nicht eine Silbe, Øberlegte einen Augenblick und ging
dann trotzig hinaus.
Gespannt blickte ich Hillel an. Er winkte mir zu, ich solle schweigen.
Offenbar wartete er auf irgend etwas, denn er horchte angestrengt auf den
Gang hinaus. Ich wollte die TØre schlieñen gehen: er hielt mich mit einer
ungeduldigen Handbewegung zurØck.
Wohl eine Minute verging, dann kamen die schleppenden Schritte des
TrÃdlers wieder die Stufen herauf. Ohne ein Wort zu sprechen ging Hillel
hinaus und machte ihm Platz.
Wassertrum wartete, bis er auñer HÃrweite war, dann knurrte er mich
verbissen an:
"Geben Se mer meine Uhr zorØck."
Weib
Wo nur Charousek blieb?
Beinahe 24 Stunden waren vergangen, und noch immer lieñ er sich nicht
blicken.
Sollte er das Zeichen vergessen haben, das wir verabredet hatten? Oder
sah er es vielleicht nicht?
Ich ging ans Fenster und richtete den Spiegel so, dañ der Sonnenstrahl,
der darauf schien, genau auf das vergitterte Guckloch seiner Kellerwohnung
fiel.
Das Eingreifen Hillels - gestern - hatte mich ziemlich beruhigt.
Bestimmt wØrde er mich gewarnt haben, wenn eine Gefahr im Anzug wÄre.
øberdies: Wassertrum konnte nichts von Belang mehr unternommen haben;
gleich, nachdem er mich verlassen hatte, war er in seinen Laden
zurØckgekehrt, - ich warf einen Blick hinunter: richtig, da lehnte er
unbeweglich hinter seinen Herdplatten, genau so, wie ich ihn schon
frØhmorgens gesehen - - -
UnertrÄglich, das ewige Warten!
Die milde FrØhlingsluft, die durch das offene Fenster aus dem
Nebenzimmer hereinstrÃmte, machte mich krank vor Sehnsucht.
Dies schmelzende Tropfen von den DÄchern! Und wie die feinen
WasserschnØre im Sonnenlicht glÄnzten!
Es zog mich hinaus an unsichtbaren FÄden. Voll Ungeduld ging ich in der
Stube auf und ab. Warf mich in einen Sessel. Stand wieder auf.
Dieses sØchtige Keimen einer Ungewissen Verliebtheit in meiner Brust,
es wollte nicht weichen.
Die ganze Nacht Øber hatte es mich gequÄlt. Einmal war es Angelina
gewesen, die sich an mich geschmiegt, dann wieder sprach ich scheinbar ganz
harmlos mit Mirjam, und kaum hatte ich das Bild zerrissen, kam abermals
Angelina und kØñte mich; ich roch den Duft ihres Haares, und ihr weicher
Zobelpelz kitzelte mich am Hals, rutschte von ihren entblÃñten Schultern -
und sie wurde zu Rosina, die mit trunkenen, halbgeschlossenen Augen tanzte -
im Frack - nackt; - - - und alles in einem Halbschlaf, der doch genau so
gewesen war wie Wachsein. Wie ein sØñes, verzehrendes, dÄmmeriges Wachsein.
Gegen Morgen stand dann mein DoppelgÄnger an meinem Bett, der
schattenhafte Habal Garmin, "der Hauch der Knochen", von dem Hillel
gesprochen, - und ich sah ihm an den Augen an: er war in meiner Macht, muñte
mir jede Frage beantworten, die ich ihm stellen wØrde nach irdischen oder
jenseitigen Dingen, und er wartete nur darauf, aber der Durst nach dem
Geheimnisvollen konnte nicht an gegen die SchwØle meines Blutes und
versickerte im dØrren Erdreich meines Verstandes. - Ich schickte das Phantom
weg, es solle zum Spiegelbild Angelinas werden, und es schrumpfte zusammen
zu dem Buchstaben "Aleph", wuchs wieder empor, stand da als das Koloñweib,
splitternackt, wie ich es einstens im Buche Ibbur gesehen, mit dem Pulse
gleich einem Erdbeben, und beugte sich Øber mich, und ich atmete den
betÄubenden Geruch ihres heiñen Fleisches ein.
Kam denn Charousek immer noch nicht? - Die Glocken sangen von den
KirchtØrmen.
Eine Viertelstunde wollte ich noch warten - dann aber hinaus! Durch
belebte Strañen voll festtÄgig gekleideter Menschen schlendern, mich in das
frohe Gewimmel mischen in den Stadtteilen der Reichen, schÃne Frauen sehen
mit koketten Gesichtern und schmalen HÄnden und FØñen.
Vielleicht begegnete ich dabei Charousek zufÄllig, entschuldigte ich
mich vor mir selbst.
Ich holte das altertØmliche Tarockspiel vom BØcherbord, um mir die Zeit
rascher zu vertreiben. -
Vielleicht lieñ sich aus den Bildern Anregung schÃpfen zum Entwurf
einer Kamee?
Ich suchte nach dem Pagad.
Nicht zu finden. Wo konnte er hingeraten sein?
Ich blÄtterte noch einmal die Karten durch und verlor mich in
Nachdenken Øber ihren verborgenen Sinn. Besonders der "Gehenkte", - was
konnte er nur bedeuten?:
Ein Mann hÄngt an einem Seil zwischen Himmel und Erde, den Kopf nach
abwÄrts, die Arme auf den RØcken gebunden, den rechten Unterschenkel Øber
das linke Bein verschrÄnkt, dañ es aussieht wie ein Kreuz Øber einem
verkehrten Dreieck?
UnverstÄndliches Gleichnis.
Da! - Endlich! Charousek kam.
Oder doch nicht?
Freudige øberraschung, es war Mirjam.
"Wissen Sie, Mirjam, dañ ich soeben zu Ihnen hinuntergehen wollte und
Sie bitten, eine Spazierfahrt mit mir zu machen?" Es war nicht ganz die
Wahrheit, aber ich machte mir weiter keine Gedanken darØber. - "Nicht wahr,
Sie schlagen es mir nicht ab?! Ich bin heute so unendlich froh im Herzen,
dañ Sie, gerade Sie, Mirjam, meiner Freude die Krone aufsetzen mØssen."
"- spazierenfahren?", wiederholte sie derart verblØfft, dañ ich laut
auflachen muñte.
"Ist denn der Vorschlag gar so wunderbar?"
"Nein, nein, aber - -," sie suchte nach Worten, "unerhÃrt merkwØrdig.
Spazierenfahren!"
"Durchaus nicht merkwØrdig, wenn Sie sich vorhalten, dañ es
Hunderttausende von Menschen tun - eigentlich ihr ganzes Leben nichts
anderes tun."
"Ja, andere Menschen!" gab sie, immer noch vollstÄndig Øberrumpelt, zu.
Ich fañte ihre beiden HÄnde:
"Was andere Menschen an Freude erleben dØrfen, mÃchte ich, dañ Sie,
Mirjam, in noch unendlich viel reicherem Mañe genieñen."
Sie wurde plÃtzlich leichenblañ, und ich sah an der starren Taubheit
ihres Blickes, woran sie dachte. Es gab mir einen Stich.
"Sie dØrfen es nicht immer mit sich herumtragen, Mirjam," redete ich
ihr zu, "das - das Wunder. Wollen Sie mir das nicht versprechen - aus - aus
Freundschaft?"
Sie hÃrte die Angst aus meinen Worten und blickte mich erstaunt an.
"Wenn es Sie nicht so angriffe, kÃnnte ich mich mit Ihnen freuen, aber
so? Wissen Sie, dañ ich tief besorgt bin um Sie, Mirjam? - Um - um - wie
soll ich nur sagen? - um Ihre seelische Gesundheit! Fassen Sie es nicht
wÃrtlich auf, aber -: ich wollte, das Wunder wÄre nie geschehen."
Ich erwartete, sie wØrde mir widersprechen, aber sie nickte nur in
Gedanken versunken.
"Es verzehrt Sie. Habe ich nicht recht, Mirjam?" Sie raffte sich auf:
"Manchmal mÃchte ich beinahe auch, es wÄre nicht geschehen."
Es klang wie ein Hoffnungsstrahl fØr mich. - "Wenn ich mir denken
soll," sie sprach ganz langsam und traumverloren, "dañ Zeiten kommen
kÃnnten, wo ich ohne solche Wunder leben mØñte - - -."
"Sie kÃnnen doch Øber Nacht reich werden und brauchen dann nicht mehr
-," fuhr ich ihr unbedacht in die Rede, hielt aber rasch inne, als ich das
Entsetzen in ihrem Gesicht bemerkte, - "ich meine: Sie kÃnnen plÃtzlich auf
natØrliche Weise Ihrer Sorgen enthoben werden, und die Wunder, die Sie dann
erleben, wØrden geistiger Art sein: - innere Erlebnisse."
Sie schØttelte den Kopf und sagte hart: "Innere Erlebnisse sind keine
Wunder. Erstaunlich genug, dañ es Menschen zu geben scheint, die Øberhaupt
keine haben. - Seit meiner Kindheit, Tag fØr Tag, Nacht fØr Nacht, erlebe
ich -" (sie brach mit einem Ruck ab, und ich erriet, dañ noch etwas anderes
in ihr war, von dem sie mir nie gesprochen hatte, vielleicht das Weben
unsichtbarer Geschehnisse, Ähnlich den meinigen) - "aber das gehÃrt nicht
hierher. Selbst, wenn einer aufstØnde und machte Kranke gesund durch
Handauflegen, ich kÃnnte es kein Wunder nennen. Erst, wenn der leblose Stoff
- die Erde - beseelt wird vom Geist und die Gesetze der Natur zerbrechen,
dann ist das geschehen, wonach ich mich sehne, seit ich denken kann. - Mir
hat einmal mein Vater gesagt: es gÄbe zwei Seiten der Kabbala: eine magische
und eine abstrakte, die sich niemals zur Deckung bringen lieñen. Wohl kÃnne
die magische die abstrakte an sich ziehen, aber nie und nimmer umgekehrt.
Die magische ist ein Geschenk, die andere kann errungen werden, wenn auch
nur mit Hilfe eines FØhrers." Sie nahm den ersten Faden wieder auf: "Das
Geschenk ist es, nach dem ich dØrste; was ich mir erringen kann, ist mir
gleichgØltig und wertlos wie Staub. Wenn ich mir denken soll, es kÃnnten
Zeiten kommen, sagte ich vorhin, wo ich wieder ohne diese Wunder leben
mØñte," - ich sah, wie sich ihre Finger krampften und Reue und Jammer
zerfleischten mich, - "ich glaube, ich sterbe jetzt schon angesichts der
bloñen MÃglichkeit."
"Ist das der Grund, weshalb auch Sie wØnschten, das Wunder wÄre nie
geschehen?", forschte ich.
"Nur zum Teil. Es ist noch etwas anderes da. Ich - ich - ", sie dachte
einen Augenblick nach, "war noch nicht reif dazu, ein Wunder in dieser Form
zu erleben. Das ist es. Wie soll ich es Ihnen erklÄren? Nehmen Sie einmal
an, bloñ als Beispiel, ich hÄtte seit Jahren jede Nacht ein und denselben
Traum, der sich immer weiter fortspinnt und in dem mich jemand - sagen wir:
ein Bewohner einer andern Welt - belehrt und mir nicht nur an einem
Spiegelbilde von mir selbst und seinen allmÄhlichen VerÄnderungen zeigt, wie
weit ich von der magischen Reife, ein ›Wunder‹ erleben zu kÃnnen, entfernt
bin, sondern: mir auch in Verstandesfragen, wie sie mich einmal tagsØber
beschÄftigen, derart Aufschluñ gibt, dañ ich es jederzeit nachprØfen kann.
Sie werden mich verstehen: Ein solches Wesen ersetzt einem an GlØck alles,
was sich auf Erden ausdenken lÄñt; es ist fØr mich die BrØcke, die mich mit
dem ›DrØben‹ verbindet, ist die Jakobsleiter, auf der ich mich Øber die
Dunkelheit des Alltags erheben kann ins Licht, - ist mir FØhrer und Freund,
und alle meine Zuversicht, dañ ich mich auf den dunkeln Wegen, die meine
Seele geht, nicht verirren kann in Wahnsinn und Finsternis, setze ich auf
›ihn‹, der mich noch nie belogen hat. - Da mit einem Mal, entgegen allem,
was er mir gesagt hat, kreuzt ein ›Wunder‹ mein Leben! Wem soll ich jetzt
glauben? War das, was mich die vielen Jahre Øber ununterbrochen erfØllt hat,
eine TÄuschung? Wenn ich daran zweifeln mØñte, ich stØrzte kopfØber in einen
bodenlosen Abgrund. - Und doch ist das Wunder geschehen! Ich wØrde
aufjauchzen vor Freude, wenn -"
"Wenn - - -?" unterbrach ich sie atemlos. Vielleicht sprach sie selbst
das erlÃsende Wort, und ich konnte ihr alles eingestehen.
"- wenn ich erfØhre, dañ ich mich geirrt habe, - dañ es gar kein Wunder
war! Aber ich weiñ so genau, wie ich weiñ, dañ ich hier sitze, ich ginge
zugrunde daran"; (mir blieb das Herz stehen) - "zurØckgerissen werden, vom
Himmel wieder herab mØssen auf die Erde? Glauben Sie, dañ das ein Mensch
ertragen kann?"
"Bitten Sie doch Ihren Vater um Hilfe", sagte ich ratlos vor Angst.
"Meinen Vater? Um Hilfe?" - sie blickte mich verstÄndnislos an - "wo es
nur zwei Wege fØr mich gibt, kann er da einen dritten finden? - - Wissen
Sie, was die einzige Rettung fØr mich wÄre? Wenn mir das geschÄhe, was Ihnen
geschehen ist. Wenn ich in dieser Minute alles, was hinter mir liegt: mein
ganzes Leben bis zum heutigen Tag - vergessen kÃnnte. - Ist es nicht
merkwØrdig: was Sie als UnglØck empfinden, wÄre fØr mich das hÃchste GlØck!"
Wir schwiegen beide noch eine lange Zeit. Dann ergriff sie plÃtzlich
meine Hand und lÄchelte. Beinahe frÃhlich.
"Ich will nicht, dañ Sie sich meinetwegen grÄmen;" - (sie trÃstete mich
- mich!) - "vorhin waren Sie so voll Freude und GlØck Øber den FrØhling
drauñen, und jetzt sind Sie die BetrØbnis selbst. Ich hÄtte Ihnen Øberhaupt
nichts sagen sollen. Reiñen Sie es aus Ihrem GedÄchtnis und denken Sie
wieder so heiter wie vorhin! - Ich bin ja so froh -"
"Sie? Froh? Mirjam?", unterbrach ich sie bitter.
Sie machte ein Øberzeugtes Gesicht: "Ja! Wirklich! Froh! Als ich zu
Ihnen heraufging, war ich so unbeschreiblich Ängstlich, - ich weiñ nicht
warum: ich konnte das GefØhl nicht loswerden, dañ Sie in einer groñen Gefahr
schweben", - ich horchte auf - "aber, statt mich darØber zu freuen, Sie
gesund und wohlauf zu treffen, habe ich Sie angeunkt und - -"
Ich zwang mich zur Lustigkeit: "und das kÃnnen Sie nur gutmachen, wenn
Sie mit mir ausfahren." (Ich bemØhte mich, so viel øbermut wie mÃglich in
meine Stimme zu legen:) "Ich mÃchte doch einmal sehen, Mirjam, ob es mir
nicht gelingt, Ihnen die trØben Gedanken zu verscheuchen. Sagen Sie, was Sie
wollen: Sie sind noch lange kein Ägyptischer Zauberer, sondern vorlÄufig nur
ein junges MÄdchen, dem der Tauwind noch manchen bÃsen Streich spielen
kann."
Sie wurde plÃtzlich ganz lustig:
"Ja, was ist denn das heute mit Ihnen, Herr Pernath? So hab' ich Sie
noch nie gesehen! - øbrigens ›Tauwind‹: bei uns JudenmÄdchen lenken
bekanntlich die Eltern den Tauwind, und wir haben nur zu gehorchen. Tuen es
natØrlich auch. Es steckt uns schon so im Blut. - Mir ja nicht", setzte sie
ernsthafter hinzu, "meine Mutter hat bÃs gestreikt, als sie den grÄñlichen
Aaron Wassertrum heiraten sollte."
"Was? Ihre Mutter? Den TrÃdler da unten?"
Mirjam nickte. "Gott sei Dank ist es nicht zustande gekommen. - FØr den
armen Menschen freilich war es ein vernichtender Schlag."
"Armer Mensch, sagen Sie?" fuhr ich auf. "Der Kerl ist ein Verbrecher."
Sie wiegte nachdenklich den Kopf: "Gewiñ, er ist ein Verbrecher. Aber
wer in einer solchen Haut steckt und kein Verbrecher wird, muñ ein Prophet
sein."
Ich rØckte neugierig nÄher;
"Wissen Sie Genaueres Øber ihn? Mich interessiert das. Aus ganz
besonderen - -"
"Wenn Sie einmal seinen Laden von innen gesehen hÄtten, Herr Pernath,
wØñten Sie sofort, wie es in seiner Seele ausschaut. Ich sage das, weil ich
als Kind sehr oft drin war. - Warum sehen Sie mich so erstaunt an? Ist denn
das so merkwØrdig? - Gegen mich war er immer freundlich und gØtig. Einmal
sogar, erinnere ich mich, schenkte er mir einen groñen blitzenden Stein, der
mir besonders unter seinen Sachen gefallen hatte. Meine Mutter sagte, es sei
ein Brillant, und ich muñte ihn natØrlich sofort zurØcktragen.
Erst wollte er ihn lange nicht wiedernehmen, aber dann riñ er ihn mir
aus der Hand und warf ihn voll Wut weit von sich. Ich habe aber dennoch
gesehen, wie ihm dabei die TrÄnen aus den Augen stØrzten; ich konnte auch
damals schon genug HebrÄisch, um zu verstehen, was er murmelte: ›Alles ist
verflucht, was meine Hand berØhrt.‹ - - Es war das letzte Mal, dañ ich ihn
besuchen durfte. Nie wieder hat er mich seitdem aufgefordert, zu ihm zu
kommen. Ich weiñ auch warum: HÄtte ich ihn nicht zu trÃsten versucht, wÄre
alles beim alten geblieben, so aber, weil er mir unendlich leid tat und ich
es ihm sagte, wollte er mich nicht mehr sehen. - - - Sie verstehen das
nicht, Herr Pernath? Es ist doch so einfach: er ist ein Besessener, - ein
Mensch, der sofort miñtrauisch, unheilbar miñtrauisch wird, wenn jemand an
sein Herz rØhrt. Er hÄlt sich fØr noch viel hÄñlicher, als er in
Wirklichkeit ist, - wenn das Øberhaupt mÃglich sein kann, und darin wurzelt
sein ganzes Denken und Handeln. Man sagt, seine Frau hÄtte ihn gern gehabt,
vielleicht war es mehr Mitleid als Liebe, aber immerhin glaubten es sehr
viele Leute. Der einzige, der vom Gegenteil tief durchdrungen war, war er.
øberall wittert er Verrat und Hañ.
Nur bei seinem Sohn machte er eine Ausnahme. Ob es daher kam, dañ er
ihn vom SÄuglingsalter an hatte heranwachsen sehen, also das Keimen jeder
Eigenschaft von Urbeginn in dem Kinde sozusagen miterlebte und daher nie zu
einem Punkte gelangte, wo sein Miñtrauen hÄtte einsetzen kÃnnen, oder ob es
im jØdischen Blute lag: alles, was an LiebesfÄhigkeit in ihm lebte, auf
seinen Nachkommen auszugieñen - in jener instinktiven Furcht unserer Rasse:
wir kÃnnten aussterben und eine Mission nicht erfØllen, die wir vergessen
haben, die aber dunkel in uns fortlebt, - wer kann das wissen!
Mit einer Umsicht, die beinahe an Weisheit grenzte, und bei einem
unbelesenen Menschen, wie er, wunderbar ist, leitete er die Erziehung seines
Sohnes. Mit dem Scharfsinn eines Psychologen rÄumte er dem Kinde jedes
Erlebnis aus dem Wege, das zur Entwicklung der GewissenstÄtigkeit hÄtte
beitragen kÃnnen, um ihm kØnftige seelische Leiden zu ersparen.
Er hielt ihm als Lehrer einen hervorragenden Gelehrten, der die Ansicht
verfocht, die Tiere seien empfindungslos und ihre SchmerzÄuñerung ein
mechanischer Reflex.
Aus jedem GeschÃpf so viel Freude und Genuñ fØr sich selbst
herauspressen, wie nur irgend mÃglich, und dann die Schale sofort als
nutzlos wegzuwerfen: das war ungefÄhr das Abc seines weitblickenden
Erziehungssystems.
Dañ das Geld als Standarte und SchlØssel zur ›Macht‹ dabei eine erste
Rolle spielte, kÃnnen Sie sich denken, Herr Pernath. Und so wie er selbst
den eigenen Reichtum sorgsam geheim hÄlt, um die Grenzen seines Einflusses
in Dunkel zu hØllen, so ersann er sich ein Mittel, seinem Sohn ähnliches zu
ermÃglichen, ihm aber gleichzeitig die Qual eines scheinbar Ärmlichen Lebens
zu ersparen: er durchtrÄnkte ihn mit der infernalischen LØge von der
›SchÃnheit‹, brachte ihm die Äuñere und innere GebÄrde der ästhetik bei,
lehrte ihn Äuñerlich: die Lilie auf dem Felde heucheln und innerlich ein
Aasgeier sein.
NatØrlich war das mit der ›SchÃnheit‹ wohl kaum eigene Erfindung von
ihm - vermutlich die ›Verbesserung‹ eines Ratschlags, den ihm ein Gebildeter
gegeben hatte.
Dañ ihn sein Sohn spÄter verleugnete, wo und wann er nur konnte, nahm
er niemals Øbel. Im Gegenteil, er machte es ihm zur Pflicht: denn seine
Liebe war selbstlos, und wie ich es schon einmal von meinem Vater sagte: -
von der Art, die Øbers Grab hinausgeht."
Mirjam schwieg einen Augenblick und ich sah ihr an, wie sie ihre
Gedanken stumm weiterspann, hÃrte es an dem verÄnderten Klang ihrer Stimme,
als sie sagte:
"Seltsame FrØchte wachsen auf dem Baume des Judentums."
"Sagen Sie, Mirjam," fragte ich, "haben Sie nie davon gehÃrt, dañ
Wassertrum eine Wachsfigur in seinem Laden stehen hat? Ich weiñ nicht mehr,
wer es mir erzÄhlt hat, - es war vielleicht nur ein Traum - -"
"Nein, nein, es ist schon richtig, Herr Pernath: eine lebensgroñe
Wachsfigur steht in der Ecke, in der er, mitten unter dem tollsten GerØmpel,
auf seinem Strohsack schlÄft. Er hat sie vor Jahren einem Schaubudenbesitzer
abgewuchert, heiñt es, bloñ weil sie einem MÄdchen - einer Christin -
Ähnlich sah, die angeblich einmal seine Geliebte gewesen sein soll."
"Charouseks Mutter!" drÄngte es sich mir auf.
"Ihren Namen wissen Sie nicht, Mirjam?"
Mirjam schØttelte den Kopf. "Wenn Ihnen daran liegt, - soll ich mich
erkundigen?"
"Ach Gott, nein, Mirjam; es ist mir vollkommen gleichgØltig", (ich sah
an ihren blitzenden Augen, dañ sie sich in Eifer geredet hatte. Sie durfte
nicht wieder zu sich kommen, nahm ich mir vor), "aber was mich viel mehr
interessiert, ist das Gebiet, von dem Sie vorhin flØchtig sprachen. Ich
meine das ›vom Tauwind‹. - Ihr Vater wØrde Ihnen doch gewiñ nicht
vorschreiben, wen Sie heiraten sollen?"
Sie lachte lustig auf. "Mein Vater? Wo denken Sie hin!"
"Nun, das ist ein groñes GlØck fØr mich."
"Wieso?" fragte sie arglos.
"Weil ich dann noch Chancen habe."
Es war nur ein Scherz, und sie nahm es auch nicht anders hin, aber doch
sprang sie rasch auf und ging ans Fenster, um mich nicht sehen zu lassen,
dañ sie rot wurde.
Ich lenkte ein, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen:
"Das eine bitte ich mir aus als alter Freund: Mich mØssen Sie
einweihen, wenn's einmal so weit ist. - Oder gedenken Sie Øberhaupt ledig zu
bleiben?"
"Nein! nein! nein!" - sie wehrte so entschlossen ab, dañ ich
unwillkØrlich lÄchelte - "einmal muñ ich ja doch heiraten."
"NatØrlich! SelbstverstÄndlich!"
Sie wurde nervÃs wie ein Backfisch.
"KÃnnen Sie denn nicht eine Minute ernsthaft bleiben, Herr Pernath?" -
Ich machte gehorsam ein Lehrergesicht, und sie setzte sich wieder. - "Also:
wenn ich sage, ich muñ doch einmal heiraten, so meine ich damit, dañ ich mir
zwar bis jetzt den KopfØber die nÄheren UmstÄnde nicht zerbrochen habe, den
Sinn des Lebens aber gewiñ nicht verstØnde, wenn ich annehmen wØrde, ich sei
als Weib auf die Welt gekommen, um kinderlos zu bleiben."
Das erste Mal, seit ich sie kannte, sah ich das Frauenhafte in ihren
ZØgen.
"Es gehÃrt mit zu meinen TrÄumen", fuhr sie leise fort, "mir
vorzustellen, dañ es ein Endziel sei, wenn zwei Wesen zu einem verschmelzen,
- zu dem, was - - haben Sie nie von dem Ägyptischen Osiriskult gehÃrt? - zu
dem verschmelzen, was der ›Hermaphrodit‹ als Symbol bedeuten mag."
Ich horchte gespannt auf: "Der Hermaphrodit -?"
"Ich meine: Die magische Vereinigung von mÄnnlich und weiblich im
Menschengeschlecht zu einem Halbgott. Als Endziel! - Nein, nicht als
Endziel, als Beginn eines neuen Weges, der ewig ist - kein Ende hat."
"Und hoffen Sie, dereinst denjenigen zu finden," fragte ich
erschØttert, "den Sie suchen? - Kann es nicht sein, dañ er in einem fernen
Land lebt, vielleicht gar nicht auf Erden ist?"
"Davon weiñ ich nichts"; sagte sie einfach, "ich kann nur warten. Wenn
er durch Zeit und Raum von mir getrennt ist, - was ich nicht glaube, weshalb
wÄre ich dann hier im Getto angebunden? - oder durch die KlØfte
gegenseitigen Nichterkennens - und ich finde ihn nicht, dann hat mein Leben
keinen Zweck gehabt und war das gedankenlose Spiel eines idiotischen DÄmons.
- Aber, bitte, bitte, reden wir nicht mehr davon," flehte sie, "wenn man den
Gedanken nur ausspricht, bekommt er schon einen hÄñlichen, irdischen
Beigeschmack, und ich mÃchte nicht -"
Sie brach plÃtzlich ab.
"Was mÃchten Sie nicht, Mirjam?"
Sie hob die Hand. Stand rasch auf und sagte:
"Sie bekommen Besuch, Herr Pernath!"
Seidenkleider raschelten auf dem Gang.
UngestØmes Klopfen. Dann:
Angelina!
Mirjam wollte gehen; ich hielt sie zurØck:
"Darf ich vorstellen: die Tochter eines lieben Freundes - Frau GrÄfin
-"
"Nicht einmal vorfahren kann man mehr. øberall das Pflaster
aufgerissen. Wann werden Sie einmal in eine menschenwØrdige Gegend siedeln,
Meister Pernath? Drauñen schmilzt der Schnee und der Himmel jubelt, dañ es
einem die Brust zersprengt, und Sie hocken hier in Ihrer Tropfsteingrotte
wie ein alter Frosch, - - Øbrigens wissen Sie, dañ ich gestern bei meinem
Juwelier war und er gesagt hat: Sie seien der grÃñte KØnstler, der feinste
Gemmenschneider, den es heute gibt, wenn nicht einer der grÃñten, die je
gelebt haben?!" - Angelina plauderte wie ein Wasserfall, und ich war
verzaubert. Sah nur mehr ihre strahlenden, blauen Augen, die kleinen FØñe in
den winzigen Lackstiefeln, sah das kapriziÃse Gesicht aus dem Wust von
Pelzwerk leuchten und die rosigen OhrlÄppchen.
Sie lieñ sich kaum Zeit auszuatmen.
"An der Ecke steht mein Wagen. Ich hatte schon Angst, Sie nicht zu
Hause zu treffen. Sie haben doch hoffentlich noch nicht zu Mittag gegessen?
Wir fahren zuerst - ja, wohin fahren wir zuerst? Wir fahren zuerst einmal -
warten Sie - - ja: vielleicht in den Baumgarten, oder kurz: irgendwohin ins
Freie, wo man so recht das Keimen und heimliche Sprossen in der Luft ahnt.
Kommen Sie, kommen Sie, nehmen Sie Ihren Hut; und dann essen Sie bei mir, -
und dann schwÄtzen wir bis abends. Nehmen Sie doch Ihren Hut! Worauf warten
Sie denn? - Eine warme, ganz weiche Decke ist unten: da wickeln wir uns ein
bis an die Ohren und kuscheln uns zusammen, bis uns siedheiñ wird."
Was sollte ich nur sagen?! "Soeben habe ich mit der Tochter meines
Freundes eine Spazierfahrt verabredet - -"
Mirjam hatte sich bereits hastig von Angelina verabschiedet, noch ehe
ich aussprechen konnte.
Ich begleitete sie bis vor die TØr, obschon sie mich freundlich
abwehren wollte.
"HÃren Sie mich an, Mirjam, ich kann es Ihnen hier auf der Treppe nicht
so sagen, wie ich an Ihnen hÄnge - - und dañ ich tausendmal lieber mit Ihnen
- -"
"Sie dØrfen die Dame nicht warten lassen, Herr Pernath," drÄngte sie,
"adieu und viel VergnØgen!"
Sie sagte es voll Herzlichkeit und unverstellt und echt, aber ich sah,
dañ der Glanz in ihren Augen erloschen war.
Sie eilte die Treppe hinunter, und das Leid schnØrte mir die Kehle
zusammen.
Mir war, als hÄtte ich eine Welt verloren.
Wie im Rausch sañ ich an Angelinas Seite. Wir fuhren in rasendem Trab
durch die menschenØberfØllten Strañen.
Eine Brandung des Lebens rings um mich, dañ ich, halb betÄubt, nur noch
die kleinen Lichtflecke in dem Bilde, das an mir vorØberhuschte,
unterscheiden konnte: blitzende Juwelen in Ohrringen und Muffketten, blanke
ZylinderhØte, weiñe Damenhandschuhe, einen Pudel mit rosa Halsschleife, der
klÄffend in die RÄder beiñen wollte, schÄumende Rappen, die uns
entgegensausten in silbernen Geschirren, ein Ladenfenster, drin schimmernde
Schalen voll PerlschnØren und funkelnden Geschmeiden, - Seidenglanz um
schlanke MÄdchenhØften.
Der scharfe Wind, der uns ins Gesicht schnitt, lieñ mich die WÄrme von
Angelinas KÃrper doppelt sinnverwirrend empfinden.
Die Schutzleute an den Kreuzungen sprangen respektvoll zur Seite, wenn
wir an ihnen vorØberjagten.
Dann ging's im Schritt Øber das Quai, das eine einzige Wagenreihe war,
an der eingestØrzten steinernen BrØcke vorbei, umstaut vom GewØhl gaffender
Gesichter.
Ich blickte kaum hin: - das kleinste Wort aus dem Munde Angelinas, ihre
Wimpern, das eilige Spiel ihrer Lippen, - alles, alles war mir unendlich
viel wichtiger, als zuzusehen, wie die FelstrØmmer dort unten den
antaumelnden Eisschollen die Schultern entgegenstemmten. -
Parkwege. Dann - gestampfte, elastische Erde. Dann Laubrascheln unter
den Hufen der Pferde, nasse Luft, blÄtterlose Baumriesen voll von
KrÄhennestern, totes WiesengrØn mit weiñlichen Inseln schwindenden Schnees,
alles zog an mir vorbei wie getrÄumt.
Nur mit ein paar kurzen Worten, fast gleichgØltig, kam Angelina auf Dr.
Savioli zu sprechen.
"Jetzt, wo die Gefahr vorØber ist", sagte sie mit entzØckender,
kindlicher Unbefangenheit, "und ich weiñ, dañ es ihm auch wieder besser
geht, kommt mir alles das, was ich mitgemacht habe, so grÄñlich langweilig
vor. - Ich will mich endlich einmal wieder freuen, die Augen zumachen und
untertauchen in dem glitzernden Schaum des Lebens. Ich glaube, alle Frauen
sind so. Sie gestehen es bloñ nicht ein. Oder sie sind so dumm, dañ sie es
selbst nicht wissen. Meinen Sie nicht auch?" Sie hÃrte gar nicht hin, was
ich darauf antwortete. "øbrigens sind mir die Frauen vollstÄndig
uninteressant. Sie dØrfen es natØrlich nicht als Schmeichelei auffassen:
aber - wahrhaftig, die bloñe NÄhe eines sympathischen Mannes ist mir im
kleinen Finger lieber als das anregendste GesprÄch mit einer noch so
gescheiten Frau. Es ist ja schlieñlich doch alles dummes Zeug, was man da
zusammenschwÄtzt. - HÃchstens: das biñchen Putz - na und! Die Moden wechseln
ja nicht gar so hÄufig. - - Nicht wahr, ich bin leichtsinnig?", fragte sie
plÃtzlich kokett, dañ ich mich, bestrickt von ihrem Reiz, zusammennehmen
muñte, nicht ihr KÃpfchen zwischen meine HÄnde zu nehmen und sie in den
Nacken zu kØssen, - "sagen Sie, dañ ich leichtsinnig bin!"
Sie schmiegte sich noch dichter an und hÄngte sich in mich ein.
Wir fuhren aus der Allee heraus an Bosketts entlang mit
strohumwickelten Zierstauden, die aussahen in ihren HØllen wie RØmpfe von
Ungeheuern mit abgehauenen Gliedern und HÄuptern.
Leute sañen auf BÄnken in der Sonne und blickten hinter uns drein und
steckten die KÃpfe zusammen.
Wir schwiegen eine Weile und hingen unseren Gedanken nach. Wie war
Angelina doch so vollstÄndig anders, als sie bisher in meiner Einbildung
gelebt hatte! - Als sei sie erst heute fØr mich in die Gegenwart gerØckt!
War das wirklich dieselbe Frau, die ich damals in der Domkirche
getrÃstet hatte?
Ich konnte den Blick nicht wenden von ihrem halboffenen Mund.
Sie sprach noch immer kein Wort. Schien im Geiste ein Bild zu sehen.
Der Wagen bog Øber eine feuchte Wiese.
Es roch nach erwachender Erde.
"Wissen Sie, - - Frau - -?"
"Nennen Sie mich doch Angelina", unterbrach sie mich leise.
"Wissen Sie, Angelina, dañ - dañ ich heute die ganze Nacht von Ihnen
getrÄumt habe?", stieñ ich gepreñt hervor.
Sie machte eine kleine rasche Bewegung, als wolle sie ihren Arm aus
meinem ziehen, und sah mich groñ an. "MerkwØrdig! Und ich von Ihnen! - Und
in diesem Moment habe ich dasselbe gedacht."
Wieder stockte das GesprÄch, und beide errieten wir, dañ wir auch
dasselbe getrÄumt hatten.
Ich fØhlte es an dem Beben ihres Blutes. Ihr Arm zitterte kaum merklich
an meiner Brust. Sie blickte krampfhaft von mir weg aus dem Wagen hinaus. -
- -
Langsam zog ich ihre Hand an meine Lippen, streifte den weiñen,
duftenden Handschuh zurØck, hÃrte, wie ihr Atem heftig wurde, und preñte
toll vor Liebe meine ZÄhne in ihren Handballen.
- - Stunden spÄter ging ich wie ein Trunkener durch den Abendnebel
hinab der Stadt zu. Planlos wÄhlte ich die Strañen und ging lange, ohne es
zu wissen, im Kreise herum.
Dann stand ich am Fluñ Øber eisernes GelÄnder gebeugt und starrte hinab
in die tosenden Wellen.
Noch immer fØhlte ich Angelinas Arme um meinen Nacken, sah das
steinerne Becken des Springbrunnens, an dem wir schon einmal Abschied
voneinander genommen vor vielen Jahren, vor mir, mit den faulenden
UlmenblÄttern darin, und sie wanderte wieder mit mir, wie soeben erst vor
kurzem, den Kopf an meine Schulter gelehnt, stumm durch den frÃsteldnen,
dÄmmrigen Park ihres Schlosses.
Ich setzte mich auf eine Bank und zog den Hut tief ins Gesicht, um zu
trÄumen.
Die Wasser brausten Øber das Wehr und ihr Rauschen verschlang die
letzten, aufmurrenden GerÄusche der schlafengehenden Stadt.
Wenn ich von Zeit zu Zeit meinen Mantel fester um mich zog und
aufblickte, lag der Fluñ in immer tieferen Schatten, bis er endlich, von der
schweren Nacht erdrØckt, schwarzgrau dahinstrÃmte und der Gischt des
Staudamms als weiñer, blendender Streifen schrÄg hinØber zum andern Ufer
lief.
Mich schauderte bei dem Gedanken, wieder zurØck zu mØssen in mein
trauriges Haus.
Der Glanz eines kurzen Nachmittags hatte mich fØr immer zum Fremdling
in meiner WohnstÄtte gemacht.
Eine Spanne von wenigen Wochen, vielleicht nur von Tagen, dann muñte
das GlØck vorØber sein - und nichts blieb davon als eine wehe, schÃne
Erinnerung.
Und dann?
Dann war ich heimatlos hier und drØben, diesseits und jenseits des
Flusses.
Ich stand auf! Wollte noch durch das Parkgitter einen Blick auf das
Schloñ werfen, hinter dessen Fenstern sie schlief, ehe ich in das finstere
Getto ging. - - - Ich schlug die Richtung ein, aus der ich gekommen war,
tappte mich durch den dichten Nebel an HÄuserreihen entlang und Øber
schlummernde PlÄtze, sah schwarze Monumente drohend auftauchen und einsame
SchilderhÄuser und die SchnÃrkel von Barockfassaden. Der matte Schimmer
einer Laterne wuchs zu riesigen, phantastischen Ringen in verblichenen
Regenbogenfarben aus dem Dunst heraus, wurde zum fahlgelben, stechenden Auge
und zerging hinter mir in der Luft.
Mein Fuñ tastete breite, steinerne StufenflÄchen, mit Kies bestreut. Wo
war ich? Ein Hohlweg, der steil aufwÄrts fØhrt?
Glatte Gartenmauern links und rechts? Die kahlen äste eines Baumes
hÄngen herØber. Sie kommen vom Himmel herunter: der Stamm verbirgt sich
hinter der Nebelwand. -
Ein paar morsche, dØnne Zweige brechen krachend ab, wie mein Hut sie
streift, und fallen an meinem Mantel hinab in den nebligen grauen Abgrund,
der mir meine FØñe verbirgt.
Dann ein strahlender Punkt: ein einsames Licht in der Ferne - irgendwo
- rÄtselhaft - zwischen Himmel und Erde. - - -
Ich muñte fehlgegangen sein. Es konnte nur die "alte Schloñstiege" sein
neben den HÄngen der FØrstenbergschen GÄrten - - -
Dann lange Strecken lehmiger Erde. - Ein gepflasterter Weg.
Ein massiger Schatten ragt hoch auf, den Kopf in einer schwarzen,
steifen ZipfelmØtze: "die Daliborka" = der Hungerturm, in dem Menschen einst
verschmachteten, derweilen KÃnige unten im "Hirschgraben" das Wild hetzten.
Ein schmales, gewundenes GÄñchen mit Schieñscharten, ein Schneckengang,
kaum breit genug, die Schultern durchzulassen - und ich stand vor einer
Reihe von HÄuschen, keines hÃher als ich.
Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die DÄcher greifen.
Ich war in die "Goldmachergasse" geraten, wo im Mittelalter die
alchimistischen Adepten den Stein der Weisen geglØht und die Mondstrahlen
vergiftet haben.
Es rØhrte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war.
Aber ich fand die MauerlØcke nicht mehr, die mich eingelassen, - stieñ
an ein Holzgatter.
Es nØtzt nichts, ich muñ jemand wecken, damit man mir den Weg zeigt,
sagte ich mir. Sonderbar, dañ hier ein Haus die Gasse abschlieñt - grÃñer
als die andern und anscheinend wohnlich? Ich kann mich nicht entsinnen, es
je bemerkt zu haben.
Es muñ wohl weiñ getØncht sein, dañ es so hell aus dem Nebel leuchtet?
Ich gehe durch das Gatter Øber den schmalen Gartenstreif, drØcke das
Gesicht an die Scheiben: - alles finster. Ich klopfe ans Fenster. - Da geht
drinnen ein steinalter Mann, eine brennende Kerze in der Hand, durch eine
TØr mit greisenhaft wankenden Schritten bis mitten in die Stube, bleibt
stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten
und Kolben an der Wand, starrt nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in
den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich.
Der Schatten seiner Backenknochen fÄllt ihm auf die AugenhÃhlen, dañ es
aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.
Er sieht mich offenbar nicht.
Ich klopfe ans Glas.
Er hÃrt mich nicht. Geht lautlos wie ein Schlafwandler wieder aus dem
Zimmer.
Ich warte vergebens.
Klopfe ans Haustor: niemand Ãffnet. - - -
Es blieb mir nichts Øbrig, als so lange zu suchen, bis ich den Ausgang
aus der Gasse endlich fand.
Ob es nicht am besten wÄre, ich ginge noch unter Menschen, Øberlegte
ich. - Zu meinen Freunden: Zwakh, Prokop und Vrieslander ins "alte Ungelt",
wo sie bestimmt sein wØrden -, um meine verzehrende Sehnsucht nach Angelinas
KØssen wenigstens fØr ein paar Stunden zu ØbertÄuben? Rasch mache ich mich
auf den Weg.
Wie ein Trifolium von Toten hockten sie um den wurmstichigen, alten
Tisch herum, - alle drei: weiñe dØnnstielige Tonpfeifen zwischen den ZÄhnen,
und das Zimmer voll Rauch.
Man konnte kaum ihre GesichtszØge unterscheiden, so schluckten die
dunkelbraunen WÄnde das spÄrliche Licht der altmodischen HÄngelampe ein.
In der Ecke die spindeldØrre, wortkarge, verwitterte Kellnerin mit
ihrem ewigen Strickstrumpf, dem farblosen Blick und der gelben
Entenschnabelnase!
Mattrote Decken hingen vor den geschlossenen TØren, so dañ die Stimmen
der GÄste im Nebenzimmer nur wie das leise Summen eines Bienenschwarms
herØberdrangen.
Vrieslander, seinen kegelfÃrmigen Hut mit der geraden Krempe auf dem
Kopf, mit seinem Knebelbart, der bleigrauen Gesichtsfarbe und der Narbe
unter dem Auge, sah aus wie ein ertrunkener HollÄnder aus einem vergessenen
Jahrhundert.
Josua Prokop hatte sich eine Gabel quer durch die Musikerlocken
gesteckt, klapperte unaufhÃrlich mit seinen gespenstisch langen
Knochenfingern und sah bewundernd zu, wie sich Zwakh abmØhte, der bauchigen
Arakflasche das PurpurmÄntelchen einer Marionette umzuhÄngen.
"Das wird Babinski", erklÄrte mir Vrieslander mit tiefem Ernst. "Sie
wissen nicht, wer Babinski war? Zwakh, erzÄhlen Sie Pernath rasch, wer
Babinski war!"
"Babinski war", begann Zwakh sofort, ohne auch nur eine Sekunde von
seiner Arbeit aufzusehen, "einst ein berØhmter RaubmÃrder in Prag. - Viele
Jahre betrieb er sein schÄndliches Handwerk, ohne dañ es jemand bemerkt
hÄtte. Nach und nach jedoch fiel es in den besseren Familien auf, dañ bald
dieses, bald jenes Mitglied der Sippe beim Essen fehlte und sich nie wieder
blicken lieñ. Wenn man auch anfangs nichts sagte, da die Sache gewissermañen
ihre guten Seiten hatte, indem man weniger zu kochen brauchte, so durfte
wiederum nicht auñer acht gelassen werden, dañ das Ansehen in der
Gesellschaft leicht darunter leiden und man ins Gerede kommen konnte.
Besonders, wenn es sich um das spurlose Verschwinden mannbarer TÃchter
handelte.
øberdies verlangte die Hochachtung vor sich selbst, dañ man auf ein
bØrgerliches Zusammenleben in der Familie nach auñen hin das nÃtige Gewicht
legte.
Die Zeitungsrubriken: "Kehre zurØck, alles ist verziehen" wuchsen immer
mehr und mehr, - ein Umstand, den Babinski, leichtsinnig wie die meisten
BerufsmÃrder, in seine Berechnungen nicht einbezogen hatte, - und erregten
schlieñlich die allgemeine Aufmerksamkeit.
In dem lieblichen DÃrfchen Krtsch bei Prag hatte sich Babinski, der
innerlich ein ausgesprochen idyllischer Charakter war, mit der Zeit durch
seine unverdrossene TÄtigkeit ein kleines, aber trautes Heim geschaffen. Ein
HÄuschen, blitzend vor Sauberkeit, und ein GÄrtchen davor mit blØhenden
Geranien.
Da es ihm seine EinkØnfte nicht gestatteten, sich zu vergrÃñern, sah er
sich genÃtigt, um die Leichen seiner Opfer unauffÄllig bestatten zu kÃnnen,
statt eines Blumenbeetes - wie er es gern gesehen hÄtte - einen
grasbewachsenen und schlichten, aber, den UmstÄnden angemessen: zweckmÄñigen
GrabhØgel anzulegen, der sich mØhelos verlÄngern lieñ, wenn es der Betrieb
oder die Saison erforderte.
Auf dieser WeihestÄtte pflegte Babinski allabendlich nach des Tages
Last und MØhen in den Strahlen der untergehenden Sonne zu sitzen und auf
seiner FlÃte allerlei schwermØtige Weisen zu blasen." - -
"Halt!" unterbrach Josua Prokop rauh, zog einen HausschlØssel aus der
Tasche, hielt ihn wie eine Klarinette an den Mund und sang:
"Zimzerlim zambusla - deh."
"Waren Sie denn dabei, dañ Sie die Melodie so genau kennen?", fragte
Vrieslander erstaunt.
Prokop warf ihm einen bitterbÃsen Blick zu: "Nein. Dazu hat Babinski zu
frØh gelebt. Aber was er gespielt haben kann, muñ ich als Komponist doch am
besten wissen. Ihnen steht darØber kein Urteil zu: Sie sind nicht
musikalisch. - - Zimzerlim - zambusla - busla - deh."
Zwakh hÃrte ergriffen zu, bis Prokop seinen HausschlØssel wieder
einsteckte, und fuhr dann fort:
"Das bestÄndige Wachsen des HØgels erweckte allmÄhlich Verdacht bei den
Anrainern, und einem Polizeimann aus der Vorstadt Zizkov, der gelegentlich
von weitem zusah, wie Babinski gerade eine alte Dame der guten Gesellschaft
erwØrgte, gebØhrt das Verdienst, dem selbstsØchtigen Treiben des Unholdes
ein fØr allemal Schranken gesetzt zu haben:
Man verhaftete Babinski in seinem Tuskulum.
Der Gerichtshof verurteilte ihn unter Zubilligung des mildernden
Umstandes eines ansonsten trefflichen Leumundes zum Tode durch den Strang
und beauftragte zugleich die Firma GebrØder Leipen - Seilwa