Johann Wolfgang Goethe. Egmont
Ein Trauerspiel in fæ¼nf Aufzæ¼gen
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Personen:
Margarete von Parma, Tochter Karls des Fæ¼nften,
Regentin der Niederlande
Graf Egmont, Prinz von Gaure
Wilhelm von Oranien
Herzog von Alba
Ferdinand, sein natæ¼rlicher Sohn
Machiavell, im Dienste der Regentin
Richard, Egmonts Geheimschreiber
Silva und Gomez, unter Alba dienend
Klæ¤rchen, Egmonts Geliebte
Ihre Mutter
Brackenburg, ein Bæ¼rgerssohn
Soest, Kræ¤mer, Bæ¼rger von Bræ¼ssel
Jetter, Schneider, Bæ¼rger von Bræ¼ssel
Zimmermann und Seifensieder, Bæ¼rger von Bræ¼ssel
Buyck, Soldat unter Egmont
Ruysum, Invalide und taub
Vansen, ein Schreiber
Volk, Gefolge, Wachen usw.
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Erster Aufzug
ArmbrustschieæŸen
Soldaten und Bæ¼rger mit Armbræ¼sten
Jetter, Bæ¼rger von Bræ¼ssel, Schneider, tritt vor und spannt die
Armbrust. Soest, Bæ¼rger von Bræ¼ssel, Kræ¤mer.
Soest. Nun schieæŸt nur hin, daæŸ es alle wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht! Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht geschossen. Und so
wæ¤r' ich fæ¼r dies Jahr Meister.
Jetter. Meister und Kæ¶nig dazu. Wer miæŸgæ¶nnt's Euch? Ihr sollt
dafæ¼r auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
(Buyck, ein Hollæ¤nder, Soldat unter Egmont.)
Buyck. Jetter, den SchuæŸ handl' ich Euch ab, teile den Gewinst,
traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und fæ¼r viele
Hæ¶flichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hæ¤ttet.
-
Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei. Doch,
Buyck, nur immerhin.
Buyck (schieæŸt). Nun, Pritschmeister, Reverenz! - Eins! Zwei! Drei!
Vier!
Soest. Vier Ringe? Es sei!
Alle. Vivat, Herr Kæ¶nig, hoch! und abermal hoch!
Buyck. Danke, ihr Herren. Wæ¤re Meister zu viel! Danke fæ¼r die Ehre.
Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
(Ruysum, ein Frieslæ¤nder, Invalide und taub.)
Ruysum. DaæŸ ich euch sage!
Soest. Wie ist's, Alter?
Ruysum. DaæŸ ich euch sage! - Er schieæŸt wie sein Herr, er schieæŸt
wie Egmont.
Buyck. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Bæ¼chse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glæ¼ck oder gute
Laune hat; nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wæ¤re auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm
lernte. - Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein Kæ¶nig næ¤hrt seine Leute;
und so, auf des Kæ¶nigs Rechnung, Wein her!
Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daæŸ jeder -
Buyck. Ich bin fremd und Kæ¶nig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
Jetter. Du bist ja æ¤rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mæ¼ssen.
Ruysum. Was?
Soest (laut). Er will uns gastieren; er will nicht haben, daæŸ wir
zusammenlegen und der Kæ¶nig nur das Doppelte zahlt.
Ruysum. LaæŸt ihn! doch ohne Præ¤judiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
(Sie bringen Wein.)
Alle. Ihro Majestæ¤t Wohl! Hoch!
Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestæ¤t.
Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
Soest. Wohl! Denn unserer spanischen Majestæ¤t Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederlæ¤nder von Herzen.
Ruysum. Wer?
Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kæ¶nigs in Spanien.
Ruysum. Unser allergnæ¤digster Kæ¶nig und Herr! Gott geb' ihm langes
Leben.
Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fæ¼nften, nicht lieber?
Ruysum. Gott træ¶st' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand æ¼ber den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete, so
græ¼æŸt' er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wuæŸt' er mit so guter Manier - ja, versteht mich - Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er
seinem Sohn das Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich - der ist
schon anders, der ist majestæ¤tischer.
Jetter. Er lieæŸ sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und
kæ¶niglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
Soest. Es ist kein Herr fæ¼r uns Niederlæ¤nder. Unsre Fæ¼rsten mæ¼ssen
froh und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
Jetter. Der Kæ¶nig, denk ich, wæ¤re wohl ein gnæ¤diger Herr, wenn er
nur bessere Ratgeber hæ¤tte.
Soest. Nein, nein! Er hat kein Gemæ¼t gegen uns Niederlæ¤nder, sein
Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kæ¶nnen wir ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum træ¼gen
wir ihn alle auf den Hæ¤nden? Weil man ihm ansieht, daæŸ er uns wohlwill;
weil ihm die Fræ¶hlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dæ¼rftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. LaæŸt den Grafen Egmont leben! Buyck, an Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
Ruysum. æœberwinder bei St. Quintin.
Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
Alle. Hoch!
Ruysum. St. Quintin war meine letzte Schlacht. ich konnte kaum mehr
fort, kaum die schwere Bæ¼chse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen
noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
StreifschuæŸ ans rechte Bein.
Buyck. Gravelingen! Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir
allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern?
Aber ich mein, wir trafen sie! Ihre alten, handfesten Kerle hielten lange
wider, und wir dræ¤ngten und schossen und hieben, daæŸ sie die Mæ¤uler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen, und wir stritten lange hinæ¼ber heræ¼ber, Mann fæ¼r Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin. Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter, von der Mæ¼ndung des
Flusses, bav, bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren
Englæ¤nder, die unter dem Admiral Malin von ungefæ¤hr von Dæ¼nkirchen her
vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick! rack! heræ¼ber, hinæ¼ber! Alles totgeschlagen, alles ins Wasser
gesprengt. Und die Kerle ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was
wir Hollæ¤nder waren, gerad hintendrein. Uns, die wir beidlebig sind, ward
erst wohl im Wasser wie den Fræ¶schen; und immer die Feinde im FluæŸ
zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot.
MuæŸte doch die welsche Majestæ¤t gleich das Pfæ¶tchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem groæŸen Egmont schuldig.
Alle. Hoch! dem groæŸen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal
hoch!
Jetter. Hæ¤tte man uns den statt der Margrete von Parma zum Regenten
gesetzt!
Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnæ¤d'ge Frau!
Alle. Sie lebe!
Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin
lebe!
Jetter. Klug ist sie, und mæ¤æŸig in allem, was sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
daæŸ wir die vierzehn neuen Bischofsmæ¼tzen im Lande haben. Wozu die nur
sollen? Nicht wahr, daæŸ man Fremde in die guten Stellen einschieben kann,
wo sonst æ„bte aus den Kapiteln gewæ¤hlt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischæ¶fen hatten wir
genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun muæŸ doch auch jeder tun,
als ob er næ¶tig wæ¤re; und da setzt's allen Augenblick VerdruæŸ und
Hæ¤ndel. Und je mehr ihr das Ding ræ¼ttelt und schæ¼ttelt, desto træ¼ber
wird's.
(Sie trinken.)
Soest. Das war nun des Kæ¶nigs Wille; sie kann nichts davon- noch
dazutun.
Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind
wahrlich gar schæ¶n in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiæŸ. Ich hab ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir
wollen. Das macht, daæŸ Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas nicht. - In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art; und gefæ¤hrlich ist's doch immer, da læ¤æŸt man's lieber sein. Die
Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann
ist schon unglæ¼cklich geworden. Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich
nicht tun darf, was ich mæ¶chte, kæ¶nnen sie mich doch denken und singen
lassen, was ich will.
Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muæŸ auch
beizeiten suchen, ihr die Flæ¼gel zu beschneiden.
Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfæ¤llt, in mein
Haus zu stæ¼rmen, und ich sitz an meiner Arbeit und summe just einen
franzæ¶sischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Bæ¶ses; ich
summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde eingesteckt. Oder ich gehe æ¼ber Land und bleibe bei einem Haufen
Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhæ¶rt, einem von denen, die aus
Deutschland gekommen sind: auf der Stelle heiæŸ ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hæ¶ren?
Soest. Wackre Leute. Neulich hæ¶rt' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekæ¶ch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwæ¼rgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hæ¤tten bei der Nase
herumgefæ¼hrt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung
haben kæ¶nnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst und
græ¼belte so æ¼ber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
Buyck. Es læ¤uft ihnen auch alles Volk nach.
Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hæ¶ren kann und was Neues.
Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
Buyck. Frisch, ihr Herren! æœber dem Schwæ¤tzen vergeæŸt ihr den Wein
und Oranien.
Jetter. Den nicht zu vergessen. Das ist ein rechter Wall: wenn man nur
an ihn denkt, meint man gleich, man kæ¶nne sich hinter ihn verstecken und
der Teufel bræ¤chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
Alle. Hoch! hoch!
Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Jetter. Krieg! Krieg! WiæŸt ihr auch, was ihr ruft? DaæŸ es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natæ¼rlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hæ¶ren; und
nichts zu hæ¶ren, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer,
wie sie æ¼ber einen Hæ¼gel kamen und bei einer Mæ¼hle hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich dræ¤ngen, und einer gewinnt,
der andere verliert, ohne daæŸ man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bæ¼rger ermordet werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not
und Angst, man denkt jeden Augenblick: ѻDa kommen sie! Es geht uns auch
so.Ñ«
Soest. Drum muæŸ auch ein Bæ¼rger immer in Waffen geæ¼bt sein.
Jetter. Ja, es æ¼bt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hæ¶r ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
Buyck. Das sollt' ich æ¼belnehmen.
Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
Jetter. Vexier' Er sich.
Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
Jetter. Halt dein Maul.
Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Kæ¼che, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
(Sie lachen.)
Jetter. Du bist ein Tropf.
Buyck. Friede, ihr Herren! MuæŸ der Soldat Friede rufen? - Nun da ihr
von uns nichts hæ¶ren wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine
bæ¼rgerliche Gesundheit.
Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
Soest. Ordnung und Freiheit!
Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
(Sie stoæŸen an und wiederholen fræ¶hlich die Worte, doch so, daæŸ
jeder ein anders ausruft und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und
fæ¤llt endlich auch mit ein.)
Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
Palast der Regentin
Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten. Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
(Alle gehen ab.)
Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten læ¤æŸt mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder,
diese Sorgen vor mir. Nun wird der Kæ¶nig sagen, dies sei'n die Folgen
meiner Gæ¼te, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden
Augenblick, das Ræ¤tlichste, das Beste getan zu haben. Sollte ich fræ¼her
mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschæ¼tten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weiæŸ, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der æœbermut der
fremden Lehrer hat sich tæ¤glich erhæ¶ht; sie haben unser Heiligtum
gelæ¤stert, die stumpfen Sinne des Pæ¶bels zerræ¼ttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufræ¼hrer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kæ¶nig nicht denke, man
wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch
gelindes, dem æœbel zu steuern. O was sind wir GroæŸen auf der Woge der
Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und
nieder, hin und her.
(Machiavell tritt auf.)
Regentin. Sind die Briefe an den Kæ¶nig aufgesetzt?
Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kæ¶nnen.
Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfæ¼hrlich genug gemacht?
Machiavell. Ausfæ¼hrlich und umstæ¤ndlich, wie es der Kæ¶nig liebt. Ich
erzæ¤hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstæ¼rmerische Wut sich zeigt. Wie
eine rasende Menge, mit Stæ¤ben, Beilen, Hæ¤mmern, Leitern, Stricken
versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und
Klæ¶ster anfallen, die Andæ¤chtigen verjagen, die verschlossenen Pforten
aufbrechen, alles umkehren, die Altæ¤re niederreiæŸen, die Statuen der
Heiligen zerschlagen, alle Gemæ¤lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreiæŸen, zertreten. Wie sich der
Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore eræ¶ffnen.
Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwæ¼sten, die Bibliothek des
Bischofs verbrennen. Wie eine groæŸe Menge Volks, von gleichem Unsinn
ergriffen, sich æ¼ber Menin, Comines, Werwicq, Lille verbreitet, nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwæ¶rung sich erklæ¤rt und ausgefæ¼hrt ist.
Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das æœbel werde nur græ¶æŸer
und græ¶æŸer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so
æ¤hnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt
Ihr doch selten meinem Rat folgen mæ¶gen. Ihr sagtet oft im Scherze: Ñ»Du
siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein: wer
handelt, muæŸ fæ¼rs Næ¤chste sorgen.Ñ« Und doch, habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzæ¤hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es æ¤ndern zu kæ¶nnen.
Machiavell. Ein Wort fæ¼r tausend: Ihr unterdræ¼ckt die neue Lehre
nicht. LaæŸt sie gelten, sondert sie von den Rechtglæ¤ubigen, gebt ihnen
Kirchen, faæŸt sie in die bæ¼rgerliche Ordnung, schræ¤nkt sie ein; und so
habt Ihr die Aufræ¼hrer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kæ¶nne? WeiæŸt du nicht, wie er
mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste
empfiehlt? daæŸ er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht
hergestellt wissen will? Hæ¤lt er nicht selbst in den Provinzen Spione, die
wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung
hinæ¼berneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen
genannt, der sich in unsrer Næ¤he heimlich der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und Schæ¤rfe? Und ich soll gelind sein? ich soll
Vorschlæ¤ge tun, daæŸ er nachsehe, daæŸ er dulde? Wæ¼rde ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
Machiavell. Ich weiæŸ wohl; der Kæ¶nig befiehlt, er læ¤æŸt Euch seine
Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die Gemæ¼ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr tut. Die græ¶æŸten Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren, wenn sich um uns alles æ¤ndert? Mæ¶chte doch ein guter
Geist Philippen eingeben, daæŸ es einem Kæ¶nige anstæ¤ndiger ist, Bæ¼rger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
Regentin. Solch ein Wort nie wieder. Ich weiæŸ wohl, daæŸ Politik
selten Treu und Glauben halten kann, daæŸ sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlieæŸt. In weltlichen Geschæ¤ften ist
das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen wie unter
einander? Sollen wir gleichgæ¼ltig gegen unsre bewæ¤hrte Lehre sein, fæ¼r
die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
Machiavell. Denkt nur deswegen nicht æ¼bler von mir.
Regentin. Ich kenne dich und deine Treue und weiæŸ, daæŸ einer ein
ehrlicher und verstæ¤ndiger Mann sein kann, wenn er gleich den næ¤chsten
besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andere,
Machiavell, Mæ¤nner, die ich schæ¤tzen und tadeln muæŸ.
Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
Regentin. Ich kann es gestehen, daæŸ mir Egmont heute einen recht
innerlichen tiefen VerdruæŸ erregte.
Machiavell. Durch welches Betragen?
Regentin. Durch sein gewæ¶hnliches, durch Gleichgæ¼ltigkeit und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. ѻSeht, was
in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der Kæ¶nig sich
alles versprach?Ñ«
Machiavell. Und was antwortete er?
Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wæ¤re,
versetzte er: Ñ»Wæ¤ren nur erst die Niederlæ¤nder æ¼ber ihre Verfassung
beruhigt! Das æ¼brige wæ¼rde sich leicht geben.Ñ«
Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederlæ¤nder sieht, daæŸ es
mehr um seine Besitztæ¼mer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu tun
ist? Haben die neuen Bischæ¶fe mehr Seelen gerettet, als fette Pfræ¼nden
geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle
Statthalterschaften mit Niederlæ¤ndern besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daæŸ sie die græ¶æŸte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner Art
von den Seinigen regieret werden als von Fremden, die erst im Lande sich
wieder Besitztæ¼mer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
MaæŸstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
Machiavell. Mit dem Herzen gewiæŸ nicht; und wollte, ich kæ¶nnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
Regentin. Wenn du so willst, so tæ¤t' es not, ich træ¤te ihnen meine
Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich groæŸe Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
Machiavell. Ein gefæ¤hrliches Paar.
Regentin. Soll ich aufrichtig reden: ich fæ¼rchte Oranien, und ich
fæ¼rchte fæ¼r Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in
die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit græ¶æŸter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehæ¶rte.
Regentin. Er træ¤gt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestæ¤t
nicht æ¼ber ihm schwebte.
Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hæ¤ngen an ihm.
Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand
Rechenschaft von ihm zu fordern hæ¤tte. Noch træ¤gt er den Namen Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hæ¶ren; als wollte er nicht vergessen,
daæŸ seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich nicht
Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum tut er das? Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
Machiavell. Ich halte ihn fæ¼r einen treuen Diener des Kæ¶nigs.
Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kæ¶nnte er sich um die Regierung
machen; anstatt daæŸ er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsæ¤glichen
VerdruæŸ gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den
Adel mehr verbunden und verknæ¼pft als die gefæ¤hrlichsten heimlichen
Zusammenkæ¼nfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gæ¤ste einen dauernden
Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschæ¶pft. Wie oft setzt er
durch seine Scherzreden die Gemæ¼ter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der Pæ¶bel æ¼ber die neuen Livreen, æ¼ber die tæ¶richten Abzeichen der
Bedienten!
Machiavell. Ich bin æ¼berzeugt, es war ohne Absicht.
Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und næ¼tzt sich
nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft; und wir, um nicht mæ¼æŸig und
nachlæ¤ssig zu scheinen, mæ¼ssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er
ist gefæ¤hrlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwæ¶rung; und ich
mæ¼æŸte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daæŸ er mich nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
Regentin. Sein Gewissen hat einen gefæ¤lligen Spiegel. Sein Betragen
ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der væ¶lligen
æœberzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefæ¤lligkeit nicht
fæ¼hlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es werde
sich schon geben.
Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glæ¼ckliches
Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefæ¤hrlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlæ¤ndischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stæ¤rken sein Vertrauen, seine Kæ¼hnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkæ¼rlichen Unmut des Kæ¶nigs schæ¼tzen. Untersuch es
genau; an dem ganzen Unglæ¼ck, das Flandern trifft, ist er doch nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht
genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, daæŸ wir etwas zu schaffen
hatten. LaæŸ mich nur; was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser
Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschieæŸen; ich
weiæŸ, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien
auch?
Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die
Last der Verantwortung nahe genug zuwæ¤lzen; sie sollen sich mit mir dem
æœbel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklæ¤ren. Eile,
daæŸ die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann
sende schnell den bewæ¤hrten Vaska nach Madrid; er ist unermæ¼det und treu;
daæŸ mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daæŸ der Ruf ihn
nicht æ¼bereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
Bæ¼rgerhaus
Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klæ¤rchen.
Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen
Liebesdienst?
Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
Klare. Grillen! kommt und haltet!
Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hæ¼bsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
Brackenburg. Sonst.
Klare. Wir wollen singen.
Brackenburg. Was Ihr wollt.
Klare. Nur hæ¼bsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstæ¼ck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
Die Trommel geræ¼hret!
Das Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster gewaffnet
Dem Haufen befiehlt,
Die Lanze hoch fæ¼hret,
Die Leute regieret.
Wie klopft mir das Herze!
Wie wallt mir das Blut!
O hæ¤tt' ich ein Wæ¤mslein
Und Hosen und Hut!
Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
Mit mutigem Schritt,
Ging' durch die Provinzen,
Ging' æ¼berall mit.
Die Feinde schon weichen,
Wir schieæŸen darein.
Welch Glæ¼ck sondergleichen,
Ein Mannsbild zu sein!
(Brackenburg hat unter dem Singen Klæ¤rchen oft angesehen; zuletzt
bleibt ihm die Stimme stocken, die Træ¤nen kommen ihm in die Augen, er
læ¤æŸt den Strang fallen und geht ans Fenster. Klæ¤rchen singt das Lied
allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlæ¼ssig wieder um und setzt sich.)
Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hæ¶re marschieren.
Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht
an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tæ¤gliche Wache, das sind
weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hæ¶rt einmal, was es
gibt. Es muæŸ etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den
Gefallen.
Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
Klare. Ich bin neugierig; und auch, verdenkt mir's nicht, seine
Gegenwart tut mir weh. Ich weiæŸ immer nicht, wie ich mich gegen ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen, daæŸ
er es so lebendig fæ¼hlt. - Kann ich's doch nicht æ¤ndern!
Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich muæŸ ihm freundlich begegnen.
Meine Hand dræ¼ckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfaæŸt. Ich mache mir Vorwæ¼rfe, daæŸ ich ihn betriege, daæŸ ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung næ¤hre. Ich bin æ¼bel dran. WeiæŸ
Gott, ich betrieg ihn nicht. Ich will nicht, daæŸ er hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
Mutter. Das ist nicht gut.
Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hæ¤tte ihn heiraten kæ¶nnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
Mutter. Glæ¼cklich wæ¤rst du immer mit ihm gewesen.
Klare. Wæ¤re versorgt und hæ¤tte ein ruhiges Leben.
Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie
es gegangen ist, weiæŸ ich's wohl und weiæŸ es nicht. Und dann darf ich
Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja wæ¤re mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht das glæ¼cklichste Geschæ¶pf von der Welt
sein?
Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglæ¼cklich gemacht! mich unglæ¼cklich gemacht.
Klare (gelassen). Ihr lieæŸet es doch im Anfange.
Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr
mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, læ¤chelte,
nickte, mich græ¼æŸte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
Mutter. Mache mir noch Vorwæ¼rfe.
Klare (geræ¼hrt). Wenn er nun æ¶fter die StraæŸe kam, und wir wohl
fæ¼hlten, daæŸ er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht
selbst mit heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
Mutter. Dachte ich, daæŸ es so weit kommen sollte?
Klare (mit stockender Stimme und zuræ¼ckgehaltenen Træ¤nen). Und wie er
uns abends, in den Mantel eingehæ¼llt, bei der Lampe æ¼berraschte, wer war
geschæ¤ftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
Mutter. Und konnte ich fæ¼rchten, daæŸ diese unglæ¼ckliche Liebe das
kluge Klæ¤rchen so bald hinreiæŸen wæ¼rde? Ich muæŸ es nun tragen, daæŸ
meine Tochter -
Klare (mit ausbrechenden Træ¤nen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt
Eure Freude, mich zu æ¤ngstigen.
Mutter (weinend). Weine noch gar! Mache mich noch elender durch deine
Betræ¼bnis. Ist mir's nicht Kummer genug, daæŸ meine einzige Tochter ein
verworfenes Geschæ¶pf ist?
Klare (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte verworfen? -
Welche Fæ¼rstin neidete nicht das arme Klæ¤rchen um den Platz an seinem
Herzen! O Mutter - meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
Mutter. Man muæŸ ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so
freundlich, frei und offen.
Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der groæŸe Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbæ¤rge! wie er um mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
Mutter. Kommt er wohl heute?
Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Tæ¼r rauscht? - Ob ich schon weiæŸ,
daæŸ er vor Nacht nicht kommt, vermut ich ihn doch jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe. Wæ¤r' ich nur ein Bube und kæ¶nnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und æ¼berall hin! Kæ¶nnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser
an?
Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe! - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens
war sein Name in den Liedern! das æ¼brige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals - Ich hæ¤tte sie gern zuræ¼ckgerufen, wenn
ich mich nicht geschæ¤mt hæ¤tte.
Mutter. Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verræ¤tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du
den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst:
ѻGraf Egmont!ѫ - Ich ward feuerrot.
Klare. Hæ¤tt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei
Gravelingen, und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten
in der Beschreibung C. Steht da: ѻGraf Egmont, dem das Pferd unter dem
Leibe totgeschossen wird.Ñ« Mich æ¼berlief's - und hernach muæŸt' ich lachen
æ¼ber den holzgeschnitzten Egmont, der so groæŸ war als der Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir als Mæ¤dchen fæ¼r ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von
ihm erzæ¤hlten, und von allen Grafen und Fæ¼rsten - und wie mir's jetzt ist!
(Brackenburg kommt.)
Klare. Wie steht's?
Brackenburg. Man weiæŸ nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er mæ¶chte sich hieher
verbreiten. Das SchloæŸ ist stark besetzt, die Bæ¼rger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der
Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
Mutter. Lebt wohl.
Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter und Tochter
ab.)
Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder
fortzugehn; und da sie es dafæ¼r aufnimmt und mich gehen læ¤æŸt, mæ¶cht' ich
rasend werden. - Unglæ¼cklicher! und dich ræ¼hrt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende Tumult nicht? - und gleich ist dir Landsmann oder
Spanier, und wer regiert und wer recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: Ñ»Brutus' Rede fæ¼r
die Freiheit, zur æœbung der RedekunstÑ«, da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor sagte: Ñ»Wenn's nur ordentlicher wæ¤re, nur nicht alles so
æ¼bereinander gestolpert.Ñ« - Damals kocht' es und trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des Mæ¤dchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann sie mich doch nicht lieben! - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
læ¤nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte?
daæŸ sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlæ¤æŸt, da sie mich zæ¼chtig
immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine
Læ¼ge, eine schæ¤ndliche verleumderische Læ¼ge! Klæ¤rchen ist so unschuldig,
als ich unglæ¼cklich bin. - Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem
Herzen gestoæŸen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
- - Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich
sterbe unter dem Getæ¼mmel nur ab! Ich duld es nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein SchuæŸ fæ¤llt, mir fæ¤hrt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stæ¼rzt' ich mich ins Wasser, ich sank - aber die geæ¤ngstete Natur
war stæ¤rker; ich fæ¼hlte, daæŸ ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - - Kæ¶nnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu
lieben schien! - Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glæ¼ck?
Warum haben mir diese Hoffnungen allen GenuæŸ des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir ein Paradies von weitem zeigten? - Und jener erste KuæŸ! Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer gut und freundlich gegen mich gewesen - da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an - alle Sinnen gingen mir um, und ich fæ¼hlte
ihre Lippen auf den meinigen. - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein Flæ¤schchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst
aus meines Bruders Doktorkæ¤stchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese TodesschweiæŸe auf einmal
verschlingen und læ¶sen.
Zweiter Aufzug
Platz in Bræ¼ssel
Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der
Zunft sagt' ich, es wæ¼rde schwere Hæ¤ndel geben.
Jetter. Ist's denn wahr, daæŸ sie die Kirchen in Flandern geplæ¼ndert
haben?
Zimmermeister. Ganz und gar zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wæ¤nde haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hæ¤tten eher, in
der Ordnung und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und
drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heiæŸt
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hæ¤ngt doch der Hals gar nah damit zusammen.
Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu læ¤rmen
anfæ¤ngt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande, worauf wir uns auch berufen mæ¼ssen, und bringen das Land in
Unglæ¼ck.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, daæŸ die
Bilderstæ¼rmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anræ¼hren.
Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin, so eine wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie
auæŸer Fassung. Es muæŸ sehr arg sein, daæŸ sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flæ¼chten.
Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschæ¼tzt uns,
und wir wollen ihr mehr verschaffen als ihre Stutzbæ¤rte. Und wenn sie uns
unsere Rechte und Freiheiten aufrechterhæ¤lt, so wollen wir sie auf den
Hæ¤nden tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
Seifensieder. Garstige Hæ¤ndel! æœble Hæ¤ndel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - Hæ¼tet euch, daæŸ ihr stille bleibt, daæŸ man euch nicht auch
fæ¼r Aufwiegler hæ¤lt.
Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
Seifensieder. Ich weiæŸ, da sind viele, die es heimlich mit den
Calvinisten halten, die auf die Bischæ¶fe læ¤stern, die den Kæ¶nig nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
Vansen. Gott græ¼æŸ' euch Herren! Was Neues?
Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein Patron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber,
pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins Handwerk und ist ein
Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Kæ¶pfe zusammen. Es ist
immer redenswert.
Soest. Ich denk auch.
Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hæ¤tte, und einer oder
der andere den Kopf dazu: wir kæ¶nnten die spanischen Ketten auf einmal
sprengen.
Soest. Herre! So mæ¼æŸt Ihr nicht reden. Wir haben dem Kæ¶nig
geschworen.
Vansen. Und der Kæ¶nig uns. Merkt das.
Jetter. Das læ¤æŸt sich hæ¶ren! Sagt Eure Meinung.
Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besaæŸ Pergamente und Briefe
von uralten Stiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die
rarsten Bæ¼cher. In einem stand unsere ganze Verfassung: wie uns
Niederlæ¤nder zuerst einzelne Fæ¼rsten regierten, alles nach hergebrachten
Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht
fæ¼r ihren Fæ¼rsten gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich gleich vorsahen, wenn er æ¼ber die Schnur hauen wollte. Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstæ¤nde.
Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weiæŸ man lange! Ein jeder
rechtschaffene Bæ¼rger ist, so viel er braucht, von der Verfassung
unterrichtet.
Jetter. LaæŸt ihn reden; man erfæ¤hrt immer etwas mehr.
Soests. Er hat ganz recht.
Mehrere. Erzæ¤hlt! erzæ¤hlt! So was hæ¶rt man nicht alle Tage.
Vansen. So seid ihr Bæ¼rgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr euer Gewerb' von euern Eltern æ¼berkommen habt, so laæŸt ihr auch
das Regiment æ¼ber euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten;
und æ¼ber das Versæ¤umnis haben euch die Spanier das Netz æ¼ber die Ohren
gezogen.
Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tæ¤gliche Brot hat.
Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der Kæ¶nig in Spanien, der die Provinzen
durch gut Glæ¼ck zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen Fæ¼rsten, die sie ehemals einzeln besaæŸen. Begreift
ihr das?
Jetter. Erklæ¤rt's uns.
Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Mæ¼æŸt ihr nicht nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher kæ¤me das?
Ein Bæ¼rger. Wahrlich!
Vansen. Hat der Bræ¼sseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher kæ¤me denn das?
Anderer Bæ¼rger. Bei Gott!
Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen laæŸt, wird man's euch bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der Kæ¼hne, Friedrich der Krieger, Karl der
Fæ¼nfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
Soests. Ja, ja! Die alten Fæ¼rsten haben's auch schon probiert.
Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren paæŸten auf. Wie sie einem Herrn
gram wurden, fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und gaben ihn nur auf die besten Bedingungen heraus. Unsere Væ¤ter
waren Leute! Die wuæŸten, was ihnen næ¼tz war! Die wuæŸten etwas zu fassen
und festzusetzen! Rechte Mæ¤nner! Dafæ¼r sind aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzæ¤hlt noch
was von unsern Privilegien.
Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
Soests. Sagt an.
Jetter. LaæŸt hæ¶ren.
Ein Bæ¼rger. Ich bitt Euch.
Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
Soests. Gut! Steht das so?
Jetter. Getreu? Ist das wahr?
Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder eignen Willen an uns beweisen, merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
Jetter. Schæ¶n! Schæ¶n! nicht beweisen.
Soests. Nicht merken lassen.
Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
Vansen. Mit ausdræ¼cklichen Worten.
Jetter. Schafft uns das Buch.
Ein Bæ¼rger. Ja, wir mæ¼ssen's haben.
Andere. Das Buch! das Buch!
Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
Ein anderer. Ihr sollt das Wort fæ¼hren, Herr Doktor.
Seifensieder. O die Træ¶pfe!
Andere. Noch etwas aus dem Buche!
Seifensieder. Ich schlage ihm die Zæ¤hne in den Hals, wenn er noch ein
Wort sagt.
Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne
Verwilligung des Adels und der Stæ¤nde! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht veræ¤ndern.
Soest. Ist das so?
Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen, von zwei-, dreihundert
Jahren her.
Bæ¼rger. Und wir leiden die neuen Bischæ¶fe? Der Adel muæŸ uns
schæ¼tzen, wir fangen Hæ¤ndel an!
Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
Vansen. Das ist eure Schuld.
Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen fæ¼r unser
Bestes!
Vansen. Eure Bræ¼der in Flandern haben das gute Werk angefangen.
Seifensieder. Du Hund!
(Er schlæ¤gt ihn.)
Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
Ein anderer. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
(Andere mischen sich in den Streit.)
Zimmermeister. Bæ¼rger, was soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bæ¼rger stehn und
gaffen, Volk læ¤uft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
Zimmermeister. Gnæ¤diger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bæ¼rger gegen Bæ¼rger! Hæ¤lt sogar
die Næ¤he unsrer kæ¶niglichen Regentin diesen Unsinn nicht zuræ¼ck? Geht
auseinander, geht an euer Gewerbe. Es ist ein æ¼bles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
Egmont. Die sie noch mutwillig zertræ¼mmern werden - Und wer seid Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
Egmont. Eures Zeichens?
Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
Egmont. Und Ihr?
Soest. Kræ¤mer.
Egmont. Ihr?
Jetter. Schneider.
Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen fæ¼r meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
Jetter. Gnade, daæŸ Ihr Euch dessen erinnert.
Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und
gesprochen habe. - Was an euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das tut; ihr
seid æ¼bel genug angeschrieben. Reizt den Kæ¶nig nicht mehr, er hat zuletzt
doch die Gewalt in Hæ¤nden. Ein ordentlicher Bæ¼rger, der sich ehrlich und
fleiæŸig næ¤hrt, hat æ¼berall so viel Freiheit, als er braucht.
Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die
Sæ¶ffer, die Faulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stæ¤nkern aus
Langerweile und scharren aus Hunger nach Privilegien und læ¼gen den
Neugierigen und Leichtglæ¤ubigen was vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen, fangen sie Hæ¤ndel an, die viel tausend Menschen unglæ¼cklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Hæ¤user und Kasten zu gut
verwahrt; da mæ¶chten sie gern uns mit Feuerbræ¤nden davontreiben.
Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind MaæŸregeln genommen,
dem æœbel kræ¤ftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht, durch Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet
nicht, daæŸ sie sich auf den StraæŸen rotten. Vernæ¼nftige Leute kæ¶nnen
viel tun.
(Indessen hat sich der græ¶æŸte Haufe verlaufen.)
Zimmermeister. Danken Euer Exzellenz, danken fæ¼r die gute Meinung!
Alles, was an uns liegt. (Egmont ab.) Ein gnæ¤diger Herr! der echte
Niederlæ¤nder! Gar so nichts Spanisches.
Jetter. Hæ¤tten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
Soest. Das læ¤æŸt der Kæ¶nig wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
Zimmermeister. Ein schæ¶ner Herr!
Jetter. Sein Hals wæ¤r' ein rechtes Fressen fæ¼r einen Scharfrichter.
Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
Jetter. Dumm genug, daæŸ einem so etwas einfæ¤llt. - Es ist mir nun so.
Wenn ich einen schæ¶nen langen Hals sehe, muæŸ ich gleich wider Willen
denken: der ist gut kæ¶pfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne. Wenn die Bursche schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein ich, den sæ¤h' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde froh. Jede Lustbarkeit, jeden SpaæŸ hab ich bald
vergessen; die fæ¼rchterlichen Gestalten sind mir wie vor die Stirne
gebrannt.
Egmonts Wohnung
Sekretæ¤r an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
Sekretæ¤r. Er kommt immer nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,. die Papiere vor mir; und eben heute mæ¶cht' ich gern so
zeitig fort. Es brennt mir unter den Sohlen. Ich kann vor Ungeduld kaum
bleiben. ѻSei auf die Stunde daѫ, befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er nicht. Es ist so viel zu tun, ich werde vor Mitternacht nicht
fertig. Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger. Doch hielt'
ich's besser, wenn er strenge wæ¤re und lieæŸe einen auch wieder zur
bestimmten Zeit. Man kæ¶nnte sich einrichten. Von der Regentin ist er nun
schon zwei Stunden weg; wer weiæŸ, wen er unterwegs angefaæŸt hat.
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Wie sieht's aus?
Sekretæ¤r. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrieæŸlich
Gesicht.
Sekretæ¤r. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich schon lange. Hier sind
die Papiere!
Egmont. Donna Elvira wird bæ¶se auf mich werden, wenn sie hæ¶rt, daæŸ
ich dich abgehalten habe.
Sekretæ¤r. Ihr scherzt.
Egmont. Nein, nein. Schæ¤me dich nicht. Du zeigst einen guten
Geschmack. Sie ist hæ¼bsch; und es ist mir ganz recht, daæŸ du auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
Sekretæ¤r. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
Egmont. Da ist gut, daæŸ wir die Freude zu Hause haben und sie nicht
von auswæ¤rts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
Sekretæ¤r. Genug, und drei Boten warten.
Egmont. Sag an! das Næ¶tigste!
Sekretæ¤r. Es ist alles næ¶tig.
Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
Sekretæ¤r. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
Egmont. Er schreibt wohl noch von einzelnen Ungezogenheiten und
Tollkæ¼hnheiten?
Sekretæ¤r. Ja! Es kommt noch manches vor.
Egmont. Verschone mich damit.
Sekretæ¤r. Noch sechs sind eingezogen worden, die bei Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hæ¤ngen lassen?
Egmont. Ich bin des Hæ¤ngens mæ¼de. Man soll sie durchpeitschen, und
sie mæ¶gen gehen.
Sekretæ¤r. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
Sekretæ¤r. Brink von Bredas Kompanie will heiraten. Der Hauptmann
hofft, Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt er, daæŸ, wenn wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern
einem Zigeunergeschleppe æ¤hnlich sehen wird.
Egmont. Dem mag's noch hingehen! Es ist ein schæ¶ner junger Kerl; er
bat mich noch gar dringend, eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr
gestattet sein, so leid mir's tut, den armen Teufeln, die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten SpaæŸ zu versagen.
Sekretæ¤r. Zwei von Euern Leuten, Seter und Hart, haben einem Mæ¤del,
einer Wirtstochter, æ¼bel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
Egmont. Wenn es ein ehrlich Mæ¤dchen ist, und sie haben Gewalt
gebraucht, so soll er sie drei Tage hintereinander mit Ruten streichen
lassen, und wenn sie etwas besitzen, soll er so viel davon einziehen, daæŸ
dem Mæ¤dchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
Sekretæ¤r. Einer von den fremden Lehrern ist heimlich durch Comines
gegangen und entdeckt worden. Er schwæ¶rt, er sei im Begriff, nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
Egmont. Sie sollen ihn in der Stille an die Grenze bringen und ihm
versichern, daæŸ er das zweitemal nicht so wegkommt.
Sekretæ¤r. Ein Brief von Euerm Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er kæ¶nne auf die Woche die verlangte Summe schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die græ¶æŸte Konfusion gebracht.
Egmont. Das Geld muæŸ herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
Sekretæ¤r. Er sagt, er werde sein mæ¶glichstes tun und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
Sekretæ¤r. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
Egmont. So gebe man ihm noch vierzehn Tage; und dann mag er gegen ihn
verfahren.
Sekretæ¤r. Ihr tut wohl. Es ist nicht Unvermæ¶gen; es ist bæ¶ser Wille.
Er macht gewiæŸ Ernst, wenn er sieht, Ihr spaæŸt nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr Gnadengehalte gebt, die Gebæ¼hr einen halben Monat zuræ¼ckhalten; man
kæ¶nne indessen Rat schaffen; sie mæ¶chten sich einrichten.
Egmont. Was ist da einzurichten? Die Leute brauchen das Geld næ¶tiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
Sekretæ¤r. Woher befehlt Ihr denn, daæŸ er das Geld nehmen soll?
Egmont. Darauf mag er denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon
gesagt.
Sekretæ¤r. Deswegen tut er die Vorschlæ¤ge.
Egmont. Die taugen nicht, er soll auf was anders sinnen. Er soll
Vorschlæ¤ge tun, die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld
schaffen.
Sekretæ¤r. Ich habe den Brief des Grafen Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, daæŸ ich Euch daran erinnere. Der alte Herr verdient vor allen
andern eine ausfæ¼hrliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. GewiæŸ,
er liebt Euch wie ein Vater.
Egmont. Ich komme nicht dazu. Und unter vielem VerhaæŸten ist mir das
Schreiben das VerhaæŸteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib in
meinem Namen. Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht dazu; und wæ¼nschte
selbst, daæŸ ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes
geschrieben wæ¼rde.
Sekretæ¤r. Sagt mir nur ungefæ¤hr Eure Meinung; ich will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daæŸ sie
vor Gericht fæ¼r Eure Hand gelten kann.
Egmont. Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedæ¤chtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anræ¤t, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will mein Leben und mein Glæ¼ck und fæ¼hlt nicht,
daæŸ der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er mæ¶ge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich werde mich schon
wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewiæŸ sein.
Sekretæ¤r. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
Egmont. Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. DaæŸ ich fræ¶hlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe, das ist mein Glæ¼ck; und ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines Totengewæ¶lbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart nicht einen
Blutstropfen in meinen Adern; nicht Lust, meine Schritte nach der neuen
bedæ¤chtigen Hofkadenz zu mustern. Leb ich nur, um aufs Leben zu denken?
Soll ich den gegenwæ¤rtigen Augenblick nicht genieæŸen, damit ich des
folgenden gewiæŸ sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
Sekretæ¤r. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefæ¤llig
Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfæ¤ltig er ist, wie leis
er Euch beræ¼hrt.
Egmont. Und doch beræ¼hrt er immer diese Saite. Er weiæŸ von alters
her, wie verhaæŸt mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wæ¤re und auf dem gefæ¤hrlichen
Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu tæ¶ten? LaæŸt jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
Sekretæ¤r. Es ziemt Euch, nicht zu sorgen, aber wer Euch kennt und
liebt -
Egmont (in den Brief sehend). Da bringt er wieder die alten Mæ¤rchen
auf, was wir an einem Abend in leichtem æœbermut der Geselligkeit und des
Weins getrieben und gesprochen; und was man daraus fæ¼r Folgen und Beweise
durchs ganze Kæ¶nigreich gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener æ„rmel sticken lassen, und
haben diese tolle Zierde nachher in ein Bæ¼ndel Pfeile verwandelt; ein noch
gefæ¤hrlicher Symbol fæ¼r alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, daæŸ eine ganze edle Schar mit Bettelsæ¤cken und
mit einem selbstgewæ¤hlten Unnamen dem Kæ¶nige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedæ¤chtnis rief; sind schuld - was ist's nun weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen, bunten Lumpen zu
miæŸgæ¶nnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme Blæ¶æŸe hæ¤ngen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden weckt, am
Abend uns keine Lust zu hoffen æ¼brigbleibt: ist's wohl des An- und
Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut, um das zu æ¼berlegen, was
gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese
Betrachtungen; wir wollen sie Schæ¼lern und Hæ¶flingen æ¼berlassen. Die
mæ¶gen sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen, wohin sie
kæ¶nnen, erschleichen, was sie kæ¶nnen. - Kannst du von allem diesem etwas
brauchen, daæŸ deine Epistel kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten
Alten scheint alles viel zu wichtig. So dræ¼ckt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stæ¤rker noch einmal, wenn er sie lassen will.
Sekretæ¤r. Verzeiht mir, es wird dem FuæŸgæ¤nger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
Egmont. Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern
gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefaæŸt, die Zæ¼gel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die
Ræ¤der wegzulenken. Wohin es geht, wer weiæŸ es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
Sekretæ¤r. Herr! Herr!
Egmont. Ich stehe hoch und kann und muæŸ noch hæ¶her steigen; ich
fæ¼hle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab ich meines Wachstums Gipfel
nicht erreicht; und steh ich droben einst, so will ich fest, nicht
æ¤ngstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind,
ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwæ¤rts in die Tiefe stæ¼rzen; da
lieg ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmæ¤ht, mit meinen guten
Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
Sekretæ¤r. O Herr! Ihr wiæŸt nicht, was fæ¼r Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
næ¶tigsten ist, daæŸ die Boten fortkommen, eh die Tore geschlossen werden.
Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen laæŸ bis morgen; versæ¤ume
nicht, Elviren zu besuchen, und græ¼æŸe sie von mir. - Horche, wie sich die
Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich verbirgt.
(Sekretæ¤r ab.)
(Oranien kommt.)
Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
Egmont. Ich fand in ihrer Art, uns aufzunehmen, nichts
AuæŸerordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
Oranien. Merktet Ihr nicht, daæŸ sie zuræ¼ckhaltender war? Erst wollte
sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pæ¶bels gelassen billigen;
nachher merkte sie an, was sich doch auch fæ¼r ein falsches Licht darauf
werfen lasse; wich dann mit dem Gespræ¤che zu ihrem alten gewæ¶hnlichen
Diskurs: daæŸ man ihre liebevolle gute Art, ihre Freundschaft zu uns
Niederlæ¤ndern, nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, daæŸ nichts
einen erwæ¼nschten Ausgang nehmen wolle, daæŸ sie am Ende wohl mæ¼de werden,
der Kæ¶nig sich zu andern MaæŸregeln entschlieæŸen mæ¼sse. Habt Ihr das
gehæ¶rt?
Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein
Weib, guter Oranien, und die mæ¶chten immer gern, daæŸ sich alles unter ihr
sanftes Joch gelassen schmiegte, daæŸ jeder Herkules die Læ¶wenhaut ablegte
und ihren Kunkelhof vermehrte; daæŸ, weil sie friedlich gesinnt sind, die
Gæ¤rung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mæ¤chtige Nebenbuhler
gegeneinander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen lieæŸe und
die widrigsten Elemente sich zu ihren Fæ¼æŸen in sanfter Eintracht
vereinigten. Das ist ihr Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so
hat sie keinen Weg, als launisch zu werden, sich æ¼ber Undankbarkeit,
Unweisheit zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu
drohen, und zu drohen - daæŸ sie fortgehn will.
Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daæŸ sie ihre Drohung erfæ¼llt?
Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo
will sie denn hin? Hier Statthalterin, Kæ¶nigin; glaubst du, daæŸ sie es
unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhæ¤ltnissen
herumzuschleppen?
Oranien. Man hæ¤lt sie dieser EntschlieæŸung nicht fæ¤hig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr sie habt zuræ¼cktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue Umstæ¤nde treiben sie zu dem lang verzæ¶gerten EntschluæŸ. Wenn
sie ginge? und der Kæ¶nig schickte einen andern?
Egmont. Nun, der wæ¼rde kommen, und wæ¼rde eben auch zu tun finden. Mit
groæŸen Planen, Projekten und Gedanken wæ¼rde er kommen, wie er alles
zurechtræ¼cken, unterwerfen und zusammenhalten wolle; und wæ¼rde heut mit
dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun haben, æ¼bermorgen jene
Hindernis finden, einen Monat mit Entwæ¼rfen, einen andern mit VerdruæŸ
æ¼ber fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen æ¼ber eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daæŸ er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag, wenn er sein Schiff in
diesem Sturme vom Felsen hæ¤lt.
Oranien. Wenn man nun aber dem Kæ¶nig zu einem Versuch riete?
Egmont. Der wæ¤re?
Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
Egmont. Wie?
Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhæ¤ltnisse am
Herzen, ich stehe immer wie æ¼ber einem Schachspiele und halte keinen Zug
des Gegners fæ¼r unbedeutend; und wie mæ¼æŸige Menschen mit der græ¶æŸten
Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekæ¼mmern, so halt ich es fæ¼r
Pflicht, fæ¼r Beruf eines Fæ¼rsten, die Gesinnungen, die Ratschlæ¤ge aller
Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befæ¼rchten. Der
Kæ¶nig hat lange nach gewissen Grundsæ¤tzen gehandelt; er sieht, daæŸ er
damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daæŸ er es auf einem
andern Wege versucht?
Egmont. Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muæŸ man es endlich wohl
genug haben.
Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
Egmont. Nun?
Oranien. Das Volk zu schonen und die Fæ¼rsten zu verderben.
Egmont. Wie viele haben das schon lange gefæ¼rchtet! Es ist keine
Sorge.
Oranien. Sonst war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
GewiæŸheit geworden.
Egmont. Und hat der Kæ¶nig treuere Diener als uns?
Oranien. Wir dienen ihm auf unsere Art; und unter einander kæ¶nnen wir
gestehen, daæŸ wir des Kæ¶nigs Rechte und die unsrigen wohl abzuwæ¤gen
wissen.
Egmont. Wer tut's nicht? Wir sind ihm untertan und gewæ¤rtig in dem,
was ihm zukommt.
Oranien. Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit
nennte, was wir heiæŸen: auf unsre Rechte halten?
Egmont. Wir werden uns verteidigen kæ¶nnen. Er rufe die Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
Oranien. Und was wæ¤re ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
Egmont. Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Ræ¤ten nicht zutraue.
Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und tæ¶richt wæ¤ren?
Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht mæ¶glich. Wer sollte wagen, Hand an
uns zu legen? - Uns gefangenzunehmen, wæ¤r' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch
aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht æ¼bers Land bræ¤chte,
wæ¼rde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie?
Richten und verdammen kann nicht der Kæ¶nig allein; und wollten sie
meuchelmæ¶rderisch an unser Leben? - Sie kæ¶nnen nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund wæ¼rde in einem Augenblick das Volk vereinigen. HaæŸ und
ewige Trennung vom spanischen Namen wæ¼rde sich gewaltsam erklæ¤ren.
Oranien. Die Flamme wæ¼tete dann æ¼ber unserm Grabe, und das Blut
unsrer Feinde flæ¶sse zum leeren Sæ¼hnopfer. LaæŸ uns denken, Egmont.
Egmont. Wie sollten sie aber?
Oranien. Alba ist unterwegs.
Egmont. Ich glaub's nicht.
Oranien. Ich weiæŸ es.
Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
Oranien. Um desto mehr bin ich æ¼berzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
Egmont. Aufs neue die Provinzen zu belæ¤stigen? Das Volk wird hæ¶chst
schwierig werden.
Oranien. Man wird sich der Hæ¤upter versichern.
Egmont. Nein! Nein!
Oranien. LaæŸ uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstæ¤rken; mit offner Gewalt fæ¤ngt er nicht an.
Egmont. Mæ¼ssen wir ihn nicht begræ¼æŸen, wenn er kommt?
Oranien. Wir zæ¶gern.
Egmont. Und wenn er uns im Namen des Kæ¶nigs bei seiner Ankunft
fordert?
Oranien. Suchen wir Ausflæ¼chte.
Egmont. Und wenn er dringt?
Oranien. Entschuldigen wir uns.
Egmont. Und wenn er drauf besteht?
Oranien. Kommen wir um so weniger.
Egmont. Und der Krieg ist erklæ¤rt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laæŸ dich nicht durch Klugheit verfæ¼hren; ich weiæŸ, daæŸ Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
Oranien. Ich hab ihn bedacht.
Egmont. Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist; an dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwæ¼stet hat. Dein Weigern ist das
Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede
Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand
gehascht hat. Was wir lange mæ¼hselig gestillt haben, wirst du mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an die Stæ¤dte, die
Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke die
Verwæ¼stung, den Mord! - Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen
Kameraden neben sich hinfallen; aber den FluæŸ herunter werden dir die
Leichen der Bæ¼rger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, daæŸ du
mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weiæŸt, wessen Sache du verteidigst,
da die zugrunde gehen, fæ¼r deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und wie
wird dir's sein, wenn du dir still sagen muæŸt: Ñ»Fæ¼r meine Sicherheit
ergriff ich sie.Ñ«
Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns
fæ¼r Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns fæ¼r Tausende zu
schonen.
Egmont. Wer sich schont, muæŸ sich selbst verdæ¤chtig werden.
Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und ræ¼ckwæ¤rts gehen.
Egmont. Das æœbel, das du fæ¼rchtest, wird gewiæŸ durch deine Tat.
Oranien. Es ist klug und kæ¼hn, dem unvermeidlichen æœbel
entgegenzugehn.
Egmont. Bei so groæŸer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in
Anschlag.
Oranien. Wir haben nicht fæ¼r den leisesten FuæŸtritt Platz mehr; der
Abgrund liegt hart vor uns.
Egmont. Ist des Kæ¶nigs Gunst ein so schmaler Grund?
Oranien. So schmal nicht, aber schlæ¼pfrig.
Egmont. Bei Gott! man tut ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, daæŸ man
unwæ¼rdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fæ¤hig.
Oranien. Die Kæ¶nige tun nichts Niedriges.
Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
Oranien. Eben diese Kenntnis ræ¤t uns, eine gefæ¤hrliche Probe nicht
abzuwarten.
Egmont. Keine Probe ist gefæ¤hrlich, zu der man Mut hat.
Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
Egmont. Ich muæŸ mit meinen Augen sehen.
Oranien. O sæ¤hst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht daæŸ der
Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal
verschlingt. Vielleicht zæ¶gert er, um seinen Anschlag sicherer
auszufæ¼hren; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell! Rette! rette dich! - Leb wohl! - LaæŸ
deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was fæ¼r Macht die Regentin behæ¤lt, wie deine Freunde
gefaæŸt sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
Egmont. Was willst du?
Oranien (ihn bei der Hand fassend). LaæŸ dich æ¼berreden! Geh mit!
Egmont. Wie? Træ¤nen, Oranien?
Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch mæ¤nnlich.
Egmont. Du wæ¤hnst mich verloren?
Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
Egmont (allein). DaæŸ andrer Menschen Gedanken solchen EinfluæŸ auf uns
haben! Mir wæ¤r' es nie eingekommen; und dieser Mann træ¤gt seine
Sorglichkeit in mich heræ¼ber. - Weg! - Das ist ein fremder Tropfen in
meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
Dritter Aufzug
Palast der Regentin
Margarete von Parma.
Margarete. Ich hæ¤tte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mæ¼he und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man tue das Mæ¶glichste; und der
von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mæ¶gliche. - O
die Kæ¶nige! - Ich hæ¤tte nicht geglaubt, daæŸ es mich so verdrieæŸen
kæ¶nnte. Es ist so schæ¶n zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weiæŸ nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
(Machiavell erscheint im Grunde.)
Regentin. Tretet næ¤her, Machiavell. Ich denke hier æ¼ber den Brief
meines Bruders.
Machiavell. Ich darf wissen, was er enthæ¤lt?
Regentin. So viel zæ¤rtliche Aufmerksamkeit fæ¼r mich als Sorgfalt fæ¼r
seine Staaten. Er ræ¼hmt die Standhaftigkeit, den FleiæŸ und die Treue,
womit ich bisher fæ¼r die Rechte seiner Majestæ¤t in diesen Landen gewacht
habe. Er bedauert mich, daæŸ mir das unbæ¤ndige Volk so viel zu schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen æ¼berzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens so auæŸerordentlich zufrieden, daæŸ ich fast
sagen muæŸ, der Brief ist fæ¼r einen Kæ¶nig zu schæ¶n geschrieben, fæ¼r
einen Bruder gewiæŸ.
Machiavell. Es ist nicht das erstemal, daæŸ er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
Regentin. Aber das erstemal, daæŸ es rednerische Figur ist.
Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
Regentin. Ihr werdet. - Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne
Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine æ¼ble Figur
spielen! Wir hæ¤tten, sagt er, unrecht getan, auf die Klagen der Einwohner
unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er, die
dem Bæ¼rger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, groæŸe
Spræ¼nge zu machen.
Machiavell. Es wæ¼rde die Gemæ¼ter æ¤uæŸerst aufbringen.
Regentin. Der Kæ¶nig meint aber, hæ¶rst du? - Er meint, daæŸ ein
tæ¼chtiger General, so einer, der gar keine Ræ¤son annimmt, gar bald mit
Volk und Adel, Bæ¼rgern und Bauern fertig werden kæ¶nne; - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
Machiavell. Alba?
Regentin. Du wunderst dich?
Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
Regentin. Der Kæ¶nig fragt nicht; er schickt.
Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten
haben.
Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
Machiavell. Ich mæ¶cht' Euch nicht vorgreifen.
Regentin. Und ich mæ¶chte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als daæŸ
er fæ¶rmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretæ¤r aufsetzt.
Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie mæ¶chten's gern
gesæ¤ubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O mir ist's, als
wenn ich den Kæ¶nig und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sæ¤he.
Machiavell. So lebhaft?
Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so erfahren und mæ¤æŸig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen læ¤æŸt, der gerade Alonzo, der fleiæŸige Freneda, der
feste Las Vargas, und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei
mæ¤chtig wird. Da sitzt aber der hohlæ¤ugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zæ¤hnen von Weibergæ¼te,
unzeitigem Nachgeben und daæŸ Frauen wohl von zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und solche Spæ¤æŸe,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhæ¶ren mæ¼ssen.
Machiavell. Ihr habt zu dem Gemæ¤lde einen guten Farbentopf gewæ¤hlt.
Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus
der ich allenfalls malen kæ¶nnte, ist kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie Albas Gesichtsfarbe und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist bei
ihm gleich ein Gotteslæ¤sterer, ein Majestæ¤tsschæ¤nder: denn aus diesem
Kapitel kann man sie alle sogleich ræ¤dern, pfæ¤hlen, vierteilen und
verbrennen. - Das Gute, was ich hier getan habe, sieht gewiæŸ in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hæ¤ngt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird dem
Kæ¶nige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkæ¼hnheit, daæŸ er
sich vorstellt, sie fræ¤æŸen sich hier einander auf, wenn eine flæ¼chtig
voræ¼bergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da faæŸt er einen recht herzlichen HaæŸ auf die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wæ¤hnt, so bæ¤ndige man Menschen.
Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich bin in
Staatsgeschæ¤ften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen
verdræ¤ngt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen. - Erst wird er eine
Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich
greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine
geheime Instruktion vorschæ¼tzen; wenn ich sie sehen will, wird er mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was anders enthæ¤lt; und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er, was ich fæ¼rchte, getan, und was
ich wæ¼nsche, weit abwæ¤rts gelenkt haben.
Machiavell. Ich wollt', ich kæ¶nnt' Euch widersprechen.
Regentin. Was ich mit unsæ¤glicher Geduld beruhigte, wird er durch
Hæ¤rte und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und æ¼berdies noch seine Schuld zu tragen haben.
Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
Regentin. So viel Gewalt hab ich æ¼ber mich, um stille zu sein. LaæŸ
ihn kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich
verdræ¤ngt.
Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's
hergebracht hat, daæŸ jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand
liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste
gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz
behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt und
genieæŸt.
Klæ¤rchens Wohnung
Klæ¤rchen. Mutter.
Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab ich nie gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
Klæ¤rchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen
summend).
Glæ¼cklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tæ¤test, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
Klæ¤rchen (singt).
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betræ¼bt -
Glæ¼cklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter. LaæŸ das Heiopopeia.
Klæ¤rchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein kræ¤ftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein groæŸes Kind damit schlafen gewiegt.
Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergæ¤æŸest du
nur nicht alles æ¼ber das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glæ¼cklich machen.
Klæ¤rchen. Er?
Mutter. O ja! es kommt eine Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus und
æ¼berhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schæ¶ne Liebe, alles hat
sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo
unterkriechen kann.
Klæ¤rchen (schaudert, schweigt und fæ¤hrt auf). Mutter, laæŸt die Zeit
kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn wir mæ¼ssen - dann - wollen wir uns gebæ¤rden, wie wir kæ¶nnen -
Egmont, ich dich entbehren! - (In Træ¤nen.) Nein, es ist nicht mæ¶glich,
nicht mæ¶glich.
Egmont (in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedræ¼ckt).
Klæ¤rchen!
Klæ¤rchen (tut einen Schrei, fæ¤hrt zuræ¼ck). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Sæ¼æŸer!
Kommst du? bist du da!
Egmont. Guten Abend, Mutter.
Mutter. Gott græ¼æŸ' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daæŸ Ihr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet
und gesungen.
Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hæ¤tten.
Klæ¤rchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
Mutter. Schmal genug.
Klæ¤rchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen groæŸen Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
Egmont. Meinst du?
Klæ¤rchen (stampft mit dem FuæŸe und kehrt sich unwillig um).
Egmont. Wie ist dir?
Klæ¤rchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen KuæŸ
angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein
Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
Egmont. Zuzeiten, Liebchen, zuzeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer
steht und dem Feinde etwas ablisten mæ¶chte, da nimmt er sich zusammen,
faæŸt sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein
Liebhaber -
Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich
muæŸ in die Kæ¼che; Klæ¤rchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr mæ¼æŸt
fæ¼rliebnehmen.
Egmont. Euer guter Wille ist die beste Wæ¼rze. (Mutter ab.)
Klæ¤rchen. Und was wæ¤re denn meine Liebe?
Egmont. So viel du willst.
Klæ¤rchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
Egmont. Zuvæ¶rderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem
præ¤chtigen Kleide da.)
Klæ¤rchen. O je!
Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
Klæ¤rchen. LaæŸt! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zuræ¼ck.) Wie
præ¤chtig! Da darf ich Euch nicht anræ¼hren.
Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu
kommen.
Klæ¤rchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
Egmont. Da siehst du's nun.
Klæ¤rchen. Das hat dir der Kaiser umgehæ¤ngt?
Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie træ¤gt, die
edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter æ¼ber meine
Handlungen als den GroæŸmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
Klæ¤rchen. O du dæ¼rftest die ganze Welt æ¼ber dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weiæŸ nicht, wo man anfangen soll.
Egmont. Sieh dich nur satt.
Klæ¤rchen. Und das Goldne Vlies! Ihr erzæ¤hltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles GroæŸen und Kostbaren, was man mit Mæ¼h und
FleiæŸ verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
Egmont. Was willst du sagen?
Klæ¤rchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
Egmont. Wieso?
Klæ¤rchen. Ich habe sie nicht mit Mæ¼h und FleiæŸ erworben, nicht
verdient.
Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich
nicht darum bewirbst - und die Leute erhalten sie auch meist allein, die
nicht darnach jagen.
Klæ¤rchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze
Anmerkung æ¼ber dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
Egmont. Hæ¤tt' ich nur etwas fæ¼r sie getan! kæ¶nnt' ich etwas fæ¼r sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
Klæ¤rchen. Du warst gewiæŸ heute bei der Regentin?
Egmont. Ich war bei ihr.
Klæ¤rchen. Bist du gut mit ihr?
Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und
dienstlich.
Klæ¤rchen. Und im Herzen?
Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das tut
nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sæ¤he
tief genug, wenn sie auch nicht argwæ¶hnisch wæ¤re. Ich mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht, und ich
keine habe.
Klæ¤rchen. So gar keine?
Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den Fæ¤ssern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere
Unterhaltung fæ¼r sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, daæŸ er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht sie immer nach
seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohl
richten mæ¶chte.
Klæ¤rchen. Verstellt sie sich?
Egmont. Regentin, und du fragst?
Klæ¤rchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
Egmont. Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten
erreichen will.
Klæ¤rchen. Ich kæ¶nnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen mæ¤nnlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Næ¤hterinnen und
Kæ¶chinnen. Sie ist groæŸ, herzhaft, entschlossen.
Egmont. Ja, wenn's nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein
wenig aus der Fassung.
Klæ¤rchen. Wieso?
Egmont. Sie hat auch ein Bæ¤rtchen auf der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
Klæ¤rchen. Eine majestæ¤tische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu
treten.
Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wæ¤re auch nicht Furcht,
nur jungfræ¤uliche Scham.
Klæ¤rchen (schlæ¤gt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
Egmont. Ich verstehe dich! liebes Mæ¤dchen! du darfst die Augen
aufschlagen. (Er kæ¼æŸt ihre Augen.)
Klæ¤rchen. LaæŸ mich schweigen! LaæŸ mich dich halten. LaæŸ mich dir in
die Augen sehen; alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und
Kummer. (Sie umarmt ihn und sieht ihn an.) Sag mir! Sage! ich begreife
nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? der groæŸe Egmont, der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hæ¤ngen?
Egmont. Nein, Klæ¤rchen, das bin ich nicht.
Klæ¤rchen. Wie?
Egmont. Siehst du, Klæ¤rchen! - LaæŸ mich sitzen! (Er setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel, legt ihr Arme auf seinen SchoæŸ und sieht
ihn an.) Jener Egmont ist ein verdrieæŸlicher, steifer, kalter Egmont, der
an sich halten, bald dieses bald jenes Gesicht machen muæŸ; geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute fæ¼r froh und fræ¶hlich halten;
geliebt von einem Volke, das nicht weiæŸ, was es will; geehrt und in die
Hæ¶he getragen von einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht æ¼berlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm auf alle Weise beikommen mæ¶chten; arbeitend und sich bemæ¼hend, oft
ohne Zweck meist ohne Lohn - O laæŸ mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, Klæ¤rchen, der ist ruhig, offen, glæ¼cklich,
geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit
voller Liebe und Zutrauen an das seine dræ¼ckt. (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
Klæ¤rchen. So laæŸ mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
Vierter Aufzug
StraæŸe
Jetter. Zimmermeister.
Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
Zimmermeister. Nichts, als daæŸ uns von Neuem zu reden verboten ist.
Jetter. Wie?
Zimmermeister. Tretet hier ans Haus an. Hæ¼tet Euch! Der Herzog von
Alba hat gleich bei seiner Ankunft einen Befehl ausgehen lassen, dadurch
zwei oder drei, die auf der StraæŸe zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklæ¤rt sind.
Jetter. O weh!
Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
Jetter. O unsre Freiheit!
Zimmermeister. Und bei Todesstrafe soll niemand die Handlungen der
Regierung miæŸbilligen.
Jetter. O unsre Kæ¶pfe!
Zimmermeister. Und mit groæŸem Versprechen werden Væ¤ter, Mæ¼tter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
Jetter. Gehn wir nach Hause.
Zimmermeister. Und den Folgsamen ist versprochen, daæŸ sie weder an
Leibe, noch Ehre, noch Vermæ¶gen einige Kræ¤nkung erdulden sollen.
Jetter. Wie gnæ¤dig! War mir's doch gleich weh, wie der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wæ¤re der Himmel mit einem schwarzen
Flor æ¼berzogen und hinge so tief herunter, daæŸ man sich bæ¼cken mæ¼sse, um
nicht dran zu stoæŸen.
Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
Jetter. Pfui! Es schnæ¼rt einem das Herz ein, wenn man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel ihrer sind. Und wenn sie auf der Schildwache stehen und du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und sieht so steif und mæ¼rrisch aus, daæŸ du auf allen Ecken einen
Zuchtmeister zu sehen glaubst. Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch ein lustig Volk; sie nahmen sich was heraus, standen mit
ausgegræ¤tschten Beinen da, hatten den Hut æ¼berm Ohr, lebten und lieæŸen
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
Zimmermeister. Wenn so einer ruft. Ñ»Halt!Ñ« und anschlæ¤gt, meinst du,
man hielte?
Jetter. Ich wæ¤re gleich des Todes.
Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Freunde! Genossen!
Zimmermeister. Still! LaæŸt uns gehen.
Soest. WiæŸt ihr?
Jetter. Nur zu viel!
Soest. Die Regentin ist weg.
Jetter. Nun gnad' uns Gott!
Zimmermeister. Die hielt uns noch.
Soest. Auf einmal und in der Stille. Sie konnte sich mit dem Herzog
nicht vertragen; sie lieæŸ dem Adel melden, sie komme wieder. Niemand
glaubt's.
Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, daæŸ er uns diese neue GeiæŸel
æ¼ber den Hals gelassen hat. Sie hæ¤tten es abwenden kæ¶nnen. Unsre
Privilegien sind hin.
Jetter. Um Gottes willen nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
Soest. Oranien ist auch weg.
Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
Soest. Graf Egmont ist noch da.
Jetter. Gott sei Dank! Stæ¤rken ihn alle Heiligen, daæŸ er sein Bestes
tut; der ist allein was vermæ¶gend.
(Vansen tritt auf.)
Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fæ¼rbaæŸ.
Vansen. Ihr seid nicht hæ¶flich.
Zimmermeister. Es ist gar keine Zeit zu Komplimenten. Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
Vansen. Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schlæ¤ge
was gegeben hæ¤tte, wæ¤re sein Tage nichts aus mir geworden.
Jetter. Es kann ernstlicher werden.
Vansen. Ihr spæ¼rt von dem Gewitter, das aufsteigt, eine erbæ¤rmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
Zimmermeister. Deine Glieder werden sich bald woanders eine Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
Vansen. Armselige Mæ¤use, die gleich verzweifeln, wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein biæŸchen anders; aber wir treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
Vansen. Gevatter Tropf! LaæŸ du den Herzog nur gewæ¤hren. Der alte
Kater sieht aus, als wenn er Teufel statt Mæ¤use gefressen hæ¤tte und
kæ¶nnte sie nun nicht verdauen. LaæŸt ihn nur erst; er muæŸ auch essen,
trinken, schlafen wie andere Menschen. Es ist mir nicht bange, wenn wir
unsere Zeit recht nehmen. Im Anfange geht's rasch; nachher wird er auch
finden, daæŸ in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mæ¤uschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
Zimmermeister. Was so einem Menschen alles durchgeht! Wenn ich in
meinem Leben so etwas gesagt hæ¤tte, hielt' ich mich keine Minute fæ¼r
sicher.
Vansen. Seid nur ruhig! Gott im Himmel erfæ¤hrt nichts von euch
Wæ¼rmern, geschweige der Regent.
Jetter. Læ¤stermaul!
Vansen. Ich weiæŸ andere, denen es besser wæ¤re, sie hæ¤tten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
Jetter. Egmont! Was soll der fæ¼rchten?
Vansen. Ich bin ein armer Teufel und kæ¶nnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch kæ¶nnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen Jahres geben, wenn er meinen Kopf auf eine Viertelstunde
hæ¤tte.
Jetter. Du denkst dich was Rechts. Egmonts Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
Vansen. Redt Ihr! Aber nicht feiner. Die Herren betriegen sich am
ersten. Er sollte nicht trauen.
Jetter. Was er schwæ¤tzt! So ein Herr!
Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
Jetter. Ungewaschen Maul!
Vansen. Dem wollt' ich Eure Courage nur eine Stunde in die Glieder
wæ¼nschen, daæŸ sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte und juckte,
bis er aus der Stadt mæ¼æŸte.
Jetter. Ihr redet recht unverstæ¤ndig; er ist so sicher wie der Stern
am Himmel.
Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
Vansen. Wer will? Willst du's etwa hindern? Willst du einen Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
Jetter. Ah!
Vansen. Wollt ihr eure Rippen fæ¼r ihn wagen?
Soest. Eh!
Vansen (sie nachæ¤ffend). Ih! Oh! Uh! Verwundert euch durchs ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
Jetter. Ich erschrecke æ¼ber Eure Unverschæ¤mtheit. So ein edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befæ¼rchten haben?
Vansen. Der Schelm sitzt æ¼berall im Vorteil. Auf dem
Armensæ¼nderstæ¼hlchen hat er den Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten mit Lust zum Verbrecher. Ich habe so ein Protokoll
abzuschreiben gehabt, wo der Kommissarius schwer Lob und Geld vom Hofe
erhielt, weil er einen ehrlichen Teufel, an den man wollte, zum Schelmen
verhæ¶rt hatte.
Zimmermeister. Das ist wieder frisch gelogen. Was wollen sie denn
heraus verhæ¶ren, wenn einer unschuldig ist?
Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhæ¶ren ist, da verhæ¶rt man
hinein. Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine Unschuld, wie sie's
heiæŸen, und sagt alles geradezu, was ein Verstæ¤ndiger verbæ¤rge. Dann
macht der Inquisitor aus den Antworten wieder Fragen und paæŸt ja auf, wo
irgendein Widerspræ¼chelchen erscheinen will; da knæ¼pft er seinen Strick
an, und læ¤æŸt sich der dumme Teufel betreten, daæŸ er hier etwas zu viel,
dort etwas zu wenig gesagt oder wohl gar aus Gott weiæŸ was fæ¼r einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch wohl irgend an einem Ende sich
hat schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich versichre
euch, mit mehr Sorgfalt suchen die Bettelweiber nicht die Lumpen aus dem
Kehricht, als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verræ¼ckten, verdræ¼ckten, geschlossenen, bekannten, geleugneten Anzeigen
und Umstæ¤nden sich endlich einen strohlumpenen Vogelscheu
zusammenkæ¼nstelt, um wenigstens seinen Inquisiten in effigie hæ¤ngen zu
kæ¶nnen. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hæ¤ngen
sehen.
Jetter. Der hat eine gelæ¤ufige Zunge.
Zimmermeister. Mit Fliegen mag das angehen. Die Wespen lachen Eures
Gespinstes.
Vansen. Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange Herzog hat euch so
ein rein Ansehn von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbæ¤uchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfæ¼æŸigen, schmalleibigen, die vom FraæŸe
nicht feist wird und recht dæ¼nne Fæ¤den zieht, aber desto zæ¤here.
Jetter. Egmont ist Ritter des Goldnen Vlieses; wer darf Hand an ihn
legen? Nur von seinesgleichen kann er gerichtet werden, nur vom gesamten
Orden. Dein loses Maul, dein bæ¶ses Gewissen verfæ¼hren dich zu solchem
Geschwæ¤tz.
Vansen. Will ich ihm darum æ¼bel? Mir kann's recht sein. Es ist ein
trefflicher Herr. Ein paar meiner guten Freunde, die anderwæ¤rts schon
wæ¤ren gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schlæ¤ge verabschiedet.
Nun geht! Geht! Ich rat es euch selbst. Dort seh ich wieder eine Runde
antreten; die sehen nicht aus, als wenn sie so bald Bræ¼derschaft mit uns
trinken wæ¼rden. Wir wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich hab ein
paar Nichten und einen Gevatter Schenkwirt; wenn sie von denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wæ¶lfe.
Der Culenburgische Palast
Wohnung des Herzogs von Alba
Silva und Gomez begegnen einander.
Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
Gomez. Pæ¼nktlich. Alle tæ¤gliche Runden sind beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plæ¤tzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe;
sie gehen indes, wie gewæ¶hnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten.
Keiner weiæŸ von dem andern; jeder glaubt, der Befehl gehe ihn allein an,
und in einem Augenblick kann alsdann der Kordon gezogen und alle Zugæ¤nge
zum Palast kæ¶nnen besetzt sein. WeiæŸt du die Ursache dieses Befehls?
Silva. Ich bin gewohnt, blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht
sich's leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daæŸ er recht
befohlen hat?
Gomez. Gut! Gut! Auch scheint es mir kein Wunder, daæŸ du so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein muæŸt. Mir
kommt es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwæ¤tzen und
Ræ¤sonieren angewæ¶hnt. Ihr schweigt alle und laæŸt es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir einem ehrnen Turm ohne Pforte, wozu die Besatzung
Flæ¼gel hæ¤tte. Neulich hæ¶rt' ich ihn bei Tafel von einem frohen
freundlichen Menschen sagen: er sei wie eine schlechte Schenke mit einem
ausgesteckten Branntweinzeichen, um Mæ¼æŸiggæ¤nger, Bettler und Diebe
hereinzulocken.
Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergefæ¼hrt?
Gomez. Dagegen ist nichts zu sagen. GewiæŸ! Wer Zeuge seiner Klugheit
war, wie er die Armee aus Italien hierher brachte, der hat etwas gesehen.
Wie er sich durch Freund und Feind, durch die Franzosen, Kæ¶niglichen und
Ketzer, durch die Schweizer und Verbundnen gleichsam durchschmiegte, die
strengste Mannszucht hielt und einen Zug, den man so gefæ¤hrlich achtete,
leicht und ohne AnstoæŸ zu leiten wuæŸte! - Wir haben was gesehen, was
lernen kæ¶nnen.
Silva. Auch hier! Ist nicht alles still und ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wæ¤re?
Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
Silva. In den Provinzen ist es viel ruhiger geworden; und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Kæ¶nigs gewinnen.
Silva. Und uns bleibt nichts angelegener, als uns die seinige zu
erhalten. Wenn der Kæ¶nig hieherkommt, bleibt gewiæŸ der Herzog und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
Gomez. Glaubst du, daæŸ der Kæ¶nig kommt?
Silva. Es werden so viele Anstalten gemacht, daæŸ es hæ¶chst
wahrscheinlich ist.
Gomez. Mich æ¼berreden sie nicht.
Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Kæ¶nigs Absicht ja
nicht sein sollte zu kommen, so ist sie's doch wenigstens gewiæŸ, daæŸ man
es glauben soll.
(Ferdinand, Albas natæ¼rlicher Sohn.)
Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
Silva. Wir warten auf ihn.
Ferdinand. Die Fæ¼rsten werden bald hier sein.
Gomez. Kommen sie heute?
Ferdinand. Oranien und Egmont.
Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
Silva. So behalt es fæ¼r dich.
(Herzog von Alba. - Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zuræ¼ck.)
Alba. Gomez.
Gomez (tritt vor). Herr!
Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
Gomez. Aufs genaueste. Die tæ¤glichen Runden -
Alba. Genug. Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie zusammenziehen, die Zugæ¤nge nach dem Palast besetzen
sollst. Das æ¼brige weiæŸt du.
Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
Alba. Silva!
Silva. Hier bin ich.
Alba. Alles, was ich von jeher an dir geschæ¤tzt habe, Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausfæ¼hren, das zeige heut.
Silva. Ich danke Euch, daæŸ Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen, daæŸ
ich der alte bin.
Alba. Sobald die Fæ¼rsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich,
Egmonts Geheimschreiber gefangenzunehmen. Du hast alle Anstalten gemacht,
die æ¼brigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
Silva. Vertraue auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pæ¼nktlich und schrecklich treffen.
Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva. Alle; den Egmont vor andern. Er ist der einzige, der, seit du
hier bist, sein Betragen nicht geæ¤ndert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere, ladet Gæ¤ste, ist immer lustig und unterhaltend bei Tafel,
wæ¼rfelt, schieæŸt und schleicht nachts zum Liebchen. Die andern haben
dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht; sie bleiben bei
sich; vor ihrer Tæ¼re sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wæ¤re.
Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
Silva. Ich stelle sie. Auf deinen Befehl æ¼berhæ¤ufen wir sie mit
dienstfertigen Ehren. Ihnen graut's; politisch geben sie uns einen
æ¤ngstlichen Dank, fæ¼hlen, das Ræ¤tlichste sei, zu entfliehen, keiner wagt
einen Schritt, sie zaudern, kæ¶nnen sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
Kæ¼hnes zu tun, hæ¤lt sie der Gemeingeist ab. Sie mæ¶chten gern sich jedem
Verdacht entziehen und machen sich immer verdæ¤chtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgefæ¼hrt.
Alba. Ich freue mich nur æ¼ber das Geschehene; und auch æ¼ber das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch æ¼brig, was uns zu denken und zu sorgen
gibt. Das Glæ¼ck ist eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswæ¼rdige zu
adeln und wohlæ¼berlegte Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fæ¼rsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die StraæŸen zu
besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die æ¼brigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, daæŸ er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dæ¼rfen.
(Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt.
Ich fæ¼rchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die still und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der Fæ¼rsten und
vieler Tausende wæ¤gen. Langsam wankt das Zæ¼nglein auf und ab; tief
scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
(Alba mit Ferdinand hervortretend.)
Alba. Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand. Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum
Zeitvertreib, straæŸauf, straæŸab. Eure wohlverteilten Wachen halten die
Furcht so angespannt, daæŸ sie sich nicht zu lispeln untersteht. Die Stadt
sieht einem Felde æ¤hnlich, wenn das Gewitter von weitem leuchtet; man
erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte
schlæ¼pft.
Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir græ¼æŸten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben muæŸte. Ñ»LaæŸt uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!Ñ« rief er mir entgegen. Er
werde mich noch heute wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
Alba. Er wird dich wiedersehn.
Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier kenne, gefæ¤llt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig behutsam; immer erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie unbedingt in die Arme
lieferte. Zu mancher gefæ¤hrlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
Alba. Ich vergebe deinem jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen,
diese unachtsame Fræ¶hlichkeit. Nur vergiæŸ nicht, zu welchem Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben mæ¶chte.
Ferdinand. Erinnert mich, und schont mich nicht, wo Ihr es næ¶tig
haltet.
Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
Ferdinand. Mein Vater!
Alba. Die Fæ¼rsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
MiæŸtrauen, daæŸ ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
Ferdinand. Was sinnst du?
Alba. Es ist beschlossen, sie festzuhalten. - Du erstaunst! Was du zu
tun hast, hæ¶re; die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine Zeit, sie auszulegen. Mit dir allein wæ¼nscht' ich das
Græ¶æŸte, das Geheimste zu besprechen; ein starkes Band hæ¤lt uns
zusammengefesselt; du bist mir wert und lieb; auf dich mæ¶cht' ich alles
hæ¤ufen. Nicht die Gewohnheit zu gehorchen allein mæ¶cht' ich dir
einpræ¤gen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszufæ¼hren, wæ¼nscht'
ich in dir fortzupflanzen; dir ein groæŸes Erbteil, dem Kæ¶nige den
brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit dem Besten, was ich habe,
auszustatten, daæŸ du dich nicht schæ¤men dæ¼rfest, unter deine Bræ¼der zu
treten.
Ferdinand. Was werd ich dir nicht fæ¼r diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
Alba. Nun hæ¶re, was zu tun ist. Sobald die Fæ¼rsten eingetreten sind,
wird jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen, Egmonts Schreiber mit den Verdæ¤chtigsten gefangenzunehmen. Du
hæ¤ltst die Wache am Tore und in den Hæ¶fen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese Zimmer hier neben mit den sichersten Leuten; dann warte auf
der Galerie, bis Silva wiederkommt, und bringe mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, daæŸ sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte Egmont hier, als ob ich
ihm noch was zu sagen hæ¤tte. Am Ende der Galerie fordre Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefæ¤hrlichsten Mann; und ich fasse
Egmont hier.
Ferdinand. Ich gehorche, mein Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste groæŸe Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
Alba. Sagt' es der Bote?
Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
Alba. Aus dir spricht mein bæ¶ser Genius. (Nachdem er den Brief
gelesen, winkt er beiden, und sie ziehen sich in die Galerie zuræ¼ck. Er
bleibt allein auf dem Vorderteile.) Er kommt nicht! Bis auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklæ¤ren. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug zu sein! -
Es ræ¼ckt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein groæŸes Werk
ist getan oder versæ¤umt, unwiederbringlich versæ¤umt; denn es ist weder
nachzuholen, noch zu verheimlichen. Læ¤ngst hatt' ich alles reiflich
abgewogen, und mir auch diesen Fall gedacht, mir festgesetzt, was auch in
diesem Falle zu tun sei; und jetzt, da es zu tun ist, wehr ich mir kaum,
daæŸ nicht das Fæ¼r und Wider mir aufs neue durch die Seele schwankt. -
Ist's ræ¤tlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und laæŸ Egmont mit den Seinigen, mit so vielen entschlæ¼pfen, die nun,
vielleicht nur heute noch, in meinen Hæ¤nden sind? So zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie groæŸ, wie schæ¶n der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens bist du zwischen zwei æœbel gestellt; wie in
einen Lostopf greifst du in die dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch
zugerollt, dir unbewuæŸt, sei's Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie einer, der etwas hæ¶rt, und tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und vor dem Geiste mit dem blanken Schwert, der an der Pforte dich
empfæ¤ngt? - Steig ab! - So bist du mit dem einen FuæŸ im Grab! und so mit
beiden! - ja streichl' es nur und klopfe fæ¼r seinen mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In der Verblendung,
wie hier Egmont naht, kann er dir nicht zum zweitenmal sich liefern! -
Hæ¶rt!
(Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
Alba. Ihr tut, was ich befahl; ich æ¤ndre meinen Willen nicht. Ich
halte, wie es gehn will, Egmont auf, bis du mir von Silva die Nachricht
gebracht hast. Dann bleib in der Næ¤he. Auch dir raubt das Geschick das
groæŸe Verdienst, des Kæ¶nigs græ¶æŸten Feind mit eigener Hand gefangen zu
haben. (Zu Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.) Geh ihm entgegen. (Alba bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Ich komme, die Befehle des Kæ¶nigs zu vernehmen, zu hæ¶ren,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
Alba. Er wæ¼nscht vor allen Dingen Euern Rat zu hæ¶ren.
Egmont. æœber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
Alba. Mir tut es leid, daæŸ er uns eben in dieser wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wæ¼nscht der Kæ¶nig, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr werdet kræ¤ftig mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen væ¶llig und dauerhaft zu græ¼nden.
Egmont. Ihr kæ¶nnt besser wissen als ich, daæŸ schon alles genug
beruhigt ist, ja, noch mehr beruhigt war, eh die Erscheinung der neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die Gemæ¼ter bewegte.
Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Ræ¤tlichste sei gewesen, wenn
der Kæ¶nig mich gar nicht in den Fall gesetzt hæ¤tte, Euch zu fragen.
Egmont. Verzeiht! Ob der Kæ¶nig das Heer hæ¤tte schicken sollen, ob
nicht vielmehr die Macht seiner majestæ¤tischen Gegenwart allein stæ¤rker
gewirkt hæ¤tte, ist meine Sache nicht zu beurteilen. Das Heer ist da, er
nicht. Wir aber mæ¼æŸten sehr undankbar, sehr vergessen sein, wenn wir uns
nicht erinnerten, was wir der Regentin schuldig sind. Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als tapferes Betragen die Aufræ¼hrer mit Gewalt
und Ansehn, mit æœberredung und List zur Ruhe und fæ¼hrte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zuræ¼ck.
Alba. Ich leugne es nicht. Der Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zuræ¼ckgebannt. Aber hæ¤ngt es nicht von eines
jeden Willkæ¼r ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die Macht, sie abzuhalten? Wer bæ¼rgt uns, daæŸ sie sich ferner treu
und untertæ¤nig zeigen werden? Ihr guter Wille ist alles Pfand, das wir
haben.
Egmont. Und ist der gute Wille eines Volks nicht das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein Kæ¶nig sicherer halten, als wenn
sie alle fæ¼r einen, einer fæ¼r alle stehn? Sicherer gegen innere und
æ¤uæŸere Feinde?
Alba. Wir werden uns doch nicht æ¼berreden sollen, daæŸ es jetzt hier
so steht?
Egmont. Der Kæ¶nig schreibe einen Generalpardon aus, er beruhige die
Gemæ¼ter; und bald wird man sehen, wie Treue und Liebe mit dem Zutrauen
wieder zuræ¼ckkehrt.
Alba. Und jeder, der die Majestæ¤t des Kæ¶nigs, der das Heiligtum der
Religion geschæ¤ndet, ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, daæŸ ungeheure Verbrechen straflos sind?
Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo GewiæŸheit ist, daæŸ die æœbel nicht wiederkehren werden? Waren Kæ¶nige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine Beleidigung ihrer Wæ¼rde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie nicht eben deswegen Gott gleich gehalten, der viel zu groæŸ ist, als
daæŸ an ihn jede Læ¤sterung reichen sollte?
Alba. Und eben darum soll der Kæ¶nig fæ¼r die Wæ¼rde Gottes und der
Religion, wir sollen fæ¼r das Ansehn des Kæ¶nigs streiten. Was der obere
abzulehnen verschmæ¤ht, ist unsere Pflicht zu ræ¤chen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
Egmont. Glaubst du, daæŸ du sie alle erreichen wirst? Hæ¶rt man nicht
tæ¤glich, daæŸ die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande treibt? Die
Reichsten werden ihre Gæ¼ter, sich, ihre Kinder und Freunde flæ¼chten; der
Arme wird seine næ¼tzlichen Hæ¤nde dem Nachbar zubringen.
Alba. Sie werden, wenn man sie nicht verhindern kann. Darum verlangt
der Kæ¶nig Rat und Tat von jedem Fæ¼rsten, Ernst von jedem Statthalter;
nicht nur Erzæ¤hlung, wie es ist, was werden kæ¶nnte, wenn man alles gehen
lieæŸe, wie's geht. Einem groæŸen æœbel zusehen, sich mit Hoffnung
schmeicheln, der Zeit vertrauen, etwa einmal dreinschlagen, wie im
Fastnachtsspiel, daæŸ es klatscht und man doch etwas zu tun scheint, wenn
man nichts tun mæ¶chte, heiæŸt das nicht, sich verdæ¤chtig machen, als sehe
man dem Aufruhr mit Vergnæ¼gen zu, den man nicht erregen, wohl aber hegen
mæ¶chte!
Egmont (im Begriff aufzufahren, nimmt sich zusammen und spricht nach
einer kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist offenbar, und manches
Mannes Absicht ist zu miæŸdeuten. MuæŸ man doch auch von allen Seiten
hæ¶ren: es sei des Kæ¶nigs Absicht weniger, die Provinzen nach einfæ¶rmigen
und klaren Gesetzen zu regieren, die Majestæ¤t der Religion zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer alten Rechte zu berauben, sich Meister von ihren
Besitztæ¼mern zu machen, die schæ¶nen Rechte des Adels einzuschræ¤nken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen mag. Die
Religion, sagt man, sei nur ein præ¤chtiger Teppich, hinter dem man jeden
gefæ¤hrlichen Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf den
Knien, betet die heiligen gewirkten Zeichen an, und hinten lauscht der
Vogelsteller, der sie beræ¼cken will.
Alba. Das muæŸ ich von dir hæ¶ren?
Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von GroæŸen
und von Kleinen, Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet wird. Die
Niederlæ¤nder fæ¼rchten ein doppeltes Joch, und wer bæ¼rgt ihnen fæ¼r ihre
Freiheit?
Alba. Freiheit? Ein schæ¶nes Wort, wer's recht verstæ¤nde. Was wollen
sie fæ¼r Freiheit? Was ist des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun! - und
daran wird sie der Kæ¶nig nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden kæ¶nnen. Wæ¤re es nicht
besser, abzudanken, als ein solches Volk zu regieren? Wenn auswæ¤rtige
Feinde dræ¤ngen, an die kein Bæ¼rger denkt, der mit dem Næ¤chsten nur
beschæ¤ftigt ist, und der Kæ¶nig verlangt Beistand: dann werden sie uneins
unter sich, und verschwæ¶ren sich gleichsam mit ihren Feinden. Weit besser
ist's, sie einzuengen, daæŸ man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten kann. Glaube nur, ein Volk wird nicht alt, nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
Egmont. Wie selten kommt ein Kæ¶nig zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an den Blicken seines Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst æ¼berlassen ist.
Egmont. Und darum niemand gern sich selbst æ¼berlassen mæ¶chte. Man
tue, was man will; ich habe auf deine Frage geantwortet und wiederhole: Es
geht nicht! Es kann nicht gehen! Ich kenne meine Landsleute. Es sind
Mæ¤nner, wert, Gottes Boden zu betreten; ein jeder rund fæ¼r sich, ein
kleiner Kæ¶nig, fest, ræ¼hrig, fæ¤hig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's, ihr Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und fest! Zu
dræ¼cken sind sie; nicht zu unterdræ¼cken.
Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Kæ¶nigs Gegenwart wiederholen?
Egmont. Desto schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser fæ¼r ihn, fæ¼r sein Volk, wenn er mir Mut machte, wenn er mir
Zutrauen einflæ¶æŸte, noch weit mehr zu sagen.
Alba. Was næ¼tzlich ist, kann ich hæ¶ren wie er.
Egmont. Ich wæ¼rde ihm sagen: Leicht kann der Hirt eine ganze Herde
Schafe vor sich hintreiben, der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber dem edeln Pferde, das du reiten willst, muæŸt du seine Gedanken
ablernen, du muæŸt nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen. Darum
wæ¼nscht der Bæ¼rger seine alte Verfassung zu behalten, von seinen
Landsleuten regiert zu sein, weil er weiæŸ, wie er gefæ¼hrt wird, weil er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
veræ¤ndern? und sollte nicht eben dies sein schæ¶nstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser Welt? und sollte eine Staatseinrichtung bleiben
kæ¶nnen? MuæŸ nicht in einer Zeitfolge jedes Verhæ¤ltnis sich veræ¤ndern und
eben darum eine alte Verfassung die Ursache von tausend æœbeln werden, weil
sie den gegenwæ¤rtigen Zustand des Volkes nicht umfaæŸt? Ich fæ¼rchte, diese
alten Rechte sind darum so angenehm, weil sie Schlupfwinkel bilden, in
welchen der Kluge, der Mæ¤chtige, zum Schaden des Volks, zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
Egmont. Und diese willkæ¼rlichen Veræ¤nderungen, diese unbeschræ¤nkten
Eingriffe der hæ¶chsten Gewalt, sind sie nicht Vorboten, daæŸ einer tun
will, was Tausende nicht tun sollen? Er will sich allein frei machen, um
jeden seiner Wæ¼nsche befriedigen, jeden seiner Gedanken ausfæ¼hren zu
kæ¶nnen. Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen Kæ¶nige, ganz vertrauten,
sagt er uns fæ¼r seine Nachkommen gut? daæŸ keiner ohne Ræ¼cksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von væ¶lliger Willkæ¼r, wenn
er uns seine Diener, seine Næ¤chsten sendet, die ohne Kenntnis des Landes
und seiner Bedæ¼rfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natæ¼rlicher,
als daæŸ ein Kæ¶nig durch sich zu herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am liebsten auftræ¤gt, die ihn am besten verstehen, verstehen wollen, die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
Egmont. Und ebenso natæ¼rlich ist's, daæŸ der Bæ¼rger von dem regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefaæŸt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
Alba. Und doch hat der Adel mit diesen seinen Bræ¼dern sehr ungleich
geteilt.
Egmont. Das ist vor Jahrhunderten geschehen und wird jetzt ohne Neid
geduldet. Wæ¼rden aber neue Menschen ohne Not gesendet, die sich zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sæ¤he man sich einer
strengen, kæ¼hnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wæ¼rde eine Gæ¤rung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflæ¶ste.
Alba. Du sagst mir, was ich nicht hæ¶ren sollte: auch ich bin fremd.
Egmont. DaæŸ ich dir's sage, zeigt dir, daæŸ ich dich nicht meine.
Alba. Und auch so wæ¼nscht' ich es nicht von dir zu hæ¶ren. Der Kæ¶nig
sandte mich mit Hoffnung, daæŸ ich hier den Beistand des Adels finden
wæ¼rde. Der Kæ¶nig will seinen Willen. Der Kæ¶nig hat nach tiefer
æœberlegung gesehen, was dem Volke frommt; es kann nicht bleiben und gehen
wie bisher. Des Kæ¶nigs Absicht ist, sie selbst zu ihrem eignen Besten
einzuschræ¤nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muæŸ, ihnen aufzudringen, die
schæ¤dlichen Bæ¼rger aufzuopfern, damit die æ¼brigen Ruhe finden, des
Glæ¼cks einer weisen Regierung genieæŸen kæ¶nnen. Dies ist sein EntschluæŸ;
diesen dem Adel kundzumachen habe ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
Egmont. Leider rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volkes, die
allgemeine Furcht! So hat er denn beschlossen, was kein Fæ¼rst beschlieæŸen
sollte. Die Kraft seines Volks, ihr Gemæ¼t, den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwæ¤chen, niederdræ¼cken, zerstæ¶ren, um sie bequem
regieren zu kæ¶nnen. Er will den innern Kern ihrer Eigenheit verderben;
gewiæŸ in der Absicht, sie glæ¼cklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit sie etwas werden, ein ander Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird sie miæŸgeleitet! Nicht dem Kæ¶nige widersetzt man sich; man stellt
sich nur dem Kæ¶nige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglæ¼cklichen Schritte macht.
Alba. Wie du gesinnt bist, scheint es ein vergeblicher Versuch, uns
vereinigen zu wollen. Du denkst gering vom Kæ¶nige und veræ¤chtlich von
seinen Ræ¤ten, wenn du zweifelst, das alles sei nicht schon gedacht,
gepræ¼ft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Fæ¼r und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bæ¼rgen dieser unbedingten Pflicht.
Egmont. Fordre unsre Hæ¤upter, so ist es auf einmal getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich sein. Umsonst hab ich so viel gesprochen: die Luft hab
ich erschæ¼ttert, weiter nichts gewonnen.
(Ferdinand kommt.)
Ferdinand. Verzeiht, daæŸ ich Euer Gespræ¤ch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen æœberbringer die Antwort dringend macht.
Alba. Erlaubt mir, daæŸ ich sehe, was er enthæ¤lt. (Tritt an die
Seite.)
Ferdinand (zu Egmont). Es ist ein schæ¶nes Pferd, das Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
Egmont. Es ist nicht das schlimmste. Ich hab es schon eine Weile; ich
denk es wegzugeben. Wenn es Euch gefæ¤llt, so werden wir vielleicht des
Handels einig.
Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
(Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zuræ¼ckzieht.)
Egmont. Lebt wohl! EntlaæŸt mich: denn ich wæ¼æŸte, bei Gott! nicht
mehr zu sagen.
Alba. Glæ¼cklich hat dich der Zufall verhindert, deinen Sinn noch
weiter zu verraten. Unvorsichtig entwickelst du die Falten deines Herzens
und klagst dich selbst weit strenger an, als ein Widersacher gehæ¤ssig tun
kæ¶nnte.
Egmont. Dieser Vorwurf ræ¼hrt mich nicht; ich kenne mich selbst genug
und weiæŸ, wie ich dem Kæ¶nig angehæ¶re; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst sich selber dienen. Ungern scheid ich aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt zu sehen, und wæ¼nsche nur, daæŸ uns der Dienst des Herrn, das
Wohl des Landes bald vereinigen mæ¶ge. Es wirkt vielleicht ein wiederholtes
Gespræ¤ch, die Gegenwart der æ¼brigen Fæ¼rsten, die heute fehlen, in einem
glæ¼cklichern Augenblick, was heut unmæ¶glich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
Alba (der zugleich seinem Sohn Ferdinand ein Zeichen gibt). Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
(Die Mitteltæ¼r æ¶ffnet sich: man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
Egmont (der staunend eine Weile geschwiegen). Dies war die Absicht?
Dazu hast du mich berufen? (Nach dem Degen greifend, als wenn er sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
Alba. Der Kæ¶nig befiehlt's, du bist mein Gefangener.
(Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
Egmont (nach einer Stille). Der Kæ¶nig? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit æ¶fter des Kæ¶nigs
Sache verteidigt, als diese Brust beschæ¼tzt.
(Er geht durch die Mitteltæ¼r ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fæ¤llt.)
Fæ¼nfter Aufzug
StraæŸe
Dæ¤mmerung
Klæ¤rchen. Brackenburg. Bæ¼rger.
Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
Klæ¤rchen. Komm mit, Brackenburg! Du muæŸt die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiæŸ. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fæ¼hlt,
ich schwæ¶r es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von
einem kostbaren Leben abzuwenden und dem Freiesten die Freiheit
wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind! und daæŸ sein
mæ¤chtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhæ¤lt, wissen sie. Um
seinet- und ihretwillen mæ¼ssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum
hæ¶chsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mæ¼he wert ist, wenn er
umkommt.
Brackenburg. Unglæ¼ckliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
Klæ¤rchen. Sie scheint mir nicht unæ¼berwindlich. LaæŸ uns nicht lang
vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern
Mæ¤nnern! Hæ¶rt, Freunde! Nachbarn, hæ¶rt! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
Zimmermeister. Was will das Kind? LaæŸ sie schweigen,
Klæ¤rchen. Tretet næ¤her, daæŸ wir sachte reden, bis wir einig sind und
stæ¤rker. Wir dæ¼rfen nicht einen Augenblick versæ¤umen! Die freche
Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dæ¤mmerung werd ich æ¤ngstlicher.
Ich fæ¼rchte diese Nacht! Kommt! wir wollen uns teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier zu Quartier rufen wir die Bæ¼rger heraus. Ein jeder greife zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom
reiæŸt einen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und
æ¼berschwemmt, und sind erdræ¼ckt. Was kann uns eine Handvoll Knechte
widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt zuræ¼ck, sieht sich befreit und
kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief verschuldet worden. Er
sieht vielleicht - gewiæŸ er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
Zimmermeister. Wie ist dir, Mæ¤dchen?
Klæ¤rchen. Kæ¶nnt ihr mich miæŸverstehn? Vom Grafen sprech ich! Ich
spreche von Egmont.
Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tæ¶dlich.
Klæ¤rchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn
nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr træ¤umt; besinnt euch. Seht
mich nicht so starr und æ¤ngstlich an! Blickt nicht schæ¼chtern hie und da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wæ¼nscht. Ist meine Stimme nicht
eures Herzens eigne Stimme? Wer wæ¼rfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er
sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Knie, ihn mit ernstlichem
Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: ѻEgmonts Freiheit oder den Tod!ѫ
Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglæ¼ck.
Klæ¤rchen. Bleibt! Bleibt, und dræ¼ckt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem ihr euch sonst so froh entgegendræ¤ngtet! - Wenn der Ruf ihn
ankæ¼ndigte, wenn es hieæŸ: Ñ»Egmont kommt! Er kommt von Gent!Ñ« da hielten
die Bewohner der StraæŸen sich glæ¼cklich, durch die er reiten muæŸte. Und
wenn ihr seine Pferde schallen hæ¶rtet, warf jeder seine Arbeit hin, und
æ¼ber die bekæ¼mmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure Kinder auf der Tæ¼rschwelle in die Hæ¶he und deutetet ihnen:
Ñ»Sieh, das ist Egmont, der Græ¶æŸte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr
bessere Zeiten, als eure armen Væ¤ter lebten, einst zu erwarten habt.Ñ«
LaæŸt eure Kinder nicht dereinst euch fragen: Ñ»Wo ist er hin? Wo sind die
Zeiten hin, die ihr verspracht?Ñ« - Und so wechseln wir Worte! sind mæ¼æŸig,
verraten ihn.
Soest. Schæ¤mt Euch, Brackenburg! LaæŸt sie nicht gewæ¤hren! Steuert
dem Unheil!
Brackenburg. Liebes Klæ¤rchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter
sagen? Vielleicht -
Klæ¤rchen. Meinst du, ich sei ein Kind oder wahnsinnig? Was kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen GewiæŸheit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr sollt mich hæ¶ren und ihr werdet: denn ich seh's, ihr
seid bestæ¼rzt und kæ¶nnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden.
LaæŸt durch die gegenwæ¤rtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene
dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Kæ¶nnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde geht? Mit seinem Atem flieht
der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch? Fæ¼r wen æ¼bergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fæ¼r euch. Die
groæŸe Seele, die euch alle trug, beschræ¤nkt ein Kerker, und Schauer
tæ¼ckischen Mordes schweben um sie her. Er denkt vielleicht an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfæ¼llen gewohnt war.
Zimmermeister. Gevatter, kommt.
Klæ¤rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark wie ihr; doch hab ich,
was euch allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Kæ¶nnt' euch mein
Atem doch entzæ¼nden! kæ¶nnt' ich an meinen Busen dræ¼ckend euch erwæ¤rmen
und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos
ein edles Heer von Kriegern wehend anfæ¼hrt, so soll mein Geist um eure
Hæ¤upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fæ¼rchterlichen Heer vereinigen.
Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bæ¼rger ab.)
Brackenburg. Klæ¤rchen! siehst du nicht, wo wir sind?
Klæ¤rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wæ¶lben
schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie
herausgesehn, vier, fæ¼nf Kæ¶pfe æ¼bereinander; an diesen Tæ¼ren haben sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O ich hatte sie so
lieb, wie sie ihn ehrten! Wæ¤re er Tyrann gewesen, mæ¶chten sie immer vor
seinem Falle seitwæ¤rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hæ¤nde, die ihr
an die Mæ¼tzen grifft, zum Schwert kæ¶nnt ihr nicht greifen - Brackenburg,
und wir? - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun sie fæ¼r ihn? - List hat in der Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte SchloæŸ. Es ist nichts unmæ¶glich, gib mir einen
Anschlag.
Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
Klæ¤rchen. Gut.
Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laæŸ doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen. Hæ¤ltst du mich fæ¼r feig? Glaubst du
nicht, daæŸ ich um deinetwillen sterben kæ¶nnte? Hier sind wir beide toll,
ich so gut wie du. Siehst du nicht das Unmæ¶gliche? Wenn du dich faæŸtest!
Du bist auæŸer dir.
Klæ¤rchen. AuæŸer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid auæŸer euch.
Da ihr laut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hæ¶her
als euch allen. Jetzt schlæ¤gt mir's wieder hæ¶her als euch allen! Ihr
verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fæ¼hlt nicht, daæŸ ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
Brackenburg. Komm nach Hause.
Klæ¤rchen. Nach Hause?
Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die StraæŸen,
die du nur sonntæ¤glich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche
gingst, wo du æ¼bertrieben ehrbar zæ¼rntest, wenn ich mit einem freundlichen
græ¼æŸenden Wort mich zu dir gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
Klæ¤rchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach
Hause! WeiæŸt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)
Gefæ¤ngnis,
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
Egmont (allein). Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich
auch wie die æ¼brigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies
Haupt herunter und kæ¼hltest wie ein schæ¶ner Myrtenkranz der Liebe meine
Schlæ¤fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge des Lebens, ruht' ich leicht
atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stæ¼rme durch
Zweige und Blæ¤tter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb
innerst doch der Kern des Herzens ungeregt. Was schæ¼ttelt dich nun? was
erschæ¼ttert den festen treuen Sinn? Ich fæ¼hl's, es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer durchfæ¤hrt mich. Ja, sie æ¼berwindet, die verræ¤terische Gewalt;
sie untergræ¤bt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stæ¼rzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen
dir vom Haupte weggewiesen, warum vermagst du nicht die Ahnung zu
verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der Tod dir fæ¼rchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den æ¼brigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist
er's nicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust wetteifernd sich
entgegensehnt; der Kerker ist's, des Grabes Vorbild, dem Helden wie dem
Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinem gepolsterten
Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fæ¼rsten, was leicht zu
entscheiden war, mit wiederkehrenden Gespræ¤chen æ¼berlegten, und zwischen
dæ¼stern Wæ¤nden eines Saals die Balken der Decke mich erdræ¼ckten. Da eilt'
ich fort, sobald es mæ¶glich war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehæ¶ren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede næ¤chste Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle Segen der
Gestirne uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der
Beræ¼hrung unsrer Mutter kræ¤ftiger uns in die Hæ¶he reiæŸen; wo wir die
Menschheit ganz und menschliche Begier in allen Adern fæ¼hlen; wo das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu besitzen, zu erobern, durch die Seele des jungen Jæ¤gers glæ¼ht; wo der
Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaæŸt
und in fæ¼rchterlicher Freiheit wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glæ¼cks, das ich so lang
besessen; wo hat dich das Geschick verræ¤terisch hingefæ¼hrt? Versagt es
dir, den nie gescheuten Tod im Angesicht der Sonne rasch zu gæ¶nnen, um dir
des Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der FuæŸ. -
O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, laæŸ ab! - Seit
wann ist Egmont denn allein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hæ¼lflos, nicht das Glæ¼ck. Ist die Gerechtigkeit des Kæ¶nigs, der
du lebenslang vertrautest, ist der Regentin Freundschaft, die fast (du
darfst es dir gestehn), fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein
glæ¤nzend Feuerbild der Nacht, verschwunden? und lassen dich allein auf
dunkelm Pfad zuræ¼ck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln und mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
O haltet, Mauern, die ihr mich einschlieæŸt, so vieler Geister
wohlgemeintes Dræ¤ngen nicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen
sonst sich æ¼ber sie ergoæŸ, der kehre nun aus ihren Herzen in meines
wieder. O ja, sie ræ¼hren sich zu Tausenden! sie kommen! stehen mir zur
Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh ich sie
nach Lanz und Schwertern greifen. Die Tore spalten sich, die Gitter
springen, die Mauer stæ¼rzt von ihren Hæ¤nden ein, und der Freiheit des
einbrechenden Tages steigt Egmont fræ¶hlich entgegen. Wie manch bekannt
Gesicht empfæ¤ngt mich jauchzend! Ach Klæ¤rchen, wæ¤rst du Mann; so sæ¤h'
ich dich gewiæŸ auch hier zuerst und dankte dir, was einem Kæ¶nige zu danken
hart ist, Freiheit.
Klæ¤rchens Haus
Klæ¤rchen (kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hæ¶rt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster setzen, daæŸ er sieht, ich wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? Entsetzliche GewiæŸheit! -
Egmont verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der Kæ¶nig verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien zaudert, und alle seine Freunde! - - Ist dies die Welt, von deren
Wankelmut, Unzuverlæ¤ssigkeit ich viel gehæ¶rt und nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt? - Wer wæ¤re bæ¶s genug, den Teuern anzufeinden? Wæ¤re
Bosheit mæ¤chtig genug, den allgemein Erkannten schnell zu stæ¼rzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich faæŸt, die Hand aus. Du hæ¼lflos und ich frei! - Hier
ist der Schlæ¼ssel zu meiner Tæ¼r. An meiner Willkæ¼r hæ¤ngt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - - O bindet mich, damit ich nicht
verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker, daæŸ ich das Haupt an
feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, træ¤ume, wie ich ihm helfen
wollte, wenn Fesseln mich nicht læ¤hmten, wie ich ihm helfen wæ¼rde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewuæŸt, nicht fæ¤hig, ein Glied nach seiner Hæ¼lfe zu ræ¼hren. Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klæ¤rchen, ist wie du gefangen
und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten Kræ¤fte. - Ich hæ¶re
schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender guter Mann, dein
Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen æ¶ffnet dir die
næ¤chtliche Tæ¼r, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
(Brackenburg tritt auf.)
Klæ¤rchen. Du kommst so bleich und schæ¼chtern, Brackenburg! was ist's?
Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren such ich dich auf. Die groæŸen
StraæŸen sind besetzt; durch Gæ¤æŸchen und durch Winkel hab ich mich zu dir
gestohlen.
Klæ¤rchen. Erzæ¤hl, wie ist's?
Brackenburg (indem er sich setzt). Ach Klæ¤re, laæŸ mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide heræ¼ber. Ich hab ihn nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich. In Schmerzen floæŸ mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
Klæ¤rchen. VergiæŸ das, Brackenburg! VergiæŸ dich selbst. Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
Brackenburg. Er ist's! ich weiæŸ es ganz genau.
Klæ¤rchen. Und lebt noch?
Brackenburg. Ja, er lebt noch.
Klæ¤rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht den Herrlichen! vor allen Augen verborgen flieæŸt sein Blut.
æ„ngstlich im Schlafe liegt das betæ¤ubte Volk und træ¤umt von Rettung,
træ¤umt ihres ohnmæ¤chtigen Wunsches Erfæ¼llung; indes unwillig æ¼ber uns
sein Geist die Welt verlæ¤æŸt. Er ist dahin! - Tæ¤usche mich nicht! dich
nicht!
Brackenburg. Nein gewiæŸ, er lebt! - Und leider, es bereitet der
Spanier dem Volke, das er zertreten will, ein fæ¼rchterliches Schauspiel,
gewaltsam jedes Herz, das nach der Freiheit sich regt, auf ewig zu
zerknirschen.
Klæ¤rchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurteil aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon næ¤her und næ¤her, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon heræ¼ber. Sag an.
Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald dorten fielen, daæŸ auf dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis
zubereitet werde. Ich schlich durch Seitenwege, durch bekannte Gæ¤nge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte. - Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schæ¤rfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes
Geræ¼st entgegen, geræ¤umig hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschæ¤ftig
waren viele rings umher bemæ¼ht, was noch von Holzwerk weiæŸ und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch einhæ¼llend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie
zuletzt auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines
græ¤æŸlichen Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weiæŸes Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich
sah, und sah die schreckliche GewiæŸheit immer gewisser. Noch wankten
Fackeln hie und da herum; allmæ¤hlich wichen sie und erloschen. Auf einmal
war die scheuæŸliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter SchoæŸ zuræ¼ckgekehrt.
Klæ¤rchen. Still, Brackenburg! Nun still! LaæŸ diese Hæ¼lle auf meiner
Seele ruhn. Verschwunden sind die Gespenster, und du, holde Nacht, leih
deinen Mantel der Erde, die in sich gæ¤rt; sie træ¤gt nicht læ¤nger die
abscheuliche Last, reiæŸt ihre tiefen Spalten grausend auf und knirscht das
Mordgeræ¼st hinunter. Und irgendeinen Engel sendet der Gott, den sie zum
Zeugen ihrer Wut geschæ¤ndet; vor des Boten heiliger Beræ¼hrung læ¶sen sich
Riegel und Bande, und er umgieæŸt den Freund mit mildem Schimmer; er fæ¼hrt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft und still. Und auch mein Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
Klæ¤rchen. Leise, Lieber, daæŸ niemand erwache! daæŸ wir uns selbst
nicht wecken! Kennst du dies Flæ¤schchen, Brackenburg? Ich nahm dir's
scherzend, als du mit æ¼bereiltem Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun,
mein Freund -
Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
Klæ¤rchen. Du hinderst nichts. Tod ist mein Teil! und gæ¶nne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest. Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte eræ¶ffne, aus der kein Ræ¼ckweg ist,
kæ¶nnt' ich mit diesem Hæ¤ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wæ¤hlt' ich, seine
Stelle zu ersetzen. Es widersprach dein Herz und quæ¤lte sich und mich,
verlangtest heiæŸ und immer heiæŸer, was dir nicht beschieden war. Vergib
mir und leb wohl! LaæŸ mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen in sich faæŸt. Nimm die letzte schæ¶ne Blume der Scheidenden mit
treuem Herzen ab - nimm diesen KuæŸ - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
Brackenburg. So laæŸ mich mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulæ¶schen.
Klæ¤rchen. Bleib! du sollst leben, du kannst leben. - Steh meiner
Mutter bei, die ohne dich in Armut sich verzehren wæ¼rde. Sei ihr, was ich
ihr nicht mehr sein kann; lebt zusammen und beweint mich. Beweint das
Vaterland und den, der es allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu
tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut
steht die Welt auf einmal still; es stockt ihr Kreislauf, und mein Puls
schlæ¤gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
Brackenburg. O lebe du mit uns, wie wir fæ¼r dich allein! Du tæ¶test
uns in dir, o leb und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn, und immer achtsam soll die Liebe den schæ¶nsten Trost in ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
Klæ¤rchen. Leise, Brackenburg! Du fæ¼hlst nicht, was du ræ¼hrst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
Brackenburg. Teile mit den Lebendigen die Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zuræ¼ck.
Klæ¤rchen. Ich hab æ¼berwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
Brackenburg. Du bist betæ¤ubt; gehæ¼llt in Nacht suchst du die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
Klæ¤rchen. Weh! æ¼ber dich Weh! Weh! Grausam zerreiæŸest du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja, er wird grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich
ziehn und wider Willen grauen! Furchtsam schaut der Bæ¼rger aus seinem
Fenster, die Nacht læ¤æŸt einen schwarzen Flecken zuræ¼ck; er schaut, und
fæ¼rchterlich wæ¤chst im Lichte das Mordgeræ¼st. Neu leidend wendet das
entweihte Gottesbild sein flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt sich
nicht hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
Træ¤ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlæ¤gt.
Halt! Halt! Nun ist es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sæ¤he sie sich um, und trinkt heimlich.)
Brackenburg. Klæ¤re! Klæ¤re!
Klæ¤rchen (geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist der
Rest! Ich locke dich nicht nach. Tu, was du darfst, leb wohl. Læ¶sche diese
Lampe still und ohne Zaudern, ich geh zur Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die Tæ¼r nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mæ¶rder scheinen willst. (Ab.)
Brackenburg. Sie læ¤æŸt mich zum letztenmale wie immer. O kæ¶nnte eine
Menschenseele fæ¼hlen, wie sie ein liebend Herz zerreiæŸen kann. Sie læ¤æŸt
mich stehn, mir selber æ¼berlassen; und Tod und Leben ist mir gleich
verhaæŸt. - Allein zu sterben! - Weint, ihr Liebenden! Kein hæ¤rter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie zieht mich nach und stæ¶æŸt ins Leben mich
zuræ¼ck. O Egmont, welch preiswæ¼rdig Los fæ¤llt dir! Sie geht voran; der
Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist dein, sie bringt den ganzen Himmel dir
entgegen! - Und soll ich folgen? wieder seitwæ¤rts stehn? den
unauslæ¶schlichen Neid in jene Wohnungen hinæ¼bertragen? - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr fæ¼r mich, und Hæ¶ll und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wæ¤re der Vernichtung Schreckenshand dem Unglæ¼ckseligen will kommen!
(Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unveræ¤ndert. Eine
Musik, Klæ¤rchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe, welche Brackenburg
auszulæ¶schen vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
Gefæ¤ngnis
Egmont liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlæ¼sseln, und die Tæ¼r tut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen folgt Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten.
Egmont fæ¤hrt aus dem Schlaf auf.)
Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schæ¼ttelt. Was kæ¼nden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum
diesen fæ¼rchterlichen Aufzug? Welchen Schreckenstraum kommt ihr der halb
erwachten Seele vorzulæ¼gen?
Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukæ¼ndigen.
Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
Egmont. So ziemt es euch und euerm schæ¤ndlichen Beginnen! In Nacht
gebræ¼tet und in Nacht vollfæ¼hrt. So mag diese freche Tat der
Ungerechtigkeit sich verbergen! - Tritt kæ¼hn hervor, der du das Schwert
verhæ¼llt unter dem Mantel træ¤gst; hier ist mein Haupt, das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
Silva. Du irrst! Was gerechte Richter beschlieæŸen, werden sie vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
Egmont. So æ¼bersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
Silva (nimmt einem Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und
liest's). Ñ»Im Namen des Kæ¶nigs, und kraft besonderer von Seiner Majestæ¤t
uns æ¼bertragenen Gewalt, alle seine Untertanen, wes Standes sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirѫ -
Egmont. Kann die der Kæ¶nig æ¼bertragen?
Silva. Ñ»Erkennen wir, nach vorgæ¤ngiger genauer, gesetzlicher
Untersuchung, dich Heinrich Grafen Egmont, Prinzen von Gaure, des
Hochverrats schuldig und sprechen das Urteil: daæŸ du mit der Fræ¼he des
einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf den Markt gefæ¼hrt und dort, vorm
Angesicht des Volks, zur Warnung aller Verræ¤ter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest. Gegeben Bræ¼ssel imÑ« (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, daæŸ sie der Zuhæ¶rer nicht versteht.)
ѻFerdinand, Herzog von Alba,
Vorsitzer des Gerichts der Zwæ¶lfe.Ñ«
Du weiæŸt nun dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
(Silva mit dem Gefolge geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln;
das Theater ist mæ¤æŸig erleuchtet.)
Egmont (hat eine Weile in sich versenkt stille gestanden und Silva,
ohne sich umzusehn, abgehen lassen. Er glaubt sich allein, und da er die
Augen aufhebt, erblickt er Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren? Willst
du noch etwa die willkommne Botschaft deinem Vater bringen, daæŸ ich
unmæ¤nnlich verzweifle? Geh! Sag ihm! Sag ihm, daæŸ er weder mich noch die
Welt belæ¼gt. Ihm, dem Ruhmsæ¼chtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise lispeln, dann laut und lauter sagen, und wenn er einst von diesem
Gipfel herabsteigt, werden tausend Stimmen es ihm entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die Wæ¼rde des Kæ¶nigs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daæŸ
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man seiner bedæ¼rfe. Und ich falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses,
seines kleinlichen Neides. Ja, ich weiæŸ es, und ich darf es sagen; der
Sterbende, der tæ¶dlich Verwundete kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
Schon damals, als wir noch jæ¼nger mit Wæ¼rfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer nach dem andern, von seiner Seite zu mir heræ¼bereilten, da
stand er grimmig, log Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die
æ„rgernis, mehr æ¼ber mein Glæ¼ck als æ¼ber seinen Verlust. Noch erinnere
ich mich des funkelnden Blicks, der verræ¤terischen Blæ¤sse, als wir an
einem æ¶ffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er forderte mich auf, und beide Nationen standen; die Spanier, die
Niederlæ¤nder wetteten und wæ¼nschten. Ich æ¼berwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter Freudenschrei der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun trifft mich sein GeschoæŸ. Sag ihm, daæŸ ich's weiæŸ, daæŸ ich ihn
kenne, daæŸ die Welt jede Siegszeichen verachtet, die ein kleiner Geist
erschleichend sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mæ¶glich ist, von
der Sitte des Vaters zu weichen, æ¼be beizeiten die Scham, indem du dich
fæ¼r den schæ¤mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mæ¶chtest.
Ferdinand. Ich hæ¶re dich an, ohne dich zu unterbrechen! Deine
Vorwæ¼rfe lasten wie Keulschlæ¤ge auf einem Helm; ich fæ¼hle die
Erschæ¼tterung, aber ich bin bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht; fæ¼hlbar ist mir allein der Schmerz, der mir den Busen zerreiæŸt.
Wehe mir! Wehe! Zu einem solchen Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was ræ¼hrt, was bekæ¼mmert dich? Ist
es eine spæ¤te Reue, daæŸ du der schæ¤ndlichen Verschwæ¶rung deinen Dienst
geliehen? Du bist so jung und hast ein glæ¼ckliches Ansehn. Du warst so
zutraulich, so freundlich gegen mich. Solang ich dich sah, war ich mit
deinem Vater versæ¶hnt. Und ebenso verstellt, verstellter als er, lockst du
mich in das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es auf
seine Gefahr tun; aber wer fæ¼rchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daæŸ ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fæ¼hle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, daæŸ ich erst spæ¤t, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten
erfuhr, daæŸ ich als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's, welche Meinung du von mir haben magst? Du bist
verloren; und ich Unglæ¼cklicher stehe nur da, um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir auf dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mæ¶rdern? Sage, rede!
Fæ¼r wen soll ich dich halten?
Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne dich in diesem Befehle. Du
kanntest mein Herz, meine Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer
zæ¤rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich
hierher. Diesen Mann am Rande des gæ¤hnenden Grabes, in der Gewalt eines
willkæ¼rlichen Todes zu sehen, zwingst du mich, daæŸ ich den tiefsten
Schmerz empfinde, daæŸ ich taub gegen alles Schicksal, daæŸ ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
Ferdinand. O daæŸ ich ein Weib wæ¤re! daæŸ man mir sagen kæ¶nnte: was
ræ¼hrt dich? was ficht dich an? Sage mir ein græ¶æŸeres, ein ungeheureres
æœbel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir danken,
ich will sagen: es war nichts.
Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
Ferdinand. LaæŸ diese Leidenschaft rasen, laæŸ mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich! Du verstehst mich nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
Egmont. Læ¶se mir das Geheimnis.
Ferdinand. Kein Geheimnis.
Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der
mir in meiner ersten Jugend gleich einem Stern des Himmels
entgegenleuchtete. Wie oft hab ich nach dir gehorcht, gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der Jæ¼ngling, des Jæ¼nglings der Mann. So bist du vor mir her
geschritten; immer vor, und ohne Neid sah ich dich vor, und schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und mein Herz flog dir entgegen. Dich hatt' ich mir bestimmt, und wæ¤hlte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun hofft' ich erst, mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich - Das ist nun alles weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
Egmont. Mein Freund, wenn es dir wohltun kann, so nimm die
Versicherung, daæŸ im ersten Augenblick mein Gemæ¼t dir entgegenkam. Und
hæ¶re mich. LaæŸ uns ein ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tæ¶ten?
Ferdinand. Er ist's.
Egmont. Dieses Urteil wæ¤re nicht ein leeres Schreckbild mich zu
æ¤ngstigen, durch Furcht und Drohung zu strafen: mich zu erniedrigen und
dann mit kæ¶niglicher Gnade mich wieder aufzuheben?
Ferdinand. Nein, ach leider nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst
mit dieser ausweichenden Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewiæŸ.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer gibt mir eine Hæ¼lfe, wer einen Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
Egmont. So hæ¶re mich. Wenn deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu
retten, wenn du die æœbermacht verabscheust, die mich gefesselt hæ¤lt, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst gewaltig - LaæŸ uns entfliehen! Ich kenne die Wege; die Mittel
kæ¶nnen dir nicht unbekannt sein. Nur diese Mauern, nur wenige Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. Læ¶se diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. GewiæŸ, der Kæ¶nig dankt dir dereinst meine Rettung. Jetzt
ist er æ¼berrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und die Majestæ¤t muæŸ das Geschehene billigen, wenn sie sich auch davor
entsetzet. Du denkst? O denke mir den Weg der Freiheit aus! Sprich, und
næ¤hre die Hoffnung der lebendigen Seele.
Ferdinand. Schweig! o schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine
Verzweiflung. Hier ist kein Ausweg, kein Rat, keine Flucht. - Das quæ¤lt
mich, das greift und faæŸt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiæŸ, wie
jeder Kæ¼hnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fæ¼hle mich mit dir
und mit allen andern gefesselt. Wæ¼rde ich klagen, hæ¤tte ich nicht alles
versucht? Zu seinen Fæ¼æŸen habe ich gelegen, geredet und gebeten. Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstæ¶ren.
Egmont. Und keine Rettung?
Ferdinand. Keine!
Egmont (mit dem FuæŸe stampfend). Keine Rettung! - - Sæ¼æŸes Leben!
schæ¶ne freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich
scheiden! So gelassen scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter dem
Geræ¤usch der Waffen, in der Zerstreuung des Getæ¼mmels gibst du mir ein
flæ¼chtiges Lebewohl; du nimmst keinen eiligen Abschied, verkæ¼rzest nicht
den Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine Schæ¶ne, deinen Wert recht lebhaft fæ¼hlen und dann
mich entschlossen losreiæŸen und sagen: Fahre hin!
Ferdinand Und ich soll daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern kæ¶nnen! O welche Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flæ¶sse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
Egmont. Fasse dich!
Ferdinand. Du kannst dich fassen, du kannst entsagen, den schweren
Schritt an der Hand der Notwendigkeit heldenmæ¤æŸig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du æ¼berwindest dich selbst und uns; du æ¼berstehst; ich æ¼berlebe
dich und mich selbst. Bei der Freude des Mahls hab ich mein Licht, im
Getæ¼mmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, træ¼b scheint
mir die Zukunft.
Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der fæ¼r mich die Todesschmerzen empfindet, fæ¼r mich
leidet, sieh mich in diesen Augenblicken an; du verlierst mich nicht. War
dir mein Leben ein Spiegel, in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut; an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein Gewissen mir sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich fræ¼her, fræ¼her, schon auf dem Sande von
Gravelingen hæ¤tte endigen kæ¶nnen. Ich hæ¶re auf zu leben; aber ich habe
gelebt. So leb auch du, mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den Tod
nicht.
Ferdinand. Du hæ¤ttest dich fæ¼r uns erhalten kæ¶nnen, erhalten sollen.
Du hast dich selber getæ¶tet. Oft hæ¶rt' ich, wenn kluge Mæ¤nner æ¼ber dich
sprachen, feindselige, wohlwollende, sie stritten lang æ¼ber deinen Wert;
doch endlich vereinigten sie sich, keiner wagt' es zu leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefæ¤hrlichen Weg. Wie oft wæ¼nscht' ich, dich
warnen zu kæ¶nnen! Hattest du denn keine Freunde?
Egmont. Ich war gewarnt.
Ferdinand. Und wie ich punktweise alle diese Beschuldigungen wieder in
der Anklage fand, und deine Antworten! Gut genug, dich zu entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
Egmont. Dies sei beiseite gelegt. Es glaubt der Mensch sein Leben zu
leiten, sich selbst zu fæ¼hren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem Schicksale gezogen. LaæŸ uns daræ¼ber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge fæ¼r dieses Land! doch auch
dafæ¼r wird gesorgt sein. Kann mein Blut fæ¼r viele flieæŸen, meinem Volke
Friede bringen, so flieæŸt es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt dem Menschen, nicht mehr zu græ¼beln, wo er nicht mehr wirken soll.
Kannst du die verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das kæ¶nnen? - Leb wohl!
Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
Egmont. LaæŸ meine Leute dir aufs beste empfohlen sein! Ich habe gute
Menschen zu Dienern; daæŸ sie nicht zerstreut, nicht unglæ¼cklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
Ferdinand. Er ist dir vorangegangen. Sie haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
Egmont. Arme Seele! - Noch eins, und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist gewaltsam beschæ¤ftigt, fordert die Natur zuletzt
doch unwiderstehlich ihre Rechte; und wie ein Kind, umwunden von der
Schlange, des erquickenden Schlafs genieæŸt, so legt der Mæ¼de sich noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen
weiten Weg zu wandern hæ¤tte. - Noch eins - Ich kenne ein Mæ¤dchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann; ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
Egmont. Derselbe.
Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
Egmont. Er weiæŸ ihre Wohnung; laæŸ dich von ihm fæ¼hren und lohn ihm
bis an sein Ende, daæŸ er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
Ferdinand. Ich gehe nicht.
Egmont (ihn nach der Tæ¼r dræ¤ngend). Leb wohl!
Ferdinand. O laæŸ mich noch!
Egmont. Freund, keinen Abschied.
(Er begleitet Ferdinanden bis an die Tæ¼r und reiæŸt sich dort von ihm
los. Ferdinand, betæ¤ubt, entfernt sich eilend.)
Egmont (allein). Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht, mir diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los und
der Schmerzen, der Furcht und jedes æ¤ngstlichen Gefæ¼hls. Sanft und
dringend fordert die Natur ihren letzten Zoll. Es ist vorbei, es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiæŸ auf meinem Lager wachend
hielt, das schlæ¤fert nun mit unbezwinglicher GewiæŸheit meine Sinnen ein.
(Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
Sæ¼æŸer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glæ¼ck ungebeten, unerfleht am
willigsten. Du læ¶sest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle
Bilder der Freude und des Schmerzes; ungehindert flieæŸt der Kreis innerer
Harmonien, und eingehæ¼llt in gefæ¤lligen Wahnsinn, versinken wir und hæ¶ren
auf zu sein.
(Er entschlæ¤ft; die Musik begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu eræ¶ffnen, eine glæ¤nzende Erscheinung zeigt
sich. Die Freiheit in himmlischem Gewande, von einer Klarheit umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat die Zæ¼ge von Klæ¤rchen und neigt sich gegen
den schlafenden Helden. Sie dræ¼ckt eine bedauernde Empfindung aus, sie
scheint ihn zu beklagen. Bald faæŸt sie sich, und mit aufmunternder Gebæ¤rde
zeigt sie ihm das Bæ¼ndel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heiæŸt ihn
froh sein, und indem sie ihm andeutet, daæŸ sein Tod den Provinzen die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie sie sich mit dem Kranze dem Haupte nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daæŸ er mit
dem Gesicht aufwæ¤rts gegen sie liegt. Sie hæ¤lt den Kranz æ¼ber seinem
Haupte schwebend: man hæ¶rt ganz von weitem eine kriegerische Musik von
Trommeln und Pfeifen: bei dem leisesten Laut derselben verschwindet die
Erscheinung. Der Schall wird stæ¤rker. Egmont erwacht; das Gefæ¤ngnis wird
vom Morgen mæ¤æŸig erhellt. Seine erste Bewegung ist, nach dem Haupte zu
greifen: er steht auf und sieht sich um, indem er die Hand auf dem Haupte
behæ¤lt.)
Verschwunden ist der Kranz! Du schæ¶nes Bild, das Licht des Tages hat
dich verscheuchet! Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden sæ¼æŸesten
Freuden meines Herzens. Die gæ¶ttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie die Gestalt; das reizende Mæ¤dchen kleidete sich in der Freundin
himmlisches Gewand. In einem ernsten Augenblick erscheinen sie vereinigt,
ernster als lieblich. Mit blutbefleckten Sohlen trat sie vor mir auf, die
wehenden Falten des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein Blut und vieler
Edeln Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch! Braves
Volk! Die Siegesgæ¶ttin fæ¼hrt dich an! Und wie das Meer durch eure Dæ¤mme
bricht, so brecht, so reiæŸt den Wall der Tyrannei zusammen und schwemmt
ersæ¤ufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaæŸt, weg!
(Trommeln næ¤her.)
Horch! Horch! Wie oft rief mich dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits und des Siegs! Wie munter traten die Gefæ¤hrten auf
der gefæ¤hrlichen, ræ¼hmlichen Bahn! Auch ich schreite einem ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe fæ¼r die Freiheit, fæ¼r die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
(Der Hintergrund wird mit einer Reihe spanischer Soldaten besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
Ja, fæ¼hrt sie nur zusammen! SchlieæŸt eure Reihen, ihr schreckt mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fæ¼hlen.
(Trommeln.)
Dich schlieæŸt der Feind von allen Seiten ein! Es blinken Schwerter;
Freunde, hæ¶hern Mut! Im Ræ¼cken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
(Auf die Wache zeigend.)
Und diese treibt ein hohles Wort des Herrschers, nicht ihr Gemæ¼t.
Schæ¼tzt eure Gæ¼ter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich
euch ein Beispiel gebe.
(Trommeln. Wie er auf die Wache los- und auf die Hintertæ¼r zugeht,
fæ¤llt der Vorhang: die Musik fæ¤llt ein und schlieæŸt mit einer
Siegessymphonie das Stæ¼ck.)
Last-modified: Fri, 24 Jan 2003 11:57:01 GMT