ben liegen, erschupft, willenlos. Aber wir werden
wieder mit vorwurts gezogen, willenlos und doch wahnsinnig wild und wutend,
wir wollen tuten, denn das dort sind unsere Todfeinde jetzt, ihre Gewehre
und Granaten sind gegen uns gerichtet, vernichten wir sie nicht, dann
vernichten sie uns!
Die braune Erde, die zerrissene, zerborstene braune Erde, fettig unter
den Sonnenstrahlen schimmernd, ist der Hintergrund rastlos dumpfen
Automatentunis, unser Keuchen ist das Abschnarren der Feder, die Lippen sind
trocken, der Kopf ist wuster als nach einer durchsoffenen Nacht - so taumeln
wir vorwurts, und in unsere durchsiebten, durchlucherten Seelen bohrt sich
quulend eindringlich das Bild der braunen Erde mit der fettigen Sonne und
den zuckenden und toten Soldaten, die da liegen, als mußte es so sein,
die nach unsern Beinen greifen und schreien, wuhrend wir uber sie
hinwegspringen.
Wir haben alles Gefuhl fureinander verloren, wir kennen uns kaum noch,
wenn das Bild des andern in unseren gejagten Blick fullt. Wir sind
gefuhllose Tote, die durch einen Trick, einen gefuhrlichen Zauber noch
laufen und tuten kunnen.
Ein junger Franzose bleibt zuruck, er wird erreicht, hebt die Hunde, in
einer hat er noch den Revolver - man weiß nicht, will er
schießen oder sich ergeben -, ein Spatenschlag spaltet ihm das
Gesicht. Ein zweiter sieht es und versucht, weiterzufluchten, ein Bajonett
zischt ihm in den Rucken. Er springt hoch, und die Arme ausgebreitet, den
Mund schreiend weit offen, taumelt er davon, in seinem Rucken schwankt das
Bajonett. Ein dritter wirft das Gewehr weg, kauert sich nieder, die Hunde
vor den Augen. Er bleibt zuruck mit einigen andern Gefangenen, um Verwundete
fortzutragen.
Plutzlich geraten wir in der Verfolgung an die feindlichen Stellungen.
Wir sind so dicht hinter den weichenden Gegnern, daß es uns
gelingt, fast gleichzeitig mit ihnen anzulangen. Dadurch haben wir wenig
Verluste. Ein Maschinengewehr klufft, wird aber durch eine Handgranate
erledigt. Immerhin haben die paar Sekunden fur funf Bauchschusse bei uns
ausgereicht. Kat schlugt einem der unverwundet gebliebenen
Maschinengewehrschutzen mit dem Kolben das Gesicht zu Brei. Die andern
erstechen wir, ehe sie ihre Handgranaten heraus haben. Dann saufen wir
durstig das Kuhlwasser aus.
uberall knacken Drahtzangen, poltern Bretter uber die Verhaue, springen
wir durch die schmalen Zugunge in die Gruben. Haie stußt einem
riesigen Franzosen seinen Spaten in den Hals und wirft die erste
Handgranate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr, dann ist
das gerade Stuck des Grabens vor uns leer. Schrug uber die Ecke zischt der
nuchste Wurf und schafft freie Bahn, im Vorbeilaufen fliegen geballte
Ladungen in die Unterstunde, die Erde ruckt, es kracht, dampft und stuhnt,
wir stolpern uber glitschige Fleischfetzen, uber weiche Kurper, ich falle in
einen zerrissenen Bauch, auf dem ein neues, sauberes Offizierskuppi liegt.
Das Gefecht stockt. Die Verbindung mit dem Feinde reißt ab. Da
wir uns hier nicht lange halten kunnen, werden wir unter dem Schutze unserer
Artillerie zuruckgenommen auf unsere Stellung. Kaum wissen wir es, als wir
in grußter Eile noch in die nuchsten Unterstunde sturzen, um von
Konserven an uns zu reißen, was wir gerade sehen, vor allem die
Buchsen mit Corned beef und Butter, ehe wir turmen.
Wir kommen gut zuruck. Es erfolgt vorluufig kein weiterer Angriff von
druben. uber eine Stunde liegen wir, keuchen und ruhen uns aus, ehe jemand
spricht. Wir sind so vullig ausgepumpt, daß wir trotz unseres starken
Hungers nicht an die Konserven denken. Erst allmuhlich werden wir wieder so
etwas wie Menschen.
Das Corned beef von druben ist an der ganzen Front beruhmt. Es ist
mitunter sogar der Hauptgrund zu einem uberraschenden Vorstoß von
unserer Seite, denn unsere Ernuhrung ist im allgemeinen schlecht; wir haben
stundig Hunger.
Insgesamt haben wir funf Buchsen geschnappt. Die Leute druben werden ja
verpflegt, das ist eine Pracht gegen uns Hungerleider mit unserer
Rubenmarmelade, das Fleisch steht da nur so herum, man braucht bloß
danach zu greifen. Haie hat außerdem ein dunnes franzusisches
Weißbrot erwischt und hinter sein Koppel geschoben wie einen Spaten.
An einer Ecke ist es ein bißchen blutig, doch das lußt sich
abschneiden.
Es ist ein Gluck, daß wir jetzt gut zu essen haben; wir werden
unsere Krufte noch brauchen. Sattessen ist ebenso wertvoll wie ein guter
Unterstand; deshalb sind wir so gierig danach, denn es kann uns das Leben
retten.
Tjaden hat noch zwei Feldflaschen Kognak erbeutet. Wir lassen sie
reihum gehen.
Der Abendsegen beginnt. Die Nacht kommt, aus den Trichtern steigen
Nebel. Es sieht aus, als wuren die Lucher von gespenstigen Geheimnissen
erfullt. Der weiße Dunst kriecht angstvoll umher, ehe er wagt, uber
den Rand hinwegzugleiten. Dann ziehen lange Streifen von Trichter zu
Trichter.
Es ist kuhl. Ich bin auf Posten und starre in die Dunkelheit. Mir ist
schwach zumute, wie immer nach einem Angriff, und deshalb wird es mir
schwer, mit meinen Gedanken allein zu sein. Es sind keine eigentlichen
Gedanken; es sind Erinnerungen, die mich in meiner Schwuche jetzt heimsuchen
und mich sonderbar stimmen.
Die Leuchtschirme gehen hoch - und ich sehe ein Bild, einen
Sommerabend, wo ich im Kreuzgang des Domes bin und auf hohe Rosenbusche
schaue, die in der Mitte des kleinen Kreuzgartens bluhen, in dem die
Domherren begraben werden. Rundum stehen die Steinbilder der Stationen des
Rosenkranzes. Niemand ist da; - eine große Stille hult dieses bluhende
Viereck umfangen, die Sonne liegt warm auf den dicken grauen Steinen, ich
lege meine Hand darauf und fuhle die Wurme. uber der rechten Ecke des
Schieferdaches strebt der grune Domturm in das matte, weiche Blau des
Abends. Zwischen den beglunzten kleinen Suulen der umlaufenden Kreuzgunge
ist das kuhle Dunkel, das nur Kirchen haben, und ich stehe dort und denke
daran, daß ich mit zwanzig Jahren die verwirrenden Dinge kennen werde,
die von den Frauen kommen.
Das Bild ist besturzend nahe, es ruhrt mich an, ehe es unter dem
Aufflammen der nuchsten Leuchtkugel zergeht.
Ich fasse mein Gewehr und rucke es zurecht. Der Lauf ist feucht, ich
lege meine Hand fest darum und zerreibe die Feuchtigkeit mit den Fingern.
Zwischen den Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine
Reihe von alten Pappeln. Sie waren weithin sichtbar, und obschon sie nur auf
einer Seite standen, hießen sie die Pappelallee. Schon als Kinder
hatten wir eine Vorliebe fur sie, unerklurlich zogen sie uns an, ganze Tage
verbrachten wir bei ihnen und honen ihrem leisen Rauschen zu. Wir
saßen unter ihnen am Ufer des Baches und ließen die Fuße
in die hellen, eiligen Wellen hungen. Der reine Duft des Wassers und die
Melodie des Windes in den Pappeln beherrschten unsere Phantasie. Wir liebten
sie sehr, und das Bild dieser Tage lußt mir jetzt noch das Herz
klopfen, ehe es wieder geht.
Es ist seltsam, daß alle Erinnerungen, die kommen, zwei
Eigenschaften haben. Sie sind immer voll Stille, das ist das Sturkste an
ihnen, und selbst dann, wenn sie es nicht in dem Maße in Wahrheit
waren, wirken sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir sprechen
mit Blicken und Geburden, wortlos und schweigend, - und ihr Schweigen ist
das Erschutternde, das mich zwingt, meinen urmel anzufassen und mein Gewehr,
um mich nicht vergehen zu lassen in dieser Auflusung und Lockung, in der
mein Kurper sich ausbreiten und sanft zerfließen muchte zu den stillen
Muchten hinter den Dingen.
Sie sind so still, weil das fur uns so unbegreiflich ist. An der Front
gibt es keine Stille, und der Bann der Front reicht so weit, daß wir
nie außerhalb von ihr sind. Auch in den zuruckgelegenen Depots und
Ruhequartieren bleibt das Summen und das gedumpfte Poltern des Feuers stets
in unseren Ohren. Wir sind nie so weit fort, daß wir es nicht mehr
huren. In diesen Tagen aber war es unertruglich.
Die Stille ist die Ursache dafur, daß die Bilder des Fruher nicht
so sehr Wunsche erwecken als Trauer - eine ungeheure, fassungslose
Schwermut. Sie waren - aber sie kehren nicht wieder. Sie sind vorbei, sie
sind eine andere Welt, die fur uns voruber ist. Auf den Kasernenhufen riefen
sie ein rebellisches, wildes Begehren hervor, da waren sie noch mit uns
verbunden, wir gehurten zu ihnen und sie zu uns, wenn wir auch getrennt
waren. Sie stiegen auf bei den Soldatenliedern, die wir sangen, wenn wir
zwischen Morgenrot und schwarzen Waldsilhouetten zum Exerzieren nach der
Heide marschierten, sie waren eine heftige Erinnerung, die in uns war und
aus uns kam.
Hier in den Gruben aber ist sie uns verlorengegangen. Sie steigt nicht
mehr aus uns auf; - wir sind tot, und sie steht fern am Horizont, sie ist
eine Erscheinung, ein rutselhafter Widerschein, der uns heimsucht, den wir
furchten und ohne Hoffnung lieben. Sie ist stark, und unser Begehren ist
stark - aber sie ist unerreichbar, und wir wissen es. Sie ist ebenso
vergeblich wie die Erwartung, General zu werden.
Und selbst wenn man sie uns wiedergube, diese Landschaft unserer
Jugend, wir wurden wenig mehr mit ihr anzufangen wissen. Die zarten und
geheimen Krufte, die von ihr zu uns gingen, kunnen nicht wiedererstehen. Wir
wurden in ihr sein und in ihr umgehen; wir wurden uns erinnern und sie
lieben und bewegt sein von ihrem Anblick. Aber es wure das gleiche, wie wenn
wir nachdenklich werden vor der Fotografie eines toten Kameraden; es sind
seine Zuge, es ist sein Gesicht, und die Tage, die wir mit ihm zusammen
waren, gewinnen ein trugerisches Leben in unserer Erinnerung; aber er ist es
nicht selbst.
Wir wurden nicht mehr verbunden sein mit ihr, wie wir es waren. Nicht
die Erkenntnis ihrer Schunheit und ihrer Stimmung hat uns ja angezogen,
sondern das Gemeinsame, dieses Gleichfuhlen einer Bruderschaft mit den
Dingen und Vorfullen unseres Seins, die uns abgrenzte und uns die Welt
unserer Eltern immer etwas unverstundlich machte; - denn wir waren irgendwie
immer zurtlich an sie verloren und hingegeben, und das Kleinste mundete uns
einmal immer in den Weg der Unendlichkeit. Vielleicht war es nur das
Vorrecht unserer Jugend - wir sahen noch keine Bezirke, und nirgendwo gaben
wir ein Ende zu; wir hatten die Erwartung des Blutes, die uns eins machte
mit dem Verlauf unserer Tage.
Heute wurden wir in der Landschaft unserer Jugend umhergehen wie
Reisende. Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie
Hundler und Notwendigkeiten wie Schluchter. Wir sind nicht mehr unbekummert
- wir sind furchterlich gleichgultig. Wir wurden da sein; aber wurden wir
leben?
Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh
und traurig und oberfluchlich - ich glaube, wir sind verloren.
Meine Hunde werden kalt, und meine Haut schauert; dabei ist es eine
warme Nacht. Nur der Nebel ist kuhl, dieser unheimliche Nebel, der die Toten
vor uns beschleicht und ihnen das letzte, verkrochene Leben aussaugt. Morgen
werden sie bleich und grun sein und ihr Blut gestockt und schwarz.
Immer noch steigen die Leuchtschirme empor und werfen ihr
erbarmungsloses Licht uber die versteinerte Landschaft, die voll Krater und
Lichtkulte ist wie ein Mond. Das Blut unter meiner Haut bringt Furcht und
Unruhe herauf in meine Gedanken. Sie werden schwach und zittern, sie wollen
Wurme und Leben. Sie kunnen es nicht aushaken ohne Trost und Tuuschung, sie
verwirren sich vor dem nackten Bilde der Verzweiflung.
Ich hure das Klappern von Kochgeschirren und habe sofort das heftige
Verlangen nach warmem Essen, es wird mir gut tun und mich beruhigen. Mit
Muhe zwinge ich mich, zu warten, bis ich abgelust werde.
Dann gehe ich in den Unterstand und finde einen Becher mit Graupen vor.
Sie sind fett gekocht und schmecken gut, ich esse sie langsam. Aber ich
bleibe still, obschon die andern besser gelaunt sind, weil das Feuer
eingeschlafen ist.
Die Tage gehen hin, und jede Stunde ist unbegreiflich und
selbstverstundlich. Die Angriffe wechseln mit Gegenangriffen, und langsam
huufen sich auf dem Trichterfeld zwischen den Grubern die Toten. Die
Verwundeten, die nicht sehr weit weg liegen, kunnen wir meistens holen.
Manche aber mussen lange liegen, und wir huren sie sterben.
Einen suchen wir vergeblich zwei Tage hindurch. Er muß auf dem
Bauche liegen und sich nicht mehr umdrehen kunnen. Anders ist es nicht zu
erkluren, daß wir ihn nicht finden; denn nur wenn man mit dem Munde
dicht auf dem Boden schreit, ist die Richtung so schwer festzustellen.
Er wird einen busen Schuß haben, eine dieser schlimmen
Verletzungen, die nicht so stark sind, daß sie den Kurper rasch derart
schwuchen, daß man halb betuubt verdummert, und auch nicht so leicht,
daß man die Schmerzen mit der Aussicht ertragen kann, wieder heil zu
werden. Kat meint, er hutte entweder eine Beckenzertrummerung oder einen
Wirbelsuulenschuß. Die Brust sei nicht verletzt, sonst besuße er
nicht so viel Kraft zum Schreien. Man mußte ihn bei einer anderen
Verletzung sich auch bewegen sehen.
Er wird allmuhlich heiser. Die Stimme ist so unglucklich im Klang,
daß sie uberall herkommen kunnte. In der ersten Nacht sind dreimal
Leute von uns draußen. Aber wenn sie glauben, die Richtung zu haben,
und schon hinkriechen, ist die Stimme beim nuchstenmal, wenn sie horchen,
wieder ganz anderswo.
Bis in die Dummerung hinein suchen wir vergeblich. Tagsuber wird das
Gelunde mit Glusern durchforscht; nichts ist zu entdecken. Am zweiten Tag
wird der Mann leiser; man merkt, daß die Lippen und der Mund
vertrocknet sind.
Unser Kompaniefuhrer hat dem, der ihn findet, Vorzugsurlaub und drei
Tage Zusatz versprochen. Das ist ein muchtiger Anreiz, aber wir wurden auch
ohne das tun, was muglich ist; denn das Rufen ist furchtbar. Kat und Kropp
gehen sogar nachmittags noch einmal vor. Albert wird das Ohrluppchen dabei
abgeschossen. Es ist umsonst, sie haben ihn nicht bei sich.
Dabei ist deutlich zu verstehen, was er ruft. Zuerst hat er immer nur
um Hilfe geschrien - in der zweiten Nacht muß er etwas Fieber haben,
er spricht mit seiner Frau und seinen Kindern, wir kunnen oft den Namen
Elise heraushuren. Heute weint er nur noch. Abends erlischt die Stimme zu
einem Kruchzen. Aber er stuhnt noch die ganze Nacht leise. Wir huren es so
genau, weil der Wind auf unsern Graben zusteht. Morgens, als wir schon
glauben, er habe lungst Ruhe, dringt noch einmal ein gurgelndes Rucheln
heruber -.
Die Tage sind heiß, und die Toten liegen unbeerdigt. Wir kunnen
sie nicht alle holen, wir wissen nicht, wohin wir mit ihnen sollen. Sie
werden von den Granaten beerdigt. Manchen treiben die Buuche auf wie
Ballons. Sie zischen, rulpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen.
Der Himmel ist blau und ohne Wolken. Abends wird es schwul, j und die
Hitze steigt aus der Erde. Wenn der Wind zu uns heruberweht, bringt er den
Blutdunst mit, der schwer und widerwurtig sußlich ist, diesen
Totenbrodem der Trichter, der aus Chloroform und Verwesung gemischt scheint
und uns ubelkeiten und Erbrechen verursacht.
Die Nuchte werden ruhig, und die Jagd auf die kupfernen Fuhrungsringe
der Granaten und die Seidenschirme der franzusischen Leuchtkugeln geht los.
Weshalb die Fuhrungsringe so begehrt sind, weiß eigentlich keiner
recht. Die Sammler behaupten einfach, sie seien wertvoll. Es gibt Leute, die
so viel davon mitschleppen, daß sie krumm und schief darunter gehen,
wenn wir abrucken.
Haie gibt wenigstens einen Grund an; er will sie seiner Braut als
Strumpfbunderersatz schicken. Daruber bricht bei den Friesen naturlich
unbundige Heiterkeit aus; sie schlagen sich auf die Knie, das ist ein Witz,
Donnerwetter, der Haie, der hat es hinter den Ohren. Besonders Tjaden kann
sich gar nicht fassen; er hat den grußten der Ringe in der Hand und
steckt alle Augenblicke sein Bein hindurch, um zu zeigen, wieviel da noch
frei ist. "Haie, Mensch, die muß ja Beine haben, Beine" - seine
Gedanken klettern etwas huher -, "und einen Hintern muß die dann ja
haben, wie - wie ein Elefant."
Er kann sich nicht genug tun. "Mit der muchte ich mal Schinkenkloppen
spielen, meine Fresse..."
Haie strahlt, weil seine Braut soviel Anerkennung findet, und
uußert selbstzufrieden und knapp: "Stramm isse!"
Die Seidenschirme sind praktischer zu verwerten. Drei oder vier ergeben
eine Bluse, je nach der Brustweite. Kropp und ich brauchen sie als
Taschentucher. Die andern schicken sie nach Hause. Wenn die Frauen sehen
kunnten, mit wieviel Gefahr diese dunnen Lappen oft geholt werden, wurden
sie einen schunen Schreck kriegen.
Kat uberrascht Tjaden, wie er von einem Blindgunger in aller Seelenruhe
die Ringe abzuklopfen versucht. Bei jedem andern wure das Ding explodiert,
Tjaden hat wie stets Gluck.
Einen ganzen Vormittag spielen zwei Schmetterlinge vor unserm Graben.
Es sind Zitronenfalter, ihre gelben Flugel haben rote Punkte. Was mag sie
nur hierher verschlagen haben; weit und breit ist keine Pflanze und keine
Blume. Sie ruhen sich auf den Zuhnen eines Schudels aus. Ebenso sorglos wie
sie sind die Vugel, die sich lungst an den Krieg gewuhnt haben. Jeden Morgen
steigen Lerchen zwischen der Front auf. Vor einem Jahr konnten wir sogar
brutende beobachten, die ihre Jungen auch hochbekamen.
Vor den Ratten haben wir Ruhe im Graben. Sie sind vorn - wir wissen,
wozu. Sie werden fett; wo wir eine sehen, knallen wir sie weg. Nachts huren
wir wieder das Rollen von druben. Tagsuber haben wir nur das normale Feuer,
so daß wir die Gruben ausbessern kunnen. Unterhaltung ist ebenfalls
da, die Flieger sorgen dafur. Tuglich finden zahlreiche Kumpfe ihr Publikum.
Die Kampfflieger lassen wir uns gefallen, aber die
Beobachtungsflugzeuge hassen wir wie die Pest; denn sie holen uns das
Artilleriefeuer heruber. Ein paar Minuten nachdem sie erscheinen, funkt es
von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an einem Tag,
darunter funf Sanituter. Zwei werden so zerschmettert, daß Tjaden
meint, man kunne sie mit dem Luffel von der Grabenwand abkratzen und im
Kochgeschirr beerdigen. Einem andern wird der Unterleib mit den Beinen
abgerissen. Er lehnt tot auf der Brust im Graben, sein Gesicht ist
zitronengelb, zwischen dem Vollbart glimmt noch die Zigarette. Sie glimmt,
bis sie auf den Lippen verzischt.
Wir legen die Toten vorluufig in einen großen Trichter. Es sind
bis jetzt drei Lagen ubereinander.
Plutzlich beginnt das Feuer nochmals zu trommeln. Bald sitzen wir
wieder in der gespannten Starre des untutigen Wartens.
Angriff, Gegenangriff, Stoß, Gegenstoß - das sind Worte,
aber was umschließen sie! Wir verlieren viele Leute, am meisten
Rekruten. Auf unserem Abschnitt wird wieder Ersatz eingeschoben. Es ist
eines der neuen Regimenter, fast lauter junge Leute der letzten ausgehobenen
Jahrgunge. Sie haben kaum eine Ausbildung, nur theoretisch haben sie etwas
uben kunnen, ehe sie ins Feld ruckten. Was eine Handgranate ist, wissen sie
zwar, aber von Deckung haben sie wenig Ahnung, vor allen Dingen haben sie
keinen Blick dafur. Eine Bodenwelle muß schon einen halben Meter hoch
sein, ehe sie von ihnen gesehen wird.
Obschon wir notwendig Versturkung brauchen, haben wir fast mehr Arbeit
mit den Rekruten, als daß sie uns nutzen. Sie sind hilflos in diesem
schweren Angriff s gebiet und fallen wie die Fliegen. Der Stellungskampf von
heute erfordert Kenntnisse und Erfahrungen, man muß Verstundnis fur
das Gelunde haben, man muß die Geschosse, ihre Geruusche und Wirkungen
im Ohr haben, man muß vorausbestimmen kunnen, wo sie einbauen, wie sie
streuen und wie man sich schutzt.
Dieser junge Ersatz weiß naturlich von alledem noch fast gar
nichts. Er wird aufgerieben, weil er kaum ein Schrapnell von einer Granate
unterscheiden kann, die Leute werden weggemuht, weil sie angstvoll auf das
Heulen der ungefuhrlichen großen, weit hinten einbauenden Kohlenkusten
lauschen und das pfeifende, leise Surren der flach zerspritzenden kleinen
Biester uberhuren. Wie die Schafe drungen sie sich zusammen, anstatt
auseinanderzulaufen, und selbst die Verwundeten werden noch wie Hasen von
den Fliegern abgeknallt.
Die blassen Steckrubengesichter, die armselig gekrallten Hunde, die
jammervolle Tapferkeit dieser armen Hunde, die trotzdem vorgehen und
angreifen, dieser braven, armen Hunde, die so verschuchtert sind, daß
sie nicht laut zu schreien wagen und mit zerrissenen Brusten und Buuchen und
Armen und Beinen leise nach ihrer Mutter wimmern und gleich aufhuren, wenn
man sie ansieht!
Ihre toten, flaumigen, spitzen Gesichter haben die entsetzliche
Ausdruckslosigkeit gestorbener Kinder.
Es sitzt einem in der Kehle, wenn man sie ansieht, wie sie aufspringen
und laufen und fallen. Man muchte sie verprugeln, weil sie so
dumm sind, und sie auf die Arme nehmen und wegbringen von hier, wo sie
nichts zu suchen haben. Sie tragen ihre grauen Rucke und Hosen und Stiefel,
aber den meisten ist die Uniform zu weit, sie schlottert um die Glieder, die
Schultern sind zu schmal, die Kurper sind zu gering, es gab keine Uniformen,
die fur dieses Kindermaß eingerichtet waren.
Auf einen alten Mann fallen funf bis zehn Rekruten. Ein uberraschender
Gasangriff rafft viele weg. Sie sind nicht dazu gelangt, zu ahnen, was ihrer
wartete. Einen Unterstand voll finden wir mit blauen Kupfen und schwarzen
Lippen. In einem Trichter haben sie die Masken zu fruh losgemacht; sie
wußten nicht, daß sich das Gas auf dem Grunde am lungsten hult;
als sie andere ohne Maske oben sahen, rissen sie sie auch ab und schluckten
noch genug, um sich die Lungen zu verbrennen. Ihr Zustand ist hoffnungslos,
sie wurgen sich mit Blutsturzen und Erstickungsanfullen zu Tode.
In einem Grabenstuck sehe ich mich plutzlich Himmelstoß
gegenuber. Wir ducken uns in demselben Unterstand. Atemlos liegt alles
beieinander und wartet ab, bis der Vorstoß einsetzt.
Obschon ich sehr erregt bin, schießt mir beim Hinauslaufen doch
noch der Gedanke durch den Kopf: Ich sehe Himmelstoß nicht mehr. Rasch
springe ich in den Unterstand zuruck und finde ihn, wie er in der Ecke liegt
mit einem kleinen Streifschuß und den Verwundeten simuliert. Sein
Gesicht ist wie verprugelt. Er hat einen Angstkoller, er ist ja auch noch
neu hier. Aber es macht mich rasend, daß der junge Ersatz
draußen ist und er hier.
"Raus!" fauche ich.
Er ruhrt sich nicht, die Lippen zittern, der Schnurrbart bebt.
"Raus!" wiederhole ich.
Er zieht die Beine an, druckt sich an die Wand und bleckt die Zuhne wie
ein Kuter.
Ich fasse ihn am Arm und will ihn hochreißen. Er quukt auf. Da
gehen meine Nerven durch. Ich habe ihn am Hals, schuttele ihn wie einen
Sack, daß der Kopf hin und her fliegt, und schreie ihm ins Gesicht:
"Du Lump, willst du 'raus - du Hund, du Schinder, du willst dich drucken?"
Er verglast, ich schleudere seinen Kopf gegen die Wand - "Du Vieh" - ich
trete ihm in die Rippen - "Du Schwein" - ich stoße ihn vorwurts mit
dem Kopf voran hinaus.
Eine neue Welle von uns kommt gerade vorbei. Ein Leutnant ist dabei. Er
sieht uns und ruft: "Vorwurts, vorwurts, anschließen,
anschließen -!" Und was meine Prugel nicht vermocht haben, das wirkte
dieses Wort. Himmelstoß hurt den Vorgesetzten, sieht sich erwachend um
und schließt sich an.
Ich folge und sehe ihn springen. Er ist wieder der schneidige
Himmelstoß des Kasernenhofes, er hat sogar den Leutnant eingeholt und
ist weit voraus. -
Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks,
Maschinengewehre, Handgranaten - Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen
der Welt.
Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verwustet, wir sind
todmude; - wenn der Angriff kommt, mussen manche mit den Fuusten geschlagen
werden, damit sie erwachen und mitgehen; - die Augen sind entzundet, die
Hunde zerrissen, die Knie bluten, die Ellbogen sind zerschlagen.
Vergehen Wochen - Monate -Jahre? Es sind nur Tage. - Wir sehen die Zeit
neben uns schwinden in den farblosen Gesichtern der Sterbenden, wir luffeln
Nahrung in uns hinein, wir laufen, wir werfen, wir schießen, wir
tuten, wir liegen herum, wir sind schwach und stumpf, und nur das hult uns,
daß noch Schwuchere, noch Stumpfere, noch Hilflosere da sind, die mit
aufgerissenen Augen uns ansehen als Gutter, die manchmal dem Tode entrinnen
kunnen.
In den wenigen Stunden der Ruhe unterweisen wir sie. "Da, siehst du den
Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie geht druben hin.
Wenn sie aber so geht, dann reiß aus! Man kann vor ihr weglaufen."
Wir machen ihre Ohren scharf auf das heimtuckische Surren der kleinen
Dinger, die man kaum vernimmt, sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie
Muckensummen; - wir bringen ihnen bei, daß sie gefuhrlicher sind als
die großen, die man lange vorher hurt.
Wir zeigen ihnen, wie man sich vor Fliegern verbirgt, wie man den toten
Mann macht, wenn man vom Angriff uberrannt wird, wie man Handgranaten
abziehen muß, damit sie eine halbe Sekunde vor dem Aufschlag
explodieren; - wir lehren sie, vor Granaten mit Aufschlagzundern
blitzschnell in Trichter zu fallen, wir machen vor, wie man mit einem Bundel
Handgranaten einen Graben aufrollt, wir erMuren den Unterschied in der
Zundungsdauer zwischen den gegnerischen Handgranaten und unseren, wir machen
sie auf den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe, die
sie vor dem Tode retten kunnen. Sie huren zu, sie sind folgsam - aber wenn
es wieder losgeht, machen sie es in der Aufregung meistens doch wieder
falsch.
Haie Westhus wird mit abgerissenem Rucken fortgeschleppt; bei jedem
Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand drucken;
- "is alle, Paul", stuhnt er und beißt sich vor Schmerz in die Arme.
Wir sehen Menschen leben, denen der Schudel fehlt; wir sehen Soldaten
laufen, denen beide Fuße weggefetzt sind; sie stolpern auf den
splitternden Stumpfen bis zum nuchsten Loch; ein Gefreiter kriecht zwei
Kilometer weit auf den Hunden und schleppt die zerschmetterten Knie hinter
sich her; ein anderer geht zur Verbandsstelle, und uber seine festhaltenden
Hunde quellen die Durme; wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne
Gesicht; wir finden jemand, der mit den Zuhnen zwei Stunden die Schlagader
seines Armes klemmt, um nicht zu verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht
kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.
Doch das Stuckchen zerwuhlter Erde, in dem wir liegen, ist gehalten
gegen die ubermacht, nur wenige hundert Meter sind preisgegeben worden. Aber
auf jeden Meter kommt ein Toter.
Wir werden abgelust. Die Ruder rollen unter uns weg, wir stehen dumpf,
und wenn der Ruf: "Achtung - Draht!" kommt, gehen wir in die Kniebeuge. Es
war Sommer, als wir hier voruberfuhren, die Buume waren noch grun, jetzt
sehen sie schon herbstlich aus, und die Nacht ist grau und feucht. Die Wagen
halten, wir klettern
97
hinunter, ein durcheinandergewurfelter Haufen, ein Rest von vielen
Namen. An den Seiten, dunkel, stehen Leute und rufen die Nummern von
Regimentern, von Kompanien aus. Und bei jedem Ruf sondert sich ein Huuflein
ab, ein karges, geringes Huuflein schmutziger, fahler Soldaten, ein
furchtbar kleines Huuflein und ein furchtbar kleiner Rest.
Nun ruft jemand die Nummer unserer Kompanie, es ist, man hurt es, der
Kompaniefuhrer, er ist also davongekommen, sein Arm liegt in der Binde. Wir
treten zu ihm hin, und ich erkenne Kat und Albert, wir stellen uns zusammen,
lehnen uns aneinander und sehen uns an.
Und noch einmal und noch einmal huren wir unsere Nummer rufen. Er kann
lange rufen, man hurt ihn nicht in den Lazaretten und den Trichtern.
Noch einmal: "Zweite Kompanie hierher!"
Und dann leiser: "Niemand mehr zweite Kompanie?" Er schweigt und ist
etwas heiser, als er fragt: "Das sind alle?" und befiehlt: "Abzuhlen!"
Der Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir
waren hundertfunfzig Mann. Jetzt friert uns, es ist Herbst, die Blutter
rascheln, die Stimmen flattern mude auf: "Eins - zwei -drei - vier -", und
bei zweiunddreißig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die
Stimme fragt: "Noch jemand?" - und wartet und dann leise sagt: "In Gruppen
-", und doch abbricht und nur vollenden kann: "Zweite Kompanie -", muhselig:
"Zweite Kompanie - ohne Tritt marsch!"
Eine Reihe, eine kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus,
Zweiunddreißig Mann.
7
Man nimmt uns weiter als sonst zuruck, in ein Feld-Rekrutendepot, damit
wir dort neu zusammengestellt werden kunnen. Unsere Kompanie braucht uber
hundert Mann Ersatz.
Einstweilen bummeln wir umher, wenn wir keinen Dienst machen. Nach zwei
Tagen kommt Himmelstoß zu uns. Seine große Schnauze hat er
verloren, seit er im Graben war. Er schlugt vor, daß wir uns vertragen
wollen. Ich bin bereit, denn ich habe gesehen, daß er Haie Westhus,
dem der Rucken weggerissen wurde, mit fortgebracht hat. Da er außerdem
wirklich vernunftig redet, haben wir nichts dabei, daß er uns in die
Kantine einludt. NurTjaden ist mißtrauisch und reserviert.
Doch auch er wird gewonnen, denn Himmelstoß erzuhlt, daß er
den in Urlaub fahrenden Kuchenbullen vertreten soll. Als Beweis dafur ruckt
er sofort zwei Pfund Zucker fur uns und ein halbes Pfund Butter fur Tjaden
besonders heraus. Er sorgt sogar dafur, daß wir fur die nuchsten drei
Tage in die Kuche zum Kartoffel- und Steckrubenschulen kommandiert werden.
Das Essen, das er uns dort vorsetzt, ist tadellose Offizierskost.
So haben wir im Augenblick wieder die beiden Dinge, die der Soldat zum
Gluck braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man es bedenkt. Vor
ein paar Jahren noch hutten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast
zufrieden. Alles ist Gewohnheit, auch der Schutzengraben.
Diese Gewohnheit ist der Grund dafur, daß wir scheinbar so rasch
vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten
und fechten uns durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In
Wirklichkeit vergessen wir nichts. Solange wir hier im Felde sein mussen,
sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil
sie zu schwer sind, um sofort daruber nachdenken zu kunnen. Tuten wir es,
sie wurden uns hinterher erschlagen; denn soviel habe ich schon gemerkt: Das
Grauen lußt sich ertragen, solange man sich einfach duckt; aber es
tutet, wenn man daruber nachdenkt.
Genau wie wir zu Tieren werden, wenn wir nach vorn gehen, weil es das
einzige ist, was uns durchbringt, so werden wir zu oberfluchlichen
Witzbolden und Schlafmutzen, wenn wir in Ruhe sind. Wir kunnen gar nicht
anders, es ist furmlich ein Zwang. Wir wollen leben um jeden Preis; da
kunnen wir uns nicht mit Gefuhlen belasten, die fur den Frieden dekorativ
sein mugen, hier aber falsch sind. Kemmerich ist tot, Haie Westhus stirbt,
mit dem Kurper Hans Kramers werden sie am Jungsten Tage Last haben, ihn aus
einem Volltreffer zusammenzuklauben, Martens hat keine Beine mehr, Meyer ist
tot, Marx ist tot, Beyer ist tot, Hummerling ist tot, hundertzwanzig Mann
liegen irgendwo mit Schussen, es ist eine verdammte Sache, aber was geht es
uns noch an, wir leben. Kunnten wir sie retten, ja dann sollte man mal
sehen, es wure egal, ob wir selbst draufgingen, so wurden wir loslegen; denn
wir haben einen verfluchten Muck, wenn wir wollen; Furcht kennen wir nicht
viel - Todesangst wohl, doch das ist etwas anderes, das ist kurperlich.
Aber unsere Kameraden sind tot, wir kunnen ihnen nicht helfen, sie
haben Ruhe - wer weiß, was uns noch bevorsteht; wir wollen uns
hinhauen und schlafen oder fressen, soviel wir in den Magen kriegen, und
saufen und rauchen, damit die Stunden nicht ude sind. Das Leben ist kurz.
Das Grauen der Front versinkt, wenn wir ihm den Rucken kehren, wir
gehen ihm mit gemeinen und grimmigen Witzen zuleibe; wenn jemand stirbt,
dann heißt es, daß er den Arsch zugekniffen hat, und so reden
wir uber alles, das rettet uns vor dem Verrucktwerden, solange wir es so
nehmen, leisten wir Widerstand.
Aber wir vergessen nicht! Was in den Kriegszeitungen steht uber den
goldenen Humor der Truppen, die bereits Tunzchen arrangieren, wenn sie kaum
aus dem Trommelfeuer zuruck sind, ist großer Quatsch. Wir tun das
nicht, weil wir Humor haben, sondern wir haben Humor, weil wir sonst kaputt
gehen. Die Kiste wird ohnehin nicht mehr allzulange halten, der Humor ist
jeden Monat bitterer.
Und ich weiß: all das, was jetzt, solange wir im Kriege sind,
versackt in uns wie ein Stein, wird nach dem Kriege wieder aufwachen, und
dann beginnt erst die Auseinandersetzung auf Leben und Tod.
Die Tage, die Wochen, die Jahre hier vorn werden noch einmal
zuruckkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und mit uns
marschieren, unsere Kupfe werden klar sein, wir werden ein Ziel haben, und
so werden wir marschieren, unsere toten Kameraden neben uns, die Jahre der
Front hinter uns: - gegen wen, gegen wen?
Hier in der Gegend war vor einiger Zeit ein Fronttheater. Auf einer
Bretterwand kleben noch bunte Plakate von den Vorstellungen her. Mit
großen Augen stehen Kropp und ich davor. Wir kunnen nicht begreifen,
daß es so etwas noch gibt. Da ist ein Mudchen in einem hellen
Sommerkleid abgebildet, mit einem roten Lackgurtel um die Huften. Sie stutzt
sich mit der einen Hand auf ein Gelunder, mit der anderen hult sie einen
Strohhut. Sie trugt weiße Strumpfe und weiße Schuhe, zierliche
Spangenschuhe mit hohen Absutzen. Hinter ihr leuchtet die blaue See mit
einigen Wogenkummen, eine Bucht greift seitlich hell hinein. Es ist ein ganz
herrliches Mudchen, mit einer schmalen Nase, mit roten Lippen und langen
Beinen, unvorstellbar sauber und gepflegt, es badet gewiß zweimal am
Tage und hat nie Dreck unter den Nugeln. Huchstens vielleicht mal ein
bißchen Sand vom Strand.
Neben ihm steht ein Mann in weißer Hose, mit blauem Jackett und
Seglermutze, aber der interessiert uns viel weniger.
Das Mudchen auf der Bretterwand ist fur uns ein Wunder. Wir haben ganz
vergessen, daß es so etwas gibt, und auch jetzt noch trauen wir
unseren Augen kaum. Seit Jahren jedenfalls haben wir nichts Derartiges
gesehen, nichts nur entfernt Derartiges an Heiterkeit, Schunheit und Gluck.
Das ist der Frieden, so muß er sein, spuren wir erregt.
"Sieh dir nur diese leichten Schuhe an, darin kunnte sie keinen
Kilometer marschieren", sage ich und komme mir gleich albern vor, denn es
ist bludsinnig, bei einem solchen Bild an Marschieren zu denken.
"Wie alt mag sie sein?" fragt Kropp.
Ich schutze: "AUerhuchstens zweiundzwanzig, Albert."
"Dann wure sie ja ulter als wir. Sie ist nicht mehr als siebzehn, sage
ich dir!"
Eine Gunsehaut uberluuft uns. "Albert, das wure was, meinst du nicht?"
Er nickt. "Zu Hause habe ich auch eine weiße Hose."
"Weiße Hose", sage ich, "aber so ein Mudchen -"
Wir sehen an uns herunter, gegenseitig. Da ist nicht viel zu finden,
eine ausgeblichene, geflickte, schmutzige Uniform bei jedem. Es ist
hoffnungslos, sich zu vergleichen.
Zunuchst einmal kratzen wir deshalb den jungen Mann mit der
weißen Hose von der Bretterwand ab, vorsichtig, damit wir das Mudchen
nicht beschudigen. Dadurch ist schon etwas erreicht. Dann schlugt Kropp vor:
"Wir kunnten uns mal entlausen lassen."
Ich bin nicht ganz einverstanden, denn die Sachen leiden darunter, aber
die Luuse hat man nach zwei Stunden wi