en nicht
verraten, - - -"
Ich hærte, wie Freudentr¤nen ihre Stimme fast erstickten.
"- aber Sie werden mich verstehen: oft, Wochen, ja Monate", - Mirjam
wurde ganz leise - "haben wir nur von Wundern gelebt. Wenn gar kein Brot
mehr im Hause war, aber auch nicht ein Bissen mehr, dann wuŸte ich: jetzt
ist die Stunde da! - Und dann saŸ ich hier und wartete und wartete, bis ich
vor Herzklopfen kaum mehr atmen konnte. Und - und dann, wenn's mich
plætzlich zog, lief ich hinunter und kreuz und quer durch die StraŸen, so
rasch ich konnte, um rechtzeitig wieder im Hause zu sein, ehe mein Vater
heimkam. Und - und jedesmal fand ich Geld. Einmal mehr, einmal weniger, aber
immer soviel, daŸ ich das Nætigste einkaufen konnte. Oft lag ein Gulden
mitten auf der StraŸe; ich sah ihn von weitem blitzen und die Leute traten
darauf, rutschten aus darìber, aber keiner bemerkte ihn. - Das machte mich
zuweilen so ìbermìtig, daŸ ich gar nicht erst ausging, sondern nebenan in
der Kìche den Boden durchsuchte wie ein Kind, ob nicht Geld oder Brot vom
Himmel gefallen sei."
- Ein Gedanke schoŸ mir durch den Kopf, und ich muŸte aus Freude
darìber l¤cheln. -
Sie sah es.
"Lachen Sie nicht, Herr Pernath", flehte sie. "Glauben Sie mir, ich
weiŸ, daŸ diese Wunder wachsen werden und daŸ sie eines Tages -"
Ich beruhigte sie: "Aber ich lache doch nicht, Mirjam! Was denken Sie
denn! Ich bin unendlich glìcklich, daŸ Sie nicht sind wie die andern, die
hinter jeder Wirkung die gewohnte Ursache suchen und bocken, wenn's - wir
rufen in solchen Fallen: Gott sei Dank! - einmal anders kommt."
Sie streckte mir die Hand hin:
"Und nicht wahr, Sie werden nie mehr sagen, Herr Pernath, daŸ Sie mir -
oder uns - helfen wollen? Jetzt, wo Sie wissen, daŸ Sie mir die Mæglichkeit,
ein Wunder zu erleben, rauben wìrden, wenn Sie es t¤ten?"
Ich versprach es. Aber im Herzen machte ich einen Vorbehalt.
Da ging die Tìr und Hillel trat ein.
Mirjam umarmte ihn; und er begrìŸte mich. Herzlich und voll
Freundschaft, aber wieder mit dem kìhlen "Sie".
Auch schien etwas wie leise Mìdigkeit oder Unsicherheit auf ihm zu
lasten. - Oder irrte ich mich?
Vielleicht kam es nur von der D¤mmerung, die in der Stube lag.
"Sie sind gewiŸ hier, mich um Rat zu fragen", fing er an, als Mirjam
uns allein gelassen hatte, "in der Sache, die die fremde Dame betrifft - -?"
Ich wollte ihn verwundert unterbrechen, aber er fiel mir in die Rede:
"Ich weiŸ es von dem Studenten Charousek. Ich sprach ihn auf der Gasse
an, weil er mir merkwìrdig ver¤ndert vorkam. Er hat mir alles erz¤hlt. In
der œberfìlle seines Herzens. Auch, daŸ - Sie ihm Geld geschenkt haben." Er
sah mich durchdringend an und betonte jedes seiner Worte auf hæchst seltsame
Weise, aber ich verstand nicht, was er damit wollte:
"GewiŸ, es hat dadurch ein paar Tropfen Glìck mehr vom Himmel geregnet
- und - und in diesem - Fall hat's vielleicht auch nicht geschadet, aber -,"
er dachte eine Weile nach, - "aber manchmal schafft man sich und anderen nur
Leid damit. Gar so leicht ist das Helfen nicht, wie Sie denken, mein lieber
Freund! Da w¤re es sehr, sehr einfach, die Welt zu erlæsen. - Oder glauben
Sie nicht?"
"Geben Sie denn nicht auch den Armen? Oft alles, was Sie besitzen,
Hillel?", fragte ich.
Er schìttelte l¤chelnd den Kopf: "Mir scheint, Sie sind ìber Nacht ein
Talmudist geworden, daŸ Sie eine Frage wieder mit einer Frage beantworten.
Da ist freilich schwer streiten."
Er hielt inne, als ob ich darauf antworten sollte, aber wiederum
verstand ich nicht, worauf er eigentlich wartete.
"œbrigens, um zu dem Thema zurìckzukommen", fuhr er in ver¤ndertem Tone
fort, "ich glaube nicht, daŸ Ihrem Schìtzling - ich meine die Dame -
augenblicklich Gefahr droht. Lassen Sie die Dinge an sich herantreten. Es
heiŸt zwar: ›der kluge Mann baut vor‹, aber der Klìgere, scheint mir, wartet
ab und ist auf alles gefaŸt. Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, daŸ
Aaron Wassertrum mit mir zusammentrifft, aber das muŸ dann von ihm ausgehen,
- ich tue keinen Schritt, er muŸ herìberkommen. Ob zu Ihnen oder zu mir, ist
gleichgìltig - und dann will ich mit ihm reden. An ihm wird's sein, sich zu
entscheiden, ob er meinen Rat befolgen will oder nicht. Ich wasche meine
H¤nde in Unschuld."
Ich versuchte ¤ngstlich in seinem Gesicht zu lesen. So kalt und
eigentìmlich drohend hatte er noch nie gesprochen. Aber hinter diesem
schwarzen, tiefliegenden Auge schlief ein Abgrund.
"Es ist wie eine Glaswand zwischen ihm und uns", fielen mir Mirjams
Worte ein.
Ich konnte ihm nur wortlos die Hand drìcken und - gehen.
Er begleitete mich bis vor die Tìre und, als ich die Treppe hinaufging
und mich noch einmal umdrehte, sah ich, daŸ er stehen geblieben war und mir
freundlich nachwinkte, aber wie jemand, der noch gern etwas sagen mæchte und
nicht kann.
Angst
Ich hatte die Absicht, mir Mantel und Stock zu holen und in die kleine
Wirtsstube "Zum alten Ungelt" essen zu gehen, wo allabendlich Zwakh,
Vrieslander und Prokop bis sp¤t in die Nacht beisammen saŸen und einander
verrìckte Geschichten erz¤hlten; aber kaum betrat ich mein Zimmer, da fiel
der Vorsatz von mir ab, - wie wenn mir H¤nde ein Tuch oder sonst etwas, was
ich am Leibe getragen, abgerissen h¤tten.
Es lag eine Spannung in der Luft, ìber die ich mir keine Rechenschaft
geben konnte, die aber trotzdem vorhanden war wie etwas Greifbares und sich
im Verlauf weniger Sekunden derart heftig auf mich ìbertrug, daŸ ich vor
Unruhe anfangs kaum wuŸte, was ich zuerst tun sollte: Licht anzìnden, hinter
mir abschlieŸen, mich niedersetzen oder auf und ab gehen.
Hatte sich jemand in meiner Abwesenheit eingeschlichen und versteckt?
War's die Angst eines Menschen vor dem Gesehenwerden, die mich ansteckte?
War Wassertrum vielleicht hier?
Ich griff hinter die Gardinen, æffnete den Schrank, tat einen Blick ins
Nebenzimmer: - niemand.
Auch die Kassette stand unverrìckt an ihrem Platz.
Ob es nicht am besten war, ich verbrannte die Briefe kurz entschlossen,
um ein fìr allemal die Sorge um sie los zu sein?
Schon suchte ich nach dem Schlìssel in meiner Westentasche - aber muŸte
es denn jetzt geschehen? Es blieb mir doch Zeit genug bis morgen frìh.
Erst Licht machen!
Ich konnte die Streichhælzer nicht finden.
War die Tìr abgesperrt? - Ich ging ein paar Schritte zurìck. Blieb
wieder stehen.
Warum mit einemmal die Angst?
Ich wollte mir Vorwìrfe machen, daŸ ich feig sei: - die Gedanken
blieben stecken. Mitten im Satz.
Eine wahnwitzige Idee ìberfiel mich plætzlich: rasch, rasch auf den
Tisch steigen, einen Sessel packen und zu mir hinaufziehen und "dem" den
Sch¤del damit von oben herab einschlagen, das da auf dem Boden herumkroch, -
- wenn - wenn es in die N¤he kam.
"Es ist doch niemand hier," sagte ich mir laut und ¤rgerlich vor, "hast
du dich denn je im Leben gefìrchtet?"
Es half nichts. Die Luft, die ich einatmete, wurde dìnn und schneidend
wie „ther.
Wenn ich irgendetwas gesehen h¤tte: das Gr¤Ÿlichste, was man sich
vorstellen kann, - im Nu w¤re die Furcht von mir gewichen.
Es kam nichts.
Ich bohrte meine Augen in alle Winkel:
Nichts.
œberall lauter wohlbekannte Dinge: Mæbel, Truhen, die Lampe, das Bild,
die Wanduhr - leblose, alte, treue Freunde.
Ich hoffte, sie wìrden sich vor meinen Blicken ver¤ndern und mir Grund
geben, eine Sinnest¤uschung als Ursache fìr das wìrgende Angstgefìhl in mir
zu finden.
Auch das nicht. - Sie blieben ihrer Form starr getreu. Viel zu starr
fìr das herrschende Halbdunkel, als daŸ es natìrlich gewesen w¤re.
"Sie stehen unter demselben Zwang wie du selbst", fìhlte ich. "Sie
trauen sich nicht, auch nur die leiseste Bewegung zu machen."
Warum tickt die Wanduhr nicht? -
Das Lauern ringsum trank jeden Laut.
Ich rìttelte am Tisch und wunderte mich, daŸ ich das Ger¤usch hæren
konnte.
Wenn doch wenigstens der Wind ums Haus pfiffe! - Nicht einmal das! Oder
das Holz im Ofen aufknallen wollte: - das Feuer war erloschen.
Und immerw¤hrend dasselbe entsetzliche Lauern in der Luft - pausenlos,
lìckenlos, wie das Rinnen von Wasser.
Dieses vergebliche Auf-dem-Sprung-stehen aller meiner Sinne! Ich
verzweifelte daran, es je ìberdauern zu kænnen. - Der Raum voll Augen, die
ich nicht sehen, - voll von planlos wandernden H¤nden, die ich nicht greifen
konnte.
"Es ist das Entsetzen, das sich aus sich selbst gebiert, die l¤hmende
Schrecknis des unfaŸbaren Nicht-Etwas, das keine Form hat und unserm Denken
die Grenzen zerfriŸt", begriff ich dumpf.
Ich stellte mich steif hin und wartete.
Wartete wohl eine Viertelstunde: vielleicht lieŸ "es" sich verleiten
und schlich von rìckw¤rts an mich heran - und ich konnte es ertappen?!
Mit einem Ruck fuhr ich herum: wieder nichts.
Dasselbe markverzehrende "Nichts", das nicht war und doch das Zimmer
mit seinem grausigen Leben erfìllte.
Wenn ich hinausliefe? Was hinderte mich?
"Es wìrde mit mir gehen", wuŸte ich sofort mit unabweisbarer
Sicherheit. Auch, daŸ es mir nichts nìtzen kænnte, wenn ich Licht machte,
sah ich ein, - dennoch suchte ich so lange nach dem Feuerzeug, bis ich es
gefunden hatte.
Aber der Kerzendocht wollte nicht brennen und kam lang aus dem Glimmen
nicht heraus: die kleine Flamme konnte nicht leben und nicht sterben, und
als sie sich endlich doch ein schwindsìchtiges Dasein erk¤mpft hatte, blieb
sie glanzlos wie gelbes, schmutziges Blech. Nein, da war die Dunkelheit noch
besser.
Ich læschte wieder aus und warf mich angezogen ìbers Bett. Z¤hlte die
Schl¤ge meines Herzens: eins, zwei, drei - vier ... bis tausend, und immer
von neuem - Stunden, Tage, Wochen, wie mir schien, bis meine Lippen trocken
wurden und das Haar sich mir str¤ubte: keine Sekunde der Erleichterung.
Auch nicht eine einzige.
Ich fing an, mir Worte vorzusagen, wie sie mir gerade auf die Zunge
kamen: "Prinz", "Baum", "Kind", "Buch" - und sie krampfhaft zu wiederholen,
bis sie plætzlich als sinnlose, schreckhafte Laute aus barbarischer Vorzeit
nackt mir gegenìberstanden, und ich mit aller Kraft nachdenken muŸte, in
ihre Bedeutung zurìckzufinden: P-r-i-n-z? - B-u-ch?
War ich nicht schon wahnsinnig? Oder gestorben? - Ich tastete an mir
herum.
Aufstehen!
Mich in den Sessel setzen!
Ich lieŸ mich in den Lehnstuhl fallen.
Wenn doch endlich der Tod k¤me!
Nur dieses blutlose, furchtbare Lauern nicht mehr fìhlen! "Ich - will -
nicht - ich will - nicht!", schrie ich. "Hært ihr denn nicht?!"
Kraftlos fiel ich zurìck.
Konnte es nicht fassen, daŸ ich immer noch lebte.
Unf¤hig, irgend etwas zu denken oder zu tun, stierte ich geradeaus vor
mich hin.
"Weshalb er mir nur die Kærner so beharrlich hinreicht?", ebbte ein
Gedanke auf mich zu, zog sich zurìck und kam wieder. Zog sich zurìck. Kam
wieder.
Langsam wurde mir endlich klar, daŸ ein seltsames Wesen vor mir stand -
vielleicht schon, seit ich hier saŸ, dagestanden hatte - und mir die Hand
hinstreckte:
Ein graues, breitschultriges Geschæpf, in der GræŸe eines gedrungen
gewachsenen Menschen, auf einen spiralfærmig gedrehten Knotenstock aus
weiŸem Holz gestìtzt.
Wo der Kopf h¤tte sitzen mìssen, konnte ich nur einen Nebelballen aus
fahlem Dunst unterscheiden.
Ein trìber Geruch nach Sandelholz und nassem Schiefer ging von der
Erscheinung aus.
Ein Gefìhl vollkommenster Wehrlosigkeit raubte mir fast die Besinnung.
Was ich die ganze lange Zeit an nervenzernagender Qual mitgemacht, dr¤ngte
sich jetzt zu Todesschrecken zusammen und war in diesem Wesen zur Form
geronnen.
Mein Selbsterhaltungstrieb sagte mir, ich wìrde wahnsinnig werden vor
Entsetzen und Furcht, wenn ich das Gesicht des Phantoms sehen kænnte, -
warnte mich davor, schrie es mir in die Ohren - und doch zog es mich wie ein
Magnet, daŸ ich den Blick von dem fahlen Nebelballen nicht wenden konnte und
darin forschte nach Augen, Nase und Mund.
Aber so sehr ich mich auch abmìhte: der Dunst blieb unbeweglich. Wohl
glìckte es mir, Kæpfe aller Art auf den Rumpf zu setzen, doch jedesmal wuŸte
ich, daŸ sie nur meiner Einbildungskraft entstammten.
Sie zerrannen auch stets - fast in derselben Sekunde, in der ich sie
geschaffen hatte.
Nur die Form eines ¤gyptischen Ibiskopfs blieb noch am l¤ngsten
bestehen.
Die Umrisse des Phantoms schleierten schemenhaft in der Dunkelheit,
zogen sich kaum merklich zusammen und dehnten sich wieder aus, wie unter
langsamen Atemzìgen, die die ganze Gestalt durchliefen, die einzige
Bewegung, die zu bemerken war. Statt der FìŸe berìhrten Knochenstumpen den
Boden, von denen das Fleisch - grau und blutleer - auf Spannenbreite zu
wulstigen R¤ndern emporgezogen war.
Regungslos hielt das Geschæpf mir seine Hand hin.
Kleine Kærner lagen dann. BohnengroŸ, von roter Farbe und mit schwarzen
Punkten am Rande.
Was sollte ich damit?!
Ich fìhlte dumpf: eine ungeheure Verantwortung lag auf mir - eine
Verantwortung, die weit hinausging ìber alles Irdische, - wenn ich jetzt
nicht das Richtige tat.
Zwei Waagschalen, jede belastet mit dem Gewicht des halben
Weltgeb¤udes, schweben irgendwo im Reich der Ursachen, ahnte ich - auf
welche von beiden ich ein St¤ubchen warf: die sank zu Boden.
Das war das furchtbare Lauern ringsum!, verstand ich. "Keinen Finger
rìhren!", riet mir mein Verstand, - "und wenn der Tod in alle Ewigkeit nicht
kommen sollte und mich erlæsen aus dieser Qual." -
Auch dann h¤ttest du deine Wahl getroffen: du h¤ttest die Kærner
abgelehnt, raunte es in mir. Hier gibt's kein Zurìck.
Hilfesuchend blickte ich um mich, ob mir denn kein Zeichen wurde, was
ich tun sollte. Nichts.
Auch in mir kein Rat, kein Einfall - alles tot, gestorben.
Das Leben von Myriaden Menschen wiegt leicht wie eine Feder in diesem
furchtbaren Augenblick, erkannte ich. - -
Es muŸte bereits tiefe Nacht sein, denn ich konnte die W¤nde meines
Zimmers nicht mehr unterscheiden.
Nebenan im Atelier stampften Schritte; ich hærte, daŸ jemand Schr¤nke
rìckte, Schubladen aufriŸ und polternd zu Boden warf, glaubte Wassertrums
Stimme zu erkennen, wie er in seinem ræchelnden BaŸ wilde Fluche ausstieŸ;
ich horchte nicht hin. Es war mir belanglos wie das Rascheln einer Maus. -
Ich schloŸ die Augen:
Menschliche Antlitze zogen in langen Reihen an mir vorìber. Die Lider
zugedrìckt - starre Totenmasken: - mein eigenes Geschlecht, meine eigenen
Vorfahren.
Immer dieselbe Sch¤delbildung, wie auch der Typus zu wechseln schien,
so stand es auf aus seinen Grìften, - mit glattem gescheiteltem Haar,
gelocktem und kurz geschnittenem, mit Allongeperìcken und in Ringe
gezw¤ngten Schæpfen - durch Jahrhunderte heran, bis die Zìge mir bekannter
und bekannter wurden und in ein letztes Gesicht zusammenflossen: - das
Gesicht des Golem, mit dem die Kette meiner Ahnen abbrach.
Dann læste die Finsternis mein Zimmer in einen unendlichen leeren Raum
auf, in dessen Mitte ich mich auf meinem Lehnstuhl sitzen wuŸte, vor mir der
graue Schatten wieder mit dem ausgestreckten Arm.
Und als ich die Augen aufschlug, standen in zwei sich schneidenden
Kreisen, die einen Achter bildeten, fremdartige Wesen um uns herum:
Die des einen Kreises gehìllt in Gew¤nder mit violettem Schimmer, die
des anderen mit rætlich schwarzem. Menschen einer fremden Rasse, von hohem,
unnatìrlich schm¤chtigem Wuchs, die Gesichter hinter leuchtenden Tìchern
verborgen.
Das Herzbeben in meiner Brust sagte mir, daŸ der Zeitpunkt der
Entscheidung gekommen war. Meine Finger zuckten nach den Kærnern: - und da
sah ich, wie ein Zittern durch die Gestalten des rætlichen Kreises ging. -
Sollte ich die Kærner zurìckweisen?: Das Zittern ergriff den bl¤ulichen
Kreis; - ich blickte den Mann ohne Kopf scharf an; er stand da - in
derselben Stellung: regungslos wie frìher.
Sogar sein Atem hatte aufgehært.
Ich hob den Arm, wuŸte noch immer nicht, was ich tun sollte, und -
schlug auf die ausgestreckte Hand des Phantoms, daŸ die Kærner ìber den
Boden hinrollten.
Einen Moment, so j¤h wie ein elektrischer Schlag, entglitt mir das
BewuŸtsein, und ich glaubte in endlose Tiefen zu stìrzen, - dann stand ich
fest auf den FìŸen.
Das graue Geschæpf war verschwunden. Ebenso die Wesen des rætlichen
Kreises.
Die bl¤ulichen Gestalten hingegen hatten einen Ring um mich gebildet;
sie trugen eine Inschrift aus goldnen Hieroglyphen auf der Brust und hielten
stumm - es sah aus wie ein Schwur - zwischen Zeigefinger und Daumen die
roten Kærner in die Hohe, die ich dem Phantom ohne Kopf aus der Hand
geschlagen hatte.
Ich hærte, wie drauŸen Hagelschauer gegen die Fenster tobten und
brìllender Donner die Luft zerriŸ:
Ein Wintergewitter in seiner ganzen besinnungslosen Wut raste ìber die
Stadt hinweg. Vom FluŸ her dræhnten durch das Heulen des Sturms in
rhythmischen Intervallen die dumpfen Kanonenschìsse, die das Brechen der
Eisdecke auf der Moldau verkìndeten. Die Stube loderte im Licht der
ununterbrochen aufeinanderfolgenden Blitze. Ich fìhlte mich plætzlich so
schwach, daŸ mir die Knie zitterten und ich mich setzen muŸte.
"Sei ruhig," sagte deutlich eine Stimme neben mir, "sei ganz ruhig, es
ist heute die Lelschimurim: die Nacht der Beschìtzung." -
Allm¤hlich lieŸ das Unwetter nach, und der bet¤ubende L¤rm ging ìber in
das eintænige Trommeln der SchloŸen auf die Dacher.
Die Mattigkeit in meinen Gliedern nahm derart zu, daŸ ich nur mehr mit
stumpfen Sinnen und halb im Traum wahrnahm, was um mich her vorging:
Jemand aus dem Kreis sagte die Worte:
"Den ihr suchet, der ist nicht hier."
Die andern erwiderten etwas in einer fremden Sprache.
Hierauf sagte der erste wieder leise einen Satz, dann kam der Name
"Henoch"
vor, aber ich verstand das ìbrige nicht: der Wind trug das Stæhnen der
berstenden Eisschollen zu laut vom Flusse herìber.
Dann læste sich einer aus dem Kreis, trat vor mich hin, deutete auf die
Hieroglyphen auf seiner Brust - sie waren dieselben Buchstaben wie die der
ìbrigen - und fragte mich, ob ich sie lesen kænne.
Und als ich - lallend vor Mìdigkeit, - verneinte, streckte er die
Handfl¤che gegen mich aus, und die Schrift erschien leuchtend auf meiner
Brust in Lettern, die zuerst lateinisch waren:
CHABRAT ZEREH AUR BOCHER
und sich langsam in die mir unbekannten verwandelten. - - - Und ich
fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf, wie ich ihn seit jener Nacht, in
der Hillel mir die Zunge gelæst, nicht mehr gekannt hatte.
Trieb
Wie im Fluge waren mir die Stunden der letzten Tage vergangen. Kaum,
daŸ ich mir Zeit zu den Mahlzeiten lieŸ.
Ein unwiderstehlicher Drang nach ¤uŸerer T¤tigkeit hatte mich von frìh
bis abends an meinen Arbeitstisch gefesselt.
Die Gemme war fertig geworden, und Mirjam hatte sich wie ein Kind
darìber gefreut.
Auch der Buchstabe "I" in dem Buche Ibbur war ausgebessert.
Ich lehnte mich zurìck und lieŸ ruhevoll all die kleinen Geschehnisse
der heutigen Stunden an mir vorìberziehen:
Wie das alte Weib, das mich bediente, am Morgen nach dem Ungewitter zu
mir ins Zimmer gestìrzt kam mit der Meldung, die steinerne Brìcke sei in der
Nacht eingestìrzt. -
Seltsam: - Eingestìrzt! Vielleicht gerade in der Stunde, wo ich die
Kærner - - - nein, nein, nicht daran denken; es kænnte einen Anstrich von
Nìchternheit bekommen, was damals geschehen war, und ich hatte mir
vorgenommen, es in meiner Brust begraben sein zu lassen, bis es von selbst
wieder erwachte, - nur nicht daran rìhren.
Wie lange war's her, da ging ich noch ìber die Brìcke, sah die
steinernen Statuen - und jetzt lag sie, die Brìcke, die Jahrhunderte
gestanden, in Trìmmern.
Es stimmte mich beinahe wehmìtig, daŸ ich nie mehr meinen FuŸ auf sie
setzen sollte. Wenn man sie auch wieder aufbaute, war es doch nicht mehr die
alte, geheimnisvolle, steinerne Brìcke.
Stundenlang hatte ich, w¤hrend ich an der Gemme schnitt, darìber
nachdenken mìssen, und so selbstverst¤ndlich, als h¤tte ich es nie vergessen
gehabt, war es lebendig in mir geworden: wie oft ich als Kind und auch in
sp¤tern Jahren zu dem Bildnis der heiligen Luitgard und all den andern, die
jetzt begraben lagen in den tosenden Wassern, aufgeblickt.
Die vielen, kleinen lieben Dinge, die ich in meiner Jugend mein eigen
genannt, hatte ich wieder gesehen im Geiste - und meinen Vater und meine
Mutter und die Menge Schulkameraden. Nur an das Haus, wo ich gewohnt, konnte
ich mich nicht mehr erinnern.
Ich wuŸte, es wìrde plætzlich, eines Tages, wenn ich es am wenigsten
erwartete, wieder vor mir stehen; und ich freute mich darauf.
Die Empfindung, daŸ sich mit einemmal alles natìrlich und einfach in
mir abwickelte, war so behaglich.
Als ich vorgestern das Buch Ibbur aus der Kassette geholt hatte, - es
war so gar nichts Erstaunliches daran gewesen, daŸ es aussah, nun, wie eben
ein altes, mit wertvollen Initialen geschmìcktes Pergamentbuch aussieht -
schien es mir ganz selbstverst¤ndlich.
Ich konnte nicht begreifen, daŸ es jemals gespenstisch auf mich gewirkt
hatte!
Es war in hebr¤ischer Sprache geschrieben, vollkommen unverst¤ndlich
fìr mich.
Wann wohl der Unbekannte es wieder holen kommen wurde?
Die Freude am Leben, die w¤hrend der Arbeit heimlich in mich eingezogen
war, erwachte von neuem in ihrer ganzen erquickenden Frische und
verscheuchte die Nachtgedanken, die mich hinterrìcks wieder ìberfallen
wollten.
Rasch nahm ich Angelinas Bild - ich hatte die Widmung, die darunter
stand, abgeschnitten - und kìŸte es.
Es war das alles so tæricht und widersinnig, aber warum nicht einmal
von - Glìck tr¤umen, die glitzernde Gegenwart festhalten und sich daran
freuen, wie ìber eine Seifenblase?
Konnte denn nicht vielleicht doch in Erfìllung gehen, was mir da die
Sehnsucht meines Herzens vorgaukelte? War es so ganz und gar unmæglich, daŸ
ich ìber Nacht ein berìhmter Mann wurde? Ihr ebenbìrtig, wenn auch nicht an
Herkunft? Zumindest Dr. Savioli ebenbìrtig? Ich dachte an die Gemme Mirjams:
wenn mir noch andere so gelangen wie diese - kein Zweifei, selbst die ersten
Kìnstler aller Zeiten hatten nie etwas Besseres geschaffen.
Und nur einen Zufall angenommen: der Gatte Angelinas stìrbe plætzlich?
Mir wurde heiŸ und kalt: ein winziger Zufall - und meine Hoffnung, die
verwegenste Hoffnung, gewann Gestalt. An einem dìnnen Faden, der stìndlich
reiŸen konnte, hing das Glìck, das mir dann in den SchoŸ fallen mìŸte.
War mir denn nicht schon tausendfach Wunderbareres geschehen? Dinge,
von denen die Menschheit gar nicht ahnte, daŸ sie ìberhaupt existierten?
War es kein Wunder, daŸ binnen weniger Wochen kìnstlerische F¤higkeiten
in mir erwacht waren, die mich jetzt schon weit ìber den Durchschnitt
erhoben?
Und ich stand doch erst am Anfang des Weges!
Hatte ich denn kein Anrecht auf Glìck?
Ist denn Mystik gleichbedeutend mit Wunschlosigkeit?
Ich ìbertænte das: "Ja" in mir: - nur noch eine Stunde tr¤umen - eine
Minute - ein kurzes Menschendasein!
Und ich tr¤umte mit offenen Augen:
Die Edelsteine auf dem Tisch wuchsen und wuchsen und umgaben mich von
allen Seiten mit farbigen Wasserf¤llen. B¤ume aus Opal standen in Gruppen
beisammen und strahlten die Lichtwellen des Himmels, der blau schillerte wie
der Flìgel eines gigantischen Tropenschmetterlings, in Funkensprìhregen ìber
unabsehbare Wiesen voll heiŸem Sommerduft.
Mich dìrstete, und ich kìhlte meine Glieder in dem eisigen Gischt der
B¤che, die ìber Felsblæcke rauschten aus schimmerndem Perlmutter.
Schwìler Hauch strich ìber H¤nge, ìbers¤t mit Blìten und Blumen, und
machte mich trunken mit den Gerìchen von Jasmin, Hyazinthen, Narzissen,
Seidelbast - - -
Unertr¤glich! Unertr¤glich! Ich verlæschte das Bild. - Mich dìrstete.
Das waren die Qualen des Paradieses.
Ich riŸ die Fenster auf und lieŸ den Tauwind an meine Stirne wehen.
Es roch nach kommendem Frìhling - - -
Mirjam!
Ich muŸte an Mirjam denken.
Wie sie sich vor Erregung an der Wand hatte halten mìssen, um nicht
umzufallen, als sie mir erz¤hlen gekommen, ein Wunder sei geschehen, ein
wirkliches Wunder: sie habe ein Goldstìck gefunden in dem Brotlaib, den der
B¤cker vom Gang aus durchs Gitter ins Kìchenfenster gelegt. - - -
Ich griff nach meiner Bærse. - Hoffentlich war es heute nicht schon zu
sp¤t, und ich kam noch zurecht, ihr wieder einen Dukaten zuzuzaubern!
T¤glich hatte sie mich besucht, um mir Gesellschaft zu leisten, wie sie
es nannte, dabei aber fast nicht gesprochen, so erfìllt war sie von dem
"Wunder" gewesen. Bis in die tiefsten Tiefen hatte das Erlebnis sie
aufgewìhlt und, wenn ich mir vorstellte, wie sie manchmal plætzlich ohne
¤uŸern Grund - nur unter dem EinfluŸ ihrer Erinnerung - totenblaŸ geworden
war bis in die Lippen, schwindelte mir bei dem bloŸen Gedanken, ich kænnte
in meiner Blindheit Dinge angerichtet haben, deren Tragweite bis ins
Grenzenlose ging.
Und wenn ich mir die letzten, dunklen Worte Hillels ins Ged¤chtnis rief
und in Zusammenhang damit brachte, ìberlief es mich eiskalt.
Die Reinheit des Motivs war keine Entschuldigung fìr mich, - der Zweck
heiligt die Mittel nicht, das sah ich ein.
Und was, wenn ìberdies das Motiv: "helfen zu wollen" nur scheinbar
"rein" war? Hielt sich nicht vielleicht doch eine heimliche Lìge dahinter
verborgen?: der selbstgef¤llige, unbewuŸte Wunsch, in der Rolle des Helfers
zu schwelgen?
Ich fing an, irre an mir selbst zu werden.
DaŸ ich Mirjam viel zu oberfl¤chlich beurteilt hatte, war klar.
Schon als die Tochter Hillels muŸte sie anders sein als andere M¤dchen.
Wie hatte ich nur so vermessen sein kænnen, auf solch tærichte Weise in
ein Innenleben einzugreifen, das vielleicht himmelhoch ìber meinem eigenen
stand!
Schon ihr Gesichtsschnitt, der hundertmal eher in die Zeit der sechsten
¤gyptischen Dynastie paŸte und selbst fìr diese noch viel zu vergeistigt
war, als in die unsrige mit ihren Verstandesmenschentypen, h¤tte mich warnen
mìssen.
"Nur der ganz Dumme miŸtraut dem ¤uŸern Schein", hatte ich irgendwo
einmal gelesen. - Wie richtig! Wie richtig!
Mirjam und ich waren jetzt gute Freunde; sollte ich ihr eingestehen,
daŸ ich es gewesen war, der die Dukaten Tag fìr Tag ins Brot geschmuggelt
hatte?
Der Schlag k¤me zu plætzlich. Wìrde sie bet¤uben.
Ich durfte das nicht wagen, muŸte behutsamer vorgehen.
Das "Wunder" irgendwie abschw¤chen? Statt das Geld ins Brot zu stecken,
es auf die Treppenstufe zu legen, daŸ sie es finden muŸte, wenn sie die Tìr
aufmachte, und so weiter, und so weiter? Etwas Neues, weniger Schroffes
wìrde sich schon ausdenken lassen, irgendein Weg, der sie aus dem
Wunderbaren allm¤hlich wieder ins Allt¤gliche herìberlenkte, træstete ich
mich.
Ja! Das war das Richtige.
Oder den Knoten zerhauen? Ihren Vater einweihen und zu Rate ziehen? Die
Schamræte stieg mir ins Gesicht. Zu diesem Schritt blieb Zeit genug, wenn
alle andern Mittel versagten.
Nur gleich ans Werk gehen, keine Zeit vers¤umen!
Ein guter Einfall kam mir: Ich muŸte Mirjam zu etwas ganz
Absonderlichem bewegen, sie fìr ein paar Stunden aus der gewohnten Umgebung
reiŸen, daŸ sie andere Eindrìcke bekam.
Wir wìrden einen Wagen nehmen und eine Spazierfahrt machen. Wer kannte
uns denn, wenn wir das Judenviertel mieden?
Vielleicht interessierte es sie, die eingestìrzte Brìcke zu
besichtigen?
Oder der alte Zwakh oder eine ihrer frìheren Freundinnen sollte mit ihr
fahren, wenn sie es ungeheuerlich finden wìrde, daŸ ich mit dabei sei.
Ich war fest entschlossen, keinen Widerspruch gelten zu lassen. - - -
An der Tìrschwelle rannte ich einen Mann beinahe ìber den Haufen.
Wassertrum!
Er muŸte durchs Schlìsselloch hereingesp¤ht haben, denn er stand
gebìckt, als ich mit ihm zusammengestoŸen war.
"Suchen Sie mich?", fragte ich barsch.
Er stammelte ein paar Worte der Entschuldigung in seinem unmæglichen
Jargon; dann bejahte er.
Ich forderte ihn auf, n¤her zu treten und sich zu setzen, aber er blieb
am Tisch stehen und drehte krampfhaft mit der Hutkrempe. Eine tiefe
Feindseligkeit, die er vergebens vor mir verbergen wollte, spiegelte aus
seinem Gesicht und jeder seiner Bewegungen.
Noch nie hatte ich den Mann in so unmittelbarer N¤he gesehen. Seine
grauenhafte H¤Ÿlichkeit war es nicht, die einen so abstieŸ; (sie machte mich
eher mitleidig gestimmt: er sah aus wie ein Geschæpf, dem die Natur selbst
bei seiner Geburt voll Wut und Abscheu mit dem FuŸ ins Gesicht getreten
hatte) - etwas anderes, Unw¤gbares, das von ihm ausging, trug die Schuld
daran.
Das "Blut", wie Charousek es treffend bezeichnet hatte.
Unwillkìrlich wischte ich mir die Hand ab, die ich ihm bei seinem
Eintritt gereicht hatte.
So wenig auff¤llig ich es machte, er schien es doch bemerkt zu haben,
denn er muŸte sich plætzlich mit Gewalt zwingen, das Aufflammen des Hasses
in seinen Zìgen zu unterdrìcken.
"Hìbsch ham Se's hier", fing er endlich stockend an, als er sah, daŸ
ich ihm nicht den Gefallen tat, das Gespr¤ch zu beginnen.
Im Widerspruch zu seinen Worten schloŸ er dabei die Augen, vielleicht,
um meinem Blick nicht zu begegnen. Oder glaubte er, daŸ es seinem Gesicht
einen harmloseren Ausdruck verleihen wìrde?
Man konnte ihm deutlich anhæren, welche Mìhe er sich gab, hochdeutsch
zu reden.
Ich fìhlte mich nicht zu einer Entgegnung verpflichtet und wartete, was
er weiter sagen wìrde.
In seiner Verlegenheit griff er nach der Feile, die - weiŸ Gott wieso -
noch seit Charouseks Besuch auf dem Tisch lag, fuhr aber unwillkìrlich
sofort wie von einer Schlange gebissen zurìck. Ich staunte innerlich ìber
seine unterbewuŸte seelische Feinfìhligkeit.
"Freilich, natìrlich, es gehært zum Gesch¤ft, daŸ man's fein hat,"
raffte er sich auf, zu sagen, "wenn man - so noble Besuche bekommt." Er
wollte die Augen aufschlagen, um zu sehen, welchen Eindruck die Worte auf
mich machten, hielt es aber offenbar noch fìr verfrìht und schloŸ sie
schnell wieder.
Ich wollte ihn in die Enge treiben: "Sie meinen die Dame, die neulich
hier vorfuhr? Sagen Sie doch offen, wo Sie hinauswollen!"
Er zægerte einen Moment, dann packte er mich heftig am Handgelenk und
zerrte mich ans Fenster.
Die sonderbare, unmotivierte Art, mit der er es tat, erinnerte mich
daran, wie er vor einigen Tagen den taubstummen Jaromir unten in seine Hæhle
gerissen hatte.
Mit krummen Fingern hielt er mir einen blitzenden Gegenstand hin:
"Was glauben Sie, Herr Pernath, laŸt sich da noch was machen?"
Es war eine goldene Uhr mit so stark verbeulten Deckeln, daŸ es fast
aussah, als h¤tte sie jemand mit Absicht verbogen.
Ich nahm ein VergræŸerungsglas: die Scharniere waren zur H¤lfte
abgerissen und innen - stand da nicht etwas eingraviert? Kaum mehr leserlich
und noch ìberdies mit einer Menge ganz frischer Schrammen zerkratzt. Langsam
entzifferte ich:
K-rl Zott-mann.
Zottmann? Zottmann? - Wo hatte ich diesen Namen doch gelesen? Zottmann?
Ich konnte mich nicht entsinnen. Zottmann?
Wassertrum schlug mir die Lupe beinahe aus der Hand:
"Im Werk is nix, da hab' ich schon selber geschaut. Aber mit'm Geh¤use,
da stinkt's."
"Braucht man nur gerade zu klopfen - hæchstens ein paar Lætstellen. Das
kann Ihnen ebensogut jeder beliebige Goldarbeiter machen, Herr Wassertrum."
"Ich leg' doch Wert darauf, daŸ es eine solide Arbeit wird. Was man so
sagt: kìnstlerisch", unterbrach er mich hastig. Fast ¤ngstlich.
"Nun gut, wenn Ihnen derart viel daran liegt -"
"Viel daran liegt!" Seine Stimme schnappte ìber vor Eifer. "Ich will
sie doch selber tragen, die Uhr. Und wenn ich sie jemandem zeig', will ich
sagen kænnen: schauen Sie mal her, so arbeitet der Herr von Pernath."
Ich ekelte mich vor dem Kerl; er spuckte mir seine widerw¤rtigen
Schmeicheleien færmlich ins Gesicht.
"Wenn Sie in einer Stunde wiederkommen, wird alles fertig sein."
Wassertrum wand sich in Kr¤mpfen: "Das gibt's nicht. Das will ich
nicht. Drei Tag. Vier Tag. Die n¤chste Woche is Zeit genug. Das ganze Leben
mæcht' ich mir Vorwìrfe machen, daŸ ich Ihnen gedr¤ngt hab'."
Was wollte er nur, daŸ er so auŸer sich geriet? - Ich machte einen
Schritt ins Nebenzimmer und sperrte die Uhr in die Kassette. Angelinas
Photographie lag obenauf. Schnell schlug ich den Deckel wieder zu - fìr den
Fall, daŸ Wassertrum mir nachblicken sollte.
Als ich zurìckkam, fiel mir auf, daŸ er sich verf¤rbt hatte.
Ich musterte ihn scharf, lieŸ aber meinen Verdacht sofort fallen:
Unmæglich! Er konnte nichts gesehen haben.
"Also, dann vielleicht n¤chste Woche", sagte ich, um seinem Besuch ein
Ende zu machen.
Er schien mit einemmal keine Eile mehr zu haben, nahm einen Sessel und
setzte sich.
Im Gegensatz zu frìher hielt er seine Fischaugen jetzt beim Reden weit
offen und fixierte beharrlich meinen obersten Westenknopf.
Pause.
"Die Duksel hat Ihnen natìrlich gesagt, Sie sollen sich nix wissen
machen, wenn's heraus kommt. Waas?" sprudelte er plætzlich ohne jede
Einleitung auf mich los und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Es lag etwas merkwìrdig Schreckhaftes in der Abgerissenheit, mit der er
von einer Sprechweise in die andere ìbergehen - von Schmeicheltænen
blitzartig ins Brutale springen konnte, und ich hielt es fìr sehr
wahrscheinlich, daŸ die meisten Menschen, besonders Frauen, sich im
Handumdrehen in seiner Gewalt befinden muŸten, wenn er nur die geringste
Waffe gegen sie besaŸ.
Ich wollte auffahren, ihn am Hals packen und vor die Tìr setzen, war
mein erster Gedanke; dann ìberlegte ich, ob es nicht klìger sei, ihn
zuværderst einmal grìndlich auszuhorchen.
"Ich verstehe wahrhaftig nicht, was Sie meinen, Herr Wassertrum;" - ich
bemìhte mich, ein mæglichst dummes Gesicht zu machen - "Duksel? Was ist das:
Duksel?"
"Soll ich Ihnen vielleicht Deitsch lernen?", fuhr er mich grob an. "Die
Hand werden Sie aufheben mìssen bei Gericht, wenn's um die Wurscht geht.
Verstehen Sie mich?! Das sag ich Ihnen!" - Er fing an zu schreien: "Mir ins
Gesicht hinein werden Sie nicht abschwæren, daŸ ›sie‹ von da drìben" - er
deutete mit dem Daumen nach dem Atelier - "zu Ihnen heribber geloffen is mit
en Teppich an und - sonst nix!"
Die Wut stieg mir in die Augen; ich packte den Halunken an der Brust
und schìttelte ihn:
"Wenn Sie jetzt noch ein Wort in diesem Ton sagen, breche ich Ihnen die
Knochen im Leibe entzwei! Verstanden?"
Aschfahl sank er in den Stuhl zurìck und stotterte:
"Was is? Was is? Was wollen Sie? Ich mein' doch bloŸ."
Ich ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, um mich zu beruhigen.
Horchte nicht hin, was er alles zu seiner Entschuldigung herausgeiferte.
Dann setzte ich mich ihm dicht gegenìber, in der festen Absicht, die
Sache, soweit sie Angelina betraf, ein fìr allemal mit ihm ins reine zu
bringen und, sollte es im Frieden nicht gehen, ihn zu zwingen, endlich die
Feindseligkeiten zu eræffnen und seine paar schwachen Pfeile vorzeitig zu
verschieŸen.
Ohne seine Unterbrechungen im geringsten zu beachten, sagte ich ihm auf
den Kopf zu, daŸ Erpressungen irgendwelcher Art - ich betonte das Wort -
miŸglìcken mìŸten, da er auch nicht eine einzige Anschuldigung mit Beweisen
erh¤rten kænnte und ich mich einer Zeugenschaft (angenommen, es w¤re
ìberhaupt im Bereiche der Mæglichkeit, daŸ es je zu einer solchen k¤me) -
bestimmt zu entziehen wissen wìrde. Angelina stìnde mir viel zu nahe, als
daŸ ich sie nicht in der Stunde der Not retten wìrde, koste es, was es
wolle, sogar einen Meineid!
Jede Muskel in seinem Gesicht zuckte, seine Hasenscharte zog sich bis
zur Nase auseinander, er fletschte die Z¤hne und kollerte wie ein Truthahn
mir immer wieder in die Rede hinein: "Will ich denn was von die Duksel? So
hæren Sie doch zu!" - Er war auŸer sich vor Ungeduld, daŸ ich mich nicht
beirren lieŸ. - "Um den Savioli is mir's zu tun, um den gottverfluchten
Hund, - den - den -", fuhr es ihm plætzlich brìllend heraus.
Er japste nach Luft. Rasch hielt ich inne: endlich war er dort, wo ich
ihn haben wollte, aber schon hatte er sich gefaŸt und fixierte wieder meine
Weste.
"Hæren Sie zu, Pernath;" er zwang sich, die kìhle, abw¤gende
Sprechweise eines Kaufmanns nachzuahmen, "Sie reden fort von der Duk - - von
der Dame. Gut! sie ist verheiratet. Gut: sie hat sich eingelassen mit dem -
mit dem jungen Lauser. Was hab' ich damit zu tun?" Er bewegte die H¤nde vor
meinem Gesicht hin und her, die Fingerspitzen zusammengedrìckt, als hielte
er eine Prise Salz darin - "soll sie sich das selber abmachen, die Duksel. -
Ich bin e Weltmann und Sie sin auch e Weltmann. Wir kennen doch das beide.
Waas? Ich will doch nur zu meinem Geld kommen. Verstehen Sie, Pernath?!"
Ich horchte erstaunt auf:
"Zu welchem Geld? Ist Ihnen denn Dr. Savioli etwas schuldig?"
Wassertrum wich aus:
"Abrechnungen hab' ich mit ihm. Das kommt doch auf eins heraus."
"Sie wollen ihn ermorden!" schrie ich.
Er sprang auf. Taumelte. Gluckste ein paarmal.
"Jawohl! Ermorden! Wie lange wollen Sie mir noch Komædie vorspielen!"
Ich deutete auf die Tìr. "Schauen Sie, daŸ Sie hinauskommen."
Langsam griff er nach seinem Hut, setzte ihn auf und wandte sich zum
Gehen. Dann blieb er noch einmal stehen und sagte mit einer Ruhe, deren ich
ihn nie fìr f¤hig gehalten h¤tte:
"Auch recht. Ich hab' Sie herauslassen wollen. Gut. Wenn nicht: Nicht.
Barmherzige Barbiere machen faule Wunden. Mein Zarbìchel ist voll. Wenn Sie
gescheit gewesen w¤ren -: der Savioli is Ihnen doch nur im Weg?! Jetzt -
mach - ich - mit - Ihnen allen dreien" - er deutete mit einer Geste des
Erdrosselns an, womit er es meinte - "PreŸcolleeh".
Seine Mienen drìckten eine so satanische Grausamkeit aus und er schien
seiner Sache so sicher zu sein, daŸ mir das Blut in den Adern erstarrte. Er
muŸte eine Waffe in H¤nden haben, von der ich nichts ahnte, die auch
Charousek nicht kannte. Ich fìhlte den Boden unter mir wanken.
"Die Feile! Die Feile!" hærte ich es in meinem Hirn flìstern. Ich
sch¤tzte die Entfernung ab: ein Schritt bis zum Tisch - zwei Schritte bis zu
Wassertrum - - ich wollte zuspringen - - - da stand wie aus dem Boden
gewachsen Hillel auf der Schwelle.
Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen.
Ich sah nur - wie durch Nebel -, daŸ Hillel unbeweglich stehen blieb
und Wassertrum Schritt fìr Schritt bis an die Wand zurìckwich.
Dann hærte ich Hillel sagen:
"Sie kennen doch, Aaron, den Satz: Alle Juden sind Bìrgen fìreinander?
Machen Sie's einem nicht zu schwer." - Er fìgte ein paar hebr¤ische Worte
hinzu, die ich nicht verstand.
"Was haben Sie das netig, an der Tìre zu schnìffeln?" geiferte der
Trædler mit bebenden Lippen.
"Ob ich gehorcht habe oder nicht, braucht Sie nicht zu kìmmern!" -
wieder schloŸ Hillel mit einem hebr¤ischen Satz, der diesmal wie eine
Drohung klang. Ich erwartete, daŸ es zu einem Zank kommen wìrde, aber
Wassertrum antwortete