kommendem Fr'hling - - -
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     Mirjam!
     Ich muYAte an Mirjam denken.
     Wie  sie sich vor  Erregung  an der  Wand hatte halten m'ssen, um nicht
umzufallen, als  sie mir erzdhlen  gekommen, ein Wunder  sei  geschehen, ein
wirkliches Wunder: sie habe ein Goldst'ck gefunden in  dem Brotlaib, den der
Bdcker vom Gang aus durchs Gitter ins K'chenfenster gelegt. - - -
     Ich griff nach meiner  Bcrse. - Hoffentlich war es heute nicht schon zu
spdt, und ich kam noch zurecht, ihr wieder einen Dukaten zuzuzaubern!
     Tdglich hatte sie mich besucht, um mir Gesellschaft zu leisten, wie sie
es  nannte, dabei  aber fast nicht  gesprochen, so erf'llt war  sie  von dem
"Wunder"  gewesen.  Bis  in  die  tiefsten  Tiefen hatte  das  Erlebnis  sie
aufgew'hlt und, wenn ich  mir vorstellte, wie sie  manchmal  plctzlich  ohne
duYAern Grund - nur unter dem  EinfluYA ihrer  Erinnerung - totenblaYA geworden
war bis  in die Lippen, schwindelte  mir bei dem bloYAen Gedanken, ich kcnnte
in  meiner  Blindheit  Dinge  angerichtet  haben, deren  Tragweite  bis  ins
Grenzenlose ging.
     Und wenn ich mir die letzten, dunklen Worte Hillels ins Geddchtnis rief
und in Zusammenhang damit brachte, 'berlief es mich eiskalt.
     Die Reinheit des Motivs war  keine Entschuldigung f'r mich, - der Zweck
heiligt die Mittel nicht, das sah ich ein.
     Und  was, wenn 'berdies  das Motiv: "helfen  zu  wollen" nur  scheinbar
"rein" war?  Hielt sich nicht vielleicht  doch eine  heimliche L'ge dahinter
verborgen?: der selbstgefdllige, unbewuYAte Wunsch,  in der Rolle des Helfers
zu schwelgen?
     Ich fing an, irre an mir selbst zu werden.
     DaYA ich Mirjam viel zu oberfldchlich beurteilt hatte, war klar.
     Schon als die Tochter Hillels muYAte sie anders sein als andere Mddchen.
     Wie hatte ich nur so vermessen sein kcnnen, auf solch tcrichte Weise in
ein Innenleben einzugreifen,  das vielleicht  himmelhoch 'ber meinem eigenen
stand!
     Schon ihr Gesichtsschnitt, der hundertmal eher in die Zeit der sechsten
dgyptischen  Dynastie paYAte  und  selbst f'r diese  noch viel zu vergeistigt
war, als in die unsrige mit ihren Verstandesmenschentypen, hdtte mich warnen
m'ssen.
     "Nur  der ganz  Dumme miYAtraut  dem  duYAern Schein", hatte ich irgendwo
einmal gelesen. - Wie richtig! Wie richtig!
     Mirjam  und  ich waren jetzt gute Freunde; sollte ich ihr  eingestehen,
daYA ich  es gewesen war, der die Dukaten Tag f'r Tag  ins Brot  geschmuggelt
hatte?
     Der Schlag kdme zu plctzlich. W'rde sie betduben.
     Ich durfte das nicht wagen, muYAte behutsamer vorgehen.
     Das "Wunder" irgendwie abschwdchen? Statt das Geld ins Brot zu stecken,
es auf die  Treppenstufe zu legen, daYA sie es finden muYAte, wenn sie die T'r
aufmachte,  und so weiter,  und so  weiter?  Etwas Neues,  weniger Schroffes
w'rde  sich  schon  ausdenken  lassen,  irgendein   Weg,  der  sie  aus  dem
Wunderbaren allmdhlich  wieder  ins Alltdgliche her'berlenkte,  trcstete ich
mich.
     Ja! Das war das Richtige.
     Oder den Knoten zerhauen? Ihren Vater einweihen und zu Rate ziehen? Die
Schamrcte stieg  mir ins  Gesicht. Zu diesem  Schritt blieb Zeit genug, wenn
alle andern Mittel versagten.
     Nur gleich ans Werk gehen, keine Zeit versdumen!
     Ein  guter   Einfall   kam  mir:   Ich   muYAte  Mirjam  zu  etwas  ganz
Absonderlichem bewegen, sie f'r ein paar Stunden aus der  gewohnten Umgebung
reiYAen, daYA sie andere Eindr'cke bekam.
     Wir w'rden einen Wagen nehmen  und eine Spazierfahrt machen. Wer kannte
uns denn, wenn wir das Judenviertel mieden?
     Vielleicht   interessierte   es  sie,   die  eingest'rzte   Br'cke   zu
besichtigen?
     Oder der alte Zwakh oder eine ihrer fr'heren Freundinnen sollte mit ihr
fahren, wenn sie es ungeheuerlich finden w'rde, daYA ich mit dabei sei.
     Ich war fest entschlossen, keinen Widerspruch gelten zu lassen. - - -
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     An der T'rschwelle rannte ich einen Mann beinahe 'ber den Haufen.
     Wassertrum!
     Er  muYAte  durchs  Schl'sselloch  hereingespdht  haben,  denn  er stand
geb'ckt, als ich mit ihm zusammengestoYAen war.
     "Suchen Sie mich?", fragte ich barsch.
     Er  stammelte ein paar Worte  der Entschuldigung in  seinem unmcglichen
Jargon; dann bejahte er.
     Ich forderte ihn auf, ndher zu treten und sich zu setzen, aber er blieb
am  Tisch  stehen  und  drehte  krampfhaft  mit  der Hutkrempe.  Eine  tiefe
Feindseligkeit, die  er vergebens  vor  mir verbergen wollte, spiegelte  aus
seinem Gesicht und jeder seiner Bewegungen.
     Noch  nie hatte  ich den Mann in so unmittelbarer  Ndhe gesehen.  Seine
grauenhafte HdYAlichkeit war es nicht, die einen so abstieYA; (sie machte mich
eher mitleidig  gestimmt: er sah aus wie ein Geschcpf,  dem die Natur selbst
bei  seiner  Geburt  voll Wut und Abscheu mit  dem  FuYA ins Gesicht getreten
hatte)  - etwas anderes, Unwdgbares, das von  ihm  ausging, trug  die Schuld
daran.
     Das "Blut", wie Charousek es treffend bezeichnet hatte.
     Unwillk'rlich  wischte ich  mir  die Hand  ab,  die ich ihm  bei seinem
Eintritt gereicht hatte.
     So wenig auffdllig ich es  machte,  er schien es doch bemerkt zu haben,
denn er muYAte  sich plctzlich mit  Gewalt zwingen, das Aufflammen des Hasses
in seinen Z'gen zu unterdr'cken.
     "H'bsch  ham Se's hier", fing er endlich  stockend  an, als er sah, daYA
ich ihm nicht den Gefallen tat, das Gesprdch zu beginnen.
     Im Widerspruch zu seinen  Worten schloYA er dabei die Augen, vielleicht,
um  meinem Blick nicht zu begegnen. Oder glaubte  er, daYA es seinem  Gesicht
einen harmloseren Ausdruck verleihen w'rde?
     Man konnte  ihm deutlich anhcren, welche M'he er sich gab,  hochdeutsch
zu reden.
     Ich f'hlte mich nicht zu einer Entgegnung verpflichtet und wartete, was
er weiter sagen w'rde.
     In seiner Verlegenheit griff er nach der Feile, die - weiYA Gott wieso -
noch  seit Charouseks Besuch  auf  dem  Tisch  lag, fuhr  aber unwillk'rlich
sofort  wie von einer  Schlange gebissen zur'ck.  Ich staunte innerlich 'ber
seine unterbewuYAte seelische Feinf'hligkeit.
     "Freilich, nat'rlich,  es  gehcrt zum  Geschdft, daYA  man's  fein hat,"
raffte  er sich auf, zu sagen, "wenn man  -  so noble Besuche  bekommt."  Er
wollte  die Augen  aufschlagen, um zu sehen, welchen  Eindruck die Worte auf
mich machten,  hielt  es  aber offenbar noch  f'r verfr'ht  und  schloYA  sie
schnell wieder.
     Ich wollte ihn  in die Enge treiben: "Sie meinen die Dame,  die neulich
hier vorfuhr? Sagen Sie doch offen, wo Sie hinauswollen!"
     Er zcgerte einen Moment,  dann packte er mich  heftig am Handgelenk und
zerrte mich ans Fenster.
     Die  sonderbare,  unmotivierte  Art, mit  der er es tat, erinnerte mich
daran, wie er vor einigen Tagen den taubstummen Jaromir unten in seine Hchle
gerissen hatte.
     Mit krummen Fingern hielt er mir einen blitzenden Gegenstand hin:
     "Was glauben Sie, Herr Pernath, laYAt sich da noch was machen?"
     Es war eine goldene  Uhr  mit so stark verbeulten Deckeln, daYA es  fast
aussah, als hdtte sie jemand mit Absicht verbogen.
     Ich  nahm  ein  VergrcYAerungsglas:  die  Scharniere  waren  zur  Hdlfte
abgerissen und innen - stand da nicht etwas eingraviert? Kaum mehr leserlich
und noch 'berdies mit einer Menge ganz frischer Schrammen zerkratzt. Langsam
entzifferte ich:
     K-rl Zott-mann.
     Zottmann? Zottmann? - Wo hatte ich diesen Namen doch gelesen? Zottmann?
Ich konnte mich nicht entsinnen. Zottmann?
     Wassertrum schlug mir die Lupe beinahe aus der Hand:
     "Im Werk is nix, da hab' ich schon selber geschaut. Aber mit'm Gehduse,
da stinkt's."
     "Braucht man nur gerade zu klopfen - hcchstens ein paar Lctstellen. Das
kann Ihnen ebensogut jeder beliebige Goldarbeiter machen, Herr Wassertrum."
     "Ich leg' doch Wert darauf, daYA es eine solide Arbeit  wird. Was man so
sagt: k'nstlerisch", unterbrach er mich hastig. Fast dngstlich.
     "Nun gut, wenn Ihnen derart viel daran liegt -"
     "Viel  daran  liegt!" Seine  Stimme schnappte 'ber vor Eifer. "Ich will
sie doch selber tragen, die Uhr. Und wenn ich sie  jemandem zeig',  will ich
sagen kcnnen: schauen Sie mal her, so arbeitet der Herr von Pernath."
     Ich  ekelte  mich  vor  dem  Kerl; er spuckte mir  seine  widerwdrtigen
Schmeicheleien fcrmlich ins Gesicht.
     "Wenn Sie in einer Stunde wiederkommen, wird alles fertig sein."
     Wassertrum  wand  sich in Krdmpfen: "Das gibt's  nicht.  Das  will  ich
nicht. Drei Tag. Vier Tag. Die ndchste Woche  is Zeit genug. Das ganze Leben
mccht' ich mir Vorw'rfe machen, daYA ich Ihnen gedrdngt hab'."
     Was  wollte  er nur, daYA  er  so auYAer sich geriet? -  Ich machte einen
Schritt  ins Nebenzimmer  und  sperrte  die Uhr in  die  Kassette. Angelinas
Photographie lag obenauf. Schnell schlug ich den  Deckel wieder zu - f'r den
Fall, daYA Wassertrum mir nachblicken sollte.
     Als ich zur'ckkam, fiel mir auf, daYA er sich verfdrbt hatte.
     Ich  musterte ihn  scharf, lieYA aber  meinen  Verdacht  sofort  fallen:
Unmcglich! Er konnte nichts gesehen haben.
     "Also,  dann vielleicht ndchste Woche", sagte ich, um seinem Besuch ein
Ende zu machen.
     Er schien mit einemmal keine Eile  mehr zu haben, nahm einen Sessel und
setzte sich.
     Im Gegensatz zu fr'her hielt er seine  Fischaugen jetzt beim Reden weit
offen und fixierte beharrlich meinen obersten Westenknopf.
     Pause.
     "Die  Duksel hat Ihnen  nat'rlich  gesagt,  Sie sollen sich  nix wissen
machen, wenn's  heraus  kommt.  Waas?"  sprudelte  er  plctzlich  ohne  jede
Einleitung auf mich los und schlug mit der Faust auf den Tisch.
     Es lag etwas merkw'rdig Schreckhaftes in der Abgerissenheit, mit der er
von  einer  Sprechweise  in  die  andere  'bergehen  -  von  Schmeicheltcnen
blitzartig  ins  Brutale  springen  konnte,  und  ich  hielt  es  f'r   sehr
wahrscheinlich,   daYA  die  meisten  Menschen,  besonders  Frauen,  sich  im
Handumdrehen in seiner  Gewalt befinden  muYAten,  wenn er nur die  geringste
Waffe gegen sie besaYA.
     Ich wollte auffahren, ihn am Hals  packen und  vor die  T'r setzen, war
mein  erster  Gedanke;  dann  'berlegte  ich,  ob es  nicht  kl'ger sei, ihn
zuvcrderst einmal gr'ndlich auszuhorchen.
     "Ich verstehe wahrhaftig nicht, was Sie meinen, Herr Wassertrum;" - ich
bem'hte mich, ein mcglichst dummes Gesicht zu machen - "Duksel? Was ist das:
Duksel?"
     "Soll ich Ihnen vielleicht Deitsch lernen?", fuhr er mich grob an. "Die
Hand  werden  Sie aufheben  m'ssen bei Gericht, wenn's um  die Wurscht geht.
Verstehen Sie mich?! Das sag ich Ihnen!" - Er fing an zu schreien:  "Mir ins
Gesicht hinein werden Sie nicht  abschwcren,  daYA ›sie‹ von  da dr'ben" - er
deutete mit dem Daumen nach dem Atelier - "zu Ihnen heribber geloffen is mit
en Teppich an und - sonst nix!"
     Die  Wut stieg mir in  die Augen; ich packte den Halunken an der  Brust
und sch'ttelte ihn:
     "Wenn Sie jetzt noch ein Wort in diesem Ton sagen, breche ich Ihnen die
Knochen im Leibe entzwei! Verstanden?"
     Aschfahl sank er in den Stuhl zur'ck und stotterte:
     "Was is? Was is? Was wollen Sie? Ich mein' doch bloYA."
     Ich  ging ein paarmal im Zimmer  auf  und  ab,  um  mich zu  beruhigen.
Horchte nicht hin, was er alles zu seiner Entschuldigung herausgeiferte.
     Dann setzte  ich mich ihm dicht  gegen'ber, in der festen Absicht,  die
Sache, soweit  sie  Angelina  betraf, ein f'r allemal mit ihm  ins  reine zu
bringen und, sollte  es  im Frieden nicht gehen, ihn zu zwingen, endlich die
Feindseligkeiten zu  ercffnen und seine paar schwachen  Pfeile  vorzeitig zu
verschieYAen.
     Ohne seine Unterbrechungen im geringsten zu beachten, sagte ich ihm auf
den Kopf  zu, daYA  Erpressungen  irgendwelcher Art - ich betonte  das Wort -
miYAgl'cken  m'YAten, da er auch nicht eine einzige Anschuldigung mit Beweisen
erhdrten  kcnnte  und  ich  mich  einer  Zeugenschaft  (angenommen,  es wdre
'berhaupt im  Bereiche der Mcglichkeit, daYA es je zu  einer solchen kdme)  -
bestimmt  zu entziehen wissen w'rde.  Angelina st'nde mir  viel zu nahe, als
daYA  ich  sie nicht in der  Stunde  der  Not  retten w'rde, koste es, was es
wolle, sogar einen Meineid!
     Jede Muskel in  seinem Gesicht zuckte, seine  Hasenscharte zog sich bis
zur Nase auseinander, er fletschte die Zdhne  und kollerte wie ein  Truthahn
mir immer wieder  in die Rede hinein: "Will ich  denn was von die Duksel? So
hcren  Sie doch zu!" -  Er war auYAer  sich vor  Ungeduld, daYA ich mich nicht
beirren  lieYA.  - "Um den Savioli is  mir's  zu  tun, um den gottverfluchten
Hund, - den - den -", fuhr es ihm plctzlich br'llend heraus.
     Er japste nach Luft. Rasch hielt  ich inne: endlich war er dort, wo ich
ihn haben wollte, aber schon hatte er sich gefaYAt und fixierte wieder  meine
Weste.
     "Hcren  Sie  zu,  Pernath;"  er   zwang  sich,  die   k'hle,  abwdgende
Sprechweise eines Kaufmanns nachzuahmen, "Sie reden fort von der Duk - - von
der Dame. Gut!  sie ist verheiratet. Gut: sie hat sich eingelassen mit dem -
mit dem jungen Lauser. Was hab' ich  damit zu tun?" Er bewegte die Hdnde vor
meinem Gesicht hin und her,  die  Fingerspitzen zusammengedr'ckt, als hielte
er eine Prise Salz darin - "soll sie sich das selber abmachen, die Duksel. -
Ich bin e Weltmann und  Sie sin auch e Weltmann. Wir kennen  doch das beide.
Waas? Ich will doch nur zu meinem Geld kommen. Verstehen Sie, Pernath?!"
     Ich horchte erstaunt auf:
     "Zu welchem Geld? Ist Ihnen denn Dr. Savioli etwas schuldig?"
     Wassertrum wich aus:
     "Abrechnungen hab' ich mit ihm. Das kommt doch auf eins heraus."
     "Sie wollen ihn ermorden!" schrie ich.
     Er sprang auf. Taumelte. Gluckste ein paarmal.
     "Jawohl!  Ermorden! Wie lange  wollen Sie mir noch Komcdie vorspielen!"
Ich deutete auf die T'r. "Schauen Sie, daYA Sie hinauskommen."
     Langsam  griff er  nach seinem Hut, setzte ihn  auf und wandte sich zum
Gehen. Dann blieb er noch einmal stehen und sagte  mit einer Ruhe, deren ich
ihn nie f'r fdhig gehalten hdtte:
     "Auch recht. Ich hab' Sie herauslassen  wollen. Gut. Wenn nicht: Nicht.
Barmherzige Barbiere  machen faule Wunden. Mein Zarb'chel ist voll. Wenn Sie
gescheit gewesen  wdren -:  der Savioli  is Ihnen  doch nur im Weg?! Jetzt -
mach  -  ich -  mit - Ihnen allen dreien" - er deutete mit einer  Geste  des
Erdrosselns an, womit er es meinte - "PreYAcolleeh".
     Seine Mienen dr'ckten eine  so satanische Grausamkeit aus und er schien
seiner Sache so sicher zu sein, daYA mir  das Blut in den Adern erstarrte. Er
muYAte  eine  Waffe  in Hdnden  haben, von  der  ich nichts ahnte,  die  auch
Charousek nicht kannte. Ich f'hlte den Boden unter mir wanken.
     "Die  Feile!  Die Feile!" hcrte  ich es  in  meinem Hirn  fl'stern. Ich
schdtzte die Entfernung ab: ein Schritt bis zum Tisch - zwei Schritte bis zu
Wassertrum  -  - ich  wollte  zuspringen -  - -  da stand wie aus  dem Boden
gewachsen Hillel auf der Schwelle.
     Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen.
     Ich sah nur  - wie durch Nebel -, daYA  Hillel unbeweglich stehen  blieb
und Wassertrum Schritt f'r Schritt bis an die Wand zur'ckwich.
     Dann hcrte ich Hillel sagen:
     "Sie kennen doch,  Aaron, den Satz: Alle Juden sind B'rgen f'reinander?
Machen Sie's einem nicht  zu schwer."  - Er f'gte ein paar hebrdische  Worte
hinzu, die ich nicht verstand.
     "Was haben Sie  das  netig, an der  T're zu  schn'ffeln?" geiferte  der
Trcdler mit bebenden Lippen.
     "Ob  ich  gehorcht  habe oder nicht,  braucht Sie  nicht zu k'mmern!" -
wieder  schloYA  Hillel mit  einem  hebrdischen Satz,  der diesmal  wie  eine
Drohung  klang.  Ich  erwartete, daYA es  zu einem Zank  kommen  w'rde,  aber
Wassertrum antwortete nicht eine Silbe,  'berlegte einen Augenblick und ging
dann trotzig hinaus.
     Gespannt blickte ich Hillel an. Er  winkte mir zu, ich solle schweigen.
Offenbar wartete er auf irgend  etwas,  denn  er horchte angestrengt auf den
Gang  hinaus.  Ich  wollte die T're schlieYAen gehen: er hielt mich mit einer
ungeduldigen Handbewegung zur'ck.
     Wohl  eine  Minute  verging, dann  kamen  die schleppenden Schritte des
Trcdlers  wieder  die Stufen  herauf. Ohne ein Wort zu sprechen  ging Hillel
hinaus und machte ihm Platz.
     Wassertrum wartete,  bis er  auYAer Hcrweite war, dann knurrte  er  mich
verbissen an:
     "Geben Se mer meine Uhr zor'ck."

     Wo nur Charousek blieb?
     Beinahe 24  Stunden waren vergangen, und noch immer lieYA  er sich nicht
blicken.
     Sollte er das Zeichen vergessen haben, das  wir verabredet hatten? Oder
sah er es vielleicht nicht?
     Ich ging ans Fenster und richtete den Spiegel so, daYA der Sonnenstrahl,
der  darauf schien,  genau auf das vergitterte Guckloch seiner Kellerwohnung
fiel.
     Das  Eingreifen  Hillels -  gestern  -  hatte mich  ziemlich  beruhigt.
Bestimmt w'rde er mich gewarnt haben, wenn eine Gefahr im Anzug wdre.
     Xberdies: Wassertrum  konnte nichts von Belang mehr unternommen  haben;
gleich,   nachdem  er   mich  verlassen   hatte,  war  er  in  seinen  Laden
zur'ckgekehrt,  - ich  warf  einen  Blick  hinunter:  richtig,  da lehnte er
unbeweglich  hinter  seinen  Herdplatten,  genau  so,  wie  ich   ihn  schon
fr'hmorgens gesehen - - -
     Unertrdglich, das ewige Warten!
     Die  milde  Fr'hlingsluft,  die  durch  das  offene  Fenster   aus  dem
Nebenzimmer hereinstrcmte, machte mich krank vor Sehnsucht.
     Dies  schmelzende  Tropfen   von  den  Ddchern!  Und  wie   die  feinen
Wasserschn're im Sonnenlicht gldnzten!
     Es zog mich hinaus an unsichtbaren Fdden. Voll Ungeduld ging ich in der
Stube auf und ab. Warf mich in einen Sessel. Stand wieder auf.
     Dieses  s'chtige Keimen einer  Ungewissen Verliebtheit in meiner Brust,
es wollte nicht weichen.
     Die ganze Nacht 'ber  hatte es  mich gequdlt.  Einmal  war es  Angelina
gewesen, die sich an mich geschmiegt,  dann wieder sprach ich scheinbar ganz
harmlos mit  Mirjam, und kaum  hatte  ich das  Bild  zerrissen, kam abermals
Angelina und k'YAte mich;  ich  roch den Duft  ihres Haares, und ihr  weicher
Zobelpelz kitzelte mich am Hals,  rutschte von ihren entblcYAten  Schultern -
und sie wurde zu Rosina, die mit trunkenen, halbgeschlossenen Augen tanzte -
im  Frack - nackt;  - - - und alles in  einem Halbschlaf,  der doch genau so
gewesen war wie Wachsein. Wie ein s'YAes, verzehrendes, ddmmeriges Wachsein.
     Gegen  Morgen  stand  dann  mein  Doppelgdnger  an  meinem  Bett,   der
schattenhafte  Habal  Garmin,  "der  Hauch  der  Knochen",  von  dem  Hillel
gesprochen, - und ich sah ihm an den Augen an: er war in meiner Macht, muYAte
mir  jede Frage beantworten,  die ich ihm stellen w'rde  nach irdischen oder
jenseitigen Dingen, und  er  wartete nur  darauf,  aber der  Durst nach  dem
Geheimnisvollen  konnte  nicht  an  gegen  die  Schw'le  meines  Blutes  und
versickerte im d'rren Erdreich meines Verstandes. - Ich schickte das Phantom
weg, es  solle zum  Spiegelbild Angelinas werden, und es schrumpfte zusammen
zu  dem Buchstaben "Aleph", wuchs wieder empor, stand  da als das KoloYAweib,
splitternackt, wie ich es einstens  im Buche Ibbur gesehen,  mit  dem  Pulse
gleich  einem  Erdbeben,  und  beugte sich  'ber mich,  und  ich  atmete den
betdubenden Geruch ihres heiYAen Fleisches ein.
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     Kam  denn Charousek  immer noch  nicht? -  Die  Glocken  sangen von den
Kircht'rmen.
     Eine Viertelstunde wollte  ich noch  warten -  dann  aber hinaus! Durch
belebte StraYAen voll festtdgig  gekleideter Menschen schlendern, mich in das
frohe Gewimmel mischen in den Stadtteilen  der  Reichen, schcne Frauen sehen
mit koketten Gesichtern und schmalen Hdnden und F'YAen.
     Vielleicht  begegnete ich dabei Charousek  zufdllig, entschuldigte  ich
mich vor mir selbst.
     Ich holte das altert'mliche Tarockspiel vom B'cherbord, um mir die Zeit
rascher zu vertreiben. -
     Vielleicht  lieYA sich aus den  Bildern  Anregung schcpfen  zum  Entwurf
einer Kamee?
     Ich suchte nach dem Pagad.
     Nicht zu finden. Wo konnte er hingeraten sein?
     Ich  bldtterte  noch  einmal  die  Karten  durch  und  verlor  mich  in
Nachdenken  'ber  ihren verborgenen  Sinn.  Besonders der "Gehenkte", -  was
konnte er nur bedeuten?:
     Ein  Mann hdngt an einem Seil zwischen  Himmel und Erde, den  Kopf nach
abwdrts, die  Arme auf den R'cken  gebunden, den  rechten Unterschenkel 'ber
das linke  Bein  verschrdnkt,  daYA es  aussieht  wie  ein  Kreuz 'ber  einem
verkehrten Dreieck?
     Unverstdndliches Gleichnis.
     Da! - Endlich! Charousek kam.
     Oder doch nicht?
     Freudige Xberraschung, es war Mirjam.
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     "Wissen Sie, Mirjam, daYA  ich  soeben zu Ihnen hinuntergehen wollte und
Sie bitten,  eine  Spazierfahrt  mit  mir zu machen?" Es war nicht  ganz die
Wahrheit, aber ich machte mir weiter keine Gedanken dar'ber.  - "Nicht wahr,
Sie schlagen es mir  nicht ab?! Ich bin heute  so unendlich froh im  Herzen,
daYA Sie, gerade Sie, Mirjam, meiner Freude die Krone aufsetzen m'ssen."
     "-  spazierenfahren?",  wiederholte sie derart verbl'fft, daYA  ich laut
auflachen muYAte.
     "Ist denn der Vorschlag gar so wunderbar?"
     "Nein, nein, aber -  -," sie suchte nach Worten,  "unerhcrt merkw'rdig.
Spazierenfahren!"
     "Durchaus   nicht   merkw'rdig,  wenn  Sie  sich   vorhalten,   daYA  es
Hunderttausende  von  Menschen  tun  -  eigentlich  ihr ganzes Leben  nichts
anderes tun."
     "Ja, andere Menschen!" gab sie, immer noch vollstdndig 'berrumpelt, zu.
     Ich faYAte ihre beiden Hdnde:
     "Was andere  Menschen an  Freude erleben  d'rfen, mcchte ich,  daYA Sie,
Mirjam, in noch unendlich viel reicherem MaYAe genieYAen."
     Sie wurde plctzlich leichenblaYA,  und ich sah  an der  starren Taubheit
ihres Blickes, woran sie dachte. Es gab mir einen Stich.
     "Sie  d'rfen es nicht immer mit sich  herumtragen,  Mirjam," redete ich
ihr zu, "das - das Wunder. Wollen Sie mir das nicht versprechen  - aus - aus
Freundschaft?"
     Sie hcrte die Angst aus meinen Worten und blickte mich erstaunt an.
     "Wenn es Sie nicht so angriffe, kcnnte  ich mich mit Ihnen freuen, aber
so? Wissen Sie,  daYA ich tief besorgt bin um  Sie, Mirjam? -  Um -  um - wie
soll  ich nur  sagen? - um  Ihre seelische Gesundheit! Fassen Sie  es  nicht
wcrtlich auf, aber -: ich wollte, das Wunder wdre nie geschehen."
     Ich  erwartete, sie w'rde mir widersprechen,  aber  sie nickte  nur  in
Gedanken versunken.
     "Es verzehrt Sie. Habe ich nicht recht, Mirjam?" Sie raffte sich auf:
     "Manchmal mcchte ich beinahe auch, es wdre nicht geschehen."
     Es  klang wie  ein  Hoffnungsstrahl f'r mich.  -  "Wenn ich mir  denken
soll,"  sie  sprach  ganz  langsam  und  traumverloren,  "daYA Zeiten  kommen
kcnnten, wo ich ohne solche Wunder leben m'YAte - - -."
     "Sie kcnnen doch 'ber  Nacht  reich werden und brauchen dann nicht mehr
-,"  fuhr ich ihr unbedacht in die Rede, hielt aber rasch inne, als ich  das
Entsetzen  in ihrem Gesicht bemerkte, - "ich meine: Sie kcnnen plctzlich auf
nat'rliche Weise Ihrer  Sorgen enthoben werden, und die Wunder, die Sie dann
erleben, w'rden geistiger Art sein: - innere Erlebnisse."
     Sie sch'ttelte den Kopf  und sagte hart: "Innere Erlebnisse sind  keine
Wunder. Erstaunlich  genug, daYA es Menschen zu geben  scheint, die 'berhaupt
keine  haben.  - Seit meiner Kindheit, Tag f'r Tag, Nacht  f'r Nacht, erlebe
ich -" (sie  brach mit einem Ruck ab, und ich erriet, daYA noch etwas anderes
in ihr war, von  dem sie  mir  nie gesprochen  hatte,  vielleicht  das Weben
unsichtbarer  Geschehnisse, dhnlich den meinigen)  -  "aber das gehcrt nicht
hierher.  Selbst,  wenn  einer  aufst'nde  und  machte Kranke  gesund  durch
Handauflegen, ich kcnnte es kein Wunder nennen. Erst, wenn der leblose Stoff
- die Erde  - beseelt wird vom  Geist und die Gesetze  der Natur zerbrechen,
dann ist  das geschehen, wonach ich mich sehne, seit ich denken  kann. - Mir
hat einmal mein Vater gesagt: es gdbe zwei Seiten der Kabbala: eine magische
und eine  abstrakte, die sich niemals zur Deckung bringen lieYAen. Wohl kcnne
die magische die  abstrakte an sich ziehen,  aber  nie und nimmer umgekehrt.
Die magische ist ein  Geschenk,  die andere  kann errungen werden, wenn auch
nur  mit Hilfe eines F'hrers."  Sie  nahm den ersten Faden wieder  auf: "Das
Geschenk  ist es,  nach dem ich d'rste;  was  ich mir erringen kann, ist mir
gleichg'ltig und  wertlos wie Staub. Wenn ich  mir  denken soll,  es kcnnten
Zeiten kommen,  sagte  ich  vorhin, wo  ich wieder ohne  diese  Wunder leben
m'YAte," -  ich  sah,  wie  sich ihre Finger  krampften  und Reue und  Jammer
zerfleischten mich,  - "ich glaube,  ich  sterbe jetzt  schon angesichts der
bloYAen Mcglichkeit."
     "Ist  das der Grund, weshalb  auch  Sie w'nschten, das  Wunder wdre nie
geschehen?", forschte ich.
     "Nur zum Teil. Es ist  noch etwas anderes da. Ich - ich - ", sie dachte
einen Augenblick nach, "war noch nicht reif dazu, ein Wunder  in dieser Form
zu erleben. Das ist  es. Wie soll ich  es Ihnen  erkldren? Nehmen Sie einmal
an, bloYA  als Beispiel,  ich hdtte seit  Jahren jede Nacht ein und denselben
Traum, der sich immer weiter fortspinnt und in dem  mich jemand - sagen wir:
ein  Bewohner einer  andern  Welt -  belehrt  und  mir  nicht nur  an  einem
Spiegelbilde von mir selbst und seinen allmdhlichen Verdnderungen zeigt, wie
weit  ich von der  magischen Reife, ein ›Wunder‹ erleben zu kcnnen, entfernt
bin, sondern: mir  auch in Verstandesfragen, wie  sie  mich  einmal tags'ber
beschdftigen, derart AufschluYA gibt,  daYA ich  es jederzeit nachpr'fen kann.
Sie werden mich  verstehen:  Ein solches Wesen ersetzt einem an Gl'ck alles,
was sich auf  Erden ausdenken ldYAt; es ist f'r mich die Br'cke, die mich mit
dem  ›Dr'ben‹ verbindet, ist  die Jakobsleiter, auf der  ich  mich  'ber die
Dunkelheit des Alltags erheben kann ins  Licht, - ist mir F'hrer und Freund,
und  alle meine  Zuversicht, daYA ich mich auf den  dunkeln Wegen,  die meine
Seele  geht, nicht verirren  kann in Wahnsinn  und Finsternis, setze ich auf
›ihn‹, der mich noch nie belogen hat.  -  Da  mit einem Mal, entgegen allem,
was er mir gesagt hat, kreuzt  ein  ›Wunder‹ mein Leben!  Wem soll ich jetzt
glauben? War das, was mich die vielen Jahre 'ber ununterbrochen erf'llt hat,
eine Tduschung? Wenn ich daran zweifeln m'YAte, ich st'rzte kopf'ber in einen
bodenlosen  Abgrund.  -  Und  doch  ist  das  Wunder  geschehen!  Ich  w'rde
aufjauchzen vor Freude, wenn -"
     "Wenn  - - -?" unterbrach ich sie atemlos. Vielleicht sprach sie selbst
das erlcsende Wort, und ich konnte ihr alles eingestehen.
     "- wenn ich erf'hre, daYA ich mich geirrt habe, - daYA es gar kein Wunder
war! Aber ich  weiYA so genau, wie  ich weiYA, daYA ich  hier sitze, ich  ginge
zugrunde daran"; (mir  blieb das  Herz stehen) - "zur'ckgerissen werden, vom
Himmel wieder herab m'ssen  auf die Erde? Glauben Sie,  daYA  das  ein Mensch
ertragen kann?"
     "Bitten Sie doch Ihren Vater um Hilfe", sagte ich ratlos vor Angst.
     "Meinen Vater? Um Hilfe?" - sie blickte mich verstdndnislos an - "wo es
nur  zwei Wege  f'r mich  gibt, kann  er da einen dritten finden? - - Wissen
Sie, was die einzige Rettung f'r mich wdre? Wenn mir das geschdhe, was Ihnen
geschehen ist. Wenn ich  in dieser Minute alles,  was hinter mir liegt: mein
ganzes  Leben  bis zum  heutigen Tag -  vergessen  kcnnte.  -  Ist  es nicht
merkw'rdig: was Sie als Ungl'ck empfinden, wdre f'r mich das hcchste Gl'ck!"
     Wir  schwiegen  beide noch eine  lange Zeit. Dann ergriff sie plctzlich
meine Hand und ldchelte. Beinahe frchlich.
     "Ich will nicht, daYA Sie sich meinetwegen grdmen;" - (sie trcstete mich
- mich!) - "vorhin  waren Sie so voll  Freude  und Gl'ck  'ber den  Fr'hling
drauYAen, und jetzt sind  Sie die Betr'bnis selbst. Ich hdtte Ihnen 'berhaupt
nichts sagen  sollen.  ReiYAen Sie  es aus Ihrem  Geddchtnis  und denken  Sie
wieder so heiter wie vorhin! - Ich bin ja so froh -"
     "Sie? Froh? Mirjam?", unterbrach ich sie bitter.
     Sie  machte ein  'berzeugtes Gesicht: "Ja! Wirklich!  Froh!  Als ich zu
Ihnen  heraufging,  war ich  so unbeschreiblich dngstlich, -  ich weiYA nicht
warum: ich konnte das Gef'hl nicht loswerden, daYA Sie in einer groYAen Gefahr
schweben",  -  ich  horchte auf -  "aber, statt mich dar'ber  zu freuen, Sie
gesund und wohlauf zu treffen, habe ich Sie angeunkt und - -"
     Ich zwang mich zur Lustigkeit: "und das  kcnnen Sie nur gutmachen, wenn
Sie mit  mir ausfahren." (Ich bem'hte mich, so viel Xbermut  wie  mcglich in
meine Stimme zu  legen:)  "Ich mcchte doch einmal sehen, Mirjam,  ob es  mir
nicht gelingt, Ihnen die tr'ben Gedanken zu verscheuchen. Sagen Sie, was Sie
wollen: Sie sind noch lange kein dgyptischer Zauberer, sondern vorldufig nur
ein junges Mddchen,  dem  der  Tauwind  noch manchen  bcsen Streich  spielen
kann."
     Sie wurde plctzlich ganz lustig:
     "Ja, was ist  denn das  heute mit  Ihnen, Herr Pernath? So hab' ich Sie
noch  nie  gesehen!  -  Xbrigens  ›Tauwind‹:  bei  uns  Judenmddchen  lenken
bekanntlich die  Eltern den Tauwind, und wir haben nur zu gehorchen. Tuen es
nat'rlich auch. Es steckt uns schon so im Blut. - Mir  ja nicht", setzte sie
ernsthafter  hinzu, "meine Mutter hat bcs gestreikt, als sie den  grdYAlichen
Aaron Wassertrum heiraten sollte."
     "Was? Ihre Mutter? Den Trcdler da unten?"
     Mirjam nickte. "Gott sei Dank ist es nicht zustande gekommen. - F'r den
armen Menschen freilich war es ein vernichtender Schlag."
     "Armer Mensch, sagen Sie?" fuhr ich auf. "Der Kerl ist ein Verbrecher."
     Sie wiegte nachdenklich den Kopf: "GewiYA, er  ist  ein Verbrecher. Aber
wer  in  einer solchen Haut steckt und kein Verbrecher wird, muYA ein Prophet
sein."
     Ich r'ckte neugierig ndher;
     "Wissen  Sie Genaueres  'ber  ihn?  Mich  interessiert  das.  Aus  ganz
besonderen - -"
     "Wenn Sie einmal  seinen  Laden von innen gesehen hdtten, Herr Pernath,
w'YAten Sie sofort, wie es  in seiner Seele ausschaut. Ich sage das, weil ich
als Kind sehr oft drin  war. - Warum sehen Sie mich so erstaunt an? Ist denn
das  so  merkw'rdig?  - Gegen mich war er immer freundlich und g'tig. Einmal
sogar, erinnere ich mich, schenkte er mir einen groYAen blitzenden Stein, der
mir besonders unter seinen Sachen gefallen hatte. Meine Mutter sagte, es sei
ein Brillant, und ich muYAte ihn nat'rlich sofort zur'cktragen.
     Erst wollte er ihn lange  nicht wiedernehmen, aber dann riYA  er ihn mir
aus  der Hand  und warf ihn voll  Wut weit  von sich. Ich habe  aber dennoch
gesehen, wie  ihm dabei die Trdnen  aus den Augen  st'rzten; ich konnte auch
damals  schon genug  Hebrdisch, um zu verstehen, was er murmelte: ›Alles ist
verflucht, was meine Hand ber'hrt.‹ - -  Es war das  letzte Mal, daYA ich ihn
besuchen durfte. Nie  wieder  hat  er mich seitdem  aufgefordert, zu ihm  zu
kommen. Ich weiYA auch warum: Hdtte ich  ihn nicht zu trcsten versucht,  wdre
alles beim alten geblieben, so aber, weil er mir unendlich leid tat  und ich
es  ihm sagte, wollte er  mich nicht  mehr  sehen. - -  - Sie  verstehen das
nicht, Herr Pernath? Es  ist doch so einfach:  er ist  ein Besessener, - ein
Mensch, der sofort miYAtrauisch,  unheilbar miYAtrauisch wird, wenn jemand  an
sein  Herz  r'hrt.  Er  hdlt  sich  f'r  noch  viel  hdYAlicher,  als  er  in
Wirklichkeit ist, - wenn das 'berhaupt mcglich sein  kann, und darin wurzelt
sein ganzes  Denken und Handeln. Man sagt, seine Frau hdtte ihn gern gehabt,
vielleicht war  es mehr  Mitleid als  Liebe, aber immerhin glaubten  es sehr
viele Leute. Der  einzige, der vom Gegenteil tief durchdrungen  war, war er.
Xberall wittert er Verrat und HaYA.
     Nur bei seinem Sohn  machte er eine Ausnahme.  Ob es  daher kam, daYA er
ihn vom  Sduglingsalter an hatte  heranwachsen sehen, also das Keimen  jeder
Eigenschaft von Urbeginn in dem Kinde sozusagen miterlebte und daher nie  zu
einem Punkte gelangte, wo sein  MiYAtrauen hdtte einsetzen kcnnen, oder ob es
im j'dischen Blute lag:  alles, was  an  Liebesfdhigkeit  in ihm lebte,  auf
seinen Nachkommen  auszugieYAen - in jener instinktiven Furcht unserer Rasse:
wir kcnnten  aussterben  und eine Mission nicht  erf'llen, die wir vergessen
haben, die aber dunkel in uns fortlebt, - wer kann das wissen!
     Mit  einer Umsicht, die beinahe  an Weisheit  grenzte,  und  bei  einem
unbelesenen Menschen, wie er, wunderbar ist, leitete er die Erziehung seines
Sohnes.  Mit  dem  Scharfsinn eines Psychologen rdumte  er dem  Kinde  jedes
Erlebnis aus dem  Wege,  das  zur Entwicklung der  Gewissenstdtigkeit  hdtte
beitragen kcnnen, um ihm k'nftige seelische Leiden zu ersparen.
     Er hielt ihm als Lehrer einen hervorragenden Gelehrten, der die Ansicht
verfocht,  die  Tiere  seien empfindungslos  und  ihre  SchmerzduYAerung  ein
mechanischer Reflex.
     Aus   jedem   Geschcpf  so  viel  Freude  und  GenuYA  f'r  sich  selbst
herauspressen,  wie  nur  irgend  mcglich,  und dann die Schale  sofort  als
nutzlos  wegzuwerfen:  das  war  ungefdhr  das  Abc  seines   weitblickenden
Erziehungssystems.
     DaYA das Geld als Standarte und  Schl'ssel zur ›Macht‹ dabei eine  erste
Rolle spielte, kcnnen Sie sich denken,  Herr  Pernath. Und  so wie er selbst
den eigenen Reichtum  sorgsam geheim hdlt, um die  Grenzen seines Einflusses
in Dunkel zu h'llen, so ersann er sich  ein Mittel, seinem Sohn Dhnliches zu
ermcglichen, ihm aber gleichzeitig die Qual eines scheinbar drmlichen Lebens
zu ersparen:  er durchtrdnkte  ihn  mit  der  infernalischen  L'ge  von  der
›Schcnheit‹,  brachte ihm die duYAere und  innere Gebdrde  der Dsthetik  bei,
lehrte  ihn duYAerlich:  die Lilie auf  dem Felde heucheln und innerlich  ein
Aasgeier sein.
     Nat'rlich war das mit der  ›Schcnheit‹ wohl  kaum  eigene Erfindung von
ihm - vermutlich die ›Verbesserung‹ eines Ratschlags, den ihm ein Gebildeter
gegeben hatte.
     DaYA ihn sein Sohn spdter verleugnete, wo und  wann er nur  konnte, nahm
er niemals  'bel. Im  Gegenteil, er machte es  ihm  zur  Pflicht: denn seine
Liebe war  selbstlos, und wie ich  es schon einmal von meinem Vater sagte: -
von der Art, die 'bers Grab hinausgeht."
     Mirjam schwieg  einen  Augenblick  und  ich sah ihr  an,  wie  sie ihre
Gedanken stumm weiterspann, hcrte  es an dem verdnderten Klang ihrer Stimme,
als sie sagte:
     "Seltsame Fr'chte wachsen auf dem Baume des Judentums."
     "Sagen Sie,  Mirjam,"  fragte ich,  "haben Sie  nie  davon  gehcrt, daYA
Wassertrum eine  Wachsfigur in seinem Laden stehen hat? Ich weiYA nicht mehr,
wer es mir erzdhlt hat, - es war vielleicht nur ein Traum - -"
     "Nein,  nein,  es  ist  schon  richtig, Herr Pernath:  eine lebensgroYAe
Wachsfigur steht in der Ecke, in der er, mitten unter dem tollsten Ger'mpel,
auf seinem Strohsack schldft. Er hat sie vor Jahren einem Schaubudenbesitzer
abgewuchert,  heiYAt  es, bloYA  weil  sie  einem  Mddchen - einer  Christin -
dhnlich sah, die angeblich einmal seine Geliebte gewesen sein soll."
     "Charouseks Mutter!" drdngte es sich mir auf.
     "Ihren Namen wissen Sie nicht, Mirjam?"
     Mirjam  sch'ttelte den Kopf. "Wenn Ihnen daran liegt,  - soll ich  mich
erkundigen?"
     "Ach Gott, nein, Mirjam; es ist  mir vollkommen gleichg'ltig", (ich sah
an ihren blitzenden Augen,  daYA sie sich in  Eifer geredet hatte. Sie durfte
nicht wieder zu  sich kommen, nahm  ich mir vor),  "aber was mich viel  mehr
interessiert,  ist das  Gebiet,  von dem Sie vorhin  fl'chtig  sprachen. Ich
meine  das  ›vom  Tauwind‹.  -  Ihr  Vater  w'rde  Ihnen  doch  gewiYA  nicht
vorschreiben, wen Sie heiraten sollen?"
     Sie lachte lustig auf. "Mein Vater? Wo denken Sie hin!"
     "Nun, das ist ein groYAes Gl'ck f'r mich."
     "Wieso?" fragte sie arglos.
     "Weil ich dann noch Chancen habe."
     Es war nur ein Scherz, und sie nahm es auch nicht anders hin, aber doch
sprang sie rasch auf  und  ging ans Fenster,  um mich nicht sehen zu lassen,
daYA sie rot wurde.
     Ich lenkte ein, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen:
     "Das  eine  bitte  ich  mir  aus  als  alter  Freund:  Mich  m'ssen Sie
einweihen, wenn's einmal so weit ist. - Oder gedenken Sie 'berhaupt ledig zu
bleiben?"
     "Nein!  nein!   nein!"  -  sie  wehrte  so  entschlossen  ab,  daYA  ich
unwillk'rlich ldchelte - "einmal muYA ich ja doch heiraten."
     "Nat'rlich! Selbstverstdndlich!"
     Sie wurde nervcs wie ein Backfisch.
     "Kcnnen Sie denn nicht eine Minute ernsthaft  bleiben, Herr Pernath?" -
Ich  machte gehorsam ein Lehrergesicht, und sie setzte sich wieder. - "Also:
wenn ich sage, ich muYA doch einmal heiraten, so meine ich damit, daYA ich mir
zwar bis jetzt den Kopf'ber  die ndheren Umstdnde nicht zerbrochen habe, den
Sinn des Lebens aber gewiYA nicht verst'nde, wenn ich annehmen w'rde, ich sei
als Weib auf die Welt gekommen, um kinderlos zu bleiben."
     Das erste Mal,  seit ich sie kannte,  sah ich das Frauenhafte in  ihren
Z'gen.
     "Es  gehcrt  mit   zu  meinen  Trdumen",  fuhr  sie  leise  fort,  "mir
vorzustellen, daYA es ein Endziel sei, wenn zwei Wesen zu einem verschmelzen,
- zu dem, was - - haben Sie nie von dem dgyptischen Osiriskult gehcrt?  - zu
dem verschmelzen, was der ›Hermaphrodit‹ als Symbol bedeuten mag."
     Ich horchte gespannt auf: "Der Hermaphrodit -?"
     "Ich meine:  Die  magische  Vereinigung  von mdnnlich und  weiblich  im
Menschengeschlecht  zu  einem  Halbgott.  Als  Endziel! -  Nein,  nicht  als
Endziel, als Beginn eines neuen Weges, der ewig ist - kein Ende hat."
     "Und  hoffen  Sie,   dereinst  denjenigen   zu   finden,"   fragte  ich
ersch'ttert, "den Sie suchen? - Kann es nicht  sein, daYA er in  einem fernen
Land lebt, vielleicht gar nicht auf Erden ist?"
     "Davon weiYA ich nichts"; sagte sie einfach, "ich  kann nur warten. Wenn
er durch Zeit und Raum von mir getrennt ist, - was ich nicht glaube, weshalb
wdre  ich  dann  hier  im  Getto  angebunden?  -  oder   durch   die  Kl'fte
gegenseitigen Nichterkennens - und  ich finde ihn nicht, dann hat mein Leben
keinen Zweck gehabt und war das gedankenlose Spiel eines idiotischen Ddmons.
- Aber, bitte, bitte, reden wir nicht mehr davon," flehte sie, "wenn man den
Gedanken  nur  ausspricht,  bekommt  er  schon  einen  hdYAlichen,  irdischen
Beigeschmack, und ich mcchte nicht -"
     Sie brach plctzlich ab.
     "Was mcchten Sie nicht, Mirjam?"
     Sie hob die Hand. Stand rasch auf und sagte:
     "Sie bekommen Besuch, Herr Pernath!"
     Seidenkleider raschelten auf dem Gang.
     Ungest'mes Klopfen. Dann:
     Angelina!
     Mirjam wollte gehen; ich hielt sie zur'ck:
     "Darf  ich vorstellen: die Tochter eines lieben  Freundes - Frau Grdfin
-"
     "Nicht   einmal  vorfahren  kann  man   mehr.   Xberall   das  Pflaster
aufgerissen. Wann werden Sie  einmal in eine menschenw'rdige Gegend siedeln,
Meister Pernath? DrauYAen schmilzt der Schnee und der  Himmel  jubelt, daYA es
einem  die Brust zersprengt,  und Sie hocken  hier in Ihrer Tropfsteingrotte
wie ein alter  Frosch, - -  'brigens wissen Sie,  daYA ich gestern bei meinem
Juwelier  war und  er gesagt hat: Sie seien der grcYAte K'nstler, der feinste
Gemmenschneider,  den es heute gibt,  wenn nicht  einer der  grcYAten, die je
gelebt  haben?!"  - Angelina  plauderte  wie ein  Wasserfall,  und  ich  war
verzaubert. Sah nur mehr ihre strahlenden, blauen Augen, die kleinen F'YAe in
den  winzigen  Lackstiefeln,  sah  das kaprizicse  Gesicht aus dem Wust  von
Pelzwerk leuchten und die rosigen Ohrldppchen.
     Sie lieYA sich kaum Zeit auszuatmen.
     "An  der Ecke  steht mein Wagen.  Ich  hatte schon Angst, Sie nicht  zu
Hause  zu treffen. Sie haben doch hoffentlich noch nicht zu Mittag gegessen?
Wir fahren zuerst  - ja, wohin fahren wir zuerst? Wir fahren zuerst einmal -
warten Sie - - ja: vielleicht in den  Baumgarten, oder kurz: irgendwohin ins
Freie, wo man  so recht das Keimen und heimliche Sprossen in  der Luft ahnt.
Kommen Sie, kommen Sie, nehmen Sie Ihren Hut;  und dann essen Sie bei mir, -
und dann schwdtzen wir  bis abends. Nehmen Sie doch Ihren Hut! Worauf warten
Sie denn? - Eine warme,  ganz weiche Decke ist unten: da wickeln wir uns ein
bis an die Ohren und kuscheln uns zusammen, bis uns siedheiYA wird."
     Was sollte ich  nur  sagen?! "Soeben  habe ich mit  der Tochter  meines
Freundes eine Spazierfahrt verabredet - -"
     Mirjam hatte  sich bereits  hastig von Angelina verabschiedet, noch ehe
ich aussprechen konnte.
     Ich  begleitete  sie  bis  vor  die  T'r,  obschon  sie mich freundlich
abwehren wollte.
     "Hcren Sie mich an, Mirjam, ich kann es Ihnen hier auf der Treppe nicht
so sagen, wie ich an Ihnen hdnge - - und daYA ich tausendmal lieber mit Ihnen
- -"
     "Sie d'rfen die Dame nicht warten lassen, Herr  Pernath,"  drdngte sie,
"adieu und viel Vergn'gen!"
     Sie sagte es voll Herzlichkeit und unverstellt und  echt, aber ich sah,
daYA der Glanz in ihren Augen erloschen war.
     Sie eilte  die Treppe hinunter,  und  das  Leid schn'rte mir  die Kehle
zusammen.
     Mir war, als hdtte ich eine Welt verloren.
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     Wie im  Rausch saYA ich an Angelinas Seite.  Wir fuhren in rasendem Trab
durch die menschen'berf'llten StraYAen.
     Eine Brandung des Lebens rings um mich, daYA ich, halb betdubt, nur noch
die  kleinen   Lichtflecke  in  dem  Bilde,  das  an   mir   vor'berhuschte,
unterscheiden  konnte: blitzende Juwelen in Ohrringen und Muffketten, blanke
Zylinderh'te, weiYAe  Damenhandschuhe, einen Pudel mit rosa Halsschleife, der
kldffend   in   die  Rdder  beiYAen   wollte,  schdumende  Rappen,   die  uns
entgegensausten in silbernen Geschirren, ein  Ladenfenster, drin schimmernde
Schalen  voll Perlschn'ren  und  funkelnden  Geschmeiden,  -  Seidenglanz um
schlanke Mddchenh'ften.
     Der scharfe Wind, der uns ins Gesicht  schnitt, lieYA mich die Wdrme von
Angelinas Kcrper doppelt sinnverwirrend empfinden.
     Die Schutzleute an den Kreuzungen sprangen respektvoll zur Seite,  wenn
wir an ihnen vor'berjagten.
     Dann ging's im Schritt 'ber das Quai, das eine einzige  Wagenreihe war,
an der eingest'rzten steinernen Br'cke vorbei, umstaut vom Gew'hl  gaffender
Gesichter.
     Ich blickte kaum hin: - das kleinste Wort aus dem Munde Angelinas, ihre
Wimpern,  das eilige Spiel  ihrer Lippen, - alles, alles  war mir  unendlich
viel  wichtiger,  als  zuzusehen,  wie  die   Felstr'mmer   dort  unten  den
antaumelnden Eisschollen die Schultern entgegenstemmten. -
     Parkwege. Dann - gestampfte, elastische  Erde. Dann Laubrascheln  unter
den  Hufen  der  Pferde,  nasse  Luft,   bldtterlose   Baumriesen  voll  von
Krdhennestern, totes  Wiesengr'n mit weiYAlichen Inseln schwindenden Schnees,
alles zog an mir vorbei wie getrdumt.
     Nur mit ein paar kurzen Worten, fast gleichg'ltig, kam Angelina auf Dr.
Savioli zu sprechen.
     "Jetzt,  wo  die  Gefahr  vor'ber  ist",  sagte  sie  mit entz'ckender,
kindlicher  Unbefangenheit,  "und ich  weiYA,  daYA es ihm auch wieder  besser
geht, kommt mir alles das,  was ich mitgemacht  habe, so grdYAlich langweilig
vor.  - Ich  will mich endlich einmal wieder freuen, die Augen  zumachen und
untertauchen in dem glitzernden Schaum des Lebens. Ich glaube,  alle  Frauen
sind so. Sie  gestehen es bloYA nicht ein. Oder sie sind so dumm,  daYA sie es
selbst nicht wissen. Meinen  Sie nicht auch?" Sie  hcrte gar nicht hin,  was
ich   darauf   antwortete.  "Xbrigens   sind   mir  die  Frauen  vollstdndig
uninteressant.  Sie d'rfen  es nat'rlich  nicht als Schmeichelei  auffassen:
aber  -  wahrhaftig, die bloYAe  Ndhe eines  sympathischen Mannes ist mir  im
kleinen  Finger  lieber  als das  anregendste  Gesprdch  mit  einer noch  so
gescheiten  Frau. Es ist ja schlieYAlich doch alles  dummes Zeug, was man  da
zusammenschwdtzt. - Hcchstens: das biYAchen Putz - na und! Die Moden wechseln
ja  nicht gar so hdufig. - - Nicht wahr, ich bin  leichtsinnig?", fragte sie
plctzlich  kokett,  daYA ich  mich, bestrickt  von ihrem Reiz, zusammennehmen
muYAte, nicht  ihr  Kcpfchen zwischen meine  Hdnde zu nehmen  und sie in  den
Nacken zu k'ssen, - "sagen Sie, daYA ich leichtsinnig bin!"
     Sie schmiegte sich noch dichter an und hdngte sich in mich ein.
     Wir   fuhren   aus  der   Allee  heraus   an   Bosketts   entlang   mit
strohumwickelten Zierstauden, die  aussahen  in ihren H'llen  wie R'mpfe von
Ungeheuern mit abgehauenen Gliedern und Hduptern.
     Leute saYAen auf Bdnken in der Sonne und  blickten hinter uns  drein und
steckten die Kcpfe zusammen.
     Wir  schwiegen eine  Weile und hingen  unseren Gedanken  nach. Wie  war
Angelina  doch so vollstdndig anders, als sie  bisher in  meiner  Einbildung
gelebt hatte! - Als sei sie erst heute f'r mich in die Gegenwart ger'ckt!
     War  das  wirklich  dieselbe  Frau, die  ich damals  in  der  Domkirche
getrcstet hatte?
     Ich konnte den Blick nicht wenden von ihrem halboffenen Mund.
     Sie sprach noch immer kein Wort. Schien im Geiste ein Bild zu sehen.
     Der Wagen bog 'ber eine feuchte Wiese.
     Es roch nach erwachender Erde.
     "Wissen Sie, - - Frau - -?"
     "Nennen Sie mich doch Angelina", unterbrach sie mich leise.
     "Wissen Sie, Angelina, daYA  - daYA ich heute die  ganze Nacht von  Ihnen
getrdumt habe?", stieYA ich gepreYAt hervor.
     Sie  machte eine  kleine rasche  Bewegung, als wolle sie  ihren Arm aus
meinem  ziehen, und sah mich groYA an. "Merkw'rdig! Und ich  von Ihnen! - Und
in diesem Moment habe ich dasselbe gedacht."
     Wieder  stockte  das Gesprdch, und beide  errieten  wir,  daYA  wir auch
dasselbe getrdumt hatten.
     Ich f'hlte es an dem Beben ihres Blutes. Ihr Arm zitterte kaum merklich
an meiner Brust. Sie blickte  krampfhaft von mir weg aus dem Wagen hinaus. -
- -
     Langsam zog  ich  ihre  Hand  an  meine Lippen,  streifte  den  weiYAen,
duftenden Handschuh  zur'ck, hcrte, wie  ihr Atem  heftig wurde, und  preYAte
toll vor Liebe meine Zdhne in ihren Handballen.
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     -  - Stunden  spdter  ging ich wie ein Trunkener  durch  den Abendnebel
hinab der  Stadt zu. Planlos wdhlte ich die StraYAen  und ging lange, ohne es
zu wissen, im Kreise herum.
     Dann stand ich am FluYA 'ber eisernes Geldnder gebeugt und starrte hinab
in die tosenden Wellen.
     Noch  immer  f'hlte  ich  Angelinas  Arme um  meinen  Nacken,  sah  das
steinerne  Becken  des  Springbrunnens,  an  dem  wir schon einmal  Abschied
voneinander  genommen  vor  vielen  Jahren,  vor   mir,  mit  den  faulenden
Ulmenbldttern  darin, und sie wanderte  wieder mit mir,  wie soeben erst vor
kurzem, den Kopf an  meine  Schulter  gelehnt, stumm  durch den frcsteldnen,
ddmmrigen Park ihres Schlosses.
     Ich setzte mich  auf eine  Bank und zog den Hut tief ins Gesicht, um zu
trdumen.
     Die Wasser  brausten  'ber  das  Wehr und  ihr Rauschen verschlang  die
letzten, aufmurrenden Gerdusche der schlafengehenden Stadt.
     Wenn  ich  von  Zeit  zu  Zeit meinen  Mantel  fester  um mich zog  und
aufblickte, lag der FluYA in immer tieferen Schatten, bis er endlich, von der
schweren  Nacht  erdr'ckt,  schwarzgrau  dahinstrcmte  und  der  Gischt  des
Staudamms als weiYAer,  blendender  Streifen  schrdg  hin'ber zum andern Ufer
lief.
     Mich  schauderte  bei  dem  Gedanken, wieder zur'ck  zu m'ssen in  mein
trauriges Haus.
     Der Glanz eines kurzen Nachmittags hatte mich  f'r immer  zum Fremdling
in meiner Wohnstdtte gemacht.
     Eine Spanne  von wenigen Wochen, vielleicht  nur von Tagen, dann  muYAte
das  Gl'ck vor'ber sein  - und  nichts  blieb  davon als  eine wehe,  schcne
Erinnerung.
     Und dann?
     Dann war  ich heimatlos  hier  und dr'ben, diesseits  und jenseits  des
Flusses.
     Ich  stand  auf!  Wollte noch durch das Parkgitter einen  Blick auf das
SchloYA werfen, hinter dessen  Fenstern sie schlief, ehe ich in  das finstere
Getto ging. -  - - Ich schlug die Richtung  ein, aus  der ich  gekommen war,
tappte  mich  durch  den dichten Nebel  an  Hduserreihen  entlang  und  'ber
schlummernde Pldtze, sah  schwarze  Monumente drohend auftauchen und einsame
Schilderhduser  und die  Schncrkel  von Barockfassaden.  Der  matte Schimmer
einer Laterne  wuchs  zu  riesigen,  phantastischen  Ringen  in verblichenen
Regenbogenfarben aus dem Dunst heraus, wurde zum fahlgelben, stechenden Auge
und zerging hinter mir in der Luft.
     Mein FuYA tastete breite, steinerne Stufenfldchen, mit Kies bestreut. Wo
war ich? Ein Hohlweg, der steil aufwdrts f'hrt?
     Glatte Gartenmauern links  und  rechts? Die  kahlen  Dste  eines Baumes
hdngen her'ber. Sie kommen  vom  Himmel herunter:  der Stamm  verbirgt  sich
hinter der Nebelwand. -
     Ein paar morsche, d'nne Zweige  brechen krachend ab,  wie  mein Hut sie
streift, und fallen an meinem Mantel hinab  in den  nebligen grauen Abgrund,
der mir meine F'YAe verbirgt.
     Dann ein strahlender Punkt: ein  einsames Licht in der Ferne - irgendwo
- rdtselhaft - zwischen Himmel und Erde. - - -
     Ich muYAte fehlgegangen sein. Es konnte nur die "alte SchloYAstiege" sein
neben den Hdngen der F'rstenbergschen Gdrten - - -
     Dann lange Strecken lehmiger Erde. - Ein gepflasterter Weg.
     Ein  massiger  Schatten  ragt hoch  auf, den  Kopf  in einer schwarzen,
steifen Zipfelm'tze: "die Daliborka" = der Hungerturm, in dem Menschen einst
verschmachteten, derweilen Kcnige unten im "Hirschgraben" das Wild hetzten.
     Ein schmales, gewundenes GdYAchen mit SchieYAscharten, ein Schneckengang,
kaum breit genug,  die Schultern durchzulassen  -  und  ich stand  vor einer
Reihe von Hduschen, keines hcher als ich.
     Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die Ddcher greifen.
     Ich war  in  die  "Goldmachergasse"  geraten,  wo  im  Mittelalter  die
alchimistischen  Adepten  den  Stein der Weisen gegl'ht und die Mondstrahlen
vergiftet haben.
     Es r'hrte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war.
     Aber ich fand die Mauerl'cke nicht mehr, die mich  eingelassen, - stieYA
an ein Holzgatter.
     Es n'tzt  nichts, ich  muYA jemand wecken,  damit man mir den Weg zeigt,
sagte ich mir. Sonderbar, daYA hier ein  Haus die Gasse  abschlieYAt  - grcYAer
als die andern und anscheinend wohnlich? Ich  kann mich  nicht entsinnen, es
je bemerkt zu haben.
     Es muYA wohl weiYA get'ncht sein, daYA es so hell aus dem Nebel leuchtet?
     Ich gehe durch das Gatter 'ber  den  schmalen Gartenstreif,  dr'cke das
Gesicht an die Scheiben: - alles finster. Ich  klopfe ans Fenster. - Da geht
drinnen ein steinalter Mann, eine  brennende  Kerze  in der Hand, durch eine
T'r mit greisenhaft  wankenden  Schritten  bis  mitten  in die Stube, bleibt
stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten
und  Kolben an der Wand, starrt  nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in
den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich.
     Der Schatten seiner Backenknochen fdllt ihm auf die Augenhchlen, daYA es
aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.
     Er sieht mich offenbar nicht.
     Ich klopfe ans Glas.
     Er hcrt mich  nicht. Geht  lautlos wie ein Schlafwandler wieder aus dem
Zimmer.
     Ich warte vergebens.
     Klopfe ans Haustor: niemand cffnet. - - -
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     Es  blieb mir nichts 'brig, als so lange zu suchen, bis ich den Ausgang
aus der Gasse endlich fand.
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     Ob  es nicht am besten  wdre, ich ginge noch unter Menschen,  'berlegte
ich. -  Zu meinen Freunden: Zwakh, Prokop und Vrieslander ins "alte Ungelt",
wo sie bestimmt sein w'rden -, um meine verzehrende Sehnsucht nach Angelinas
K'ssen wenigstens f'r ein paar  Stunden zu  'bertduben? Rasch mache ich mich
auf den Weg.
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     Wie  ein  Trifolium von  Toten hockten sie  um den wurmstichigen, alten
Tisch herum, - alle drei: weiYAe d'nnstielige Tonpfeifen zwischen den Zdhnen,
und das Zimmer voll Rauch.
     Man  konnte  kaum ihre Gesichtsz'ge  unterscheiden,  so  schluckten die
dunkelbraunen Wdnde das spdrliche Licht der altmodischen Hdngelampe ein.
     In  der  Ecke die  spindeld'rre, wortkarge,  verwitterte Kellnerin  mit
ihrem   ewigen   Strickstrumpf,   dem  farblosen  Blick   und   der   gelben
Entenschnabelnase!
     Mattrote Decken hingen vor den geschlossenen  T'ren, so daYA die Stimmen
der  Gdste im  Nebenzimmer  nur  wie das leise  Summen eines  Bienenschwarms
her'berdrangen.
     Vrieslander, seinen  kegelfcrmigen Hut mit der  geraden Krempe auf  dem
Kopf, mit  seinem  Knebelbart,  der  bleigrauen Gesichtsfarbe  und der Narbe
unter  dem Auge, sah aus wie ein ertrunkener Holldnder aus einem vergessenen
Jahrhundert.
     Josua  Prokop  hatte  sich  eine  Gabel quer  durch  die  Musikerlocken
gesteckt,   klapperte   unaufhcrlich    mit   seinen   gespenstisch   langen
Knochenfingern und sah bewundernd zu, wie sich  Zwakh abm'hte, der bauchigen
Arakflasche das Purpurmdntelchen einer Marionette umzuhdngen.
     "Das  wird Babinski",  erkldrte mir Vrieslander mit  tiefem Ernst. "Sie
wissen  nicht,  wer Babinski  war? Zwakh,  erzdhlen Sie  Pernath  rasch, wer
Babinski war!"
     "Babinski  war",  begann  Zwakh sofort, ohne  auch nur eine Sekunde von
seiner Arbeit aufzusehen, "einst ein  ber'hmter Raubmcrder  in Prag. - Viele
Jahre betrieb  er  sein  schdndliches Handwerk,  ohne daYA  es jemand bemerkt
hdtte. Nach und nach  jedoch fiel es in den besseren Familien auf,  daYA bald
dieses, bald jenes Mitglied der Sippe  beim Essen fehlte und sich nie wieder
blicken lieYA. Wenn man auch anfangs nichts sagte, da die Sache gewissermaYAen
ihre  guten Seiten  hatte, indem  man weniger  zu kochen brauchte, so durfte
wiederum  nicht  auYAer  acht   gelassen  werden,  daYA  das  Ansehen  in  der
Gesellschaft leicht darunter leiden und man ins Gerede kommen konnte.
     Besonders, wenn es sich um das  spurlose Verschwinden mannbarer Tcchter
handelte.
     Xberdies verlangte die  Hochachtung vor sich selbst,  daYA  man  auf ein
b'rgerliches Zusammenleben in der Familie nach auYAen hin das nctige  Gewicht
legte.
     Die Zeitungsrubriken: "Kehre zur'ck, alles ist verziehen" wuchsen immer
mehr und  mehr, -  ein  Umstand,  den Babinski, leichtsinnig wie die meisten
Berufsmcrder, in seine  Berechnungen nicht einbezogen hatte, - und  erregten
schlieYAlich die allgemeine Aufmerksamkeit.
     In dem  lieblichen Dcrfchen Krtsch  bei Prag hatte sich  Babinski,  der
innerlich  ein ausgesprochen  idyllischer Charakter war,  mit der Zeit durch
seine unverdrossene Tdtigkeit ein kleines, aber trautes Heim geschaffen. Ein
Hduschen, blitzend  vor  Sauberkeit,  und  ein Gdrtchen davor mit  bl'henden
Geranien.
     Da es ihm seine Eink'nfte nicht gestatteten, sich zu vergrcYAern, sah er
sich genctigt, um  die Leichen seiner Opfer unauffdllig bestatten zu kcnnen,
statt  eines  Blumenbeetes  -  wie  er  es  gern   gesehen   hdtte  -  einen
grasbewachsenen und schlichten, aber, den Umstdnden angemessen: zweckmdYAigen
Grabh'gel anzulegen,  der sich  m'helos verldngern lieYA, wenn es der Betrieb
oder die Saison erforderte.
     Auf  dieser  Weihestdtte pflegte Babinski allabendlich nach  des  Tages
Last und M'hen in  den  Strahlen der untergehenden  Sonne  zu sitzen und auf
seiner Flcte allerlei schwerm'tige Weisen zu blasen." - -
     "Halt!"  unterbrach Josua Prokop rauh, zog einen  Hausschl'ssel aus der
Tasche, hielt ihn wie eine Klarinette an den Mund und sang:
     "Zimzerlim zambusla - deh."
     "Waren  Sie denn dabei,  daYA Sie die Melodie so genau kennen?",  fragte
Vrieslander erstaunt.
     Prokop warf ihm einen bitterbcsen Blick zu: "Nein. Dazu hat Babinski zu
fr'h gelebt. Aber was er gespielt haben kann, muYA  ich als Komponist doch am
besten  wissen.  Ihnen   steht  dar'ber  kein  Urteil  zu:  Sie  sind  nicht
musikalisch. - - Zimzerlim - zambusla - busla - deh."
     Zwakh hcrte  ergriffen  zu,  bis  Prokop  seinen  Hausschl'ssel  wieder
einsteckte, und fuhr dann fort:
     "Das bestdndige Wachsen des H'gels erweckte allmdhlich Verdacht bei den
Anrainern, und einem Polizeimann aus der Vorstadt  Zizkov, der  gelegentlich
von weitem  zusah, wie Babinski gerade eine alte Dame der guten Gesellschaft
erw'rgte,  geb'hrt das  Verdienst, dem selbsts'chtigen Treiben  des Unholdes
ein f'r allemal Schranken gesetzt zu haben:
     Man verhaftete Babinski in seinem Tuskulum.
     Der  Gerichtshof  verurteilte  ihn  unter  Zubilligung  des  mildernden
Umstandes  eines  ansonsten trefflichen  Leumundes zum Tode durch den Strang
und beauftragte zugleich die Firma  Gebr'der Leipen - Seilwaren  en gros und
en detail - die nctigen Hinrichtungsutensilien, soweit diese in ihre Branche
fielen,  unter  Anrechnung  ziviler  Preise  einem  hohen  Staatsdrar  gegen
Quittung auszuhdndigen.
     Nun   f'gte  es  sich  aber,  daYA  der  Strick   riYA  und  Babinski  zu
lebensldnglichem Gefdngnis begnadigt wurde.
     Zwanzig  Jahre  verb'YAte  der  Raubmcrder hinter den  Mauern von  Sankt
Pankraz, ohne daYA je ein  Vorwurf  'ber seine  Lippen gekommen wdre;  - noch
heute ist der  Beamtenstab  des Institutes  voll Lob 'ber seine vorbildliche
Auff'hrung,  ja,  man  gestattete ihm  sogar,  an  den Geburtstagen  unseres
Allerhcchsten Landesherrn ab und zu die Flcte zu blasen; -"
     Prokop suchte  sofort  wieder  nach  seinem Hausschl'ssel,  aber  Zwakh
wehrte ihm.
     "- infolge allgemeiner  Amnestie wurde dem Babinski der Rest der Strafe
nachgesehen,  und  er  bekam  die  Stelle eines  Pfcrtners  im  Kloster  der
›Barmherzigen Schwestern‹.
     Die  leichte Gartenarbeit, die er nebenbei  mit zu versehen hatte, ging
ihm  dank der  groYAen,  wdhrend seines  fr'heren Wirkungskreises  erworbenen
Geschicklichkeit im Gebrauch  des Spatens hurtig  von  der Hand, so daYA  ihm
hinldnglich  MuYAe  blieb,  Herz und Geist  an guter, sorgfdltig ausgewdhlter
Lekt're zu ldutern.
     Die daraus resultierenden Folgen waren hocherfreulich.
     Sooft ihn  die Oberin Samstagabends  ins Wirtshaus  schickte, damit  er
sein Gem't  ein wenig erheitere, jedesmal kam er p'nktlich vor  Anbruch  der
Nacht nach Hause mit dem  Hinweis, der Verfall der  allgemeinen Moral stimme
ihn  tr'be  und  soviel  lichtscheues  Gesindel schlimmster  Sorte mache die
LandstraYAe unsicher, daYA es  f'r jeden Friedliebenden ein Gebot der Klugheit
sei, rechtzeitig die Schritte heimwdrts zu lenken.
     Es  war  nun damaliger Zeit  in  Prag bei den  Wachsziehern die Unsitte
eingerissen, kleine Fig'rchen feilzuhalten,  die ein rotes Manterle umhdngen
hatten und den Raubmcrder Babinski darstellten.
     Wohl in keiner der leidtragenden Familien fehlte ein solches.
     Gewchnlich  aber standen sie in den Ldden unter Glasst'rzen,  und  'ber
nichts  konnte  sich  Babinski  so  empcren,  als wenn  er  eines derartigen
Wachsbildes ansichtig wurde.
     ›Es ist  im hcchsten  Grade unw'rdig  und  zeugt von einer Gem'tsroheit
sondersgleichen, einem Menschen bestdndig die Verfehlungen seiner Jugendzeit
vor  Augen zu f'hren,‹ pflegte Babinski  in solchen Fdllen zu sagen ›und  es
ist  tief  zu  bedauern, daYA von Seiten der  Obrigkeit  nichts geschieht, so
offenkundigem Unfug zu steuern.‹
     Noch auf dem Totenbette duYAerte er sich in dhnlichem Sinne.
     Nicht vergebens, denn bald darauf verf'gte die Behcrde  die Einstellung
des Handels mit den drgerniserregenden Babinskischen Statuetten." - - -
     -  - - Zwakh tat einen mdchtigen Schluck  aus seinem Grogglas und  alle
drei grinsten wie  die Teufel, dann wandte er vorsichtig den Kopf  nach  der
farblosen Kellnerin, und ich sah, wie sie eine Trdne im Auge zerdr'ckte.
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     - "Na, und Sie geben nichts zum besten, auYAer - nat'rlich - daYA Sie aus
Dankbarkeit   f'r   den   'berstandenen  KunstgenuYA  die   Zeche   berappen,
wertgeschdtzter Kollege und Gemmenschneider?", fragte mich  Vrieslander nach
einer langen Pause allgemeinen Tiefsinnes.
     Ich erzdhlte ihnen meine Wanderung durch den Nebel.
     Als ich in der  Schilderung  zu der  Stelle kam, wo ich das weiYAe  Haus
erblickt hatte,  nahmen alle drei vor Spannung  die  Pfeifen aus den Zdhnen,
und als ich schloYA, schlug Prokop mit der Faust auf den Tisch und rief:
     "Das ist doch rein - -! Alle Sagen, die es gibt,  erlebt dieser Pernath
am eigenen Kadaver. - A propos, der Golem von damals - Sie wissen: die Sache
hat sich aufgekldrt."
     "Wieso aufgekldrt?" fragte ich baff.
     "Sie kennen doch den verr'ckten j'dischen Bettler ›Haschile‹? Nein? Nun
also: dieser Haschile war der Golem."
     "Ein Bettler der Golem?"
     "Jawohl, der Haschile war der Golem. Heute nachmittag ging das Gespenst
seelenvergn'gt   bei  hellichtem   Sonnenschein   in   seinem   ber'chtigten
altmodischen  Anzug  aus  dem  XVII.  Jahrhundert  durch  die  Salnitergasse
spazieren, und  da  hat  es der  Schinder mit  einer Hundeschlinge gl'cklich
eingefangen."
     "Was soll das heiYAen? Ich verstehe kein Wort!" fuhr ich auf.
     "Ich sage  Ihnen doch: der  Haschile war  es! Er  hat die Kleider, hcre
ich, vor ldngerer Zeit hinter einem Haustor gefunden. - Xbrigens, um auf das
weiYAe  Haus  auf  der  Kleinseite  zur'ckzukommen: die  Sache  ist furchtbar
interessant.  Es  geht  ndmlich  eine  alte  Sage,  daYA  dort  oben  in  der
Alchimistengasse ein Haus steht,  das nur bei Nebel sichtbar  wird, und auch
da bloYA ›Sonntagskindern‹. Man nennt es ›die Mauer zur letzten Laterne‹. Wer
bei Tag hinaufgeht,  sieht  dort nur einen groYAen,  grauen Stein, - dahinter
st'rzt es  jdh ab in die Tiefe in den Hirschgraben, und Sie kcnnen von Gl'ck
sagen, Pernath,  daYA  Sie keinen Schritt  weiter gemacht  haben:  Sie  wdren
unfehlbar hinuntergefallen und hdtten sdmtliche Knochen gebrochen.
     Unter dem Stein, heiYAt es, ruht ein riesiger Schatz, und  er  soll  von
dem Orden der ›Asiatischen Br'der‹, die  angeblich Prag gegr'ndet haben, als
Grundstein f'r ein  Haus gelegt worden sein, das  dereinst am  Ende der Tage
ein  Mensch bewohnen wird - besser gesagt ein  Hermaphrodit -  ein Geschcpf,
das sich aus  Mann und Weib zusammensetzt. Und der wird das Bild eines Hasen
im Wappen tragen, - nebenbei: der Hase  war das Symbol des Osiris, und daher
stammt wohl die Sitte mit dem Osterhasen.
     Bis die Zeit gekommen  ist, heiYAt es, hdlt Methusalem in eigener Person
Wache an dem Ort, damit Satan  nicht den Stein beflattert und einen Sohn mit
ihm zeugt: den sogenannten Armilos. - Haben  Sie noch nie von diesem Armilos
erzdhlen  hcren? -  Sogar  wie er aussehen w'rde, weiYA man - das heiYAt,  die
alten Rabbiner wissen es; - wenn er auf die Welt kdme:  Haare aus Gold w'rde
er haben,  r'ckwdrts zum Schopf gebunden, dann: zwei Scheitel, sichelfcrmige
Augen und Arme bis herunter zu den F'YAen."
     "Dieses Ehrengigerl  sollte  man  aufzeichnen", brummte Vrieslander und
suchte nach einem Bleistift.
     "Also:  Pernath,  wenn  Sie  einmal   das   Gl'ck  haben  sollten,  ein
Hermaphrodit zu werden  und en passant den  vergrabenen  Schatz  zu finden,"
schloYA Prokop, "dann vergessen Sie nicht,  daYA  ich  stets Ihr bester Freund
gewesen bin!"
     - Mir war nicht zum SpaYAmachen zumute, und ich f'hlte ein leises Weh im
Herzen.
     Zwakh mochte es mir ansehen, wenn  er auch den Grund  nicht wuYAte, denn
er kam mir rasch zu Hilfe:
     "Jedenfalls  ist es  hcchst  merkw'rdig,  fast unheimlich, daYA  Pernath
gerade eine Vision an jener Stelle hatte, die mit einer  uralten Sage so eng
verkn'pft ist. - Da  sind  Zusammenhdnge,  aus deren Umklammerung  sich  ein
Mensch anscheinend  nicht befreien kann, wenn seine Seele die Fdhigkeit hat,
Formen zu  sehen,  die dem Tastsinn vorenthalten sind.  - Ich kann mir nicht
helfen: das Xbersinnliche ist doch das Reizvollste! - Was meint ihr?"
     Vrieslander  und Prokop waren  ernst geworden,  und jeder von uns hielt
eine Antwort f'r 'berfl'ssig.
     "Was  meinen Sie,  Eulalia?"  wiederholte Zwakh, zur'ckgewendet,  seine
Frage.
     Die alte Kellnerin  kratzte  sich mit der Stricknadel am Kopf, seufzte,
errctete und sagte:
     "Aber gdhn' Sie! Sie sind mir ein Schlimmer."
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     "Eine  verdammt  gespannte Luft war  heute den ganzen  Tag 'ber",  fing
Vrieslander an, nachdem sich unser Heiterkeitsausbruch gelegt hatte,  "nicht
einen Pinselstrich  hab' ich  fertiggebracht. Fortwdhrend  hab'  ich an  die
Rosina denken m'ssen, wie sie im Frack getanzt hat."
     "Ist sie wieder aufgefunden worden?", fragte ich.
     "›Aufgefunden‹ ist gut. Die Sittenpolizei hat sie doch f'r ein ldngeres
Engagement gewonnen! - Vielleicht hat sie dem Herrn Kommissdr - damals ›beim
Loisitschek‹, ins Auge  gestochen?  Jedenfalls  ist  sie jetzt  - fieberhaft
tdtig und trdgt  wesentlich zur Hebung des Fremdenverkehrs in der Judenstadt
bei.  Ein verflucht dralles  Mensch ist sie  'brigens schon  geworden in der
kurzen Zeit."
     "Wenn  man bedenkt,  was  ein Weib  aus  einem  Mann machen  kann  bloYA
dadurch, daYA  sie ihn verliebt sein ldYAt in sich: es ist zum  Staunen", warf
Zwakh hin. "Um das Geld aufzubringen,  zu ihr gehen zu  kcnnen, ist der arme
Bursche,  der  Jaromir,  'ber  Nacht  K'nstler  geworden.  Er  geht  in  den
Wirtshdusern herum  und schneidet  Silhouetten f'r Gdste aus, die  sich  auf
diese Art portrdtieren lassen."
     Prokop, der den SchluYA 'berhcrt hatte, schmatzte mit den Lippen:
     "Wirklich?  Ist  sie so  h'bsch geworden, die  Rosina? - Haben  Sie ihr
schon ein K'YAchen geraubt, Vrieslander?"
     Die Kellnerin sprang sofort auf und verlieYA indigniert das Zimmer.
     "Das Suppenhuhn!  Die  hat's wahrhaftig nctig,  - Tugendanfdlle! Pah!",
brummte Prokop drgerlich hinter ihr drein.
     "Was wollen  Sie,  sie  ist doch bei der unrichtigen Stelle abgegangen.
Und auYAerdem war der Strumpf gerade fertig", beschwichtigte ihn Zwakh.
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     Der Wirt  brachte  neuen  Grog und die Gesprdche  fingen allmdhlich an,
eine  schw'le Richtung zu nehmen. Zu schw'l,  als daYA sie mir nicht ins Blut
gegangen wdren bei meiner fiebrigen Stimmung.
     Ich strdubte mich dagegen, aber je mehr ich mich innerlich abschloYA und
an Angelina zur'ckdachte, um so heiYAer brauste es mir in den Ohren.
     Ziemlich unvermittelt verabschiedete ich mich.
     Der Nebel  war durchsichtiger  geworden,  spr'hte  feine  Eisnadeln auf
mich, war aber  immer noch so  dicht, daYA ich die StraYAentafeln  nicht lesen
konnte und von meinem Heimweg um ein geringes abkam.
     Ich war in eine andere Gasse geraten und wollte eben umkehren, da hcrte
ich meinen Namen rufen:
     "Herr Pernath! Herr Pernath!"
     Ich blickte um mich, in die Hche:
     Niemand!
     Ein offenes Haustor, dar'ber diskret  eine kleine, rote Laterne, gdhnte
neben  mir  auf, und eine helle Gestalt  -  schien mir - stand  tief im Flur
darin.
     Wieder: "Herr Pernath! Herr Pernath!" Im Fl'sterton.
     Ich trat erstaunt in den Gang, - da  schlangen sich warme Frauenarme um
meinen Hals, und  ich sah bei dem  Lichtstrahl,  der aus  einem sich langsam
cffnenden T'rspalt fiel, daYA es Rosina war, die sich heiYA an mich preYAte.

     Ein grauer, blinder Tag.
     Bis  tief  in  den  Morgen  hinein  hatte  ich   geschlafen,  traumlos,
bewuYAtlos, wie ein Scheintoter.
     Meine   alte  Bedienerin   war   ausgeblieben  oder   hatte   vergessen
einzuheizen.
     Kalte Asche lag im Ofen.
     Staub auf den Mcbeln.
     Der FuYAboden nicht gekehrt.
     Frcstelnd ging ich auf und ab.
     Widerwdrtiger  Geruch  nach  ausgeatmetem  Fusel lag  im  Zimmer.  Mein
Mantel, meine Kleider stanken nach altem Tabakrauch.
     Ich  riYA  das Fenster  auf,  schloYA es wieder: - der kalte,  schmutzige
Hauch von der StraYAe war unertrdglich.
     Spatzen  mit durchndYAtem  Gefieder hockten regungslos  drauYAen auf  den
Dachrinnen.
     Wohin  ich  blickte,  miYAfarbene  Verdrossenheit.  Alles  in   mir  war
zerrissen, zerfetzt.
     Das  Sitzpolster  auf  dem Lehnstuhl  -  wie fadenscheinig  es war! Die
RoYAhaare quollen hervor aus den Rdndern.
     Man muYAte es zum Tapezierer schicken  - - ach was, sollte es so bleiben
- noch ein cdes Menschenleben hindurch, bis alles zu Gerumpel zerfiel!
     Und   dort,  welch   geschmackloser,   zweckwidriger   Plunder,   diese
Zwirnlappen an den Fenstern!
     Warum drehte ich sie nicht zu einem Strick und erhenkte mich daran?!
     Dann brauchte ich diese augenverletzenden Dinge wenigstens  nie mehr zu
sehen,  und  der  ganze graue,  zerm'rbende Jammer  war  vor'ber -  ein  f'r
allemal.
     Ja! Das war das gescheiteste! Ein Ende machen.
     Heute noch.
     Jetzt  noch  -  vormittags.  Gar nicht erst  zum  Essen  gehen.  -  Ein
ekelhafter Gedanke,  mit vollem Magen sich  aus der Welt zu schaffen! In der
nassen Erde liegen und unverdaute, verfaulende Speisen in sich zu haben.
     Wenn nur nie wieder die Sonne scheinen wollte und ihre freche L'ge  von
der Freude des Daseins einem ins Herz funkeln.
     Nein!  ich  lieYA  mich  nicht  mehr  narren,  wollte nicht  ldnger  der
Spielball sein eines  tdppischen,  zwecklosen Schicksals, das  mich emporhob
und dann wieder  in Pf'tzen stieYA, bloYA damit ich die Vergdnglichkeit  alles
Irdischen einsehen sollte, etwas, was ich ldngst wuYAte, was jedes Kind weiYA,
jeder Hund auf der StraYAe weiYA.
     Arme, arme Mirjam! Wenn ich ihr wenigstens helfen kcnnte.
     Es  hieYA,  einen  EntschluYA  fassen,   einen  ernsten,  unabdnderlichen
BeschluYA, bevor der  verfluchte  Trieb  zum  Dasein  wieder  in mir erwachen
konnte und mir neue Trugbilder vorgaukeln.
     Wozu hatten sie mir denn  gedient: alle diese Botschaften aus dem Reich
des Unverweslichen?
     Zu nichts, zu gar, gar nichts.
     Nur dazu  vielleicht, daYA ich im Kreis herumgetaumelt war und jetzt die
Erde als unmcgliche Qual empfand.
     Da gab es nur noch eins.
     Ich rechnete  im Kopf zusammen, wieviel Geld  ich auf  der  Bank liegen
hatte.
     Ja,  nur  so ging es. Das war noch das Einzige, Winzige, was von meinen
nichtigen Taten im Leben irgendeinen Wert haben konnte!
     Alles, was ich  besaYA - die  paar Edelsteine in  der  Schublade dazu, -
zusammenschn'ren  in ein  Paket  und  es  Mirjam  schicken.  Ein  paar Jahre
wenigstens w'rde es die Sorge ums tdgliche Leben von  ihr  nehmen. Und einen
Brief an Hillel schreiben, in dem ich ihm sagte, wie es um sie stand mit dem
"Wunder".
     Er allein konnte ihr helfen.
     Ich f'hlte: ja, er w'rde Rat wissen f'r sie.
     Ich suchte die  Steine zusammen, steckte sie ein, sah auf die Uhr: wenn
ich  jetzt  auf  die Bank ging - in  einer Stunde  konnte  alles in  Ordnung
gebracht sein.
     Und dann noch  einen StrauYA roter Rosen kaufen f'r Angelina! - - - - es
schrie auf in mir vor  Weh und wilder Sehnsucht. - Nur noch einen Tag, einen
einzigen Tag mcchte ich leben!
     Um dann abermals dieselbe w'rgende Verzweiflung mitmachen zu m'ssen?
     Nein, nicht eine einzige Minute  mehr warten!  Es  kam wie Befriedigung
'ber mich, daYA ich mir nicht nachgegeben hatte.
     Ich blickte umher. Blieb mir noch etwas zu tun?
     Richtig: die Feile  dort. Ich  steckte sie in die  Tasche, - wollte sie
fortwerfen irgendwo auf der Gasse, wie ich es mir neulich schon vorgenommen.
     Ich  haYAte die Feile! Wieviel  hatte gefehlt, und  ich wdre zum  Mcrder
geworden durch sie.
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     Wer kam mich denn da wieder stcren?
     Es war der Trcdler.
     "Nur en Augenblick, Herr  von Pernath", bat er fassungslos, als ich ihm
bedeutete, daYA ich keine Zeit hdtte. "Nur en ganz en kurzen Augenblick.  Nur
d paar Worte."
     Der SchweiYA lief ihm 'bers Gesicht, und er zitterte vor Aufregung.
     "Kann man hier auch ungestcrt mit Ihnen sprechen, Herr von Pernath? Ich
mccht'  nicht, daYA  der  -  der Hillel wieder hereinkommt.  Sperren Sie doch
lieber die T'r  ab, oder geh'mer besser ins Nebenzimmer", - er  zog mich  in
seiner gewohnten, heftigen Art hinter sich drein.
     Dann sah er sich ein paarmal scheu um und fl'sterte heiser:
     "Ich  hab mir's  'berlegt, wissen  Sie, - das von neilich. Es is besser
so. Es kommt nix hereaus dabei. Gut. Vor'ber is vor'ber."
     Ich suchte in seinen Augen zu lesen.
     Er  hielt meinen Blick aus, krampfte aber die Hand  in die  Stuhllehne,
solche Anstrengung kostete es ihn.
     "Das freut mich, Herr Wassertrum," sagte ich, so freundlich ich konnte,
"das  Leben ist  zu  tr'b,  als  daYA man es sich gegenseitig  noch  mit  HaYA
verbittern sollte."
     "Rein,  als  ob  man  ein  gedr'cktes  Buch  reden  hcrt,"  grunzte  er
erleichtert, w'hlte in  seinen  Hosentaschen und zog wieder die  goldene Uhr
mit den  verbogenen Sprungdeckeln hervor,  "und damit Sie  sehen, ich mein's
ehrlich, m'ssen Sie die Kleinigkeit da von mir annehmen. Als Geschenk."
     "Was fdllt Ihnen denn ein,"  wehrte ich ab, "Sie werden doch wohl nicht
glauben  -", da fiel  mir  ein, was Mirjam 'ber ihn gesagt  hatte,  und  ich
streckte ihm die Hand hin, um ihn nicht zu krdnken.
     Er achtete  nicht darauf,  wurde plctzlich weiYA wie die Wand,  lauschte
und rcchelte:
     "Da! Da! Hab' ich's doch gewuYAt. Schon wieder der Hillel! Er klopft."
     Ich horchte, ging ins andere Zimmer zur'ck und zog zu seiner Beruhigung
die Verbindungst'r hinter mir halb zu.
     Es war  diesmal  nicht  Hillel. Charousek  trat  ein,  legte,  wie  zum
Zeichen,  daYA  er  wisse, wer nebenan sei,  den  Finger  an die  Lippen  und
'bersch'ttete  mich in der  ndchsten Sekunde und ohne  abzuwarten,  was  ich
sagen w'rde, mit einem Schwall von Worten:
     "Oh, mein hochverehrter, liebwerter Meister  Pernath, wie  soll ich nur
die Worte finden, Ihnen  meine Freude auszudr'cken, daYA  ich Sie allein  und
wohlauf zu Hause antreffe." - - -  Er sprach wie ein Schauspieler, und seine
schw'lstige, unnat'rliche Redeweise  stand in so krassem Gegensatz zu seinem
verzerrten Gesicht, daYA ich ein tiefes Grauen vor ihm empfand.
     "Niemals hdtte  ich,  Meister, es gewagt, in dem zerlumpten Zustande zu
Ihnen zu  kommen, in  dem Sie  mich gewiYA schon des  cfteren auf der  StraYAe
erblickt  haben,  -  doch, was sage  ich: erblickt! haben  Sie mir doch  oft
huldreich die Hand gereicht.
     DaYA ich heute vor Sie hintreten kann mit weiYAem Kragen und  in sauberem
Anzug,  - wissen Sie, wem  ich es verdanke? Einem der edelsten und  leider -
ach - meist verkannten Menschen unserer Stadt. R'hrung 'bermannt  mich, wenn
ich seiner gedenke.
     Selber in bescheidenen Verhdltnissen, hat er  dennoch eine offene  Hand
f'r Arme und  Bed'rftige.  Von jeher, wenn ich ihn traurig vor seinem  Laden
stehen sah, trieb  es mich aus tiefstem Herzen heraus, zu  ihm zu treten und
ihm stumm die Hand zu dr'cken.
     Vor  einigen Tagen rief er mich an,  als  ich vor'berging, schenkte mir
Geld und versetzte  mich dadurch in die Lage, mir  gegen Ratenzahlung  einen
Anzug kaufen zu kcnnen.
     Und wissen Sie, Meister Pernath, wer mein Wohltdter war? -
     Mit Stolz  sage ich es, denn  ich war von jeher der einzige, der geahnt
hat,  welch  goldenes  Herz  in seinem  Busen schldgt: Es  war - Herr  Aaron
Wassertrum!" - -
     -  -  Ich verstand  nat'rlich,  daYA  Charousek seine  Komcdie  auf  den
Trcdler,  der nebenan lauschte, gem'nzt hatte,  wenn mir auch unklar  blieb,
was er damit bezweckte; keinesfalls schien mir die allzuplumpe  Schmeichelei
geeignet, den miYAtrauischen Wassertrum  hinters Licht  zu f'hren.  Charousek
erriet offenbar aus meiner  bedenklichen Miene, was  ich dachte,  sch'ttelte
grinsend den Kopf, und auch seine ndchsten Worte sollten mir  wahrscheinlich
sagen,  daYA er seinen  Mann  genau kenne und wisse,  wie dick  er  auftragen
d'rfe.
     "Jawohl! Herr - Aaron - Wassertrum! Es dr'ckt mir fast das Herz ab, daYA
ich ihm nicht selbst  sagen  kann,  wie  unendlich  dankbar ich ihm bin, und
beschwcre Sie, Meister, verraten Sie ihm niemals, daYA ich hier war und Ihnen
alles  erzdhlt  habe.  -  Ich weiYA,  die Selbstsucht der  Menschen  hat  ihn
verbittert  und tiefes, unheilbares  -  ach, leider  nur zu gerechtfertigtes
MiYAtrauen in seine Brust gepflanzt.
     Ich bin Seelenarzt,  aber auch mein Gef'hl sagt mir, es  ist am besten:
Herr Wassertrum erfdhrt nie - auch aus meinem Munde nicht - wie hoch ich von
ihm denke. - Es hieYAe das:  Zweifel in sein ungl'ckliches Herz sden. Und das
sei ferne von mir. Lieber soll er mich f'r undankbar halten.
     Meister  Pernath!  Ich  bin  selbst  ein  Ungl'cklicher  und  weiYA  von
Kindesbeinen an,  was es heiYAt, einsam und verlassen in der Welt zu  stehen!
Ich kenne nicht einmal den  Namen  meines Vaters.  Auch mein M'tterlein habe
ich niemals von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie muYA fr'hzeitig gestorben
sein -"  Charouseks Stimme wurde  seltsam geheimnisvoll und eindringlich,  -
"und  war,  wie  ich  bestimmt glaube,  eine  jener tiefseelisch  angelegten
Naturen, die nie sagen kcnnen,  wie unendlich sie lieben, und zu denen  auch
Herr Aaron Wassertrum gehcrt.
     Ich besitze eine abgerissene Seite aus dem Tagebuch meiner Mutter - ich
trage das Blatt bestdndig auf  der Brust -  und  darin steht, daYA sie meinen
Vater, obschon er hdYAlich gewesen sein soll, geliebt hat, wie wohl noch  nie
ein sterbliches Weib auf Erden einen Mann geliebt hat.
     Dennoch scheint sie es nie gesagt  zu haben. - Vielleicht aus dhnlichen
Gr'nden, weshalb ich z.  B. Herrn Wassertrum  nicht sagen kcnnte -  und wenn
mir das Herz dar'ber brdche - was ich f'r ihn an Dankbarkeit f'hle.
     Aber noch eins geht aus dem Tagebuchblatt hervor,  wenn ich es auch nur
erraten  kann, denn die Sdtze  sind  fast unleserlich vor Trdnenspuren: mein
Vater  - sein  Andenken  mcge  vergehen  im  Himmel  und  auf  Erden! -  muYA
scheuYAlich an meiner Mutter gehandelt haben."
     - Charousek fiel  plctzlich  auf die Knie, daYA  der Boden  drchnte, und
schrie in so markersch'tternden Tcnen, daYA ich nicht wuYAte, spielte  er noch
immer Komcdie oder war er wahnsinnig geworden:
     "Du Allmdchtiger,  dessen Namen der Mensch nicht aussprechen soll, hier
auf meinen Knien liege ich vor Dir: verflucht, verflucht, verflucht sei mein
Vater in alle Ewigkeit!"
     Er  biYA das letzte Wort fcrmlich entzwei  und horchte eine Sekunde lang
mit aufgerissenen Augen.
     Dann feixte er wie der Satan. Auch mir schien  es, als hdtte Wassertrum
nebenan leise gestchnt.
     "Verzeihen Sie, Meister," fuhr Charousek nach einer Pause mit mimenhaft
erstickter Stimme fort, "verzeihen Sie, daYA  es mich  'bermannt hat, aber es
ist  mein  Gebet  fr'h  und spdt, der Allmdchtige wolle  es  f'gen, daYA mein
Vater, wer immer er auch sein mcge, dereinst das grdYAlichste Ende nehme, das
sich ausdenken ldYAt."
     Ich wollte unwillk'rlich  etwas erwidern,  allein  Charousek unterbrach
mich rasch:
     "Doch jetzt,  Meister Pernath, komme  ich zu  der Bitte, die  ich Ihnen
vorzutragen habe:
     Herr Wassertrum  besaYA einen Sch'tzling, den er 'ber die MaYAen ins Herz
geschlossen  hatte, - es  d'rfte  ein Neffe von  ihm gewesen sein. Es  heiYAt
sogar, es sei sein Sohn gewesen,  aber ich will es nicht glauben, denn sonst
hdtte  er  doch  denselben  Namen  getragen, in  Wirklichkeit  aber hieYA er:
Wassory, Dr. Theodor Wassory.
     Die  Trdnen treten mir in  die  Augen, wenn  ich ihn im Geiste vor  mir
sehe. Ich war ihm aus ganzer Seele zugetan, als hdtte mich ein unmittelbares
Band der Liebe und Verwandtschaft mit ihm verkn'pft."
     Charousek   schluchzte,   als   kcnne   er   vor   Ergriffenheit   kaum
weitersprechen.
     "Ach, daYA dieser Edeling von der Erde gehen muYAte! - Ach! Ach!
     Was auch  der Grund gewesen sein mag, - ich habe ihn nie erfahren, - er
hat sich selbst den  Tod gegeben.  Und ich  war unter denen,  die  zu  Hilfe
gerufen wurden - - ach, ach, zu spdt - zu  spdt - zu spdt! Und als ich  dann
allein  am  Totenlager  stand  und  seine  kalte,  bleiche Hand  mit  K'ssen
bedeckte,  da -  warum soll ich  es nicht eingestehen, Meister Pernath? - es
war ja doch kein Diebstahl - da nahm ich eine Rose von der  Brust der Leiche
und eignete mir das Fldschchen an, mit dessen Inhalt der Ungl'ckliche seinem
bl'henden Leben ein schnelles Ende bereitet hatte."
     Charousek zog eine Medizinflasche hervor und fuhr bebend fort:
     "Beides lege  ich hier auf  Ihren  Tisch,  die verdorrte  Rose und  die
Phiole; sie waren mir ein Andenken an meinen dahingegangenen Freund.
     Wie  oft  in  Stunden  innerer Verlassenheit,  wenn  ich  mir  den  Tod
herbeiw'nschte  in  der Einsamkeit  meines  Herzens und  der  Sehnsucht nach
meiner toten Mutter, spielte ich mit diesem Fldschchen, und es gab mir einen
seligen Trost, zu  wissen:  ich brauchte nur die Fl'ssigkeit auf ein Tuch zu
gieYAen und  einzuatmen und schwebte schmerzlos  hin'ber in  die Gefilde,  wo
mein lieber, guter Theodor ausruht von den M'hsalen unseres Jammertales.
     Und  nun  bitte ich Sie, hochverehrter Meister, - und  deswegen bin ich
hergekommen - nehmen Sie beides und bringen Sie es Herrn Wassertrum.
     Sagen  Sie,  Sie  hdtten  es  von  jemandem bekommen,  dem Dr.  Wassory
nahestand,  dessen  Namen  Sie  jedoch  gelobt  hdtten,  nie  zu  nennen,  -
vielleicht von einer Dame.
     Er  wird es glauben,  und  es wird  ihm ein Andenken sein,  wie es  ein
teures Andenken f'r mich war.
     Das soll der heimliche Dank sein, den ich ihm gebe. Ich bin arm  und es
ist  alles, was ich habe,  aber es macht mich  froh,  zu wissen: beides wird
jetzt ihm gehcren, und dennoch ahnt er nicht, daYA ich der Geber bin.
     Es liegt darin zugleich auch f'r mich etwas unendlich S'YAes.
     Und  jetzt leben  Sie  wohl, teurer Meister, und  seien  Sie  im voraus
vieltausendmal bedankt."
     Er hielt  meine  Hand fest,  zwinkerte und fl'sterte mir, als  ich noch
immer nicht verstand, kaum hcrbar etwas zu.
     "Warten  Sie,   Herr   Charousek,   ich   werde   Sie   ein   St'ckchen
hinunterbegleiten", sagte ich  mechanisch die Worte nach, die ich von seinen
Lippen las, und ging mit ihm hinaus.
     Auf dem finsteren Treppenabsatz im ersten Stock blieben wir stehen, und
ich wollte mich von Charousek verabschieden.
     "Ich kann mir denken, was Sie mit der Komcdie bezweckt haben. - - Sie -
Sie wollen,  daYA sich Wassertrum mit dem Fldschchen vergiftet!" Ich sagte es
ihm ins Gesicht.
     "Freilich", gab Charousek aufgerdumt zu.
     "Und dazu, glauben Sie, werde ich meine Hand bieten?"
     "Durchaus nicht nctig."
     "Aber ich  sollte  Wassertrum doch  die  Flasche  bringen,  sagten  Sie
vorhin!"
     Charousek sch'ttelte den Kopf:
     "Wenn  Sie  jetzt  zur'ckgehen, werden Sie  sehen,  daYA  er sie bereits
eingesteckt hat."
     "Wie kcnnen Sie das nur annehmen?",  fragte ich  erstaunt. "Ein  Mensch
wie Wassertrum  wird sich  niemals umbringen,  -  ist viel  zu  feig  dazu -
handelt nie nach plctzlichen Impulsen."
     "Da kennen Sie das schleichende Gift der  Suggestion nicht", unterbrach
mich Charousek ernst. "Hdtte ich in alltdglichen Worten geredet,  w'rden Sie
vielleicht recht behalten, aber auch den kleinsten Tonfall habe  ich  vorher
berechnet. Nur das widerlichste Pathos wirkt auf solche Hundsfctter! Glauben
Sie mir! Sein Mienenspiel bei jedem meiner Sdtze hdtte ich Ihnen hinzeichnen
kcnnen.  - Kein ›Kitsch‹ wie  es die Maler nennen, ist niedertrdchtig genug,
als daYA er nicht der bis  ins Mark  verlogenen Menge Trdnen  entlockte - sie
ins Herz trifft! Glauben Sie denn, man hdtte nicht ldngst  sdmtliche Theater
mit   Feuer  und  Schwert   ausgetilgt,   wenn   es  anders  wdre?  An   der
Sentimentalitdt  erkennt  man  die  Kanaille.  Tausende  armer Teufel kcnnen
verhungern, da wird nicht geweint, aber wenn ein Schminkkamel auf der Buhne,
als Bauerntrampel  verkleidet, die Augen verdreht,  dann heulen  sie wie die
SchloYAhunde. - -  Wenn Vdterchen Wassertrum vielleicht auch morgen vergessen
hat,  was ihm soeben  noch  - Herzjauche kostete:  jedes meiner  Worte  wird
wieder  in ihm  lebendig werden, wenn die Stunden  reifen, wo er sich selbst
unendlich bedauernswert vorkommt. - In solchen Momenten des groYAen Misereres
bedarf es bloYA eines leisen AnstoYAes, -  und f'r den werde  ich sorgen - und
selbst  die feigste Pfote  greift nach dem Gift. Es  muYA nur zur Hand  sein!
Theodorchen hdtte wahrscheinlich auch nicht zugegrapst, wenn ich's ihm nicht
so bequem gemacht hdtte."
     "Charousek,  Sie  sind ein  furchtbarer  Mensch",  rief  ich  entsetzt.
"Empfinden Sie denn gar kein - - -"
     Er hielt mir schnell den Mund zu und drdngte mich in eine Mauernische!
     "Still! Da ist er!"
     Mit taumelnden Schritten, sich an der Wand st'tzend, kam Wassertrum die
Stiege herunter und wankte an uns vor'ber.
     Charousek sch'ttelte mir fluchtig die Hand und schlich ihm nach. - -
     Als ich in mein Zimmer zur'ckgekehrt war, sah ich, daYA die Rose und das
Fldschchen verschwunden waren und an ihrer Stelle die goldene, zerbeulte Uhr
des Trcdlers auf dem Tisch lag.
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     "Acht Tage m'sse ich warten, ehe  ich mein Geld bekommen  kcnne; es sei
das die 'bliche K'ndigungsfrist", hatte man mir auf der Bank gesagt.
     Man solle den Direktor holen, denn ich sei in grcYAter Eile und geddchte
in einer Stunde abzureisen, hatte ich eine Ausrede gebraucht.
     Er sei nicht zu sprechen und kcnne an den Gepflogenheiten der Bank auch
nichts  dndern,  hieYA es, und ein  Kerl mit einem Glasauge, der zugleich mit
mir an den Schalter getreten war, hatte dar'ber gelacht.
     Acht graue, furchtbare Tage auf den Tod sollte ich also warten!
     Wie ein Zeitraum ohne Ende kam es mir vor. - - -
     Ich  war so niedergeschlagen, daYA ich mir gar  nicht bewuYAt wurde,  wie
lange ich schon  vor der  T're eines Kaffeehauses auf und nieder geschritten
sein mochte.
     Endlich trat ich ein, bloYA  um  den widerwdrtigen Kerl mit dem Glasauge
los zu werden,  der mir von der Bank her nachgekommen war und sich immer  in
meiner  Ndhe  hielt  und,  wenn  ich  ihn  anblickte, sofort auf  dem  Boden
herumsuchte, als habe er etwas verloren.
     Er  hatte  einen  hellkarierten,  viel zu engen Rock  an und  schwarze,
speckgldnzende  Hosen, die  ihm  wie  Sdcke um  die  Beine schlotterten. Auf
seinem linken Stiefel war ein  eifcrmiger, gewclbter Lederfleck aufgesteppt,
daYA es aussah, als tr'ge er darunter einen Siegelring auf der Zehe.
     Kaum hatte ich mich niedergesetzt, kam auch  er herein und lieYA sich an
einem Nebentisch nieder.
     Ich glaubte,  er wolle mich  anbetteln, und  suchte  schon  nach meinem
Portemonnai,  da  sah  ich  einen  groYAen  Brillanten  an  seinen  wulstigen
Metzgerfingern aufblitzen.
     Stunden und Stunden saYA ich in  dem Kaffeehaus und glaubte vor  innerer
Nervositdt wahnsinnig werden zu m'ssen,  - aber wohin sollte ich gehen? Nach
Hause? Herumschlendern? Eines schien mir grdYAlicher als das andere.
     Die veratmete  Luft, das ewige,  alberne Klappen der Billardkugeln, das
trockene,  unaufhcrliche  Gerausper  eines  halbblinden  Zeitungstigers  mir
gegen'ber, ein storchbeiniger Infanteneleutnant, der abwechselnd in der Nase
bohrte oder sich mit gelben Zigarettenfingern  vor einem  Taschenspiegel den
Schnurrbart kdmmte, ein braunsammetenes Gebrodel ekelhafter,  verschwitzter,
schnatternder  Italiener  um  den  Kartentisch in der Ecke,  die  bald unter
gellem Gekreisch  ihre Trumpfe mit dem Faustknochel hinschlugen, bald  unter
Brecherscheinungen ins Zimmer  spuckten. Und  das alles in den  Wandspiegeln
doppelt und  dreifach sehen zu m'ssen! Es sog mir  langsam das Blut aus  den
Adern. -
     Es wurde  allmdhlich dunkel  und ein plattfuYAiger, knieweicher  Kellner
tastete mit einer Stange nach den Gasl'stern, um sich endlich kopfsch'ttelnd
zu 'berzeugen, daYA sie nicht brennen wollten.
     So oft  ich das Gesicht wandte,  immer  begegnete  ich  dem schielenden
Wolfsblick des Glasdugigen, der sich dann jedesmal rasch hinter eine Zeitung
versteckte oder seinen schmutzigen Schnurrbart  in die langst  ausgetrunkene
Kaffeetasse tauchte.
     Er hatte seinen steifen, runden Hut tief aufgest'lpt, daYA ihm die Ohren
fast waagerecht abstanden, machte aber keine Miene, aufzubrechen.
     Es war nicht mehr auszuhalten.
     Ich zahlte und ging.
     Als ich die Glast'r hinter mir  zumachen  wollte, nahm mir  jemand  die
Klinke aus der Hand - Ich drehte mich um:
     Wieder der Kerl!
     Drgerlich wollte  ich nach links biegen, in der Richtung der Judenstadt
zu, da drdngte er sich an meine Seite und hinderte mich daran.
     "Da hcrt denn doch alles auf!" schrie ich ihn an.
     "Nach rechts geht's," sagte er kurz.
     "Was soll das heiYAen?"
     Er fixierte mich frech:
     "Sie sind der Pernath!"
     "Sie wollen wahrscheinlich sagen: Herr Pernath?"
     Er lachte nur hdmisch:
     "Alsdann keine Faxen jetz! Sie gah'n Sie mit!"
     "Ja, sind Sie toll? Wer sind Sie eigentlich?", fuhr ich auf.
     Er gab keine Antwort, schlug seinen Rock zur'ck  und zeigte  vorsichtig
auf einen abgeschabten Blechadler, der im Futter festgesteckt war.
     Ich begriff: der Falott war Geheimpolizist und verhaftete mich.
     "So sagen Sie doch, um Himmels willen, was ist denn los?"
     "Sie werden sich's  schonn erfahrrdhn. Auf  dem Ddpartemdnt", erwiderte
er grob. "Alla marsch jetz!"
     Ich schlug ihm vor, ich wollte einen Wagen nehmen.
     "Nix da!"
     Wir gingen zur Polizei.
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     Ein Gendarm f'hrte mich vor eine T'r.
     ALOIS OTSCHIN
     Polizeirat
     las ich auf der Porzellantafel.
     "Sie kdnnen sich eintrdtten", sagte der Gendarm.
     Zwei schmierige Schreibtische mit meterhohen Aufsdtzen standen einander
gegen'ber.
     Ein paar verkraxte St'hle dazwischen.
     Das Bild des Kaisers an der Wand.
     Ein Glas mit Goldfischen auf dem Fensterbrett.
     Sonst nichts im Zimmer.
     Ein KlumpfuYA und daneben ein  dicker Filzschuh unter zerfransten grauen
Hosen hinter dem linken Schreibpult.
     Ich  hcrte  rascheln.  Jemand  murmelte  ein paar Worte  in  bchmischer
Sprache  und  gleich darauf  tauchte  der  Herr Polizeirat aus  dem  rechten
Schreibtisch auf und trat vor mich hin.
     Er war ein  kleiner Mann mit grauem Spitzbart  und hatte die sonderbare
Manier, bevor er anfing zu reden, die Zdhne  zu fletschen wie jemand, der in
grelles Sonnenlicht schaut.
     Dabei kniff er  die  Augen hinter den Brillenglasern  zusammen, was ihm
den Ausdruck furchterregender Niedertracht verlieh.
     "Sie heiYAen  Athanasius Pernath  und sind"  - er blickte auf  ein Blatt
Papier, auf dem nichts stand - "Gemmenschneider."
     Sofort  kam Leben in den KlumpfuYA unter dem  anderen  Schreibtisch:  er
wetzte sich an dem Stuhlbein, und ich hcrte das Rauschen einer Schreibfeder.
     Ich bejahte:
     "Pernath. Gemmenschneider."
     "No, da  sin  wir ja  gleich beisammen, Herr  - -  -  Pernath, - jawohl
Pernath. Ja  wohl  ja."  -  Der  Herr Polizeirat war  mit  einem Schlag  von
erstaunlicher Liebensw'rdigkeit,  als  hdtte er die erfreulichste  Nachricht
von der Welt bekommen, streckte mir beide Hdnde entgegen und bem'hte sich in
ldcherlicher Weise, die Miene eines Biedermannes aufzusetzen.
     "Also, Herr Pernath,  erzdhlen Sie mir einmal,  was treiben Sie so  den
ganzen Tag?"
     "Ich glaube,  daYA Sie das nichts angeht, Herr  Otschin", antwortete ich
kalt.
     Er kniff die Augen zusammen, wartete einen Moment und fuhr blitzschnell
los:
     "Seit wann hat die Grdfin ihr Verhdltnis mit dem Savioli?"
     Ich war auf  etwas Dhnliches gefaYAt gewesen  und zuckte  nicht  mit der
Wimper.
     Er suchte mich geschickt durch Kreuz- und Querfragen in Widerspr'che zu
verwickeln, aber, so sehr mir auch vor Entsetzen das Herz  im  Halse schlug,
ich verriet mich nicht und kam immer wieder darauf zur'ck, daYA ich den Namen
Savioli nie gehcrt  hdtte, mit Angelina von meinem Vater her befreundet sei,
und daYA sie schon cfter Kameen bei mir bestellt habe.
     Ich f'hlte trotzdem  genau,  daYA der Polizeirat mir ansah, wie  ich ihn
belog,  und  innerlich  schdumte vor Wut, nichts  aus mir  herausbekommen zu
kcnnen.
     Er dachte eine  Weile nach, dann zog er  mich am  Rock dicht  an  sich,
deutete warnend mit dem Daumen auf den linken Schreibtisch und fl'sterte mir
ins Ohr:
     "Athanasius! Ihr  seliger  Vater war mein bester  Freund. Ich  will Sie
retten, Athanasius! Aber Sie m'ssen mir alles sagen 'ber die Grdfin. - Hcren
Sie: alles."
     Ich begriff nicht, was das  bedeuten sollte. "Was meinen Sie damit: Sie
wollen mich retten?", fragte ich laut.
     Der KlumpfuYA  stampfte drgerlich  auf den  Boden.  Der Polizeirat wurde
aschgrau im Gesicht vor HaYA. Zog die Lippe empor. Wartete.  - Ich wuYAte, daYA
er gleich wieder losspringen w'rde;  (sein Verbl'ffungssystem erinnerte mich
an  Wassertrum)  und wartete  ebenfalls,  - sah,  daYA ein  Bocksgesicht, der
Inhaber des KlumpfuYAes, lauernd hinter dem Schreibpulte  auftauchte - - dann
schrie mich der Polizeirat plctzlich gellend an:
     "Mcrder".
     Ich war sprachlos vor Verbl'ffung.
     MiYAmutig zog sich das Bocksgesicht wieder hinter sein Pult zur'ck.
     Auch der  Herr Polizeirat  schien ziemlich  betreten  'ber  meine Ruhe,
versteckte es  aber  geschickt,  indem  er einen Stuhl  herbeizog  und  mich
aufforderte, Platz zu nehmen.
     "Sie verweigern also, 'ber  die Grdfin die von  mir gew'nschte Auskunft
zu geben, Herr Pernath?"
     "Ich kann sie nicht geben,  Herr Polizeirat,  wenigstens nicht  in  dem
Sinne, wie Sie erwarten. Erstens kenne  ich niemand namens Savioli, und dann
bin ich felsenfest 'berzeugt,  daYA  es  eine Verleumdung ist,  wenn man  der
Grdfin nachsagt, sie hintergehe ihren Gatten."
     "Sind Sie bereit, das zu beeiden?"
     Mir stockte der Atem. "Ja! Jederzeit."
     "Gut. Hm."
     Eine  ldngere  Pause  entstand,   wdhrend  der  Polizeirat  angestrengt
nachzugr'beln schien.
     Als  er  mich  wieder  anblickte, lag  ein  komcdiantenhafter  Zug  von
Schmerzlichkeit  in  seiner  Fratze. Unwillk'rlich  muYAte  ich  an Charousek
denken, wie er dann mit trdnenerstickter Stimme anfing:
     "Mir kcnnen Sie  es doch  sagen,  Athanasius, - mir, dem  alten  Freund
Ihres Vaters -  mir,  der Sie auf den  Armen getragen  hat -" ich konnte das
Lachen kaum verbeiYAen:  er war hcchstens zehn Jahre  dlter als ich -  "nicht
wahr, Athanasius, es war Notwehr?"
     Das Bocksgesicht erschien abermals.
     "Was war Notwehr?", fragte ich verstdndnislos.
     "Das mit dem - - - Zottmann!" schrie mir der Polizeirat einen Namen ins
Gesicht.
     Das Wort traf mich wie ein Dolchstich: Zottmann! Zottmann! Die Uhr! Der
Name Zottmann stand doch in der Uhr eingraviert.
     Ich f'hlte,  wie  mir alles Blut  zum Herzen  strcmte:  Der grauenhafte
Wassertrum hatte mir die Uhr gegeben, um den Verdacht des Mordes auf mich zu
lenken.
     Sofort warf der Polizeirat die Maske ab, fletschte  die Zdhne und kniff
die Augen zusammen:
     "Sie gestehen also den Mord ein, Pernath?"
     "Das ist alles ein Irrtum.  Ein entsetzlicher Irrtum.  Um Gottes willen
hcren Sie mich an. Ich kann es Ihnen erkldren, Herr Polizeirat - -!", schrie
ich.
     "Werden Sie mir jetzt alles  mitteilen  in bezug  auf die Frau Grdfin",
unterbrach  er  mich rasch: "ich mache Sie aufmerksam: Sie  verbessern  Ihre
Lage damit."
     "Ich  kann nicht  mehr sagen, als bereits geschehen ist: die Grdfin ist
unschuldig."
     Er biYA die Zdhne zusammen und wandte sich an das Bocksgesicht:
     "Schreiben   Sie:  -   Also,   Pernath   gesteht   den   Mord  an   dem
Versicherungsbeamten Karl Zottmann ein."
     Mich packte eine besinnungslose Wut.
     "Sie Polizeikanaille!" br'llte ich los, "was unterstehen Sie sich?!"
     Ich suchte nach einem schweren Gegenstand.
     Im  ndchsten  Augenblick  hatten mich  zwei Schutzleute gepackt und mir
Handschellen angelegt.
     Der Polizeirat bldhte sich jetzt wie der Hahn auf dem Mist:
     "Und die Uhr da?", - er hielt plctzlich die  verbeulte Uhr in der Hand,
- "hat  der  ungl'ckliche Zottmann noch gelebt, als Sie  ihn beraubten, oder
nicht?"
     Ich  war  wieder  ganz ruhig geworden  und gab  mit  klarer  Stimme  zu
Protokoll: "Die Uhr hat  mir  heute vormittag der Trcdler Aaron Wassertrum -
geschenkt."
     Ein  wieherndes Geldchter brach los,  und ich sah, wie der KlumpfuYA und
der  Filzpantoffel  mitsammen  einen  Freudentanz  unter  dem   Schreibtisch
auff'hrten.

     Die  Hdnde  gefesselt,   hinter  mir  ein  Gendarm  mit  aufgepflanztem
Bajonett, muYAte ich durch die abendlich beleuchteten StraYAen gehen.
     Gassenjungen  zogen in Scharen  johlend  links und  rechts  mit, Weiber
rissen die  Fenster auf, drohten  mit  Kochlcffeln  herunter  und schimpften
hinter mir drein.
     Schon von weitem sah ich  den massigen Steinw'rfel des Gerichtsgebdudes
mit der Inschrift auf dem Giebel herannahen:
     "Die strafende Gerechtigkeit ist die Beschirmung aller Braven."
     Dann nahm mich ein riesiges Tor auf und ein Flurzimmer, in  dem es nach
K'che stank.
     Ein vollbdrtiger Mann mit Sdbel, Beamtenrock und -m'tze, barfuYA und die
Beine  in langen, um die Kncchel zusammengebundenen  Unterhosen,  stand auf,
stellte  die  Kaffeem'hle,  die er zwischen den Knien hielt, weg  und befahl
mir, mich auszuziehen.
     Dann visitierte er meine Taschen, nahm alles heraus, was er darin fand,
und fragte mich, ob ich - Wanzen hdtte.
     Als  ich verneinte, zog er mir die Ringe von den Fingern und sagte,  es
sei gut, ich kcnnte mich wieder ankleiden.
     Man  f'hrte mich  mehrere Stockwerke  hinauf und durch  Gdnge, in denen
vereinzelt  groYAe,  graue,  verschlieYAbare   Kisten  in  den  Fensternischen
standen.
     Eiserne T'ren mit Riegelstangen und kleinen, vergitterten Ausschnitten,
'ber jedem eine  Gasflamme,  zogen  sich in  ununterbrochener Reihe die Wand
entlang.
     Ein  h'nenhafter, soldatisch  aussehender Gefangenwdrter  -  das  erste
ehrliche Gesicht  seit  Stunden - sperrte eine der T'ren auf, schob  mich in
eine dunkle, schrankartige, pestilenzialisch stinkende  Cffnung  und  schloYA
hinter mir ab.
     Ich stand in vollkommener Finsternis und tappte mich zurecht.
     Mein Knie stieYA an einen Blechk'bel.
     Endlich erwischte ich - der Raum war so eng, daYA ich mich kaum umdrehen
konnte - eine Klinke, und stand in - einer Zelle.
     Je zwei und zwei Pritschen mit Strohsdcken an den Mauern.
     Der Durchgang dazwischen nur einen Schritt breit.
     Ein  Quadratmeter Gitterfenster hoch  oben  in der  Querwand  lieYA  den
matten Schein des Nachthimmels herein.
     Unertrdgliche Hitze, vom Geruch alter Kleider verpestete  Luft erf'llte
den Raum.
     Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewchnt hatten, sah ich, daYA auf
drei  der  Pritschen  -  die   vierte  war   leer  -  Menschen   in   grauen
Strdflingskleidern  saYAen; die  Arme auf die Knie gest'tzt und die Gesichter
in den Hdnden vergraben.
     Keiner sprach ein Wort.
     Ich setzte mich auf das leere Bett und wartete. Wartete. Wartete.
     Eine Stunde.
     Zwei - drei Stunden!
     Wenn ich drauYAen einen Schritt zu hcren glaubte, fuhr ich auf:
     Jetzt,  jetzt kam  man mich  holen,  um  mich  dem Untersuchungsrichter
vorzuf'hren.
     Jedesmal war es eine  Tduschung gewesen. Immer wieder verloren sich die
Schritte auf dem Gang.
     Ich riYA mir den Kragen auf - glaubte, ersticken zu m'ssen.
     Ich hcrte, wie ein Gefangener nach dem andern sich dchzend ausstreckte.
     "Kann man denn das Fenster  da oben  nicht aufmachen?", fragte ich voll
Verzweiflung laut  in  die Dunkelheit hinein. Ich  erschrak fast  vor meiner
eigenen Stimme.
     "Es geht net", antwortete es m'rrisch von einem der Strohsdcke her'ber.
     Ich tastete trotzdem mit der Hand an der Schmalwand entlang:  ein Brett
in  Brusthche  lief quer  hin  -  - - zwei  Wasserkr'ge  -  -  -  St'cke von
Brotrinden.
     M'hsam kletterte ich hinauf, hielt mich  an den Gitterstdben und preYAte
das Gesicht an die Fensterritzen, um wenigstens etwas frische Luft zu atmen.
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     So stand ich,  bis  mir die  Knie zitterten. Eintcniger,  schwarzgrauer
Nachtnebel vor meinen Augen.
     Die kalten Eisenstdbe schwitzten.
     Es muYAte bald Mitternacht sein.
     Hinter mir  hcrte ich schnarchen. Nur einer  schien  nicht  schlafen zu
kcnnen: er warf sich hin und her auf dem Stroh und stchnte manchmal halblaut
auf.
     Wollte denn der Morgen nicht endlich kommen?! Da! Es schlug wieder.
     Ich zdhlte mit bebenden Lippen:
     Eins, zwei, drei! - Gott sei Dank, nur noch wenige Stunden,  dann muYAte
die Ddmmerung kommen. Es schlug weiter:
     Vier? f'nf? - Der SchweiYA trat mir  auf die Stirn. - Sechs!! - Sieben -
- - es war elf Uhr.
     Erst eine Stunde war vergangen, seit ich das letzte  Mal hatte schlagen
hcren.
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     Allmdhlich legten sich meine Gedanken zurecht:
     Wassertrum hat mir  die Uhr  des vermiYAten Zottmann zugespielt, um mich
in Verdacht zu bringen, einen Mord begangen zu haben. - Er muYAte also selbst
der  Mcrder sein; wie hdtte er sonst  in den Besitz  der Uhr  kommen kcnnen?
W'rde er  die Leiche irgendwo gefunden und dann erst beraubt haben, hdtte er
sich bestimmt die  tausend Gulden Belohnung  geholt, die  f'r die Entdeckung
des VermiYAten cffentlich ausgesetzt waren. - Das konnte aber nicht sein: die
Plakate klebten  noch immer an den StraYAenecken, wie ich deutlich auf meinem
Weg ins Gefdngnis gesehen hatte. - - -
     DaYA der Trcdler mich angezeigt haben muYAte, war klar.
     Ebenso:  daYA  er  mit  dem  Polizeirat, wenigstens was Angelina betraf,
unter einer Decke steckte. Wozu sonst das Verhcr wegen Savioli?
     Andererseits ging daraus hervor,  daYA  Wassertrum Angelinas Briefe noch
nicht in Hdnden hatte.
     Ich gr'belte nach - - -
     Mit einem Schlag stand  alles mit  entsetzlicher Deutlichkeit  vor mir,
als wdre ich selbst dabei gewesen.
     Ja; nur so konnte es sein: Wassertrum hatte meine eiserne  Kassette, in
der  er Beweise  vermutete, heimlich an sich  genommen,  als er  gerade  mit
seinen  Polizeikomplizen meine Wohnung  durchstcberte,  - konnte  sie  nicht
sogleich cffnen, da ich den Schl'ssel bei mir trug, und war - - - vielleicht
gerade jetzt daran, sie in seiner Hchle aufzubrechen.
     In  wahnsinniger  Verzweiflung  r'ttelte  ich an den Gitterstdben,  sah
Wassertrum im Geiste vor mir, wie er in Angelinas Briefen w'hlte -
     Wenn   ich  nur  Charousek  benachrichtigen  kcnnte,  daYA   er  Savioli
wenigstens rechtzeitig warnen ging!
     Einen Augenblick klammerte ich mich  an die  Hoffnung, meine Verhaftung
m'sse bereits wie ein Lauffeuer in der Judenstadt bekannt geworden sein, und
ich  vertraute auf Charousek wie  auf  einen  rettenden Engel.  Gegen  seine
infernalische Schlauheit kam der Trcdler nicht auf; "Ich werde ihn  genau in
der  Stunde  an der  Gurgel haben, in der er  Dr. Savioli an den Hals will",
hatte Charousek schon einmal gesagt.
     In der ndchsten Minute wieder verwarf  ich alles, und eine  wilde Angst
packte mich: Wie, wenn Charousek zu spdt kam?
     Dann war Angelina verloren. - - -
     Ich  biYA mir die  Lippen blutig und zerkrallte mir die  Brust aus Reue,
daYA ich die Briefe damals nicht sofort verbrannt hatte; -  - - ich schwor es
mir zu, Wassertrum noch in derselben Stunde aus der Welt zu schaffen, wo ich
wieder auf freiem FuYA sein w'rde.
     Ob ich von eigener Hand starb oder am Galgen - was lag mir daran!
     DaYA  der Untersuchungsrichter meinen Worten glauben w'rde, wenn ich ihm
die Geschichte mit der Uhr  plausibel machte, ihm von Wassertrums  Drohungen
erzdhlte, - keinen Augenblick zweifelte ich daran.
     Bestimmt morgen  schon muYAte ich frei sein; zumindest w'rde das Gericht
auch Wassertrum wegen Mordverdachts verhaften lassen.
     Ich zdhlte die Stunden und betete, daYA  sie rascher  vergehen  mcchten;
starrte hinaus in den schwdrzlichen Dunst.
     Nach  unsdglich  langer  Zeit fing es endlich an, heller zu werden, und
zuerst  wie ein dunkler Fleck, dann immer deutlicher, tauchte ein kupfernes,
riesiges Gesicht  aus  dem Nebel: das Zifferblatt einer  alten Turmuhr. Doch
die Zeiger fehlten; - neuerliche Qual.
     Dann schlug es f'nf.
     Ich hcrte, wie  die Gefangenen erwachten und  gdhnend eine Unterhaltung
in bchmischer Sprache f'hrten.
     Eine Stimme kam  mir  bekannt  vor; ich  drehte mich um, stieg von  dem
Brett  herunter  und  -  sah  den blatternarbigen  Loisa auf  der  Pritsche,
gegen'ber der meinigen, sitzen und mich verwundert anstarren.
     Die  beiden  anderen  waren  Gesellen  mit  verwegenen  Gesichtern  und
musterten mich geringschdtzig.
     "Defraudant? Was?", fragte der eine halblaut seinen Kameraden und stieYA
ihn mit dem Ellenbogen an.
     Der  Gefragte  brummte  irgend  etwas  verdchtlich,  kramte  in  seinem
Strohsack, holte ein schwarzes Papier hervor und legte es auf den Boden.
     Dann sch'ttete er aus dem Krug ein  wenig Wasser darauf, kniete nieder,
bespiegelte sich darin  und  kdmmte  sich  mit den Fingern das Haar  in  die
Stirn.
     Hierauf  trocknete  er  das  Papier  mit  zdrtlicher  Sorgfalt  ab  und
versteckte es wieder unter der Pritsche.
     "Pan  Pernath,  Pan   Pernath",  murmelte  Loisa  dabei  bestdndig  mit
aufgerissenen Augen vor sich hin, wie jemand, der ein Gespenst sieht.
     "Die  Herrschaften  kennen  einand,  wie  ich   bemerkc",   sagte   der
Ungekdmmte,   dem   dies  auffiel,   in  dem   geschraubten  Dialekt   eines
tschechischen  Wieners  und machte  mir  spcttisch  eine  halbe  Verbeugung:
"Erlaubens mich vorzustellen: Vussatka ist mein Name. Der schwarze Vussatka.
- Brandstiftung", setzte er eine Oktave tiefer stolz hinzu.
     Der Frisierte spuckte  zwischen den  Zdhnen durch,  blickte  mich  eine
Weile verdchtlich an, deutete sich dann auf die Brust und sagte lakonisch:
     "Einbruch."
     Ich schwieg.
     "No, und zweng wos f'r einen Verdachtc sin Sie hier, Herr Graf?" fragte
der Wiener nach einer Pause.
     Ich 'berlegte einen Moment, dann sagte ich ruhig: "Wegen Raubmord".
     Die beiden  fuhren verbl'fft  auf, der  spcttische  Ausdruck  auf ihren
Gesichtern machte einer Miene grenzenloser Hochachtung Platz, und sie riefen
fast wie aus einem Munde:
     "Rdschpdkt, Rdschpdkt."
     Als sie sahen, daYA ich keine Notiz  von ihnen nahm,  zogen sie sich  in
die Ecke zur'ck und unterhielten sich fl'sternd miteinander.
     Nur einmal stand  der Frisierte  auf, kam zu mir, pr'fte schweigend die
Muskeln meines  Oberarms und  ging  dann  kopfsch'ttelnd  zu  seinem  Freund
zur'ck.
     "Sie sind doch auch unter  dem Verdacht hier, den  Zottmann ermordet zu
haben?" fragte ich Loisa unauffdllig.
     Er nickte. "Ja, schon lang."
     Wieder vergingen einige Stunden.
     Ich schloYA die Augen und stellte mich schlafend.
     "Herr  Pernath. Herr Pernath!" hcrte  ich  plctzlich ganz  leise Loisas
Stimme.
     "Ja?" - - - Ich tat, als erwachte ich.
     "Herr  Pernath?, bitte entschuldigen Sie,  - bitte - bitte, wissen  Sie
nicht, was  die  Rosina macht?  -  Ist sie zu  Hause?", stotterte  der  arme
Bursche. Er tat  mir unendlich leid, wie er mit seinen entz'ndeten  Augen an
meinen Lippen hing und vor Aufregung die Hdnde verkrampfte.
     "Es geht ihr gut. Sie - sie ist jetzt Kellnerin beim - - alten Ungelt",
log ich.
     Ich sah, wie er erleichtert aufatmete.
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     Zwei Strdflinge hatten auf einem Brett Blechtcpfe mit heiYAem Wurstabsud
stumm hereingebracht  und drei davon in  die Zelle  gestellt,  dann knallten
nach einigen Stunden abermals  die  Riegel und der Aufseher f'hrte  mich zum
Untersuchungsrichter.
     Mir schlotterten die  Knie  vor  Erwartung,  wie wir  treppauf, treppab
schritten.
     "Glauben Sie, ist es mcglich, daYA ich  heute noch freigelassen werde?",
fragte ich den Aufseher beklommen.
     Ich sah, wie er mitleidig ein Ldcheln unterdr'ckte. "Hm. Heute noch? Hm
- - Gott, - mcglich ist ja alles." -
     Mir wurde eiskalt.
     Wieder las ich eine Porzellantafel an einer T'r und einen Namen:


     Wieder  ein  schmuckloses  Zimmer und zwei  Schreibpulte mit meterhohen
Aufsdtzen.
     Ein  alter,  groYAer  Mann mit  weiYAem,  geteiltem  Vollbart,  schwarzem
Gehrock, roten, wulstigen Lippen, knarrenden Stiefeln.
     "Sie sind Herr Pernath?"
     "Jawohl."
     "Gemmenschneider?"
     "Jawohl."
     "Zelle Nr. 70?"
     "Jawohl."
     "Des Mordes an Zottmann verddchtig?"
     "Ich bitte, Herr Untersuchungsrichter - -"
     "Des Mordes an Zottmann verddchtig?"
     "Wahrscheinlich. Wenigstens vermute ich es. Aber - -"
     "Gestdndig?"
     "Was  soll  ich denn gestehen, Herr Untersuchungsrichter, ich  bin doch
unschuldig!"
     "Gestdndig?"
     "Nein."
     "Dann  verhdnge ich Untersuchungshaft 'ber Sie. -  F'hren Sie den  Mann
hinaus, Gefangenwdrter."
     "Bitte, so hcren Sie mich doch an, Herr Untersuchungsrichter, - ich muYA
unbedingt heute noch zu Hause sein. Ich habe wichtige Dinge zu veranlassen -
-"
     Hinter dem zweiten Schreibtisch meckerte jemand.
     Der Herr Baron schmunzelte. -
     "F'hren Sie den Mann hinaus, Gefangenwdrter."
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     Tag um Tag schlich dahin, Woche um Woche, und immer noch saYA ich in der
Zelle.
     Um zwclf Uhr  durften wir tdglich hinunter in den  Gefdngnishof und mit
anderen Untersuchungsgefangenen und Strdflingen zu zweit 40 Minuten im Kreis
herumgehen auf der nassen Erde.
     Miteinander zu reden, war verboten.
     In der Mitte des Platzes stand ein  kahler, sterbender Baum, in  dessen
Rinde ein ovales Glasbild der Muttergottes eingewachsen war.
     An  den  Mauern  wuchsen k'mmerliche Ligusterstauden, die  Bldtter fast
schwarz vom fallenden RuYA.
     Ringsum die  Gitter  der  Zellen, aus  denen  zuweilen  ein  kittgraues
Gesicht mit blutleeren Lippen herunterschaute.
     Dann ging's  wieder hinauf in die gewohnten  Gr'fte zu Brot, Wasser und
Wurstabsud und sonntags zu faulenden Linsen.
     Erst einmal war ich wieder vernommen worden:
     Ob  ich  Zeugen  hdtte,  daYA mir  "Herr"  Wassertrum angeblich  die Uhr
geschenkt habe?
     "Ja: Herrn Schemajah Hillel  - - das heiYAt - nein" (ich erinnerte mich,
er  war nicht dabei gewesen) - - "aber Herr Charousek" - (nein, auch er  war
ja nicht dabei).
     "Kurz: also niemand war dabei?"
     "Nein, niemand war dabei, Herr Untersuchungsrichter."
     Wieder das Gemecker hinter dem Schreibtisch und wieder das:
     "F'hren Sie den Mann hinaus, Gefangenwdrter!" - - -
     Meine Besorgnis um Angelina war einer dumpfen Resignation gewichen: Der
Zeitpunkt, wo ich um sie zittern  muYAte,  war vor'ber. Entweder  Wassertrums
Racheplan war ldngst gegl'ckt, oder Charousek hatte eingegriffen, sagte  ich
mir.
     Aber die Sorge um Mirjam trieb mich jetzt fast zum Wahnsinn.
     Ich stellte mir vor,  wie sie Stunde um Stunde darauf wartete, daYA sich
das  Wunder  erneuere,  -  wie  sie fr'h am  Morgen,  wenn  der Bdcker  kam,
hinauslief  und  mit  bebenden  Hdnden  das  Brot  untersuchte,  -  wie  sie
vielleicht um meinetwillen vor Angst verging.
     Oft  in  der Nacht peitschte es mich aus dem Schlaf, und ich  stieg auf
das  Wandbrett und starrte empor zu  dem  kupfernen  Gesicht der Turmuhr und
verzehrte  mich in dem Wunsch, meine Gedanken mcchten zu Hillel  dringen und
ihm ins Ohr  schreien, er solle Mirjam  helfen  und sie erlcsen von der Qual
des Hoffens auf ein Wunder.
     Dann wieder warf ich mich auf das Stroh und hielt den Atem an, bis  mir
die Brust fast  zersprang, -  um das  Bild meines  Doppelgdngers vor mich zu
zwingen, damit ich ihn zu ihr schicken kcnnte als einen Trost.
     Und  einmal  war  er  auch  erschienen  neben  meinem  Lager  mit   den
Buchstaben: Chabrat Zereh  Aur  Bocher in Spiegelschrift auf der Brust,  und
ich wollte aufschreien vor Jubel, daYA jetzt alles wieder gut w'rde,  aber er
war in den Boden versunken, noch ehe ich ihm den Befehl geben konnte, Mirjam
zu erscheinen. - - -
     DaYA ich so gar keine Nachricht bekam von meinen Freunden!
     Ob  es denn verboten sei,  einem Briefe zu  schicken? fragte ich  meine
Zellengenossen.
     Sie wuYAten es nicht.
     Sie hdtten noch nie welche bekommen - allerdings wdre  auch niemand da,
der ihnen schreiben kcnnte, sagten sie.
     Der Gefangenwdrter versprach mir, sich gelegentlich zu erkundigen.
     Meine  Ndgel  waren  rissig  geworden   vom  AbbeiYAen   und  mein  Haar
verwildert, denn Schere, Kamm und B'rste gab es nicht.
     Auch kein Wasser zum Waschen.
     Fast ununterbrochen kdmpfte  ich mit Brechreiz, denn der Wurstabsud war
mit  Soda gew'rzt  statt  mit Salz.  - -  Eine  Gefdngnisvorschrift, um  dem
"Xberhandnehmen des Geschlechtstriebs vorzubeugen."
     Die Zeit verging in grauer, furchtbarer Eintcnigkeit.
     Drehte sich wie im Kreis wie ein Rad der Qual.
     Da gab es die gewissen  Momente, die jeder von uns kannte, wo plctzlich
einer oder der andere aufsprang und stundenlang auf und nieder lief  wie ein
wildes Tier, um sich dann wieder gebrochen auf die Pritsche fallen zu lassen
und stumpfsinnig weiter zu warten - zu warten - zu warten.
     Wenn der Abend kam, zogen die Wanzen in Scharen gleich Ameisen 'ber die
Wdnde  und  ich  fragte mich  erstaunt, warum denn der  Kerl  in  Sdbel  und
Unterhosen mich  so gewissenhaft ausgeforscht  habe, ob ich kein  Ungeziefer
hdtte.
     F'rchtete  man  vielleicht  im Landesgericht,  es  kcnne  eine Kreuzung
fremder Insektenrassen entstehen?
     Mittwoch  vormittags  kam  gewchnlich  ein   Schweinskopf   herein  mit
Schlapphut  und zuckenden Hosenbeinen: der Gefdngnisarzt Dr. Rosenblatt, und
'berzeugte sich, daYA alle vor Gesundheit strotzten.
     Und wenn einer sich beschwerte, gleichg'ltig wor'ber, so verschrieb  er
- Zinksalbe zum Einreiben der Brust.
     Einmal  kam auch der  Landgerichtsprdsident  mit - ein hochgewachsener,
parf'mierter Halunke der "guten Gesellschaft",  dem die gemeinsten Laster im
Gesicht geschrieben standen,  und sah nach, ob - alles  in  Ordnung sei: "ob
sich noch immer kaner derhenkt hobe", wie sich der Frisierte ausdr'ckte.
     Ich war auf ihn zugetreten, um ihm  eine Bitte vorzutragen, da hatte er
einen  Satz  hinter  den  Gefangenwdrter  gemacht  und  mir  einen  Revolver
vorgehalten. - "Was ich denn wolle", schrie er mich an.
     Ob Briefe f'r  mich  da  seien, fragte ich hcflich. Statt  der  Antwort
bekam  ich einen StoYA  vor die  Brust vom  Herrn Dr.  Rosenblatt, der gleich
darauf das Weite suchte. Auch der Herr Prdsident zog  sich zur'ck und hchnte
durch den T'rausschnitt:  - ich solle  lieber den Mord gestehen. Eher bekdme
ich in diesem Leben keine Briefe.
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     Ich hatte mich ldngst an  die  schlechte Luft und die Hitze gewchnt und
frcstelte bestdndig. Selbst, wenn die Sonne schien.
     Zwei  der  Gefangenen hatten schon  einige Male  gewechselt,  aber  ich
achtete  nicht  darauf.  Diese  Woche  waren  es  ein  Taschendieb  und  ein
Wegelagerer,  das  ndchste  Mal  ein  Falschm'nzer  oder   ein  Hehler,  die
hereingef'hrt wurden.
     Was ich gestern erlebte, war heute vergessen.
     Gegen  das  W'hlen  der   Sorge  um   Mirjam  verblaYAten  alle  duYAeren
Begebenheiten.
     Nur ein Ereignis  hatte sich mir tiefer eingeprdgt - es  verfolgte mich
zuweilen als Zerrbild bis in den Traum:
     Ich hatte  auf  dem Wandbrett gestanden,  um hinauf in  den  Himmel  zu
starren,  da f'hlte  ich plctzlich,  daYA mich ein spitzer Gegenstand  in die
H'fte  stach, und  als  ich nachsah,  bemerkte ich, daYA es die Feile gewesen
war, die sich  mir durch die  Tasche zwischen Rock und Futter gebohrt hatte.
Sie  muYAte schon  lange dort gesteckt haben, sonst hdtte sie der Mann in der
Flurstube gewiYA bemerkt.
     Ich zog sie heraus und warf sie achtlos auf meinen Strohsack.
     Als  ich dann  herunterstieg, war  sie verschwunden, und ich  zweifelte
keinen Augenblick, daYA nur Loisa sie genommen haben konnte.
     Einige Tage  spdter  holte man ihn aus  der  Zelle,  um ihn einen Stock
tiefer unterzubringen.
     Es  d'rfe nicht  sein, daYA zwei  Untersuchungsgefangene, die  desselben
Verbrechens beschuldigt wdren, wie er und ich,  in der gleichen Zelle sdYAen,
hatte der Gefangenwdrter gesagt.
     Aus ganzem Herzen w'nschte ich, es mcchte dem armen Burschen  gelingen,
sich mit Hilfe der Feile zu befreien.

     Auf meine Frage, welches Datum denn wdre - die Sonne schien so warm wie
im  Hochsommer  und der m'de Baum im Hof trieb ein paar Knospen - hatte  der
Gefangenwdrter zuerst  geschwiegen, dann aber mir  zugefl'stert, es  sei der
15. Mai. Eigentlich  d'rfe er es nicht sagen,  denn es sei verboten, mit den
Gefangenen  zu sprechen, - insbesondere solche,  die  noch  nicht  gestanden
hdtten, m'YAten hinsichtlich der Zeit im unklaren gehalten werden.
     Drei volle Monate war ich  also schon im Gefdngnis und noch immer keine
Nachricht aus der Welt da drauYAen!
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     Wenn  es  Abend wurde,  drangen leise Kldnge eines  Klaviers durch  das
Gitterfenster, das jetzt an warmen Tagen offen war.
     Die  Tochter  des  BeschlieYAers  unten spiele,  hatte mir ein Strdfling
gesagt.
     Tag und Nacht trdumte ich von Mirjam.
     Wie es ihr wohl ging?!
     Zuzeiten hatte ich das trcstliche  Gef'hl, als seien meine  Gedanken zu
ihr gedrungen  und  st'nden an ihrem Bette, wdhrend sie  schlief, und legten
ihr lindernd die Hand auf die Stirne.
     Dann wieder, in Momenten der  Hoffnungslosigkeit,  wenn einer nach  dem
andern meiner Zellengenossen  zum Verhcr gefuhrt  wurde, - nur  ich nicht, -
drosselte mich eine dumpfe Furcht, sie sei vielleicht schon lange tot.
     Da stellte ich dann Fragen an  das Schicksal,  ob sie  noch  lebe  oder
nicht, krank sei oder gesund, und  die Anzahl einer Handvoll  Halme, die ich
aus dem Strohsack riYA, sollte mir Antwort geben.
     Und fast jedesmal "ging  es  schlecht aus",  und ich  w'hlte in  meinem
Innern  nach einem Blick in die Zukunft; - suchte  meine Seele, die  mir das
Geheimnis verbarg, zu 'berlisten durch die scheinbar abseits liegende Frage,
ob wohl f'r mich dereinst noch ein Tag kommen w'rde,  wo ich heiter sein und
wieder lachen kcnnte.
     Immer  bejahte das  Orakel in solchen  Fdllen, und  dann  war ich  eine
Stunde lang gl'cklich und froh.
     Wie eine Pflanze heimlich wdchst und sproYAt, war allmdhlich in mir eine
unbegreifliche, tiefe  Liebe zu Mirjam erwacht, und ich faYAte es  nicht, daYA
ich so  oft hatte bei  ihr  sitzen und mit ihr reden kcnnen, ohne mir damals
schon klar dar'ber geworden zu sein.
     Der zitternde Wunsch, daYA auch sie mit gleichen Gef'hlen an mich denken
mcchte,  steigerte  sich in  solchen  Augenblicken  oft  bis zur Ahnung  der
GewiYAheit,  und  wenn  ich  dann auf dem Gange  drauYAen einen Schritt hcrte,
f'rchtete ich mich  beinahe  davor, man kcnnte mich holen und freilassen und
mein  Traum  w'rde  in  der groben  Wirklichkeit  der  AuYAenwelt  in  nichts
zerrinnen.
     Mein Ohr war  in  der langen Zeit der Haft so scharf  geworden, daYA ich
auch das leiseste Gerdusch vernahm.
     Jedesmal  bei  Anbruch  der  Nacht  hcrte ich in  der Ferne einen Wagen
fahren und zergr'belte mir den Kopf, wer wohl dann sitzen mcchte.
     Es lag etwas seltsam Fremdartiges in dem Gedanken,  daYA es Menschen gab
da drauYAen, die  tun und lassen durften, was sie wollten, -  die  sich  frei
bewegen  konnten  und  da und  dort  hingehen,  und  es  dennoch  nicht  als
unbeschreiblichen Jubel empfanden.
     DaYA  auch ich jemals wieder so  gl'cklich werden w'rde, im Sonnenschein
durch die StraYAen wandern zu kcnnen; - - ich war nicht mehr imstande, es mir
vorzustellen.
     Der Tag, an dem ich Angelina in den Armen gehalten,  schien  mir  einem
ldngstverflossenen Dasein anzugehcren; - ich dachte daran  zur'ck mit  jener
leisen Wehmut, wie sie einen beschleicht, wenn  man ein  Buch aufschldgt und
findet  dann welke Blumen, die einst  die Geliebte der Jugendjahre  getragen
hat.
     Ob wohl  der alte Zwakh  noch immer Abend f'r Abend mit Vrieslander und
Prokop  beim  "Ungelt" saYA  und  der vertrockneten Eulalia  das  Hirn konfus
machte?
     Nein, es  war  doch Mai: - die Zeit, wo er mit seinem Marionettenkasten
durch  die Provinznester zog und  auf gr'nen Wiesen vor den Toren den Ritter
Blaubart spielte.
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     Ich  saYA  allein  in  der Zelle. -  Vussatka,  der  Brandstifter,  mein
einziger  Gefdhrte  seit   einer  Woche,  war  vor  ein  paar   Stunden  zum
Untersuchungsrichter geholt worden.
     Merkw'rdig lange dauerte diesmal sein Verhcr.
     Da.   Die   eiserne  Vorlegestange  klirrte   an  der   T'r.  Und   mit
freudestrahlender Miene st'rmte Vussatka herein, warf ein B'ndel Kleider auf
die Pritsche und begann, sich mit Windeseile umzukleiden.
     Den  Strdflingsanzug warf er St'ck  f'r  St'ck  mit einem Fluch auf den
Boden.
     "Nix hamms mer beweisen kcnna, dc Hallodri. - Brandstiftung! - Ja doder
-" er zog mit dem Zeigefinger an seinem unteren Augenlid. "Auf den schwarzen
Vussatka sans jung. -  Der Wind war's, hab i g'sagt.  Und bi fest blimm. Den
kennens iazt eispirrn, wanns'n derwischen  - den Herrn von Wind. - No servus
heit abend!  - Do werd aufdraht. Beim  Loisitschek." - Er breitete die  Arme
aus und  tanzte einen "G'strampften". - "Nur einmahl  im Lebchn blie-het der
Mai." Er st'lpte sich mit einem Krach einen steifen Deckel mit einer kleinen
blaugesprenkelten NuYAhdherfeder darauf 'ber den Schddel. - "Ja, richtig, das
wird Ihna intrissirn, Herr Graf: wissens was Neies?  Eana Freund, der Loisa,
is ausbrochen! - Grad hab i's erfahrehn oben bei die Hallodri. Schon vurigen
Monat -  gegen  Uldimoh  hat  er das Weide gesucht  und  ist  ldngst ieber -
pbhuit" - er  schlug sich mit den Fingern auf den  Handr'cken - "ieber  alle
Bergch." -
     "Aha, die Feile", dachte ich mir und ldchelte.
     "Alsdann  haltens   Ihna  jetzt  auch  bald   dazu,  Herr  Graf,"   der
Brandstifter streckte mir kameradschaftlich die Hand hin, "daYA Sie mcglichst
bei Zeitchn freikommen. -  Und wenn Sie  mal kein Geld  nicht habehn, fragen
Sie  sich  nur beim  Loisitschek nach  dem schwarzen Vussatka. - Kennte mich
jedes  Mddel  durten.  So!  -  Alsdann  Servus,  Herr  Graf.  War   mir  ein
Vergniegen."
     Er  stand noch in der  T're,  da schob  der  Wdrter schon  einen  neuen
Untersuchungsgefangenen in die Zelle.
     Auf  den  ersten   Blick  erkannte  ich  in  ihm  den  Schlot  mit  der
Soldatenm'tze, der einmal  neben  mir  bei  Regenwetter in dem Torbogen  der
HahnpaYAgasse  gestanden hatte. Eine  freudige Xberraschung! Vielleicht wuYAte
er zufdllig etwas 'ber Hillel und Zwakh und alle die andern?
     Ich wollte  sofort  anfangen, ihn auszufragen, aber zu  meinem  grcYAten
Erstaunen  legte  er mit geheimnisvoller Miene  den Finger an  den Mund  und
bedeutete mir, ich solle schweigen.
     Erst   als  die  T'r  von  auYAen   abgesperrt   und  der   Schritt  des
Gefangenwdrters auf dem Gange verhallt war, kam Leben in ihn.
     Mir schlug das Herz vor Aufregung.
     Was sollte das bedeuten?
     Kannte er mich denn, und was wollte er?
     Das erste, was der Schlot tat, war, daYA er sich niedersetzte und seinen
linken Stiefel auszog.
     Dann zerrte er mit den Zdhnen einen Stcpsel aus dem Absatz, entnahm dem
entstandenen Hohlraum  ein kleines gebogenes Eisenblech, riYA die anscheinend
nur locker befestigte Schuhsohle ab und reichte mir beides mit stolzer Miene
hin. -
     Alles in  Windeseile und  ohne auf meine  erregten  Fragen auch  nur im
geringsten zu achten.
     "So! Einen schcnen GruYA vom Herrn Charousek."
     Ich war so verbl'fft, daYA ich kein Wort herausbringen konnte. -
     "Brauchens'  bloYA Eisenblechl ndhmen und Sohlen ausanand brechen in der
Nacht.  Oder wann  sunst niemand siecht. -  Ise  ndmlich  hohl  inewdndig" -
erkldrte der Schlot mit 'berlegener Miene,  "und finden  Sie sich drinn eine
Brieffel von Herrn Charousek."
     Im XbermaYA meines Entz'ckens fiel ich  dem Schlot um den Hals, und  die
Trdnen st'rzten mir aus den Augen.
     Er wehrte mich voll Milde ab und sagte vorwurfsvoll:
     "Missen sich mehr zusammenndhmen, Herr von Pernath! Mir habens me nicht
eine Minutten zum Zeitverlieren. Es  kann sich soffort herauskommen, daYA ich
in  der falschen  Zellen bin. Der Franzl und  ich habens me unt beim Pordjch
die Nummern mitsamm vertauscht." -
     Ich muYAte wohl ein sehr  dummes Gesicht gemacht  haben, denn der Schlot
fuhr fort:
     "Wann Sie das  auch  nicht verstdhn,  macht  nix. Kurz:  ich bin  hier,
Pasta!"
     "Sagen Sie doch," fiel ich ihm ins Wort, "sagen Sie doch, Herr - - Herr
- - -"
     "Wenzel," - half mir der Schlot aus, "ich heiYAe der schcne Wenzel."
     "Sagen Sie mir  doch,  Wenzel, was  macht der Archivar  Hillel, und wie
geht es seiner Tochter?"
     "Dazu ist jetz  keine Zeit  nicht", unterbrach  mich der  schcne Wenzel
ungeduldig. "Ich kann ich doch im ndxen Augenblick herausgeschmissen werden.
- Also: ich bin ich hier, weil ich einen Raubanfall extra eingestanden hab -
-"
     "Was, Sie haben bloYA meinetwegen, und um zu mir kommen zu kcnnen, einen
Raubanfall begangen, Wenzel?" fragte ich ersch'ttert.
     Der Schlot sch'ttelte verdchtlich den  Kopf:  "Wenn ich  wirklich einen
Raub  anf all  begangen  hdtt, mecht ich  ihm  doch  nicht  eingestdhen. Was
glauben Sie von mir!?"
     Ich verstand allmdhlich: - der brave Kerl hatte eine List gebraucht, um
mir den Brief Charouseks ins Gefdngnis zu schmuggeln.
     "So; zuverderscht" - er machte ein duYAerst wichtiges Gesicht - "muYA ich
Ihnen Unterricht in der Ebilebsie gdben."
     "Worin?"
     "In der Ebilebsie! - Gdbm S' amal  scharf Obacht und merkens Ihna alles
genau! - Alsdann schaugens hdr: Zuerscht macht me Speichel  in der Goschen;"
- er blies die Backen auf und bewegte sie hin und her, wie  jemand, der sich
den Mund aussp'lt -  "dann kriegt  me Schaum vorm Maul, sengen S' so": -  er
machte auch dies. Mit widerwdrtiger  Nat'rlichkeit. "Nachhe  drehte  ma  die
Daumen  in  die Faust.  - Nachhe  kugelt  me  die Augen raus" - er  schielte
entsetzlich  - "und dann - das ise sich bisl schwdr  - stoYAt me so  halbeten
Schrei aus. Segen S',  so: Bc - bc - bc, und gleichzeitig fallt me sich um."
Er  lieYA sich der Ldnge  nach  zu Boden fallen, daYA  das  Haus zitterte, und
sagte beim Aufstehen:
     "Das  ise  sich  die natierliche  Ebilebsie, wie's uns der  Dr. Hulbert
gottsdlig beim ›Bataljohn‹ gelernt hat."
     "Ja, ja,  es ist  tduschend dhnlich," gab ich zu, "aber wozu dient  das
alles?"
     "Weil  Sie sich zuerscht aus  der  Zellen  rausmissen!",  erkldrte  der
schcne  Wenzel.  "Der Dr. Rosenblatt is doch ein Mordsochs! Wenn einer schon
gar  kan Kopf  mehr  hat, sagt  der Rosenblatt immer noch: der Mann ise sich
pumperlgesund! - Nur vor die Ebilebsie hat e' an Viechsrdschpdkt.  Wann aner
daas gut  kann: gleich ise drieben  in der Krankenzelle. - - Und da ise sich
das Ausbrechen  dann ein Kinderspielzeug;" -  er wurde tief  geheimnisvoll -
"den  Fenstergitter  in  der  Krankenzelle ise  ndmlich durchgesdgt  und nur
schwach  mit  Dreck  zusammengepappt.  - Es ise sich das ein  Geheimnis  vom
Bataljohn!  - Sie  brauchen dann  bloYA ein paar Ndchte scharf aufpassen und,
wenn Sie eine Seilschlingen vom Dach herunter bis vors Fenster kommen segen,
heben Sie  leise  den Gitter aus, damit niemand nicht aufwacht, steckens die
Schultern in die Schlinge, und mir  ziegen Ihnen hinauf aufs Dach und lassen
Ihnen auf der andern Seiten hinunter auf die StraYAen. - Pasta."
     "Weshalb  soll  ich  denn aus dem  Gefdngnis  ausbrechen?"  wandte  ich
sch'chtern ein, "ich bin doch unschuldig."
     "Das ise doch kein  Grund, um nicht auszubrechen!", widerlegte mich der
schcne Wenzel und machte vor Erstaunen kreisrunde Augen.
     Ich muYAte  meine ganze Beredsamkeit aufbieten,  um ihm  den  verwegenen
Plan, der, wie er sagte,  das Resultat eines  "Bataillons" beschlusses  war,
auszureden.
     DaYA ich  "die Gabe Gottes" von der Hand wies und  lieber warten wollte,
bis ich von selbst freikommen w'rde, war ihm unbegreiflich.
     "Jedenfalls  danke  ich  Ihnen  und  Ihren  braven  Kameraden  auf  das
allerherzlichste,"  sagte ich ger'hrt und dr'ckte  ihm  die Hand. "Wenn  die
schwere Zeit  f'r  mich vor'ber  ist, wird es mein erstes  sein,  mich Ihnen
allen erkenntlich zu zeigen."
     "Ise gar nicht ndtig", lehnte Wenzel freundlich ab.  "Wann Sie ein paar
Glas  ›Pils‹  zahlen,  ndhmen  wir  sich dankbar  an,  abe  sunst  nix.  Pan
Charousek, was ise jetz Schatzmistr vom Bataljohn hat  e' uns schon erzdhlt,
was Sie f'r ein heimlicher Wohltdter  sin. Soll ich ihm was ausrichten, wenn
ich in paar Tdg wieder herauskomm?"
     "Ja, bitte," fiel  ich rasch ein, "sagen Sie ihm, er mcchte  zu  Hillel
gehen und ihm mitteilen, ich hdtte  soviel Angst wegen der Gesundheit seiner
Tochter Mirjam. Herr Hillel solle sie nicht aus den  Augen  lassen. - Werden
Sie sich den Namen merken?: Hillel!"
     "Hirrdl?"
     "Nein: Hillel."
     "Hilldr?"
     "Nein: Hill-el."
     Wenzel  zerbrach  sich  fast die  Zunge  an  dem  f'r  einen  Tschechen
unmcglichen  Namen,  aber  schlieYAlich  bewdltigte  er ihn doch unter wilden
Grimassen.
     "Und dann noch eins: Herr Charousek  mcge - ich lasse ihn herzlich drum
bitten - sich auch, soweit es in seiner Macht steht, der "vornehmen  Dame" -
er weiYA schon, wer darunter zu verstehen ist - annehmen."
     "Sie meinen  sich  wahrscheinlich  die  adlige Flietschen,  die was  da
Gspusi  ghabt hat mit dem Niemetz - dem Dr. Sapoli? - No, die hat  sich doch
scheiden lassen und ise mit dem Kind und dem Sapoli f'rt."
     "Wissen Sie das bestimmt?"
     Ich f'hlte  meine Stimme  zittern. So sehr ich mich um Angelinas willen
freute, - es krampfte mir doch das Herz zusammen.
     Wieviel Sorge hatte  ich  ihretwegen getragen und  jetzt  - - - war ich
vergessen.
     Vielleicht glaubte sie, ich sei wirklich ein Raubmcrder.
     Ein bitterer Geschmack stieg mir in die Kehle.
     Der  Schlot schien  mit  dem  Feingef'hl,  das  verwahrlosten  Menschen
seltsamerweise eigen ist bei allen Dingen, die sich um Liebe drehen, erraten
zu  haben,  wie  mir zumute  war, denn er  blickte scheu weg und  antwortete
nicht.
     "Wissen Sie vielleicht auch, wie es Herrn Hillels Tochter, dem Frdulein
Mirjam geht? Kennen Sie sie?", fragte ich gepreYAt.
     "Mirjam? Mirjam?" - Wenzel legte sein Gesicht in nachdenkliche Falten -
"Mirjam? - Gdht sich die cfters in der Nacht zum Loisitschek?"
     Ich muYAte unwillk'rlich ldcheln. "Nein. Ganz bestimmt nicht."
     "Dann kenn ich sie nicht", sagte Wenzel trocken.
     Wir schwiegen eine Weile.
     Vielleicht steht in dem Briefchen etwas 'ber sie, hoffte ich.
     "DaYA  den Wassertrum  der Deiwel  g'holt  hat",  fing  Wenzel plctzlich
wieder an, "wdrden Sie sich wohl schon gehdrt haben?"
     Ich fuhr entsetzt auf.
     "No ja." - Wenzel deutete auf seine Kehle. - "Murxi, murxi! Ich sag ich
Ihndn; es war Ihndn  schaislich. Wie sie den  Laden aufgebrochen haben, weil
er sich  paar Tdg nicht hat segen lassen, war  ich  natierlich  der  erschte
drin;  - wie denn nicht! - Und da hat e' durten g'sdssen, der Wassertrum, in
einem  dreckigen Ldhnsessel,  die  Brust voller  Blut und die Augen  wie aus
Glas. -  -  - Wissen S',  ich bin ich  ein handfeste Kerl, aber mir hat sich
alles gedrdht,  sag ich Ihndn, und ich hab' gemeint, ich  hau ich ohnmdchtig
hi-iin. Furt' a  furt' hab' ich  mir vorsagen missen:  Wenzel,  hab' ich mir
vorg'sagt, Wenzel, reg'  dich nicht auf, es is doch bloYA ein toter Jud. - Er
hat  eine  Feile  in der Kehle stecken  gehabt und im Laden  war  sich alles
umedum geschmissen. - Ein Raubmord natierlich."
     "Die  Feile! Die  Feile!"  Ich f'hlte, wie mir der  Atem kalt wurde vor
Grausen. Die Feile! So hatte sie also doch ihren Weg gefunden!
     "Ich weiYA ich auch, wer's war", fuhr Wenzel  nach  einer Pause halblaut
fort. "Niemand anders, sag  ich Ihndn,  als der blattersteppige Loiso. - Ich
hab'  ich  ndmlich sein Taschenmesser auf dem  Boden  im Laden entdeckt  und
rasch eing'stdckt,  damit sich die Polizei nicht  draufkommt.  - Er ise sich
durch  einen unterirdischen Gang in den Laden - - -" er brach mit einem Ruck
seine Rede  ab und horchte ein paar Sekunden lang  angestrengt, dann warf er
sich auf die Pritsche und fing an, f'rchterlich zu schnarchen.
     Gleich  darauf klirrte das  VorhdngeschloYA und der Gefdngniswdrter  kam
herein und musterte mich argwchnisch.
     Ich machte ein teilnahmsloses Gesicht und Wenzel war kaum zu erwecken.
     Erst  nach  vielen  P'ffen richtete er sich  gdhnend auf und  taumelte,
gefolgt von dem Wdrter, schlaftrunken hinaus.
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     Fiebernd vor Spannung faltete ich Charouseks Brief auseinander und las:
     Den 12. Mai.
     "Mein lieber armer Freund und Wohltdter!"
     Woche um Woche habe ich gewartet, daYA  Sie endlich freikommen w'rden, -
immer   vergebens,   -   habe   alle   mcglichen   Schritte   versucht,   um
Entlastungsmaterial f'r Sie zu sammeln, aber ich fand keins.
     Ich bat den Untersuchungsrichter,  das Verfahren zu beschleunigen, aber
jedesmal  hieYA es, er kcnne nichts tun - es sei Sache der Staatsanwaltschaft
und nicht die seinige.
     Amtsschimmel!
     Eben erst, vor  einer Stunde, gelang mir jedoch etwas, von  dem ich mir
den  besten Erfolg erhoffe:  ich habe erfahren, daYA  Jaromir  dem Wassertrum
eine goldene Taschenuhr, die er nach der damaligen Verhaftung seines Bruders
Loisa in dessen Bett gefunden hatte, verkauft hat.
     Beim ›Loisitschek‹, wo, wie  Sie wissen, die Detektivs verkehren,  geht
das Ger'cht,  man hdtte die Uhr  des angeblich ermordeten  Zottmann - dessen
Leiche 'brigens noch immer nicht entdeckt ist - als corpus delicti bei Ihnen
gefunden. Das 'brige reimte ich mir zusammen: Wassertrum et cetera!
     Ich habe mir Jaromir sofort vorgenommen,  ihm 1000 fl gegeben -  -" Ich
lieYA den Brief sinken, und die Freudentrdnen traten mir in  die  Augen:  nur
Angelina konnte Charousek die Summe gegeben haben. Weder Zwakh, noch Prokop,
noch Vrieslander besaYAen  so viel  Geld.  Sie hatte  mich  also  doch  nicht
vergessen! - Ich las weiter:
     "- 1000 fl gegeben und ihm weitere 2000 fl versprochen, wenn er mit mir
sofort zur Polizei  ginge und eingest'nde,  die Uhr  seinem  Bruder zu Hause
entwendet und verkauft zu haben.
     Das alles  kann  aber erst  geschehen, wenn dieser  Brief durch  Wenzel
bereits an Sie unterwegs ist. Die Zeit reicht nicht aus.
     Aber seien Sie versichert: es  wird  geschehen.  Heute noch.  Ich b'rge
Ihnen daf'r.
     Ich zweifle keinen Augenblick, daYA Loisa den Mord begangen  hat und die
Uhr die Zottmanns ist.
     Sollte sie es wider Erwarten nicht sein,  - nun, dann weiYA Jaromir, was
er  zu tun  hat:  -  Jedenfalls  wird er  sie als die  bei  Ihnen  gefundene
agnoszieren.
     Also  harren Sie aus und verzweifeln Sie  nicht!  Der  Tag, wo Sie frei
sein werden, steht vielleicht bald bevor.
     Ob trotzdem ein Tag kommen wird, wo wir uns wiedersehen?
     Ich weiYA es nicht.
     Fast mcchte ich sagen: ich glaube es nicht, denn mit  mir  geht's rasch
zu  Ende, und  ich muYA auf  der  Hut sein, daYA mich die letzte Stunde  nicht
'berrascht.
     Aber eins halten Sie fest: wir werden uns wiedersehen.
     Wenn auch nicht in diesem Leben und nicht wie die Toten in jenem Leben,
aber an dem Tag, wo die Zeit zerbricht, - wo, wie es in der Bibel steht, der
HERR die ausspeien wird aus seinem Munde, die lau waren und weder  kalt noch
warm. - - -
     Wundern Sie  sich nicht, daYA ich so  rede! Ich habe  nie mit Ihnen 'ber
diese Dinge gesprochen und, als Sie einmal das Wort ›Kabbala‹ ber'hrten, bin
ich Ihnen ausgewichen, aber - ich weiYA, was ich weiYA.
     Vielleicht verstehen Sie, was ich meine,  und wenn nicht, so  streichen
Sie, ich bitte Sie darum, das, was ich gesagt habe, aus Ihrem  Geddchtnis. -
- Einmal, in meinen Delirien, glaubte ich  - ein  Zeichen auf Ihrer Brust zu
sehen. - Mag sein, daYA ich wach getrdumt habe.
     Nehmen Sie  an, wenn Sie mich wirklich nicht verstehen sollten, daYA ich
gewisse Erkenntnisse gehabt habe - innerlich! - fast schon von  Kindheit an,
die  mich einen seltsamen Weg gef'hrt haben; - Erkenntnisse, die  sich nicht
decken mit dem,  was die Medizin lehrt oder Gott sei  Dank  noch nicht weiYA;
hoffentlich auch nie erfahren wird.
     Aber ich habe mich nicht dumm machen lassen von der Wissenschaft, deren
hcchstes Ziel es ist, einen - ›Wartesaal‹ auszustaffieren, den man am besten
niederrisse.
     Doch genug davon.
     Ich will Ihnen erzdhlen, was sich inzwischen zugetragen hat:
     Ende  April  war  Wassertrum  so  weit, daYA meine Suggestion anfing  zu
wirken.
     Ich sah es daran, daYA er auf der Gasse bestdndig gestikulierte und laut
mit sich selbst sprach.
     So etwas ist ein sicheres Zeichen, daYA die Gedanken eines Menschen sich
zum Sturm rotten, um 'ber ihren Herrn herzufallen.
     Dann kaufte er sich ein Taschenbuch und machte sich Notizen.
     Er schrieb!
     Er schrieb! DaYA ich nicht lache! Er schrieb.
     Und dann ging er zu einem Notar. Unten vor dem Hause wuYAte  ich, was er
oben machte: - er machte sein Testament.
     DaYA er mich zum Erben einsetzte, habe ich mir allerdings nicht gedacht.
Ich  hdtte wahrscheinlich den  Veitstanz  bekommen vor Vergn'gen, wenn's mir
eingefallen wdre.
     Er setzte mich zum Erben ein, weil ich der einzige auf der Erde bin, an
dem er  noch etwas gutmachen kcnnte,  wie er glaubte. Das  Gewissen hat  ihn
'berlistet.
     Vielleicht war's auch die Hoffnung, ich w'rde ihn segnen, wenn ich mich
nach seinem Tode  durch seine Huld plctzlich als Milliondr sdhe, und dadurch
den Fluch wettmachen, den er in Ihrem Zimmer aus meinem Mund hat mit anhcren
m'ssen.
     Dreifach hat demnach meine Suggestion gewirkt.
     Rasend witzig,  daYA er heimlich  also doch an eine Wiedervergeltung  im
Jenseits geglaubt  hat, wdhrend  er sich's  das  ganze  Leben  lang m'hselig
ausreden wollte.
     Aber  so ist's  bei allen den Ganzgescheiten; man sieht es schon an der
wahnwitzigen Wut, in die sie geraten, wenn man's ihnen ins Gesicht sagt. Sie
f'hlen sich ertappt.
     Von dem Moment an, wo Wassertrum vom Notar kam, lieYA ich ihn nicht mehr
aus dem Auge.
     Des  Nachts  horchte  ich an  den Verschlagbrettern seines Ladens, denn
jede Minute konnte die Entscheidung fallen. -
     Ich  glaube,  durch Mauern hindurch w'rde ich das  ersehnte schnalzende
Gerdusch  gehcrt  haben,  wenn  er den Stcpsel  aus  der Giftflasche gezogen
hdtte.
     Es  fehlte  vielleicht  nur  eine  Stunde,  und  mein   Lebenswerk  war
vollbracht.
     Da griff ein Unberufener ein und ermordete ihn. Mit einer Feile.
     Lassen Sie sich das Ndhere von Wenzel  erzdhlen, mir wird es zu bitter,
alles das niederschreiben zu m'ssen.
     Nennen Sie  es Aberglaube,  - aber,  wie  ich  sah, daYA Blut  vergossen
worden war - die Dinge im Laden waren befleckt  davon, - kam es mir vor, als
sei mir seine Seele entwischt.
     Etwas in  mir,  - ein feiner, untr'glicher Instinkt - sagt mir,  daYA es
nicht dasselbe ist, ob ein Mensch von  fremder Hand stirbt oder von eigener:
- daYA Wassertrum  sein  Blut mit sich in die  Erde hdtte nehmen m'ssen, dann
erst wdre meine Mission erf'llt gewesen. - Jetzt, wo es anders gekommen ist,
f'hle  ich  mich als  AusgestoYAener,  als  ein  Werkzeug, das  nicht  w'rdig
befunden wurde in der Hand des Todesengels.
     Aber ich will mich nicht auflehnen. Mein HaYA ist von der Art, die 'bers
Grab  hinaus geht, und noch habe ich ja mein eigenes Blut, das ich vergieYAen
kann, wie ich will, damit es dem seinigen nachgehe im Reich der Schatten auf
Schritt und Tritt. - - -
     Jeden Tag, seit sie Wassertrum verscharrt haben, sitze ich drauYAen  bei
ihm auf dem Friedhof und horche in meine Brust hinein, was ich tun soll.
     Ich glaube, ich  weiYA  es bereits,  aber ich  will noch warten, bis das
innere Wort, das zu mir  spricht,  klar wird wie eine Quelle. - Wir Menschen
sind unrein,  und  oft bedarf  es  langen  Fastens und  Wachens, bis wir das
Fl'stern unserer Seele verstehen. - - -
     In der verflossenen Woche wurde mir  offiziell vom Gericht  mitgeteilt,
daYA mich Wassertrum zum Universalerben eingesetzt hat.
     DaYA ich f'r mich  keinen Kreuzer  davon anr'hre, brauche ich Ihnen wohl
nicht  zu versichern,  Herr  Pernath. -  Ich werde mich  h'ten, ›ihm‹ -  f'r
›dr'ben‹ eine Handhabe zu geben.
     Die  Hduser,  die  er  besessen  hat,   lasse   ich   versteigern,  die
Gegenstdnde, die  er ber'hrt  hat,  werden verbrannt, und  was  an Geld  und
Geldeswert sich dann ergibt, fdllt nach meinem Tode zu  einem Drittel  Ihnen
zu. -
     Ich sehe im Geiste, wie Sie aufspringen und protestieren, aber ich kann
Sie  beruhigen.  Was Sie bekommen, ist Ihr  rechtmdYAiges Eigentum mit Zinsen
und Zinseszinsen. Schon  lange  wuYAte ich,  daYA Wassertrum vor Jahren  Ihren
Vater und seine Familie um alles  gebracht hat, - erst jetzt bin ich in  der
Lage, es aktenmdYAig nachweisen zu kcnnen.
     Ein zweites  Drittel wird  unter die zwclf Mitglieder  des "Bataillons"
verteilt, die den Dr. Hulbert noch  perscnlich  gekannt haben. Ich will, daYA
jeder  von  ihnen  reich  wird  und Zutritt  bekommt  zur  Prager  -  "guten
Gesellschaft".
     Das  letzte  Drittel  gehcrt  zu  gleichen Teilen den  ndchsten  sieben
Raubmcrdern  des  Landes, die  mangels  zureichender Beweise  freigesprochen
werden m'ssen.
     Ich bin das dem cffentlichen Drgernis schuldig.
     So. Das wdre wohl alles.
     Und  jetzt, mein lieber, lieber Freund, leben Sie wohl und gedenken Sie
zuweilen
     Ihres
     aufrichtigen und dankbaren
     Innocenz Charousek."
     Tief ersch'ttert  legte ich  den Brief aus der Hand.  Ich  konnte  mich
nicht freuen 'ber die Nachricht von meiner bevorstehenden Enthaftung.
     Charousek! Armer Mensch!  Wie  ein  Bruder  k'mmerte er  sich  um  mein
Schicksal. BloYA, weil ich ihm einst 100 fl geschenkt hatte. Wenn ich ihm nur
einmal noch die Hand dr'cken kcnnte!
     Ich f'hlte: ja, er hatte recht; der Tag w'rde nie kommen.
     Ich  sah  ihn vor  mir:  seine flackernden Augen, die  schwinds'chtigen
Schultern, die hohe, noble Stirn.
     Vielleicht, daYA alles ganz  anders gekommen wdre, wenn  eine hilfreiche
Hand rechtzeitig in dies verdorrte Leben eingegriffen hdtte.
     Noch einmal las ich den Brief durch.
     Wieviel Methode in  Charouseks Irrsinn lag! Ob er  'berhaupt  irrsinnig
war?
     Ich  schdmte mich beinahe, diesen  Gedanken  auch nur  einen Augenblick
geduldet zu haben.
     Sagten seine  Anspielungen nicht genug? Er war ein Mensch  wie  Hillel,
wie  Mirjam, wie ich selbst;  ein Mensch, 'ber  den  die eigene Seele Gewalt
gewonnen hatte, - den sie durch  die wilden Schluchten und Kl'fte des Lebens
emporf'hrte in die Firnenwelt eines unbetreten Landes.
     Er, der doch ein ganzes Leben auf Mord gesonnen,  stand er nicht reiner
da,  als irgendeiner von denen, die naser'mpfend  umhergehen  und angelernte
Gebote eines unbekannten, mythischen Propheten zu befolgen vorgeben?
     Er hielt das Gebot, das  ihm ein 'bermdchtiger Trieb diktierte, ohne an
eine "Belohnung" hier oder jenseits auch nur zu denken.
     Was er getan hatte, war es etwas anderes als  frcmmste Pflichterf'llung
in des Wortes verborgenster Bedeutung?
     "Feig,  hinterlistig,  mordgierig,  krank, eine  problematische -  eine
Verbrechernatur"  -  ich  hcrte fcrmlich, wie  das Urteil der Menge 'ber ihn
lauten  muYAte,  wenn  sie  mit  ihren  blinden Stallaternen in  seine  Seele
hineinzuleuchten kdme,  -  dieser  geifernden  Menge,  die  nie  und  nimmer
begreifen wird, daYA die giftige Herbstzeitlose tausendfach schcner und edler
ist als der n'tzliche Schnittlauch. - - -
     Wieder  ging  das  T'rschloYA drauYAen,  und  ich hcrte,  daYA  man  einen
Menschen hereinschob.
     Ich  drehte  mich  nicht einmal  um,  so sehr war ich  erf'llt von  dem
Eindruck des Briefes.
     Kein Wort 'ber Angelina, nichts von Hillel stand darin.
     Freilich:  Charousek  muYAte  in  grcYAter Eile  geschrieben  haben,  die
Schrift verriet es mir.
     Ob mir wohl noch ein Brief von ihm heimlich 'berbracht werden w'rde?
     Ich hoffte heimlich auf den  morgigen Tag, auf den gemeinsamen Rundgang
der Gefangenen im Hof. - Da war es noch am leichtesten, daYA  mir irgendeiner
vom "Bataillon" etwas zusteckte.
     Eine leise Stimme schreckte mich aus meinen Gr'beleien:
     "W'rden  Sie gestatten, mein Herr,  daYA  ich mich Ihnen vorstelle? Mein
Name ist Laponder. Amadeus Laponder".
     Ich drehte mich um.
     Ein  kleiner, schmdchtiger,  noch  ziemlich  junger  Mann in  gewdhlter
Kleidung, nur  ohne  Hut,  wie alle Untersuchungsgefangenen,  verbeugte sich
korrekt vor mir.
     Er war glattrasiert  wie ein Schauspieler, und  seine  groYAen, hellgr'n
gldnzenden, mandelfcrmigen Augen  hatten das Eigent'mliche  an sich, daYA, so
geradeaus sie  auch auf mich gerichtet waren,  sie mich doch  nicht zu sehen
schienen. - Es lag so etwas wie - Geistesabwesenheit darin.
     Ich  murmelte meinen Namen und verbeugte mich ebenfalls und wollte mich
wieder umdrehen, konnte aber lange den  Blick von dem Menschen nicht wenden,
so fremdartig  wirkte er  auf mich mit  dem pagodenhaften  Ldcheln,  das die
aufwdrts  gezogenen Mundwinkel der feingeschwungenen Lippen bestdndig seinem
Gesicht aufdr'ckten.
     Er sah  fast  aus wie eine chinesische Buddhastatue aus Rosenquarz, mit
seiner faltenlosen, durchsichtigen Haut,  der mddchenhaft schmalen  Nase und
den zarten N'stern.
     "Amadeus Laponder, Amadeus Laponder", wiederholte ich vor mich hin.
     "Was er wohl begangen haben mag?"

     "Waren Sie schon beim Verhcr", fragte ich nach einer Weile.
     "Ich komme  soeben  von dort. - Hoffentlich  werde  ich  Sie hier nicht
lange inkommodieren m'ssen", antwortete Herr Laponder liebensw'rdig.
     "Armer   Teufel,"  dachte   ich   mir,  "er   ahnt   nicht,  was  einem
Untersuchungsgefangenen bevorsteht."
     Ich wollte ihn langsam vorbereiten:
     "Man  gewchnt  sich allmdhlich  an  das Stillsitzen,  wenn  einmal  die
ersten, schlimmsten Tage vor'ber sind." - - -
     Er machte ein verbindliches Gesicht.
     Pause.
     "Hat das Verhcr lange gedauert, Herr Laponder?"
     Er ldchelte zerstreut:
     "Nein. Ich  wurde  bloYA gefragt,  ob ich  gestdndig  sei, und muYAte das
Protokoll unterschreiben."
     "Sie haben unterschrieben, daYA Sie gestdndig sind?" fuhr es mir heraus.
     "Allerdings."
     Er sagte es, als ob es sich von selbst verst'nde.
     Es  kann  nichts Schlimmes  sein, legte ich mir zurecht, weil er so gar
keine Aufregung  zeigt. Wahrscheinlich  eine Herausforderung zum  Duell oder
etwas Dhnliches.
     "Ich bin leider schon  so lange hier, daYA  es mir wie ein Menschenleben
vorkommt";  -  ich  seufzte   unwillk'rlich,  und  er  machte  sofort   eine
teilnehmende  Miene. "Ich  w'nsche  Ihnen,  daYA  Sie  das nicht  mitzumachen
brauchen,  Herr  Laponder. Nach allem, was  ich sehe, werden  Sie  bald  auf
freiem FuYA sein."
     "Wie  man's  nimmt",  antwortete  er  ruhig,  aber  es  klang  wie  ein
versteckter Doppelsinn.
     "Sie glauben nicht?", fragte ich ldchelnd. Er sch'ttelte den Kopf.
     "Wie soll ich das verstehen? -  Was haben Sie denn gar so Schreckliches
begangen?  Verzeihen Sie, Herr  Laponder, es ist nicht Neugierde  von mir, -
lediglich Teilnahme, daYA ich frage."
     Er zcgerte  einen Augenblick,  dann  sagte  er, ohne mit der Wimper  zu
zucken:
     "Lustmord."
     Mir war, als hdtte er mich mit einem Stock 'ber den Kopf geschlagen.
     Vor Abscheu und Grausen konnte ich keinen Ton herausbringen.
     Er schien es zu bemerken und blickte diskret zur Seite, aber nicht  das
leiseste  Minenspiel in seinem automatenhaft ldchelnden Gesicht verriet, daYA
er 'ber mein plctzlich verdndertes Benehmen verletzt gewesen wdre.
     Wir wechselten kein Wort weiter und blickten stumm aneinander vorbei. -
- -
     Als  ich  mich  nach Einbruch  der  Dunkelheit niederlegte,  folgte  er
sogleich meinem Beispiel, entkleidete  sich, hdngte sorgsam seine Kleider an
den  Wandnagel,  streckte sich aus und  schien,  nach seinen ruhigen, tiefen
Atemz'gen zu schlieYAen, unmittelbar darauf fest eingeschlafen zu sein.
     Die ganze Nacht konnte ich nicht zur Ruhe kommen.
     Das bestdndige Gef'hl, ein solches Scheusal in meiner  ndchsten Ndhe zu
haben  und  dieselbe Luft mit ihm atmen zu  m'ssen, war  mir so grdYAlich und
aufregend, daYA die Eindr'cke des Tages, Charouseks Brief und all das erlebte
Neue tief in den Hintergrund traten.
     Ich hatte mich so gelegt, daYA ich den Mcrder bestdndig im Auge behielt,
denn ich w'rde es nicht haben ertragen kcnnen, ihn hinter mir zu wissen.
     Die Zelle war vom Schimmer des Mondes matt durchddmmert, und ich konnte
sehen, daYA Laponder regungslos, fast starr, dalag.
     Seine  Z'ge  hatten etwas Leichenhaftes bekommen, und der halbgecffnete
Mund erhchte diesen Eindruck.
     Viele Stunden hindurch dnderte er nicht ein einziges Mal seine Lage.
     Erst spdt nach Mitternacht, als ein d'nner Mondstrahl auf sein  Gesicht
fiel, kam eine leise Unruhe 'ber ihn und er bewegte unaufhcrlich die Lippen,
wie  jemand, der im Schlaf spricht. Es schien immer dasselbe Wort zu sein, -
ein zweisilbiger Satz vielleicht, - so wie:
     "LaYA mich. LaYA mich, LaYA mich."
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     Die ndchsten  paar Tage vergingen, ohne daYA  ich Notiz von ihm genommen
hdtte, und auch er brach niemals das Schweigen.
     Sein  Benehmen blieb nach wie  vor  gleich liebensw'rdig. Sooft ich auf
und ab gehen wollte, sah er es mir sofort  an und zog  hcflich,  wenn er auf
der Pritsche saYA, die F'YAe zur'ck, um mir nicht im Wege zu sein.
     Ich fing an, mir Vorw'rfe wegen  meiner Schroffheit  zu machen,  konnte
aber den Abscheu vor ihm beim besten Willen nicht loswerden.
     So sehr ich gehofft hatte, mich an seine  Ndhe gewchnen zu kcnnen, - es
ging nicht.
     Selbst  in den  Ndchten hielt es  mich wach.  Kaum  eine  Viertelstunde
verbrachte ich im Schlaf.
     Abend f'r Abend wiederholte sich haargenau derselbe Vorgang: Er wartete
respektvoll, bis ich mich ausstreckte, zog dann seine Kleider aus, legte sie
pedantisch in Falten, hdngte sie auf, und so weiter und so weiter.
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     Eines  Nachts  -  es  mochte um die  zweite  Stunde  sein  -  stand ich
schlaftrunken  vor  M'digkeit  wieder  auf  dem  Wandbrett,  starrte in  den
Vollmond, dessen Strahlen sich wie glitzerndes  Cl auf dem kupfernen Gesicht
der Turmuhr spiegelten, und dachte voll Trauer an Mirjam.
     Da hcrte ich plctzlich leise ihre Stimme hinter mir.
     Sofort war ich wach, 'berwach, - fuhr herum und horchte.
     Eine Minute verging.
     Schon  glaubte  ich,  ich  hdtte mich getduscht, da kam es  wieder. Ich
konnte die Worte nicht genau verstehen, aber es klang wie:
     "Frag' mich. Frag' mich."
     Es war bestimmt Mirjams Stimme.
     Schlotternd  vor  Aufregung  stieg ich,  so leise ich konnte, herab und
trat an das Bett Laponders.
     Das  Mondlicht schien voll auf sein  Gesicht, und ich  konnte  deutlich
unterscheiden, daYA er die Lider offen hatte, doch nur das WeiYAe der Augdpfel
war sichtbar.
     An der Starre der Wangenmuskeln sah ich, daYA er im Tiefschlaf lag.
     Nur  die  Lippen  bewegten  sich wieder  wie  neulich.  Und  allmdhlich
verstand ich die Worte, die hinter seinen Zdhnen hervordrangen:
     "Frag' mich. Frag' mich."
     Die Stimme war der von Mirjam tduschend dhnlich.
     "Mirjam? Mirjam?" rief  ich unwillk'rlich, ddmpfte aber sofort den Ton,
um den Schldfer nicht zu erwecken.
     Ich  wartete,  bis  sein  Gesicht  wieder   starr  geworden  war,  dann
wiederholte ich leise:
     "Mirjam? Mirjam?"
     Sein Mund formte ein kaum vernehmbares, aber doch deutliches:
     "Ja."
     Ich legte mein Ohr dicht an seine Lippen.  Nach  einer Weile hcrte  ich
Mirjams Stimme fl'stern - so unverkennbar  ihre Stimme, daYA mir Kdlteschauer
'ber die Haut liefen.
     Ich trank die Worte so gierig, daYA ich nur den Sinn begriff. Sie sprach
von  Liebe zu mir und von dem unsagbaren Gl'ck, daYA wir uns endlich gefunden
hdtten  -  und  uns nie  wieder  trennen w'rden -  hastig  - ohne Pause, wie
jemand,  der  f'rchtet, unterbrochen  zu werden und jede  Sekunde  ausn'tzen
will.
     Dann wurde die Stimme stockend - erlosch zeitweilig ganz.
     "Mirjam?" fragte ich,  bebend vor  Angst  und  mit  eingezogenem  Atem,
"Mirjam, bist du gestorben?"
     Lange keine Antwort.
     Dann fast unverstdndlich:
     "Nein. - Ich lebe. - Ich schlafe."
     Nichts mehr.
     Ich lauschte und lauschte.
     Vergebens.
     Nichts mehr.
     Vor Ergriffenheit und Zittern muYAte ich mich auf die Kante der Pritsche
st'tzen, um nicht vorn'ber auf Laponder zu fallen.
     Die  Tduschung war so  vollstdndig gewesen, daYA ich  Mirjam momentelang
tatsdchlich  vor  mir  liegen  zu   sehen  glaubte  und  alle  meine   Kraft
zusammennehmen  muYAte,  um nicht einen KuYA  auf die Lippen  des  Mcrders  zu
dr'cken.
     "Henoch! Henoch!"  -  hcrte ich ihn plctzlich lallen, dann immer klarer
und artikulierter: "Henoch! Henoch!"
     Sofort erkannte ich Hillel.
     "Bist du es, Hillel?"
     Keine Antwort.
     Ich  erinnerte mich, gelesen zu haben, daYA man Schlafenden, um  sie zum
Reden  zu bringen, die Fragen nicht ins Ohr stellen d'rfe, sondern gegen das
Nervengeflecht in der Magengrube richten m'sse.
     Ich tat es:
     "Hillel?"
     "Ja, ich hcre dich!"
     "Ist Mirjam gesund? WeiYAt du alles?" fragte ich schnell.
     "Ja. Ich  weiYA  alles. WuYAte es ldngst. - Sei ohne Sorge,  Henoch,  und
f'rchte dich nicht!"
     "Kannst du mir verzeihen, Hillel?"
     "Ich sage dir doch: sei ohne Sorge."
     "Werden wir  uns bald  wiedersehen?" - Ich f'rchtete, die Antwort nicht
mehr  verstehen  zu kcnnen;  schon der  letzte  Satz war nur  noch  gehaucht
worden.
     "Ich  hoffe es.  Ich will  warten - auf dich - wenn ich kann - dann muYA
ich - Land -"
     "Wohin? In welches Land?" - ich fiel beinahe auf Laponder - "In welches
Land? In welches Land?"
     "- Land - Gad - s'dlich - Paldstina -"
     Die Stimme erstarb.
     Hundert  Fragen  schcssen mir  in der Verwirrung durch den  Kopf: Warum
nennt  er  mich  Henoch?  Zwakh,  Jaromir,  die Uhr, Vrieslander,  Angelina,
Charousek.
     "Leben  Sie wohl und gedenken Sie meiner  zuweilen",  kam  es plctzlich
wieder laut und deutlich  von den  Lippen des Mcrders. Diesmal in Charouseks
Tonfall, aber dhnlich so, als hdtte ich selbst es gesagt.
     Ich  erinnerte  mich:  es war wcrtlich  der  SchluYAsatz  aus Charouseks
Brief. -
     Das Gesicht Laponders lag bereits im Dunkel. Das Mondlicht fiel auf die
Kopfenden des  Strohsacks.  In einer Viertelstunde muYAte  es aus  der  Zelle
verschwunden sein.
     Ich stellte Frage auf Frage, bekam aber keine Antwort mehr:
     Der Mcrder lag  unbeweglich  da wie  eine  Leiche  und hatte die  Lider
geschlossen.
     Ich machte mir die heftigsten Vorw'rfe, alle die Tage 'ber  in Laponder
nur den Verbrecher und niemals den Menschen gesehen zu haben. -
     Nach dem, was ich soeben erlebt, war er offenbar ein Somnambuler -  ein
Geschcpf, das unter dem EinfluYA des Vollmonds stand.
     Vielleicht hatte er  den Lustmord in einer  Art Ddmmerzustand begangen.
Bestimmt sogar. -
     Jetzt,  wo der  Morgen  graute,  war  die  Starrheit  aus  seinen Z'gen
gewichen und hatte dem Ausdruck seligen Friedens Platz gemacht.
     So ruhig  kann ein Mensch doch nicht schlummern, der einen Mord auf dem
Gewissen hat, sagte ich mir.
     Ich konnte den Moment, wo er aufwachen w'rde, kaum erwarten.
     Ob er wohl w'YAte, was geschehen war?
     Endlich schlug  er die Augen  auf,  begegnete meinem  Blick und sah zur
Seite.
     Sofort trat ich zu ihm und ergriff seine Hand: "Verzeihen Sie mir, Herr
Laponder,  daYA  ich bisher so unfreundlich zu Ihnen gewesen bin. Es war  das
Ungewohnte, das -"
     "Seien Sie 'berzeugt,  mein Herr, ich begreife  vollkommen," unterbrach
er  mich  lebhaft,  "daYA  es ein  scheuYAliches  Gef'hl  sein  muYA, mit einem
Lustmcrder beisammen zu sein."
     "Reden Sie nicht  mehr  davon", bat  ich. "Es ist  mir heute  nacht  so
mancherlei durch den  Kopf gegangen, und ich werde den  Gedanken  nicht los,
Sie kcnnten vielleicht - - -" ich suchte nach Worten.
     "Sie halten mich f'r krank", half er mir heraus.
     Ich bejahte: "Ich glaube es aus gewissen Anzeichen schlieYAen zu d'rfen.
Ich - ich - darf ich Ihnen eine direkte Frage stellen, Herr Laponder?"
     "Ich bitte darum."
     "Es klingt  etwas  merkw'rdig, - aber - w'rden Sie mir  sagen,  was Sie
heute getrdumt haben?"
     Er sch'ttelte ldchelnd den Kopf: "Ich trdume nie."
     "Aber Sie haben aus dem Schlaf gesprochen."
     Er blickte 'berrascht  auf.  Dachte  eine  Weile nach.  Dann  sagte  er
bestimmt:
     "Das kann nur geschehen sein, wenn Sie mich etwas gefragt haben." - Ich
gab es zu. "Denn wie gesagt,  ich trdume nie. Ich -  ich wandere", setzte er
nach einer Pause halblaut hinzu.
     "Sie wandern? Wie soll ich das verstehen?"
     Er schien nicht recht mit  der Sprache heraus zu  wollen, und ich hielt
es f'r angezeigt, ihm die Gr'nde zu nennen, die mich bewogen hatten, in  ihn
zu dringen, und erzdhlte ihm in Umrissen, was nachts geschehen war.
     "Sie  kcnnen sich fest darauf  verlassen," sagte  er ernst,  als ich zu
Ende war, "daYA alles auf Richtigkeit beruht, was ich  im  Schlaf  gesprochen
habe. Wenn ich vorhin  bemerkte, daYA ich nicht trdume, sondern ›wandere‹, so
meine ich damit, daYA  mein Traumleben anders  beschaffen ist als das - sagen
wir: normaler Menschen. Nennen Sie  es,  wenn Sie wollen,  ein Austreten aus
dem Kcrper. - - So war ich  z.  B. heute nacht  in einem hcchst  sonderbaren
Zimmer, zu dem der Eingang von unten herauf durch eine Fallt'r f'hrte."
     "Wie sah es aus?" fragte ich rasch. "War es unbewohnt? Leer?"
     "Nein; es standen  Mcbel darin; aber nicht viele. Und ein  Bett, in dem
ein junges  Mddchen schlief  - oder  wie scheintot lag, -  und ein Mann  saYA
neben  ihr und hielt seine Hand  'ber ihre Stirn." - Laponder schilderte die
Gesichter der beiden. Kein Zweifel, es waren Hillel und Mirjam.
     Ich wagte vor Spannung kaum zu atmen.
     "Bitte, erzdhlen Sie weiter. War sonst noch jemand im Zimmer?"
     "Sonst  noch jemand? Warten  Sie -  - - nein: sonst war niemand mehr im
Zimmer. Ein siebenflammiger Leuchter brannte auf dem Tisch.  - Dann ging ich
eine Wendeltreppe hinunter."
     "Sie war zerbrochen?" fiel ich ein.
     "Zerbrochen? Nein, nein; sie war ganz in Ordnung. Und von  ihr  zweigte
seitlich eine Kammer ab, darin saYA ein Mann mit  silbernen Schnallen an  den
Schuhen und von fremdartigem Typus, wie ich  noch nie einen Menschen gesehen
habe:  von gelber  Gesichtsfarbe  und  mit  schrdgstehenden Augen; -  er war
vorn'ber  gebeugt  und  schien  auf  etwas  zu  warten.  Auf  einen  Auftrag
vielleicht."
     "Ein  Buch  -  ein  altes groYAes  Buch  haben  Sie  nirgends gesehen?",
forschte ich.
     Er rieb sich die Stirn:
     "Ein Buch sagen Sie? - Ja. Sehr richtig: ein Buch lag auf dem Boden. Es
war  aufgeschlagen, ganz aus Pergament, und mit  einem  groYAen, goldenen ›A‹
fing die Seite an."
     "Mit einem ›I‹, meinen Sie wohl?"
     "Nein, mit einem ›A‹."
     "Wissen Sie das bestimmt? War es nicht ein ›I‹?"
     "Nein, es war bestimmt ein ›A‹."
     Ich  sch'ttelte  den  Kopf  und  fing  an zu  zweifeln.  Offenbar hatte
Laponder im Halbschlaf  in meinem Vorstellungsinhalt gelesen  und alles wirr
durcheinander  gebracht: Hillel,  Mirjam, den Golem,  das Buch Ibbur und den
unterirdischen Gang.
     "Haben  Sie die  Gabe  zu ›wandern‹, wie Sie es  nennen, schon  lang?",
fragte ich.
     "Seit meinem  21. Jahr - -  -", er stockte, schien nicht gern davon  zu
reden; da  nahm  seine Miene plctzlich  den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens
an, und er starrte auf meine Brust, als ob er dort etwas sdhe.
     Ohne auf meine Verwunderung zu achten, ergriff er hastig meine Hand und
bat - fast flehentlich:
     "Um Himmels  willen, sagen Sie mir alles. Es ist  heute der letzte Tag,
den ich  bei Ihnen verbringen darf.  Vielleicht  schon in einer Stunde werde
ich abgeholt, um mein Todesurteil anzuhcren - -."
     Ich unterbrdche ihn entsetzt:
     "Dann m'ssen Sie mich  mitnehmen als Zeugen! Ich  werde beschwcren, daYA
Sie  krank sind.  -  Sie sind monds'chtig. Es darf  nicht  sein, daYA man Sie
hinrichtet,  ohne Ihren  Geisteszustand untersucht zu haben.  So  nehmen Sie
doch Vernunft an!"
     Er wehrte nervcs ab: "Das ist doch so nebensdchlich, - bitte, sagen Sie
mir alles!"
     "Aber was  soll ich Ihnen denn sagen? - Reden wir doch lieber von Ihnen
und - -"
     "Sie m'ssen,  ich weiYA das jetzt, gewisse, seltsame Dinge erlebt haben,
die mich nah angehen, - ndher als Sie ahnen kcnnen; - - ich bitte Sie, sagen
Sie mir alles!", flehte er.
     Ich konnte es nicht fassen, daYA ihn mein  Leben  mehr interessierte als
seine  eigenen, doch wahrhaftig gen'gend dringenden Angelegenheiten;  um ihn
aber  zu  beruhigen,  erzdhlte ich  ihm alles, was  mir  an  Unbegreiflichem
geschehen war.
     Bei jedem grcYAeren Abschnitt nickte er  zufrieden, wie jemand, der eine
Sache bis zum Grund durchschaut.
     Als  ich  zu  der Stelle kam, wo  die  Erscheinung ohne  Kopf  vor  mir
gestanden und mir  die schwarzroten  Kcrner hingehalten hatte, konnte er  es
kaum erwarten, den SchluYA zu erfahren.
     "Also, aus der Hand geschlagen haben Sie sie ihm", murmelte er sinnend.
"Ich hdtte nie gedacht, daYA es einen dritten ›Weg‹ geben kcnnte.
     "Es war  das  kein dritter  Weg", sagte ich, "es war derselbe, wie wenn
ich die Kcrner abgelehnt hdtte."
     Er ldchelte.
     "Glauben Sie nicht, Herr Laponder?"
     "Wenn  Sie sie  abgelehnt  hdtten,  wdren  Sie wohl  auch den  ›Weg des
Lebens‹ gegangen, aber die Kcrner, die magische Krdfte bedeuten, wdren nicht
zur'ckgeblieben. -  So sind sie  auf den  Boden gerollt, wie Sie sagen.  Das
heiYAt:  sie  sind hiergeblieben und  werden  von  Ihren Vorfahren  so  lange
geh'tet,  bis die Zeit des Keimens da ist.  Dann  werden  die Krdfte, die in
Ihnen jetzt noch schlummern, lebendig werden."
     Ich verstand nicht: "Von meinen Vorfahren werden die Kcrner beh'tet?"
     "Sie m'ssen es teilweise symbolisch auffassen, was Sie  erlebt  haben",
erkldrte  Laponder.  "Der Kreis der bldulich  strahlenden  Menschen, der Sie
umstand,  war die  Kette  der  ererbten ›Iche‹, die  jeder  von einer Mutter
Geborene mit sich herumschleppt.  Die  Seele ist  nichts  ›Einzelnes‹, - sie
soll es erst  werden, und das nennt man dann: ›Unsterblichkeit‹;  Ihre Seele
ist  noch zusammengesetzt aus  vielen ›Ichen‹ - so, wie ein Ameisenstaat aus
vielen Ameisen; Sie tragen die seelischen Reste vieler tausend Vorfahren  in
sich: - die  Hdupter Ihres  Geschlechtes. Bei  allen  Wesen ist es  so.  Wie
kcnnte  denn  ein Huhn,  das  aus einem Ei k'nstlich  erbr'tet  wurde,  sich
sogleich  die  richtige  Nahrung  suchen,  wenn  nicht  die  Erfahrung   von
Jahrmillionen  in ihm  stdke? - Das Vorhandensein des ›Instinkts‹ verrdt die
Gegenwart der Vorfahren im Leib und in der Seele. - Aber, verzeihen Sie, ich
wollte Sie nicht unterbrechen."
     Ich  erzdhlte   zu  Ende.  Alles.  Auch   das,   was  Mirjam  'ber  den
"Hermaphroditen" gesagt hatte.
     Als  ich innehielt  und  aufblickte, bemerkte ich,  daYA  Laponder  weiYA
geworden war wie der Kalk an der Wand und Trdnen 'ber seine Wangen liefen.
     Rasch stand ich auf, tat, als sdhe  ich es nicht, und ging in der Zelle
auf und nieder, um abzuwarten, bis er sich beruhigt haben w'rde.
     Dann  setzte ich  mich ihm gegen'ber und  bot meine ganze  Beredsamkeit
auf, ihn  zu 'berzeugen,  wie dringend nctig es wdre, den Richtern gegen'ber
auf seinen krankhaften Geisteszustand hinzuweisen.
     "Wenn Sie wenigstens den Mord nicht eingestanden hdtten!", schloYA ich.
     "Aber ich muYAte doch! Man hat mich auf mein Gewissen gefragt", sagte er
naiv.
     "Halten  Sie denn eine L'ge f'r schlimmer  als  - als einen Lustmord?",
fragte ich verbl'fft.
     "Im allgemeinen  vielleicht  nicht,  in meinem Fall gewiYA. - Sehen Sie:
als ich vom Untersuchungsrichter gefragt wurde,  ob ich  gest'nde, hatte ich
die Kraft, die Wahrheit zu  sagen. Es stand also  in  meiner Wahl, zu  l'gen
oder nicht zu l'gen. - Als ich den  Lustmord beging - -  bitte, ersparen Sie
mir  die Details: es  war so grdYAlich, daYA ich  die  Erinnerung nicht wieder
aufleben lassen mcchte  - - als ich den  Lustmord beging, da hatte ich keine
Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen  klarem BewuYAtsein handelte, so hatte ich
dennoch keine Wahl: irgend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nie geahnt
hatte, wachte auf und war  stdrker als ich.  Glauben Sie, wenn ich  die Wahl
gehabt haben  w'rde,  ich  hdtte gemordet? - Nie  habe ich  getctet -  nicht
einmal  das kleinste  Tier,  - und jetzt wdre ich es  schon  gar nicht  mehr
imstande.
     Nehmen  Sie  an,  es  wdre  Menschengesetz:  zu  morden,  und  auf  die
Unterlassung st'nde der  Tod  - dhnlich, wie  es im  Krieg  der Fall  ist, -
augenblicklich hdtte ich mir den Tod verdient. - Weil mir keine Wahl bliebe.
Ich kcnnte ganz  einfach nicht morden.  Damals, als ich den Lustmord beging,
lag die Sache umgekehrt."
     "Um so mehr, wo Sie sich jetzt quasi als ein anderer f'hlen, m'ssen Sie
alles aufbieten, dem Richterspruch zu entgehen!", wandte ich ein.
     Laponder machte eine  abwehrende Handbewegung: "Sie  irren! Die Richter
haben  von ihrem Standpunkt  aus ganz recht. Sollen sie  einen Menschen  wie
mich vielleicht frei umherlaufen lassen? Damit morgen oder 'bermorgen wieder
das Unheil losbricht?"
     "Nein; aber  in  einer  Heilanstalt f'r Geisteskranke  sollte  man  Sie
internieren. Das ist es doch, was ich sage!"
     "Wenn  ich  irrsinnig  wdre,  hdtten  Sie  recht",  erwiderte  Laponder
gleichm'tig. "Aber ich  bin  nicht irrsinnig. Ich  bin etwas ganz anderes, -
etwas, was  dem Irrsinn sehr dhnlich sieht, aber gerade das  Gegenteil  ist.
Bitte,  hcren Sie zu. Sie werden mich sogleich verstehen. - -  - Was Sie mir
vorhin von dem Phantom ohne Kopf - ein Symbol nat'rlich: dieses Phantom; den
Schl'ssel kcnnen Sie leicht finden, wenn Sie dar'ber nachdenken - erzdhlten,
ist mir einst genauso passiert. Nur habe ich die Kcrner angenommen. Ich gehe
also den ›Weg des Todes‹! - F'r mich ist das Heiligste, das ich denken kann:
meine Schritte vom Geistigen in mir lenken zu lassen. Blind, vertrauensvoll,
wohin  der Weg auch f'hren  mag: ob zum Galgen  oder zum Thron, ob zur Armut
oder  zum Reichtum. Niemals habe ich gezcgert, wenn die  Wahl in meine  Hand
gelegt war.
     Darum habe ich auch nicht gelogen, als die Wahl in meiner Hand lag.
     Kennen Sie die Worte des Propheten Micha:
     "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist,
     und was der Herr von dir fordert,"?
     W'rde ich gelogen haben, hdtte  ich eine  Ursache geschaffen, weil  ich
die Wahl hatte; -  - als ich den  Mord beging, schuf  ich keine Ursache; nur
die Wirkung  einer in mir  schlummernden,  ldngst gelegten Ursache, 'ber die
ich keine Gewalt mehr besaYA, wurde frei.
     Also sind meine Hdnde rein.
     Dadurch, daYA  das Geistige in  mir mich zum  Mcrder werden lieYA, hat es
eine Hinrichtung an mir  vollzogen; dadurch, daYA  mich  die  Menschen an den
Galgen kn'pfen, wird mein Schicksal  losgelcst von dem ihrigen:  - ich komme
zur Freiheit."
     Er ist  ein Heiliger, f'hlte ich, und  das  Haar strdubte sich mir  vor
Schauder 'ber meine eigene Kleinheit.
     "Sie haben mir  erzdhlt,  daYA Sie durch den hypnotischen Eingriff eines
Arztes  in Ihr BewuYAtsein  lange die Erinnerung an Ihre Jugendzeit vergessen
hatten", fuhr er  fort.  "Es ist das  das Kennzeichen - das Stigma  -  aller
derer,  die von  der  ›Schlange  des geistigen Reiches‹  gebissen  sind.  Es
scheint fast, als m'YAten in uns zwei Leben aufeinandergepfropft  werden, wie
ein Edelreis auf den wilden Baum,  ehe  das  Wunder  der Erweckung geschehen
kann; -  was  sonst  durch  den  Tod  getrennt wird,  geschieht  hier  durch
Erlcschen der Erinnerung - manchmal nur durch eine plctzliche innere Umkehr.
     Bei mir war es so,  daYA ich scheinbar ohne duYAere Ursache in meinem 21.
Jahr  eines Morgens wie verdndert erwachte.  Was mir bis dahin lieb gewesen,
erschien mir mit einemmal gleichg'ltig: Das  Leben kam mir dumm vor wie eine
Indianergeschichte  und  verlor   an  Wirklichkeit;  die  Trdume  wurden  zu
GewiYAheit - zu apodiktischer, beweiskrdftiger GewiYAheit, verstehen Sie wohl:
zu beweiskrdftiger,  realer GewiYAheit,  und das  Leben des Tages  wurde  zum
Traum.
     Alle  Menschen  kcnnten  das,  wenn  sie den Schl'ssel  hdtten. Und der
Schl'ssel liegt einzig  und allein darin, daYA  man sich seiner ›Ichgestalt‹,
sozusagen seiner  Haut, im Schlaf bewuYAt wird,  - die schmale  Ritze findet,
durch die sich das BewuYAtsein zwdngt zwischen Wachsein und Tiefschlaf.
     Darum sagte ich vorhin: ›ich wandere‹ und nicht: ›ich trdume‹.
     Das Ringen nach  der Unsterblichkeit ist ein  Kampf um das Zepter gegen
die  uns  innewohnenden  Kldnge  und  Gespenster;  und das  Warten  auf  das
Kcnigwerden des eigenen ›Ichs‹ ist das Warten auf den Messias.
     Der schemenhafte  Habal Garmin, den Sie  gesehen haben, der ›Hauch  der
Knochen‹ der Kabbala, das war der Kcnig. Wenn er gekrcnt sein  wird, dann  -
reiYAt der  Strick  entzwei,  mit dem Sie  durch  die duYAeren  Sinne  und den
Schornstein des Verstandes an die Welt gebunden sind.
     Wieso es  kommen konnte, daYA ich trotz meinem Losgetrenntsein vom Leben
'ber Nacht zum Lustmcrder werden konnte, fragen Sie mich? Der Mensch ist wie
ein Glasrohr, durch das bunte Kugeln laufen: bei fast allen im Leben nur die
eine. Ist die Kugel rot, heiYAt der Mensch: ›schlecht‹.  Ist sie  gelb,  dann
ist der Mensch:  ›gut‹. Laufen  zwei  hintereinander  - eine rote  und  eine
gelbe, dann hat ›man‹ einen ›ungefestigten‹ Charakter. Wir von der ›Schlange
Gebissenen‹,  machen in einem  Leben durch, was sonst an der ganzen Rasse in
einem  Weltenalter  geschieht: die farbigen Kugeln rasen  hintereinander her
durch das Glasrohr, und wenn sie zu Ende sind - - dann sind wir Propheten, -
sind die Spiegel Gottes geworden."
     Laponder schwieg.
     Lange konnte  ich  kein Wort  sprechen.  Seine  Rede  hatte  mich  fast
betdubt.
     "Weshalb fragten Sie mich vorhin  so dngstlich nach meinen Erlebnissen,
wo  Sie  doch so  viel, viel hcher stehen als ich?", fing ich endlich wieder
an.
     "Sie irren," sagte  Laponder, "ich stehe weit unter Ihnen. - Ich fragte
Sie, weil ich f'hlte, daYA Sie den Schl'ssel besitzen, der mir noch fehlte."
     "Ich? Einen Schl'ssel. O Gott!"
     "Jawohl Sie! Und Sie  haben ihn mir gegeben. - Ich glaube nicht, daYA es
einen gl'cklicheren Menschen auf Erden gibt, als ich es heute bin."
     DrauYAen entstand ein  Gerdusch; die  Riegel  wurden zur'ckgeschoben,  -
Laponder achtete kaum darauf:
     "Das mit dem Hermaphroditen  war  der  Schl'ssel.  Jetzt habe  ich  die
GewiYAheit.  Schon deshalb bin ich froh,  daYA man mich holen kommt, denn bald
bin ich am Ziel."
     Vor Trdnen konnte  ich Laponders Gesicht  nicht mehr unterscheiden, ich
hcrte nur das Ldcheln in seiner Stimme.
     "Und jetzt: Leben Sie wohl, Herr Pernath, und denken  Sie: das, was man
morgen  aufhenkt,  sind  nur  meine  Kleider;  Sie  haben mir  das  Schcnste
ercffnet, - das Letzte, was ich noch nicht wuYAte.  Jetzt geht's zur Hochzeit
-  -  -," er  stand auf und folgte  dem Gefangenwdrter - "es hdngt  mit  dem
Lustmord  eng  zusammen",  waren  die letzten  Worte, die ich  hcrte und nur
dunkel begriff.
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     Sooft seit jener Nacht der Vollmond am Himmel  stand, glaubte ich immer
wieder  Laponders  schlafendes Gesicht  auf der grauen  Leinwand des  Bettes
liegen zu sehen.
     In den ndchsten Tagen,  nachdem er weggef'hrt worden war, hatte ich ein
Hdmmern  und  Zimmern  aus  dem  Hinrichtungshof  heraufdrchnen  hcren,  das
manchmal bis zum Morgengrauen dauerte.
     Ich erriet, was es bedeutete,  und hielt  mir stundenlang die Ohren  zu
vor Verzweiflung.
     Monat um Monat verfloYA. Ich sah, wie der Sommer zerrann, am Krankwerden
des k'mmerlichen Laubs im Hof; roch  es an dem pelzigen  Hauch,  der aus den
Mauern drang.
     Wenn mein Blick bei den Rundgdngen auf den sterbenden Baum fiel und das
eingewachsene  Glasbild der Heiligen in seiner Rinde,  zog ich unwillk'rlich
jedesmal den  Vergleich,  wie  tief sich  auch  Laponders  Gesicht  in  mich
eingegraben hatte.  Bestdndig trug ich es in mir herum, dieses Buddhagesicht
mit der faltenlosen Haut und dem seltsamen, immerwdhrenden Ldcheln.
     Ein   einziges   Mal   noch   -   im   September   -  hatte  mich   der
Untersuchungsrichter holen  lassen  und  miYAtrauisch  gefragt,  wie  ich  es
begr'nden  kcnne, daYA  ich bei  dem Bankschalter gesagt,  ich m'sse dringend
verreisen, und warum  ich  in den  Stunden vor meiner Verhaftung  so unruhig
gewesen wdre und meine sdmtlichen Edelsteine zu mir gesteckt hdtte.
     Auf meine Antwort, ich sei mit der Absicht umgegangen, mir das Leben zu
nehmen, hatte es wieder hinter dem Schreibtisch hchnisch gemeckert. -
     Bis  dahin  war  ich allein in  meiner Zelle gewesen und konnte  meinen
Gedanken, meiner  Trauer um Charousek, der, wie ich f'hlte, ldngst tot  sein
muYAte, und Laponder und meiner Sehnsucht nach Mirjam nachhdngen.
     Dann  kamen  wieder  neue  Gefangene:  diebische  Kommis mit  verlebten
Gesichtern, dickwanstige Bankkassierer,  - "Waisenkinder", wie der  schwarze
Vussatka sie genannt  haben  w'rde, - und  verpesteten mir  die Luft und die
Stimmung.
     Eines  Tages gab einer von ihnen voll Entr'stung zum  besten,  daYA  vor
geraumer Zeit ein Lustmord in der Stadt geschehen sei. Zum  Gl'ck hdtte  man
den Tdter sogleich erwischt und kurzen ProzeYA mit ihm gemacht.
     "Laponder hat  er  geheiYAen,  der Schuft, der gottserbdrmliche", schrie
ein Kerl mit  einer Raubtierschnauze, der  wegen  KindsmiYAhandlung  zu  - 14
Tagen  Gefdngnis  verurteilt  worden  war,  dazwischen.  "Auf  frischer  Tat
habn's'n g'faYAt. Die Lampen is umg'fallen bei dem  Krawall  und's  Zimmer is
ausbrennt. Die Leich'  von dem Mddel is  dabei so verkohlt, daYA mer  bis zum
heutigen Tage noch  nct  hat  rausbringen  kcnnen, wer sie  eigentlich  war.
Schwarze  Haar hat's  g'habt und a  schmal's G'sicht, dcs  is  alls, was mer
weiYA. Und der Laponder hat  net ums Verrecken rausg'r'ckt mit ihrem Namen. -
Wann's nach  mir gangen wdr,  i hdtt  ihm d'Haut ab'zogen und Pfeffer  drauf
g'streut. - Dcs san halt die feinen Herren! Mcrder san's, alle z'samm. - - -
- Als ob's net anderne Mittel g'nua gebet, wann aner a Mddel los sein w'll",
setzte er mit zynischem Ldcheln hinzu.
     Die Wut kochte in mir, und am liebsten hdtte  ich den Halunken zu Boden
geschlagen.
     Nacht f'r Nacht  schnarchte  er in dem  Bett, auf dem Laponder gelegen.
Ich atmete auf, als er endlich freigelassen wurde.
     Aber selbst  da war ich ihn  noch nicht los:  seine Rede hatte sich wie
ein Pfeil mit Widerhaken in mich eingebohrt.
     Fast bestdndig, hauptsdchlich in der Dunkelheit, nagte jetzt in mir der
grausige Verdacht, Mirjam kcnnte das Opfer Laponders gewesen sein.
     Je mehr ich dagegen ankdmpfte, desto tiefer verstrickte ich mich in dem
Gedanken, bis er beinahe zur fixen Idee wurde.
     Manchmal, besonders wenn  der Mond grell durchs Gitter schien, wurde es
besser:  ich konnte mir  die Stunden,  die  ich  mit Laponder  verlebt, dann
lebendig machen, und das tiefe Gef'hl  f'r ihn verscheuchte mir die Qual,  -
aber nur zu oft kamen die grdYAlichen Minuten wieder,  wo ich Mirjam ermordet
und  verkohlt  im  Geiste  vor mir sah und glaubte,  vor Angst  den Verstand
verlieren zu m'ssen.
     Die  schwachen  Anhaltspunkte,  die  ich  f'r  meinen  Verdacht  hatte,
verdichteten  sich  in  solchen  Zeiten zu einem geschlossenen  Ganzen, - zu
einem Gemdlde voll unbeschreiblich entsetzenerregender Einzelheiten.
     Anfang  November gegen 10 Uhr abends,  es war bereits stockfinster  und
die Verzweiflung in mir hatte  einen  derartigen Hchepunkt erreicht, daYA ich
mich,  um  nicht laut aufzuschreien,  in  meinen Strohsack  verbiYA  wie  ein
verdurstendes  Tier,  cffnete  plctzlich  der  Gefangenwdrter die  Zelle und
forderte mich auf, mit  ihm  zum Untersuchungsrichter zu  kommen. Ich f'hlte
mich so schwach, daYA ich mehr taumelte als ging.
     Die  Hoffnung, jemals dieses schreckliche Haus verlassen zu d'rfen, war
ldngst in mir gestorben.
     Ich machte  mich  darauf  gefaYAt, wieder  eine  kalte Frage gestellt zu
bekommen, das stereotype Gemecker  hinter dem Schreibtisch zu hcren und dann
zur'ck in die Finsternis zu m'ssen.
     Der  Herr Baron Leisetreter war bereits nach Hause gegangen und nur ein
alter, buckliger Schreiber mit Spinnenfingern stand im Zimmer.
     Dumpf wartete ich, was mit mir geschehen w'rde.
     Es fiel mir auf, daYA der Gefangenwdrter mit hereingekommen war und  mir
gutm'tig zublinzelte, aber ich war viel zu niedergeschlagen, als daYA ich mir
'ber die Bedeutung alles dessen hdtte klarwerden kcnnen.
     "Die Untersuchung hat ergeben", fing der Schreiber  an, meckerte, stieg
auf  einen  Sessel  und  kramte   erst   lange  auf  dem   B'cherbord   nach
Schriftst'cken,  ehe  er fortfuhr:  "hat ergeben, daYA der  in Frage kommende
Karl Zottmann vor seinem Tode  anldYAlich  einer heimlichen Zusammenkunft mit
der unverehelichten ehemaligen Prostituierten Rosina Metzeles, die damaliger
Zeit  den  Spitznamen  ›die  rote Rosina‹  f'hrte,  dann  spdter  von  einem
taubstummen,    nunmehr    unter     polizeilicher     Aufsicht    stehenden
Silhubettenschneider namens Jaromir KwbYAnitschka aus dem Weinsalon ›Kautsky‹
losgekauft wurde und seit einigen Monaten mit Seiner Durchlaucht dem F'rsten
Ferri Athenstddt im gemeinsamen, wilden Konkubinate als Maiteresse lebt, von
hinterlistiger Hand in  ein unterirdisches, aufgelassenes  Kellergewclbe des
Hauses  Nummer  conscriptionis  21873,  gebrochen  durch  rcmisch  III,  der
HahnpaYAgasse, laufende Numero sieben, gelockt, dortselbst eingeschlossen und
sich selbst,  beziehungsweise  dem  Tode  durch  Verhungern  oder  Erfrieren
'berlassen  wurde.  -  -  Der  obenerwdhnte Zottmann ndmlich",  erkldrte der
Schreiber mit einem Blick 'ber die  Brille hinweg und bldtterte  ein paarmal
um.
     "Die  Untersuchung  hat  weiters  ergeben,  daYA  der  obenerwdhnte Karl
Zottmann  allem  Anscheine  nach  -  nach  eingetretenem  Ableben  -  seiner
sdmtlichen  bei  ihm  getragenen  Habseligkeiten,  insbesondere  seiner  sub
faszikel  rcmisch P gebrochen durch ›Bdh‹ beigeschlossenen  doppelmanteligen
Taschenuhr" - der  Schreiber hob die Uhr an der Kette in die Hche - "beraubt
wurde.  Der  eidesstattlichen  Aussage  des   Silhubettenschnitzers  Jaromir
KwbYAnitschka,   verwaisten   Sohnes   des   vor   17   Jahren   verstorbenen
Hostienbdckers gleichen Namens:  die Uhr im Bette seines inzwischen fl'chtig
gegangenen Bruders Loisa gefunden und an den Altwarenhdndler und mehrfachen,
inzwischen aus dem  Leben geschiedenen  Realitdtenbesitzer Aaron  Wassertrum
gegen  Inempfangnahme  von  Geldeswert verduYAert  zu  haben, konnte  mangels
Glaubw'rdigkeit kein Gewicht beigelegt werden.
     Die Untersuchung hat weiters ergeben, daYA die Leiche des erwdhnten Karl
Zottmann in der r'ckwdrtigen  Hosentasche  zur  Zeit  ihrer  Auffindung  ein
Notizbuch bei sich  trug,  in  der  sie  vermutlich bereits  einige Tage vor
erfolgtem Ableben  mehrere den Tatbestand erhellende und  die Ergreifung des
Tdters durch  die  k.  k. Behcrden  erleichternde  Eintragungen  vorgenommen
hatte.
     Das Augenmerk einer hohen k. und k. Staatsanwaltschaft wurde demzufolge
auf  den  nunmehr  durch  die  Zottmannschen letztwilligen Notizen  dringend
verddchtig  gewordenen  Loisa  KwbYAnitschka,  zurzeit  fl'chtig, gelenkt und
unter  einem  verf'gt,   die  Untersuchungshaft  gegen  Athanasius  Pernath,
Gemmenschneider, dermalen noch  unbescholten, aufzuheben, und das  Verfahren
gegen ihn einzustellen.
     Prag im Juli
     gezeichnet
     Dr. Freiherr von Leisetreter."
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     Der Boden schwankte unter meinen F'YAen, und  ich verlor eine Minute das
BewuYAtsein.
     Als  ich erwachte,  saYA  ich auf  einem  Stuhl, und der  Gefangenwdrter
klopfte mir freundlich auf die Schulter.
     Der Schreiber war vollkommen ruhig geblieben, schnupfte, schneuzte sich
und sagte zu mir:
     "Die Verlesung der Verf'gung hat sich bis heute hinausgezogen, weil Ihr
Name mit einem ›Pdh‹  beginnt und naturgemdYA  im  Alphabet erst gegen SchluYA
vorkommen kann." - Dann las er weiter:
     "Xberdies ist der Athanasius  Pernath, Gemmenschneider,  in Kenntnis zu
setzen,  daYA  ihm  laut  testamentarischer  Verf'gung des  im  Mai  mit  Tod
abgegangenen stud. med. Innocenz Charousek  ein Drittel  von dessen gesamter
Verlassenschaft ins Erbe zugefallen ist, und  ist er  zur Unterfertigung des
Protokolls hiermit anzuhalten."
     Der Schreiber  hatte bei dem letzten Wort die Feder eingetunkt und fing
an zu schmieren.
     Ich erwartete gewohnheitsmdYAig, daYA  er meckern w'rde, aber er meckerte
nicht.
     "Innocenz Charousek", murmelte ich ihm wie geistesabwesend nach.
     Der Gefangenwdrter beugte sich 'ber mich und fl'sterte mir ins Ohr:
     "Kurz vor seinem Tode war  er bei mir, der Herr  Dr. Charousek, und hat
sich nach Ihnen erkundigt. Er ldYAt  Sie viel-vielmals gr'YAen, hat er g'sagt.
Ich hab's nat'rlich damals nicht ausrichten d'rfen. Es ist streng  verboten.
Ein schreckliches Ende hat  er 'brigens genommen, der Herr Dr. Charousek. Er
hat  sich selbst  entleibt.  Man hat ihn  tot auf  dem Grabh'gel  des  Aaron
Wassertrum,  auf der Brust liegend, gefunden. - Er hat zwei  tiefe Lccher in
die  Erde  gegraben gehabt, sich  die Pulsadern aufgeschnitten  und dann die
Arme in  die Lccher gesteckt.  So ist  er verblutet. Er  ist  wahrscheinlich
wahnsinnig gewesen, der Herr Dr. Char - - -"
     Der Schreiber schob gerduschvoll seinen  Stuhl zur'ck und  reichte  mir
die Feder zum Unterschreiben.
     Dann  richtete  er  sich stolz  auf  und sagte genau im Tonfall  seines
freiherrlichen Vorgesetzten:
     "Gefangenwdrter, f'hren Sie den Mann hinaus."
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     Wie  vor  langer,  langer Zeit hatte wiederum  der Mann  mit  Sdbel und
Unterhosen im  Torzimmer seine  Kaffeem'hle vom  SchoYA genommen; nur daYA  er
mich diesmal  nicht untersuchte  und mir meine Edelsteine,  das Portemonnaie
mit den zehn Gulden darin, meinen Mantel und alles 'brige zur'ckgab. - - -
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     Dann stand ich auf der StraYAe.
     "Mirjam! Mirjam! Jetzt endlich naht das Widersehen!" - Ich unterdr'ckte
einen Schrei wildesten Entz'ckens.
     Es muYAte Mitternacht  sein.  Der  Vollmond schwebte  glanzlos  wie  ein
fahler Messingteller hinter Dunstschleiern.
     Das Pflaster war mit einer zdhen Schicht von Schmutz bedeckt.
     Ich  wankte  auf  eine  Droschke  zu,  die  im  Nebel  aussah  wie  ein
zusammengebrochenes vorsintflutliches  Ungeheuer. Meine Beine versagten fast
den Dienst; ich hatte das Gehen verlernt und taumelte - auf empfindungslosen
Sohlen wie ein R'ckenmarkskranker. - -
     "Kutscher, fahren Sie mich, so rasch Sie kcnnen, in die HahnpaYAgasse 7!
- Haben Sie mich verstanden?: - HahnpaYAgasse 7."

     Nach wenigen Metern Fahrt blieb die Droschke stehn.
     "HahnpaYAgassd, gnd' Herr?"
     "Ja, ja, nur rasch."
     Wieder fuhr der Wagen ein St'ck weiter. Wieder blieb er stehen.
     "Um Himmels willen, was gibt's denn?"
     "HahnpaYAgassd', gnd' Herr?"
     "Ja, ja. Ja doch."
     "In die HahnpaYAgassd kann me doch nicht fahrrdhn!"
     "Warum denn nicht?"
     "Ise sich doch ieberall Pflaste aufgrissen, Judenstadt wirde sich  doch
assaniert."
     "Also fahren Sie eben, soweit Sie kcnnen, aber jetzt rasch gefdlligst."
     Die  Droschke machte  einen  einzigen Galoppsprung und  stolperte  dann
gemdchlich weiter.
     Ich  lieYA die  klapprigen Fenster  herunter und sog mit gierigen Lungen
die Nachtluft ein.
     Alles war mir so fremd geworden, so unbegreiflich  neu: die Hduser, die
StraYAen,  die  geschlossenen  Ldden.  Ein  weiYAer  Hund  trabte  einsam  und
miYAgelaunt  auf  dem  nassen  Trottoir  vor'ber.  Ich sah  ihm  nach. -  Wie
sonderbar!! Ein Hund! Ich  hatte ganz  vergessen, daYA es solche Tiere gab. -
Vor  Freude  kindisch rief ich ihm nach: "Aber,  aber!  Wie kann man nur  so
verdrossen sein." - - -
     Was Hillel wohl sagen w'rde!? - Und Mirjam?
     Nur noch wenige Minuten  und ich war  bei ihnen. Nicht eher wollte  ich
aufhcren, an ihre T'r zu klopfen, bis ich sie aus den Federn getrieben.
     Jetzt war ja alles gut - all der Jammer dieses Jahres vor'ber! -
     W'rde das ein Weihnachten werden!
     Diesmal durfte ich es nicht verschlafen, wie das letztemal.
     Einen Augenblick lahmte mich wieder  das alte  Entsetzen: die Worte des
Strdflings mit der Raubtierschnauze fielen mir ein. Das verbrannte Gesicht -
der  Lustmord  - aber nein,  nein! - Ich sch'ttelte  es gewaltsam ab:  nein,
nein, es  konnte, es konnte nicht sein. - Mirjam lebte!  Ich hatte doch ihre
Stimme aus Laponders Mund gehcrt.
     Nur noch eine Minute - eine halbe - - und dann -
     Die   Droschke  hielt   vor   einem   Tr'mmerhaufen.   Barrikaden   aus
Pflastersteinen 'berall!
     Rote Laternen brannten darauf.
     Beim Schein von Fackeln grub und schaufelte ein Heer von Arbeitern.
     Halden von  Schutt und Mauerbrocken  versperrten den Weg. Ich kletterte
umher, versank bis ans Knie.
     Das hier, das muYAte doch die HahnpaYAgasse sein?!
     M'hsam orientierte ich mich. Nichts als Ruinen ringsum.
     Stand denn da nicht das Haus, in dem ich gewohnt hatte?
     Die Vorderseite war eingerissen.
     Ich kletterte  auf einen Erdh'gel; tief unter mir  lief ein  schwarzer,
gemauerter Gang die ehemalige Gasse  entlang. Ich schaute empor: wie riesige
Bienenzellen hingen die  bloYAgelegten Wohnrdume nebeneinander in  der  Luft,
halb vom Fackelschein, halb von dem tr'ben Mondlicht beschienen.
     Das dort  oben,  das muYAte mein Zimmer sein  -  ich erkannte es  an der
Bemalung der Wdnde.
     Nur noch ein Streifen davon war 'brig.
     Und daranstoYAend das Atelier - Saviolis. Mir wurde  plctzlich ganz leer
im Herzen. Wie seltsam! Das Atelier! - Angelina! - - So weit,  so unabsehbar
fern lag das alles hinter mir!
     Ich drehte mich um: von dem Haus, in dem Wassertrum gewohnt, kein Stein
mehr auf dem andern. Alles dem Erdboden gleichgemacht: der Trcdlerladen, die
Kellerwohnung Charouseks - - - alles, alles.
     "Der Mensch geht dahin wie  ein Schatten"  - fiel mir ein Satz ein, den
ich einmal irgendwo gelesen.
     Ich fragte  einen  Arbeiter,  ob er  nicht wisse,  wo  die  Leute jetzt
wohnten, die hier  ausgezogen seien; ob er vielleicht den Archivar Schemajah
Hillel kenne.
     "Nix daitsch", war die Antwort.
     Ich schenkte dem  Mann  einen Gulden: er verstand zwar sofort  deutsch,
konnte mir aber keine Auskunft geben.
     Auch von seinen Kameraden niemand.
     Vielleicht, daYA beim "Loisitschek" etwas zu erfahren wdre?
     Der "Loisitschek" sei gesperrt, hieYA es, das Haus w'rde renoviert.
     Also irgend jemand in der Nachbarschaft wecken! - Ging das nicht?
     "Weit a  breit  wohnt  sich  keine Katz," sagte der Arbeiter; "weil ise
behdrdlich verbotten. Von wdgen Typhus."
     "Der ›Ungelt‹? Der wird doch offen haben?"
     "Ungelt ise sich geschlossen."
     "Bestimmt?"
     "Bestimmt!"
     Aufs   Geratewohl   nannte  ich   ein  paar   Namen  von  Hccklern  und
Tabaktrafikantinnen,  die in der Ndhe gewohnt hatten; dann die  Namen Zwakh,
Vrieslander, Prokop - -
     Bei allen sch'ttelte der Mann den Kopf.
     "Vielleicht kennen Sie den Jaromir KwbYAnitschka?"
     Der Arbeiter horchte auf.
     "Jaromir? Ise sich taubstumm?"
     Ich jubelte. Gott sei Dank. Wenigstens ein Bekannter.
     "Ja, er ist taubstumm. Wo wohnt er?"
     "Schneid 'e sich Bildeln aus? Aus schwarzem Pappjir?"
     "Ja. Er ist es schon. Wo kann ich ihn wohl treffen?"
     So umstdndlich wie mcglich  bezeichnete mir  der Mann ein Nachtcafjhaus
in der inneren Stadt und fing sofort wieder an zu schaufeln.
     Xber eine Stunde lang  watete  ich durch Schuttfelder, balancierte 'ber
schwankende  Bretter  und  kroch  unter  Querbalken  durch, die  die StraYAen
versperrten. Das ganze Judenviertel war  eine  einzige Steinw'ste, als hdtte
ein Erdbeben die Stadt zerstcrt.
     Atemlos vor  Aufregung, schmutzbedeckt und mit zerrissenen Schuhen fand
ich mich endlich aus dem Labyrinth heraus.
     Ein paar Hduserreihen, und ich stand vor der gesuchten Spelunke.
     "Cafe Chaos" stand dar'ber geschrieben.
     Ein  menschenleeres,  winziges  Lokal, das kaum gen'gend Platz lieYA f'r
die paar Tische, die an die Wdnde ger'ckt waren.
     In der Mitte auf  einem  dreibeinigen Billard schlief  ein  Kellner und
schnarchte.
     Ein Marktweib, mit einem  Gem'sekorb  vor  sich, saYA  in der  Ecke  und
nickte 'ber einem Glase Caj.
     Endlich geruhte  der Kellner  aufzustehen und mich  zu  fragen, was ich
w'nschte. Bei dem  frechen  Blick,  mit  dem  er  mich  vom Kopf bis zu  FuYA
musterte, kam mir erst zum BewuYAtsem, wie abgerissen ich aussehen muYAte.
     Ich warf  einen Blick in  den Spiegel und entsetzte mich: ein  fremdes,
blutleeres  Gesicht, faltig, grau wie Kitt, mit struppigem Bart  und wirrem,
langem Haar starrte mir entgegen.
     Ob der Silhouettenschneider Jaromir nicht dagewesen sei, fragte ich und
bestellte schwarzen Kaffee.
     "WoaYA net, wo er so lang bleibt", war die gegdhnte Antwort.
     Dann legte sich der Kellner wieder auf das Billard und schlief weiter.
     Ich nahm das "Prager Tagblatt" von der Wand und - wartete.
     Die  Buchstaben  liefen wie Ameisen 'ber  die  Seiten,  und ich begriff
nicht ein einziges Wort von dem, was ich las.
     Die Stunden  vergingen, und hinter den Scheiben zeigte sich bereits das
verddchtige tiefe Dunkelblau, das den Einbruch der  Morgenddmmerung  f'r ein
Lokal mit Gasbeleuchtung anzeigt.
     Hie und  da  spdhten ein  paar Schutzleute  mit  gr'nlich  schillernden
Federb'schen herein und gingen in langsamem, schwerem Schritt wieder weiter.
     Drei 'berndchtig aussehende Soldaten traten ein.
     Ein StraYAenkehrer nahm einen Schnaps.
     Endlich, endlich: Jaromir.
     Er  hatte   sich  so  verdndert,   daYA  ich  ihn   anfangs  gar   nicht
wiedererkannte: die  Augen erloschen, die Vorderzdhne ausgefallen,  das Haar
sch'tter und tiefe Hchlen hinter den Ohren.
     Ich war so froh, nach so langer  Zeit  wieder ein  bekanntes Gesicht zu
sehen, daYA ich aufsprang, ihm entgegenging und seine Hand faYAte.
     Er benahm  sich auYAerordentlich scheu und blickte immerwdhrend nach der
T're. Durch alle mcglichen Gesten suchte ich ihm begreiflich  zu machen, daYA
ich mich  freute, ihn getroffen zu haben. - Er  schien es mir lange nicht zu
glauben.
     Aber,  was f'r  Fragen  ich  auch stellte, stets die  gleiche  hilflose
Handbewegung des Nichtverstehens bei ihm.
     Wie konnte ich mich nur verstdndlich machen?!
     Halt! Eine Idee!
     Ich  lieYA  mir einen  Bleistift geben und  zeichnete  nacheinander  die
Gesichter von Zwakh, Vrieslander und Prokop auf.
     "Was? Alle nicht mehr in Prag?"
     Er  fuchtelte  lebhaft  in  der  Luft  herum,  machte  die Gebdrde  des
Geldzdhlens, marschierte mit den Fingern 'ber den Tisch, schlug sich auf den
Handr'cken. Ich erriet: alle drei hatten wahrscheinlich von  Charousek  Geld
bekommen und zogen  jetzt als  kaufmdnnische Kompagnie mit dem  vergrcYAerten
Marionettentheater durch die Welt.
     "Und Hillel? Wo wohnt er jetzt?" - Ich zeichnete sein Gesicht, ein Haus
dazu und ein Fragezeichen.
     Das  Fragezeichen verstand Jaromir nicht; - er konnte nicht lesen, aber
er begriff, was ich wollte, - nahm ein Streichholz, warf es scheinbar in die
Hche und lieYA es nach Taschenspielerart geschickt verschwinden.
     Was bedeutete das? Hillel sollte auch verreist sein?
     Ich zeichnete das j'dische Rathaus auf.
     Der Taubstumme sch'ttelte heftig den Kopf.
     "Hillel ist also nicht mehr dort?"
     "Nein!" (Kopfsch'tteln.)
     "Wo ist er denn?"
     Wieder das Spiel mit dem Streichholz.
     "Er meint halt, daYA  der Herr weg  ist, und niem'd  weiYA nicht, wohin",
mischte sich der  StraYAenkehrer, der uns die  ganze  Zeit  'ber interessiert
zugesehen hatte, belehrend ein.
     Vor Schreck krampfte sich  mir das Herz  zusammen: Hillel fort! - Jetzt
war ich  ganz allein auf der Welt. - - Die  Gegenstdnde im Zimmer fingen vor
meinen Augen an zu flimmern.
     "Und Mirjam?"
     Meine Hand zitterte so stark, daYA ich ihr Gesicht  lange  nicht dhnlich
zeichnen konnte.
     "Ist Mirjam auch verschwunden?"
     "Ja. Auch verschwunden. Spurlos."
     Ich stchnte laut auf, lief im Zimmer hin und her, daYA die drei Soldaten
einander fragend anblickten.
     Jaromir  suchte  mich zu  beruhigen und bem'hte  sich,  mir noch  etwas
anderes  mitzuteilen, was er erfahren zu haben schien: er legte den Kopf auf
den Arm, wie jemand, der schldft.
     Ich hielt  mich an der  Tischplatte: "Um Gottes Christi  willen, Mirjam
ist gestorben?"
     Kopfsch'tteln. Jaromir wiederholte die Gebdrde des Schlafens.
     "War Mirjam krank gewesen?" Ich zeichnete eine Medizinflasche.
     Kopfsch'tteln. Wieder legte Jaromir die Stirn auf den Arm. - - -
     Das Zwielicht  kam, eine  Gasflamme nach  der  andern erlosch und  noch
immer konnte ich nicht herausbringen, was die Geste bedeuten sollte.
     Ich gab es auf. Dachte nach.
     Das einzige, was mir zu tun blieb, war, in aller Fr'he auf das j'dische
Rathaus zu gehen, um dort Erkundigungen einzuziehen, wohin Hillel mit Mirjam
gereist sein kcnne.
     Ich muYAte ihm nach. - - -
     Wortlos saYA ich neben Jaromir. Stumm und taub wie er.
     Als ich nach einer  langen Zeit  aufblickte, sah ich, daYA er mit  einer
Schere an einer Silhouette herumschnitt.
     Ich erkannte  das  Profil Rosinas. Er reichte  mir  das Blatt 'ber  den
Tisch her'ber, legte die Hand auf die Augen und - weinte still vor sich hin.
- -
     Dann sprang er plctzlich auf und taumelte ohne GruYA zur T'r hinaus.
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     Der Archivar Schemajah Hillel sei  eines Tages ohne Grund  ausgeblieben
und nicht mehr wiedergekommen; seine Tochter habe er jedenfalls mitgenommen,
denn auch sie sei von niemand mehr gesehen worden seit jener Zeit, hatte man
mir  auf  dem j'dischen Rathaus  gesagt.  Das  war alles,  was  ich erfahren
konnte.
     Keine Spur, wohin sie sich gewandt haben mochten.
     Auf der Bank hieYA es, mein Geld sei gerichtlich immer noch mit Beschlag
belegt, man erwarte aber tdglich den Bescheid, es mir auszahlen zu d'rfen.
     Also auch  die Erbschaft  Charouseks muYAte noch  den Amtsweg gehen, und
ich  wartete  doch  mit  brennender  Ungeduld  auf  das Geld, um  dann alles
aufzubieten, Hillels und Mirjams Spur zu suchen.
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     Ich hatte meine Edelsteine verkauft, die ich noch in der Tasche gehabt,
und mir  zwei  kleine,  mcblierte,  aneinanderstoYAende  Dachkammern  in  der
Altschulgasse -  die einzige  Gasse, die von der Assanierung der  Judenstadt
verschont geblieben, - gemietet.
     Sonderbarer Zufall: es war dasselbe wohlbekannte Haus, von dem die Sage
ging, der Golem sei einst darin verschwunden.
     Ich  hatte mich  bei  den  Bewohnern  - zumeist  kleine  Kaufleute oder
Handwerker - erkundigt, was  denn Wahres an dem Ger'cht von dem "Zimmer ohne
Zugang"  sei, und war ausgelacht  worden. -  Wie man einen derartigen Unsinn
denn glauben kcnne!
     Meine eigenen Erlebnisse,  die sich darauf bezogen, hatten im Gefdngnis
die  Bldsse eines  ldngst verwehten  Traumbildes  angenommen und ich sah  in
ihnen nur noch Symbole ohne Blut und Leben, - strich sie aus dem Buch meiner
Erinnerungen.
     Die Worte Laponders, die ich zuweilen so klar in mir hcrte, als sdYAe er
mir gegen'ber wie damals in der Zelle und  sprdche  zu mir,  bestdrkten mich
darin, daYA ich rein innerlich geschaut haben m'sse, was mir ehedem greifbare
Wirklichkeit geschienen.
     War denn nicht alles vergangen und verschwunden, was ich einst besessen
hatte? Das Buch  Ibbur, das  phantastische  Tarockspiel, Angelina  und sogar
meine alten Freunde Zwakh, Vrieslander und Prokop! - - -
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     Es war Weihnachtsabend, und  ich hatte mir einen kleinen Baum mit roten
Kerzen  nach  Hause  gebracht.  Ich  wollte  noch  einmal   jung  sein   und
Lichterglanz um mich  haben  und  den  Duft von Tannennadeln  und brennendem
Wachs.
     Ehe das Jahr noch zu Ende  ging, war ich vielleicht schon unterwegs und
suchte in Stddten und Dcrfern, oder  wohin  es mich innerlich  ziehen w'rde,
nach Hillel und Mirjam.
     Alle Ungeduld,  alles  Warten war allmdhlich von mir  gewichen und alle
Furcht, Mirjam kcnne ermordet worden sein, und mit dem Herzen wuYAte ich, ich
w'rde sie beide finden.
     Es  war ein bestdndiges gl'ckliches Ldcheln in mir,  und wenn ich meine
Hand auf etwas legte, kam  mir's vor, als ginge ein Heilen von ihr aus.  Die
Zufriedenheit eines Menschen,  der nach  langer Wanderung  heimkehrt und die
T'rme seiner  Vaterstadt von weitem blinken  sieht,  erf'llte  mich auf ganz
sonderbare Weise.
     Einmal war ich noch in dem kleinen  Kaffeehaus gewesen, um  Jaromir zum
Weihnachtsabend zu mir  zu  holen. - Er  habe sich  nie mehr blicken lassen,
erfuhr ich,  und schon wollte ich  betr'bt  wieder gehen,  da kam  ein alter
Tabulettkrdmer herein und bot kleine, wertlose Antiquitdten zum Kauf an.
     Ich  kramte in  seinem Kasten  unter  all  den  Uhranhdngseln,  kleinen
Kruzifixen, Kammnadeln und  Broschen herum, da  fiel mir ein  Herz aus rotem
Stein an  einem verschossenen Seidenbande in die Hand, und  ich erkannte  es
voll Erstaunen als das Andenken, das mir Angelina, als  sie noch ein kleines
Mddchen gewesen, einst beim Springbrunnen in ihrem SchloYA geschenkt hatte.
     Und mit einem Schlag  stand meine Jugendzeit  vor mir, als  sdhe ich in
einen Guckkasten tief hinein in ein kindlich gemaltes Bild. -
     Lange, lange stand ich ersch'ttert da und starrte auf das  kleine, rote
Herz in meiner Hand. - - -
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     Ich saYA in  der Dachkammer und lauschte dem  Knistern der Tannennadeln,
wenn hie und da ein kleiner Zweig 'ber den Wachskerzen zu glimmen begann.
     "Vielleicht  spielt gerade  jetzt  in  dieser  Stunde  der  alte  Zwakh
irgendwo in der Welt  seinen  ›Marionettenweihnachtsabend‹",  malte  ich mir
aus,  -  "und  deklamiert  mit  geheimnisvoller  Stimme die  Strophe  seines
Lieblingsdichters Oskar Wiener":
     Wo ist das Herz aus rotem Stein?
     Es hdngt an einem Seidenbande.
     O du, o gib das Herz nicht her;
     Ich war ihm treu und hatt' es lieb,
     Und diente sieben Jahre schwer
     Um dieses Herz, und hatt' es lieb!"
     Eigent'mlich feierlich wurde mir plctzlich zumute.
     Die  Kerzen  waren heruntergebrannt. Nur eine  einzige flackerte  noch.
Rauch ballte sich im Zimmer.
     Als ob mich eine Hand zcge, wandte ich mich plctzlich um und:
     Da  stand mein Ebenbild auf der Schwelle. Mein  Doppelgdnger.  In einem
weiYAen Mantel. Eine Krone auf dem Kopf.
     Nur einen Augenblick.
     Dann  brachen  Flammen  durch  das  Holz   der  T'r,   und  eine  Wolke
erstickenden heiYAen Qualms schlug herein:
     Feuersbrunst im Haus! Feuer! Feuer!
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     Ich reiYAe das Fenster auf. Klettere auf das Dach hinaus.
     Von weitem rast schon das gellende Klingeln der Feuerwehr heran.
     Blitzende Helme und abgehackte Kommandorufe.
     Dann das gespenstische,  rhythmische, schlapfende Atmen der Pumpen, wie
die  Ddmonen des  Wassers  sich  ducken  zum  Sprung auf ihren Todfeind: das
Feuer.
     Glas klirrt und rote Lohe schieYAt aus allen Fenstern.
     Matratzen  werden hinuntergeworfen, die ganze StraYAe  liegt voll davon,
Menschen springen nach, werden verwundet weggetragen.
     In mir aber jauchzt  etwas auf  in wilder jubelnder Ekstase;  ich  weiYA
nicht warum. Das Haar strdubt sich mir.
     Ich laufe auf den Schornstein zu, um nicht versengt zu werden, denn die
Flammen greifen nach mir.
     Das Seil eines Rauchfangkehrers ist herumgewickelt.
     Ich rolle es  auf, schlinge es um Handgelenk und Bein, wie  ich es  als
Knabe  beim  Turnen  gelernt  habe, und lasse mich ruhig  an der Fassade des
Hauses hinab. -
     Komme an einem Fenster vorbei. Blicke hinein:
     Drin ist alles blendend erleuchtet.
     Und  da sehe ich  - - - da sehe ich - -  - mein ganzer Kcrper wird  ein
einziger hallender Freudenschrei:
     "Hillel! Mirjam! Hillel!"
     Ich will auf die Gitterstdbe losspringen.
     Greife daneben. Verliere den Halt am Seil.
     Einen  Augenblick hdnge ich, Kopf abwdrts, die Beine gekreuzt, zwischen
Himmel und Erde.
     Das Seil singt bei dem Ruck. Knirschend dehnen sich die Fasern.
     Ich falle.
     Mein BewuYAtsein erlischt.
     Noch im Sturz greife ich nach dem Fenstersims, aber ich gleite ab. Kein
Halt:
     der Stein ist glatt.
     Glatt wie ein St'ck Fett.
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     "- - - wie ein St'ck fett!"
     Das ist der Stein, der aussieht wie ein St'ck Fett.
     Die  Worte gellen mir  noch in  den Ohren. Dann richte ich mich auf und
muYA mich besinnen, wo ich bin.
     Ich liege im Bett und wohne im Hotel.
     Ich heiYAe doch gar nicht Pernath.
     Habe ich das alles nur getrdumt?
     Nein! So trdumt man nicht.
     Ich schaue auf die  Uhr: kaum eine Stunde habe ich  geschlafen.  Es ist
halb drei.
     Und dort hdngt der fremde  Hut, den ich heute  im Dom auf dem Hradschin
verwechselt habe, als ich beim Hochamt auf der Betbank saYA.
     Steht ein Name darin?
     Ich  nehme  ihn  und  lese  in   goldenen  Buchstaben  auf  dem  weiYAen
Seidenfutter den fremden und doch so bekannten Namen:

     Jetzt ldYAt  es mir keine  Ruhe mehr; ich ziehe mich hastig an und laufe
die Treppe hinunter.
     "Portier! Aufmachen! Ich gehe noch eine Stunde spazieren."
     "Wohin, bitt schdn?"
     "In  die Judenstadt. In die HahnpaYAgasse. Gibt's 'berhaupt eine StraYAe,
die so heiYAt?"
     "Freilich,  freilich"  -  der Portier  ldchelt malitics - "aber in  der
Judenstadt, ich mache aufmerksam: ist nicht mehr viel los. Alles neu gebaut,
bitte."
     "Macht nichts. Wo liegt die HahnpaYAgasse?"
     Der dicke Finger des Portiers deutet auf die Karte: "Hier, bitte."
     "Und die Schenke ›Zum Loisitschek‹?"
     "Hier, bitte."
     "Geben Sie mir ein groYAes St'ck Papier."
     "Hier, bitte."
     Ich  wickle Pernaths Hut  hinein. Merkw'rdig: er ist fast neu, tadellos
sauber und doch so br'chig, als wdre er uralt. -
     Unterwegs 'berlege ich:
     Alles, was  dieser Athanasius  Pernath erlebt  hat, habe  ich  im Traum
miterlebt, in einer Nacht mitgesehen, mitgehcrt, mitgef'hlt, als wdre ich er
gewesen. Warum  weiYA ich denn aber nicht,  was er in dem Augenblick, als der
Strick  riYA und er "Hillel, Hillel!" rief, hinter dem Gitterfenster erblickt
hat?
     Er hat sich in diesem Augenblick von mir getrennt, begreife ich.
     Ich muYA diesen Athanasius Pernath auffinden, und wenn ich drei Tage und
drei Ndchte herumlaufen sollte, nehme ich mir vor. - - -
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     Also das ist die HahnpaYAgasse?
     Nicht anndhernd so habe ich sie im Traum gesehen! -
     Lauter neue Hduser.
     Eine  Minute  spdter  sitze  ich im  Cafj  Loisitschek.  Ein stilloses,
ziemlich sauberes Lokal.
     Im Hintergrund  allerdings eine Estrade mit  Holzgeldnder; eine gewisse
Dhnlichkeit mit dem alten getrdumten "Loisitschek" ist nicht zu leugnen.
     "Befehlen,  bitt' schcn?",  fragt die Kellnerin, ein dralles  Mddel, in
einen rotsamtenen Frack buchstdblich hineingeknallt.
     "Kognak, Frdulein. - So, danke."
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     "- Hm. Frdulein!"
     "Bitte?"
     "Wem gehcrt das Kaffeehaus?"
     "Dem Herrn Kommerzialrat Loisitschek. -  Das ganze Haus gehcrt ihm. Ein
sehr feiner reicher Herr."
     - Aha, der Kerl  mit  den Schweinszdhnen  an der Uhrkette! erinnere ich
mich. -
     Ich habe einen guten Einfall, der mich orientieren wird:
     "Frdulein!"
     "Bitte?"
     "Wann ist die steinerne Br'cke eingest'rzt?"
     "Vor dreiunddreiYAig Jahren."
     "Hm. Vor  dreiunddreiYAig  Jahren!" -  ich 'berlege: der Gemmenschneider
Pernath muYA also jetzt fast neunzig sein.
     "Frdulein!"
     "Bitte?"
     "Ist  hier niemand unter den  Gdsten, der sich noch erinnern kann,  wie
die alte Judenstadt  von damals ausgesehen hat? Ich bin  Schriftsteller  und
interessiere mich daf'r."
     Die Kellnerin denkt nach: "Von den Gdsten? Nein. - Aber warten S':  der
Billardmarqueur,  der dort  mit einem Studenten Carambol spielt, - sehen Sie
ihn? Der  mit der Hakennase, der Alte, - der hat  immer hier gelebt und wird
Ihnen alles sagen. Soll ich ihn rufen, wenn er fertig ist?"
     Ich folgte dem Blick des Mddchens:
     Ein  schlanker,  weiYAhaariger, alter Mann lehnt dr'ben  am Spiegel  und
kreidet seine Queue.  Ein verw'stetes, aber seltsam vornehmes Gesicht. Woran
erinnert er mich nur?
     "Frdulein, wie heiYAt der Marqueur?"
     Die Kellnerin  st'tzt sich im Stehen mit dem Ellenbogen auf  den Tisch,
leckt  an einem Bleistift,  schreibt in Windeseile ihren Vornamen  unzdhlige
Male  auf die  Marmorplatte  und lcscht ihn jedesmal mit nassem Finger rasch
wieder aus.  Dazwischen  wirft sie mir mehr oder  minder sengende Glutblicke
zu;  -  je  nachdem   sie  ihr  gelingen.   UnerldYAlich  ist  nat'rlich  das
gleichzeitige  Emporziehen der Augenbrauen, denn es erhcht  das Mdrchenhafte
des Blickes.
     "Frdulein,  wie heiYAt der  Marqueur?", wiederhole ich meine Frage.  Ich
sehe ihr an, sie hdtte lieber  gehcrt: Frdulein, warum tragen  Sie nicht nur
einen  Frack? oder  etwas Dhnliches, aber ich frage es nicht;  mir geht mein
Traum zu sehr im Kopf herum.
     "No,  wie  wird  er denn heiYAen," schmollt sie, "Ferri  heiYAt  er halt.
Ferri Athenstddt."
     "So so? Ferri Athenstddt! - Hm, - also wieder ein alter Bekannter."
     "Erzdhlen Sie mir doch recht, recht viel von ihm, Frdulein," girre ich,
muYA mich aber sofort mit einem Kognak stdrken, "Sie plaudern gar so herzig!"
(Ich ekle mich vor mir selber.)
     Sie neigt  sich geheimnisvoll  dicht  zu mir, damit mich ihre  Haare im
Gesicht kitzeln, und fl'stert:
     "Der Ferri, der war Ihnen fr'her ein ganz ein Geriebener. - Er soll von
uraltem Adel gewesen  sein  - es ist nat'rlich nur so  ein  Gerede, weil  er
keinen  Bart  nicht  trdgt -  und  furchtbar  viel Geld  g'habt  habn.  Eine
rothaarige J'din, die schon von Jugend auf eine  ›Person‹ war" - sie schrieb
wieder rasch ein paarmal ihren Namen auf -  "hat ihn dann ganz ausgezogen. -
Punkto  Geld mein'  ich nat'rlich. No, und wie er  dann kein Geld nicht mehr
gehabt hat, ist sie weg und hat sich von einem  hohen Herrn heiraten lassen:
von dem  ..."  -  sie fl'sterte  mir  einen Namen  ins  Ohr,  den  ich nicht
verstehe.  "Der hohe Herr hat dann nat'rlich auf alle Ehre verzichten m'ssen
und  sich von da an nur mehr Ritter von Ddmmerich nennen d'rfen. No ja. Aber
daYA sie  fr'her eine  ›Person‹  g'wesen ist,  hat  er  ihr  halt doch  nicht
wegwaschen kcnnen. Ich sag immer -."
     "Fritzi! Zahlen!" ruft jemand von der Estrade herab. -
     Ich lasse  meine Blicke durch das Lokal  wandern, da hcre ich plctzlich
ein leises metallisches Zirpen, wie von einer Grille, hinter mir.
     Ich drehe mich neugierig um. Traue meinen Augen nicht:
     Das Gesicht zur  Wand gekehrt, alt wie  Methusalem,  eine Spieldose, so
klein  wie  eine Zigarettenschachtel, in zitternden Skeletthdnden sitzt ganz
in sich  zusammengesunken - der blinde, greise Nephtali Schaffranek  in  der
Ecke und leiert mit der winzigen Kurbel.
     Ich trete zu ihm.
     Im Fl'sterton singt er konfus vor sich hin:
     "Frau Pick,
     Frau Hock.
     Und rote, blaue Stern
     die schmusen allerhand.
     Von Messinung, an Rducherl und Rohn."
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     "Wissen Sie, wie der alte Mann heiYAt?" frage ich  einen  vorbeieilenden
Kellner.
     "Nein, mein Herr, niemand kennt weder ihn noch seinen Namen. Er  selbst
hat ihn vergessen. Er ist ganz allein auf der Welt. Bitte, er ist  110 Jahre
alt! Er kriegt bei uns jede Nacht einen sogenannten Gnadenkaffee."
     Ich  beugte  mich  'ber  den  Greis,  -  rufe  ihm  ein  Wort ins  Ohr:
"Schaffranek!"
     Es durchfdhrt  ihn  wie  ein Blitz. Er  murmelt  etwas,  streicht  sich
sinnend 'ber die Stirn.
     "Verstehen Sie mich, Herr Schaffranek?"
     Er nickt.
     "Passen Sie mal gut  auf!  Ich mcchte Sie etwas fragen, aus alter Zeit.
Wenn  Sie mir alles  gut beantworten, bekommen Sie den Gulden, den ich  hier
auf den Tisch lege."
     "Gulden",  wiederholt der Greis und  fdngt sofort an, wie ein  Rasender
auf seiner zirpenden Spieldose zu kurbeln.
     Ich halte seine Hand fest:  "Denken Sie einmal nach! - Haben Sie  nicht
vor etwa 33 Jahren einen Gemmenschneider namens Pernath gekannt?"
     "Hadrbolletz!  Hosenschneider!"  - lallt er  asthmatisch auf und  lacht
'bers ganze Gesicht,  in der  Meinung,  ich  hdtte  ihm  einen  famosen Witz
erzdhlt.
     "Nein, nicht Hadrbolletz: - - Pernath!"
     "Pereles?!" - er jubelt fcrmlich.
     "Nein, auch nicht Pereies. - Per-nath!"
     "Pascheies?!" - er krdht vor Freude. - -
     Ich gebe enttduscht meinen Versuch auf.
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     "Sie  wollten   mich  sprechen,  mein  Herr?",  -  der  Marqueur  Ferri
Athenstddt steht vor mir und verbeugt sich k'hl.
     "Ja. Ganz richtig. - Wir kcnnen dabei eine Partie Billard spielen."
     "Spielen Sie um Geld, mein Herr? Ich gebe Ihnen 90 auf 100 vor."
     "Also gut: um einen Gulden. Fangen Sie vielleicht an, Marqueur."
     Seine Durchlaucht nimmt das Queue, zielt, gickst, macht ein drgerliches
Gesicht.  Ich kenne das:  er ldYAt  mich bis 9 kommen,  und dann  macht er in
einer Serie "aus".
     Mir wird immer kurioser zumute. Ich gehe direkt auf mein Ziel los:
     "Entsinnen  Sie  sich,  Herr  Marqueur: vor  langer Zeit,  etwa in  den
Jahren, als die  steinerne  Br'cke einst'rzte,  in der damaligen  Judenstadt
einen gewissen - Athanasius Pernath gekannt zu haben?"
     Ein Mann in einer rotweiYAgestreiften Leinwandjacke, mit Schielaugen und
kleinen goldenen  Ohrringen, der auf einer Bank an  der  Wand sitzt und eine
Zeitung liest, fdhrt auf, stiert mich an und bekreuzigt sich.
     "Pernath? Pernath?" wiederholt der Marqueur und  denkt angestrengt nach
-  "Pernath?  -  War  er  nicht  groYA,   schlank?  Braunes  Haar,  melierten
kurzgeschnittenen Spitzbart?"
     "Ja. Ganz richtig."
     "Etwa vierzig Jahre alt damals?  Er sah  aus wie --", Seine Durchlaucht
starrt  mich plctzlich  'berrascht an.  - "Sie sind  ein Verwandter von ihm,
mein Herr?!"
     Der Schieldugige bekreuzigt sich.
     "Ich? Ein Verwandter? Komische Idee. - Nein. Ich interessiere  mich nur
f'r  ihn. Wissen Sie  noch mehr?", sage  ich gelassen,  f'hle aber, daYA  mir
eiskalt im Herzen wird.
     Ferri Athenstddt denkt wieder nach.
     "Wenn  ich  nicht irre, galt  er  seinerzeit  f'r  verr'ckt.  -  Einmal
behauptete  er, er hieYAe - warten Sie mal,  - ja:  Laponder! Und dann wieder
gab er sich f'r einen gewissen - Charousek aus."
     "Kein Wort  wahr!" fdhrt  der Schieldugige dazwischen.  "Den  Charousek
hat's wirklich gegeben. Mein Vater hat doch mehrere 1000 fl von ihm geerbt."
     "Wer ist dieser Mann?", fragte ich den Marqueur halblaut.
     "Er ist  Fdhrmann und heiYAt  Tschamrda. - Was den Pernath betrifft,  so
erinnere ich mich nur, oder glaube es wenigstens - daYA er in spdteren Jahren
eine sehr schcne, dunkelhdutige J'din geheiratet hat."
     "Mirjam!"  sage  ich  mir  und werde  so aufgeregt, daYA  mir  die Hdnde
zittern und ich nicht mehr weiterspielen kann.
     Der Fdhrmann bekreuzigt sich.
     "Ja,  was  ist denn  heute mit  Ihnen los, Herr  Tschamrda?", fragt der
Marqueur erstaunt.
     "Der Pernath hat  niemals  nicht gelebt", schreit der Schieldugige los.
"Ich glaub's nicht."
     Ich  schenke  dem Mann sofort einen Kognak  ein, damit  er gesprdchiger
wird.
     "Es gibt ja wohl Leut', die sagen, der Pernath  lebt noch immer", r'ckt
der  Fdhrmann endlich heraus, "er is, hcr  ich. Kammschneider und wohnt  auf
dem Hradschin."
     "Wo auf dem Hradschin?"
     Der Fdhrmann bekreuzigt sich:
     "Das  ist es ja eben! Er wohnt, wo kein lebender Mensch wohnen kann: an
der Mauer zur letzten Latern."
     "Kennen Sie sein Haus, Herr - Herr - Tschamrda?"
     "Nicht  um die  Welt  mccht  ich  dort  hinaufgehen!",  protestiert der
Schieldugige. "Wof'r halten Sie mich? Jesus, Maria und Josef!"
     "Aber  den  Weg hinauf  kcnnten Sie mir  doch  von  weitem zeigen, Herr
Tschamrda?"
     "Das  schon", brummte der Fdhrmann.  "Wenn Sie warten wollen bis  6 Uhr
fr'h; dann geh ich zur Moldau  hinunter. Aber ich rat Ihnen ab! Sie  st'rzen
in den Hirschgraben und brechen Hals und Knochen! Heilige Muttergottes!"
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     Wir gehen zusammen durch den Morgen; frischer Wind weht vom Flusse her.
Ich f'hle vor Erwartung kaum den Boden unter mir.
     Plctzlich taucht das Haus in der Altschulgasse vor mir auf.
     Jedes  Fenster  erkenne  ich wieder:  die  geschweifte  Dachrinne,  das
Gitter, die fettig gldnzenden Steinsimse - alles, alles!
     "Wann ist  dieses Haus  abgebrannt?",  frage ich den Schieldugigen.  Es
braust mir in den Ohren vor Spannung.
     "Abgebrannt? Niemals nicht!"
     "Doch! Ich weiYA es bestimmt."
     "Nein."
     "Aber ich weiYA es doch! Wollen Sie wetten?"
     "Wieviel?"
     "Einen Gulden."
     "Gemacht!" -  Und Tschamrda holt den  Hausmeister  heraus.  "Ist dieses
Haus jemals abgebrannt?"
     "I woher denn!" Der Mann lacht. -
     Ich kann und kann es nicht glauben.
     "Schon  siebzig  Jahr' wohn  ich drin," beteuert der  Hausmeister, "ich
m'YAt's doch wahrhaftig wissen."
     - - - Sonderbar, sonderbar! - - -
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     Der  Fdhrmann  rudert mich in  seinem  Kahn, der  aus acht ungehobelten
Brettern besteht, mit komischen schiefen Zuckbewegungen 'ber die Moldau. Die
gelben Wasser  schdumen gegen  das Holz. Die Ddcher  des Hradschins glitzern
rot in  der Morgensonne.  Ein  unbeschreiblich  feierliches Gef'hl  ergreift
Besitz von mir.  Ein leise ddmmerndes Gef'hl wie aus  einem fr'heren Dasein,
als sei die Welt  um mich her verzaubert -  eine traumhafte Erkenntnis,  als
lebte ich zuweilen an mehreren Orten zugleich.
     Ich steige aus.
     "Wieviel bin ich schuldig, Herr Tschamrda?"
     "Einen  Kreuzer.  Wenn Sie  mitg'holfen  hdtten rudern,  - hdtt's  zwei
Kreuzer 'kost."
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     Denselben Weg, den ich  heute  nacht im Schlaf  schon  einmal gegangen,
wandere ich wieder empor: die kleine,  einsame SchloYAstiege.  Mir klopft das
Herz und ich weiYA voraus: jetzt kommt der kahle Baum, dessen  Dste 'ber  die
Mauer her'bergreifen.
     Nein: er ist mit weiYAen Bl'ten besdt.
     Die Luft ist voll von s'YAem Fliederhauch.
     Zu meinen  F'YAen liegt die Stadt im ersten  Licht wie  eine  Vision der
VerheiYAung.
     Kein Laut. Nur Duft und Glanz.
     Mit geschlossenen  Augen kcnnte ich  mich  hinauffinden in die  kleine,
kuriose Alchimistengasse, so vertraut ist mir plctzlich jeder Schritt.
     Aber,  wo  heute  nacht  das  Holzgitter  vor  dem weiYAschimmemden Haus
gestanden  hat,  schlieYAt  jetzt  ein  prachtvolles, gebauchtes, vergoldetes
Gitter die Gasse ab.
     Zwei Eibenbdume ragen aus bl'hendem,  niederem Gestrduch und flankieren
das Eingangstor der Mauer, die hinter dem Gitter entlang lduft.
     Ich  strecke  mich, um  'ber  das  Strauchwerk  hin'berzusehen, und bin
geblendet von neuer Pracht:
     Die Gartenmauer  ist ganz mit Mosaik bedeckt. T'rkisblau mit  goldenen,
eigenartig gemuschelten Fresken, die den  Kult des dgyptischen Gottes Osiris
darstellen.
     Das Fl'geltor ist  der Gott selbst: ein  Hermaphrodit aus zwei Hdlften,
die  die T're bilden, - die rechte weiblich, die linke mdnnlich. -  Er sitzt
auf einem kostbaren, flachen Thron aus Perlmutter - im Halbrelief - und sein
goldener  Kopf ist der  eines Hasen. Die Ohren sind in die Hche gestellt und
dicht  aneinander,  daYA   sie  aussehen   wie   die  beiden   Seiten   eines
aufgeschlagenen Buches. -
     Es riecht nach Tau, und Hyazinthenduft weht 'ber die Mauer her'ber. - -
-
     Lange stehe ich wie versteinert da und staune. Mir wird, als trdte eine
fremde Welt  vor  mich,  und ein  alter Gdrtner  oder Diener  mit  silbernen
Schnallenschuhen,  Jabot und sonderbar zugeschnittenem  Rock kommt von links
hinter dem  Gitter auf mich  zu  und  fragt mich durch  die  Stdbe, was  ich
w'nsche.
     Ich reiche ihm stumm den eingewickelten Hut Athanasius Pernaths hinein.
     Er nimmt ihn und geht durch das Fl'geltor.
     Als es sich cffnet, sehe ich dahinter ein tempelartiges, marmornes Haus
und auf seinen Stufen:

     und an ihn gelehnt:

     und beide schauen hinab in die Stadt.
     Einen  Augenblick wendet  sich Mirjam  um,  erblickt mich, ldchelt  und
fl'stert Athanasius Pernath etwas zu.
     Ich bin gebannt von ihrer Schcnheit.
     Sie ist so jung, wie ich sie heut nacht im Traum gesehen.
     Athanasius  Pernath dreht  sich  langsam  zu mir,  und mein Herz bleibt
stehen:
     Mir ist,  als sdhe ich mich im Spiegel, so dhnlich ist sein Gesicht dem
meinigen.
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     Dann  fallen die  Fl'gel  des  Tores zu, und ich erkenne nur  noch  den
schimmernden Hermaphroditen.
     Der  alte Diener gibt mir meinen Hut und sagt  -  ich hcre seine Stimme
wie aus den Tiefen der Erde -:
     "Herr Athanasius  Pernath ldYAt  verbindlichst  danken  und  bittet, ihn
nicht f'r  ungastfreundlich zu halten,  daYA  er  Sie nicht einlddt,  in  den
Garten zu kommen, aber es ist strenges Hausgesetz so von alters her.
     Ihren  Hut, soll ich ausrichten, habe  er nicht aufgesetzt, da ihm  die
Verwechslung sofort aufgefallen sei.
     Er  wolle  nur  hoffen,  daYA  der  seinige  Ihnen  keine  Kopfschmerzen
verursacht habe."


Last-modified: Tue, 21 Jan 2003 08:55:12 GMT
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