uft war
so  ausnehmend  zart und  fein,  dass er ihn nicht festhalten konnte,  immer
wieder entzog  er sich  der Wahrnehmung, wurde verdeckt vom  Pulverdampf der
Petarden, blockiert von den  Ausd<u>u</u>nstungen  der Menschenmassen,  zerst<u>u</u>ckelt
und  zerrieben  von  den  tausend  andren  Ger<u>u</u>chen der  Stadt.  Aber  dann,
pl<u>u</u>tzlich, war er wieder da, ein kleiner Fetzen nur, eine kurze Sekunde lang
als herrliche  Andeutung zu riechen...  und  verschwand  alsbald. Grenouille
litt Qualen. Zum ersten  Mal war es nicht nur sein  gieriger Charakter,  dem
eine  Kr<u>u</u>nkung  widerfuhr,  sondern  tats<u>u</u>chlich sein  Herz,  das  litt. Ihm
schwante  sonderbar, dieser Duft sei der Schl<u>u</u>ssel zur Ordnung aller anderen
D<u>u</u>fte,  man habe nichts  von den D<u>u</u>ften verstanden,  wenn  man  diesen einen
nicht verstand, und er Grenouille, h<u>u</u>tte sein Leben verpfuscht, wenn es  ihm
nicht gel<u>u</u>nge, diesen einen  zu  besitzen. Er musste ihn haben, nicht um des
schieren Besitzes, sondern um der Ruhe seines Herzens willen.
     Ihm  wurde  fast  schlecht  vor Aufregung.  Er hatte noch nicht  einmal
herausbekommen,  aus  welcher  Richtung  der  Duft  <u>u</u>berhaupt kam.  Manchmal
dauerten  die Intervalle,  ehe  ihm  wieder  ein  Fetzchen  zugeweht  wurde,
minutenlang, und jedesmal <u>u</u>berfiel  ihn die gr<u>u</u>&szlig;liche  Angst, er h<u>u</u>tte
ihn  auf  immer  verloren. Endlich  rettete  er  sich in  den  verzweifelten
Glauben,  der  Duft  komme  vom  anderen Ufer des  Flusses, irgendwoher  aus
s<u>u</u>d<u>u</u>stlicher Richtung.
     Er l<u>u</u>ste sich  von  der Mauer des Pavillon  de  Flore,  tauchte  in die
Menschenmenge ein  und  bahnte sich seinen  Weg <u>u</u>ber  die Br<u>u</u>cke. Alle  paar
Schritte blieb  er  stehen,  stellte sich auf die Zehenspitzen,  um <u>u</u>ber die
K<u>u</u>pfe  der  Menschen  hinwegzuschnuppern,  roch  zun<u>u</u>chst nichts vor  lauter
Erregung, roch dann endlich doch etwas, erschnupperte sich den Duft, st<u>u</u>rker
sogar als zuvor, wusste sich auf der richtigen F<u>u</u>hrte, tauchte unter, w<u>u</u>hlte
sich  weiter  durch  die  Menge der Gaffer und  der  Feuerwerker,  die  alle
Augenblicke  ihre Fackeln  an die  Lunten  der  Raketen  hielten,  verlor im
bei&szlig;enden Qualm  des Pulvers seinen Duft, geriet in Panik, stie&szlig;
und  rempelte  weiter und w<u>u</u>hlte sich fort, erreichte nach  endlosen Minuten
das andere Ufer, das Hotel de Mailly, den Quai Malaquest, die Einm<u>u</u>ndung der
Rue de Seine...
     Hier  blieb er stehen, sammelte sich und roch.  Er  hatte ihn. Er hielt
ihn  fest.  Wie  ein  Band  kam  der Geruch die  Rue de  Seine herabgezogen,
unverwechselbar  deutlich,  dennoch  weiterhin  sehr  zart  und  sehr  fein.
Grenouille  sp<u>u</u>rte, wie sein Herz pochte, und  er  wusste, dass es nicht die
Anstrengung  des Laufens war,  die  es pochen machte, sondern seine  erregte
Hilflosigkeit  vor der  Gegenwart  dieses  Geruches.  Er versuchte,  sich an
irgend  etwas   Vergleichbares   zu  erinnern  und  musste  alle  Vergleiche
verwerfen. Dieser Geruch hatte Frische;  aber nicht die Frische der Limetten
oder  Pomeranzen,  nicht   die  Frische  von  Myrrhe   oder  Zimtblatt  oder
Krauseminze oder Birken oder Kampfer oder Kiefernnadeln, nicht  von Mairegen
oder  Frostwind oder von  Quellwasser..., und er hatte zugleich W<u>u</u>rme;  aber
nicht wie Bergamotte, Zypresse oder  Moschus, nicht wie Jasmin und Narzisse,
nicht wie Rosenholz  und nicht wie Iris... Dieser  Geruch war eine  Mischung
aus beidem, aus Fl<u>u</u>chtigem und Schwerem, keine Mischung davon, eine Einheit,
und dazu gering und schwach  und  dennoch solid  und tragend, wie ein  St<u>u</u>ck
d<u>u</u>nner  schillernder Seide... und  auch wieder nicht wie  Seide, sondern wie
honigs<u>u</u>&szlig;e Milch, in der sich Biskuit l<u>u</u>st -  was  j  a nun beim besten
Willen  nicht zusammenging:  Milch  und  Seide!  Unbegreiflich  dieser Duft,
unbeschreiblich,  in keiner Weise einzuordnen, es  durfte ihn eigentlich gar
nicht  geben.  Und doch  war er  da  in herrlichster Selbstverst<u>u</u>ndlichkeit.
Grenouille  folgte ihm,  mit b<u>u</u>nglich pochendem Herzen, denn  er ahnte, dass
nicht er  dem Duft folgte, sondern dass der  Duft ihn gefangengenommen hatte
und nun unwiderstehlich zu sich zog.
     Er ging die  Rue de Seine hinauf. Niemand war auf der Stra&szlig;e. Die
H<u>u</u>user  standen  leer  und still.  Die  Leute  waren  unten  am  Fluss  beim
Feuerwerk.  Kein  hektischer  Menschengeruch  st<u>u</u>rte,  kein  bei&szlig;ender
Pulvergestank. Die Stra&szlig;e duftete nach den <u>u</u>blichen D<u>u</u>ften von Wasser,
Kot, Ratten  und  Gem<u>u</u>seabfall.  Dar<u>u</u>ber aber schwebte zart und deutlich das
Band,  das  Grenouille  leitete.  Nach  wenigen  Schritten  war  das  wenige
Nachtlicht  des  Himmels von den hohen  H<u>u</u>usern verschluckt,  und Grenouille
ging weiter im Dunkeln. Er  brauchte nichts zu sehen. Der  Geruch f<u>u</u>hrte ihn
sicher.
     Nach f<u>u</u>nfzig  Metern bog er  rechts  ab in  die  Rue  des Marais,  eine
wom<u>u</u>glich noch dunklere, kaum eine Armspanne breite  Gasse. Sonderbarerweise
wurde der Duft nicht  sehr viel  st<u>u</u>rker. Er wurde nur reiner,  und dadurch,
durch  seine  immer gr<u>u</u>&szlig;er  werdende Reinheit,  bekam  er  eine  immer
m<u>u</u>chtigere  Anziehungskraft. Grenouille ging ohne  eigenen  Willen. An einer
Stelle zog ihn der Geruch  hart nach  rechts,  scheinbar mitten in die Mauer
eines Hauses hinein. Ein niedriger Gang  tat  sich auf, der in den Hinterhof
f<u>u</u>hrte.  Traumwandlerisch durchschritt Grenouille diesen  Gang, durchschritt
den Hinterhof,  bog um  eine  Ecke,  gelangte  in  einen zweiten,  kleineren
Hinterhof,  und  hier nun  endlich war Licht: Der Platz umfasste  nur wenige
Schritte im Geviert. An der  Mauer sprang  ein  schr<u>u</u>ges  Holzdach  vor. Auf
einem Tisch darunter  klebte  eine  Kerze. Ein  M<u>u</u>dchen  sa&szlig; an diesem
Tisch und putzte  Mirabellen. Sie nahm die Fr<u>u</u>chte aus  einem Korb zu  ihrer
Linken,  entstielte und entkernte sie mit einem Messer und lie&szlig; sie in
einen Eimer fallen. Sie mochte dreizehn, vierzehn Jahre alt sein. Grenouille
blieb stehen. Er wusste sofort, was die Quelle des Duftes war,  den  er <u>u</u>ber
eine halbe Meile hinweg bis  ans  andere  Ufer  des Flusses  gerochen hatte:
nicht dieser schmuddelige  Hinterhof, nicht die  Mirabellen.  Die Quelle war
das M<u>u</u>dchen.
     F<u>u</u>r  einen Moment  war er  so verwirrt, dass er tats<u>u</u>chlich dachte,  er
habe in seinem Leben noch nie etwas so Sch<u>u</u>nes gesehen  wie dieses  M<u>u</u>dchen.
Dabei  sah  er  nur ihre Silhouette von  hinten gegen  die Kerze.  Er meinte
nat<u>u</u>rlich,  er  habe noch  nie  so  etwas Sch<u>u</u>nes gerochen. Aber  da er doch
Menschenger<u>u</u>che   kannte,  viele  Tausende,  Ger<u>u</u>che  von  M<u>u</u>nnern,  Frauen,
Kindern,  wollte  er  nicht begreifen,  dass  ein  so  exquisiter Duft einem
Menschen entstr<u>u</u>men konnte. <u>u</u>blicherweise rochen  Menschen nichtssagend oder
miserabel. Kinder rochen fad, M<u>u</u>nner urin<u>u</u>s, nach scharfem Schwei&szlig; und
K<u>u</u>se,   Frauen  nach   ranzigem  Fett   und  verderbendem   Fisch.  Durchaus
uninteressant, absto&szlig;end rochen  die  Menschen... Und so  geschah  es,
dass Grenouille zum ersten Mal in seinem  Leben seiner Nase nicht traute und
die   Augen  zuhilfe  nehmen  musste,  um  zu  glauben,  was  er  roch.  Die
Sinnesverwirrung  dauerte  freilich nicht lange. Es  war tats<u>u</u>chlich nur ein
Augenblick,  den er ben<u>u</u>tigte,  um  sich  optisch zu  vergewissern und  sich
alsdann   desto   r<u>u</u>ckhaltloser  den   Wahrnehmungen   seines   Geruchssinns
hinzugeben. Nun <i>roch</i>  er, dass sie  ein  Mensch war, roch  den Schwei&szlig;
ihrer Achseln, das  Fett ihrer Haare, den Fischgeruch ihres Geschlechts, und
roch mit gr<u>u</u>&szlig;tem Wohlgefallen. Ihr Schwei&szlig; duftete so frisch wie
Meerwind, der Talg ihrer Haare  so  s<u>u</u>&szlig; wie Nuss<u>u</u>l, ihr Geschlecht wie
ein  Bouquet  von  Wasserlilien,  die Haut wie  Aprikosenbl<u>u</u>te...,  und  die
Verbindung  all dieser Komponenten ergab ein Parfum so reich, so balanciert,
so zauberhaft, dass alles, was Grenouille bisher an Parfums gerochen, alles,
was er  selbst in seinem Innern an  Geruchsgeb<u>u</u>uden  spielerisch  erschaffen
hatte, mit einem Mal zu schierer Sinnlosigkeit verkam. Hunderttausend  D<u>u</u>fte
schienen  nichts mehr wert vor diesem einen Duft. Dieser eine war das h<u>u</u>here
Prinzip, nach  dessen Vorbild  sich die <u>u</u>ndern ordnen  mussten.  Er war  die
reine Sch<u>u</u>nheit.
     F<u>u</u>r  Grenouille stand fest, dass ohne den  Besitz des Duftes sein Leben
keinen  Sinn mehr hatte.  Bis in die kleinste Einzelheit,  bis in die letzte
zarteste Ver<u>u</u>stelung  musste  er  ihn kennenlernen; die blo&szlig;e komplexe
Erinnerung  an ihn  gen<u>u</u>gte nicht. Er wollte wie mit einem  Pr<u>u</u>gestempel das
apotheotische Parfum  ins  Kuddelmuddel seiner schwarzen  Seele pressen,  es
haargenau erforschen  und fortan nur noch nach den inneren Strukturen dieser
Zauberformel denken, leben, riechen.
     Er ging langsam auf das M<u>u</u>dchen zu, immer n<u>u</u>her, trat unter das Vordach
und blieb einen Schritt hinter ihr stehen. Sie h<u>u</u>rte ihn nicht.
     Sie hatte rote Haare  und trug ein graues Kleid ohne <u>u</u>rmel.  Ihre  Arme
waren  sehr  wei&szlig; und ihre H<u>u</u>nde gelb  vom Saft  der  aufgeschnittenen
Mirabellen. Grenouille stand  <u>u</u>ber  sie  gebeugt  und  sog  ihren Duft jetzt
v<u>u</u>llig unvermischt ein, so wie er aufstieg  von ihrem Nacken, ihren  Haaren,
aus  dem Ausschnitt ihres Kleides, und lie&szlig; ihn in  sich hineinstr<u>u</u>men
wie einen sanften Wind. Ihm  war noch nie so wohl gewesen. Dem M<u>u</u>dchen  aber
wurde es k<u>u</u>hl.
     Sie  sah  Grenouille  nicht. Aber  sie  bekam  ein  banges Gef<u>u</u>hl,  ein
sonderbares Fr<u>u</u>steln,  wie man es bekommt, wenn  einen pl<u>u</u>tzlich  eine  alte
abgelegte  Angst bef<u>u</u>llt.  Ihr war, als  herrsche da ein kalter Zug in ihrem
R<u>u</u>cken,  als  habe  jemand  eine   T<u>u</u>re  aufgesto&szlig;en,   die  in  einen
riesengro&szlig;en kalten Keller f<u>u</u>hrt. Und sie  legte ihr K<u>u</u>chenmesser weg,
zog die Arme an die Brust und wandte sich um.
     Sie war so starr vor Schreck, als sie ihn sah, dass er viel Zeit hatte,
ihr seine  H<u>u</u>nde um den Hals zu legen. Sie  versuchte keinen  Schrei, r<u>u</u>hrte
sich nicht, tat keine abwehrende  Bewegung. Er seinerseits sah sie nicht an.
Ihr  feines  sommersprossen<u>u</u>bersprenkeltes  Gesicht,  den  roten  Mund,  die
gro&szlig;en  funkelnd gr<u>u</u>nen Augen sah  er nicht, denn er hielt seine Augen
fest geschlossen, w<u>u</u>hrend er sie w<u>u</u>rgte, und  hatte nur die eine Sorge,  von
ihrem Duft nicht das geringste zu verlieren.
     Als  sie  tot  war,  legte  er  sie   auf  den  Boden  mitten  in   die
Mirabellenkerne, riss ihr Kleid auf, und  der Duftstrom wurde zur Flut,  sie
<u>u</u>berschwemmte  ihn  mit  ihrem  Wohlgeruch. Er st<u>u</u>rzte sein Gesicht auf ihre
Haut und fuhr mit weitgebl<u>u</u>hten N<u>u</u>stern von  ihrem Bauch zurBrust, zum Hals,
in ihr  Gesicht  und durch die  Haare und  zur<u>u</u>ck zum  Bauch,  hinab an  ihr
Geschlecht, an ihre Schenkel, an ihre wei&szlig;en Beine. Er roch sie ab vom
Kopf bis an die Zehen, er sammelte die letzten Reste ihres Dufts am Kinn, im
Nabel und in den Falten ihrer Armbeuge.
     Als  er sie welkgerochen  hatte,  blieb  er noch eine  Weile  neben ihr
hocken, um sich zu versammeln, denn  er  war <u>u</u>bervoll  von  ihr.  Er  wollte
nichts von  ihrem Duft versch<u>u</u>tten. Erst musste er die innern Schotten dicht
verschlie&szlig;en. Dann stand er auf und blies die Kerze aus...... Um diese
Zeit  kamen die ersten  Heimkehrer singend und vivatrufend die Rue  de Seine
herauf. Grenouille roch sich im Dunkeln auf die Gasse und zur Rue des Petits
Augustins  hin<u>u</u>ber, die parallel zur Rue  de  Seine  zum Fluss f<u>u</u>hrte. Wenig
sp<u>u</u>ter  entdeckte  man   die  Tote.  Geschrei  erhob  sich.  Fackeln  wurden
angez<u>u</u>ndet. Die Wache kam. Grenouille war l<u>u</u>ngst am anderen Ufer.
     In dieser Nacht erschien  ihm sein Verschlag wie  ein  Palast und seine
Bretterpritsche wie ein Himmelbett. Was Gl<u>u</u>ck sei, hatte er in  seinem Leben
bisher  nicht  erfahren.  Er  kannte  allenfalls  sehr seltene Zust<u>u</u>nde  von
dumpfer  Zufriedenheit.  Jetzt aber zitterte  er vor  Gl<u>u</u>ck und  konnte  vor
lauter  Gl<u>u</u>ckseligkeit nicht schlafen. Ihm war, als w<u>u</u>rde er zum zweiten Mal
geboren, nein, nic  ht zum zweiten,  zum ersten  Mal,  denn bisher hatte  er
blo&szlig; animalisch existiert in  h<u>u</u>chst nebul<u>u</u>ser Kenntnis seiner selbst.
Mit dem heutigen Tag aber schien ihm, als wisse er  endlich, wer er wirklich
sei: n<u>u</u>mlich nichts anderes als  ein  Genie; und dass  sein  Leben Sinn  und
Zweck und Ziel und h<u>u</u>here Bestimmung habe:  n<u>u</u>mlich keine geringere, als die
Welt der D<u>u</u>fte zu revolutionieren; und dass er allein auf der Welt dazu alle
Mittel besitze:  n<u>u</u>mlich seine exquisite Nase, sein ph<u>u</u>nomenales  Ged<u>u</u>chtnis
und, als Wichtigstes  von allem, den  pr<u>u</u>genden Duft dieses M<u>u</u>dchens aus der
Rue des  Marais, in  welchem zauberformelhaft alles enthalten war, was einen
gro&szlig;en  Duft,  was  ein  Parfum  ausmachte:  Zartheit,  Kraft,  Dauer,
Vielfalt und erschreckende, unwiderstehliche Sch<u>u</u>nheit. Er hatte den Kompass
f<u>u</u>r sein  k<u>u</u>nftiges Leben  gefunden. Und wie  alle genialen Scheusale, denen
durch ein <u>u</u>u&szlig;eres Ereignis ein gerades Geleis  ins Spiralenchaos ihrer
Seelen  gelegt  wird,  wich Grenouille von  dem, was  er als Richtung seines
Schicksals erkannt zu haben glaubte, nicht  mehr ab.  Jetzt  wurde ihm klar,
weshalb er so z<u>u</u>h und verbissen  am  Leben hing: Er musste ein  Sch<u>u</u>pfer von
D<u>u</u>ften sein. Und nicht nur  irgendeiner.  Sondern der gr<u>u</u>&szlig;te Parfumeur
aller Zeiten.
     Noch in derselben Nacht inspizierte er, wachend erst und dann im Traum,
das  riesige  Tr<u>u</u>mmerfeld  seiner  Erinnerung. Er pr<u>u</u>fte  die Millionen  und
Abermillionen  von  Duftbaukl<u>u</u>tzen  und  brachte sie  in eine  systematische
Ordnung: Gutes zu Gutem, Schlechtes  zu Schlechtem, Feines zu Feinem, Grobes
zu Grobem, Gestank zu Gestank, Ambrosisches  zu Ambrosischem. Im Verlauf der
n<u>u</u>chsten Woche wurde diese Ordnung immer feiner, der Katalog der D<u>u</u>fte immer
reichhaltiger und differenzierter, die Hierarchie immer deutlicher. Und bald
schon konnte er beginnen, die ersten planvollen Geruchsgeb<u>u</u>ude aufzurichten:
H<u>u</u>user, Mauern,  Stufen,  T<u>u</u>rme, Keller, Zimmer,  geheime  Gem<u>u</u>cher...  eine
t<u>u</u>glich sich  erweiternde, t<u>u</u>glich sich  versch<u>u</u>nende und perfekter  gef<u>u</u>gte
innere Festung der  herrlichsten  Duftkompositionen. Dass  am Anfang  dieser
Herrlichkeit  ein  Mord  gestanden  hatte, war ihm, wenn  <u>u</u>berhaupt bewusst,
vollkommen gleichg<u>u</u>ltig. An das Bild des M<u>u</u>dchens aus der Rue des Marais, an
ihr Gesicht, an  ihren K<u>u</u>rper, konnte er sich schon nicht mehr erinnern.  Er
hatte ja das Beste von ihr aufbewahrt und sich zu eigen gemacht: das Prinzip
ihres Dufts.

        <i>9</i>
     Zu jener Zeit gab  es in Paris ein gutes Dutzend  Parfumeure. Sechs von
ihnen lebten  am rechten  Ufer,  sechs  am linken Ufer,  und  einer  akkurat
dazwischen, n<u>u</u>mlich auf dem Pont au Change, welcher das rechte Ufer  mit der
Ile  de  la Cit<u>u</u> verband.  Diese Br<u>u</u>cke war  zu  beiden Seiten so  dicht mit
vierst<u>u</u>ckigen  H<u>u</u>usern  bebaut, dass  man  beim <u>u</u>berschreiten  den Fluss  an
keiner Stelle zu  Gesicht bekam, sondern sich auf einer  ganz normalen, fest
fundierten  und obendrein  noch <u>u</u>u&szlig;erst eleganten Stra&szlig;e w<u>u</u>hnte.
In der  Tat galt der Pont au Change  f<u>u</u>r eine der feinsten Gesch<u>u</u>ftsadressen
der Stadt. Hier  befanden sich die renommiertesten  L<u>u</u>den,  hier sa&szlig;en
die Goldschmiede, die Ebenisten, die besten Per<u>u</u>ckenmacher und Taschner, die
Verfertiger feinster Dessous und Str<u>u</u>mpfe, Rahmenmacher, Reitstiefelh<u>u</u>ndler,
Epaulettensticker,  Goldkn<u>u</u>pfegie&szlig;er und  Bankiers.  Und hier lag auch
das Gesch<u>u</u>fts- und  Wohnhaus  des Parfumeurs  und Handschuhmachers  Giuseppe
Baldini. <u>u</u>ber  sein  Schaufenster spannte sich ein pr<u>u</u>chtiger gr<u>u</u>nlackierter
Baldachin, daneben hing Baldinis  Wappen, ganz in Gold, ein goldener Flacon,
aus dem ein Strau&szlig; von goldenen Blumen wuchs, und vor der T<u>u</u>re lag ein
roter Teppich,  der ebenfalls  Baldinis  Wappen trug, als goldene Stickerei.
<u>u</u>ffnete  man  die T<u>u</u>re, dann  erklang ein persisches  Glockenspiel, und zwei
silberne  Reiher  begannen,  aus  ihren  Schn<u>u</u>beln  Veilchenwasser  in  eine
vergoldete Schale  zu speien, die  ihrerseits  die  Flakonform  von Baldinis
Wappen besa&szlig;.
     Hinter dem Kontor aus hellem  Buchsbaum  aber stand Baldini selbst, alt
und  starr  wie   eine  S<u>u</u>ule,   in  silberbepuderter   Per<u>u</u>cke  und  blauem
goldbetresstem  Rock.  Eine  Wolke  von  Frangipaniwasser,  mit dem  er sich
allmorgendlich  bespr<u>u</u>hte,  umgab ihn  geradezu sichtbar  und  r<u>u</u>ckte  seine
Person in nebelhafte Ferne.  In seiner Unbeweglichkeit sah  er aus wie  sein
eignes Inventar. Nur wenn das Glockenspiel erklang und wenn die Reiher spien
- beides  geschah nicht allzu oft -,  w<u>u</u>rde pl<u>u</u>tzlich  Leben in ihn  kommen,
w<u>u</u>rde  seine Gestalt in  sich zusammensinken, klein  und wuselig werden  und
unter vielen B<u>u</u>cklingen hinter dem Kontor hervorgesaust kommen,  so schnell,
dass die  Frangipaniwasserwolke kaum zu  folgen  verm<u>u</u>chte,  und den  Kunden
bitten, Platz zu nehmen zur Vorf<u>u</u>hrung erlesenster D<u>u</u>fte und Kosmetika.
     Baldini  hatte  deren  Tausende.  Sein  Angebot  reichte  von  Essences
absolues, Bl<u>u</u>ten<u>u</u>len, Tinkturen, Ausz<u>u</u>gen,  Sekreten,  Balsamen,  Harzen und
sonstigen  Drogen  in  trockener,  fl<u>u</u>ssiger oder  wachsartiger  Form,  <u>u</u>ber
diverse  Pomaden,   Pasten,  Puder,  Seifen,  Cremes,  Sachets,  Bandolinen,
Brillantinen, Bartwichsen, Warzentropfen  und Sch<u>u</u>nheitspfl<u>u</u>sterchen bis hin
zu Badew<u>u</u>ssern,  Lotionen,  Riechsalzen,  Toilettenessigen  und einer Unzahl
echter Parfums. Doch Baldini  begn<u>u</u>gte sich  nicht mit diesen  Produkten der
klassischen Sch<u>u</u>nheitspflege.  Sein  Ehrgeiz  bestand darin, in seinem Laden
alles  zu versammeln,  was  irgendwie duftete oder in  irgendeiner Weise dem
Duft  diente. Und so fanden sich neben  R<u>u</u>ucherpastillen,  R<u>u</u>ucherkerzen und
R<u>u</u>ucherb<u>u</u>ndern  auch  s<u>u</u>mtliche  Gew<u>u</u>rze vom  Anissamen bis  zur  Zimtrinde,
Sirups, Lik<u>u</u>re und Obstw<u>u</u>sser, Weine aus Zypern, Malaga und Korinth, Honige,
Kaffees,  Tees,   getrocknete  und   kandierte   Fr<u>u</u>chte,  Feigen,  Bonbons,
Schokoladen,  Maronen, ja sogar eingelegte Kapern,  Gurken und Zwiebeln  und
marinierter Thunfisch.  Und  dann wieder  duftender Siegellack, parfumiertes
Briefpapier,   nach   Rosen<u>u</u>l   riechende  Liebestinte,  Schreibmappen   aus
spanischem  Leder,  Federhalter aus wei&szlig;em  Sandelholz,  K<u>u</u>stchen  und
Truhen   aus  Zedernholz,   Potpourris  und   Schalen   f<u>u</u>r   Bl<u>u</u>tenbl<u>u</u>tter,
Weihrauchbeh<u>u</u>lter  aus  Messing, Flakons  und Tiegelchen  aus  Kristall  mit
geschliffenen St<u>u</u>pseln  aus Bernstein, riechende  Handschuhe, Taschent<u>u</u>cher,
mit Muskatbl<u>u</u>te  gef<u>u</u>llte  N<u>u</u>hnadelkissen und  moschusbedampfte Tapeten, die
ein Zimmer l<u>u</u>nger als einhundert Jahre mit Duft erf<u>u</u>llen konnten.
     Nat<u>u</u>rlich hatten all  diese Waren nicht  im pomp<u>u</u>sen,  zur Stra&szlig;e
(oder zur Br<u>u</u>cke) hin gelegenen Laden Platz,  und so mussten, in  Ermanglung
eines Kellers,  nicht nur der Speicher des Hauses, sondern der gesamte erste
und  zweite Stock  sowie fast  s<u>u</u>mtliche zum Fluss hin  gelegenen  R<u>u</u>ume des
Erdgeschosses als Lager dienen. Die Folge davon  war,  dass im Hause Baldini
ein unbeschreibliches  Chaos von  D<u>u</u>ften herrschte. So erlesen  die Qualit<u>u</u>t
der  einzelnen Produkte war - denn Baldini kaufte nur allererste Qualit<u>u</u>t -,
so  unertr<u>u</u>glich   war   ihr  geruchlicher   Zusammenklang,   gleich   einem
tausendk<u>u</u>pfigen  Orchester,  in  welchem  jeder  Musiker  eine andre Melodie
fortissimo spielt. Baldini selbst und seine Angestellten waren  gegen dieses
Chaos abgestumpft wie alternde Dirigenten, die ja s<u>u</u>mtlich schwerh<u>u</u>rig sind,
und auch seine Frau,  die im dritten Stock wohnte und diesen erbittert gegen
ein weiteres Vordringen der Lagerr<u>u</u>ume verteidigte,  nahm die vielen Ger<u>u</u>che
kaum noch  als st<u>u</u>rend wahr. Anders der Kunde, der  zum  ersten Mal Baldinis
Laden betrat.  Ihm schlug  das herrschende  Duftgemisch  wie eine Faust  ins
Gesicht,  machte  ihn,  je  nach  Konstitution,  exaltiert   oder  benommen,
verwirrte in jedem Falle seine Sinne derart,  dass er oft nicht mehr wusste,
weshalb  er  <u>u</u>berhaupt  gekommen   war.   Laufburschen  verga&szlig;en  ihre
Bestellungen. Trutzigen Herren wurde es mulmig. Und manche Dame erlitt einen
halb  hysterischen, halb klaustrophobischen  Anfall,  sank  in Ohnmacht  und
konnte  nur  noch  mit  sch<u>u</u>rfstem  Riechsalz  aus  Nelken<u>u</u>l,  Ammoniak  und
Kampfersprit wiederhergestellt werden.
     Unter diesen Umst<u>u</u>nden war es eigentlich  nicht verwunderlich, dass das
persische  Glockenspiel  von  Giuseppe  Baldinis  Ladent<u>u</u>re  immer  seltener
erklang und die silbernen Reiher immer seltener spien.

        <i>10</i>
     "Chenier!" rief Baldini  hinter dem  Kontor hervor, wo er seit  Stunden
s<u>u</u>ulenstarr  gestanden und  die  T<u>u</u>re  angestarrt hatte,  "ziehen  Sie  Ihre
Per<u>u</u>cke an!" Und zwischen Oliven<u>u</u>lf<u>u</u>ssern und h<u>u</u>ngenden Schinken aus Bayonne
erschien Chenier, Baldinis Geselle, etwas j<u>u</u>nger als dieser, aber auch schon
ein alter  Mann,  und kam nach vorn in die feinere Abteilung  des Ladens. Er
zog  seine  Per<u>u</u>cke aus der Rocktasche und st<u>u</u>lpte sie sich <u>u</u>ber. "Sie gehen
aus, Herr Baldini?"
     "Nein",  sagte Baldini,  "ich  werde mich  f<u>u</u>r einige Stunden  in  mein
Arbeitszimmer zur<u>u</u>ckziehen und w<u>u</u>nsche, absolut nicht gest<u>u</u>rt zu werden."
     "Ah, ich verstehe! Sie entwerfen ein neues Parfum."
     baldini So  ist es. Zur Beduftung einer spanischen  Haut f<u>u</u>r den Grafen
Verhamont. Er verlangt etwas vollkommen Neues. Er verlangt  etwas wie... wie
... ich glaube, es hie&szlig; &gt;Amor und Psyche&lt;, was er verlangte, und
stammt  angeblich  von diesem... diesem St<u>u</u>mper aus der Rue Saint-Andre  des
Arts, diesem... diesem... chenier Pelissier.
     baldini Ja. Pelissier. Richtig. So heisst der St<u>u</u>mper.
     &gt;Amor und Psyche&lt; von Pelissier. Kennen Sie es?
     chenier  Jaja.  Dochdoch.   Man  riecht  es  jetzt  <u>u</u>berall.  An  jeder
Stra&szlig;enecke  riecht  man  es.  Aber  wenn  Sie  mich  fragen  - nichts
Besonderes! Es kann sich bestimmt  in keiner Weise messen  mit  dem, welches
Sie komponieren werden, Herr Baldini.
     baldini Nat<u>u</u>rlich nicht.
     chenier  Es  riecht  <u>u</u>u&szlig;erst  gew<u>u</u>hnlich,  dieses   &gt;Amor  und
Psyche&lt;.
     baldini Vulg<u>u</u>r?
     chenier Durchaus  vulg<u>u</u>r, wie alles  von Pelissier. Ich  glaube, es ist
Limetten<u>u</u>l darin.
     baldini Wirklich? Was noch?
     chenier Orangenbl<u>u</u>tenessenz vielleicht. Und vielleicht Rosmarintinktur.
Aber ich kann es nicht sicher sagen.
     baldini Es ist mir auch v<u>u</u>llig gleichg<u>u</u>ltig.
     chenier Nat<u>u</u>rlich.
     baldini  Es  ist mir  schnurzegal, was der  St<u>u</u>mper  Pelissier in  sein
Parfum gepanscht hat. Ich werde mich nicht einmal davon inspirieren lassen!
     chenier Da haben Sie Recht, Monsieur.
     baldini Wie Sie wissen, lasse ich mich nie inspirieren. Wie Sie wissen,
erarbeite ich meine Parfums.
     chenier Ich wei&szlig;, Monsieur.
     baldini Geb<u>u</u>re sie allein aus mir!
     chenier Ich wei&szlig;.
     baldini  Und  ich gedenke, f<u>u</u>r den Grafen Verhamont etwas zu  kreieren,
was wirklich Furore macht.
     chenier Davon bin ich <u>u</u>berzeugt, Herr Baldini.
     baldini Sie <u>u</u>bernehmen den  Laden.  Ich  brauche Ruhe.  Halten Sie  mir
alles vom Leibe, Chenier...
     Und damit schlurfte er, nun gar nicht mehr statuarisch, sondern, wie es
seinem Alter zukam, gebeugt, ja  fast wie gepr<u>u</u>gelt, davon und stieg langsam
die  Treppe zum ersten Stock hinauf, wo sein Arbeitszimmer lag. Chenier nahm
den  Platz hinterm  Kontor  ein,  stellte sich  genauso  hin, wie zuvor  der
Meister gestanden hatte, und  schaute mit starrem Blick zur T<u>u</u>re. Er wusste,
was in  den  n<u>u</u>chsten Stunden passieren w<u>u</u>rde: n<u>u</u>mlich gar nichts  im Laden,
und oben im  Arbeitszimmer Baldinis  die <u>u</u>bliche  Katastrophe. Baldini w<u>u</u>rde
seinen blauen, von Frangipaniwasserdurchtr<u>u</u>nkten Rock ausziehen, sich an den
Schreibtisch setzen und  auf eine  Eingebung warten.  Diese  Eingebung w<u>u</u>rde
nicht  kommen.  Er  w<u>u</u>rde hierauf  an  den  Schrank mit  den  Hunderten  von
Probefl<u>u</u>schchen  eilen  und   aufs  Geratewohl  etwas  zusammenmixen.  Diese
Mischung w<u>u</u>rde missraten. Er w<u>u</u>rde fluchen,  das Fenster aufrei&szlig;en und
sie in den Fluss hinunterwerfen. Er  w<u>u</u>rde etwas anderes probieren, auch das
w<u>u</u>rde missraten, er w<u>u</u>rde nun schreien und  toben und in dem schon bet<u>u</u>ubend
riechenden Zimmer  einen Heulkrampf  bekommen.  Er  w<u>u</u>rde gegen  sieben  Uhr
abends elend herunterkommen, zittern und weinen und sagen:
     "Chenier, ich habe keine Nase mehr, ich kann das Parfum  nicht geb<u>u</u>ren,
ich kann die spanische Haut f<u>u</u>r den Grafen nicht liefern,  ich bin verloren,
ich bin  innerlich tot, ich will sterben, bitte, Chenier, helfen  Sie mir zu
sterben!" Und Chenier w<u>u</u>rde  vorschlagen, dass man zu Pelissier  schickte um
eine Flasche &gt;Amor  und Psyche&lt;, und Baldini w<u>u</u>rde zustimmen unter der
Bedingung,  dass  kein Mensch  von  dieser  Schande  erf<u>u</u>hre,  Chenier w<u>u</u>rde
schw<u>u</u>ren, und nachts w<u>u</u>rden  sie heimlich das Leder f<u>u</u>r den Grafen Verhamont
mit  dem fremden  Parfum  beduften.  So  w<u>u</u>rde es sein und nicht anders, und
Chenier w<u>u</u>nschte nur, er h<u>u</u>tte das ganze Theater  schon hinter sich. Baldini
war  kein  gro&szlig;er Parfumeur  mehr.  Ja, fr<u>u</u>her, in seiner Jugend,  vor
drei&szlig;ig, vierzig  Jahren, da hatte er &gt;Rose des S<u>u</u>dens&lt; erfunden
und &gt;Baldinis galantes Bouquet&lt; zwei wirklich gro&szlig;e D<u>u</u>fte, denen
er sein Verm<u>u</u>gen  verdankte. Aber jetzt war er alt und verbraucht und kannte
die Moden der Zeit nicht mehr und den neuen Geschmack der Menschen, und wenn
er <u>u</u>berhaupt noch  einmal  einen eigenen Duft zusammenstoppelte, dann war es
vollkommen  demodiertes,  unverk<u>u</u>ufliches Zeug,  das  sie  ein  Jahr  sp<u>u</u>ter
zehnfach verd<u>u</u>nnten und als Springbrunnenwasserzusatz verh<u>u</u>kerten. Schade um
ihn,  dachte Chenier  und  <u>u</u>berpr<u>u</u>fte den  Sitz  seiner  Per<u>u</u>cke im Spiegel,
schade um den alten Baldini; schade um sein sch<u>u</u>nes Gesch<u>u</u>ft, denn er wird's
herunterbringen; und schade um mich, denn bis  er's  heruntergebracht  haben
wird, bin ich zu alt, um es zu <u>u</u>bernehmen...

        <i>11</i>
     Zwar  hatte Giuseppe Baldini seinen duftenden Rock ausgezogen, aber nur
aus alter Gewohnheit. Der Duft des Frangipaniwassers st<u>u</u>rte ihn schon l<u>u</u>ngst
nicht mehr beim  Riechen, er  trug  ihn ja schon  seit  Jahrzehnten mit sich
herum und nahm ihn <u>u</u>berhaupt nicht  mehr wahr. Er  hatte auch  die  T<u>u</u>re des
Arbeitszimmers zugeschlossen und  sich  Ruhe ausgebeten, aber er setzte sich
nicht an den Schreibtisch,  um zu gr<u>u</u>beln und auf eine Eingebung  zu warten,
denn er wusste viel besser als Chenier, dass er keine Eingebung haben w<u>u</u>rde;
er hatte n<u>u</u>mlich  noch nie eine gehabt. Zwar war er alt und  verbraucht, das
stimmte, und auch kein gro&szlig;er Parfumeur  mehr; aber er wusste, dass er
im Leben noch nie einer  gewesen war. &gt;Rose  des  S<u>u</u>dens&lt; hatte er von
seinem  Vater  geerbt und das  Rezept f<u>u</u>r  &gt;Baldinis galantes Bouquet&lt;
einem  durchreisenden Genueser  Gew<u>u</u>rzh<u>u</u>ndler  abgekauft. Die <u>u</u>brigen seiner
Parfums waren altbekannte Gemische. Erfunden hatte er noch nie etwas. Er war
kein  Erfinder.  Er war ein sorgf<u>u</u>ltiger Verfertiger von bew<u>u</u>hrten Ger<u>u</u>chen,
wie ein Koch  war er, der mit  Routine und guten  Rezepten  eine gro&szlig;e
K<u>u</u>che macht  und doch noch nie ein  eigenes Gericht erfunden hat. Den ganzen
Hokuspokus mit Labor und Experimentieren und Inspiration und Geheimnistuerei
f<u>u</u>hrte  er  nur  auf,  weil  das  zum st<u>u</u>ndischen  Berufsbild  eines  Maitre
Parfumeur et Gantier  geh<u>u</u>rte. Ein Parfumeur,  das war ein halber Alchimist,
der Wunder  schuf, so  wollten es die Leute - gut  so! Dass seine Kunst  ein
Handwerk  war wie jedes andere auch, das wusste nur  er  selbst, und das war
sein  Stolz.  Er wollte  gar kein  Erfinder  sein. Erfindung  war  ihm  sehr
suspekt, denn sie bedeutete immer den  Bruch einer Regel. Er dachte auch gar
nicht daran, f<u>u</u>r den Grafen Verhamont ein neues Parfum zu erfinden. Er w<u>u</u>rde
sich allerdings auch nicht am Abend von Chenier  <u>u</u>berreden  lassen, &gt;Amor
und Psyche&lt; von Pelissier  zu besorgen. Er hatte  es schon.  Da stand es,
auf dem  Schreibtisch  vor  dem Fenster,  in einem  kleinen  Glasflakon  mit
geschliffenem  St<u>u</u>psel.  Schon vor  ein  paar Tagen  hatte  er  es  gekauft.
Nat<u>u</u>rlich nicht  pers<u>u</u>nlich. Er konnte doch  nicht  pers<u>u</u>nlich  zu Pelissier
gehen und  ein Parfum  kaufen! Sondern durch einen Mittelsmann,  und  dieser
wieder durch einen Mittelsmann... Vorsicht war  geboten. Denn Baldini wollte
das Parfum nicht einfach  zum Beduften  der spanischen  Haut verwenden, dazu
h<u>u</u>tte  die  geringe  Menge  auch  gar  nicht  ausgereicht.  Er  hatte  etwas
Schlimmeres im Sinn: Er wollte es kopieren.
     Das  war <u>u</u>brigens  nicht  verboten.  Es  war nur  au&szlig;erordentlich
unfein.  Das  Parfum eines  Konkurrenten  heimlich  nachzumachen  und  unter
eigenem Namen zu verkaufen,  war schrecklich unfein.  Aber noch unfeiner war
es, sich dabei ertappen zu lassen,  und darum  durfte  Chenier nichts  davon
wissen, denn Chenier war geschw<u>u</u>tzig.
     Ach, wie schlimm, dass man sich als rechtschaffener Mann gezwungen sah,
so krumme  Wege  zu  gehen! Wie schlimm,  dass man das  Kostbarste,  was man
besa&szlig;, die  eigene Ehre, auf  so  sch<u>u</u>bige Weise  befleckte!  Aber was
sollte er tun? Immerhin war der Graf Verhamont ein Kunde, den er keinesfalls
verlieren durfte. Er hatte ja  ohnehin kaum noch einen Kunden. Er musste der
Kundschaft ja schon wieder nachlaufen wie zu Beginn der zwanziger Jahre, als
er  am Anfang  seiner  Karriere  stand  und  mit  dem  Bauchladen durch  die
Stra&szlig;en zog. Wei&szlig;  Gott  kam er, Giuseppe Baldini,  Inhaber  der
gr<u>u</u>&szlig;ten   Duftstoffhandlung  von   Paris,   in  bester  Gesch<u>u</u>ftslage,
finanziell nur noch <u>u</u>ber die Runden,  wenn er mit dem K<u>u</u>fferchen in der Hand
Hausbesuche  machte.  Und das  gefiel ihm gar  nicht, denn er war schon weit
<u>u</u>ber  sechzig  und  hasste es,  in kalten  Vorzimmern  zu warten  und  alten
Marquisen Tausendblumenwasser  und  Vierr<u>u</u>uberessig vorzuf<u>u</u>hren  oder  ihnen
eine  Migr<u>u</u>nesalbe  aufzuschwatzen.   Au&szlig;erdem  herrschte   in  diesen
Vorzimmern  eine  ganz  ekelhafte  Konkurrenz.  Da  war dieser Empork<u>u</u>mmling
Brouet  aus  der  Rue  Dauphine,  der  von  sich  behauptete,  er  habe  das
gr<u>u</u>&szlig;te  Pomadenprogramm  Europas; oder Calteau aus der Rue Mauconseil,
der es  zum  Hoflieferanten der  Comtesse  von  Artois gebracht hatte;  oder
dieser    v<u>u</u>llig    unberechenbare   Antoine   Pelissier    aus    der   Rue
Saint-Andre-des-Arts, der in jeder Saison einen neuen  Duft lancierte,  nach
welchem die ganze Welt  verr<u>u</u>ckt war. &gt;So ein Parfum von Pelissier konnte
den ganzen Markt in Unordnung bringen. War in einem Jahr Ungarisches  Wasser
in Mode, und  hatte sich  Baldini entsprechend mit Lavendel, Bergamotte  und
Rosmarin eingedeckt, um  den  Bedarf  zu befriedigen  - so kam Pelissier mit
&gt;Air  de Musc&lt; heraus, einem  ultraschweren Moschusduft.  Jeder Mensch
musste  pl<u>u</u>tzlich tierisch  riechen, und  Baldini  konnte sein  Rosmarin  zu
Haarwasser verarbeiten  und  den Lavendel in  Riechs<u>u</u>ckchen n<u>u</u>hen. Hatte  er
dagegen f<u>u</u>r das n<u>u</u>chste  Jahr entsprechende Mengen  an  Moschus,  Zibet  und
Castoreum  bestellt,  so  fiel   es   Pelissier   ein,   ein  Parfum  namens
&gt;Waldblume&lt;  zu  kreieren,  was prompt ein  Erfolg  wurde.  Und  hatte
Baldini  endlich in n<u>u</u>chtelangen Versuchen oder durch hohe Bestechungsgelder
herausgefunden, woraus  &gt;Waldblumen&lt;  bestand  - da trumpfte Pelissier
schon wieder auf mit &gt;T<u>u</u>rkische N<u>u</u>chte&lt; oder &gt;Lissabonner  Duft&lt;
oder &gt;Bouquet de  la  Cour&lt; oder wei&szlig;  der Teufel  womit  sonst.
Dieser Mensch war auf  jeden  Fall in  seiner  z<u>u</u>gellosen  Kreativit<u>u</u>t  eine
Gefahr f<u>u</u>r das  ganze  Gewerbe.  Man w<u>u</u>nschte  sich  die Rigidit<u>u</u>t des alten
Zunftrechts zur<u>u</u>ck.  Man  w<u>u</u>nschte  sich die  drakonischsten Ma&szlig;nahmen
gegen diesen Aus-Der-Reihe-T<u>u</u>nzer, gegen diesen Duftinflation<u>u</u>r. Das  Patent
geh<u>u</u>rte ihm entzogen, ein saftiges Berufsverbot auferlegt..., und  <u>u</u>berhaupt
sollte der Kerl erst einmal eine Lehre machen! Denn ein gelernter Parfumeur-
und  Handschuhmachermeister war er nicht,  dieser Pelissier. Sein Vater  war
nichts  als  ein Essigsieder  gewesen,  und  Essigsieder war auch Pelissier,
nichts anderes. Und  blo&szlig; weil er als Essigsieder berechtigt  war, mit
Spirituosen umzugehen, konnte  er <u>u</u>berhaupt ins Gehege der echten Parfumeure
einbrechen und darin herumw<u>u</u>ten  wie ein Stinktier. - Wozu  brauchte man  in
jeder  Saison einen  neuen Duft? War das n<u>u</u>tig? Das Publikum war fr<u>u</u>her auch
sehr zufrieden gewesen  mit Veilchenwasser und einfachen Blumenbouquets, die
man vielleicht alle zehn Jahre einmal geringf<u>u</u>gig <u>u</u>nderte.  Jahrtausendelang
hatten die  Menschen mit Weihrauch und Myrrhe,  ein paar Balsamen,  <u>u</u>len und
getrockneten W<u>u</u>rzkr<u>u</u>utern vorlieb genommen. Und auch als sie gelernt hatten,
mit Kolben und Alambic zu destillieren, vermittels Wasserdampf den Kr<u>u</u>utern,
Blumen  und H<u>u</u>lzern  das  duftende  Prinzip in Form von  <u>u</u>therischem  <u>u</u>l  zu
entrei&szlig;en,  es   mit  eichenen  Pressen  aus   Samen  und  Kernen  und
Fruchtschalen  zu  quetschen  oder  mit  sorgsam  gefilterten   Fetten   den
Bl<u>u</u>tenbl<u>u</u>ttern zu entlocken, war die Zahl der D<u>u</u>fte noch bescheiden gewesen.
Damals w<u>u</u>re eine Figur wie Pelissier gar nicht  m<u>u</u>glich gewesen, denn damals
brauchte es schon zur Erzeugung einer  simplen Pomade F<u>u</u>higkeiten, von denen
sich dieser  Essigpanscher  gar nichts tr<u>u</u>umen lie&szlig;. Man musste  nicht
nur destillieren  k<u>u</u>nnen, man musste  auch  Salbenmacher sein und Apotheker,
Alchimist und Handwerker, H<u>u</u>ndler, Humanist und G<u>u</u>rtner zugleich. Man musste
Hammelnierenfett  von  jungem  Rindertalg  unterscheiden   k<u>u</u>nnen  und   ein
Viktoriaveilchen  von  einem  solchen  aus Parma. Man musste die lateinische
Sprache beherrschen. Man musste wissen, wann der Heliotrop zu ernten ist und
wann das Pelargonium bl<u>u</u>ht und dass  die Bl<u>u</u>te  des Jasmins  mit aufgehender
Sonne  ihren  Duft  verliert.  Von  diesen  Dingen  hatte  dieser  Pelissier
selbstredend keine Ahnung. Wahrscheinlich hatte er Paris noch nie verlassen,
in seinem Leben bl<u>u</u>henden Jasmin noch nie gesehen. Geschweige  denn, dass er
einen  Schimmer  von  der  gigantischen  Schufterei  besa&szlig;,  deren  es
bedurfte, um aus  hunderttausend Jasminbl<u>u</u>ten einen kleinen Klumpen Concrete
oder ein paar Tropfen Essence Absolue herauszuwringen. Wahrscheinlich kannte
er nur  diese, kannte Jasmin nur als konzentrierte dunkelbraune Fl<u>u</u>ssigkeit,
die in  einem kleinen Fl<u>u</u>schchen neben vielen anderen Fl<u>u</u>schchen, aus  denen
er seine Modeparfums  mixte, im Tresorschrank  stand. Nein,  eine Figur  wie
dieser  Schn<u>u</u>sel Pelissier h<u>u</u>tte  in  den  guten alten handwerklichen Zeiten
kein Bein auf den Boden gebracht. Dazu fehlte ihm alles: Charakter, Bildung,
Gen<u>u</u>gsamkeit   und   der   Sinn   f<u>u</u>r   z<u>u</u>nftische   Subordination.    Seine
parfumistischen Erfolge verdankte er einzig und allein einer Entdeckung, die
vor  nunmehr  zweihundert  Jahren der  geniale  Mauritius Frangipani  -  ein
Italiener <u>u</u>brigens! - gemacht hatte und die  darin  bestand, dass Duftstoffe
in  Weingeist  l<u>u</u>slich  sind.  Indem  Frangipani  seine Riechp<u>u</u>lverchen  mit
Alkohol  vermischte und  damit ihren  Duft  auf eine  fl<u>u</u>chtige  Fl<u>u</u>ssigkeit
<u>u</u>bertrug,  hatte  er  den  Duft befreit  von  der  Materie, hatte  den  Duft
vergeistigt, den Duft als reinen Duft erfunden, kurz: das Parfum erschaffen.
Was  f<u>u</u>r  eine Tat!  Welch epochale  Leistung! Vergleichbar wirklich nur den
gr<u>u</u>&szlig;ten Errungenschaften des Menschengeschlechts wie der Erfindung der
Schrift durch  die Assyrer, der  euklidischen Geometrie, den Ideen des Plato
und der Verwandlung  von  Trauben in Wein durch die  Griechen. Eine wahrhaft
prometheische Tat! Und  doch,  wie alle gro&szlig;en Geistestaten  nicht nur
Licht, sondern auch Schatten werfen und der  Menschheit neben Wohltaten auch
Verdruss und Elend  bereiten,  so hatte leider auch die herrliche Entdeckung
Frangipanis  <u>u</u>ble Folgen: Denn  nun,  da  man  gelernt  hatte, den Geist der
Blumen  und  Kr<u>u</u>uter,  der  H<u>u</u>lzer, Harze  und  der  tierischen  Sekrete  in
Tinkturen festzubannen und auf Fl<u>u</u>schchen abzuf<u>u</u>llen, entglitt die Kunst des
Parfumierens  nach und nach den  wenigen  universalen handwerklichen K<u>u</u>nnern
und stand  Quacksalbern  offen,  sofern sie  nur  eine  leidlich  feine Nase
besa&szlig;en, wie zum Beispiel diesem Stinktier Pelissier.  Ohne sich darum
zu bek<u>u</u>mmern, wie der wunderbare Inhalt seiner Fl<u>u</u>schchen je entstanden war,
konnte er einfach  seinen olfaktorischen Launen  folgen und zusammenmischen,
was ihm gerade einfiel oder was das Publikum gerade w<u>u</u>nschte.
     Bestimmt   besa&szlig;    dieser    Bastard   Pelissier    mit   seinen
f<u>u</u>nfunddrei&szlig;ig  Jahren schon jetzt ein gr<u>u</u>&szlig;eres Verm<u>u</u>gen als er,
Baldini, es sich in der dritten  Generation durch  harte  beharrliche Arbeit
endlich angeh<u>u</u>uft hatte. Und  Pelissiers  nahm  t<u>u</u>glich zu,  w<u>u</u>hrend  seins,
Baldinis,  sich t<u>u</u>glich verminderte. So  etwas  w<u>u</u>re fr<u>u</u>her doch  gar  nicht
m<u>u</u>glich gewesen! Dass ein angesehener Handwerker und eingef<u>u</u>hrter <i>Commergant</i>
um seine schiere Existenz  zu  k<u>u</u>mpfen  hatte,  das gab  es doch  erst  seit
wenigen  Jahrzehnten! Seitdem <u>u</u>berall und in  allen  Bereichen die hektische
Neuerungssucht  ausgebrochen  ist,  dieser  hemmungslose  Tatendrang,  diese
Experimentierwut, diese  Gro&szlig;mannssucht im  Handel, im  Verkehr und in
den Wissenschaften!
     Oder der Geschwindigkeitswahnsinn! Wozu brauchte man  die  vielen neuen
Stra&szlig;en,  die <u>u</u>berall gebuddelt wurden, und  die neuen  Br<u>u</u>cken? Wozu?
War es von Vorteil, wenn man  bis Lyon in einer Woche reisen konnte? Wem war
daran  gelegen?  Wem n<u>u</u>tzte  es? Oder <u>u</u>ber den Atlantik zu  fahren, in einem
Monat nach Amerika zu rasen - als  w<u>u</u>re man nicht  jahrtausendelang sehr gut
ohne  diesen Kontinent ausgekommen.  Was  hatte der zivilisierte  Mensch  im
Urwald der Indianer verloren oder bei den Negern? Sogar nach Lappland gingen
sie,  das  lag im Norden, im ewigen  Eise, wo  Wilde lebten, die rohe Fische
fra&szlig;en. Und noch einen weiteren  Kontinent wollten sie  entdecken, der
angeblich in  der S<u>u</u>dsee  la